Meisterwerke im J. Paul Getty Museum: Europäische
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Meisterwerke im J. Paul Getty Museum: Europäische
Meisterwerke im J. Paul Getty Museum EUROPÄISCHE BILDHAUEREI Meisterwerke im J. Paul Getty Museum EUROPÄISCHE BILDHAUEREI Los Angeles T H E J. PAUL G E T T Y M U S E U M Frontispiz: MICHEL ANGUIER Jupiter [Detail] wahrscheinlich gegen Ende des 17. Jahrhunderts von einem Modell aus dem Jahre 1652 gegossen 94.SB.21 (siehe N r . 21) Seite 6: JOHN DEARE Venus liegt auf einem Seeungeheuer mit Amor und einem Putto [Detail], 1785-1787 98.SA.4 (siehe N r . 38) Seite 8: A m J. Paul Getty Museum: CHRISTOPH DANIEL SCHENK Christopher Hudson, Herausgeber Der reuige Petrus [Detail], 1685 Mark Greenberg, Chefredakteur 96.SD.4.2 (siehe N r . 24) John Harris, Redakteur Seite 12: Jack Ross, Fotograf Stacy Miyagawa, Herstellungskoordinatorin JEAN-JACQUES CAFFIERI Büste des Alexis-]ean-Eustache Texte von Peter Fusco (mit PF im Text abgekürzt), Peggy Anne Fogelman (PAF) Taitbout [Detail], 1762 und Marietta Cambareri ( M C ) 96.SC.344 (siehe N r . 33) Gestaltung und Produktion: Thames and Hudson, London, in Zusammenarbeit mit dem J. Paul Getty Museum Seite 13: FRANCOIS GIRARDON Pluto entführt Proserpina [Detail] gegossen ca. 1693-1710 Ubersetzung aus dem Englischen von Tobias Kommereil Deutsche Ubersetzung © 1998 Thames and Hudson 88.SB.73 (siehe N r . 26) © 1998 The J. Paul Getty Museum 1200 Getty Center Drive Suite 1000 Los Angeles, California 90049-1687 I S B N 0-89236-515-3 Gedruckt und gebunden in Singapur von C S . Graphics Farbreproduktionen von Articolor, Verona, Italien INHALT G E L E I T W O R T von Deborah Gribbon 7 E I N L E I T U N G von Peter Fusco 9 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI VERZEICHNIS DER KÜNSTLER 14 128 GELEITWORT D i e 1984 begonnene S a m m l u n g europäischer Bildhauerei, die i n diesem B u c h vorgestellt w i r d , wurde vor kurzem i n eigens für diese S a m m l u n g eingerichteten Ausstellungsräumen i m neuen J . Paul G e t t y M u s e u m aufgestellt. D i e Möglichkeit, die S a m m l u n g i n ihrem neuen Kontext begutachten z u können, stellt für Besucher eine völlig neue Erfahrung dar; für uns w i r d damit deutlich, d a ß w i r i n n u r vierzehn Jahren weit mehr erreicht haben, als w i r damals je z u träumen gewagt hätten. D i e Kuratoren haben eine S a m m l u n g v o n Skulpturen v o m späten 15. bis z u m frühen 20. Jahrhundert zusammengestellt; darunter finden sich Arbeiten aus den unterschiedlichsten Materialien, geschaffen v o n großartigen europäischen Bildhauern wie Laurana, A n t i c o , C e l l i n i , G i a m b o l o g n a , Bernini, C l o d i o n , C a n o v a u n d Carpeaux, u m n u r einige z u nennen. Schwerpunkte der S a m m l u n g sind Bronzen der Spätrenaissance u n d des Spätbarocks, m i t Meisterwerken v o n Schardt, de Vries, Tacca u n d Soldani. D i e S a m m l u n g wurde v o n Peter Fusco, d e m ersten Kurator für Bildhauerei des Museums, u n d zwei assoziierten Kuratoren, Peggy Fogelman u n d Catherine Hess, zusammengestellt. Dieses B u c h ist das Sechste i n einer Reihe, die d e m interessierten P u b l i k u m H ö h e p u n k t e der verschiedenen Abteilungen des Museums vorstellt. Ich m ö c h t e hiermit Peter Fusco meinen D a n k für seine inspirierende E i n l e i t u n g aussprechen sowie Peggy Fogelman, Marietta Cambareri u n d nochmals Peter Fusco für die Beiträge z u den einzelnen Arbeiten danken. Interessierte Leser, die gerne mehr über die S a m m l u n g Getty europäischer Bildhauerei erfahren m ö c h t e n , seien auf zwei weitere T i t e l hingewiesen, die das M u s e u m 1997 veröffentlicht hat: Looking at European Sculpture: A Guide to Technical Terms v o n Jane Basset u n d Peggy Fogelman sowie den Summary Catalogue of European Sculpture in the J. Paul Getty Museum v o n Peter Fusco. E i n zweibändiger Sonderkatalog der Bildhauereisammlung w i r d i n den nächsten Jahren erscheinen. DEBORAH GRIBBON Stellvertretende D i r e k t o r i n u n d leitende K u r a t o r i n GELEITWORT 7 EINLEITUNG Ich habe vergessen, wer scherzhafterweise Bildhauerei als etwas bezeichnete, gegen das m a n stößt, w e n n m a n ein paar Schritte zurücktritt, u m ein G e m ä l d e z u betrachten. W e r i m m e r es auch war, diese geistreiche Bemerkung enthält doch ein K ö r n c h e n Wahrheit: das allgemeine P u b l i k u m ebenso wie die Gelehrten beschäftigen sich eingehender m i t Malerei als m i t Bildhauerei. Es gibt hierfür sicherlich eine Reihe v o n G r ü n d e n . Unsere Gesellschaft ist mehr darauf ausgerichtet, D i n g e auf einer flachen Ebene als dreidimensional z u erfahren. W i r beziehen unser Wissen nicht nur v o n Buchseiten u n d Fotografien, Heften u n d wissenschaftlichen Publikationen, sondern neuerdings auch i n steigendem M a ß e v o n Fernsehen u n d Computer. Was die Unterrichtsmethoden i m Fachbereich Kunstgeschichte angeht, so verläßt m a n sich dabei meistens auf Dias, die auf eine flache W a n d projiziert werden. In Schulen u n d Universitäten w i r d i n den Lehrprogrammen für Kunstgeschichte der Malerei fast i m m e r mehr Bedeutung zugemessen als der Bildhauerei - außer, natürlich, wenn Perioden oder K u l t u r e n wie das klassische Griechenland behandelt werden, v o n denen fast auschließlich dreidimensionale Objekte überlebt haben. Es ist daher nicht verwunderlich, daß G e m ä l d e , D r u c k e u n d Zeichnungen weit intensiver gesammelt werden als Skulpturen, u n d daß i n den letzten Jahrzehnten ein sehr stark ansteigendes Interesse an der Fotografie z u verzeichnen war. W e r die Auffassung nicht teilt, daß das Interesse an der Bildhauerei vergleichsweise gering ist, sei auf den heutigen Kunstmarkt verwiesen: die Preise für Skulpturen liegen deutlich unter denen für G e m ä l d e , o b w o h l bedeutende Skulpturen viel seltener auf d e m M a r k t z u finden sind. M a n k ö n n t e die Behauptung aufstellen, daß der Besitz eines dreidimensionalen Objekts für einen Privatsammler schlicht u n d einfach höhere Anforderungen stellt; die Verpackung, der ge- u n d versicherte Transport sowie das Ausstellen v o n G e m ä l d e n , D r u c k e n , Fotografien u n d illuminierten Handschriften ist i m allgemeinen unkomplizierter u n d billiger. Es ist augenscheinlich schwieriger, eine Skulptur über einem Sofa oder einem Bett aufzuhängen, u n d wenn das Objekt größer als ein S c h m u c k s t ü c k ist, besitzt es eine Präsenz, die den Privatbereich erheblich beansprucht u n d i n den meisten Fällen eine Nische oder ein Podest benötigt. D a ß G e m ä l d e Skulpturen vorgezogen werden, ist nichts Neues. D e r junge Charles Baudelaire schrieb 1846 sein notorisches Essay " W a r u m die Bildhauerei langweilig ist" ("Pourquoi la sculpture est ennuyeuse"). Tatsächlich endeten theoretische Debatten über die relativen Verdienste der beiden Kunstrichtungen (genannt paragoni) seit der Renaissance meist zugunsten der Malerei. W e i l die Bildhauerei i m allgemeinen mehr handwerkliche T ä t i g k e i t erfordert, fiel es Bildhauern schwer, sich v o n Assoziationen z u m "Kunsthandwerk" z u lösen, während es dem M a l e r leichter fiel, den sozialen Stand EINLEITUNG 9 des "Künstlers" z u erreichen. V o r kurzem schrieb ein Rezensent i m Times Literary Supplement, daß es "weitaus schwieriger sei, drei D i m e n s i o n e n auf eine zweidimensionale Ebene zu übertragen als ein Objekt direkt i n drei D i m e n s i o n e n darzustellen; weder die Griechische, n o c h die R ö m i s c h e , noch die Ägyptische K u l t u r haben dies jemals bewältigt, o b w o h l Bildhauer aller drei K u l t u r e n i n der skulpturalen Darstellung großes Talent u n d Geschick aufwiesen." W i r w o l l e n diese Debatte hier nicht fortführen; das Zitat verdeutlicht jedoch den bleibenden Verdacht, daß Bildhauerei gegenüber der Malerei als weniger gehoben u n d ehrenwert sowie intellektuell weniger anspruchsvoll gesehen w i r d . Seit der E i n r i c h t u n g der Kunstgeschichte als eine akademische D i s z i p l i n i m 19. Jahrhundert hat sich unser Wissen über die Geschichte der europäischen Malerei schneller u n d weitgehender vertieft als dies i n der Bildhauerei der Fall ist. Das mag seine G r ü n d e i n den bereits besprochenen Faktoren haben; i n gewisser H i n s i c h t ist das Studieren der Bildhauerei vielleicht schwieriger, was sicherlich an der Materie selbst liegt. E i n e Fotografie oder ein D i a liefern z u m Beispiel einen besseren E i n d r u c k v o n einem G e m ä l d e oder einer Z e i c h n u n g als v o n einer Skulptur: die einzelne, flache Darstellung vermag nur einen der möglichen Betrachtungswinkel einer Vollplastik z u vermitteln. Das Studieren v o n Skulpturen erfordert außerdem ein Verständnis für eine A n z a h l v o n handwerklichen M e t h o d e n wie z. B . das M o d e l l i e r e n m i t T o n u n d Wachs; das Schnitzen v o n H o l z , Elfenbein u n d M a r m o r ; das Gießen v o n Terrakotta u n d G i p s ; die diversen G u ß m e t h o d e n für Bronze sowie das Patinieren, Glasieren u n d Polychromieren. Des weiteren läßt sich eine eingehende Kenntnis bestimmter A r t e n v o n Skulpturen, wie Bronzestatuetten der Renaissance, nicht durch einfaches Hinschauen aneignen, sondern erfordert eine H a n d h a b u n g der Objekte, für die i n den meisten M u s e e n der Z u g a n g fehlt. Trotz dieser U m s t ä n d e werden weiterhin Bildhauereisammlungen zusammengestellt. V o m noblen Z i e l , ein wunderbares Ensemble zusammenzustellen bis h i n zur krassen finanziellen Investition gibt es eine ganze Palette v o n Impulsen, die i n der einen oder anderen Weise zufriedengestellt werden, wenn Kunstwerke i n einer S a m m l u n g zusammengebracht werden. Seitdem die ersten Sammlungen wertvoller Objekte zusammengestellt wurden, w i r d das Sammeln v o n Kunst i m allgemeinen als ehrenwerte T ä t i g k e i t u n d wichtiges Element i n der E n t w i c k l u n g unserer K u l t u r betrachtet. Das m i t Kunstsammlungen assoziierte Prestige hat heute z u der Situation geführt, daß gesellschaftlicher Status oft der wesentliche Beweggrund für das Sammeln u n d die A u s w a h l der einzelnen Arbeiten ist. In einer derartigen A t m o s p h ä r e erfüllt das Objekt Kriterien, die der Sammler als gesellschaftlich akzeptabel kennt; der 10 EINLEITUNG Schwerpunkt verlagert sich heutzutage zunehmend auf Arbeiten, die eindeutig identifiziert u n d kategorisiert werden können, wobei signierten u n d datierten Arbeiten unmäßige Bedeutung zugemessen w i r d . Dieses kulturelle K l i m a unterstützt ferner die Tendenz, Sammlungen i n äußerst eng definierten, spezialisierten Bereichen anzulegen, so daß die größtmögliche K o n t r o l l e über Neuanschaffungen ausgeübt werden kann. I m H i n b l i c k auf die heutigen kulturellen Werte ist es verständlich, daß es sich bei den populärsten Bereichen, i n denen heute Bildhauerei gesammelt w i r d , u m die animalierBronzen des 19. Jahrhunderts sowie die Werke Auguste Rodins u n d Edgar Degas' handelt: i m Gegensatz z u früher europäischer Skulptur sind diese nahezu unweigerlich v o m Künstler signiert. ( A n dieser Stelle sei die Ironie hervorgehoben, daß i n den meisten Eingangshallen amerikanischer Museen der Besucher v o n einer R o d i n Plastik begrüßt w i r d - als sei sie ein Firmenlogo, das anzeigt: "Dies ist ein Kunstmuseum" - obgleich die M e h r z a h l jener Institutionen der Malerei weitaus mehr Ausstellungsräume widmet als der Bildhauerei.) Es w i r d dem Leser sicherlich bald bewußt werden, daß die S a m m l u n g europäischer Bildhauerei i m J . Paul Getty M u s e u m nicht sonderlich umfassend oder z u s a m m e n h ä n g e n d ist. Es ist die jüngste u n d kleinste aller Sammlungen des Museums, aber auch die weitläufigste. Sie umfaßt Werke aus den 1470er Jahren bis 1911. E i n e Vielzahl v o n Materialien sind i n der S a m m l u n g vertreten: G i p s , Terrakotta, H o l z , polychromes H o l z , Elfenbein, Alabaster, M a r m o r , Bronze, Silber u n d G o l d . Typologisch ist die S a m m l u n g ebenfalls sehr ausgedehnt: sie umfaßt Porträtbüsten, Idealköpfe, Einzelfiguren, G r u p p e n , Reliefs and mehrere Werke, die für einen praktischen N u t z e n geschaffen wurden. Einige Objekte sind religiöser Natur, andere profan oder dekorativ. Es gibt religiöse, mythologische u n d allegorische Darstellungen sowie Darstellungen v o n Genre-Sujets. W e n n es einen roten Faden gibt, der sich durch die gesamte S a m m l u n g zieht, so ist es, wie ich hoffe, hohe ästhetische Qualität, historisches Interesse u n d Erlesenheit. O b diese Kriterien erfüllt werden oder nicht, liegt beim geschätzten Leser. Eines läßt sich jedoch nicht leugnen: das M u s e u m hat durch die Entscheidung des Direktors u n d des Vorstands, eine A b t e i l u n g eigens für europäische Bildhauerei einzurichten, gewiß ein wenig an Einzigartigkeit gewonnen. Ich hoffe ebenfalls, daß durch dieses bescheidene B u c h , i n dem eine A u s w a h l unserer S a m m l u n g vorgestellt w i r d , das Interesse an einem weitgehend vernachlässigten Bereich neu geweckt w i r d . PETER FUSCO Kurator EINLEITUNG 11 1 FRANCESCO LAURANA Diese Skulptur ist weder eine Büste n o c h eine Statue, sondern gibt K o p f u n d Dalmatien (tätig i n Neapel, gesamten O b e r k ö r p e r seines Subjekts wieder. Es handelt sich u m ein K i n d , daß einen Sizilien und der Provence), Palmen- u n d einen Lorbeerzweig i n seiner H a n d hält - erstgenanntes S y m b o l für das 1420-1502 Der Heilige Cyricus, ca. 1470-1480 Marmor 49,5 cm 96.SA.6 M a r t y r i u m , letzteres für den Sieg über den T o d . D e r ungewöhnliche Sockel - hoch, oval u n d m i t eingeritzten, rauhen Flächen, die eigentlich m i t Stuck versehen u n d bemalt sein sollten - ist typisch für die Arbeiten Francesco Lauranas. Laurana, i n D a l m a t i e n geboren, war ein vielgereister Künstler, der i n Italien u n d Südfrankreich (Provence) arbeitete; er w i r d nach wie vor als eine enigmatische Figur betrachtet, dessen W e r k große Qualitätsunterschiede aufweist, der aber auch eine Reihe von idealisierenden weiblichen Porträtbüsten schuf, die z u den schönsten Skulpturen gehören, die i m Laufe des 15. Jahrhunderts produziert wurden. Lauranas Der Heilige Cyricus wurde erst vor kurzem entdeckt; die Skulptur sprengt die vormals gültigen Parameter der Bildhauerei des 15. Jahrhunderts. Es ist die einzige uns bekannte, halblange Vollplastik m i t integriertem Sockel. Laurana verbindet hier verschiedene Elemente religiöser Bildhauerei, die den sakralen Charakter dieser Skulptur anzeigen. D i e erstaunlichen, gen H i m m e l gerichteten A u g e n finden sich auch i n früheren Darstellungen Heiliger u n d i m leidenen Christus. D i e K o m b i n a t i o n v o n h o h e m Sockel u n d einer horizontal abgeschlossenen Figur erinnert an Reliquiarbüsten. Das halblange Format findet m a n i n früheren Darstellungen v o n Heiligen, der H e i l i g e n Jungfrau u n d dem Verkündigungsengel. D e r Legende zufolge wurde der Heilige Cyricus u m 304 z u m Märtyrer, weil er sich weigerte, falsche Idole anzubeten. Es liegen mehrere Zeugnisse vor, die v o n einer ganzen Palette v o n Foltern berichten, denen das K i n d ausgesetzt wurde, v o n denen die Skulptur einige widerspiegelt. So ist die Darstellung des Kindes i n halber L ä n g e w o h l eine A n s p i e l u n g darauf, daß es i n zwei Hälften durchtrennt wurde (es wurde später z u m Schutzheiligen der Sägewerker u n d der K i n d e r ) . Sein Torso steht nicht auf dem ovalen Sockel, sondern ist i n diesen eingelassen — ein H i n w e i s auf die Tradition, die das K i n d i n einen großen Kessel voll kochender Flüssigkeit eintauchte. Sein nackter Schädel ruft w o h l die Legende hervor, daß seine Kopfhaut v o m Schädel gezogen wurde. W ä h r e n d diese grausamen Elemente i n der Arbeit durchaus behandelt werden, hat der Künstler d o c h gleichzeitig die F o r m des k i n d l i c h e n Schädels genutzt (sicherlich auf Studien nach dem Leben gestützt), u m eine wunderschöne, abstrakte F o r m z u schaffen, die der Plastik eine merkwürdige, entrückte Präsenz verleiht. EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PF 15 2 CONRAT MEIT M e i t wurde i n W o r m s geboren u n d arbeitete ab 1511 i n W i t t e n b e r g für den Deutsch (tätig i n Frankreich, sächsischen Kurfürsten Friedrich der Weise, für den auch A l b r e c h t D ü r e r u n d Lukas Brabant, Mechelen u n d Cranach der Altere arbeiteten. U m 1512 verließ der Bildhauer Deutschland für immer; Antwerpen), 1480er?-1550/51 Kopf eines Mannes (möglicherweise ein Porträt von Cicero), ca. 1520 Alabaster 33 cm 96.SA.2 1514 wurde er i n M e c h e l e n z u m offiziellen Hofbildhauer a m H o f e v o n Margarete v o n Osterreich ( 1 4 8 0 - 1 5 3 0 ) , Regentin der Niederlande, ernannt. I m Jahre 1526 begann M e i t m i t seinem ersten monumentalen W e r k , den G r a b m ä l e r n Margaretes, Philiberts u n d der M u t t e r Philiberts, Margarete v o n B u r g u n d , i n der K i r c h e v o n Saint Nicolas de T o l e n t i n i n B r o u . Diese Grabmäler, sowie eine signierte Alabasterstatue der Judith, liefern eine solide Grundlage zur E i n s c h ä t z u n g v o n M e i t s Stil, so d a ß i h m bestimmte Arbeiten zugeschrieben werden k ö n n e n . Das Fehlen zeitgenössischer Anhaltspunkte, die Toga sowie das "Seestern'-Muster der Haare a m H i n t e r k o p f - antiker Porträtskulptur nachempfunden - sprechen dafür, d a ß es sich bei d e m Kopf eines Mannes u m eine alVantica -Darstellung einer altertümlichen Figur handelt. Möglicherweise stellt die Skulptur den b e r ü h m t e n römischen Orator, Anwalt, Politiker u n d Poeten Marcus Tullius Cicero ( 1 0 6 - 4 3 v. Chr.) dar. D a i n der Renaissance keine Porträts Ciceros bekannt waren, m u ß t e n die Künstler des 16. Jahrhunderts ihre eigene Ikonographie erfinden, u m diesen berühmten Staatsmann darstellen z u k ö n n e n . Plutarch zufolge ("Cicero", Vitae 1.4) stammt Ciceros Familienname - v o n cicer, Lateinisch für Kichererbse - v o n einem Vorfahren, der eine Spalte i n der Nase hatte, einer Garbanzobohne ähnlich. Offensichtlich interpretierten Antiquare der Renaissance diese physische Besonderheit als Warze oder M u t t e r m a l u n d assoziierten diese m i t M a r c u s Tullius. D i e Warze an der äußeren Ecke des l i n k e n Auges dieser Figur, die auch irgendwo i m gesamten Gesicht hätte auftreten können, wurde z u m identifizierenden Kennzeichen der Porträts Ciceros. P A F und P F 18 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 3 PIERJACOPO Pier Jacopo, ursprünglich gelernter G o l d s c h m i e d , war gegen E n d e des 15. Jahrhunderts ALARI-BONACOLSI u n d A n f a n g des 16. Jahrhunderts leitender Bildhauer am H o f e Mantuas. D i e v o n i h m genannt Antico durchgeführten Restaurierungen antiker Fragmente, sowie seine unzähligen bronzenen Italien (Mantua) ca. 1460-1528 Büste eines jungen Mannes, ca. 1520 Bronze, mit silbernen Augen 54,6 cm 86.SB.688 Verkleinerungen u n d K o p i e n berühmter Statuen u n d B ü s t e n der A n t i k e , brachten i h m den Spitznamen A n t i c o (der A n t i k e ) ein. Anticos Nachempfinden altertümlicher K u n s t ergriff nicht nur die F o r m e n u n d Sujets seiner K o m p o s i t i o n e n , sondern auch seine Technik. So rufen z. B . die silbernen A u g e n u n d hervortretenden P u p i l l e n der Skulptur i m Getty M u s e u m - die der Büste ihre markante Präsenz verleihen - altertümliche Bronzeplastiken i n Erinnerung, bei denen Silber- u n d Kupferintarsien bestimmte anatomische M e r k m a l e unterstrichen u n d zusätzliche Farbenvielfalt lieferten. In anderen Arbeiten vergoldete A n t i c o Haare, G e w ä n d e r u n d weitere Kostümteile, u m einen kräftigen Kontrast zwischen dem glänzenden G o l d u n d der dunklen, patinierten Bronze z u schaffen. D i e Büste i m Getty M u s e u m zeigt einen jungen M a n n m i t einem glatten Schnurrbart, gestutzten Koteletten, einem H a u c h v o n Gesichtsbehaarung unterhalb der Unterlippe sowie einem äußerst dichten, lockigen, spiralförmig i n alle Richtungen s t r ö m e n d e n Haarschopf. Diese Bronze ist einer altertümlichen M a r m o r b ü s t e nachempfunden, die sich heute i m Besitz der H i s p a n i c Society o f A m e r i c a i n N e w York befindet. O b g l e i c h die Identität des Subjekts dieses M a r m o r p o r t r ä t s unklar ist, so glaubte m a n i m 16. Jahrhundert w o h l , daß es sich u m einen römischen Kaiser handelt. Möglicherweise hat A n t i c o eine K o p i e i n Bronze angefertigt, die Teil einer Reihe v o n Kaiserbüsten für die D e k o r a t i o n des Interieurs eines Palastes oder einer Grotte war. D i e gelehrten Auftraggeber Anticos hätten sicherlich die optische A n s p i e l u n g der B ü s t e auf das A l t e r t u m , sowie die außergewöhnliche Qualität u n d ausgereifte Detaillierung der Bronze i n höchstem M a ß e zu würdigen gewußt. 20 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PAF 4 GIROLAMO Diese B ü s t e stellt einen schönen, bärtigen, i n römischer R ü s t u n g u n d Toga gekleideten DELLA ROBBIA M a n n dar; die Plastik ist i n Dreiviertelrelief ausgeführt. Das klassische K o s t ü m läßt Italien (geboren in Florenz, tätig einen altertümlichen römischen oder gallischen H e l d e n vermuten. D i e Büste gehört z u in Frankreich), 1488-1566 Büste eines Mannes, 1526-1535 Irdenware mit Zinnglasur, mit schwarzer Unterglasurfarbe in den Augen 46,4 cm 95.SC.21 einer Reihe v o n Porträts, die G i r o l a m o della R o b b i a für das Chateau d'Assier bei Figeac, nordwestlich v o n Toulouse, geschaffen hat. Das Schloß wurde v o n Jacques, genannt G a l i o t , de G o u r d o n de G e n o u i l l a c ( 1 4 6 5 - 1 5 4 6 ) , einem gefeierten Soldaten u n d Offizier am H o f e Francois' L , erbaut. M i t der Ausstattung des Schlosses wurde 1526 begonnen, 1535 war sie abgschlossen. D i e Gestaltung, anhand v o n Stichen überliefert, sah i n die W ä n d e des Innenhofs eingelassene Reliefporträts vor. W i e auch andere Skulpturen i n dieser G r u p p e wurde die vorliegende Plastik weiß glasiert, u m einen Marmoreffekt z u erzielen. Sie wäre v o n einem runden, kranzartigen M e d a i l l o n eingerahmt worden. Das Hervortreten des Hochreliefs u n d die glänzend weiße Oberfläche der B ü s t e hätten einen überraschenden Kontrast zur flachen, grauen W a n d , an welcher sie angebracht gewesen wäre, gebildet. G i r o l a m o wurde v o n seinem Vater i n der Werkstatt D e l l a R o b b i a i n Florenz ausgebildet; die Werkstatt war seit den 1440er Jahren für ihre glasierten Terrakottaskulpturen berühmt. D i e Büste i m G e t t y M u s e u m ist beispielhaft für Girolamos ganz eigene Vorgehensweise i n der Verarbeitung v o n Terrakotta, bei der ausdrucksvolles, naturalistisches M o d e l l i e r e n skulpturaler V o l u m e n u n d anatomischer M e r k m a l e — i m vorliegenden Fall die ausgeprägte Nase, die tiefen A u g e n h ö h l e n u n d die fein gerunzelten Brauen - polychromen Glasuren u n d O r n a m e n t e n vorgezogen w i r d . Möglicherweise verließ G i r o l a m o Florenz bereits i m Jahre 1517, u m dem französischen K ö n i g an seinem H o f z u dienen. G i r o l a m o , der erste einer Reihe v o n Francois I. rekrutierten italienischen Künstlern, leistete i n der Verbreitung des italienischen Stils Pionierarbeit, wobei er auch der K u n s t der Werkstatt D e l l a R o b b i a z u gesteigertem internationalen R u f verhalf. 24 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PAF 5 Nach einem Modell von Altgriechischer M y t h o l o g i e zufolge waren Satyrn bockgestaltige W a l d - u n d Berggeister B E N V E N U T O CELLINI m i t haarigen Beinen u n d H u f e n , Schwänzen, bärtigen Gesichtern u n d H ö r n e r n . In Italien (Florenz, auch i n der Renaissance wurden sie oft m i t der Lust u n d anderen primären Leidenschaften Fontainebleau tätig), 1500-1571 Satyr N a c h einem M o d e l l von ca. 1542 gegossen Bronze assoziiert. In seiner einzigartigen Interpretation eines Satyrs w i c h C e l l i n i zwar v o n den traditionellen, bestialischen Darstellungsmerkmalen ab - so stellte er den Satyr i n v o l l k o m m e n menschlicher Gestalt dar, m i t Ausnahme der kleinen H ö r n e r u n d eines ziegenartigen Kopfes - er unterstrich jedoch die psychologische Aggressivität dieser 56,8 cm Kreatur. Cellinis Satyr, i n mehr als Halbrelief modelliert, steht i n übertriebenem 85.SB.69 Kontrapost, den K o p f scharf nach links gewandt, u n d starrt einen unbekannten E i n d r i n g l i n g m i t stark gerunzelten Brauen, gekräuselten L i p p e n u n d finsterem Ausdruck boshaft an. Diese Satyr-Bronze wurde v o n einer Wachsstudie gegossen, die v o n Cellinis Umbauprojekt für den Eingang des königlichen Palastes i n Fontainebleau stammt. Laut Bauplan sollte das Portal, die sogenannte Porte Dorée (goldene T ü r ) , v o n einem Paar Satyrn flankiert werden, die gleichzeitig als vertikale Stützen des Gesimses dienen sollten. D a r ü b e r sollte ein halbrundes Relief angebracht werden, das eine v o n Waldtieren umgebene, nackte N y m p h e darstellt, wobei die Waldtiere als E m b l e m e François' I. dienen sollten. Das Projekt wurde nie fertiggestellt, u n d das Wachsmodell für den Satyr hat C e l l i n i möglicherweise i n seinem französischen Studio hinterlassen, als er i n seine H e i m a t Florenz zurückkehrte. PAF EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 27 6 Aus dem Umkreis von Venus, m i t ihren ausgeprägten G l i e d e r n u n d dem typischen allantica-FroRl m i t JACOPO SANSOVINO gerader Nase, verdeutlicht Sansovinos Kenntnis altertümlicher M o d e l l e . D e r Italien (tätig in Florenz, R o m stark nach links gewandte K o p f ist möglicherweise der berühmten Venus von Medici und Venedig), 1 4 8 6 - 1 5 7 0 nachempfunden; die Figur i m G e t t y M u s e u m beruht jedoch nicht auf irgendeinem Venus und Amor mit einem einzelnen Prototypen. D i e M e h r z a h l aller altertümlichen Venusstatuen zeigen sie m i t Delphin, ca. 1550 erhobenen H ä n d e n ihre Nacktheit verdeckend oder ein G e w a n d i n einer scheinbaren Bronze Geste der Bescheidenheit raffend. D e r "non-pudica -Aspekt dieser Bronze ist allerdings, 88.9 cm Inschrift unterhalb des Sockels: F B + (Zeichen des Gießers?) 87.SB.50 ganz i m Gegenteil, erstaunlich. D i e Venus ähnelt den Arbeiten des Hochmanierismus, die während der 1540er u n d 1550er Jahre v o n italienischen Künstlern wie Francesco Primaticcio u n d Jacopo Sansovino ausgeführt wurden. D i e Bronze weist enge stilistische Parallelen m i t Arbeiten Sansovinos auf, der nachweislich zwei Venusfiguren schuf (heute verloren). O b w o h l keine weiblichen A k t e v o n Sansovino bis heute überlebt haben, weisen Sansovinos dokumentierte, existente Arbeiten mehrere Elemente auf, die i n der vorliegenden Bronze z u finden sind: die ungewöhnlich abstrakten Augenbrauen, i n einer einzelnen, scharfen, halbkreisförmigen L i n i e beschrieben, die weiterführend den N a s e n r ü c k e n skizziert; die d ü n n e n , schlitzförmigen A u g e n ; der relativ kleine, leicht verzerrte M u n d ; die aufwendige Frisur m i t Haarknoten, die über einer krönenden Flechte herausragen; das Paar Haarspangen (identisch m i t denen der Sansovino-Figur der Barmherzigkeit i n einem D e n k m a l an den D o g e n Francesco Venier i n der Kirche San Salvatore i n Venedig); die langgestreckten Glieder u n d sehr fälligen Oberarme u n d Schenkel; die großen, aber eleganten H ä n d e u n d Füße; die ungewöhnliche Position des tauchenden Delphins, der eine Reihe v o n auffälligen Beulen entlang der K o p f - u n d Rückenlinie aufweist (dem Neptun begleitenden D e l p h i n i n Sansovinos gleichnamiger Figur i m Innenhof des D o g e n Palastes i n Venedig sehr ähnlich). E i n e weitere Ähnlichkeit z u Sansovinos Arbeiten besteht i n den affektiert u n d maniriert geknickten H ä n d e n , m i t den, einem W i n d r ä d c h e n gleich, gespreitzen Fingern. Es ist anzunehmen, daß A m o r i n der vorliegenden Plastik einen heute fehlenden Pfeil hielt, dessen Schärfe Venus m i t ihren Fingerspitzen untersuchte. Dies hätte die unnahbare, verächtliche, eisige u n d gefährliche Sinnlichkeit, v o n der die Bronze durchdrungen ist, gewiß unterstrichen. PF EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 29 7 Sphinx D i e Sphinx ist ein Fabelwesen, das aus einem Löwenkörper m i t Frauenkopf u n d Italien (Florenz), ca. 1560 weiblicher Brust sowie Adlerflügeln besteht. Sie w i r d hier auf allen V i e r e n hockend Bronze dargestellt, m i t schweren Augenlidern u n d den K o p f weit nach hinten gestreckt - wie 64 cm 85.SB.418.1 eine Schlange kurz vor dem Angriff. Ihr langer, S-förmiger, m i t Juwelen geschmückter Hals führt hinab zu großen Brüsten, die einem nichtsahnenden Opfer herausfordernd entgegengestreckt werden. Ihr exotischer Reiz ist typisch für den florentinischen Manierismus; die Skulptur hat viele Parallelen z u den Arbeiten Benvenuto Cellinis u n d V i n c e n z o Dantis. O b g l e i c h ägyptischer Herkunft, erscheint die Sphinx allerdings auch i n griechischer u n d römischer Kunst als S y m b o l der Verlockung, der Intelligenz u n d des Rätsels. In der Renaissance wurde diese Kreatur m i t Feuer u n d T o d i n V e r b i n d u n g gebracht, u n d zahlreiche Schornsteine u n d Gräber waren m i t Darstellungen der Sphinx versehen. D i e vorliegende Figur ist Teil eines Paares, das i m Besitz der S a m m l u n g Getty ist. Beide Plastiken weisen vorne, u n d teilweise an den Seiten, grob gemeißelte Oberflächen auf, u n d beide sind am R ü c k e n u n d am Oberteil der Flügel unvollendet (kein Polieren nach dem Gießen); dies legt die V e r m u t u n g nahe, daß die Skulpturen ausschließlich v o n unten betrachtet werden sollten. Wahrscheinlich sollten sie als Stützen der beiden vorderen E c k e n eines Sarkophages dienen. 30 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PF 8 GIOVANNI BOLOGNA G i a m b o l o g n a , der am H o f e der M e d i c i offiziell tätig war, gehört z u den (Jean Boulogne), genannt herausragendsten u n d innovativsten Bildhauern des Manierismus des ausgehenden Giambologna 16. Jahrhunderts. D i e vorliegende weibliche M a r m o r f i g u r ist beispielhaft für seinen Italien/Flandern (geboren i n Douai, tätig i n Florenz), 1529-1608 Weibliche Figur (möglicherweise Venus, vormaliger Titel: Bathsheba), 1571-1573 Marmor Stil. D i e Pose der dargestellten Figur entspricht einer aufsteigenden Spirale, figura serpentinata genannt, wobei der i n sich gewundene Torso u n d die angewinkelten Glieder eine graziöse, w e n n auch künstliche, dreidimensionale S-förmige Kurve bilden. Es handelt sich hier weder u m eine Sitzfigur, noch u m eine Statue: eine Gesäßhälfte ist v o l l k o m m e n frei u n d ungestützt, m i t ihrem rechten A r m tupft sie ihren Fuß m i t einem kleinen T u c h u n d m i t ihrem erhobenen l i n k e n A r m hält sie einen Behälter über ihrem 114,9 cm Kopf. D a sie ein Bein u n d beide A r m e vor ihrem K ö r p e r hält, ist ihr Gleichgewicht 82.SA.37 bedrohlich nach vorne verlagert. G i a m b o l o g n a war die elegante u n d gefällige Silhouette der Figur, die v o n verschiedenen B l i c k w i n k e l n betrachten werden soll, wichtiger als die Natürlichkeit ihrer Pose. D e r kühle Reiz des glatten, nackten Körpers steht i n starkem Kontrast z u der eng geflochtenen Frisur u n d den ausgeprägten Falten des fallengelassenen Gewandes, dessen Ärmel u m ihre Lenden drapiert sind. Es handelt sich bei Giambolognas Figur möglicherweise u m eine Marmorstatue, die dem H e r z o g v o n Bayern v o n den M e d i c i als diplomatisches Geschenk überreicht wurde. D i e Statue wurde v o n Giambolognas frühen Biographen nicht erwähnt, doch handelt es sich wahrscheinlich u m eine Darstellung der Venus, ein verbreitetes Sujet bei der Darstellung eines weiblichen Aktes i m Bade. D o k u m e n t e belegen, daß der schwedische K ö n i g , Gustav A d o l p h , die M a r m o r s k u l p t u r während des dreißigjährigen Krieges m i t Deutschland (also i m 17. Jahrhundert) als Beute i n sein H e i m a t l a n d brachte. In der Zwischenzeit war die Statue i n Bathsheba umbenannt worden, vermutlich u m , während der Gegenreformation, die Nacktheit der Figur mit biblischer Bedeutung z u bekleiden. D i e Figur verblieb auf schwedischem B o d e n bis ins 20. Jahrhundert h i n e i n . E i n e Reihe v o n miteinander verbundenen Kanälen innerhalb der Figur, die v o n dem Behälter i n der erhobenen H a n d bis i n den Sockel führen, legen die V e r m u t u n g nahe, daß sie auch als Brunnenskulptur benutzt wurde. D i e H ä n d e u n d F ü ß e wurden i m 18. Jahrhundert beschädigt; der obere Teil des Behälters sowie Teile der l i n k e n H a n d wurden i m 20. Jahrhundert inkorrekt restauriert. PAF EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 33 9 JOHANN GREGOR VAN Diese Bronze stellt M e r k u r dar, den göttlichen Boten der Götter u n d Schutzpatron DER SCHARDT der Reisenden, Wissenschaftler, H ä n d l e r u n d Diebe. E r ist n u r m i t H e l m u n d H o l l a n d (tätig i n Venedig, Sandalen bekleidet, deren Flügel die Geschwindigkeit ausdrücken, m i t der er durch W i e n , Nürnberg und Dänemark), ca. 1530-1581 Merkur, ca. 1570-1580 Bronze 114,9 cm 95.SB.8 die H i m m e l zieht. D e r athletische, junge G o t t hat ein B e i n vorgestreckt u n d hält den Heroldsstab i n der rechten H a n d . E r hat den K o p f nach links gewandt, sein B l i c k folgt der Bewegung seines ausgestreckten l i n k e n A r m s . M e r k u r spricht m i t offenem M u n d u n d ausdrucksvoller Geste, das Ideal der Eloquenz verkörpernd. E i n e Version des Merkur i m N a t i o n a l m u s e u m z u S t o c k h o l m v o n gleicher Größe u n d gleichem Entwurf, gezeichnet LG V.S.R für "Ian Gregor V a n Sart Fecit" (Johann Gregor van der Schardt schuf dies), bestätigt, d a ß die Bronze der S a m m l u n g G e t t y v o n Schardt geschaffen wurde. D e r Merkur k a n n bis zur S a m m l u n g eines gewissen Paul Praun ( 1 5 4 8 - 1 6 1 6 ) , einem N ü r n b e r g e r Patrizier u n d passionierten Sammler v o n Schardts Werken, zurückverfolgt werden; es ist jedoch nicht geklärt, ob Praun den Merkur"vor oder nach d e m T o d des Künstlers i m Jahre 1581 erwarb. Schardt, ein gebürtiger Holländer, verbrachte seine ersten Arbeitsjahre i n Italien, w o er berühmte Statuen der A n t i k e u n d der Renaissance studierte u n d kopierte, u n d sich die klassizistischen u n d manieristischen Ideale zeitgenössischer Bildhauer wie Jacopo Sansovino, Benvenuto C e l l i n i u n d G i a m b o l o g n a z u eigen machte. E r war einer der ersten Künstler, die dieses Gedankengut nach N o r d e u r o p a brachten, während er an den H ö f e n N ü r n b e r g s , W i e n s u n d D ä n e m a r k s tätig war. Schardt war sich der berühmtesten zeitgenössischen Darstellung des M e r k u r v o n G i a m b o l o g n a entweder nicht bewußt, oder er lehnte sie schlicht u n d einfach ab; denn G i a m b o l o g n a zeigt den M e r k u r i m Fluge, auf einem F u ß schwebend, die Glieder i n den R a u m gestreckt (eine Skulptur, entworfen u m v o n allen Seiten betrachtet z u werden). I m Gegensatz dazu bezieht sich Schardts Merkur auf eine der berühmtesten Statuen der A n t i k e : Apollo Belvedere, eine Figur, die fest auf dem B o d e n steht. Schardt verfeinerte die K o m p o s i t i o n des verehrten Vorbilds, i n d e m er die Glieder, den Torso u n d den Hals verlängerte u n d die graziösen, schweifenden L i n i e n sowie die simple H a r m o n i e des sich i n Bewegung befindlichen Körpers betonte. MC EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 35 10 C E S A R E T A R G O N E Dieses Relief ist das einzig bekannte signierte W e r k des Venezianischen Goldschmieds Italien (tätig i n R o m , Florenz Cesare Targone, der auch i n R o m u n d Florenz tätig war u n d für namhafte K u n d e n , und Venedig) tätig während des wie die Großherzöge v o n M e d i c i , m i t antiken S c h m u c k s t ü c k e n handelte. Für späten 16. Jahrhunderts Die Jungfrau Maria trauert um den toten Christus, 1 5 8 6 - 1 5 8 7 Goldenes Repoussoirrelief auf einem Ferdinando I. de' M e d i c i schuf Targone Goldreliefs auf der Grundlage v o n M o d e l l e n v o n G i a m b o l o g n a , die vor H i n t e r g r ü n d e aus exotischen Steinen wie Jaspis u n d Amethyst gesetzt wurden. Diese Reliefs waren Teil der D e k o r a t i o n des Obsidian-Hintergrund berühmten "Tribunale", eines oktagonalen Raumes i n den Uffizi i n Florenz, i n dem Goldrelief, 28,9 x 26 cm die Kunstwerke u n d wertvollen Objekte i m Besitz der M e d i c i ausgestellt wurden. Obsidian-Hintergrund, 38,4 x 26,5 cm Die Jungfrau Maria trauert um den toten Christus hätte aufgrund der seltenen u n d Inschrift unterhalb der Füße Christi: OPVS. CESARIS. TAH VENETI 84.SE.121 edlen Materialien, des kleinen M a ß s t a b s u n d der virtuosen Ausführung sehr gut i n eine derartige S a m m l u n g gepaßt. Es handelt sich u m ein meisterhaftes Beispiel des Goldrepoussoirs, bei der Blattgold über ein M o d e l l gepresst w i r d oder v o n hinten bearbeitet w i r d , u m dreidimensionale F o r m e n z u erhalten. D e r G o l d s c h m i e d bearbeitete dann das weiche M a t e r i a l v o n vorne, u m Details auszuarbeiten oder u m verschiedene Oberflächen z u erhalten, wie hier z u m Beispiel H a a r u n d Bart des Christus, sowie den moosigen B o d e n , auf dem er liegt. D i e V e r b i n d u n g v o n glänzendem G o l d auf schwarzem O b s i d i a n (einem vulkanischen Glas) unterstreicht den prachtvollen Effekt. D i e Figuren dominieren die Fläche u n d erwecken dabei einen E i n d r u c k v o n M o n u m e n t a l i t ä t , der i m W i d e r s p r u c h z u m kleinen M a ß t a b des Werkes steht u n d somit den wundersamen Charakter des Objekts verstärkt. D i e Szene zeigt die Jungfrau hinter d e m toten Christus stehend, ihre H ä n d e i n einer Geste des Klagens gefaltet; der Betrachter sieht ihren K o p f i n ausdrucksvollem Profil. Christus liegt auf einer drapierten Decke, sein O b e r k ö r p e r v o n der abfallenden Hügelseite gestützt, A u g e n u n d M u n d leicht geöffnet. D i e beiden einsamen Figuren rufen das A n d a c h t s b i l d der Pietä i n Erinnerung, i n dem die Jungfrau M a r i a den L e i c h n a m ihres Sohnes i m Schöße hält. D i e stehende M a d o n n a u n d der am B o d e n liegende Christus ähneln den zahlreichen Klageszenen i n der Malerei u n d der Bildhauerei, die typischerweise mehrere trauernde Figuren enthalten. Dieses Relief verbindet u n d bündelt diese Einflüsse, i n d e m es den devotionalen B r e n n p u n k t auf den K ö r p e r C h r i s t i u n d die verhaltene Trauer der H e i l i g e n Jungfrau verlagert. B i l d l i c h gesehen erscheint die Szene zeitlos, nur der schwarze H i n t e r g r u n d läßt vermuten, daß sie sich i n den dunkelsten Stunden der N a c h t abspielt. Ähnliche Episoden des Leidens C h r i s t i sind i n F o r m v o n Skizzen u n d als Wachs-, Bronze- u n d Goldreliefs v o n G u g l i e l m o della Porta (gest. 1577) bekannt (oder zumindest m i t i h m i n V e r b i n d u n g z u bringen), dem bedeutendsten Bildhauer, der nach Michelangelos T o d i n R o m tätig war. MC 38 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 11 T I Z I A N O A S P E T T I Aspetti, einer der wichtigsten Bildhauer des S p ä t m a n i e r i s m u s , wurde vermutlich i n Italien (tätig i n Venedig, Padua, Padua geboren, w o er zwischen 1591 u n d 1603 an einer Reihe religiöser Bronzen für Pisa u n d Florenz), die Santo (die K i r c h e v o n Sant'Antonio) u n d für die Kathedrale arbeitete. V o n den ca. 1559-1606 Männlicher Akt, ca. 1600 Bronze 74,9 cm 88.SB.115 Aspetti zugeschriebenen säkularen oder mythologischen Bronzestatuetten sind keine vollständig dokumentiert. D i e Bronze i m G e t t y M u s e u m ist eine der wenigen Arbeiten, die m a n , a u f der Grundlage stilistischer Vergleiche sowie einer Qualitätsprüfung, m i t einiger Sicherheit Aspetti zuschreiben k a n n . D e r Männliche Akt ist zwei v o n Aspettis dokumentierten Arbeiten besonders ähnlich: d e m männlichen A k t aus M a r m o r , 1 5 9 0 - 1 5 9 1 für die Eingangshalle der venezianischen M ü n z a n s t a l t angefertigt, u n d der männlichen Figur i n d e m Bronzerelief Das Martyrium des Heiligen Laurentius, 1 6 0 4 - 1 6 0 5 für die K i r c h e Santa T r i n i t a i n Florenz hergestellt. Diese A r b e i t e n stellen einen ähnlich gewundenen, sehr m u s k u l ö s e n , männlichen K ö r p e r dar, m i t breiten Schultern u n d Hüften, langgestreckten G l i e d m a ß e n , einem proportional eher kleinen Kopf, einem bärtigen Gesicht m i t feiner Nase u n d eleganten H ä n d e n m i t langen Fingern. Bevor das M u s e u m den Männlichen Akt erwarb, wurde er zusammen m i t einem begleitenden männlichen A k t (heute i n einer Privatsammlung) versteigert. D i e beiden Bronzen wurden allem A n s c h e i n nach weder als Pendants zueinander, n o c h als krönende Figuren eines K a m i n b o c k s angefertigt, da ihre Posen k e i n Spiegelbild bilden u n d sie keine dreieckigen Sockel aufweisen (beides klassische M e r k m a l e v o n K a m i n b ö c k e n des späten 16. Jahrhunderts). D i e zueinander passenden runden Sockel legen vielmehr die V e r m u t u n g nahe, d a ß die Bronze i m G e t t y M u s e u m u n d i h r K o m p a g n o n Teil einer Serie waren, die vielleicht für die D e k o r a t i o n einer Ballustrade oder eines Arbeitszimmers eines Gelehrten vorgesehen war. D a der Männliche Aktkeine Hinweise auf eine gezielte Identifizierung des Subjekts aufweist, bleibt dieser Aspekt der Bronze vorerst ungeklärt. Aspetti, der v o n Michelangelo u n d Tintoretto sowie v o n G i a m b o l o g n a u n d toskanischem Manierismus i n der Malerei beeinflußt war, entwickelte seinen eigenen, lebhaften, pathetischen maniera -Stil, der sich durch eine ungewöhnliche K o m b i n a t i o n v o n Kraft, Eleganz u n d ausdrucksstarker Energie auszeichnet. In der vorliegenden Bronze bedingt die übertriebene Darstellung der individuellen M u s k e l n einen Riffeleffekt, der auf der gesamten Oberfläche m i t L i c h t u n d Schatten spielt, sowie gut definierte, wellige Profile. D i e Pose der Figur ist kompliziert gewunden, beinahe unbalanciert, u n d wäre i n W i r k l i c h k e i t schwierig "zu halten"; die H a l t u n g der Figur sowie die lebhaften, ungewöhnlich ausdrucksvollen H ä n d e , erinnern an die eloquenten Instruktionen eines Dirigenten. 40 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PF 12 Corpus, ca. 1600 Dieser hölzerne Corpus ist eine verhaltene u n d edle Darstellung des Todes C h r i s t i am Italien Kreuz. D e r gekreuzigte Christus - ein zentraler Bestandteil christlicher Ikonographie, Holz der mindestens bis z u m 5. Jahrhundert zurückreicht - wurde auf unterschiedliche 32,5 cm 97.SD.45 Stiftung von Lynda und Stewart Resnick zu Ehren Peter Fuscos Weise dargestellt, wobei i n den verschiedenen Darstellungen bestimmte Aussagen verdeutlicht oder gewisse Aspekte des christlichen Glaubens unterstrichen wurden. So zeigen z u m Beispiel frühe Darstellungen einen n o c h lebenden Christus am K r e u z m i t offenen A u g e n , was seinen T r i u m p h über den T o d z u m A u s d r u c k bringt. W ä h r e n d des 14. Jahrhunderts wurde der Schwerpunkt auf das Leiden C h r i s t i verlagert, wobei seine Menschlichkeit u n d Schwäche hervorgehoben wurden. I m 15. Jahrhundert schuf F i l i p p o Brunelleschi ein monumentales Kruzifix i n der florentinischen Kirche Santa M a r i a Novella, bei dem es sich u m einen "Vorfahren" des vorliegenden Corpus handelt. E r stellte Christus tot aber nicht leidend dar, den K o p f zur Rechten gesenkt, m i t geradem, m u s k u l ö s e m Torso sowie den Beinen an den Füßen gekreuzt u n d ebenfalls nach rechts verlagert. Dieses idealisierende B i l d C h r i s t i wurde i m 16. Jahrhundert v o n Künstlern wie Michelangelo u n d G u g l i e l m o della Porta weiterentwickelt. D e r vorliegende Corpus ist i n der Tat einer Reihe v o n Kruzifixen u n d Kruzifixreliefs, die della Porta zugeschrieben werden, sehr ähnlich. D i e Plazierung der G l i e d m a ß e n u n d des Kopfes, die i m Detail modellierte M u s k u l a t u r des Torsos u n d Rückens, sowie die zurückhaltende Darstellung des Todes C h r i s t i sind M e r k m a l e , die i n Arbeiten della Portas wiederzufinden sind. D e r Torso steht frontal z u m Betrachter u n d nicht i n gewundenem Kontrapost späterer, lebhafterer Darstellungen. V o n hinten betrachtet zeigt das am K ö r p e r haftende Lendentuch die K o n t u r e n der A n a t o m i e des Körpers, ganz i m Gegensatz z u den meisten barocken Versionen, i n denen das drapierte T u c h alles verdeckt. 42 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI MC 13 A N T O N I O S U S I N I In dieser lebhaften Szene eines Tierkampfes w i r d ein Pferd v o n einem L ö w e n seitlich Italien (Florenz) angegriffen, wobei der L ö w e m i t Z ä h n e n u n d K l a u e n tiefe Fleischwunden verursacht tätig 1572-1624 u n d das Pferd somit auf dem felsigen B o d e n i n die K n i e zwingt. Das Pferd, das sich oder GIOVANNI FRANCESCO SUSINI Italien (Florenz) ca. 1585 - c a . 1653 i m Schmerz windet, dreht unter großem W i e h e r n seinen K o p f d e m Angreifer z u . D e r durch die Position v o n Pferdekopf u n d -Schwanz entstehende Kreis hält die K o m p o s i t i o n u n d überläßt der zentralen, dramatischen Figur des zupackenden L ö w e n den M i t t e l p u n k t . D i e angespannten M u s k e l n u n d verzerrten Posituren der Tiere i n N a c h einem M o d e l l von dieser dichten G r u p p i e r u n g veranschaulichen dynamischen K a m p f u n d physisches Giovanni Bologna Leiden. D i e ü p p i g e , gold-braune Patina u n d die perfekt ausgearbeiteten Details - wie (Jean Boulogne), genannt z. B . die Falten i m nach hinten gebeugten Pferdehals u n d d e m sorgfältig gestanzten Giambologna Schnurrhaar am L ö w e n m a u l - verwandeln jedoch diese Darstellung einer brutalen Italien/Flandern (geboren Szene i n ein kostbares, juwelenartiges Objekt. in D o u a i , tätig i n Florenz), 1529-1608 Ein Löwe greift ein Pferd an, erstes Viertel des 17. Jahrhunderts Bronze G i a m b o l o g n a , der herausragendste Bildhauer i m Florenz des 16. Jahrhunderts, schuf das M o d e l l für diese Gruppe, die dann v o n einem seiner engen Mitarbeiter i n Bronze gegossen wurde. E r leitete diese K o m p o s i t i o n v o n einer fragmentierten M a r m o r s k u l p t u r i m Garten des Palazzo dei Conservatori i n R o m ab. Beine, Hals u n d K o p f des Pferdes, sowie Hinterbeine u n d Schwanz des L ö w e n waren nicht 24,1 x 28 cm vorhanden, als G i a m b o l o g n a die M a r m o r s k u l p t u r i n den 1550er oder 1580er Jahren 94.SB.11.1 besichtigt haben m u ß . Seine Bronze stellt demnach eine meisterhafte L ö s u n g für die Restaurierung eines antiken Fragments dar. Ein Löwe greift ein Pferd an wurde als ein Teil eines Paares angefertigt. D i e zweite G r u p p e , Ein Löwe greift einen Ochsen an, ist ebenfalls Bestandteil der S a m m l u n g des M u s e u m s . 44 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PAF 14 A D R I A E N D E V R I E S Das Pferd, oder der Reiter u n d sein Pferd, waren seit der Renaissance äußerst populäre Niederlande (tätig in Florenz, Sujets i n der europäischen Bildhauerei, vielleicht aufgrund v o n Assoziationen zu Mailand, Augsburg und Prag), berühmten antiken M o n u m e n t e n wie z. B . das bronzene Reiterstandbild des Marcus 1545-1626 Aurelius i n R o m . D i e ersten bronzenen Einzelstatuetten v o n Pferden der Renaissance Ein sich aufbäumendes Pferd, ca. 1610-1615 17. Jahrhundert erlaubten technische Fortschritte i m Bronzegießen den Bildhauern, Bronze das gesamte G e w i c h t einer K o m p o s i t i o n auf zwei Standbeine des Pferdes z u verlagern. 48,9 cm Inschrift i m Sockel: FRIES HAGUENSIS 86.SB.488 wurden vermutlich gegen Ende des 15. Jahrhunderts i n N o r d i t a l i e n produziert. I m ADRIANUS FECIT Einige der prinzipiellen Kriterien der barocken Ästhetik - plötzliche, heftige Bewegungen, eine offene K o m p o s i t i o n m i t i n den R a u m hineinragenden Formen u n d das Konzept der i m A u g e n b l i c k festgehaltenen Bewegung - sind immanent i n der Erscheinung eines sich a u f b ä u m e n d e n Pferdes, weshalb es auch z u einem so ansprechenden Sujet für Bildhauer u n d deren Auftraggeber wurde. B e i m vorliegenden Sich aufbäumenden Pferd'ist der rot-goldene Lack gut erhalten; diese Oberflächenbehandlung wurde angewandt, u m den E i n d r u c k v o n Bewegung durch das Lichterspiel auf dem glatten, m u s k u l ö s e n Körper hervorzuheben. D i e G r ö ß e des Pferdes, die dynamische Pose m i t den Vorderbeinen hoch i n der Luft, u n d die wundervolle Patina bezeugen de Vries' außergewöhnliches Geschick als Gestalter u n d Hersteller v o n Bronzen. In D e n H a a g geboren, reiste de Vries i n den frühen 1580er Jahren nach Florenz, u m dort i m Atelier Giambolognas, dem offiziellen Bildhauer der M e d i c i , zu arbeiten. D e Vries war der einflußreichste u n d innovativste A n h ä n g e r Giambolognas u n d spielte eine Schlüsselrolle i n der Verbreitung des florentinischen Manierismus des ausgehenden 16. Jahrhunderts an den königlichen H ö f e n Nordeuropas. I m Jahre 1601 wurde de Vries z u m offiziellen Bildhauer am H o f e Rudolfs I L i n Prag ernannt, w o er bis zu seinem Tode arbeitete. O b g l e i c h er bekanntermaßen auch Skulpturen aus Terrakotta u n d Stuck hergestellt hatte, verarbeitete de Vries d o c h v o r n e h m l i c h Bronze u n d wurde z u einem technisch außerordentlich versierten Bildhauer, dessen Skulpturen, u n d ungewöhnlicher Weise alle, ein hohes M a ß an V o l l e n d u n g aufweisen. N e b e n großen Figuren für aufwendige Brunnenprojekte, führte de Vries auch zahlreiche kleine Bronzen für den Innenbereich aus, wie z. B . das vorliegende Sich aufbäumende Pferd. D e Vries produzierte mehrere bronzene Reiterstandbilder, die der vorliegenden Plastik sehr ähnlich sind, darunter ein Sich aufläumendes Pferd mit einer Schlange i m N a t i o n a l m u s e u m z u S t o c k h o l m u n d ein Porträt v o n Herzog Heinrich Julius von Braunschweig hoch zu Roß, früher i m H e r z o g A n t o n U l r i c h M u s e u m i n Braunschweig. PAF EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 47 15 A D R I A E N D E V R I E S Dieser m u s k u l ö s e männliche A k t wurde v o n einer hellenistischen Marmorstatue eines Niederlande (tätig i n Florenz, Tanzenden Fauns i n der Galleria degli Ufifizi i n Florenz inspiriert. Jener altertümliche, Mailand, Augsburg und Prag), musizierende Faun hat H ö r n e r u n d einen kleinen Schwanz, hält Z i m b e l n i n den 1545-1626 Jonglierender Mann, ca. 1615 Bronze 76,8 cm 90.SB.44 H ä n d e n u n d bedient m i t d e m F u ß eine Fußorgel. D e Vries entfernte Schwanz u n d Hörner, machte aus der Fußorgel einen Blasebalg u n d entfernte die R i e m e n der Z i m b e l n , w o d u r c h sie z u Jongliertellern wurden. Indem er ein antikes V o r b i l d bewußt i n E r i n n e r u n g rief, stellte de Vries unter Beweis, d a ß sich seine Fähigkeiten durchaus m i t den Errungenschaften antiker Künstler messen können. Des weiteren verdeutlichte seine Revision der K o m p o s i t i o n seinen Einfallsreichtum u n d sein ausgeprägtes Verständnis für den sich i n Bewegung befindlichen menschlichen Körper. D i e Figur w i r d i n einem entscheidenden A u g e n b l i c k während einer akrobatischen Darbietung festgehalten; der Jongleur balanciert eine Scheibe m i t Geschick auf seinen Fingerspitzen, während die andere Scheibe m i t Hilfe der Zentripetalkraft i m R a u m z u schweben scheint. D i e Figur drückt außergewöhnliche Vitalität u n d Beweglichkeit i m R a h m e n einer perfekten K o m p o s i t i o n aus. D i e kraftvolle Darstellung der riffeligen M u s k u l a t u r hebt den R h y t h m u s u n d die Elastizität der offenen Pose hervor. D i e Skulptur w i r d z u m M e d i u m der Erforschung dynamischen E q u i l i b r i u m s . Es sei an dieser Stelle bemerkt, daß virtuose Kunststücke u n d Jongliertricks i n der deutschen Sprache des 16. Jahrhunderts m i t einem gemeinsamen Begriff bezeichnet wurden: Kunststücke machen. Derartig selbstbewußte Demonstrationen künstlerischer Leistungen wurden am H o f e Kaiser Rudolfs I L , für den de Vries tätig war, sehr geschätzt. D i e expressionistische Darstellung der A n a t o m i e , des Haares u n d der Gesichtszüge des Jonglierenden Mannes ruft de Vries' weitere Werke aus derselben Zeit i n E r i n n e r u n g . In Stil u n d M a ß s t a b ist die vorliegende Skulptur den Flußgöttern u n d anderen Figuren aus der 1615 für Schloß Frederiksborg i n D ä n e m a r k i n Auftrag gegebenen Neptunbrunnen sehr ähnlich (heute i n Schloß D r o t t i n g h o l m , Schweden, befindlich). D i e Skulptur der S a m m l u n g Getty war jedoch vermutlich zur Schaustellung i n einem Interieur vorgesehen. D u r c h das Aufstellen i m Außenbereich während des 20. Jahrhunderts wurde ihre Oberfläche matt u n d verfärbte sich. 48 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PAF 16 G I A N L O R E N Z O BERNINI Gianlorenzo B e r n i n i war der großartigste Erneuerer u n d der bedeutendste Italien (geboren i n Neapel, tätig Vertreter der Skulptur des Barock. Seine erstaunliche Produktivität, künstlerischer in Rom), 1598-1680 Erfindungsreichtum, Virtuosität, sein persönliches C h a r i s m a u n d die A n e r k e n n u n g , Junge mit einem Drachen, ca. 1 6 1 4 - 1 6 2 0 Marmor 55,9 cm 87.SA.42 die i h m seine Zeitgenossen z u k o m m e n ließen, sind n u r m i t der Karriere das flämischen Malers Peter Paul Rubens z u vergleichen. B e r n i n i dominierte die künstlerische Szene R o m s für r u n d sechzig Jahre; während dieser Zeit erhielt er wichtige Aufträge für Skulptur- u n d Architekturprojekte, die das Erscheinungsbild der päpstlichen Stadt v o l l k o m m e n veränderten. E r hatte erheblichen Einfluß auf die Geschichte der Bildhauerei bis z u m Aufblühen des Neoklassizismus - i n nicht geringem M a ß e eine Reaktion gegen Berninis Schaffen - i m ausgehenden 18. Jahrhundert. Gianlorenzo begann seine künstlerische A u s b i l d u n g schon sehr früh unter seinem Vater Pietro, ebenfalls ein großartiger Bildhauer. Seine frühen Arbeiten sind v o n einer derartigen technischen Kompetenz, zeugen v o n so tiefem Verständnis u n d einer v o l l k o m m e n e n Aufnahme früherer Stilrichtungen, d a ß m a n durchaus v o n einem W u n d e r k i n d sprechen kann. Viele seiner frühen Skulpturen, darunter der Junge mit einem Drachen i m Getty M u s e u m , weisen M e r k m a l e auf, die m a n i n seinem gesamten späteren W e r k wiederfindet: ein Interesse an psychologischem Realismus, die feinfühlige Darstellung emotionaler Z u s t ä n d e , die bildliche Interpretation v o n Bewegung, Vergänglichkeit u n d Verwandlung i n einem so unnachgiebigen M a t e r i a l wie M a r m o r , u n d schließlich der W u n s c h , den Betrachter u n d das Objekt i n eine interaktive Beziehung z u bringen. Das Sujet Junge mit einem Drachen hat i n der Geschichte der Bildhauerei Seltenheitswert. D i e Skulptur wurde v o n hellenistischen M a r m o r s k u l p t u r e n , wie Das Herkuleskind tötet Schlangen u n d Ein Junge tötet eine Gans, inspiriert. Italienische Inventare aus d e m 17. Jahrhundert bezeichnen die vorliegende Skulptur sogar fälschlicherweise als einen Ercoletto, einen jungen Herkules. I m Gegensatz z u antiken Versionen besitzt Berninis Skulptur einen spielerischen Naturalismus, der die Identifikation des Betrachters reizt. Berninis Junge weist Babyspeck u n d Pausbäckchen auf, er lächelt verschmitzt u n d sieht nicht seinen Herausforderer, den Drachen, sondern den Betrachter an, während er den Kiefer des Drachens scheinbar mühelos auseinanderbricht. I m Gegensatz z u antiken M a r m o r s k u l p t u r e n des Sujets Herkules tötet einen Drachen weist der Junge v o n B e r n i n i M e r k m a l e eines neapolitanischen Straßenkindes (Bernini wurde i n Neapel geboren) auf. B e r n i n i hat somit ein traditionelles, mythologisches Sujet m i t heroischen Implikationen i n eine genreähnliche Szene verwandelt, die d e m Betrachter a u f eine direktere Weise zugänglich ist. Bernini hat so die bis dahin geltenden Parameter seriöser Kunst erweitert. 52 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PF 17 G I O V A N N I FRANCESCO SUSINI Italien (Florenz) ca. 1 5 8 5 - c a . 1653 Paris entführt Helena, 1627 Bronze auf einem vergoldeten Bronzesockel aus dem 18. Jhd. M i t Sockel: 68 cm Ohne Sockel: 49,5 cm Inschrift: 10. FR. S VSINI/FL OR. F A CJ MDCXXVII 90.SB.32 Diese Bronze zeigt ein verheerendes Ereignis aus der griechischen M y t h o l o g i e . D i e Entführung Helenas, G e m a h l i n des spartanischen K ö n i g s Menelaus, durch den trojanischen Prinzen Paris entfachte den Trojanischen Krieg. In Susinis Skulptur hebt Paris, bis a u f seine Kappe unbekleidet, die sich wehrende Helena, während er über einer gefallenen weiblichen Figur steht, die den Entführer z u hindern sucht. Helenas G e w i c h t w i r d überzeugend durch i h r scheinbares Entgleiten aus Paris' U m k l a m m e r u n g dargestellt. D i e präzise gemeißelten, naturalistischen Details der Skulptur - etwa Helenas Gesichtszüge u n d flatterndes H a a r u n d die hervortretenden Venen an Paris' H ä n d e n - verstärken den realistischen E i n d r u c k des physischen u n d emotionalen Kampfes. D e r F u ß der Bronze deutet eine felsige Landschaft an, u n d die G r u p p e ist i n einem vergoldeten Bronzesockel späteren Datums verankert. G i o v a n n i Francesco Susini war eine zentrale Persönlichkeit der florentinischen Skulptur des frühen 17. Jahrhunderts. W ä h r e n d Entfuhrung der Helena M e r k m a l e des S p ä t m a n i e r i s m u s , der i n Florenz vorrangig war, aufweist, so treten doch bereits einige der wichtigsten Elemente des neuen Barockstils i n Erscheinung, der i n R o m schon praktiziert wurde. D i e spiralförmige Bewegung v o n Paris' geschmeidigem Körper i m Z e n t r u m der K o m p o s i t i o n ist ein Indiz dafür, d a ß die Plastik v o n mehreren B l i c k w i n k e l n aus betrachtet werden soll, was den Einfluß des florentinischen Manierismus reflektiert. D i e Schaffung eines primären Blickwinkels, die Betonung des psychologischen Dramas sowie der E i n d r u c k eines festgehaltenen Augenblicks sind jedoch Elemente, die m i t d e m Barock assoziiert werden. 56 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PAF 18 MARCUS HEIDEN D i e Kunst, Elfenbein an einer Drechselbank z u geometrischen F o r m e n z u verarbeiten, Deutschland (Coburg), war an nordeuropäischen H ö f e n äußerst beliebt. M a r c u s H e i d e n , Elfenbeindrechsler tätig 1618-nach 1664 u n d Feuerwerks- bzw. Waffenmeister am H o f e v o n H e r z o g Johann C a s i m i r v o n Deckelpokal, 1631 Gedrechseltes und geschnitztes Elfenbein 63,5 cm Sachsen-Coburg, war einer der großartigsten Vertreter dieser K u n s t des Barocks. D e r D e c k e l p o k a l i m G e t t y M u s e u m , höchstwahrscheinlich für H e r z o g Johann angefertigt, besteht aus vier Hauptelementen: einem langgestreckten, oktagonalen Inschrift unterhalb des Sockels: Sockel; einem Stiel i n der F o r m eines trompetenden Puttos; einem nach geometrischen ??????? ??????? Gesichtspunkten entworfenen K e l c h , m i t kleineren, musizierenden Putten dekoriert, ?????????????????? ???? 91.DH.75 sowie einem D e c k e l , gekrönt v o n einem pfeilschießenden A m o r . D i e pummeligen, lebhaft modellierten Figuren, deren A n a t o m i e an Rubens erinnert, wurden d e m K e l c h später, v e r m u t l i c h i m 17. Jahrhundert, beigefügt. D e r vorliegende D e c k e l p o k a l weist zwei bedeutende stilistische Innovationen i n der K u n s t des Elfenbeindrechselns auf, wie sie sich i n der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts herausgebildet hatten. D i e Haupteigenschaft früherer Standpokale aus Elfenbein bestand i n einer symmetrischen A n o r d n u n g u m eine gerade, vertikale Achse, m i t vorwiegend abstrakten Elementen; Heidens Pokal dagegen enthält sowohl geometrische als auch figurative F o r m e n . A u ß e r d e m streckt der trompetende Putto, der den K e l c h stützt, die linke H ü f t e keck nach außen, was der vertikalen Achse eine Assymetrie verleiht u n d somit eine Illusion der Bewegung schafft. A u f g r u n d des Arrangements u n d Drechselhandwerks der stehenden u n d sitzenden Figuren, kann Heidens Pokal als einer der ersten vollständigen Barockentwürfe gedrechselten Elfenbeins angesehen werden. P A F und P F EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 61 19 G E R A R D V A N O P S T A L Ü b e r den Bildhauer van Opstal, der i n seinem Geburtsort Brüssel ausgebildet Flandern (tätig i n Flandern und wurde, ist i m Bezug auf seine frühe Tätigkeit, bevor er für K a r d i n a l Richelieu i n Paris), ca. 1 6 0 5 - 1 6 6 8 Paris z u arbeiten begann, wenig bekannt. E r erhielt Aufträge i m Zusammenhang m i t Meeresszene, ca. 1640 Dekorationsvorhaben für das Louvre, die Tuilerien, den Justizpalast sowie das Palais Alabaster 61,9 x 1 0 1 , 8 x 7 , 3 cm 85.SA. 167.1 Royal, u n d er war G r ü n d u n g s m i t l g i e d der Französischen Academie Royale de Peinture et de Sculpture (1648). D i e vorliegende Arbeit, eines v o n fünf Alabasterreliefs i n der S a m m l u n g des Getty Museums, wurde vermutlich für die architektonische D e k o r a t i o n eines Staats oder G e m e i n d e g e b ä u d e s angefertigt, das m i t der M a r i n e oder der See z u t u n hatte. In einer sprichwörtlich stürmischen Szene ziehen fünf bärtige Fischer u n d sechs beflügelte Putten ein N e t z voller Fische auf ihr Boot. V a n Opstals Stil war sehr v o n den dynamischen Barockwerken seines Landsmanns Peter Paul Rubens beeinflußt. Das vorliegende Relief drückt diese D y n a m i k klar aus: es w i r d v o n einer Reihe wallender R h y t h m e n bestimmt, die durch die pummeligen B ä u c h e der Putten u n d die g e k r ü m m t e n Rücken, schwellenden M u s k e l n u n d wehenden Kleider der sich anstrengenden Fischer entstehen. Des Weiteren entsteht durch die A r t u n d Weise, i n der der Alabaster gemeißelt wurde, eine Reihe kleiner, sich konstant i n unterschiedliche Richtungen bewegende Flächen, die den E i n d r u c k einer flatternden Bewegung über die gesamte Oberfläche verstärkt. 62 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PF EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 63 20 FERDINANDO TACCA Diese Figur ist Teil eines Paares v o n bronzenen, nackten, beflügelten Putten i n der Italien (Florenz), 1619-1686 S a m m l u n g des Getty Museums. D i e beiden Skulpturen, deren Posen ein Spiegelbild Ein Putto hält ein Schild zu ergeben, wurden für die D e k o r a t i o n des Hochaltars der Kirche Santo Stefano al Ponte seiner Linken, 1650-1655 Bronze 65,1 cm 85.SB.70.1 Vecchio i n Florenz i n Auftrag gegeben. D i e Renovierung der Kirche wurde v o n der Familie B a r t o l o m m e i vorgenommen, die Tacca beauftragte, zwei bronzene Engel m i t beschriebenen Kartuschen z u liefern, die über dem A l t a r aufgestellt werden sollten. O b w o h l Tacca das Projekt 1655 fertigstellte, bleibt weiterhin ungeklärt, ob die Engel tatsächlich jemals dort aufgestellt wurden; die Familie Bartolommei hat sie möglicherweise für ihre private S a m m l u n g benutzt, da die Bronzen bereits 1695 i n Inventaren des Familiensitzes i n Florenz auftreten. Tacca erbte nicht n u r das Atelier, sondern trat auch das künstlerische Erbe des größten florentinischen Bildhauers des Manierismus an: G i a m b o l o g n a . D e r Putto weist allerdings einige M e r k m a l e auf, die Taccas Abweichen v o m Manierismus u n d gleichzeitige A n n ä h e r u n g an Ausdrucksformen des Barocks unterstreicht: die realistische, pummelige A n a t o m i e ; die lebhaften Gesichtszüge; die theatralische Gestik u n d das dynamische Spiel des Lichts, das durch die Falten der drapierten G e w ä n d e r entsteht. Tacca war ein Bronzegießer v o n außergewöhnlichem Geschick, was die meisterhaft genau ausgearbeiteten Details verdeutlichen, etwa die Beschaffenheit der Oberfläche der Flügelfedern u n d die Haarlocken der Figur. D e r Putto hat nichts v o n der für florentinische Bronzen dieser Epoche so typischen lichtdurchlässigen, rot-braunen Patina verloren. PAF EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 65 21 MICHEL ANGUIER Z w e i auf antiken V o r b i l d e r n beruhenden ikonographischen Traditionen i n der Frankreich (tätig i n R o m u n d Darstellung des römischen Gottes Jupiter hatten sich bis z u m 17. Jahrhundert Paris), 1612-1686 durchgesetzt. D i e erste ist eine Sitzfigur, die die Gottheit auf dem T h r o n als Jupiter, wahrscheinlich gegen Ende des 17. Jahrhunderts nach einem Modell von 1652 gegossen Bronze 61 cm 94.SB.21 absoluten Herrscher des O l y m p zeigt. D i e zweite, i m Französischen Jupiter tonnant oder foudroyant (der donnernde Jupiter) genannt, sah i h n als den G o t t der Gerechtigkeit, der über die Erde gebietet u n d m i t ihr unter tödlichen Blitzen ins Gericht geht. Anguiers bronzene Statuette, die Jupiter vorwärts schreitend u n d ein Bündel flammender Blitze i n der erhobenen rechten H a n d haltend zeigt, gehört offensichtlich zur letzteren A r t der Darstellung. Nichtsdestotrotz verleihen sein klassischer Kontrapost u n d die ehrwürdige H a l t u n g dem Jupiter i n Anguiers Interpretation eher eine Ausstrahlung ruhiger Ausgewogenheit denn gewaltsamer oder unberechenbarer Aktivität. D i e minuziös definierte, solide M u s k u l a t u r u n d das weiche, a m K ö r p e r haftende G e w a n d verstärken den E i n d r u c k selbstbewußter Eleganz, die die gesamte K o m p o s i t i o n auszeichnet. A n g u i e r war einer der ersten Vertreter eines klassizistischen Barockstils i n der französischen Bildhauerei des 17. Jahrhunderts. U m 1641 ging Anguier nach R o m , w o er die folgenden zehn Jahre verbrachte, u m i m Atelier eines der angesehensten Bildhauer Roms, Alessandro Algardi, z u arbeiten. W ä h r e n d seines Aufenthalts i n Italien konzentrierte sich A n g u i e r hauptsächlich auf das S t u d i u m antiker Kunst u n d Literatur. In der Tat sind Pose u n d Physiognomie des Jupiter NOXY einer antiken M a r m o r s k u l p t u r inspiriert, die A n g u i e r i m Palazzo G i u s t i n i a n i i n R o m besichtigt hatte. I m Jahre 1652, kurz nach seiner Rückkehr nach Paris, stellte A n g u i e r eine Serie v o n sieben Figuren her, die Götter u n d G ö t t i n n e n i n ihrem jeweils typischen Temperament darstellten: ein Blitze schleudernder Jupiter, die eifersüchtige Juno, der erregte N e p t u n , die ruhige A m p h i t r i t e , der melancholische Pluto, ein seine Waffen niederlegender M a r s u n d eine verzweifelte Ceres. Es existieren mehrere Bronzen v o n fünf dieser Gottheiten, doch ist die Statuette der S a m m l u n g Getty der einzig bekannte Jupiter v o n Anguier. D i e Statuette weist viele, für die männlichen Figuren Anguiers typischen M e r k m a l e auf, etwa die stark ausgeprägte Muskulatur, die wallenden L o c k e n , hervortretende Venen an A r m e n u n d Beinen sowie eine vorstehende, dinarische Nase. PAF EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 67 22 ROMBOUT VERHULST R o m b o u t Verhulst war ein brillianter Porträtist u n d der bedeutendste flämische Flandern (tätig i n Amsterdam, Bildhauer des 17. Jahrhunderts. Verhulst, i n M e c h e l e n geboren, zog 1646 nach Leiden und D e n Haag), A m s t e r d a m u n d arbeitete dort m i t d e m führenden Bildhauer A r t u s Q u e l l i n u s an 1624-1698 der D e k o r a t i o n des neuen Rathauses. N a c h d e m Q u e l l i n u s 1665 nach A n t w e r p e n Büste des Jacob van Reygersberg, 1671 W e r k umfaßt hauptsächlich Grabmäler, Porträts u n d Gartenskulpturen, d o c h stellte Marmor er auch einige Elfenbeinwerke her. Verhulsts realistischer Porträtstil w i r d i n der B ü s t e 62,9 cm Inschrift an der Vorderseite: MBA SORTE CONTENTUS; Inschrift auf der linken Seite: R. Verhulst fec, Inschrift auf der Rückseite: HETAFBEELTSEL DITIS VANIACOB VAN REIGERSBERGH, IN MIDDELBURGH GEBOREN DENX. APRIL. 1625. WEGENS DE PROVINTIE VANZEEIANT GEDEPUTEERDT TER VERGADERINGH VAN HAER HOOGH ging, wurde Verhulst z u m bekanntesten holländischen Bildhauer des Barocks. Sein MOGENTHEDEN DEN. 17.7BER DES IAERS 1663 STURE DEN.29APRIL. 1675 84.SA.743 der S a m m l u n g G e t t y anhand der subtilen M o d e l l i e r u n g des Gesichtsausdrucks u n d der reichhaltigen Differenzierung unterschiedlicher Oberflächen wie die der Haare, der R ü s t u n g sowie des Jabots veranschaulicht. Verhulst fand zudem eine einzigartige u n d formell höchst innovative L ö s u n g zur M i l d e r u n g des Abschlusses an Schultern u n d Brust: er verwandte dekorative, kurvige V o l u t e n u n d Laubblätter auf jeder Seite sowie unter der R ü s t u n g , u m der B ü s t e einen R a h m e n zu geben u n d den B l i c k des Betrachters z u m Gesicht zu lenken. Jacob van Reygersberg ( 1 6 2 5 - 1 6 7 5 ) war Repräsentant der Provinz Seeland i m Generalstaat der Niederlande, sowie ein D i r e k t o r der Admiralität u n d ferner Besitzer der Landsitze Couwerve u n d Crabbedijke, deren T i t e l er trug, sowie v o n S c h l o ß Westhove. A l s Verhulst diese Büste 1671 anfertigte, war van Reygersberg sechsundvierzig u n d befand sich auf dem H ö h e p u n k t seiner politischen Karriere. Einzelne M a r m o r b ü s t e n waren i n dieser Periode sehr selten u n d w u r d e n v o r n e h m l i c h von M i t g l i e d e r n des Amsterdamer Universitätsrates oder des königlichen Hofes i n D e n H a a g i n Auftrag gegeben. Trotz van Reygersbergs Status u n d R e i c h t u m gehörte er diesen Institutionen nicht an, u n d beauftragte daher Verhulst m i t dem Anfertigen einer B ü s t e , u m diese v e r m u t l i c h später i n einem G r a b m a l zu verwenden. W i e d e m auch sei, van Reygersberg starb vier Jahre nachdem die B ü s t e fertiggestellt w o r d e n war; i n die Skulptur wurden eine Gedenkschrift u n d ein M o t t o eingraviert, w o d u r c h der Skulptur endgültig der Charakter der Trauer u n d eines Ehrenmals verliehen wurde. D i e lateinische Devise, die am Vorderteil des Sockels, unterhalb der Schnörkel, eingemeißelt wurde, lautet: "Ich b i n m i t m e i n e m Schicksal zufrieden", w o m i t van Reygersberg seinen nahenden T o d akzeptiert. D i e Inschrift an der Rückseite der B ü s t e identifiziert van Reygersberg folgendermaßen: "Dies ist das Bildnis Jacob van Reygersbergs, am 10 A p r i l 1625 i n M i d d e l b u r g geboren. Repräsentant der Provinz Seeland i n der V e r s a m m l u n g des Erhabenen [Generalstaats] am 17 September 1663 [.] Verstorben am 29 A p r i l 1675." 68 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PAF 23 Corpus Diese elegante Darstellung v o n Christus am K r e u z ist ungewöhnlich i n ihrer Flandern, ca. 1 6 8 0 - 1 7 2 0 behutsamen Sinnlichkeit u n d V e r m e i d u n g jeglicher, C h r i s t i physische Leiden Buchsbaum beschreibenden Details. D i e Skulptur zeichnet sich durch das Nichtvorhandensein 48,3 cm 82.SD.138.1 von Dornenkrone, seitlicher Lanzenwunde u n d aus den Nagelwunden tropfenden Blutes aus. D i e M u s k u l a t u r C h r i s t i ist gleichmäßig u n d ausgeprägt u n d weist keinerlei Anzeichen der Abmagerung auf. Sein Torso bildet eine geschmeidige Kurve, die eine H ü f t e ist leicht angehoben. D i e Falten des Lendentuchs laufen entsprechend dem scheinbaren Schwingen des Körpers; das T u c h selbst w i r d v o n einem D o p p e l b a n d gehalten, daß an den Hüften zwei dekorative Halbkreise bildet. D i e robust u n d fließend modellierten A r m e sind beinahe horizontal u n d tragen dem offensichtlichen G e w i c h t des leblosen Körpers, oder des Corpus, somit nicht Rechnung; sein Körper scheint vor dem K r e u z zu schweben anstatt am K r e u z zu hängen. Sein entspannter Gesichsausdruck - A u g e n u n d M u n d leicht geschlossen, die Brauen nicht gerunzelt zeigen keinerlei Zeichen v o n Schmerz. D e r Bildhauer des vorliegenden Corpus hat auf intelligente Weise die traditionelle Ikonographie des Cristo morto, des toten Christus am Kreuz, m i t der des Cristo vivo, des lebenden Christus am Kreuz, verbunden. V o r dem 10. Jahrhundert wurde Christus i n Kreuzigungsszenen vornehmlich m i t horizontal ausgestreckten A r m e n u n d einem triumphierenden u n d wachen Gesichtsausdruck proträtiert, was seinen Sieg über die S ü n d e ausdrückte. Später wurde Christus meist tot, m i t fast vertikal gestreckten A r m e n u n d v o m G e w i c h t seines leblosen Körpers nach unten gezogen dargestellt, sein Torso abgemagert u n d voller W u n d e n , die seine Q u a l e n u n d sein Leiden bezeugten. I m 16. Jahrhundert existierten die beiden Ikonograhpien gleichzeitig. D i e Diffusion der beiden Traditionen i n der flämischen Bildhauerei wurden sehr stark durch die K o m p o s i t i o n e n des Malers Peter Paul Rubens beeinflußt. Rubens Bedeutung hinsichtlich des Corpus der S a m m l u n g Getty w i r d i n der Position des Kopfes sowie der Physiognomie u n d dem A u s d r u c k des Gesichtes deutlich. 70 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PAF 24 CHRISTOPH DANIEL Dieses Relief illustriert die biblische Erzählung der Lamentation Petri: " U n d Petrus SCHENCK erinnerte sich der Worte Jesu, der sprach: 'Bevor der H a h n kräht, wirst D u m i c h Deutschland (Konstanz), dreimal verleugnen . U n d er ging hinaus u n d weinte bitterlich" ( M a t t h ä u s 26:75). 1633-1691 Der reuige Petrus, 1685 Lindenholz 36,5 x 26,7 cm D i e Figur des Petrus dominiert das Relief; sie ist, was Reliefskulpturen angeht, ungewöhnlich monumental u n d dreidimensional. Schenck erreichte dies, i n d e m er tief ins H o l z schnitzte: die tiefen Furchen i m Gesicht des v o n Trauer ergriffenen Inschrift an der rechten Seite unten: Petrus sowie die klagend gerungenen H ä n d e u n d die auf den unteren R a n d der CDS. Tafel gepreßten, knochigen Füße ergeben eine optisch besonders eindrucksvolle 1685 96.SD.4.2 K o m p o s i t i o n . D i e wehenden, runden Formen des Gewandes unterstreichen das angedeutete V o l u m e n der Figur u n d verleihen dem Relief Bewegung u n d E m o t i o n . Es handelt sich bei dem vorliegenden Relief u m eine ebenso überwältigende wie feinfühlige Interpretation dieser biblischen Geschichte. Szenen der Ereignisse, die zur Lamentation Petri führten, erscheinen i m H i n t e r g r u n d i n Basrelief. U n t e n rechts sieht man, wie Petrus Jesus ein drittes M a l verleugnet, was er mit drei erhobenen Fingern bestätigt. Darüber, also oben rechts, kräht der besagte H a h n , m i t gespreizten Flügeln u n d offenem Schnabel, C h r i s t i Vorhersage erfüllend. O b e n links w i r d Christus v o n gemeinen, höhnischen Soldaten abgeführt, was die Bitterkeit der Trauer des Petrus n o c h verschärft, da dies zur gleichen Zeit mit seiner Verleugnung passiert. W ä h r e n d dieses Relief ein B i l d tiefster menschlicher Verzweiflung darstellt, so w i r d es den Betrachtern doch H o f f n u n g gegeben haben, i n d e m es sie daran erinnerte, daß sogar Petrus der Apostelfürst sündigte u n d bereute, u n d daß i h m vergeben wurde. Schenck, der i n S ü d d e u t s c h l a n d u n d dem nördlichen Teil der Schweiz, genauer gesagt u m den Bodensee herum, tätig war, behandelte vorwiegend religiöse T h e m e n der Reue u n d des Leidens, oft für klösterliche Auftraggeber. O b g l e i c h er tief i n der Tradition nordischer D r u c k e u n d H o l z s k u l p t u r e n verankert war - i m expressiven Naturalismus dieses Reliefs besonders deutlich - so war er sich doch der italienischen Barockmodelle bewußt, was die M o n u m e n t a l i t ä t der Figur des Petrus u n d die bewegten Formen der G e w ä n d e r des vorliegenden Reliefs bezeugen. 74 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI MC 25 LUISA R O L D A N Diese Statue fordert die Grenze zwischen Kunst u n d W i r k l i c h k e i t heraus. D u r c h genannt La Roldana das Schnitzhandwerk u n d die Bemalung ist diese lebensgroße Statue einem lebenden Spanien (Madrid), 1652-1706 Menschen täuschend ähnlich, u n d das Brokatgewand, ebenfalls aus H o l z geschnitzt, Der Heilige Ginés de la Jara, 169(2?) erweckt den E i n d r u c k echten Brokatstoffes. Diese erstaunliche Statue stellt die Echtheit zur Schau, die für die spanische barocke Bildhauerei so typisch ist. D i e Eindringlichkeit Polychromes Holz (Kiefer oder Zeder) mit Glasaugen des Bildes hat w o h l z u einer Intensivierung des devotionalen Erlebnisses des Betrachters 175,9 cm beigetragen, da sie so echt u n d präsent wirkt. Dieser Effekt w i r d dadurch unterstrichen, Inschrift auf der Oberseite des daß der Heilige nach vorne schreitet u n d gebannt nach links schaut. Sein M u n d ist Sockels: [LUIS] A RO[LD] AN, geöffnet, als würde er sprechen u n d seine rechte H a n d ist i n Verwunderung erhoben; ESC [U] L [TO] RA DE CAMARA AÑO 169 [2?]; ferner, mehrere Male auf der Robe: S. GINES DE 85.SD.161 LAXARA vermutlich hielt er einen Stab i n der l i n k e n H a n d . Mehrere Legenden beschreiben wie der Heilige Gines, der v o n der französischen königlichen Familie abstammte (was die Fleurs-de-Lys, E m b l e m der französischen K ö n i g e , i m Muster des Gewands verdeutlichen), i n der Gegend v o n M u r c i a , Spanien, auch als L a Jara bekannt, verehrt wurde. Einer dieser Legenden zufolge wurde der Heilige i n einem Schiffswrack an L a n d gespült, als er sich auf einer Wallfahrt nach Santiago de Compostela befand, u n d wurde anschließend als Eremit am besagten O r t seßhaft; dieser O r t wurde i m 15. Jahrhundert z u m Heiligen Gines geweihten Franziskanerkloster v o n L a Jara. E i n e weitere Legende besagt, daß der Heilige nach seiner Enthauptung seinen K o p f i n einen Fluß warf, der i n L a Jara angespült wurde, w o sich daraufhin ein Z e n t r u m des Kultes u m den Heiligen Gines bildete. Luisa Roldän, eine der wenigen uns bekannten Bildhauerinnen des 17. Jahrhunderts, erlernte ihr H a n d w e r k bei ihrem Vater, dem Bildhauer Pedro R o l d ä n aus Sevilla. Sie stellte kleine Terrakottagruppen u n d Holzskulpturen i n Zusammenarbeit m i t ihrem M a n n her, der für die Polychromie sowie die estofado zuständig war. Dieses Verfahren k o m m t i m G e w a n d des Heiligen Gines hervorragend zur Geltung: Blattgold wurde auf das H o l z aufgelegt u n d anschließend m i t braunem Pigment bedeckt; dann wurde das Pigment abgekratzt, w o d u r c h das vergoldete H o l z z u m Vorschein k a m u n d der Brokateffekt erzielt wurde, der durch Stanzarbeiten auf den Goldflächen noch verstärkt wurde. D e r H ö h e p u n k t i n L a Roldanas Karriere k a m , als sie von Carlos II. 1692 als königliche H o f b i l d h a u e r i n (Escultora de Camard) engagiert wurde; sie signierte den Heiligen Gines m i t ihrem N a m e n sowie ihrem königlichen T i t e l . EUROPÄISCHE BILDHAUEREI MC 77 26 FRANgOIS GIRARDON G i r a r d o n war der bedeutenste Bildhauer am Hofe Louis' X I V . ; er arbeitete sowohl an Frankreich (Paris), 1628-1715 Projekten für die Schlösser v o n Versailles u n d Marly, als auch an Projekten i n Paris. Pluto entführt Seine frühe A u s b i l d u n g wurde durch einen Aufenthalt i n Italien abgerundet, w o Proserpina, ca. 1693-1710 Bronze 105,1 cm G i r a r d o n alte u n d zeitgenössische Skulpturen studierte, was seinen feinfühligen, klassizistisch anmutenden Stil prägte. N a c h seiner Rückkehr nach Frankreich i m Inschrift oben am Sockel: Jahre 1655 n a h m sich Charles Le B r u n , des K ö n i g s Erster Maler, seiner an. D i e F. Girardon Inv. et F. Vergabe des Auftrags für eine bedeutende M a r m o r g r u p p e , Die Nymphen bedienen 88.SB.73 Apollo, für die Grotte der Thetis i n Versailles, an G i r a r d o n , bestätigte seinen Erfolg bei Hofe; seine Laufbahn durch die Hierarchie der Academie Royale de Peinture et de Sculpture fand i n der E r n e n n u n g Girardons z u m Chancelier seinen H ö h e p u n k t . D i e vorliegende Bronze wurde auf der Grundlage Girardons monumentaler M a r m o r s k u l p t u r angefertigt, eine v o n vier jeweils dreifigürigen Entführungsgruppen, die Teil eines grandiosen Skulpturprogramms für das Parterre d ' E a u i n Versailles waren. Diese G r u p p e n , alle v o n unterschiedlichen Bildhauern angefertigt, sollten die vier Elemente i n einem umfassenden kosmischen Schema, das die Assoziation Louis' X I V . m i t dem Sonnengott A p o l l o behandelte, symbolisieren. Girardons G r u p p e , eine A n s p i e l u n g auf das Element des Feuers, zeigt die Entführung Proserpinas durch den G o t t der Unterwelt Pluto, der sie zur K ö n i g i n seines feurigen Reiches machte. Pluto hebt Proserpina hoch u n d schreitet über eine ihrer am Boden liegenden Begleiterinnnen, die N y m p h e Cyane, die i n einem vergeblichen Versuch, die Entführung z u verhindern, an dem G e w a n d zerrt. In seiner K o n z e p t i o n dieser Szene verdeutlichte G i r a r d o n die Ergebnisse seiner Untersuchungen der berühmten dreifigürigen Entführungsgruppe Der Raub einer Sabinerin ( 1 5 8 1 - 1 5 8 2 ) v o n G i a m b o l o g n a , u n d schuf eine K o m p o s i t i o n , die einige interessante u n d informative B l i c k p u n k t e aufwirft. G i r a r d o n bezog sich ebenfalls auf Gianlorenzo Berninis zweifigurige, dramatische Version der Geschichte v o n Pluto u n d Proserpina, i n der die Gewalttat durch extreme Aktivität, Gestik u n d Gesichtsausdrücke betont ist. G i r a r d o n reduzierte die Aspekte der Bewegung u n d der E m o t i o n e n i m Vergleich z u Berninis G r u p p e u n d schuf statt dessen ein edleres, verhalteneres B i l d des Sujets, i m E i n k l a n g m i t dem D e k o r u m des französischen Klassizismus sowie den Erfordernissen des Auftrags, eine Skulptur anzufertigen, die ein Element i m kosmischen Schema darstellt. G i r a r d o n stellte mehrere Bronzen dieser populären K o m p o s i t i o n her, die manchmal m i t einer anderen G r u p p e des Parterre d'Eau, Gaspard Marsys Boreas entführt Orithyia, gepaart wurden. Das J . Paul Getty M u s e u m erwarb die Skulptur Girardons zusammen m i t einem Pendant der M a r s y G r u p p e . 78 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI M C und P A F 27 LORENZO OTTONI Dieses Porträtmedaillon zeigt Papst Alexander V I I I . O t t o b o n i , der nur kurz amtierte Italien (Rom), 1648-1726 (6 O k t o b e r 1 6 8 9 - 1 Februar 1691). D i e Inschrift, "Alexander V I I I . Pontifex M a x i m u s Porträtmedaillon K a r d i n a l Francesco Barberini beauftragte dieses Werk", identifiziert nicht nur Papst Alexanders VIII., 1691 - 1 7 0 0 Weißes Marmormedaillon auf einen bigio antico Marmorsockel das Subjekt, sondern ungewöhnlicherweise auch den Auftraggeber, was eine enge Beziehung zwischen beiden herstellt. Alexander, der aus einer noblen venezianischen Familie k a m , war sehr beliebt, da er Steuern senkte, Einfuhrzölle für Lebensmittel M i t Sockel: 88,9 cm Inschrift, um das Medallion herum: erhöhte, politische Spannungen m i t Frankreich entschärfte u n d Venedig i m K r i e g ALEX. VIII.P. O.M.FRAN. m i t den T ü r k e n unterstützte. E r war gegen jegliche Reformbewegung, die Jansenisten BARB. F. F 95.SA.9.1.-2 CARD. eingeschlossen. Kardinal Francesco Barberini Giuniore ließ dieses Porträt i m Gedenken an den Papst anfertigen, der i h n 1690 z u m Kardinal ernannte. Alexander V I I I . trägt hier einen camauro, einen H u t m i t Hermelinkrempe, u n d ein mozetta, oder Schultertuch, ein nicht-liturgisches G e w a n d , das bei informellen Audienzen getragen wurde. Das Porträt ist i n einem bigio antico-Sockd i n der F o r m eines doppelköpfigen Adlers verankert, der das Porträt i n der Luft zu halten scheint. R u d o l f I L gestattete den O t t o b o n i , diese kaiserliche Devise 1588 i n A n e r k e n n u n g ihrer Unterstützung i m K a m p f gegen die T ü r k e n i n ihr Familienwappen aufzunehmen. Lorenzo O t t o n i nutzte den natürlichen Farbton des grauen M a r m o r s , i n d e m er den A d l e r aus dem dunkelsten Teil des Steins meißelte, u m einen starken Kontrast z u m hellweißen M e d a i l l o n zu schaffen. O t t o n i , der der Familie Barberini i m ausgehenden 17. Jahrhundert angehörte, produzierte auch Porträtbüsten v o n M i t g l i e d e r n der Barberini, darunter auch v o n K a r d i n a l Francescos Vater. D i e vorliegende Arbeit verbindet mehrere, normalerweise i n Gedenk- oder Grabmalskulpturen v o r k o m m e n d e n Elemente, woraus sich ein kleines, aber äußerst symbolisches G e d e n k b i l d des Papstes ergibt, das i m Jahrzehnt nach seinem T o d angefertigt wurde. Porträtmedaillons wurden oft als Teil architektonischer Grabmalstrukturen eingesetzt. Des weiteren scheint der A d l e r - der einen Bezug z u m W a p p e n der O t t o b o n i s herstellt u n d somit zu einem heraldischen, dynastischen M o t i f w i r d - die Darstellung u n d , i n übertragener Weise, natürlich auch den Dargestellten gen H i m m e l zu tragen. M C und PF EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 81 28 A N T O N MARIA Diese Skulptur stellt das C h r i s t k i n d dar, unbekleidet bis auf einen v o m W i n d M A R A G L I A N O zugeschrieben aufgeblähten M a n t e l , den es sich u m die Schultern zieht, u n d der hinter seinem Italien (Genua), 1664-1739 linken Bein hinweg fließt. Es steht auf einem Sockel, der felsigen Boden andeutet. Es Christkind, ca. 1700 Polychromes Holz, mit Glasaugen 73,7 cm 96.SD.18 dreht den O b e r k ö r p e r u n d die Schultern nach links u n d streckt die H a n d i n die gleiche R i c h t u n g ; es hielt vermutlich ein heute verlorenes Objekt i n dieser H a n d . Dies hätte ein G l o b u s oder vielleicht ein B u n d Weintrauben sein können: erstgenanntes hätte den Gedanken von Christus als Salvator Mundi (Retter der Welt) verdeutlicht u n d letztgenanntes hätte eine eucharistische T h e m a t i k betont. Seine rechte H a n d ist i n einer lieblichen Geste nach innen gebogen, was die Erscheinung des Christkindes als Zuhörer der betenden Betrachter andeutet. Es handelt sich hier u m eine Vollplastik, die von allen Seiten sowie auch von unten betrachtet werden kann; die Statue wurde vermutlich bei Prozessionen getragen, eine populäre F o r m devotionalen Ausdrucks i m Italien des 17. Jahrhunderts. D a ß Maragliano diese Skulptur zugeschrieben w i r d , beruht auf Vergleichen mit seinen bekannten Werken, von denen viele für Genueser Bruderschaften produziert wurden, w o die Tradition von Prozessionsskulpturen aus H o l z sehr lebendig war. Maraglianos weitere Skulpturen haben mit dem Christkind mehrere Elemente gemein: eine lebendige Qualität; den Naturalismus u n d den für polychrome Holzskulpturen so typische unmittelbare, emotionale Reiz; das spiralförmige Haar u n d schließlich die wehenden Gewänder, die den Skulpturen einen typisch barocken D y n a m i s m u s verleihen. D i e vorliegende Skulptur ist dank der fülligen A n a t o m i e des Kindes besonders reizvoll: die dicken Fesseln u n d K n i e , der runde Bauch, der niedliche Gesichtsausdruck u n d die lieblichen Gesten. D u r c h diese Elemente gehört die vorliegende Figur vollständig zur bildenden Kunst Genuas u m 1700. EUROPÄISCHE BILDHAUEREI MC 83 29 MASSIMILIANO SOLDANI Soldani war sicherlich der herausragendste europäische Bronzegießer des späten B E N Z I , genannt Soldani 17. u n d frühen 18. Jahrhunderts. E r war außerdem, m i t G i o v a n n i Battista Foggini, Italien (Florenz), 1 6 5 6 - 1 7 4 0 der bedeutendste Vertreter des Venus und Adonis, ca. 1 7 1 5 - 1 7 1 6 Bronze 46,4 cm 93.SB.4 florentinischen Spätbarocks i n der Bildhauerei. D i e v o m M u s e u m erworbene G r u p p e erzählt die Geschichte v o n A d o n i s ' T o d u n d bezieht sich dabei auf O v i d s Metamorphosen (10.495-739). Typisch für Soldanis theatralischen Stil ist das bühnenhafte Arrangement der Figuren. D e r primäre Betrachtungswinkel ist frontal - das i m vorigen Jahrhundert i n Florenz geborene Genre der O p e r w i r d hier aufgenommen. D i e szenographisch anmutende Qualität der G r u p p e w i r d durch die Verwendung v o n Landschaftsdetails, wie dem felsigen B o d e n , B l u m e n u n d W o l k e n , noch verstärkt; sie dienen auch als H i n t e r g r u n d für die sich abspielende Erzählung. D i e Plastik zeigt einen S c h l ü s s e l m o m e n t u n d unterstreicht die ergreifende Tragödie der Liebenden - der verwundete A d o n i s liegt sterbend am Boden, 86 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI während Venus, gerade erst erschienen (mit noch wehendem Gewand), den K o p f ihres Geliebten i m Schöße hält u n d i h m i n die A u g e n schaut. Soldani benutzt die v o m W i n d aufgeblähten G e w ä n d e r u n d andere Details, u m Spannung u n d D r a m a zu schaffen u n d , natürlich, u m seine unübertreffliche Beherrschung des Bronzegusses zu zeigen. So ist z u m Beispiel die Hundeleine, an der der stehende A m o r zieht, i n einer A r t u n d Weise gespannt, die die statischen Eigenschaften v o n Bronze aufzuheben scheinen. Eine zweite Bronze dieser G r u p p e , i n der Walters A r t Gallery, Baltimore, steht noch auf d e m ursprünglichen Sockel, der eine Kartusche m i t der Inschrift AMORE RESVRGAM (Die Liebe w i r d auferstehen) trägt. Dies bezieht sich auf O v i d s Beschreibung der Blutstropfen v o n A d o n i s ' Beinwunde, die sich sofort, als sie den B o d e n berühren, i n A n e m o n e n verwandeln - ein Detail, das auch i n der vorliegenden Skulptur enthalten ist. PF EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 87 30 EDME BOUCHARDON Bouchardon war einer der bedeutendsten Bildhauer i m Frankreich des 18. Jahrhunderts; Frankreich (tätig in R o m und sein W e r k stellte eine entscheidende V e r b i n d u n g zwischen dem grandiosen, barocken Paris), 1698-1762 Klassizismus Louis' X I V . u n d dem u m 1750 i n Erscheinung tretenden Neoklassizismus Der Heilige Bartholomäus, ca. 1 7 3 4 - 1 7 5 0 Terrakotta 57,2 cm 94.SC.23 her. Bouchardon war einer der ersten französischen Bildhauer, der sich m i t einem vollständig ausgeprägten neoklassizistischen Stil befaßte, wobei er einen allzu nüchternen Akademismus durch naturalistisches Modellieren der Oberflächen, elegante R e d u k t i o n der Proportionen u n d die Verwendung einfacher, anmutiger Posen z u vermeiden wußte. Dieser Heilige Bartholomäus aus Terrakotta ist wahrscheinlich ein vorläufiges, später verworfenes M o d e l l für Bouchardons D e k o r a t i o n der K i r c h e Saint-Sulpice i n Paris. Dieser Auftrag, der den Bildhauer v o n 1734 bis 1750 beschäftigte, schrieb die Anfertigung einer lebensgroßen Steinstatue für jede Säule i m Kirchenschiff sowie i m C h o r r a u m vor. D i e schmale u n d kompakte Erscheinung der Figuren, die man am Heiligen Bartholomäus gut erkennen kann, ergeben sich durch die auftragsgebundene Plazierung vor den Säulen. O b g l e i c h die endgültige Version des Heiligen Bartholomäus der sich i m Besitz des M u s e u m s befindlichen Statue nicht allzu ähnlich ist, so weisen doch zwei weitere Figuren aus der Eglise Saint-Sulpice, Petrus u n d Der Heilige Andreas, hinsichtlich der Pose, dem G e w a n d u n d der A n a t o m i e einige Ähnlichkeit m i t der Terrakottastatue auf. Das Subjekt der Terrakottastatue, der Heilige B a r t h o l o m ä u s , lebte i m 1. Jahrhundert u n d soll i n Indien u n d A r m e n i e n gepredigt haben, bevor i h m bei lebendigen Leibe die H a u t abgezogen, u n d er anschießend enthauptet wurde. D i e meisten Porträts dieses H e i l i g e n zeigen i h n m i t einem Messer i n der H a n d , dem Instrument seines M a r t y r i u m s , u n d seiner eigenen H a u t über einem A r m oder über einen Baumstamm gelegt. D e r Heilige B a r t h o l o m ä u s war v o m 16. bis z u m 18. Jahrhundert ein häufiges u n d beliebtes M o t i v i n der Malerei, jedoch nicht i n der Bildhauerei. Bouchardons Interpretation zeigt den Heiligen halbnackt, m i t u m ein B u c h geklammerten H ä n d e n , den B l i c k nach rechts i n die Ferne gerichtet, als ob i h m i n dem M o m e n t eine göttliche V i s i o n erschiene. D e r zugerichtete K ö r p e r u n d das ausgemergelte Gesicht des alten Mannes wurden m i t äußerster Behutsamkeit u n d Feinfühligkeit behandelt. D i e abgezogene H a u t , die über dem hinteren Teil des Baumstamms hängt, w i r d i n grauenhaftem Detail dargestellt, die schlaffen Füße, H ä n d e u n d Genitalien vollständig ausgearbeitet. 88 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PAF 31 JACQUES-FRANÇOIS- Diese M a r m o r s k u l p t u r zeigt einen jungen M a n n , dessen unbekleideter, JOSEPH SALY geschmeidiger K ö r p e r i n klassischem Kontrapost an einen B a u m s t u m p f lehnt, u n d Frankreich (geboren i n der eine kleine Ziege i m A r m hält. Bei der Figur handelt es sich u m einen Faun (ein Valenciennes; tätig in R o m , Paris und Kopenhagen), 1717-1776 Faun mit einer Ziege, 1751 mythologisches Waldwesen), was an dem kleinen Schwänzchen oberhalb des Gesäßes, der Ziege als Reflektion der eigenen ziegenhaften M e r k m a l e des Fauns sowie den M u s i k i n s t r u m e n t e n , m i t denen Faune u n d Satyrn häufig i n V e r b i n d u n g gebracht werden, zu erkennen ist. D e r Bildhauer dieses männlichen Aktes, Saly, verbrachte die Marmor Jahre v o n 1 7 4 0 - 1 7 4 8 an der A c a d é m i e Française i n R o m . Seine zahlreichen Studien 84,1 cm Fehlerhafte Inschrift am Sockel: u n d K o p i e n antiker Kunst k o m m e n i n dieser Skulptur zur G e l t u n g . Sie bezieht sich NL COUSTOU auf mindestens zwei berühmte antike Statuen: Faun mit Kind, heute i m M u s e o FECIT 1715 85.SA.50 N a c i o n a l del Prado i n M a d r i d u n d dem Satyr mit Trauben und einer Ziege, heute im Museo Capitolino in R o m . Saly fertigte das Terrakottamodell für diese Marmorstatue an, als er sich n o c h i n R o m aufhielt. K u r z nach seiner Rückkehr nach Paris reichte er eine Version aus G i p s bei der A c a d é m i e Royale de Peinture et de Sculpture i m R a h m e n seiner Bewerbung für eine Mitgliedschaft ein. W e n n das morceau de réception, also das " E m p f a n g s s t ü c k " , angenommen wurde, folgte ein Auftrag für eine M a r m o r v e r s i o n , u n d der Künstler wurde z u m vollständigen M i t g l i e d der A k a d e m i e erklärt. Salys Faun mit einer Ziege wurde angenommen, u n d 1751 fiel ein V o t u m über die Frage seiner Mitgliedschaft einstimmig zu seinen Gunsten aus. W i e auch andere morceaux de réception — die für die Laufbahn eines Künstlers v o n größter Bedeutung waren - war Salys Faun eine seiner feinsten Arbeiten. M i t der Ausstellung der Skulptur i m Pariser Salon v o n 1751 erreichte Saly R u h m u n d A n e r k e n n u n g über Nacht; Louis X I V , M a d a m e de Pompadour u n d C h r i s t i a n V I I . v o n D ä n e m a r k wurden zu seinen G ö n n e r n . 90 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PAF 32 FRANCIS H AR W O OD H a r w o o d war einer der wenigen englischen Bildhauer, die sich i n Italien dauerhaft England (tätig in Florenz), niedergelassen hatten; den größten Teil seiner Karriere verbrachte er damit, britische tätig 1 7 4 8 - 1 7 8 3 Aristokraten m i t K o p i e n u n d R e d u k t i o n e n berühmter Antiquitäten z u versorgen Büste eines Mannes, 1758 Schwarzer, sandiger Kalkstein (pietra da paragone) auf einem Sockel aus gelbem Sienamarmor u n d M a r m o r u r n e n oder Kaminobjekte für die D e k o r a t i o n der adeligen Landsitze anzufertigen. D i e Büste der S a m m l u n g G e t t y scheint das einzig bekannte Porträt H a r w o o d s zu sein, das nicht direkt auf einem antiken oder zeitgenössischen Prototypen M i t Sockel: 69,9 cm beruht. Das Subjekt ist m i t breiter, glatter u n d m u s k u l ö s e r Brust u n d i n einem Bogen Inschrift, entlang der unteren linken endenen Schultern dargestellt. D i e nackte Brust, die F o r m des Abschlusses u n d der Seite und der Rückseite: F.Harwood Fecit 1758 88.SA.114 runde Sockel weisen auf antike Porträtbüsten sowie auf H a r w o o d s großes Interesse für die A n t i k e h i n . A u ß e r d e m w i r d d e m Subjekt d u r c h die Assoziierung m i t antiker K u n s t eine gewisse Noblesse verliehen. D i e Identität des Subjekts ist nicht bekannt. D i e besonders betonten Gesichtsmerkmale u n d die kleine Narbe über d e m rechten Auge legen die V e r m u t u n g nahe, d a ß es sich u m eine bestimmte Person handelt; diese Tatsache, i n V e r b i n d u n g mit d e m würdevollen A u s d r u c k u n d den Assoziationen m i t der A n t i k e , machen dieses Porträt z u einer A u s n a h m e nicht nur i n H a r w o o d s Œ u v r e , sondern auch generell i m H i n b l i c k auf die europäische Geschichte der Darstellung Farbiger. Afrikaner, die 1555 erstmals nach E n g l a n d gebracht wurden, waren seit d e m 18. Jahrhundert i n der englischen Gesellschaft eine ganz alltägliche Erscheinung. Ihre Darstellung i n der K u n s t unterlag jedoch nach wie vor stereotypen Vorstellungen. In G e m ä l d e n wurden sie meist als Bedienstete dargestellt u n d i n den H i n t e r g r u n d verbannt. In der Bildhauerei beschränkte sich die Wiedergabe der M e r k m a l e u n d K o s t ü m e Farbiger auf die Symbolisierung des Exotischen. D o c h H a r w o o d s B ü s t e ist, ganz i m Gegenteil, ein seltenes, ja sogar einzigartiges Porträt eines Farbigen i n der europäischen Bildhauerei des 18. Jahrhunderts. 92 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PAF 33 J E A N - J A C Q U E S C A F F I E R I Jean-Jacques Caffieri war das letzte u n d am meisten gefeierte M i t g l i e d einer berühmten Frankreich (Paris), 1725-1792 Künstlerfamilie; er studierte unter seinem Vater, Jacques, u n d unter Jean-Baptiste Büste des Alexis-]ean-Eustache Lemoyne i n Paris. E r gewann den prix de Rome 1748 u n d arbeitete während seines Taitbout, 1762 Italien-Aufenthalts m i t Jean-François de Troy u n d Charles Natoire. I m Jahre 1757 Terrakotta M i t Gipssockel: 64,5 cm Inschrift auf der Rückseite: M. Taitbout, ecuyer, chevalier de St. Lazare consul de France ä Naples, Fait par j.j. Caffieri en 1762 96.SC.344 stellte Caffieri religiöse u n d allegorische Arbeiten sowie Porträtbüsten i m Salon de Paris aus; zwei Jahre darauf wurde er M i t g l i e d der A c a d é m i e Royale de Peinture et de Sculpture. Caffieris R u h m begann m i t der Anfertigung einer Reihe v o n Porträtbüsten für das T h é â t r e Français, u n d i m Laufe seiner Karriere schuf er zahlreiche B ü s t e n gefeierter Zeitgenossen. Caffieri verband Naturalismus u n d Realismus m i t psychologischem Scharfsinn i n der Darstellung seiner Subjekte, w o m i t er den Geist des Zeitalters der Aufklärung widerzuspiegeln wußte; seine Büste des Alexis-]ean-Eustache Taitbout ist hierfür ein gutes Beispiel. Caffieri gab auch scheinbar unschmeichelhafte M e r k m a l e wieder, etwa die vorstehende Nase Taitbouts, die Furchen auf der Stirn, die buschigen Augenbrauen, die alternde H a u t sowie Muttermale, die allerdings i n h o h e m M a ß e zur Vitalität des Bildes, das hier v o n Taitbout entsteht, beitragen. Das Subjekt, dessen Familie während der Herrschaft Henris IV. v o n Belgien nach Paris umsiedelte, war ein Reitersmann, ein Ritter v o n Saint-Lazare u n d französischer Generalkonsul z u Neapel i n den 1750er Jahren. D i e informelle M a n i e r der Büste läßt vermuten, daß sie entweder von Taitbout selbst oder einer i h m nahestehenden Person i n Auftrag gegeben wurde. D e r persönliche Charakter der Büste w i r d dadurch unterstrichen, daß Taitbout en négligé dargestellt w i r d - m i t oben aufgeknöpftem H e m d ; die erfrischende, detaillierte u n d realistische Bearbeitung u n d der E i n d r u c k der Unmittelbarkeit tragen ebenfalls dazu bei. 94 EUROPÄISCHE BILDHAUEREI P A F und PF 34 J O S E P H N O L L E K E N S Venus, eine der drei weiblichen Gottheiten v o n Nollekens i n der S a m m l u n g Getty, England (London), 1737-1823 wurde v o n Charles Watson-Wentworth, dem zweiten M a r q u i s v o n R o c k i n g h a m , Venus, 1773 i n Auftrag gegeben, u m die Statue v o n Paris, die für eine bedeutende Antiquität Marmor gehalten wurde, u n d die sich bereits i m Besitz Rockinghams befand, z u 124 cm Inschrift an der Seite des Sockels: komplementieren. M i t Paris hätten die drei G ö t t i n n e n - Minerva, Juno u n d Venus - Nollekens F. 1773 eine G r u p p e gebildet, die den klassischen M y t h o s erzählt, demzufolge der sterbliche 87.SA.106 Schafhirte berufen wurde, zu entscheiden, welche der drei die Schönste sei. Nollekens 1 entschied sich, den A n f a n g des Parisurteils z u illustrieren, i n d e m er jede G ö t t i n i n unterschiedlichen "Entkleidungsphasen" darstellte, während diese sich die G u n s t des Schafhirten z u sichern suchten. Minerva, jungfräuliche G ö t t i n der Weisheit u n d des Krieges, war bei weitem die bescheidenste der drei G ö t t i n n e n , u n d so hob sie nur ihre H ä n d e , u m ihren H e l m abzunehmen. Juno, G ö t t i n der Ehe, entblößt eine Brust beim Offnen ihres Kleides. Venus, G ö t t i n der Liebe, u n d die Siegerin dieses Wettbewerbs, ist v o l l k o m m e n unbekleidet - bis auf die einzelne Sandale, die sie i m Begriff ist, v o n ihrem Fuß z u streifen. O b g l e i c h Nollekens eher als Bildhauer v o n Porträtbüsten u n d D e n k m ä l e r n bekannt war, galt sein besonderes Interesse doch auch freistehenden, mythologischen Figuren. Solche Skulpturen sind sehr selten, u n d so stellen die Marmorstatuen i m Getty M u s e u m eine der frühesten bedeutenden G r u p p e n v o n Museumsskulpturen eines englischen Bildhauers für einen englischen G ö n n e r dar. Nollekens studierte acht Jahre i n R o m u n d sein Stil - ein betonter Klassizismus, m i t scheuem C h a r m e durchzogen - weist den Einfluß italienischer Bildhauerei der A n t i k e sowie des 16. Jahrhunderts auf. D i e Venus-Statue beruht i n ihrer K o m p o s i t i o n auf mehreren bildhauerischen Q u e l l e n , etwa den Arbeiten des florentinischen Bildhauers des Manierismus G i a m b o l o g n a . Nollekens' Interesse an G i a m b o l o g n a sowie seine Verschönerungen typischer mythologischer Sujets untersteichen seine lyrische u n d freizügige Herangehensweise an die klassische Vergangenheit. EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PAF 97 35 CLAUDE MICHEL, In der Geschichte europäischer Bildhauerei ist C l o d i o n der vielleicht berühmteste genannt C l o d i o n Bildhauer, der m i t T o n arbeitete. W ä h r e n d seiner neunjährigen Studienzeit i n R o m Frankreich (geboren in Nancy; auch tätig i n R o m und Paris), 1738-1814 Eine Vestalin präsentiert eine junge Frau am Altar des Pan, ( 1 7 6 2 - 1 7 7 1 ) errangen seine Terrakotten einen derartigen R u h m , daß, wie seine erste Biographie verkündet, "Amateure i h m die unfertigen Skulpturen abkauften." E i n e seiner Bewunderinnen war Kaiserin Katharina II. v o n Russland, die vergeblich versuchte, i h n an ihren H o f z u locken. C l o d i o n wußte während seines R o m Aufenthalts das wachsende Interesse v o n Sammlern an Terrakottaskulpturen z u ca. 1775 Terrakotta nutzen, u n d seine technische Brillianz trug auch dazu bei, daß sie zunehmend als 45,1 cm eigenständige Kunstwerke ästhetisch geschätzt wurden (anstatt nur als Skizze oder Inschrift auf den Wolken, hinten an der rechten Seite: 85.SC.166 CLODION M o d e l l für eine A r b e i t aus einem permanenteren M a t e r i a l zu dienen). D i e vorliegende A r b e i t zeigt eine als Vestalin gekleidete Frau, die ein junges M ä d c h e n z u der Figur Pans führt, d e m G o t t der W e i d e n u n d der Fruchtbarkeit. A m o r , dessen Pfeil u n d Bogen am B o d e n liegen, hat soeben einen Rosenkranz strategisch u m die H e r m e gehängt. D e r Weihrauchbrenner u n d der Opferdreifuß, die neben Pan stehen, legen die V e r m u t u n g nahe, daß es sich bei der H e r m e u m einen Altar handelt u n d hier eine liebes- oder ehebezogene Initiationsszene erzählt w i r d . Ähnliche Sujets mit Figuren i n klassischem G e w a n d i n Szenen der Liebe, der Opfergabe u n d anderen altertümlichen R i t e n - waren i n der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts i n Frankreich sehr beliebt. M i t diesen Sujets beschäftigten sich M a l e r wie Charles Natoire, Joseph V i e n u n d Jean-Honore Fragonard i n den 1760er u n d 1770er Jahren, aber auch Bildhauer, die G r u p p e n aus Biskuitporzellan für die Porzellanmanufaktur Sevres produzierten. C l o d i o n s spielerische, romantische Auffassung der klassischen W e l t w i r d i n der vorliegenden Skulptur widergespiegelt; diese Arbeit ist typisch für C l o d i o n i n ihrer Darstellung der Szene eines nicht-seriösen Genres m i t mythologischen Figuren zweiten Ranges. ( C l o d i o n hat selten monumentale Szenen behandelt oder bedeutende, klassische G ö t t e r abgebildet.) Ferner ist die Zusammenstellung eines grotesken Mannes m i t einer hübschen Frau typisch für C l o d i o n s Arbeiten. O b g l e i c h es sich hier u m eine Vollplastik handelt, ist der primäre B l i c k w i n k e l frontal. EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PF 99 36 PHILIPPE-LAURENT R O L A N D zugeschrieben Frankreich (Paris), 1 7 4 6 - 1 8 1 6 Allegorische Gruppe mit der Porträtbüste eines Architekten (möglicherweise Pierre Rousseau), ca. 1780-1790 Terrakotta 67,3 cm 97.SC.9 D i e Figuren dieser Skulptur gruppieren sich u m die Büste eines Mannes auf einem klassizistisch anmutenden, runden Sockel. E i n e weibliche Figur i n antiker K l e i d u n g u n d entspannter Pose, m i t gekreuzten Beinen (eine A r t , i n der M u s e n oft dargestellt werden), legt ihren A r m u m die Büste, die sie gerade zwei kleinen K i n d e r n zeigt. Eines der K i n d e r sitzt auf einem H o c k e r u n d blickt zur Büste empor, die linke H a n d i n einer entsprechenden Geste erhoben. Das andere K i n d versucht eifrig, den Sockel zu e r k l i m m e n . H i n t e r d e m stehenden K i n d sieht m a n auf dem B o d e n die Instrumente eines Architekten: Z i r k e l , W i n k e l m a ß , G l o b u s , Bücher u n d Papierrollen - Hinweise auf den B e r u f des Subjekts der Büste. Schließlich befindet sich n o c h ein kleiner H u n d , S y m b o l für eheliche Treue u n d familiäre Pietät, hinter der weiblichen Figur, was einen weitern Aspekt des Subjekts enthüllt: seine Rolle als Familienvater. D i e ungezungene Beziehung zwischen den Figuren u n d dem Porträt deuten fast ein familiäres Verhältnis an, während die didaktische Geste der Frau ein beliebtes moralisierendes Sujet des 18. Jahrhunderts i n E r i n n e r u n g ruft: die ihre K i n d e r unterrichtende Mutter. D i e Zuschreibung der G r u p p e z u R o l a n d beruht auf d e m subtilen, lyrischen Klassizismus der weiblichen Figur, ein Aspekt v o n Rolands Stil, den er während seines fünfjährigen Aufenthalts i n R o m entwickelte. Des weiteren sind die Sentimentalität u n d der Naturalismus der G r u p p e - verdeutlicht durch die entspannte Pose der Frau, die sorgsame Wiedergabe ihrer A n a t o m i e , die spielerische Energie der K i n d e r u n d die subtil modellierte, sensible Qualität der Büste - für die dokumentierten Skulpturen Rolands charakteristisch. MC EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 101 37 A N T O N I O CANOVA A n t o n i o C a n o v a galt v o n den 1790er Jahren bis zu seinem T o d als der größte Italien (tätig in Rom), neoklassizistische Bildhauer u n d war w o h l der berühmteste europäische Künstler 1757-1822 seiner Zeit. Trotz seines Rufes als Meister des Neoklassizismus weisen Canovas frühe Apollo krönt sich selbst, 1781-1782 Arbeiten, i n Venedig ausgeführt, eine größere Affinität zur Bildhauerei des S p ä t b a r o c k u n d des R o k o k o auf. D i e vorliegende Statuette v o n Apollo war Canovas erste römische Marmor Arbeit i n M a r m o r u n d stellt einen W e n d e p u n k t i n seiner Karriere dar. D u r c h die 84,8 cm Inschrift auf dem Baumstamm: unmittelbare Studie antiker Statuen inspiriert, diente diese Figur als ein frühes ANT. CANOVAJVENET. Beispiel des anmutigen Stils u n d idealisierten Schönheit, die über die nächsten FA CIEBJ 1781 95.SA.71 vierzig Jahre z u m Markenzeichen dieses Bildhauers werden sollten. W ä h r e n d sich C a n o v a 1781 i n R o m aufhielt, wurde er v o n D o n A b b o n d i d o Rezzonico gebeten, diese Statuette v o n Apollo zu produzieren, damit sie i m R a h m e n eines Wettbewerbs m i t einer Skulptur der Minerva (heute verloren) des römischen Bildhauers Giuseppe A n g i o l i n i beurteilt werden konnte. Canovas Skulptur, die seine meisterhafte Beherrschung des neoklassizistischen Stils unter Beweis stellen sollte, ist eine Studie klassischer Pose u n d Proportion. D i e H a l t u n g des nackten Gottes entspricht dem kanonischen Kontrapost, bei dem angestrengte Glieder entspannten G l i e d e r n gegenüberstehen u n d der K ö r p e r i n harmonischem E q u i l i b r i u m ruht. Das Sujet der Statuette ist v o n einer berühmten Geschichte i n O v i d s Metamorphosen abgeleitet. V o n einem lüsternen A p o l l o verfolgt, ruft die völlig verängstigte, schöne N y m p h e D a p h n e die G ö t t i n D i a n a u m Hilfe, die D a p h n e kurzerhand i n einen Lorbeerbaum verwandelt, u m ihre Jungfräulichkeit z u wahren. A p o l l o , der sich daraufhin m i t Lorbeerblättern den K o p f schmückt, lamentiert: " W e n n d u nicht meine Braut sein kannst, so sollst d u wenigstens m e i n B a u m sein. M e i n Haar, meine Leier, m e i n K ö c h e r sollen auf E w i g m i t dir verschlungen sein, O Lorbeere" ( 1 . 5 5 7 - 5 5 9 ) . D a ß C a n o v a diesen relativ ruhigen, selten wiedergegebenen M o m e n t einer sonst sehr handlungsreichen Geschichte für seine Arbeit gewählt hat, zeugt v o n seinem Bestreben, sich auf den klassischen A k t z u konzentrieren - was durch den Verzicht auf Bewegung oder extreme E m o t i o n verstärkt w i r d . Es verdeutlicht darüber hinaus, daß C a n o v a zeit seines Lebens vielsagende, introspektive Szenen bevorzugte. 102 E U R O P Ä I S C H E B I L D H A U E R E I PAF 38 J O H N DEARE J o h n Deare war einer der fähigsten u n d innovativsten britischen Bildhauer des England (geboren in Liverpool, Neoklassizismus. E r signierte dieses Relief ("John Deare schuf dies") i n Griechisch, tätig i n L o n d o n und Rom), statt i m eher üblichen Latein. In frühem Alter bereits hochbegabt, begann er seine 1759-1798 Venus liegt auf einem Seeungeheuer mit Amor und einem Putto, 1 7 8 5 - 1 7 8 7 Marmor Lehre 1776 bei dem Bildhauer T h o m a s Carter. I m Jahre 1780 war er der j ü n g s t e Künstler, dem je die Goldmedaille der Royal A c a d e m y verliehen wurde, u n d 1785 ging er als Stipendiat der A k a d e m i e nach R o m , u m antike Bildhauerei z u studieren. E r produzierte dort zahlreiche Einzelskulpturen u n d hatte großen Erfolg, insbesondere 33,7 cm bei den englischen Touristen, die sich auf der sogenannten G r a n d T o u r befanden (eine A u f Griechisch signiert: I Q A N N H X A r t privater Studienreise, die betuchte Engländer z u den wichtigsten Schauplätzen der A E A P H EITOIEI A n t i k e unternahmen). E r spezialisierte sich auf Reliefskulptur, u n d selbst C a n o v a soll 98.SA.4 seine Arbeit gelobt haben. Deares blühende Karriere wurde v o n seinem frühen T o d jäh abgebrochen; aufgrund seiner Angewohnheit, auf einem B l o c k kalten M a r m o r s einzuschlafen, u m sich i m T r a u m für seine nächste A r b e i t inspirieren z u lassen, soll er sich ein tödliches Fieber zugezogen haben. Das Relief zeigt Venus, die G ö t t i n der Liebe u n d Schönheit, die auf einem Seeungeheuer liegt; das Ungeheuer erscheint i n der F o r m einer Ziege m i t einem Fischschwanz. D i e Finger der Venus sind i n den Barthaaren des Ungeheuers verwickelt - eine Variation der Geste des Kinnkraulens, die traditionellerweise erotische Absichten darstellt - u n d das Biest leckt i n E r w i d e r u n g ihre H a n d . A m o r , rittlings auf dem Ungeheuer, ist drauf u n d dran, einen Pfeil i n die R i c h t u n g der Venus zu schießen, u n d ein Putto hält eine brennende Fackel i n die M i t t e der Szene, was den a m o u r ö s e n U n t e r t o n des Bildes noch verstärkt. D a ß es sich hier u m eine Allegorie der Lust handelt, w i r d durch die Position der Venus angedeutet: seit dem Mittelalter wurde die Lust durch eine auf einer Ziege reitenden Frau dargestellt. D i e Seeziege trägt Venus durch die s c h ä u m e n d e n W e l l e n , die m i t der Energie u n d Präzision gemeißelt sind, die für Deares Meisterschaft i n der Herstellung v o n Reliefs charakteristisch ist. Deares Reliefs weisen typischerweise mehrere Schichten auf, wie hier, die v o l l k o m m e n dreidimensionale Schnauze der Seeziege, die i m H a l b r e l i e f dargestellte Venus u n d die i m Basrelief wiedergegebenen Figuren, A m o r u n d Putto. M C und P A F 104 E U R O P Ä I S C H E B I L D H A U E R E I 39 J O S E P H C H I N A R D C h i n a r d war der führende Bildhauer des französichen E m p i r e u n d , nach Canova, der Frankreich (Lyon), 1 7 5 6 - 1 8 1 3 v o n N a p o l e o n u n d der Familie Bonaparte am meisten geschätzte Bildhauer. W i e auch Die Familie des General der M a l e r Jean-Auguste-Dominique Ingres produzierte C h i n a r d eine V i e l z a h l großer, Philippe-Guillaume Duhesme, ca. 1808 Terrakotta 56 cm historischer u n d mythologischer Werke, doch er wurde insbesondere als brillianter Porträtist geschätzt. E r ging auf sehr innovative Weise an das formale Problem des Abschlusses bei Büsten heran: er milderte den Effekt der Stutzung, i n d e m er Inschrift an der Vorderseite: chinard zeitgenössische Haute-Couture-Accessoires spitzfindig plazierte, u m die B ü s t e m i t statuaire à Lyon dem Sockel zu verschmelzen. D u r c h die Darstellung v o n Szenen i n Basrelief u n d 85.SC.82 die Verwendung symbolträchtiger Accessoires führte er erzählerische Elemente i n die Porträtbildhauerei ein, die vorher der Porträtmalerei mehr oder weniger exklusiv vorbehalten waren. Es war w o h l C h i n a r d , der mehr als irgend ein anderer das Porträtmedaillon als langfristiges M o d e l l i m Frankreich des 19. Jahrhunderts etabliert hat. Seine runden Reliefprofile eminenter Persönlichkeiten - wie jenes, daß die Frau i n der vorliegenden Arbeit hält - wurden i n hoher Auflage produziert u n d wurden zu Prototypen für tausende ähnlicher Objekte, die i m Laufe des Jahrhunderts angefertigt wurden. D i e vorliegende Arbeit ist charakteristisch für Chinards A n w e n d u n g klassischer K o m p o s i t i o n e n u n d Formen, die den R a h m e n für detaillierte Darstellungen zeitgenössischer Sujets bildeten. D i e Skulptur zeigt Frau u n d S o h n des General Duhesme wie sie sein Medaillonporträt halten u n d betrachten. D i e beiden Figuren sind i n Liebe miteinander verbunden, was durch die beiden A m o r f i g u r e n angedeutet w i r d , die die dekorative Kordel der Liege halten, auf der M u t t e r u n d S o h n sich befinden. Es handelt sich hier u m eine sehr seltene A r t v o n Skulptur: die detaillierten Porträts dreier Familienmitglieder (höchst akkurat i n Kleidern u n d Frisuren der Zeit dargestellt) werden i n eine phantasievolle, rührende Genre-Szene eingebunden. Diese Skulptur veranschaulicht Chinards Beitrag zur Geschichte der Bildhauerei - die Einführung erzählerischer K o m p o n e n t e n i n die Kunst des Porträtierens u n d die Verschmelzung v o n Fakten u n d M o d e z u rein ästhetischen Konfigurationen. P h i l i p p e - G u i l l a u m e Duhesme wurde 1766 i n B o u r g n e u f (Saöne-et-Loire) geboren u n d starb 1815 i n Gennapes, Belgien. I m Jahre 1808 wurde er Gouverneur v o n Catalonia, Nordspanien. D a C h i n a r d 1813 starb, also zwei Jahre bevor General Duhesme verschied, k a n n es sich bei dieser Arbeit nicht u m ein M o d e l l für Duhesmes G r a b m a l handeln. Höchstwahrscheinlich wurde die Terrakottaskulptur 1808 oder kurze Zeit später angefertigt, als Duhesme nach Spanien ging u n d seine Familie i n Frankreich zurücklies; die Skulptur diente daher vermutlich als ein A n d e n k e n für die Familie. 106 E U R O P Ä I S C H E B I L D H A U E R E I PF 40 PIERRE-JEAN DAVID D'ANGERS Frankreich (tätig in Angers und Paris), 1788-1856 Büste der Mary Robinson, 1824 Marmor 46,4 cm D a v i d d'Angers war der innovativste u n d einflußreichste Porträtbildhauer der R o m a n t i k . Seine frühen Arbeiten, wie diese Büste einer jungen A m e r i k a n e r i n , spiegeln allerdings auch Einflüsse damaliger neoklassizistischer Tendenzen wider. Diese Darstellung M a r y Robinsons ist i n betonter Einfachheit u n d geometrischer Abstraktion gehalten. Ihre Gesichtszüge sind akkurat wiedergegeben, wofür die kleine Beule unterhalb des Nasenbeins u n d die bogenförmigen L i p p e n ein Indiz sein m ö g e n . Inschrift an der Seite des Sockels: D i e nackte Brust endet jedoch wie eine abstrakte, klassische H e r m e . Das Haar ist zu PJ.DAVID/1824 zwei großen Schlaufen zusammengebunden, die i n B ü n d e l n v o n L o c k e n aufgehen. 93.SA.56 D i e aufwendige Frisur ist eine A n s p i e l u n g an die stilisierte, Troubadour-ähnliche Haarmode der Zeit, u n d gibt der Büste tief gemeißelte, beinahe architektonische Akzente. D i e geometrische Reinheit der Büste w i r d weiterhin durch die Abwesenheit jeglicher persönlicher Accessoires, etwa K l e i d u n g , S c h m u c k oder Haarschmuck, unterstrichen. D i e V e r b i n d u n g realistischer Gesichtszüge m i t abstrakten Elementen ist typisch für die weiblichen Porträts D a v i d d'Angers' der 1820er u n d 1830er Jahre. W i e die G e m ä l d e v o n Jean-Auguste-Dominique Ingres ist die Büste der Mary Robinson ein ausgezeichnetes Beispiel für die stilisierte Raffinesse vieler Werke v o n Künstlern des frühen 19. Jahrhunderts. M a r y R o b i n s o n war die Tochter K a p i t ä n H e n r y Robinsons (1782—1866) aus N e w b u r g h , N e w York. K a p i t ä n R o b i n s o n war A l l e i n - oder Teilinhaber einer Reihe von Postschiffen, die die Route N e w York—Le Havre bedienten. Seine vielen Reisen nach Frankreich gaben R o b i n s o n u n d d e m M a r q u i s de Lafayette vermutlich die Gelegenheit, eine enge Bekanntschaft z u pflegen. Möglicherweise war es Lafayette, der R o b i n s o n m i t D a v i d d'Angers bekannt machte u n d dadurch den Auftrag einer Porträtbüste v o n Robinsons Tochter ermöglichte. I m Jahre 1831 fertigte D a v i d d'Angers auch eine Porträtbüste Robinsons Ehefrau, A n n Buchan R o b i n s o n ( 1 7 9 1 - 1 8 5 3 ) , an; diese M a r m o r b ü s t e ist heute i m Besitz des M u s e u m o f the C i t y o f N e w York. PAF E U R O P Ä I S C H E B I L D H A U E R E I 111 41 ANTOINE-LOUIS BARYE Barye war der herausragendste Bildhauer bronzener Tierskulpturen des 19. Jahrhunderts, Frankreich (Paris), 1796-1875 ein äußerst begabter Zeichner u n d angesehener Aquarellist. E r war außerdem M i t g l i e d Eine Pythonschlange tötet ein der Barbizon Schule der Landschaftsmaler. Sein W e r k zeichnet sich durch seine Gnu, 1834-1835 Gips, mit rotem Wachs retouchiert 27,9 cm Inschrift am Sockel: BARYE 85.SE.48 wissenschaftliche Beobachtung natürlicher Formen aus sowie die Betonung der gewaltsamen u n d räuberischen Aspekte seiner Subjekte, weshalb man i h n voll u n d ganz i n der französischen R o m a n t i k ansiedeln kann. In den späten 1820er Jahren begann Barye, Zeichnungen v o n Tieren i m Z o o des Pariser Jardin des Plantes anzufertigen sowie v o n ausgestopften Tieren u n d Skeletten i m Laboratoire d'Anatomie C o m p a r é e i m M u s é e d'Histoire Naturelle; dieser Tätigkeit ging er für den Rest seines Lebens nach. E r besuchte auch Vorlesungen französischer Botaniker u n d Z o o l o g e n u n d studierte A b h a n d l u n g e n über Zoologie u n d tierische A n a t o m i e . Sein intensives Studieren der Fauna gab i h m die Möglichkeit, die Bewegungen u n d die M u s k u l a t u r seiner Lieblingsmotive akkurat darzustellen - exotische Raubtiere i n brutalen Kampfszenen. D u r c h die W a h l solch dramatischer Sujets hob Barye den Status der Tierbronze auf das N i v e a u traditioneller, akademischer Sujets aus der Bibel, der M y t h o l o g i e oder der Geschichte. I m Jahre 1834 beauftragte der H e r z o g v o n Orléans Barye m i t der Anfertigung neun kleiner Bronzengruppen als Hauptelemente eines kunstvollen surtout de table, eines Objekts für die Tischmitte i m Palais des Tuileries. Barye brauchte fünf Jahre, u m die Reihe zu vollenden, die fünf Jagdszenen u n d vier Tierkampfszenen umfaßte, darunter Eine Pythonschlange tötet ein Gnu. Das G i p s m o d e l l m i t rotem Wachs für diese Bronze zeigt eine u m ein zusammengebrochenes G n u gewundene Python, die dem G n u i n den Hals beißt, während es seinen letzten A t e m z u g macht. D i e Pose des G n u s , der zurückgebeugte Kopf, der offene M u n d u n d die bebenden N ü s t e r n tragen wesentlich z u m Pathos dieses gewaltsamen Sujets bei. Baryes meisterhaft realistische Detaillierung - etwa die Kreuzschattierung am glatten Schlangenkörper oder die parallelen L i n i e n , die das zottelige Fell des G n u s beschreiben - unterstreicht die natürliche Pracht der Tiere i m tödlichen K a m p f ums Überleben. 114 E U R O P Ä I S C H E B I L D H A U E R E I PAF 42 H E N R Y WEEKES, R.A. M a r y Jane Seacole, geb. G r a n t ( 1 8 0 5 - 1 8 8 1 ) , war eine außergewöhnliche Jamaikanerin, England (geboren in Canterbury; die der viktorianischen Gesellschaft als unermüdliche Krankenschwester u n d Helferin tätig in London), 1807-1877 englischer Soldaten während des Krimkrieges bekannt war. In K i n g s t o n , Jamaika, Büste der Mary Seacole, 1859 Marmor, mit integriertem Marmorsockel geboren, reiste Seacole ausgiebig i n S ü d - u n d Mittelamerika, w o sie wertvolle Kenntnisse zur Behandlung v o n C h o l e r a u n d Gelbsucht erwarb. A l s der Krieg 1854 ausbrach, versuchte sie, i n einer Einheit britischer Krankenschwestern tätig z u werden, wurde 66 cm Inschrift an der Rückseite: aber mehrere M a l e zurückgewiesen. Sie eröffnete daraufhin ihr eigenes K r i m - " H o t e l " , H. WEEKES, A.RAJSc. u m Soldaten m i t Lebensmitteln, Unterkunft u n d medizinischer Behandlung zu 95.SA.82 1859. versorgen. Sie wurde für ihre selbstlose Aufopferung u n d ihren M u t berühmt, ging sie d o c h täglich an die Front, u m sich u m Verwundete u n d Sterbende zu k ü m m e r n . Die wunderbaren Abenteuer von Mrs. Seacole in vielen Ländern, ihre Autobiographie v o n 1857, war ein großer Erfolg, u n d Seacole wurde i m viktorianischen England zu einem Begriff. D i e Identifizierung Seacoles als Subjekt dieser Büste beruht auf großen Ähnlichkeiten der Gesichtszüge u n d der Frisur i n dokumentierten Porträts Seacoles, darunter ein Aquarell i n der N a t i o n a l Library o f Jamaica u n d eine Terrakottabüste i m Institute o f Jamaica. Weekes, ein Schüler Francis Chantreys ( 1 7 8 1 - 1 8 4 1 ) , etablierte sich zuerst als Porträtist; er war v o n 1868 bis 1876 Professor an der Royal A c a d e m y i n L o n d o n . O b w o h l die M e h r z a h l seiner Büsten auf den von Chantrey etablierten klassizistischen Typen beruhten, führte Weekes ein Element des Kunstvollen u n d des Erfinderischen i n das Genre der Porträtskulptur ein. Seine Büste der M a r y Jane Seacole, bei weitem sein phantasievollstes Porträt, verbindet Naturalismus m i t dem Phantastischen. Das Gesicht, jede kleine Nuance, jedes G r ü b c h e n ist realistisch wiedergegeben, auch das eng gewellte H a a r der M u l a t t i n , daß i n einem Haarnetz gehalten w i r d , einem damals üblichen Haarschmuck. Gleichzeitig scheinen K o p f u n d Brust aus einem Strauß leicht gebogener Palmenblätter hervorzukommen, ohne daß die Blätter auch nur i m geringsten v o n dem G e w i c h t geknickt würden, u n d das ganze Ensemble sitzt auf einem konvexen R i n g stilisierten Laubs. Weekes' innovativer, wunderlicher E n t w u r f macht die Büste der Mary Jane Seacole z u einer seiner vollendedsten Arbeiten. EUROPÄISCHE BILDHAUEREI PAF 117 43 JEAN-BAPTISTE Carpeaux war der führende Bildhauer i n Frankreich u m die M i t t e des 19. Jahrhunderts CARPEAUX und der bevorzugte Porträtbildhauer Napoleons III. u n d seines gesamten Hofes. Frankreich (geboren in D e r Stil von Carpeauxs Porträts spiegelt die Wiederbelebung des R o k o k o wider, Valenciennes, tätig in Paris), 1827-1875 Büste des Jean-Léon Gérôme, 1872-1873 Marmor die auch i n vielen anderen Skulpturen dieser Periode zu erkennen ist. Carpeauxs Skulpturen sind allerdings auch von einem oft ergreifenden Realismus durchdrungen. D i e Büste des Jean-Leon Geröme ist ein freundschaftliches Porträt eines Künstlerkollegen, der aus politischen G r ü n d e n nach E n g l a n d ins E x i l ging. M i t Sockel: 61 cm Sicherlich ist dies eine der wundervollsten u n d ansprechendsten Porträtskulpturen Inschrift an der linken Seite unterhalb des 19. Jahrhunderts. Carpeaux stellte seinen Kollegen i n einer typologisch völlig des Abschlusses: ]kP Carpeaux 88.SA.8 neuartigen M a n i e r dar: die Büste ist schartig gestutzt u n d auf einer klassizistisch anmutenden Kartusche plaziert, was antike Arbeiten i n Erinnerung ruft. G e r o m e w i r d m i t eingefallenen A u g e n u n d Wangen u n d m i t v o m W i n d e zerwühltem Haar abgebildet, was das romantische B i l d des Künstlers als verzweifelten u n d entfremdeten Geist wachruft. O b g l e i c h Carpeaux i n der Büste des Jean-Leon Geröme Elemente der R o m a n t i k m i t klassischer Kunst verbindet, ist die Büste doch sehr modern: die unvollständige Behandlung des Halses erinnert an den Effekt impressionistischer Skizzen, die sich auf bestimmte Details konzentrieren, jedoch andere nur flüchtig wiedergeben. PF E U R O P Ä I S C H E B I L D H A U E R E I 119 44 ALBERT-ERNEST Diese Terrakottaskulptur zeigt den b e r ü h m t e n französischen Schrifsteller Alexandre CARRIER-BELLEUSE D u m a s pere ( 1 8 0 2 - 1 8 7 0 ) , der m i t seinen historischen R o m a n e n , wie z u m Beispiel Die Frankreich (tätig i n Paris), 1824-1887 Modell für ein Denkmal an Alexandre Dumas pere, ca. 1883 Terrakotta drei Musketiere u n d Der Graf von Monte Cristo, internationalen R u h m erlangte (beide Werke werden i n der Inschrift auf d e m Pfeiler erwähnt). Carrier-Belleuse war ein enger Freund des Schrifstellers; die sehr persönliche Darstellung D u m a s ' - die bewußt die informellen Porträts v o n Künstlern i m 18. Jahrhundert wachruft - scheint die enge 80,7 cm Beziehung, die die beiden miteinander verband, widerzuspiegeln. D e r Bildhauer zeigt Inschrift an der Oberseite des D u m a s i n einfachem H e m d , H o s e n u n d einem langen H a u s m a n t e l (rohe de chambre), ???????? ?? ??????? ????????? den D u m a s aufgebauscht u n d i n achtloser, unordentlicher M a n i e r zuhält. D i e Inschrift am Pfeiler: TROiS ???????????????????? ??? scheinbar nonchalante K l e i d u n g des Schriftstellers steht i n starkem Kontrast zur ?????????? ???????? ???????? dramatischen W e n d u n g seines Kopfes u n d der Intensität seines Gesichtsausdrucks. ?????????? ??????? ???? In seiner rechten H a n d einen Füller haltend, u n d die linke H a n d a u f einem Stapel ???????? ????????????? ????? ?? ????? ?????????????????? M a n u s k r i p t e ruhend, blickt D u m a s auf, als ob er i n seiner kreativen T ä t i g k e i t Etc. Etc. unterbrochen wurde. D i e Figur D u m a s ' bildet eine erhebliche, vertikale Masse, 94.SC.19 u n d die gesamte K o m p o s i t i o n ist i n groben, einfachen Z ü g e n gehalten. In dieser H i n s i c h t n i m m t der E n t w u r f eines der größten modernen D e n k m ä l e r an einen H e l d e n der französischen Literatur vorweg, die Statue Balzac v o n Auguste R o d i n , der als Assistent i m Atelier Carrier-Belleuses gearbeitet hatte. Carrier-Belleuse, der exzellent i n T o n modellierte, schuf zahlreiche Werke, die sich d u r c h ihre stark artikulierten Oberflächen u n d reichhaltige D e t a i l l i e r u n g auszeichnen. D i e Bearbeitung des Tons der Skulptur der S a m m l u n g G e t t y ist ein Indiz dafür, daß es sich u m ein Skizzenmodell handelt. D e r Saum des Hausmantels weist Fingerabdrücke des Bildhauers auf, w o er zusätzlichen T o n einarbeitete, u n d i m H a a r sind deutliche Spuren spontaner, reger A p p l i k a t i o n e n einer N a d e l oder eines spitzen Werkzeugs z u erkennen. Das M o d e l l wurde i n Vorbereitung für ein Bronzedenkmal angefertigt, das 1884 i n D u m a s ' H e i m a t o r t Villers-Cotterets aufgestellt wurde. D i e Statue wurde zwar w ä h r e n d des zweiten Weltkrieges zerstört, d o c h sie ist i n zahlreichen Fotografien aus d e m späten 19. u n d frühen 20. Jahrhundert dokumentiert. 120 E U R O P Ä I S C H E B I L D H A U E R E I PAF 45 ADOLF V O N V o n H i l d e b r a n d war einer der führenden deutschen Bildhauer seiner Zeit. E r wurde i n HILDEBRAND N ü r n b e r g u n d M ü n c h e n ausgebildet u n d studierte i n den 1860er u n d 1870er Jahren Deutschland (geboren in i n Italien die Kunst der A n t i k e u n d der Renaissance; er reiste v o n 1890 bis z u seinem Marburg; tätig in München und Florenz), 1847-1921 Doppelporträt Künstlers, der Töchter des 1889 Polychrome Terrakotta 50 cm 86.SC.729 T o d zwischen Florenz u n d M ü n c h e n h i n u n d her. D i e E n t w i c k l u n g seines Stils war maßgeblich v o n Bildhauern der Renaissance beeinflußt, wie z u m Beispiel A n d r e a del Verrocchio, Desidiero da Settignano u n d L u c a u n d A n d r e a della R o b b i a . In dieser D o p p e l b ü s t e rufen der gerade, horizontale Abschluß unterhalb der Dekoltes, der flache, ovale Sockel u n d das polychrome Terrakotta italienische Porträt- u n d Reliquienbüsten des 15. Jahrhunderts i n Erinnerung. D i e Skulptur der S a m m l u n g Getty zeigt v o n Hildebrands Töchter, Silvia, vier, u n d Bertel, drei Jahre alt. Dieses bewegende u n d feinfühlige Porträt unterscheidet sich i n h o h e m M a ß e v o n den sehr verhaltenen, offiziellen Porträts u n d D e n k m ä l e r n Auftragsarbeiten, aus denen sich der größte Teil v o n Hildebrands W e r k zusammensetzt. D i e D o p p e l b ü s t e war als Format i n der Geschichte der Bildhauerei zwar selten, doch i n der M a l e r e i des Neoklassizismus u n d der R o m a n t i k war es eine verbreitete u n d populäre A r t der Darstellung, insbesondere, u m die emotionalen Bande zwischen Liebenden, Freunden oder Verwandten zu betonen. V o n H i l d e b r a n d war einer der wenigen Bildhauer, der diese Formel i n einer freistehenden Porträtskulptur anwandte. Seine sehr intime u n d persönliche Darstellung, die seine jüngere Tochter i n einem verträumten M o m e n t festhält, ist ein Zeugnis für das liebevolle Verhältnis zwischen den Subjekten u n d dem Künstler. 122 E U R O P Ä I S C H E B I L D H A U E R E I PAF EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 123 46 GEORGE MINNE M i n n e s frühe Arbeiten waren relativ akademisch, doch i n den späten 1880er Jahren Belgien (tätig in Gent, Brüssel begann er, m i t einer Reihe drahtiger, introspektiver Figuren i m emblematischeren Stil und Sint-Martins-Laten), des Symbolismus zu experimentieren. D e r T o n dieser Arbeiten, häufig melancholisch 1866-1941 Jugendlicher I, ca. 1891 Marmor 42,9 cm Inschrift mit dem Monogramm des Künstlers in einem erhabenen Kreis auf der Oberseite des Sockels: M 97.SA.6 u n d mysteriös, wurde durch die Freundschaften beeinflußt, die M i n n e m i t Poeten des französischen Symbolismus' verband. D i e vorliegende M a r m o r s k u l p t u r zeigt einen d ü n n e n , nackten Jungen m i t weit auseinander gespreitzten Beinen u n d durchgedrückten K n i e n . D e r Jugendliche trägt seinen K ö r p e r zur Schau, er streckt seine Genitalien völlig ungeniert, i n einer scheinbar herausvordernden M a n i e r , nach vorn. D o c h hat er seinen K o p f nach hinten geworfen u n d seine A r m e darüber verschränkt, als ob er sich schämte oder großen Schmerz erlitt. D e r Künstler hat hier durch die Verwendung der umgekehrten Y-Pose ein hieroglyphisches S y m b o l der zweideutigen Sexualität der Jugend geschaffen. Es war außerdem eine wahrhaftige Glanzleistung, eine so d ü n n e Figur m i t so weit gespreitzten Beinen aus M a r m o r z u meißeln. PF EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 125 47 V I N C E N Z O GEMITO Italien (Neapel), 1852-1929 Medusa, 1911 Teilvergoldetes Silber Durchmesser: 23,5 cm Inschrift auf der Vorderseite, in der Mitte unten: 1911, GEMITO 86.SE.528 In vielerlei H i n s i c h t hätte V i n c e n z o Gemitos Leben den Romanen des 19. Jahrhunderts entspringen können. E r war ein F i n d l i n g , der kurz nach seiner G e b u r t v o r der T ü r eines Waisenhauses ausgesetzt worden war. Das K i n d wurde i n der gewohnten M a n i e r als Genito (auf Italienisch der "Eingeborene") registriert, was später durch einen Schreibfehler i n das poetisch passendere Gemito ("lamentieren" oder "klagen") geändert wurde. A l s Gassenkind v o n neun Jahren fand er Arbeit i m Atelier eines Malers. I m Jahre 1868, als er erst sechzehn Jahre alt war, stellte er seine Arbeiten i m Protomotrice d i N a p o l i aus, u n d die Stadt kaufte seine Werke. W ä h r e n d er an zwei wichtigen Staatsaufträgen arbeitete, verfiel G e m i t o i n eine tiefe Depression. E r wurde 1887 i n ein Sanatorium eingeliefert, v o n d e m er sofort Reißaus nahm, u m nach Hause zurückzukehren; dort verbrachte er r u n d zwanzig Jahre v o n der Außenwelt abgeschnitten. U m 1 9 0 9 / 1 0 kehrte er ins "normale" Leben zurück. Bis z u seinem T o d i m Jahre 1929 führte er weiterhin Zeichnungen u n d Skulpturen aus, u n d zwar i n derselben A r t , i n der er schon vor seinem selbsternannten E x i l gearbeitet hatte. Sein W e r k w i r d von einer Suche nach einem formalen, auf hellenistischen Idealen beruhenden Schönheitsbegriff bestimmt u n d weist ein hohes M a ß an Handwerkskunst auf, die sich m i t der v o n Künstlern der Renaissance durchaus messen kann. D i e Medusa der S a m m l u n g Getty ist v o n der bedeutendsten erhaltenen Kamee der A n t i k e , der Tazza Farnese, abgeleitet, die G e m i t o i m M u s e o Archeologico Nazionale i n Neapel besichtigt haben m u ß . E r ü b e r n a h m das schuppige M o t i v der 126 E U R O P Ä I S C H E B I L D H A U E R E I aufgespannten Schlangenhaut, die bei der antiken Kamee lediglich am R a n d erscheint, u n d bildete m i t dieser Oberfläche den gesamte R ü c k e n seiner Skulptur. G e m i t o schuf damit einen neuen Skulptur-Typus, den m a n weder als dekoratives Objekt (wie etwa eine Schüssel oder tazza) m i t skulpturalen Verzierungen, noch als ein traditionelles, flaches M e d a i l l o n m i t auf beiden Seiten gleichmäßig verteilter D e k o r a t i o n bezeichnen konnte. Gemitos Medusa gehört i n eine eigene Kategorie: es ist einem Relief ähnlich, ist aber beidseitig bearbeitet worden; es ist irgendwo zwischen einem M e d a i l l o n u n d einer von allen Seiten zu betrachtenden Vollplastik anzusiedeln. Gemitos Faszination m i t d e m Sujet der M e d u s a ist möglicherweise auf das graphische Potential der Schlangenlinien zurückzuführen. Es ist allerdings auch möglich, diesen wunderbaren, abgetrennten K o p f m i t Schlangenhaaren als ein S y m b o l für Gemitos stetes Bestreben, das S c h ö n e i m Häßlichen z u m Vorschein zu bringen, zu interpretieren. D e m M y t h o s zufolge wurde die einst w u n d e r s c h ö n e M e d u s a v o n Athene i n ein Ungeheuer verwandelt, m i t Schlangen statt Haaren, u n d A u g e n , die M e n s c h e n , die es wagten i n sie h i n e i n zu schauen, sofort z u Stein werden ließen. Sie wurde v o n Perseus geköpft u n d ihr abgetrennter K o p f soll U n h e i l abwenden. G e m i t o fertigte diese A r b e i t z u dem Z e i t p u n k t an, da er aus seiner selbsternannten Zurückgezogenheit hervortrat - er w i r d sich also sicherlich der apotropäischen Eigenschaften der Medusa bewußt gewesen sein, als er sich der Gesellschaft wieder näherte. PF EUROPÄISCHE BILDHAUEREI 127 VERZEICHNIS DER KÜNSTLER Die Zahlenangaben verweisen auf die Seite Alari-Bonacolsi, Pier Jacopo (genannt Antico) 20 Anguier, Michel 67 Robbia, Girolamo della 24 Giambologna, siehe Bologna, Roland, Philippe-Laurent Giovanni Antico,sieheAlari-Bonacolsi, Girardon, Francois 78 Pier Jacopo Aspetti, Tiziano 40 Bernini, Gianlorenzo 52 Bologna, Giovanni (Jean Boulogne, 33, 44 Schardt, Johann Gregor van der 35 Carrier-Belleuse, Albert-Ernest 120 Meit, Conrat 18 Susini, Giovanni Francesco 44, 56 nicht identifizierte Künstler: Cellini, Benvenuto 27 Flandern 70 Chinard, Joseph 106 Italien 30,42 Clodion, siehe Michel, Claude Nollekens, Joseph 97 David d'Angers, Pierre-Jean 111 Opstal, Gerard van 62 Deare, John Ottoni, Lorenzo 81 104 128 V E R Z E I C H N I S D E R K Ü N S T L E R (genannt Soldani) 86-87 Susini, Antonio 44 Minne, George 125 Carpeaux, Jean-Baptiste 119 Schenck, Christoph Daniel 74 Soldani Benzi, Massimiliano Maragliano, Anton Maria 83 Clodion) 99 Canova, Antonio 102 Saly, Jacques-François-Joseph 90 Sansovino, Jacopo (Umkreis von) 29 Michel, Claude (genannt Caffieri, Jean-Jacques 94 Roldan, Luisa (genannt La Roldana) 77 Heiden, Marcus 61 Laurana, Francesco 15 Bouchardon, Edme 88 101 Harwood, Francis 92 Hildebrand, Adolf von 122 Barye, Antoine-Louis 114 genannt Giambologna) Gemito, Vincenzo 126—127 Tacca, Ferdinando 65 Targone, Cesare 38 Verhulst, Rombout 68 Vries, Adriaen de 47, 48 Weekes, Henry 117
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