schwarzbuch leiharbeit
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Schwarzbuch Leiharbeit Schwarzbuch Leiharbeit 2 Impressum Detlef Wetzel / Jörg Weigand Schwarzbuch Leiharbeit Herausgeber / V. i. S. d. P.: IG Metall Vorstand Detlef Wetzel, Zweiter Vorsitzender der IG Metall Wilhelm-Leuschner-Straße 79 60329 Frankfurt am Main Redaktion: Jörg Weigand Michael Faisst Verlag: Eigenverlag 1. Auflage, 2012 Bildnachweis: Fotograf: Stephen Petrat Seite 111: Wikimedia Commons (Attribution: TUBS) Kontakt: leiharbeit@igmetall.de www.gleichearbeit-gleichesgeld.de Frankfurt am Main, im März 2012 Alle Statements und Zitate in diesem Buch sind authentisch. Sie wurden im Rahmen einer Umfrage der IG Metall im November 2011 und über den Onlinefragebogen des Leiharbeitsmelders gesammelt. Namen und Kontaktdaten aller Urheber sind der IG Metall bekannt. Um diese Menschen vor Repressionen bei der Arbeit zu schützen, wurden die Zitate anonymisiert. Aus dem gleichen Grund sind auf den Fotos keine tatsächlich in Leiharbeit Beschäftigten abgebildet. 4 Inhalt Vorwort 6 EINBLICK Leiharbeit heute 10 (K)eine Lebensgrundlage (K)eine Lebensgrundlage: Erfahrungsberichte „Mit Marktwirtschaft hat das wenig zu tun“: Interview 40 Jahre AÜG: eine Geschichte der Deregulierung 20 32 38 (K)eine Übergangslösung (K)eine Übergangslösung: Erfahrungsberichte 44 „Eigentlich gibt es unter den Beschäftigten vier Klassen“: Interview 54 „Der Weg in den Betrieb führt dann nur noch über Leiharbeit“: Interview 60 Moderne Mythen: Leiharbeit als Weg auf den Arbeitsmarkt? 64 Nahaufnahme: Martin, Leiharbeiter 68 (Un)gerechtigkeit (Un)gerechtigkeit: Erfahrungsberichte 76 „Das Label ‚Leiharbeiter‘ haftet an den Menschen“: Interview 86 „Ohne Zweitjob hast du keine Chance“: Stammtischprotokoll 92 Ausblick Was bisher passiert ist: Erfolge der IG Metall „Gleiche Arbeit – Gleiches Geld“ Aktiv für Gerechtigkeit: Ziele der IG Metall Glossar zur Leiharbeit 102 5 106 112 118 6 vorwort Die Beschäftigungszahlen in der Leiharbeit haben ein neues Rekordniveau erreicht. Rund eine Million Menschen arbeiten in diesen prekären Arbeitsverhältnissen. Obwohl sie das gleiche leisten, verdienen sie deutlich weniger als ihre Kollegen in Festanstellung. Sie haben we- ben ihre Situation, ihre Sorgen, Nöte und niger Rechte und wissen oft heute nicht, Ängste über die reine Teilnahme an der wo sie in der nächsten Woche arbeiten. Befragung hinaus zusätzlich beschrieben. Ihre Schilderungen zeigen anschau- Damit ist Leiharbeit das sichtbarste Bei- lich, was Leiharbeit für die Betroffenen spiel für die Verrohung der Sitten auf dem bedeutet, wie sich ungerechte Bezahlung Arbeitsmarkt. Sichere und gut bezahlte und fehlende Perspektiven in allen Le- Arbeitsplätze gibt es für immer weni- bensbereichen auswirken. ger Menschen. Billigjobs und befristete Arbeitsverhältnisse sind auf dem Vor- Schon bei der ersten Sichtung der Ant- marsch, weil Unternehmen und im Fall worten war uns klar, dass wir diese öffent- der Leiharbeit die Verleihbetriebe daran lich machen müssen. In allen Debatten um prächtig verdienen. die Leiharbeit muss die Situation der Menschen in Leiharbeit im Vordergrund stehen. Welche Folgen das für die Menschen hat, bleibt leider viel zu oft im Dunkeln. Die Die in diesem Schwarzbuch geschilderten IG Metall ändert das. Beispiele zeigen die Auswirkungen von Leiharbeit auf die Menschen. So kann es Allein in den letzten vier Jahren haben nicht weitergehen. Arbeit darf nicht zur sich mehr als 40.000 Kolleginnen und Kol- Ramschware verkommen. Menschen sind legen aus der Leiharbeit in der IG Metall mehr als eine Kostenstelle. organisiert. Wir sind mit vielen von ihnen in unterschiedlichen Zusammenhängen Die hier vorgestellten Lebenssituationen im Gespräch. klagen an. Sie sind für uns Ansporn, unsere Anstrengungen unvermindert fort- Bei unserer letzten Leiharbeiterbefragung zuführen. im November 2011 haben sich mehr als 4.000 Leiharbeitnehmer beteiligt. Über 1.000 der Kolleginnen und Kollegen haDetlef Wetzel Zweiter Vorsitzender der IG Metall 7 „Das Problem ist nicht, dass es Leiharbeit gibt, sondern dass sie nicht zum Abpuffern von Produktionsspitzen genutzt wird. Die Unternehmen planen mit Billigarbeitern, um den Gewinn zu maximieren. Wir brauchen wieder die zeitliche Begrenzung! Das würde vieles vereinfachen. Ich bin seit zehn Jahren Leiharbeiter.“ Einblick 10 Rekordbeschäftigung in der Leiharbeit: Nach der Wirtschaftskrise arbeiten erstmals mehr als 900.000 Leiharbeitskräfte in Deutschland 1.000.000 900.000 gung verwehrt. Denn die neue Dynamik des Arbeitsmarktes geht zu Lasten derjenigen, die sich oft als Arbeiter zweiter Klasse fühlen. Die Ungleichheit bleibt bestehen, der Aufschwung kommt nicht bei ihnen an. 800.000 700.000 600.000 500.000 Leiharbeit heute Immer mehr Leiharbeit: 400.000 Entwicklung der letzten Jahre In den letzten Jahren ist die Zahl der Menschen in Leiharbeit in Deutschland stark 300.000 200.000 Die letzte Wirtschaftskrise hat alle Vor- gestiegen. Und auch für die Zukunft wird behalte gegen die Leiharbeit bestätigt. der Branche dynamisches Wachstum vo- Denn es wurde einmal mehr deutlich, wie rausgesagt. Eingesetzt hat der rasante Unternehmen Leiharbeit und befristete Boom mit der gesetzlichen Deregulierung Beschäftigungsverhältnisse nutzen, um der Leiharbeit 2004. Seither hat sich die ihre Gewinne zu maximieren. Die Kehrsei- Zahl der in Leiharbeit Beschäftigten na- te dessen: Flexibilität und Kostenreduktion hezu verdreifacht. Im Januar 2004 gab es auf Unternehmensseite bedeuten für die in Deutschland rund 326.000 Leiharbei- entlassen. Und das, obwohl auch für die Betroffenen vor allem Ungleichheit, Unsi- terinnen und Leiharbeiter. Nach jährlich Leiharbeit Kurzarbeit möglich gewesen Beschäftigung cherheit und Niedriglöhne. Die in Leiharbeit zweistelligen Wachstumsraten wurde im wäre. Dieses Instrument wurde von den Trotz Rekordbeschäftigung und guter Auf- Beschäftigten bekamen die Auswirkungen Juli 2008 mit rund 823.000 Leiharbeitneh- Verleihunternehmen jedoch nahezu gar tragslage setzen Unternehmen auf die der Finanz- und Wirtschaftskrise als erste mern ein vorläufiger Höchststand erreicht. nicht genutzt. Stattdessen wurden Ent- sogenannten atypischen Beschäftigungs- zu spüren. Sie waren die ersten, die ge- Doch dann machten sich die Folgen der lassungen im großen Stil vorgenommen. verhältnisse, statt feste und unbefristete hen mussten. Im Aufschwung schnellten Finanz- und Wirtschaftskrise in der Leihar- Mit der Wirtschaft konsolidierte sich an- Arbeitsplätze auszubauen. Zu den atypi- die Beschäftigtenzahlen in der Leiharbeit beitsbranche bemerkbar. Innerhalb eines schließend auch die Leiharbeitsbranche: schen Beschäftigungsverhältnissen gehö- zwar auch als erste wieder nach oben, doch Jahres wurden nahezu 200.000 Menschen Bereits im Juli 2010 wurden wieder rund ren neben der Leiharbeit auch die befristete 100.000 20 04 20 05 20 06 20 07 20 08 20 09 20 10 20 11 20 12 Quelle: Bundesagentur für Arbeit, IW-Zeitarbeitsindex Langfristiger Trend zu prekärer 824.000 Beschäf tig te Seit den 1990er Jahren nehmen, vor allem im Aufschwung und in Phasen der konjunkturellen Konsolidierung, alle Formen der atypischen Beschäftigung in Deutschland zu. erfasst, im Juli 2011 gab es mit 910.000 Beschäftigten ein neues Rekordhoch. Seither ist diese Derzeit sind mehr Menschen in Deutschland in der Leiharbeit beschäftigt als direkt im Automobilbau, der als Schlüsselindustrie des Landes gilt. Keine andere Branche hat von Juni 2009 bis Juni 2010 so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte dazugewonnen. kaum einer hat die Chance auf einen siche- Zahl nach den Fortschrei- ren, qualifizierten und tariflich entlohnten bungen des Instituts der Arbeitsplatz – so bleibt der versprochene deutschen Wir tschaf t saisonbeding t Aufstieg Leiharbeiterinnen und Leiharbei- leicht zurückgegangen, lag aber auch tern selbst in Zeiten der Rekordbeschäfti- Ende 2011 noch bei mehr als 900.000. 12 Arbeitsplatzaufbau entpuppt sich dadurch Einsatzzeiten abschließen. Dies wirkt sich als Boom prekärer Beschäftigung: Rund auch auf die sozialen Sicherungssysteme drei Viertel der neuen Stellen für abhän- aus, wenn das Ende eines Auftrags beim gig Beschäftigte sind atypisch, mehr als Entleiher den Beschäftigten direkt in die die Hälfte entfällt allein auf die Leiharbeit. Arbeitslosigkeit führt. Für viele Leiharbeite- Die Zahl der Beschäftigten in Leiharbeit rinnen und Leiharbeiter bedeutet das dann wuchs damit deutlich überproportional. Grundsicherung, also Hartz IV. Keine andere Branche konnte 2010 in eiund geringfügige Beschäftigung sowie Teil- nem solchen Umfang zulegen. Bundesweit Zugenommen hat auch die Zahl der Verleih- Die Unsicherheit der Leiharbeit spiegelt zeitstellen mit unter 20 Wochenstunden. lag die Quote der Leiharbeiterinnen und betriebe, die von der Leiharbeit und den sich auch in der hohen Fluktuation wider: Häufig ist die atypische Beschäftigung pre- Leiharbeiter Mitte 2011 bei knapp drei Leiharbeitskräften profitieren. Im Juni 2011 So wurden im ersten Halbjahr 2011 insge- kär, die Betroffenen können von ihrer Arbeit Prozent aller sozialversicherungspflichtig hatten in Deutschland knapp 17.400 Be- samt 580.000 Leiharbeitsverhältnisse neu nicht leben. Zudem sind Teilzeit und Mini- Beschäftigten, vor zehn Jahren noch be- triebe eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen abgeschlossen und 569.000 beendet. Viele job – zu drei Vierteln sind Frauen von die- trug sie lediglich gut ein Prozent. Aufgrund Arbeitnehmerüberlassung. Das waren acht Leiharbeiter waren zuvor arbeitslos, und sen Beschäftigungsformen betroffen – oft der Ankündigungen der Verleihbetriebe ist Prozent mehr als ein Jahr zuvor und fast 40 viele rutschen anschließend auch wieder nicht selbst gewählt, sondern unfreiwillig, davon auszugehen, dass diese atypische Prozent mehr als Ende 2006. Die drei größ- in die Arbeitslosigkeit ab. Wie Berechnun- Beschäftigung weiter zunehmen ten Unternehmen am deutschen Markt wa- gen des Deutschen Gewerkschaftsbundes wird. Im europäischen Vergleich ren auch 2010 die internationalen Konzerne zeigen, war das Risiko Arbeitslosigkeit für ist die Verbreitung der Leiharbeit Randstad, Adecco und die ManpowerGroup Leiharbeitskräfte im Jahr 2010 vier- bis in Deutschland heute bereits mit hierzulande knapp 120.000 Leiharbeits- fünfmal höher als in der Gesamtwirtschaft. leicht überdurchschnittlich. Und kräften und einem Umsatz von 3,5 Milliar- In eine reguläre Festanstellung führt die das Wachstum bei der Leiharbeit den Euro. Allein Randstad Deutschland Leiharbeit hingegen deutlich seltener. Nur könnte weiter anhalten: Nach beschäftigte 2010 mehr als 60.000 Leih- sieben Prozent der vormals Arbeitslosen einer Auswertung der Bundes- arbeiterinnen und Leiharbeiter und damit schaffen diesen Sprung. „Billig einkaufen, teuer verkaufen“: Nach Abzug der Sozialabgaben und Verwaltungskosten verbleiben pro Arbeitsstunde und Leiharbeitskraft rund 50 Cent bei den Verleihfirmen. Beim Verleih von Fachkräften liegt die Gewinnspanne oft sogar bei mehreren Euro pro Person und Stunde. weil der Arbeitgeber den Wechsel auf eine agentur für Arbeit stammte bei den 2010 Vollzeitstelle oder zu mehr Wochenstunden und 2011 dort gemeldeten Stellen rund nicht ermöglicht. Fast die Hälfte der regu- jede Dritte aus der Leiharbeitsbranche. dreimal so viele wie 2003. Leiharbeitskräfte verdienen weniger als Leiharbeit bedeutet unsichere Arbeit Festangestellte, oft so wenig, dass sie trotz lär teilzeitbeschäftigten Frauen und zwei Die Hälfte der Beschäftigungsverhältnis- Vollzeitjob von ihrem Lohn nicht leben kön- Drittel der Minijobberinnen würden gern se in der Leiharbeit sind von kurzer Dau- nen. Sozialversicherungspflichtig Vollzeit- deutlich mehr arbeiten, so eine Umfrage er. 2011 endete fast jeder zweite Vertrag beschäftigte erhielten 2010 im Mittel einen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufs- bereits vor Ablauf der ersten drei Monate, forschung (IAB), der Forschungseinrichtung jeder zehnte dauerte sogar nur maximal der Bundesagentur für Arbeit. eine Woche. 51 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse liefen länger als drei Laut Mikrozensus des Statistischen Bun- Monate. Leiharbeitsunternehmen reichen desamtes geht der gesamtwirtschaftliche ihr Geschäftsrisiko oft direkt an die Ar- Beschäftigungszuwachs 2010 in erster Li- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer wei- nie aufs Konto dieser atypischen Jobs. Der ter, indem sie befristete Verträge für kurze 13 14 monatlichen Bruttolohn von 2.702 Euro. In der Leiharbeit lag dieses Mittel bei 1.419 Euro, also bei gut der Hälfte. Die EinkomLeiharbeitsboom nach der Wirtschaftskrise: 2010 verzeichnete die Arbeitnehmerüberlassung mit mensunterschiede sind unabhängig von einem Plus von 176.000 Beschäftigten den stärksten Zuwachs aller Branchen Qualifikation und Bildungsgrad vorhanden. Veränderung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Branchen in Tausend Mit Fach- oder Hochschulabschluss ver- Juni 2010 im Vergleich zum Vorjahr dienen Leiharbeitnehmer im Schnitt rund 34 Prozent weniger als ihre festangestellten e rb we e sG de fz en t i nK e vo rb r a u r rat rsiVe pa Ve en Re , g nd ng un - u istu t z l ha inan stle on n nd ti F sta von sdie nika n I g . , u r l n e b Er heru omm nd rei c Ha he dK c n s u Fi rion nd at t u asse af t f m a h h or W f c c d s In r ts un ir t wi ie- ngsw rei st r g r e o ne gu ag ,F d, E tsor nd L n u u La gba , En g, hr r g un n Be gun rke idig one e i r e V t t er sa rso , V ni ve e ng Orga halt u us alt xt. a w e H r Ve si., vate e i he er rb pr lt ic z.-v , we n e n o e g fe S st g Öf tun t Ga ch eis l t r ri s e n t n ie t. D dU ns un be g er So un ew h g e u zi Ba nstEr e Ü Di AN he ne c i h l ft o n ha en se sc ng we ir t istu ial W le z o Ü) dS un AN s g( t i n he su nd las su er e b G rü me eh n t i be Ar Kollegen mit gleichem Bildungsabschluss. –113 Unter Beschäftigten mit Berufsausbildung –19 beträgt der Unterschied 44 Prozent, ohne sich zudem bei der Kaufkraft und den ge- –5 Berufsausbildung bekommt man als Leih- ringeren Beiträgen zu den Sozialkassen arbeiter sogar 46 Prozent weniger. bemerkbar, Kranken- und Pflegeversiche- –4 rung, Arbeitslosenversicherung und RenSo ist das Verarmungsrisiko besonders tenversicherung sind davon betroffen. Und hoch. Rund elf Prozent der Leiharbeitneh- auch langfristig haben die niedrigen Löhne mer mussten zuletzt „aufstocken“ und schwerwiegende Folgen: Die Leiharbeiter staatliche Transferleistungen beziehen. von heute werden aufgrund ihrer geringen Die Stellen werden damit indirekt sub- Rentenansprüche in Zukunft vermehrt von 12 ventioniert – auf Kosten der Steuerzahler, Altersarmut betroffen sein. 13 zugunsten der Unternehmer und zu Las- 2 2 8 18 ten der Leiharbeiter mit ihren niedrigen Der Boom der Leiharbeit ist in Deutschland Einkommen. Die niedrigen Löhne machen ungebremst. Sie schafft für die Betroffenen weder eine verlässliche Lebensgrundlage 25 noch Perspektiven und Gerechtigkeit. Im 33 Gegenteil: Durch die massive Ungleich- 65 heit unterläuft die Leiharbeit Lohn- und Sozialstandards, verdrängt qualifizierte, 15 118 gesicherte und tariflich entlohnte Arbeits- 176 plätze und spaltet die Beschäftigten so in Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse. Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Beschäftigungsstatistik 16 Stellungnahmen Was Beschäftigte in Leiharbeit der IG Metall aus ihrem Arbeitsalltag berichtet haben – und was sie über die mangelnde Gleichbehandlung denken:* „Ich bin Staplerfahrerin, und ich fahre draußen. Bis jetzt habe ich von meiner Firma noch keine Wintersachen gekriegt, keine warme Jacke oder Winterarbeitsschuhe. Seit September habe ich an sieben Samstagen gearbeitet, obwohl ich zwei Kinder im Grundschulalter und Familie habe. Aber als Leiharbeiter konnte ich nicht ‚Nein‘ sagen, oder besser: Ich konnte mir ein ,Nein‘ nicht leisten.“ „Ich habe Angst, Angst, Angst, nach einer Stundenlohnerhöhung zu fragen. Jeder weiß, dass es ungerecht ist, für die gleiche Arbeit weniger Lohn zu bekommen. Ich bin in Not, habe finanzielle Probleme, ich schlafe nicht, keiner kann mir helfen, der Lohn reicht nicht mehr, weil ich Leiharbeiter bin. Schuften bis zum Umfallen ...“ „Ich finde, dass man nicht nur einen Lohnzuschlag bekommen sollte, sondern erstmal einen höheren Grundlohn, weil überhaupt keiner mehr von den derzeitigen Löhnen leben kann, und das ist eine Frechheit!“ „Leiharbeit ist Lohndumping. Aussage meiner Leiharbeitsfirma: ‚Wir produzieren nicht, wir handeln.‘ Sie handeln mit meiner Arbeitskraft und verdienen pro Leiharbeiter pro Stunde zwischen zwei und drei Euro.“ „In der Firma, in der ich eingesetzt bin, arbeite ich seit sechs Jahren. In dieser Zeit ist weder der Lohn gestiegen, noch haben sich die Arbeitsbedingungen verbessert. Im Gegenteil: immer mehr Arbeit für das gleiche Geld. Ca. 80 Prozent der Beschäftigten in der Einsatzfirma sind Leiharbeiter.“ „Ich arbeite schon seit mehreren Jahren in Leihfirmen. Mein Arbeitskollege, der die gleiche Arbeit tätigt wie ich, verdient fast 2.200 Euro, ich verdiene nur sehr wenig, nämlich unter 900 Euro, und die Fahrtkosten etc. bezahle ich auch selbst. Die Leiharbeiter sind meiner Meinung nach moderne Sklaven.“ * D ie Stellungnahmen wurden im Rahmen einer Erhebung der IG Metall zusammengetragen. Dafür wurde im November 2011 eine Auswahl der Mitglieder in Leiharbeit angeschrieben und zu ihrer Beschäftigungssituation befragt. Die Antworten beschreiben skandalöse Zustände – hier einige anonymisierte Beiträge, ausgewählt aus den mehr als 1.000 Erfahrungsberichten. Namen und Kontaktdaten sind der IG Metall bekannt. Zum Schutz der Befragten bleiben die Zitate anonym. „Fast jeder wird als Helfer verliehen, obwohl er hochwertige Arbeit verrichtet, für die man mindestens drei Jahre lernen muss. Selbst als gelernter KfzMechaniker sollte ich zum Helferlohn in einer Werkstatt arbeiten.“ „E s wäre richtig, dass Leiharbeiter den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit bekommen und bei der Prämienverteilung mit berücksichtigt werden, denn ohne uns Leiharbeiter würde es gar nicht zur Prämienausschüt tung kommen. Ich wollte nie Leiharbeiter sein, doch heutzutage ist es ohne Leiharbeitsfirma doch kaum möglich, zu arbeiten.“ „Deutschland klagt über Fachkräftemangel. Hä? Viele Leute sind überqualifiziert, aber was haben sie davon? Nichts – außer dass man ZweiteKlasse-Leiharbeiter wird. Ich bin 21 Jahre alt, habe in nur drei Jahren zwei Ausbildungen als Maschinen- und Anlagenführer und als Industriemechaniker abgeschlossen. Und wo bin ich gelandet? Genau, in der Leiharbeit. So habe ich mir den Weg in die Berufswelt nicht vorgestellt! Ich erwarte mehr Aufmerksamkeit der Politik! Ich fahre zwei Früh-, zwei Spät- und zwei Nachtschichten, um die entsprechende Entlohnung für meine qualifizierte Arbeit zu erhalten.“ „In einem Arbeitsverhältnis mit Leiharbeit hat man ständig Angst um den Job. Einige schleppen sich krank zur Arbeit, um nicht rausgeworfen zu werden. Ein Kollege brach sich bei einem Arbeitsunfall den Finger, hat sich aber nicht getraut, auch nur einen Tag zuhause zu bleiben. Seine Krankmeldung hat er weggeworfen, aus Angst, gekündigt zu werden. Und falls eine Krise kommt, sitzen die Leiharbeiter sowieso von einem Tag auf den nächsten allesamt auf der Straße. Dieser neuzeitliche Sklavenhandel sollte verboten werden, denn mit Leiharbeit wird alles untergraben, wofür Generationen von Arbeitnehmern gekämpft haben.“ „Ich arbeite seit einem Jahr über einen Verleiher in der Industrie reinigung. Bin ehrlich gesagt mit der Bezahlung sehr unzufrieden. Mein Stundenlohn beträgt 7,70 Euro brutto. Da muss sich etwas ändern, sonst ist die Versorgung meiner Familie in Gefahr. Manche Leiharbeiter anderer Leihfirmen bekommen mehr Lohn für dieselbe Arbeit. Da frage ich mich, wieso nicht alle Leiharbeiter denselben Lohn verdienen, wenn alle gleich arbeiten?“ 17 „Ich bekomme eine Leistungszulage, die der Betriebsrat beim Einsatzbetrieb durchgesetzt hat. Damit komme ich als Leihgurke noch ganz gut weg. Trotzdem sind es 500 bis 1.000 Euro, die der feste Mitarbeiter mehr verdient.“ (K)eine Lebensgrundlage (K)eine 20 Zulagen, wie extra berechneten Fahrtkosten oder Verpflegungszuschuss, bleiben Die Fakten oft intransparent, und immer wieder fliegen Betrügereien einiger Verleiher bei den Der durchschnittliche Stundenlohn in der Leiharbeit ist deutlich niedriger als Abrechnungen auf. in der Festanstellung. Festangestellte in der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen bekommen nach dem Metalltarif inklusive der durchschnittlichen (K)eine Lebensgrundlage Hinter diesen Fakten stehen Menschen mit Leistungszulage in Höhe von zehn Prozent monatlich 2.178,70 Euro brutto. Für ihren Schicksalen. Die IG Metall hat sie zu die gleiche Tätigkeit erhalten Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter nach dem für sie Wort kommen lassen und gebeten, ihre Er- gültigen BZA/iGZ-Tarif in Entgeltgruppe II einen Monatslohn von 1.293,75 Euro, fahrungen zu schildern. Schon zahlreiche sie verdienen also 40 Prozent weniger. Noch größer ist die Lücke in Sachsen – dort Wer arbeitet, muss von seinem Lohn leben Betroffene haben auf dem Kampagnen- bekommen Leiharbeiter einen um 48 Prozent geringeren Monatslohn als Festange- können. Doch in der Leiharbeit funktioniert portal www.gleichearbeit-gleichesgeld.de stellte nach dem Metalltarif. Viele Unternehmen schaffen sich dadurch ein zweites, das oft nicht. Denn Menschen in Leiharbeit davon berichtet, was Leiharbeit für sie be- niedrigeres Entlohnungsniveau. bekommen für die gleiche Arbeit weniger deutet und wie unwürdig sie in manchen Geld, oft zu wenig, um sich davon eine Le- Verleihunternehmen und Einsatzbetrie- bensgrundlage zu schaffen. Dazu kommt, ben behandelt werden. Sie beschreiben, dass viele nicht in die Entgeltgruppe einge- wie schwer es ist, sich auf der Basis von stuft werden, die ihrer Ausbildung und Er- Leiharbeit eine Existenz aufzubauen und welche finanziellen Ungerech- „In der Metallbaubranche verfüge ich zwar über einen Facharbeiterbrief, der auch vorliegt, und in meiner jetzigen Tätigkeit habe ich neun Jahre gearbeitet. Aber entlohnt werde ich wie eine Anlernkraft!“ tigkeiten sie im Arbeitsalltag erleben. Die vollen Namen und Adressen aller Betroffenen sind der IG Metall bekannt. In der Vergangenheit wurden Leihar- fahrung oder ihrer Tätigkeit entspricht. Sie beiterinnen und Leiharbeiter, die Diskri- werden als Facharbeiter eingesetzt, aber minierungen am Arbeitsplatz offengelegt wie Hilfskräfte bezahlt. Und auch bei den haben, jedoch bedroht und entlassen. Um Zuschlägen geht es oft nicht fair zu. Ein Bei- sie zu schützen, wurden die Namen aller spiel: Obwohl die Nachtschicht zur festen Befragten geändert und die Angaben an- Zeit beginnt und alle Seite an Seite arbei- onymisiert. ten, bekommen die Stammbelegschaften den Nachtzuschlag in fast allen Tarifgebieten ab 20 Uhr, die Leiharbeitnehmer bekommen ihn hingegen erst ab 23 Uhr. Die monatlichen Abrechnungen mit einem niedrigem Grundlohn und verschiedenen Zu vielen Leiharbeitern reicht das Geld nicht zum Leben. In kaum einer anderen Branche muss ein so hoher Anteil an Arbeitnehmern ergänzend staatliche Leistungen beantragen. Zuletzt war dies bei elf Prozent der Leiharbeiter der Fall – inklusive Beschäftigten ohne Einkommen aus Erwerbsarbeit, die etwa Krankengeld beziehen oder bereits angemeldet sind, aber erst am Ende eines Monats ihren Lohn bekommen. Der Anteil der Aufstocker in der Leiharbeit liegt bei sieben Prozent, wenn man nur diejenigen betrachtet, die parallel ein Gehalt bekommen. Aber auch dieser Wert ist deutlich überdurchschnittlich: Über alle Branchen gerechnet mussten im Juni 2011 2,5 Prozent der Beschäftigten aufstocken. Die Staatskassen und damit den Steuerzahler kostet allein das Aufstocken der Löhne in der Leiharbeit jährlich rund 500 Millionen Euro. Verlieren Leiharbeiter ihren Job, fallen sie hart. 14 Prozent der Menschen, die arbeitslos werden, waren vorher in der Leiharbeit beschäftigt – dabei beträgt der Anteil der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter an der Gruppe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten kaum drei Prozent. Wegen niedriger Löhne und der oft nur kurzfristigen Beschäftigungszeit besteht bei vielen gar kein oder ein zu niedriger Anspruch auf Arbeitslosengeld. So bleibt nur die Grundsicherung nach Hartz IV. Jeder Dritte, der von einem Beschäftigungsverhältnis direkt in die Grundsicherung abrutscht, war zuvor Leiharbeitnehmer. 22 ihren Sitz in Fulda in Hessen hat. Denn in Bruttolöhne in der Leiharbeit: Beschäftigte in Ostdeutschland verdienen 15 Prozent den alten Bundesländern sind die Löhne weniger als ihre Kollegen im Westen 6,15 Euro pro Stunde auch in der Leiharbeit noch immer höher. Mittleres Bruttoarbeitsentgelt in der Leiharbeit Michael, gelernter Schreiner aus Thüringen, So arbeitet Michael nun für eine hessische Stand: 31.12.2010 arbeitet als Leiharbeiter. „Mit 47 Jahren ge- Firma, die Textilmaschinen herstellt. „Hier hört man in Thüringen schon fast zum alten bekomme ich 9,50 Euro pro Stunde und Eisen“, sagt er. „Alle Bewerbungen, die ich 0,50 Euro pro Stunde Zuschlag. Ich bekomu br versendet habe, wurden negativ beantwor- me auch Schichtzuschläge, wöchentliches tet.“ Die Agentur für Arbeit forderte ihn auf, Fahrtgeld und Essensgeld.“ Zwar verdient Os sich bei Leihfirmen in Weimar und Erfurt Michael nun rund 50 Prozent mehr, als er in es W vorzustellen. „Diese Firmen wollten mich Weimar oder Erfurt bekommen hätte. Doch dann genau da arbeiten lassen, wo ich vor- gerecht ist sein Lohn trotzdem nicht: Denn her auf meine Bewerbungen nur Absagen er hat am Monatsende nicht das Gleiche in bekommen habe. Die Stundenlöhne waren der Tasche wie die festangestellten Kolle- der Hohn: ab 6,15 Euro bis knapp 7 Euro.“ gen. „Wer gute Arbeitskräfte braucht und Ein Bekannter empfahl ihm, sich bei einer will, muss auch bereit sein, faire Löhne zu Leiharbeitsfirma in Erfurt zu bewerben, die zahlen“, findet Michael. t t to r tb ut to 1.255 Euro 1.483 Euro Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Entgeltstatistik Nach Abzügen: Hartz-IV-Satz Ausgebildeter Hilfsarbeiter Ulrike geht es ähnlich. Die gelernte Büro- Auch Mario hat eine erfolglose Stellensu- kauffrau kam nach der Familienphase nur che hinter sich. Nach seiner Ausbildung Gleiche Arbeit, weniger Geld: Die Bruttolöhne in der Leiharbeit sind deutlich niedriger über Leiharbeit als Produktionshelferin un- fand der gelernte Metallbauer, Fachrich- als in der Beschäftigung insgesamt ter. Das ist doppelt ungerecht. Durch den tung Konstruktionstechnik, zunächst Mittleres Bruttoarbeitsentgelt insgesamt und in der Leiharbeit Einsatz, der nicht ihrer Ausbildung und ih- keine feste Anstellung: „Entsprechende Stand: 31.12.2010 ren Kenntnissen entspricht, wird ihre Quali- Metallbaufirmen verlangten zumeist qua- fikation entwertet, zudem wird sie deutlich lifizierende Schweißerpässe und einen 2.702 Euro schlechter bezahlt. Von ihrem Stundenlohn LKW-Führerschein. Das sind aber Qua- 1.419 Euro von 7,60 Euro kann Ulrike kaum leben. Sie lifikationen, die man in der Ausbildung 4.613 Euro hat das Gefühl, „verheizt“ zu werden. „Ich überhaupt nicht bekommt.“ Dabei sind 3.064 Euro bin geschieden und habe am Ende des Mo- Marios Erwartungen an einen Arbeitge- t m sa e g Ins ch s Ho lus d n ch - u bs ch ula a F ch s g un ild b us sa uf r e g it B un M ld i b us fsa u er ng eB nu h n rd öglic Oh o Zu m ine e K nats trotz einer Vollzeitstelle nur 900 Euro. ber bescheiden – er hofft noch immer auf 2.750 Euro Die Jobs bedürfen einer Einarbeitungszeit „eine gerechte Bezahlung und vorschrifts- 1.528 Euro von etwa zwei Wochen. Danach werde ich mäßige Arbeitsbedingungen“. 2.331 Euro eingesetzt wie eine Festangestellte, verdie- 1.253 Euro ne aber nur die Hälfte. Sonderzahlungen sind auch nicht drin. Zurzeit beträgt meine 1.956 Euro Miete 500 Euro, dazu kommen Strom- und 1.454 Euro Telefonkosten sowie das Geld für die FahrQuelle: Bundesagentur für Arbeit, Entgeltstatistik karte. Was mir dann noch bleibt, entspricht dem Hartz-IV-Satz.“ 23 24 Drei Euro weniger pro Stunde 2011 mussten mehr als 91.000 Leiharbeitskräfte zusätzlich Hartz IV beziehen Auch der 50-jährige Jürgen wurde von Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Leiharbeit mit ergänzendem Hartz-IV-Bezug seiner Verleihfirma nur als Hilfsarbeiter eingestellt. Seiner Erfahrung nach hat das oft Methode: „Wenn man eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bekommt und zu der Leiharbeitsfirma hinfährt, ist die Stelle zufällig schon vergeben und man West West bekommt eine Alternative vorgeschlagen. 39.852 Das sind dann diese Stellen, bei denen die West 66.160 64.286 persönlichen Kriterien häufig nicht mehr passen.“ So wurde Jürgen von seiner LeihDoch die Realität sieht für ihn bisher an- arbeitsfirma nicht als Facharbeiter, sondern ders aus. Nach langer Suche landete der als Helfer eingestuft. Die Folgen sieht er 26-Jährige nun resigniert in der Leiharbeit. jeden Monat auf seiner Lohnabrechnung: Trotz seiner abgeschlossenen Ausbildung „Statt eines Stundenlohns von 10,50 Euro wurde er als Hilfsarbeiter für 6,50 Euro bekommt man dann nur 7,60 Euro bezahlt.“ Stundenlohn eingestellt, verliehen wird Nachtschichtarbeit wird vorausgesetzt, die er aber entsprechend seiner Qualifikation Zuschläge werden ihm aber nicht gezahlt. – als Facharbeiter. Sein Fazit: „So spart die Ähnlich sieht es beim Fahrtgeld aus, das Leiharbeitsfirma beim Arbeitnehmer und Leiharbeitern zusteht: „Das wird nicht frei- Keine Würde mehr Dehnbare Eingruppierungen verdient mehr beim Kunden.“ willig ausgehändigt.“ Trotz Qualifikation und Erfahrung als Nied- Peter, ausgebildeter Textilreiniger, zuvor riglöhner zu arbeiten – solche Erlebnisse über 17 Jahre immer in derselben Firma sind in der Leiharbeit kein Einzelschicksal. beschäftigt, geht es ähnlich. Auch er fühlt BZ M ni Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Erwerbstätige ALG-II-Bezieher niedriger als die der Festangestellten Ungerechtigkeit beim Lohn. „Die Qualifi- dig, als skandalös: „Jobs in Deutschland Tarifliches Monatseinkommen, bezogen auf Entgeltgruppe II kationen und Berufserfahrungen interes- zu schaffen, ist sehr lobenswert. Das darf sieren nicht wirklich, sondern werden von aber nicht auf dem Rücken der Leiharbei- den Firmen in ihrem Sinne ausgelegt, also ter passieren“, findet er. „Arbeit sollte uns meist geringer eingestuft.“ René will das nicht in die Armut treiben! Ich habe mein nicht länger hinnehmen. „Als Leiharbeiter Gesicht verloren und sehe mich in der Ge- hat man keine Würde mehr. Trotz sehr gu- sellschaft hinter den Hartz-IV-Beziehern.“ ter Arbeitsleistung, stetigem Einsatz, der Dass sein Lohn so niedrig ist, empfindet er Übernahme von Verantwortung sowie dem als Kalkül: „Die Eingruppierungen in Lohn- Fahren hochwertiger Hebefahrzeuge wur- gruppen bei den Leiharbeitsfirmen sind de eine Lohnerhöhung abgelehnt.“ Er geht dehnbar wie Kaugummi. Ich kenne fast jetzt auf Konfrontationskurs, damit sich niemanden, der über die Lohng ruppe II seine Situation endlich verbessert. hinauskommt.“ 2.181,96 Euro 2 E + Ju Leiharbeit 2 M + E: Metall- und Elektroindustrie NRW (West) und Sachsen (Ost). inklusive durchschnittlicher Leistungszulage von zehn Prozent. 1 Quelle: IG Metall Ost 26.986 in der Leiharbeit beschreibt er als unwür- Ost Z ni 11 20 sich ungerecht behandelt, die Verhältnisse 1.131,46 Euro IG A/ Ju 26.149 Klasse“ behandelt. Ein Grund dafür: die 2.178,70 Euro 1 n Ost 10 20 René fühlt sich sogar als „Mensch dritter 1.293,75 Euro Z /IG A 2 BZ E + M Ju 17.648 Auch in der Metallindustrie: Bruttolöhne der Leiharbeiter sind deutlich West 1 Ost 9 00 i2 26 und bekomme dennoch nur 35 Stunden Aus der Innenperspektive Dreifach getrickst bezahlt.“ Dieser Umgang mit Überstunden Dieser Umgang mit Arbeitszeitkonten hat Die Leiharbeitsfirma versuchte dann mit ei- hat Methode. Viele Leiharbeiterinnen und System. Das bestätigt Jana, die nach ihrem nem dritten Trick, um die Weiterbezahlung Leiharbeiter leisten regelmäßig Mehrar- Studium kurzzeitig als Personaldisponentin herumzukommen, wie Jana beschreibt: Die meisten Leiharbeitnehmer werden in beit, die nie bezahlt wird. Stattdessen arbeitete und den Umgang der Leiharbeits- „Kurz vor dem Abrechnungstermin hat Lohngruppe I eingestuft, die Hilfs- und gehen die Stunden auf ein Arbeitszeit- firmen mit ihren Angestellten dadurch aus meine Vorgesetzte einen fiktiven Brief ge- Helfertätigkeiten entspricht. Dabei ha- konto und werden mit Nichteinsatzzeiten nächster Nähe kennenlernte – mit all sei- schrieben. Der Mann sei nicht zur Arbeit ben mehr als die Hälfte eine Berufsaus- verrechnet. Das ist zwar verboten, aber nen Ungerechtigkeiten. So sollte sie einen gekommen und hätte sich nicht gemeldet, bildung oder einen Fach- oder Hochschul- gängige Praxis. Selbst bei Krankheit wird Arbeitsvertrag in der Probezeit kündigen. daher gebe es auch kein Geld. Der Brief abschluss. das Konto geplündert: „Dann greift gerne Das war aber nicht das Problem. „Ich soll- wurde als Kopie in die Akte geheftet.“ Dem mal die Lohnfortzahlung im Krankheits- te den Arbeitnehmer auch zu der schriftli- Betroffenen selbst wurde der Brief jedoch Nicht zulässig, aber Praxis fall nicht, sondern die Ausfallzeit wird aus chen Aussage drängen, dass er unbezahl- nie vorgelegt. Jana kann noch weitere, Lohngruppe I, das bedeutet nach dem dem Arbeitszeitkonto beglichen, mal mit ten Urlaub für die Zeit der Kündigungsfrist ähnliche Erfahrungen schildern. So hat BZA/DGB-Tarifvertrag seit dem 1.11.2011 einer zusätzlichen Ausgleichszahlung von nimmt.“ Hintergrund: Die Leiharbeitsfirma sie auch erlebt, dass in den Betriebsferien ein Einstiegsgehalt von 7,89 Euro (West) 30 bis 40 Euro pro Tag, gerne auch mal hatte für den Zeitraum der Kündigungsfrist der großen Unternehmen diejenigen, die bzw. 7,01 Euro (Ost). Ziemlich wenig dafür, ohne“, schildert ein 58-jähriger Metall- keinen Entleihbetrieb gefunden und damit nicht genügend Urlaubs- oder Plusstunden sich eine Lebensgrundlage zu schaffen, facharbeiter seine Erfahrungen. „Ich muss keine Einsatzmöglichkeit für den Mann. angesammelt hatten, unbezahlten Urlaub insbesondere, wenn bei der Stundenab- Überstunden machen, um im Krankheits- „Das Problem damit ist von oben vorgege- nehmen mussten. „Ich finde es unglaub- rechnung so getrickst wird, wie Peter es fall weiterhin mein Geld zu bekommen.“ ben: Die einzelnen Filialen stehen im Wett- lich, wie hier das unternehmerische Risiko erlebt: „Teilweise arbeite ich in Entleih- bewerb zueinander. betrieben über 50 Stunden in der Woche Sogenannte Wartezeiten, das heißt Tage, an denen ein Leiharbeiter „Beim Kauf von werksinternen Lebensmitteln wird von uns Leiharbeitern mehr verlangt als von Stammbeschäftigten. Ist die Regelung Ihrer Ansicht nach gerechtfertigt?“ Viele Leiharbeiter stocken auf nicht eingesetzt wer- Auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind von allen Beschäftigten in den Branchen … den kann, an denen er unproduktiv ist und auf die Leiharbeitnehmer abgewälzt wird. trotzdem nach Tarifvertrag bezahlt wird, Sie verdienen ja sowieso schon recht we- verschlechtern aber die jeweilige Position nig, während die Firmen höchst profitabel der einzelnen Filiale. Und von den Regional- arbeiten.“ Jana wünscht sich daher, dass und Bezirksleitungen wird großer Druck auf dieser Punkt, das Thema aufgezwungener, die Niederlassungsleitungen ausgeübt.“ unbezahlter Urlaub, in der öffentlichen Dis- Druck bekam auch Jana zu spüren, als sie kussion eine größere Rolle spielt. „Damit sich weigerte, den Arbeitnehmer zur Un- auch die einfachen Arbeiter ihre Rechte terschrift zu zwingen. „Ich sollte ihm des- kennenlernen und sich gegen diese unlau- halb raten, sich krankzumelden. Dabei ist tere Praxis wehren können.“ 14 % i Re ni g g un s Le s Ga e di i tg ns r ha e te be r we 11,2 % it be n, ge lte n tu a is sh tle H au s ft en te Di i v a ha e i c e r s er rt tig p w i is ch ns t o F s rs Fo und -, d n La 8,5 % 4,7 % das nichts weiter als eine Abwälzung der 3,3 % Kosten auf die Solidargemeinschaft der 2,5 % in der Gesamtwirtschaft Krankenversicherten! Der Arbeitnehmer konnte aber die 10 Euro Praxisgebühr nicht Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Erwerbstätige ALG-II-Bezieher aufbringen.“ 27 28 unterstützte ausbeuterei Lohnungerechtigkeiten spürt auch Birgit. Die 45-Jährige ist alleinerziehend, dreifache Mutter, hat einen Hochschulabschluss in Betriebswirtschaft und ist nun als Produktionshelferin beschäftigt. „Nach einjähriger Arbeitslosigkeit hatte ich die Wahl, entweder Hartz IV zu beziehen oder einen Leiharbeiterjob anzunehmen. Ich verrichte die gleiche Arbeit wie meine Kollegen im Schichtdienst, erhalte aber weder den gleichen Lohn noch eine Schichtzu- Karsten wehrt sich lage.“ Für Birgit bedeutet das, dass sie von Karsten ist kaufmännischer Angestellter. ihrem Job nicht leben kann und der Lohn Nachdem er mit 52 Jahren seinen Job ver- für den Lebensunterhalt nicht ausreicht. loren hat, arbeitet er nun als Monteur bei Sie wünscht sich daher mehr Respekt für einem Traktorenhersteller und hat das ihre Arbeit: „Es darf nicht sein, dass ich Gefühl, dass es bei der Abrechnung nicht trotz Vollzeitjob noch ergänzende Sozial- immer fair zugeht. Ihm wird der Akkordzu- leistungen in Anspruch nehmen muss.“ Die schlag nicht voll ausgezahlt. „Dieser Ak- indirekte staatliche Subventionierung kordzuschlag ergibt sich aus der von mir lässt sie nur noch mit dem Kopf schütteln: eingegangenen Verpflichtung, 135 Prozent „Warum unterstützt der Staat eine solche zu leisten. Da Akkordlohn im Tarifvertrag Ausbeuterei, indem er noch ergänzende nicht geregelt ist, müsste hier doch Equal Sozialleistungen für Arbeitnehmer zahlt, Pay wirksam werden“, sagt er. Momentan damit die nicht unter das Existenzmini- zahlt der Entleihbetrieb zwar Karstens vol- mum fallen?“ len Zuschlag an die Leiharbeitsfirma. „Al- „Ich möchte eine Festanstellung oder den gleichen Lohn wie die Festangestellten. Ich mache ja auch die gleiche Arbeit.“ lerdings erhalte ich von denen nur einen Teil des Zuschlags als freiwillige Leistung zurück. Mein eigentlicher Akkordzuschlag beträgt 2,95 Euro. Ausgezahlt bekomme ich aber nur 1,26 Euro.“ Angesichts dieses Abzugs von fast 60 Prozent stellt er verärgert fest: „Das Geld kann doch nicht so einfach einbehalten werden!“ Deshalb hat sich Karsten an seine Leiharbeitsfirma gewandt und das Ganze reklamiert. Bisher noch ohne Erfolg. 29 30 Stellungnahmen Was Beschäftigte in Leiharbeit der IG Metall zum Thema Lebensgrundlage berichtet haben – „7,72 Euro sind das, was man zurzeit bei einer Leiharbeitsfirma bekommt. Auch wenn man in seinem Beruf eingesetzt wird. Das sind gerade mal 1.235,20 Euro brutto bei 160 Stunden. Das ist erbärmlich. Das sind dann ca. 1.000 Euro netto. Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig.“ und was sie über die ungerechte Bezahlung denken:* „Im Betrieb mache und kann ich alles, was mir aufgetragen wird. Ich habe auch schon Vorarbeiterposten übernommen, teilweise werde ich sogar namentlich angefordert. Und trotzdem bekomme ich nicht mehr bzw. das, was die anderen in dieser Position bekommen! Für 100 Prozent Leistung möchte ich auch 100 Prozent Entlohnung! Ist das zu viel verlangt?“ „Ich bekomme 7,79 Euro und nur den Nachtzuschlag. Aber erst seit der christliche Tarif abgeschafft wurde, zahlen die nach BZA. Außerdem habe ich eine Mindestarbeitszeit von 35 Stunden in der Woche, arbeite aber immer 7,75 Stunden am Tag. Im Urlaub oder bei einem Feiertag steckt sich die Firma also eine Stunde in die Tasche. Das finde ich unfair!“ „D a werden Schlupflöcher gesucht, zum Beispiel: Man ist nur Facharbeiter, aber kein qualifizierter Facharbeiter, und bekommt deshalb nur eine niedrige Lohngruppe. Man redet alles mit Prämien schön, die aber nicht sicher sind. Statt monatlich 140 Stunden muss man auf einmal 156,6 Stunden arbeiten, damit man ohne Prämie so viel wie vorher verdient.“ „Ich habe zwei Berufe gelernt. Am meisten ärgert es mich, dass ich für die gleiche Arbeit deutlich weniger Lohn bekomme als meine Kollegen. Außerdem werden Zuschläge nicht gleich gehandhabt. Die bekommen zum Beispiel ab 20 Uhr Nachtschichtzuschlag, ich erst ab 23 Uhr. Wir müssen deutlich flexibler sein und immer damit rechnen, dass wir wieder arbeitslos werden oder woanders hinmüssen. Allein schon deswegen müssten Zeitarbeiter mehr Geld am Ende des Monats bekommen als bisher.“ „Volles Entgelt gibt es nur bei voller Arbeitsleistung. Bei Krankheit, Urlaub, Feiertag und Überstundenabbau durch Freischicht fällt die Zulage weg. Soll heißen, dass mich eine vierwöchige Krankheit in ein finanzielles Desaster schickt! In Zahlen: Ich würde ein Minus von ca. 600 Euro netto verbuchen!“ * D ie Stellungnahmen wurden im Rahmen einer Erhebung der IG Metall zusammengetragen. Dafür wurde im November 2011 eine Auswahl der Mitglieder in Leiharbeit angeschrieben und zu ihrer Beschäftigungssituation befragt. Die Antworten beschreiben skandalöse Zustände – hier einige anonymisierte Beiträge, ausgewählt aus den mehr als 1.000 Erfahrungsberichten. Namen und Kontaktdaten sind der IG Metall bekannt. Zum Schutz der Befragten bleiben die Zitate anonym. „Ich hoffe sehr, dass es uns Leiharbeitern bald besser geht, dass man vom Lohn einigermaßen leben kann, dass die Bettelei beim Amt aufhört. Gerade Alleinerziehende haben es schwer. Dass man was für die Rente hat und dass die Frauenarmut nicht noch schlimmer wird.“ „M ein jetziger Einsatzbetrieb ist nicht schlecht. Aber was hilft mir die etwas bessere Bezahlung, wenn ich im Krankheitsfall oder im Urlaub nur die geringe Bezahlung meiner Leiharbeitsfirma bekomme? Das sind bei zwei Wochen Ausfall rund 300 Euro. Das ist dann nicht aufzufangen. Daran sollte man was ändern.“ „D as Geld müsste eben stimmen! Denn so, wie es jetzt ist, kann man keine Familie ernähren, noch nicht einmal mit gutem Gewissen gründen. Ich habe in einem Betrieb gearbeitet, der durch unseren Einsatz und trotz Verringerung des Personals die Produktion steigern konnte. Dann kam der Vulkanausbruch, die Flugzeuge flogen nicht mehr, und nach und nach wurden alle entlassen. Als wieder alles lief, wurden neue Leute eingestellt, sie mussten angelernt werden. Nur dass ich diesmal einer war, der anlernen musste, ohne auch nur einen Pfennig mehr zu bekommen. Die firmeneigenen Leute bekamen 10,50 Euro die Stunde, sie ließen uns die Arbeit machen und die Wochenenden übernehmen, bei gerade mal 7,58 Euro. Wissen die eigentlich, was da übrig bleibt bei Steuerklasse 5?“ „Ich arbeite seit Februar 2011 über eine Leiharbeitsfirma bei einem Autobauer, und es ist die reinste Abzocke. Ich bekomme gerade mal 1.500 bis 1.600 Euro als Leiharbeiter, trotz monatlicher Überstunden. Echt traurig, denn so verliert man die Motivation.“ „Ich erhalte Tariflohn plus eine außertarifliche Zulage. Bei Eintritt in die Firma waren das 9,52 Euro Tariflohn plus 1,48 Euro ATZ, gleich 11 Euro. Seit dem 1.5.11 erhalte ich 9,84 Euro Tariflohn plus 1,16 Euro ATZ, gleich 11 Euro. Wo ist bitteschön meine Lohnerhöhung geblieben?“ „Mit Marktwirtschaft hat das wenig zu tun“ Foto: Privat 32 Professor Gerhard Bosch Interview mit Professor Gerhard Bosch Wie hat sich das in den letzten Jahren Der Arbeitgeberverband BAP erklärte verändert? kürzlich, die Rekordbeschäftigung in Wir sprechen von einem „partiellen Funkti- der Leiharbeit zeige die großartige Leis- onswandel der aufstockenden Leistungen“. tung der Branche für den Arbeitsmarkt Zwar konnten auch in der Vergangenheit und die Volkswirtschaft insgesamt. Beschäftigte mit nicht ausreichendem Das sehe ich ganz anders. Die Leiharbeits- Lohn die aufstockende Sozialhilfe bean- firmen schmücken sich mit der Tatsache, tragen. Aber erst mit der Diskussion um dass zwei Drittel der Leiharbeitnehmer die Hartz-Gesetze wurde das Modell der vorher arbeitslos waren. Und sie sagen: Im vergangenen Jahr ist die Zahl der abhän- Ungleichheit so stark gewachsen wie in Kombilöhne offensiv vertreten. Daraufhin „Wir sind die Integrationsmaschine.“ Das gig Beschäftigten auf ein neues Rekord- Deutschland. Die Zahl der Niedriglöhner haben Unternehmen gezielt Niedriglohn- Argument zieht aber nicht. Es zeigt eher niveau gestiegen. Doch die Arbeitswelt hat ist bis 2010 – neuere Zahlen liegen noch tätigkeiten über Minijobs oder Leiharbeit umgekehrt den schlechten Ruf der Leihar- sich verändert. Ein erheblicher Teil des Be- nicht vor – auf 7,8 Millionen angewach- angeboten und ihre Beschäftigten mehr beit: Man muss arbeitslos sein oder sogar schäftigungswachstums geht auf Leiharbeit sen. Auch ein Rekord, auf den wir aber oder weniger direkt darauf hingewiesen, von der Arbeitsagentur dazu gezwungen und den Niedriglohnsektor zurück und ist nicht stolz sein können. dass sie sich die Differenz zu den Arbeits- werden, um überhaupt Leiharbeit anzuneh- damit teuer erkauft, sagt Professor Gerhard losengeld-II-Sätzen bei der Arbeitsagentur men. Die Branche ist wegen ihrer schlech- Bosch, Arbeitssoziologe und Direktor des Was bedeutet die gute Beschäftigungs- holen können. Die staatliche Subvention ten Bezahlung unattraktiv und keine, in die Instituts Arbeit und Qualifikation an der Uni- situation für die Leiharbeitsbranche? wurde damit in die Unternehmensstrategi- jemand freiwillig wechselt. Außerdem hält versität Duisburg-Essen. Leiharbeit schei- Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sind Ar- en eingeplant – ein massiver Missbrauch. sie ihr Versprechen, die Vermittlung auf tert nicht nur als individuelles Modell für beitskräfte auf Abruf, die nur dann gebucht In der Leiharbeit müssen heute vor allem einen festen Arbeitsplatz, nicht. eine verlässliche Lebensgrundlage, sondern werden, wenn Bedarf besteht. Wechselbä- geringer Qualifizierte, die besonders nied- auch volkswirtschaftlich: Der Staat muss der zwischen Beschäftigung und Arbeits- rige Löhne haben, aufstocken. die Leiharbeit wegen der schlechten Bezah- losigkeit sind typisch. Da Leiharbeitskräfte lung gleich mehrfach subventionieren. auch noch schlecht bezahlt werden und Wie lässt sich dieser Missbrauch von Er ist auch gar nicht gewollt. Denn es gibt Heißt das, der sogenannte Klebeeffekt ist selten? durch unstete Beschäftigung oft nicht die Subventionen verhindern? für Unternehmen überhaupt keinen Anreiz Das vergangene Jahr war wieder ein Re- nötigen Versicherungszeiten in der Arbeits- Die Einführung des Mindestlohns in der zur Übernahme, solange sie Leiharbeits- kordjahr auf dem Arbeitsmarkt. Sehen losenversicherung aufweisen können, Leiharbeit ist ein erster Fortschritt, reicht kräfte schlechter bezahlen können als die Sie das auch so? münden sie bei Arbeitslosigkeit oft direkt aber nicht aus, um die Subventionser- Stammbelegschaft. Das war früher, als die Die Zahl der Beschäftigten ist 2011 um in der Grundsicherung, also Hartz IV. Etwa schleichung durch Niedriglöhne zu stop- gleiche Bezahlung üblich war, anders. Nach rund 500.000 auf den neuen Höchststand ein Drittel aller Arbeitslosen, die sofort auf pen. Denn der Mindestlohn in der Leihar- drei Monaten haben sich die Unternehmen von 41,61 Millionen gestiegen. Dieser Hartz IV angewiesen sind, waren Leiharbei- beit definiert eine Lohnuntergrenze, die überlegt, ob sie die Leiharbeitskräfte über- wirtschaftliche Erfolg beruht nicht zuletzt ter. Sie können kein Vermögen aufbauen, weit unter den tariflichen Löhnen liegt. nehmen, weil das für sie günstiger war. auf der guten Leistung und hohen Qua- da dies ja auf die Grundsicherung ange- Lohndumping ist weiterhin möglich. Es Denn zu den Löhnen der Leiharbeiterinnen lifikation der Beschäftigten. Die Schat- rechnet wird. Die Aufstockung niedriger wäre deshalb ein großer Fehler, wenn Ge- und Leiharbeiter müssen sie immer noch tenseite liegt darin, dass die meisten Leiharbeitsgehälter kostet die Bundesagen- werkschaften sich mit diesem Mindestlohn die Verwaltungskosten und die Gewinn- von ihnen nicht den gerechten Anteil an tur für Arbeit mehr als 500 Millionen Euro zufriedengäben. Die einzige Möglichkeit, spanne der Leiharbeitsfirmen bezahlen. diesem Erfolg bekommen. Der Anteil der jährlich. Mit unseren Beitragsgeldern wer- die Unterbietung von Tarifen zu bekämp- Löhne und Gehälter am Bruttosozialpro- den die schlechtesten Unternehmen auch fen, ist die gleiche Bezahlung für Leihar- dukt nimmt seit Jahren ab. Und in keinem noch subventioniert. Mit Marktwirtschaft beiter. Nur so können sie aus dem Niedrig- anderen europäischen Land ist die soziale hat das wenig zu tun. lohnsektor herausgeholt werden. 33 34 Hat die Leiharbeit, volkswirtschaftlich Wie verändern Leiharbeit und Niedrig- Gutachten, mit denen die Bundesregierung betrachtet, überhaupt irgendeinen löhne die künftigen Renten? bestehende Mindestlöhne in Deutschland Nutzen? Modellberechnungen zufolge werden vor evaluieren ließ, haben das nun empirisch Leiharbeit als Flexibilitätsreserve ist sinn- allem Frauen und Männer in Ostdeutsch- bestätigt. Damit treten die positiven Effekte voll, als solche kann sie auch wirtschaftlich land in hohem Maße von niedrigen Renten höherer Lohnuntergrenzen auf die Sozial- produktiv sein. Aber als Ersatz für Dauerbe- unterhalb der Grundsicherung betroffen versicherungskassen und Staatsfinanzen schäftigung schadet sie den Sozialkassen, sein. Denn die Löhne sind noch niedriger voll in Kraft: Die Einnahmesituation wird weil durch die schlechtere Bezahlung weni- als in Westdeutschland, viele Lebensläufe verbessert, ohne dass es der Beschäfti- ger Beiträge gezahlt werden, und den Steu- weisen Phasen der Arbeitslosigkeit auf. gung schadet. Ein allgemeiner Mindest- erzahlern, weil sie schlechte Unternehmer So ist davon auszugehen, dass viele Men- lohn ist daher ein permanent wirkendes subventionieren müssen. Das ist für die schen keine existenzsichernden Renten Konjunkturprogramm. Neben einem dauer- Bei gleicher Bezahlung ist Leiharbeit nicht Volkswirtschaft völlig unproduktiv. Daher erreichen und öffentliche Unterstützung haften Schub von Einnahmen für den Staat billig, sie hat dann nur als Flexibilitätsre- ist die Branche auch wie kaum eine andere brauchen. Bei den Geburtsjahrgängen 1952 erhöht es die Nachfrage, hat positive Be- serve einen Sinn. Doch heute ist sie aus Un- auf Lobbyismus angewiesen. Im Interes- bis 1971 könnte das für rund 31 Prozent der schäftigungseffekte und ermöglicht mehr ternehmenssicht auch als Dauerbeschäfti- se der volkswirtschaftlichen Entwicklung ostdeutschen Männer und 48 Prozent der Investitionen. gung lohnenswert. Da wurden völlig falsche müssen wir das schlechte Geschäftsmo- ostdeutschen Frauen der Fall sein. In der Anreize gesetzt. dell, dass Leiharbeit Dauerbeschäftigung vorherigen Kohorte, bei den Jahrgängen Einerseits breiten sich Niedriglöhne und ersetzt, politisch unterbinden. 1937 bis 1951, sind den Projektionen zufol- unsichere Arbeitsplätze aus, anderer- Wie muss die Leiharbeit also reguliert ge nur knapp vier Prozent der ostdeutschen seits wird immer wieder ein Fachkräfte- werden? Lassen sich die Folgekosten der Leih Männer und ein Viertel der ostdeutschen mangel heraufbeschworen. Wie passt Ich halte die gleiche Bezahlung für die wich- arbeit benennen? Frauen von Altersarmut betroffen. Diese das zusammen? tigste und zentrale Maßnahme. Dadurch Die Branche hängt in mehrfacher Hinsicht Entwicklung ist dramatisch. Im Grunde genommen gar nicht. Klagen wird es für Unternehmen unattraktiv, Leute am Subventionstropf. Erstens wird das jahrelang auf Leiharbeitspositionen zu be- Arbeitgeberrisiko durch die kurzfristigen Lässt sich beziffern, was die Niedrig müssten sie eigentlich versuchen, Ar- schäftigen. Daneben wäre auch eine einjäh- Vertragsverhältnisse auf die Allgemeinheit löhne die Volkswirtschaft kosten? beitskräfte an sich zu binden. Hohe Leih- rige Befristung der Leiharbeit eine absolut abgewälzt. Die Kosten der Arbeitslosigkeit Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung arbeitszahlen sind also ein Anzeichen, sinnvolle Regelung. Eine Quotierung der übernimmt die Bundesagentur für Arbeit hat die Effekte gesetzlicher Mindestlöh- dass es damit nicht so weit her sein kann. Leiharbeit im Unternehmen halte ich hinge- oder eben die Grundsicherung. Zweitens ne untersucht und berechnet, zu welchen Bei echtem Fachkräftemangel, vermute gen für ambivalent. Das kann Unternehmen müssen die schlechten Löhne aufgestockt Einnahmeverlusten bei Steuern und Sozi- ich, übernehmen die Leiharbeitsfirmen auch dazu veranlassen, die Quote über- werden. Drittens folgt eine dicke Rechnung, alversicherungen der heutige Niedriglohn- eine neue, andere Rolle. Möglicherweise haupt erst ausschöpfen zu wollen. Bei den wenn die Leiharbeiter in Rente gehen und sektor beiträgt. Die Zahlen sind beachtlich: werden sie Arbeitskräfte für Unternehmen Kosten anzusetzen, ist da der sinnvollere ihre Ansprüche nicht die Höhe der Grund- Im Fall eines allgemeinen Mindestlohns von aussuchen, sie zur Probe überlassen und Weg. Allerdings besteht die Gefahr, dass sicherung erreichen. So werden einer Bran- 8,50 Euro steigen die Erwerbseinkommen dann eine Vermittlungsgebühr kassieren. ein Teil der schlechten Arbeit in Werkver- che mit schlechten Praktiken, die häufig zu nach den Berechnungen um 14,5 Milliar- Von einer Privatisierung der Arbeitsver- träge abwandert, wenn man die Leiharbeit menschenunwürdiger Arbeit führen, durch den Euro. Die fiskalischen Effekte durch mittlung sind wir noch weit entfernt, aber reguliert. Damit auch Werkvertragsfirmen dreifache Subventionierung Milliardenbe- zusätzliche Steuereinnahmen, höhere So- es gibt bereits erste Tendenzen. Die Frage und gerade die kleinen Sub-Sub-Unterneh- träge hinterhergeworfen. Unternehmen über Fachkräftemangel, zialbeiträge und ersparte Sozialtransfers ist, ob wir das wollen. Fest steht jeden- men an gute Arbeitsbedingungen gebun- belaufen sich dann auf gut sieben Milli- falls: Bei echtem Fachkräftemangel wird den sind, muss man darüber nachdenken, arden Euro. Die Studie beruht auf der An- sich die Leiharbeit verändern. wie Tarifverträge als allgemeinverbindlich nahme, dass durch die Erhöhung der Löhne erklärt werden können. keine Beschäftigung vernichtet wird. Alle 36 Spaltung des Arbeitsmarktes nimmt zu Weniger Beschäftigte mit regulärem Vollzeitjob Mehr Minijobs Mehr (Solo-)Selbstständige Ein atypisches Arbeitsverhältnis hatten von Ausschließlich geringfügig Die Zahl der Selbstständigen betrug … allen erwerbstätigen … beschäftigt waren … P s er on en 1999 35,1 % 2009 40,5 % 9 19 8 3,25 Mio. 0 20 8 4,14 Mio. Bei den Selbstständigen ohne Mitarbeiter waren es … M n än a Fr er ue n 1999 2009 n 29 % 34,2 % 1999 2009 9 19 8 1,38 Mio. 0 20 8 2,3 Mio. 43 % 48 % 3,69 Mio. 9 19 9 4,88 Mio. 0 20 8 Immer öfter befristet Verdoppelung der Teilzeitstellen Zunahme der Leiharbeit Von allen sozialversicherungspflichtig Weniger als 31 Stunden Von allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hatten einen Zeitvertrag … in der Woche arbeiteten … Beschäftigten waren Leiharbeitnehmer … 01 20 6,1 % 10 20 9 % Von den Neueinstellungen waren befristet … 01 20 32 % 10 20 46 % 6 0,6 % 10 20 2,9 % 9 19 4,35 8,71 Mio. Mio. 9 19 4 0 20 8 37 Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 2011 38 Erstmals private und gewerbsmäßige Vermittlung 40 Jahre AÜG: Eine Geschichte der Deregulierung 1994 endete das Vermittlungsmonopol der zungen für den Bezug von Arbeitslosengeld Bundesagentur für Arbeit. Seither darf Ar- verschärft haben. Im Gegenzug wurde der beit privat und gewerbsmäßig vermittelt Gleichbehandlungsgrundsatz rechtlich bin- werden. Damit wurde die Deregulierung dend, der gleiche Bezahlung und gleiche des Arbeitsmarktes weiter vorangetrieben. Arbeitsbedingungen umfasst. Doch das Unter anderem wurde die maximale Über- „Gesetz für moderne Dienstleistungen lassungsdauer von zuletzt sechs auf neun am Arbeitsmarkt“ hat ein entscheidendes Monate erhöht. Drei Jahre später folgte die Schlupfloch: gesonderte Tarifverträge für nächste Lockerung: Nun durften Leihar- Leiharbeiter. Dadurch kann von Equal Pay beiterinnen und Leiharbeiter bis zu zwölf und Equal Treatment abgewichen werden. Monate im gleichen Betrieb arbeiten. Eine Der Gesetzgeber reißt die Leitplanken für stelltengewerkschaft und der Unterneh- Leiharbeitsfirma musste Mitarbeiter beim „Christliche“ Dumpinggewerkschaften Leiharbeit ein. Der schrittweise Abschied mensverband für Zeitarbeit einen ersten erstmaligen Verleih nur so lange beschäf- Diese Öffnungsklausel hat zu einer deut- von der staatlichen Regulierung hat den ak- Tarifvertrag, zwei Jahre später trat das Ar- tigen, wie sie auch einen Entleihbetrieb lichen Verschlechterung der Bedingungen tuellen Boom der Branche beflügelt. Der beitnehmerüberlassungsgesetz in Kraft. hatte. Konnte sie ihn nicht mehr vermitteln, für Leiharbeiter beigetragen. Denn sie Wettbewerb um ein Milliardengeschäft Es regelte erstmals das Dreiecksverhält- durfte sie ihn entlassen. Nach einer Wie- schaffte eine Lücke für die sogenannten geht oft zu Lasten der Beschäftigten, deren nis zwischen Verleiher, Leiharbeitnehmer dereinstellung galt allerdings das Synchro- christlichen Gewerkschaften, die Tarif- Rechte nach und nach beschnitten wurden. und Entleiher. Der darin festgeschriebe- nisationsverbot. Die Beschäftigung durfte verträge unter gesetzlichem Standard ab- ne Grundsatz, dass die Verleihfirma alle nicht davon abhängen, ob es einen inter- schlossen. Die Leiharbeit unterscheidet 2012 wartet die Geschichte der Leihar- Pflichten eines Arbeitgebers hat, ist bis essierten Einsatzbetrieb gab oder nicht. sich damit von allen anderen Branchen, in beit in Deutschland gleich mit zwei Ju- heute unverändert gültig. Bis 1985 war Die Verleihfirma musste den Leiharbeiter denen es heißt: Es gilt mindestens das Ge- biläen auf: 90 Jahre ist es her, dass die die Überlassungsdauer auf drei Monate für mindestens ein Viertel der Dauer des setz, Tarifverträge können es verbessern. Voraussetzungen für Leiharbeit mit dem beschränkt. letzten Einsatzes weiterbezahlen. Sie trug In der Leiharbeit lautet die Regel hingegen: so zumindest das wirtschaftliche Risiko, Es gilt höchstens das Gesetz, Tarifverträge einen Anschlusseinsatz zu finden. können es verschlechtern. Arbeitsnachweisgesetz erstmals rechtlich geregelt wurden. Und vor 40 Jahren trat Weil es in der Baubranche immer wieder das seither mehrfach überarbeitete Ge- zu Verstößen kam und Verleihfirmen ihre setz zur Regelung der gewerbsmäßigen Pflichten gegenüber den Leiharbeitern Im Zuge der Hartz-Reformen fiel dann Der Vertrag der Tarifgemeinschaft Christ- Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) in der verletzten, wurde im Bauhauptgewerbe 2003/2004 auch diese Regelung, so wie licher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Bundesrepublik in Kraft. Anfang 1982 ein Überlassungsverbot das besondere Befristungsverbot, das Personalserviceagenturen (CGZP) mit dem durchgesetzt. Seither ist der Einsatz von Wiedereinstellungsverbot und die Über- Arbeitgeberverband Mittelständischer Per- Im Grundsatz seit 1972 gültig ausgeliehenen Arbeitern auf dem Bau lassungshöchstdauer. Beschäftigte kön- sonaldienstleister enthielt Dumpinglöhne, In der Bundesrepublik gab es bis in die verboten. nen seitdem ohne Begrenzung im selben 1960er Jahre keine Leiharbeitsvermittlung. Betrieb eingesetzt werden – oder die Leih Erst 1967 legte das Bundesverfassungs- arbeitsfirma kann sie immer wieder heuern, gericht fest, unter welchen Bedingungen feuern und ihre Verträge befristen, je nach Leiharbeitsfirmen tätig werden können. Auftragslage. Dies ist umso dramatischer, 1970 unterzeichneten die Deutsche Ange- als sich zugleich die Anspruchsvorausset- 40 Reformen der Arbeitnehmerüberlassung A A A A 8 19 1. . b1 2 85 19 5. . b1 9 .1 .1 1 b .4 b1 9 .1 94 97 Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Bauhauptgewerbe die weit von Equal Pay abwichen. Gegen- arbeitern für die Dauer von bis zu sechs über den weiteren Arbeitgeberverbänden Wochen ein reduziertes Arbeitsentgelt in iGZ und BZA war die DGB-Tarifgemeinschaft Höhe der vorherigen staatlichen Unterstüt- durch diese Unterbietungskonkurrenz zung gezahlt werden kann. machtlos. Die gemeinsamen Tarifabschlüsse lagen zwar über CGZP-Niveau, entspra- Möglichkeiten zur Ungleichbehandlung Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von drei auf sechs Monate chen aber auch nicht dem Prinzip „gleiches von Leiharbeitnehmern bleiben dennoch Verlängerung der Regelung zum 1.5.1990 bis zum 31.12.1995 Geld für gleiche Arbeit“. Denn der Druck bestehen. Zwar findet sich nun die Formu- war da, dass die Arbeitgeber sonst mit den lierung im Gesetz, dass die Überlassung christlichen Gewerkschaften noch schlech- von Arbeitnehmern „vorübergehend“ er- tere Bedingungen ausgehandelt hätten. folge. Was das im Detail heißt, ist aber Erst Ende 2010 legte das Bundesarbeitsge- ungeklärt und der Rechtsprechung der richt der christlichen Tarifgemeinschaft das Arbeitsgerichte überlassen. Eine Klärung Handwerk, indem es ihr die Tariffähigkeit durch alle arbeitsgerichtlichen Instanzen Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von sechs auf neun Monate bis 31.12.2000 Aufhebung des Synchronisationsverbots für von der BA zugewiesene schwer vermittelbare Arbeitslose Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von neun auf zwölf Monate absprach. Zahlreiche Leiharbeitsbeschäf- wird mehrere Jahre erfordern. Kurz- und Zulassung der Synchronisation von Ersteinsatz und Arbeitsvertrag beim erstmaligen Verleih tigte klagen noch immer auf Lohnnachzah- mittelfristig wird sich an der heutigen Erlaubnis einmaliger Befristung ohne sachlichen Grund lung, die Sozialkassen haben Nachforde- Situation nichts verändern. Zudem wird Wiederholte Zulassung lückenlos aufeinander folgender Befristungen von Verträgen mit demselben Leiharbeitnehmer rungen in Milliardenhöhe gestellt. Leiharbeit nicht von anderen Formen des Fremdfirmeneinsatzes abgegrenzt, die EU-Richtlinie mangelhaft umgesetzt Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von zwölf auf 24 Monate Zuletzt wurde das Arbeitnehmerüberlas- werden nicht gestärkt. Und beim Thema Gleichbehandlungsgrundsatz nach zwölf Monaten sungsgesetz 2011 geändert. Hintergrund Weiterbildung werden weder Verleiher A 2 00 .2 1 . b1 ist die europäische Leiharbeitsrichtlinie, noch Entleiher in die Pflicht genommen. Wegfall des Synchronisations- und Wiedereinstellungsverbots und der Überlassungshöchstdauer A 03 20 1. . b1 die erneut den wichtigen Gleichbehand- Lockerung des Entleihverbots im Bauhauptgewerbe Gleichbehandlungsgrundsatz, sofern keine abweichenden Tarifvereinbarungen A A .2 b1 00 .2 2 .1 b1 9 1 01 .2 Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität schafft die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Kurzarbeit in der Leiharbeit Entleiher hat Leiharbeitnehmer über Arbeitsplätze, die besetzt werden sollen, zu informieren Entleiher muss Leiharbeitnehmern Zugang zu den Gemeinschaftseinrichtungen im Unternehmen ermöglichen Ersatzloses Streichen der Möglichkeit, zuvor Arbeitslose für maximal sechs Wochen zu einem Nettoarbeitsentgelt in Höhe des Betrages, den der Leiharbeitnehmer zuletzt als Arbeitslosengeld erhalten hat, zu beschäftigen Leiharbeit nur „vorübergehend zulässig“ (unbestimmter Rechtsbegriff ohne Zeitangabe) A 12 20 1. . b1 Mindestentgelte in der Leiharbeit lungsgrundsatz formuliert, den die Mit- Auch die „Verordnung über eine Lohn- gliedsstaaten in nationales Recht umset- untergrenze in der Arbeitnehmerüber- zen müssen. Doch einen Gesamtschutz von lassung“, die zum Januar 2012 in Kraft Leiharbeitnehmern gewährleistet auch das trat, hat die Lage der Leiharbeiter nur auf überarbeitete deutsche Gesetz nicht. dem Papier verbessert. Kaum einer wird dadurch mehr Geld in der Tasche haben. Das AÜG formuliert lediglich zwei neue For- Der Mindestlohn in der Leiharbeit beträgt derungen an den Einsatzbetrieb: Er muss nun im Westen 7,89 Euro und 7,01 Euro im Leiharbeitnehmer nun durch allgemeine Osten. Das ist zwar ein erster Versuch, die Bekanntgabe über ausgeschriebene Stel- Leiharbeit wieder ein bisschen zu regulie- len informieren. Und er muss den Leihar- ren, aber keineswegs konsequent genug. beitnehmern zu den gleichen Bedingungen Statt die Menschen in Leiharbeit im Blick Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen – zu haben, hat die Bundesregierung die In- wie Kinderbetreuung, Gemeinschaftsver- teressen der Leiharbeitsverbände und der pflegung und Beförderungsmittel – er- Unternehmen bedient. möglichen. Zudem wurde die Regelung gestrichen, dass zuvor arbeitslosen LeihQuelle: Bundesagentur für Arbeit, IG Metall „Ich mache seit achteinhalb Jahren Leiharbeit, davon sechseinviertel Jahre beim gleichen Großunternehmen, und keine Übernahme möglichkeit. Viermal arbeitslos in der Zeit. Soll das die nächsten elf Jahre bis zur Rente so weitergehen?“ (K)eine Übergangslösung (K)eine 44 Die Fakten Leiharbeiter bleiben länger als früher. Im Jahr 2010 dauerten sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in der Leiharbeit im Durchschnitt knapp neun Monate. Knapp die Hälfte der Verträge in der Leiharbeit endete zuletzt nach weniger als drei Monaten, bei rund 51 Prozent war die Beschäftigungsdauer länger als ein Quartal. Zehn Jahre früher war dies nur bei 42 Prozent der Leiharbeitsverträge der Fall. Wie viele Menschen teils über Jahre bei immer demselben Einsatzbetrieb bebeschäftigt, allerdings ohne Übernah- schäftigt sind, wird von der Statistik nicht erfasst. mechancen. Sie fühlen sich dadurch als (K)eine Übergangslösung „Arbeiter zweiter Klasse“ abgestempelt. Seit Dezember 2011 ist Leiharbeit nur „vorübergehend“ zulässig. Das ist im Damit ist die Leiharbeit eine weitere Hürde überarbeiteten Arbeitnehmerüberlassungsgesetz festgehalten. Allerdings ist nicht auf dem Weg in die reguläre Festanstel- definiert, welcher Zeitraum mit „vorübergehend“ gemeint ist. Höchstrichterliche lung, bei der Personalgewinnung spielt Urteile der Arbeitsgerichte, die diese Frage klären, sind erst in mehreren Jahren zu sie kaum eine Rolle. Zahlreiche Betroffe- erwarten. Für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter bietet die Gesetzesänderung daher ne haben der IG Metall davon berichtet, kurzfristig keine Perspektive auf Übernahme. wie Unsicherheit und Perspektivlosigkeit sie belasten und ihr Leben beeinflussen. Leiharbeit verdrängt in vielen Betrieben die regulären Jobs. Das hat 2010 eine IG-Metall-Umfrage unter mehr als 5.000 Betriebsräten ergeben. 20 Prozent der Leiharbeit war einmal als Übergangslö- Nur noch Leiharbeit Befragten gaben an, dass nach der Krise Stellen in der Stammbelegschaft nicht sung gedacht, um Auftragsspitzen abzu- Johannes ist 23 Jahre alt und immer noch wieder besetzt, sondern durch Leiharbeit ersetzt worden sind. Sie bestätigen damit, fangen oder Krankheits- und Urlaubszei- in seinem Ausbildungsbetrieb beschäftigt. was Wirtschaftswissenschaftler beschreiben: Leiharbeit wird nicht mehr hilfs- und ten zu überbrücken. Später versprachen Arbeitsverträge hatte er dort schon mehre- saisonweise genutzt, sondern zunehmend als Unternehmensstrategie – mit dem Politiker und Unternehmer, dass Leihar- re – nur noch keine unbefristete, geregelte Ziel, die Lohnkosten zu senken und sich im Sinne maximaler Flexibilisierung nicht beit eine Brücke in reguläre Beschäftigung Festanstellung. Zunächst arbeitete Johan- ans Personal zu binden. Heuern und Feuern stehen dann auf der Tagesordnung. darstelle, weil Leiharbeitnehmer durch sie nes mit Befristungen: „Ich bekam viermal Das Nebeneinander unterschiedlicher Beschäftigungsstandards verschärft den am Arbeitsplatz „kleben blieben“, das Arbeitsverträge über sechs Monate. Doch Konkurrenzdruck und bedroht auch die Stammbelegschaft. heißt vom entleihenden Betrieb über- während meiner letzten Befristung musste ich zur Bundeswehr“, erzählt er. „Über 23 Jahre war ich in dem Betrieb beschäftigt. Durch eine Umstrukturierung wurde ich mit 140 anderen Arbeitern entlassen. Jetzt arbeite ich wieder dort, als Leiharbeiter.“ „Ich sollte einen Aufhebungs- men beschäftigt. Und fühlt sich ungerecht Entlassen – und wieder eingestellt vertrag unterschreiben, aber das behandelt: „Ich habe meinen Arbeitsplatz Von der Festanstellung in die Leiharbeit, lehnte ich ab. Der Vertrag ist dann zwar jetzt wieder, aber schlechter bezahlt beim gleichen Unternehmen, aber unter fristgemäß ausgelaufen.“ Nach und mit schlechterer Behandlung.“ Die Fra- schlechteren Konditionen – auch Bernd dem Wehrdienst wollte Johannes ge, wie es weitergeht, macht Johannes zu kann davon berichten, was Experten als nommen würden. Doch die Realität sieht zurück an seinen Arbeitsplatz. Das ist ihm schaffen: „Man weiß nie, wie lange man Drehtüreffekt beschreiben: nämlich dass, anders aus. Für viele ist die Leiharbeit zwar gelungen, doch hatte er keine Chance noch arbeiten darf. Ich bange schon ein Stammbeschäftigte zunächst entlassen Dauerzustand. Manche sind sogar über auf eine Direktanstellung. Seit Januar 2010 halbes Jahr um meine Arbeit und hangele werden, um dann als Leiharbeiterinnen Jahre hinweg beim gleichen Unternehmen ist er daher als Leiharbeiter im Unterneh- mich von Woche zu Woche.“ und Leiharbeiter für dieselbe Tätigkeit, 46 Die zehn größten Leiharbeitsunternehmen in Deutschland 2010 aber zu wesentlich geringerer Entlohnung ten Arbeitgebers, wieder befristet und mit wieder eingestellt zu werden. Der 46-jäh- unsicheren Perspektiven: „Das Nervenauf- rige CNC-Fräser ist über einen Verleiher an reibendste ist, jedes Vierteljahr darauf zu seinem alten Arbeitsplatz gelandet, der hoffen, dass der Einsatz verlängert wird. ihm zuvor wegen schlechter Auftragslage Eine Entscheidung, die scheinbar über gekündigt worden war. Er wünscht sich endlose Entscheidungskaskaden geht, wieder eine Festanstellung und hat sich wird dann meist erst wenige Tage vorher daher auf die Leiharbeit eingelassen: „Im getroffen“, sagt er. Die quartalsweisen Ver- Moment ist die Auftragslage wieder etwas längerungen zermürben. Und Robert hat besser und es wurden Fachkräfte gesucht. das Gefühl, im System Leiharbeit gefangen Mein Gedanke war, für den Moment auf et- zu sein. In seiner Abteilung gibt es noch Umsatz (in Mio. Euro) 1.729,0 s nd Ra andere Leiharbeits- „Wie kann es sein, dass in manchen Firmen Leiharbeiter bis zu sieben (!!!) Jahre beschäftigt werden? Wo Leiharbeit doch dafür bestimmt war, Arbeitsspitzen abzubauen?“ e dD ta gut ausgebildet, die bH m S ng di l Ho y an G co ec d A kräfte, alle unter 35, ut hl sc dG an m er M gs un enabschluss: „Wir was Geld zu verzichten, aber den Fuß wie- sitzen auf verantwortungsvollen Posten, der in der Tür meiner ehemaligen Firma zu die weder temporär sind noch von Aus- haben.“ Für diese Hoffnung zahlt er einen lastungsschwankungen abhängen. Uns hohen Preis. Er verdient nun 1.300 Euro alle plagt das Gefühl, dass man heute als im Monat ohne Zuschläge, hat nur noch junger Mensch einfach keine Chance be- 24 Tage Urlaubsanspruch – beides deut- kommt, in einen festen Job zu kommen, ge- lich weniger als vorher. „Es kann nicht schweige denn, auf dieser Grundlage eine angehen, dass ich fachlich kompetente vernünftige Familienplanung zu gestalten. Arbeit abliefere und mit einem Hungerlohn Egal wie stark man sich im Job engagiert, nach Hause gehe“, empört er sich. egal wie gut man ausgebildet ist.“ Obwohl r Pe s aS on er me angestrebt wird, hoffen die meisten Robert ist Einkäufer bei einem großen Un- vergeblich auf eine Festanstellung: „So ternehmen. Nach seiner kaufmännischen etwas ist bisher fast nie vorgekommen Ausbildung wurde er übernommen, sein und zurzeit nicht absehbar.“ Au G ZA Ze rb ita e G US & its Pe e -G Ho se ll G le op & on isi n an y an on riz ng di schlechter lief, bekam Robert keine weitere Vertragsverlängerung. Neun Monate überbrückte er mit diversen Jobs. Nun ist er Leiharbeiter bei einer Tochterfirma des al- e m Ti er r tn a P 17.100 443,0 bH Gm bH Gm bH Gm 11.170 l Ho 12.253 11.200 273,2 bH Gm m Vertrag zunächst um ein Jahr, dann um ein zweites Jahr verlängert. Als es am Standort G .K Co 285,0 ft ha sc O 24.600 310,0 fm er Gr p ou 538,0 AG V to 34.382 596,0 lt wa . I. K Vorgesetzte versichern, dass die ÜbernahNur quartalsweise Verlängerungen er eV c i v 60.700 1.197,0 G .K Co er ow p an meisten mit Studi- A & G .K Co 10.000 237,0 bH Gm 8.200 226,0 bH Gm 6.050 Quelle: Marktforschung Lünendonk Beschäftigte 48 Voller Stolz? Niemals Altersstruktur in der Leiharbeit: Auch Benjamin belastet die Unsicherheit Ein Drittel der Beschäftigten ist 30 Jahre oder jünger seiner beruflichen Situation. Weil der Durchschnittlicher Anteil an Leihbeschäftigten in mittelständischen Verleihbetrieben, Branchenwechsel auf dem direkten Weg nach Alter der Beschäftigten nicht klappte, hoffte der gelernte Schreiner, über die Leiharbeit endlich eine ChanMitarbeiter zweiter Wahl? ce in der Metallindustrie zu bekommen. Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht hinter- Seine Erfahrungen stimmen ihn jedoch lassen ihre Spuren bei Robert. Er sieht sich pessimistisch: „Die meisten großen Un- als „Mitarbeiter mit gleichen Pflichten, je- ternehmen vor Ort sind zurzeit nicht daran doch weniger Rechten“ und als „Mitarbeiter interessiert, jungen, motivierten Arbeit- zweiter Wahl“. Dies prägt auch seine Erwar- nehmern dauerhaft eine Perspektive zu tungen: „Ich sehe für die Zukunft schwarz, geben. Sie setzen lieber auf günstige, auf wenn junge Menschen durch Leiharbeit ‚flexible‘ Beschäftigung.“ Benjamin findet und weitere unsichere Jobverhältnisse we- es nicht nur ungerecht, dass er als Leih- der die Chance bekommen, eine Fachkraft arbeiter unter schlechteren Bedingungen mit jahrelangem Wissen zu werden, noch arbeitet als sein Kollege, der ein paar Jah- 34 % 29 % bis 30 Jahre 31 bis 40 Jahre 23 % 41 bis 50 Jahre 14 % 51 Jahre und älter Quelle: iGZ-Mittelstandsbarometer, 2. Welle, 3. Quartal 2011 re länger im Unterneh- „Ich bin seit ungefähr 14 Monaten als Leiharbeiter im selben Betrieb tätig. Eine Übernahme findet nicht statt, weil der Entleihbetrieb keine Mitarbeiter braucht. Aber warum bin ich dann schon seit 14 Monaten hier tätig?“ men ist, sondern auch Die 39-jährige Maria, gelernte Industrie- zu kurzfristig gedacht: kauffrau, sieht das ähnlich. Auch sie kann „Die Arbeitgeber sollten sich nicht mit dem Einsatzbetrieb iden- „Flexibilität ist kein Argument“ sich im Klaren sein, was tifizieren. Die Umstände ihrer Beschäf- Stefan ist angesichts des Verhaltens sei- sie mit dieser Strategie tigung belasten sie: „Jetzt bin ich schon nes Einsatzbetriebs ebenfalls irritiert. Der mit einem guten Gefühl die nächsten Ge- anrichten. Ein Leiharbeiter wird nie voller bald zwei Jahre bei nerationen potentieller Fachkräfte in die Stolz behaupten können: ‚Ich arbeite im einer Firma, sie zahlt Welt setzen können. Stattdessen wird die Unternehmen X.‘ Sondern er wird sagen jedoch weniger als für Stammbelegschaft immer älter und das müssen: ‚Ich bin Leiharbeiter beim Unter- einen normalen Mitar- Wissen durch Fluktuation nicht weiterge- nehmen X, und obwohl das Unternehmen beiter und spart auch tragen.“ Er hofft auf Intervention von Seiten groß und bekannt ist, merke ich leider noch die Urlaubs- und der Politik, damit diese Negativentwicklung nichts davon.‘“ Krankheitsfallkosten. Auch wenn das Un- Ingenieur wundert sich über ausbleibende gestoppt und dem Ganzen langfristig ein ternehmen meint, so Geld zu sparen, den- Übernahmen. „Mir erscheint es auch aus Riegel vorgeschoben wird: „Die Leiharbeit ke ich, dass es damit eher Geld verliert. betriebswirtschaftlicher Sicht als völlig soll wieder das werden, was sie einmal war: Ich stehe nicht hinter so einem Unterneh- unsinnig, jemanden über Jahre hinweg ein Instrument, um Spitzen abzufangen, men, obwohl ich dort arbeite.“ auszuleihen“, sagt er. Vor fünf Jahren be- „Ich finde die Regelung, dass die Firma im Fall der Festanstellung innerhalb der ersten sechs Monate der Leiharbeitsfirma eine Ablöse zahlen muss, einfach skandalös. Ist das eigentlich mit dem Gesetz vereinbar?“ 49 und um zum Beispiel Krankheitsvertretun- gann er, für ein weltweit tätiges Ingeni- gen oder Babypausen mit qualifiziertem eurbüro zu arbeiten. Zunächst mit großen Personal zu vertreten. Es sollte jedoch nicht Hoffnungen: „Die Arbeit hier sah ich als dazu führen, dass Unternehmen faktisch hervorragendes Karrieresprungbrett“, nur noch mit Leiharbeitnehmern arbeiten.“ 50 erinnert sich Stefan. Doch die Realität fallen. „Ich lebe nicht, ich existiere“, fasst sah anders aus: Statt im Ingenieurbüro sie zusammen. Ute glaubt, dass zwischen für verschiedene Auftraggeber zu arbei- ihrem niedrigen Lohn und der anhaltenden ten, wurde er an einen Kunden aus der Beschäftigung über die Leiharbeit ein Zu- Automobilindustrie verliehen. Wie viele sammenhang besteht: „Die Einarbeitungs- seiner Kollegen: „Unser Unternehmen hat zeit ist in den unteren Einkommensklassen Etwa die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse endet nach weniger als drei Monaten sich in den letzten Jahren verstärkt darauf nach drei Monaten gewährleistet. Ab die- Dauer der Beschäftigungsverhältnisse in der Leiharbeit 2001 und 2011 (jeweils zum 30. Juni) konzentriert, den Großteil der Ingenieure sem Zeitpunkt sollte dann der gleiche Lohn Abweichungen in der Summe von 100 Prozent sind rundungsbedingt und Techniker an die jeweiligen Kunden auszuleihen.“ Seit fünf 42 % 12 % 3 Monate und mehr Unter 1 Woche 46 % J Be s ä ch f ti g g un sv 1 00 ete 2 i nd … un ee on 1 Woche bis 3 Monate v b 0 da 20 se, . 8 s 29 ltni ä h er 51 % 10 % Unter 1 Woche J s Be ch ti äf gu s ng v schon im gleichen Betrieb eingesetzt, macht die gleiche Arbeit bezahlt werden. Wir sind nur so lange inte- wie die Festangestellten, verdient aber ressant für die Arbeitnehmer, solange wir weniger und arbeitet unter schlechteren günstiger sind. Ansonsten würde man uns Bedingungen. Er muss spontan einsatzbe- ja auch fest einstellen.“ Sie fordert deshalb reit sein, kann seinen Urlaub nicht planen. eine Befristung der Ausleihdauer: „Es geht „Wenn ich einen Fehler mache, kann mich hier nicht mehr darum, Auftragsspitzen das schnell meinen Job kosten“, ist ihm oder Ausfälle zu kompensieren, sondern bewusst. Während für ihn die Leiharbeit sich auf legale Art mit den billigsten Mit- also vor allem Unsicherheit bedeutet, er- teln die Taschen vollzustopfen. Dafür hal- hofft sich der Entleihbetrieb so offensicht- ten wir her. Das kann man nur als Ausbeu- lich mehr Flexibilität. Doch da ist Stefan tung und menschenunwürdig bezeichnen.“ skeptisch: „Gerade die Arbeitskräfte, die 3 Monate und mehr 1 01 ete 2 d i … un een on Jahren ist Stefan nun „Ich bin bei einem Unternehmen beschäftigt, das wieder ein Rekordjahr hinter sich hat. Aber uns Leiharbeiter können die nicht übernehmen? Warum denn nicht?“ 40 % 1 Woche bis 3 Monate v b 0 da 30 s e , . 9 s 56 l t ni ä h er Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Arbeitnehmerüberlassungsstatistik schon seit Jahren ausgeliehen werden, Ulrike hat in ihrem Unternehmen ähnliche wären heute deutlich billiger, hätte man Erfahrungen gemacht. Leiharbeit wird dort sie rechtzeitig fest angestellt. Auch das nicht nur phasenweise, sondern strategisch Argument ‚Flexibilität‘ zählt nicht, da ein eingesetzt: „Hier geht es nicht mehr darum, Großteil von uns ja über einen langen Zeit- Personalengpässe auszugleichen, sondern raum ausgeliehen wird.“ darum, möglichst effizient und kostengünstig den Umsatz zu halten bzw. zu steigern. „Um Auftragsspitzen geht es nicht“ Ein engagierter Arbeitnehmer braucht eine Ute ist gelernte Bürokauffrau. Sie hat sich Perspektive und nicht die ständige Angst zehn Jahre vor allem um ihre Kinder ge- um seinen Arbeitsplatz.“ Was die Situati- kümmert. Nun ist sie über die Leiharbeit on konkret für sie bedeutet? Ulrike bringt wieder berufstätig und als Produktions- das so auf den Punkt: „Es ist einfach nur mitarbeiterin tätig. Bei 7,60 Euro Stunden- demotivierend und frustrierend.“ lohn hat die alleinerziehende Mutter am Ende des Monats kaum die Mehrkosten heraus, die durch die Berufstätigkeit an- 52 Stellungnahmen Was Beschäftigte in Leiharbeit der IG Metall zum Thema Übergangslösung berichtet haben – „Ich bin seit nunmehr über sieben Jahren im Betrieb, bin fest etabliert und bekleide eine kleine Führungsposition, habe zwei abgeschlossene Berufsausbildungen und eine entspricht genau dem, was ich jetzt mache. Was soll man denn noch tun, um fest eingestellt zu werden? Kein Wunder, dass die guten Fachkräfte ins Ausland gehen. Ich würde es für eine unbefristete feste Anstellung tun.“ und was sie über die unsicheren Perspektiven denken:* „Ich war von August 2007 bis August 2009, immer befristet, beim gleichen Unternehmen eingestellt. Dann kam die Wirtschaftskrise und ich war zehn Monate arbeitslos. Danach habe ich die gleiche Arbeit – gleiche Maschine, gleiches Kollektiv, gleiche Arbeitszeit – wieder aufgenommen. Nur mit dem Unterschied, dass ich nun bei einer Leihfirma bin. In der Zeit der Arbeitslosigkeit hatte ich etwa 200 Euro mehr Arbeitslosengeld, als ich jetzt bei der Leihfirma verdiene. Sie glauben gar nicht, wie weh es tut, wenn man weiß, was man vorher als Mitarbeiter im selben Betrieb verdient hat, nun schon über 18 Monate die gleiche Arbeit macht und etwa die Hälfte weniger Lohn hat. Über diesen Schock werde ich nie hinwegkommen. In meinen Augen ist das großer Betrug. Wenn ich mit den festangestellten Arbeitern spreche und die freuen sich schon auf das Weihnachtsgeld, vergeht mir alles.“ „Ich arbeite nun seit über neun Jahren als Leiharbeiter im selben Betrieb. Immer wieder wurde ich hin und her geschickt, habe als Pionier neue Projekte angefangen und durchgesetzt. Nun bin ich müde. Die Hoffnung auf eine sichere Arbeitsstelle und auf mehr Sicherheit und Zukunft für meine Familie habe ich teils schon verloren. Vieles wurde zwar schon erreicht, doch dann spielt uns das Unternehmen wieder Streiche und ändert die Verträge, so dass wir keine Hoffnung haben, übernommen zu werden.“ „Ich bin Leiharbeiter in einem Unternehmen, bei dem ich schon 2008 befristet eingestellt war. Wegen der Krise wurde mein Vertrag nicht verlängert. Nun, wo sich die Auftragslage verbessert hat, wollten sie mich wieder einstellen, konnten mich laut offizieller Aussage aber nur über eine Leihfirma nehmen, da ich ja mal bei ihnen gearbeitet hatte. Ich war sehr verärgert, musste es aber annehmen. Im Klartext verdient mein Kollege nebenan, auch nur mit einem befristeten Vertrag, knapp 1.000 Euro mehr. Wir machen die gleichen Tätigkeiten und ich habe eine viel bessere Qualifikation als manch anderer. Da frage ich mich manchmal, wie ungerecht die Welt doch ist.“ „Ich finde es nicht in Ordnung, dass ein Leiharbeiter sieben Jahre in ein und demselben Betrieb arbeitet, der Betrieb mit ihm zufrieden ist, er aber nicht übernommen wird, weil er zu alt ist – 54 Jahre – und als Arbeiter zweiter Klasse billiger ist als eigene Leute.“ * D ie Stellungnahmen wurden im Rahmen einer Erhebung der IG Metall zusammengetragen. Dafür wurde im November 2011 eine Auswahl der Mitglieder in Leiharbeit angeschrieben und zu ihrer Beschäftigungssituation befragt. Die Antworten beschreiben skandalöse Zustände – hier einige anonymisierte Beiträge, ausgewählt aus den mehr als 1.000 Erfahrungsberichten. Namen und Kontaktdaten sind der IG Metall bekannt. Zum Schutz der Befragten bleiben die Zitate anonym. „Mein Leiharbeiterstatus besteht seit nunmehr sechs Jahren bei einer Einsatzfirma. Was hat das mit Auftragsspitzen oder Saisonarbeit zu tun? Meistens verhindert dieser Status Leiharbeiter eine berufliche Weiterentwicklung. Zum einen wird Geld lieber in die Stammbelegschaft investiert, zum anderen ist es sehr schwer, unbequeme Meinungen zu äußern. Zudem ist es meine Erfahrung, dass man als gewerblicher Arbeitnehmer fast nur über die Leiharbeit in einen Job kommen kann. Die Personalabteilungen der Einsatzfirmen wissen dann auch so gut wie nichts über die Qualifizierungen des geliehenen Personals.“ „ W ie sollen denn die Leih arbeitsfirmen mehr bezahlen – da hätten sie ja keinen Lohn! Ich habe früher in der gleichen Firma genau die gleiche Arbeit, auch in drei Schichten, für etwa 1.000 Euro mehr gemacht. Das verdient jetzt der Verleiher. Da hat man so einen Hals!“ „Ich bin jetzt fünfeinhalb Jahre bei der Firma. In der Zeit hatte ich nicht eine Fehlschicht, mehr kann ich nicht für den Betrieb tun. Die ‚Probezeit‘ muss doch mal ein Ende haben.“ „Leiharbeit ist das Allerletzte. Ich war 34 Jahre fest bei einem Unternehmen angestellt, bis die Geschäftsführung 2003 beschloss, die Firma zu verlagern. Seit knapp vier Jahren mache ich jetzt Leiharbeit. Das Geld reicht hinten und vorne nicht. Jeden Monat muss ich 200 bis 400 Euro vom Ersparten abheben. Die Leiharbeitsfirma muss sich um mich gar nicht mehr kümmern, da ich schon seit dreieinhalb Jahren in einer Firma arbeite. Dass so etwas überhaupt möglich ist!“ „Ich finde es erschreckend, dass Leiharbeiter zwei bis drei Jahre am selben Einsatzort beschäftigt sind, die gleiche bzw. mehr Arbeitsleistung erbringen als Festangestellte und dennoch keine Aussicht auf eine Übernahme haben. Man hat das Gefühl, dass die Angst vor Arbeitslosigkeit ausgenutzt wird. Man könnte denken, dass Leistung einfach ‚übersehen‘ wird, keine Übernahme erfolgt und die Leiharbeiter einfach abgemeldet werden, wenn sie mal nicht ihre 150 Prozent leisten und damit ‚unangenehm’ auffallen. Die Leiharbeit hat ihren Sinn verloren und ist außerdem schlecht bezahlt.“ Foto: Privat 54 Jens Köhler „Eigentlich gibt es unter den Beschäftigten vier Klassen“ Interview mit Jens Köhler Leiharbeit zurückzugreifen. Wenn dadurch aber – um im Fußballbild zu bleiben – sie aber auf Dauer Arbeitsplätze besetzt wer- stehen im unteren Drittel, in der Abstiegs- den, im Angestelltenbereich wie in der zone. BMW versucht schon, die Leiharbei- Produktion, haben wir ein Problem damit. ter komplett in den Arbeitsprozess einzubeziehen, sie sind fester Bestandteil der Was kennzeichnet die Leiharbeiter im Gruppen. Aber nichtsdestotrotz gibt es Betrieb, wie unterscheiden sie sich von gewichtige Unterschiede. den Festangestellten? Leiharbeit und Werkverträge spalten Be- Wie viele Leiharbeiter gibt es derzeit im Im Mittel sind die Leiharbeiter drei bis Welche sind das? legschaften. Dadurch fühlen sich nicht BMW-Werk Leipzig? vier Jahre im Betrieb. Wir haben aber auch Der wichtigste Unterschied zeigt sich am nur Leihbeschäftigte wie Arbeiter zweiter Zurzeit sind wir in Leipzig rund 2.700 Arbeiter, die seit acht Jahren bei uns ein- Lohntag: Da bekommen die Leiharbeiter Klasse, sondern durch die unternehme- Stammmitarbeiter. Dazu kommen 1.100 gesetzt sind. Im Durchschnitt sind die weniger als die Stammmannschaft. Und die rische Entscheidung bildet sich sogar Leiharbeiter, die bei BMW arbeiten. Seit Leiharbeiter ähnlich qualifiziert wie die Leiharbeiter wissen eben nicht, wie lange ein eigenes Klassensystem heraus, sagt die Produktion im Jahr 2005 startete, ist Festangestellten, wobei man sagen muss, sie noch bei uns sind. Jens Köhler, Betriebsratsvorsitzender im die Leiharbeit konstant auf diesem Level: dass es immer schwieriger wird, qualifizier- BMW-Werk Leipzig, wo die BMW-1er-Reihe rund ein Drittel Leiharbeiter und zwei Drit- te Facharbeiter, also Automobilwerker, zu Wie groß ist der Lohnunterschied? und der BMW X1 vom Band rollen. Auf der tel Stammbelegschaft. Während der Krise finden. Und wir sehen, dass die Leiharbei- Wir haben zwar kein Equal Pay, doch be- unteren der ungewollten Hierarchiestufen hat BMW die damals 800 Leiharbeiter ab- ter im Schnitt jünger sind als die Stamm- kommen die Leiharbeiter das reguläre stehen diejenigen Leiharbeiter, die nicht gemeldet, sie aber nach sechs Monaten mannschaft, auch wenn es zum Alter keine Grundentgelt der Metall- und Elektroin- im Unternehmen selbst, sondern bei Werk- relativ schnell wieder gebraucht. Zahlen gibt. dustrie. Wegen der leistungsabhängi- vertragsfirmen beschäftigt sind. Für die gen Bestandteile, die Leiharbeiter nicht Leiharbeiter bei BMW konnte tarifvertrag- Wo fängt für Sie der Missbrauch der Die Statistik zeigt, dass Jüngere oft gar bekommen, beträgt der Unterschied zur lich bereits ein Grundgehalt ausgehandelt Leiharbeit an? keinen anderen Weg auf den Arbeits- Stammmannschaft monatlich ungefähr werden, das dem der Stammbelegschaft Über die Quote möchte ich das gar nicht markt finden als über Leiharbeit. Viele zehn Prozent. Für den Rest der Entgelt- entspricht. Doch auf die Werkverträge hat definieren. Es geht darum, dass Dauerar- fühlen sich als Mitarbeiter zweiter und Sozialbedingungen gelten die Tarif- der Betriebsrat keinen Einfluss. beitsplätze nicht mit Leiharbeit ersetzt wer- Klasse. verträge des BZA. Dadurch ergeben sich den sollen. Es hat niemand etwas dagegen, Aus der Ausbildung werden bei uns fast alle Unterschiede beim Urlaubsanspruch, bei Saisonschwankungen, für Urlaubs- und Auszubildenden in der Regel unbefristet der bei den Leiharbeitern nach Dauer der Krankheitsvertretungen sowie bei Projek- übernommen. Und es gibt tatsächlich auch ten, die über einen überschaubaren Zeit- Festanstellungen. Vielleicht fühlen sich die raum von maximal zwei Jahren laufen, auf Leiharbeiter bei uns nicht als zweite Klasse, 56 Betriebszugehörigkeit gestaffelt wird, den Speisen und Getränken haben wir die- strikte Trennung, entweder schon bei den und bei den Nachtzuschlägen, die für se Gleichstellung vor fünf Jahren erreicht, Hallen oder durch ein Liniensystem, wenn Leiharbeiter in der Spätschicht erst ab das heißt: Leiharbeiter zahlen seither in sich die Werkvertragspartner und BMW 23 Uhr und nicht schon ab 20 Uhr gelten. der Kantine das Gleiche, sie bekommen in der gleichen Halle befinden. Auf der ei- Es gibt für sie weniger Urlaubsgeld, ein also auch den Zuschuss von BMW. Bei der nen Seite arbeitet dann der BMWler und viel geringeres Weihnachtsgeld und kei- Weiterqualifizierung sind die Leiharbeiter auf der anderen Seite der Kollege mit dem partner. Ist ein Zuliefererprodukt wie der ne erfolgsabhängigen Zahlungen, wie wir mit einbezogen, wenn es um kurzfristige, Werkvertrag. Der Umfang dessen ist in Sitz mangelhaft, kann ich das schneller sie bei der Stammmannschaft haben. In stunden- oder tageweise Produktschulun- den letzten Jahren gleich geblieben – und lösen, wenn ich die Stellen mit eigenen der Folge betragen die Unterschiede beim gen geht – nicht aber bei Fortbildungen von gleichermaßen unbefriedigend, würde ich Leuten besetzt habe. Andernfalls muss im- Jahresentgelt zehn bis dreißig Prozent, mehreren Wochen und Monaten. aus Betriebsratssicht sagen. Denn auf die mer die Hierarchie eingehalten werden, das Werkverträge haben wir als Betriebsrat gar Problem muss dann an die entsprechenden keinen Einfluss. Mitarbeiter bei BMW und beim Partner be- wenn man das über den gesamten ZeitNeben Leiharbeit setzen Unternehmen raum betrachtet. vermehrt auf Werkverträge – auch im richtet werden, die miteinander im Kontakt Welche Unterschiede gibt es noch im Ar- BMW-Werk Leipzig? Bei welchen Arbeitsschritten wird auf sind. Die am Band stehen, dürfen nämlich beitsalltag? BMW hat das Werk in Leipzig so konzi- Werkverträge zurückgegriffen? nicht miteinander kommunizieren, sonst Bei der Ausstattung sind die Leiharbeiter piert, dass hier ca. 2.000 Beschäftigte Die Dienstleister übernehmen wichtige Pro- ist das illegale Arbeitnehmerüberlassung. gleichgestellt, sie bekommen die gleiche bei sogenannten Werkvertragspartnern duktionsschritte. Sie machen zum Beispiel Der Aufwand, um die gewünschte Qualität Kleidung wie die BMW-Stammwerker. Bei oder Dienstleistern arbeiten. Es gibt eine die Cockpits, fertigen die Achsen, kom- zu erreichen, ist dadurch größer. plettieren die Türen, stellen die Sitze auf Die Arbeitgeber spalten die Betriebe zunehmend in Stamm- und Randbelegschaften er W Früher Betrieb Beschäftigte Le a (K nt in tr Heute Betrieb en ng . a.) u t is z u tle hu t s en sc Di e r k W e, k r ve e äg ih b ar ei Be (K denn bei BMW – und wie viele bei den zur eigentlichen Arbeit des Automobilisten Werkspartnern? gehören. Dann gibt es noch die klassischen Wir haben im Werk insgesamt rund 6.000 Werkverträge in der Kantine, bei der Werks- Beschäftigte. Davon sind, wie gesagt, sicherheit oder in der IT-Betreuung, gegen 2.700 bei BMW und 1.100 bei Leihfirmen die wir im Prinzip nichts haben. Doch was tätig, weitere 2.200 arbeiten bei den Werks darüber hinausgeht, diese direkte Abhän- partnern. Bei vielen von denen ist das Ver- gigkeit in der Produktion, die stört uns. hältnis Stammbelegschaft zu Leiharbeitern tu n ähnlich wie bei BMW, so dass wir davon n ge n ge ) un u. a. t is le t z s t chu n e s Di e r k W , ne s f ri an Wie viel Prozent der Leute am Band sind umfassen also relativ viele Tätigkeiten, die Beschäftigte t ti dem Werksgelände her. Die Werkverträge Quelle: IG Metall Wie ist das gemeint? ausgehen, dass von den 2.200 Mitarbei- Die Abhängigkeit entsteht, weil die Werk- tern der Werksfirmen ebenfalls ein Drittel vertragspartner direkt in die Produktions- in Leiharbeit ist. Um also noch einmal auf kette eingebunden sind. Wenn es dann die Klassengesellschaft zurückzukommen: beim Fertigen des Autos ein Problem gibt, Eigentlich gibt es unter den Beschäftigten wird es relativ kompliziert, denn die Män- vier Klassen: BMW-Stammbelegschaft, gelbeseitigung erfolgt über die Werks BMW-Leiharbeiter, Werkvertragsstamm mitarbeiter und Werkvertragsleiharbeiter. In dieser Reihenfolge ist auch die Bezahlung abgestuft. 57 58 Auch aktuell setzen Sie sich für die Leiharbeitnehmer ein. Wir haben die Zustimmung zur Vertragsverlängerung von Leiharbeitern verweigert, damit Druck auf der Arbeitgeberseite entsteht. Aber wir haben immer betont, dass wir an einer internen Lösung interessiert sind. Parallel zu den Gerichtsprozessen re- Was können Sie als Betriebsrat für die- den Unternehmensleitung und Betriebsrat se unteren Klassen tun? miteinander. Der Fokus liegt für uns auf ei- Für die Werkverträgler können wir gar ner überbetrieblichen Lösung, um am Ende nichts tun, da fehlen uns sämtliche Rech- nicht nur für Leipzig, sondern für die ganze te, kein Paragraf im Betriebsverfassungs- BMW AG Deutschland eine Regelung zum gesetz gibt uns dazu die Möglichkeit. Wir Thema flexibles Personal zu finden. Ich haben lediglich ein Informationsrecht, so glaube, dass es in den nächsten Monaten dass wir die Verträge anfordern und ein- eine Lösung geben wird – ich bin da zuver- sehen können, die Laufzeiten, die entste- sichtlich. Wir sind im Gesamtbetriebsrat henden Kosten. Aber in meiner Funktion als gut vernetzt. Denn die Leiharbeit ist nicht Betriebsrat weiß ich nicht, was die Leute nur eine Leipziger Problematik, auch wenn am Ende verdienen. sie hier extrem zugespitzt ist. Wie sieht das bei den Leiharbeitern aus? Dass Leiharbeiter bei BMW nun tarifvertraglich das Grundgehalt der Metall- und Elektroindustrie bekommen, wurde zwischen der IG Metall und den Zeitarbeitsfirmen vereinbart, und das haben wir maßgeblich als Betriebsrat von Leipzig aus angestoßen. Nur deshalb bekommen die Leiharbeiter hier eine bessere Bezahlung als die Werkvertragspartner rundherum. Selbst wenn es erstmal noch zehn Prozent im Monat weniger sind, ist es für jeden Einzelnen eine Stange Geld und damit ein Riesenerfolg. Ein weiterer Erfolg ist es, dass Leiharbeiter bei neuen Festeinstellungen mittlerweile als Erste berücksichtigt werden. Das sind schon zwei Pluspunkte. „Im Einsatzbetrieb bin ich seit Mai 2007, ohne Unterbrechung, immer nur drei Monate Verlängerung!“ 60 Mitbestimmung, befristet – oder in Leiharbeit, unter einem anderen Tarifvertrag Foto: Privat und ein Stück weit an der Mitbestimmung Dr. Hajo Holst vorbei. In der Krise zeigte sich die strategische Funktion der Leiharbeit besonders. zielt diese Betriebe anzuschauen und zu Wo es Absatzschwierigkeiten gab, wurden fragen: Was passiert da? Was sind die Stra- zuerst die Leiharbeiter entlassen. tegien dahinter und welche Folgen hat das? Mancher warnt vor Alarmismus. Nur „Der Weg in den Betrieb führt dann nur noch über Leiharbeit“ Interview mit Dr. Hajo Holst Sie haben dafür den Begriff der knapp drei Prozent der Beschäftigten in strategischen Nutzung von Leiharbeit Deutschland sind in Leiharbeit tätig. verwendet. Formalstatistisch stimmt das. Die große Der Begriff bezieht sich darauf, dass Leih- Mehrheit der Betriebe nutzt keine Leihar- arbeit in den neuen Nutzungsformen zu beit. Wenn man aber genauer hinschaut, einem Teil der strategischen Unterneh- merkt man: Leiharbeit ist ein Phänomen mensführung wird. Die Stammbelegschaft von Großbetrieben. Jeder zweite Großbe- Zukünftige Kosten vermeiden, aktuelle wird über Budgets oder eine Kopfzahl trieb mit mehr als 250 Beschäftigten setzt Kosten reduzieren: Der neue strategische gedeckelt. Wird mehr Personal benötigt, inzwischen Leiharbeit ein, fast die Hälfte Einsatz der Leiharbeit ist mit einem dop- geht das nur über externe Arbeitskräfte, davon intensiv mit einem Anteil von mehr pelten Blick auf die Kosten verbunden, die sich die Produktionsverantwortlichen als 20 Prozent der Belegschaft. Und sie sagt der Soziologe Dr. Hajo Holst. Aus nötigtem Know-how. Oder der Einsatz gilt über Leiharbeit oder Werkverträge in den ist ein Branchenphänomen, vor allem im einem personalpolitischen Instrument kurzfristigen Auftragsspitzen, die mit dem Betrieb holen müssen. Unsere Prognose verarbeitenden Gewerbe, der Metall- und sei mittlerweile ein Baustein der strategi- klassischen Instrument der Arbeitszeitfle- ist, dass sich diese strategische Nutzung Elektroindustrie und der Automobilbran- schen Unternehmensführung geworden. xibilität der Stammbelegschaft nicht mehr weiter ausbreitet. che. Bei den Fertigungs- und Montagear- Holst erklärt, warum die Leiharbeit von aufzufangen sind. In beiden Fällen orien- einigen Betrieben schon längst nicht mehr tiert sich Leiharbeit reaktiv an gegenwärti- Welches Ziel verfolgt man damit? als sechs Prozent, jeder dritte Hilfsarbeiter als Überganglösung gesehen wird, wel- gen Problemen im Arbeitsprozess. Das hat Ziel ist einerseits die zukunftsorientierte ist inzwischen als Leiharbeitnehmer ange- che Branchen und Tätigkeiten besonders sich infolge der Reform 2004 gewandelt. Absicherung gegen das Kapazitätsrisiko. stellt. Bestimmte Arbeitsmarktsegmente Leiharbeit dient als Vorsorge gegen Ab- trifft es also besonders. betroffen sind – und er beschreibt den beiten liegt der Leiharbeitsanteil bei mehr Mechanismus, wie gerade in Krisenzeiten Was ist nach der Deregulierung der satzschwankungen, bei einem Auftrags- reguläre Arbeitsplätze durch Leiharbeit Arbeitnehmerüberlassung im Zuge der einbruch können die Arbeitskosten relativ verdrängt werden. Hartz-Reformen passiert? schnell reduziert werden. Das zweite Ziel Leiharbeit wurde seither in immer mehr betrifft die gegenwärtige Kostenkalkulati- Sie haben zum Funktionswandel der Leih- Betrieben dauerhaft eingesetzt. So häuf- on. Durch die Tarifverträge in der Leiharbeit arbeit geforscht. Was ist damit gemeint? ten sich die Berichte, dass Leiharbeitneh- entstand im Grunde eine niedrigere zwei- Im klassischen Sinn ist der Einsatz von mer drei oder vier Jahre auf dem gleichen te, dritte und vierte Lohnebene. Und seit Leiharbeit ein befristetes Übergangsphä- Posten arbeiten oder dass in manchem 2004 ist Leiharbeit eine legitime personal- nomen. Es geht um Ersatz für Personal, Betrieb 30 bis 40 Prozent der Belegschaft politische Option. Die Personalabteilung das krank ist oder im Urlaub, und um den über Leiharbeit beschäftigt sind. Beides kann sich entscheiden, wie sie jemanden Einkauf von spezifischem, kurzfristig be- war neu. Für uns war das der Anlass, ge- einstellt: fest, mit Flächentarifvertrag und 62 denden Einfluss darauf, wie sich dieser Sie haben im Rahmen Ihrer Forschungs- Statusunterschied auswirkt. So pro- arbeit viele Gespräche in den Betrieben duzier t die strategische Nutzung der geführt. Welche Statusunterschiede be- Leiharbeit größere Spannungen als eine lasten Leiharbeitnehmer besonders? Wie sehen diese Schließungseffekte aus? Dennoch nutzt die Mehrheit der qualitätsorientierte Personalpolitik, die Im Grunde sind es drei Punkte: die mate- Setzt sich in bestimmten Branchen und Betriebe keine Leiharbeit. Warum? Leiharbeit nur bei Auftragsschwankun- rielle Schlechterstellung, die Zukunftsun- auf regionalen Arbeitsmärkten die strate- Um Leiharbeit wirkungsvoll einzusetzen, gen oder Personalengpässen einsetzt. gewissheit und die mangelnde soziale und gische Nutzung durch, wird dort nur noch braucht man zunächst eine professiona- Wichtig ist auch das Verhalten der Inte- rechtliche Integration. Nicht wenige ver- über die Leiharbeit eingestellt. Die Betrie- lisierte Personalpolitik. Dafür muss das ressenvertretung und der Vorgesetzten. wenden den Sklavenbegriff, haben das Ge- be ersetzen so abgewanderte Stammkräf- Unternehmen eine bestimmte Größe ha- Versuchen die, Statusunterschiede auf- fühl, Arbeitnehmer zweiter Klasse zu sein. te, rekrutieren aber selbst keine Beschäf- ben – unter den Großbetrieben nutzen ja zufangen? Das ist zwar anstrengend, aber Ihr niedriger Status erschwert es ihnen, tigten direkt auf dem Arbeitsmarkt. Für 48 Prozent Leiharbeit. Dann gilt: Je höher umso wichtiger. Selbst Scherze werden ihre Rechte im Betrieb wahrzunehmen. Der Erwerbslose führt der Weg in den Betrieb der Qualifizierungsaufwand, desto weni- aus unsicherer Position heraus anders Gedanke ist: Ich will übernommen werden. dann nur noch über Leiharbeit. Die Ver- ger ist ein Bereich überhaupt für Leihar- wahrgenommen. Auf der anderen Seite Kann ich dann meinem Vorgesetzten wi- drängung passiert allerdings nicht eins beit geeignet. Zudem birgt der strategi- gibt es allerdings auch Vorgesetzte, die dersprechen? Selbst wenn dieser Fehler zu eins, als direkte Substitution, sondern sche Einsatz von Leiharbeit Risiken. Die diese Statusunterschiede missbrauchen. macht, halten sie sich zurück. Es reicht über Konjunkturzyklen. In der Krise wer- Fokussierung auf das Kapazitätsrisiko Sie wissen, dass die Leiharbeitnehmer demnach nicht aus, die Rechte der Leute den Normalbeschäftigte entlassen, im führt zu einer Einschränkung der funkti- samstags zur Extraschicht kommen, die zu stärken. Man muss die Leute auch in die nächsten Aufschwung kommen stattdes- onalen Flexibilität der Arbeitskräfte. Weil unliebsamen Aufgaben machen – und Lage versetzen, ihre Rechte zu nutzen. sen Leiharbeitnehmer. Am größten sind Leiharbeitnehmer oft nicht so qualifiziert nutzen das aus. die Schließungseffekte in den Branchen Welchen Einfluss hat die strategische mit einer hohen Intensivnutzung der Leih- ziert das ihre Einsatzmöglichkeiten. Und Welches Gewicht hat der Betriebsrat? Nutzung der Leiharbeit auf die Probleme arbeit. Es gibt Unternehmen, die haben Leiharbeit provoziert Instabilitäten im Wir sind eine Belegschaft und behandeln der Leiharbeiter? in ganz Europa seit Jahren keine Beschäf- Arbeitsprozess, Konflikte, Konkurrenzen, uns gegenseitig gleich: Wenn Betriebsräte Das ist ambivalent. Einerseits sagen sich tigten mehr für Produktion und Montage Motivationsprobleme. Eine Studie des die Stammbeschäftigten so mobilisieren, Leiharbeitnehmer: Wenigstens bin ich fest eingestellt. Da wird die strategische DIW zeigt, dass es offensichtlich einen kann das die Statusunterschiede kom- jetzt zwei oder drei Jahre im selben Be- Nutzung auf die Spitze getrieben. Umschlagpunkt gibt und die Lohnstück- pensatorisch einhegen. In vielen Betrie- trieb, muss nicht mehr ständig wechseln. kosten ab einem bestimmten Niveau von ben gibt es sogar Koalitionen zwischen Häufig bekommen sie ein bisschen mehr Literatur Leiharbeit sogar deutlich ansteigen. Betriebsräten und direkten Vorgesetzten. Geld, die soziale Integration verbessert Hajo Holst, Oliver Nachtwey, Klaus Dörre werden wie eigene Arbeitskräfte, redu- Ein Vorgesetzter mit einem Drittel Leihar- sich. Man darf nicht vergessen, dass die (2009): Funktionswandel von Leiharbeit. Können Sie diese Instabilitäten beitnehmer in seiner Mannschaft hat ein häufigen Wechsel anstrengend und belas- Neue Nutzungsstrategien und ihre arbeits- näher beschreiben? Interesse daran, dass seine Mitarbeiter tend sind. Andererseits gibt es aber auch und mitbestimmungspolitischen Folgen, Durch Leiharbeit wird grundsätzlich ein sozial integriert sind, dass sie mitgenom- Schließungseffekte, so dass der Übergang OBS-Arbeitsheft 61. Statusunterschied in die Belegschaft men werden und gut arbeiten können. Für in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis getragen, der das Miteinander prägt. das Produktionsergebnis ist er auf ihre schwerer wird, wenn Unternehmen Leihar- Die Managementstrategie hat entschei- Arbeitsleistung angewiesen. beit strategisch einsetzen. 64 trieb „kleben bleiben“, bildet die seltene Ausnahme, Festanstellungen erfolgen häufig erst auf Druck des Betriebsrats. Die Übernahmequote ist deutlich niedriger als die von den Arbeitgebern behauptete von 30 Prozent. So zeigt ein Forschungsbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Moderne Mythen: Leiharbeit als Weg auf den Arbeitsmarkt? (IAB), dass der Anteil übernommener Leiharbeitskräfte an allen Leiharbeitskräften in den Unternehmen im ersten Halbjahr 2008 bei sieben Prozent lag. Dabei wurden auch diejenigen Leiharbeiter berücksichtigt, die nicht direkt in die Festanstellung Leiharbeit ist eine Brücke auf den Ar- dass überhaupt so viele Menschen auf wechselten, sondern in der Vergangen- beitsmarkt, und gute Leiharbeiter über- Leiharbeit angewiesen sind. Die aktuellen heit überhaupt einmal in Leiharbeit bei nimmt der Einsatzbetrieb. So lauten gän- Zahlen aus dem Bericht zur Arbeitnehmer- ihrem späteren Arbeitgeber beschäftigt Befürworter bezeichnen die Leiharbeit gige Mythen über die Leiharbeit. Dazu überlassung der Bundesagentur für Arbeit waren. Den direkten Sprung ins Stamm- auch gerne als eine „Brücke auf den Ar- passt die nicht beleg te Behauptung belegen das. personal schafften wohl eher noch weni- beitsmarkt“: Erwerbslose würden über ger Personen. Leiharbeit langfristig wieder in Beschäfti- des Bundesarbeitgeberverbandes der gung finden. Wenn sie schon nicht direkt Personaldienstleister(BAP) Ende 2011, Nur jeder zehnte der zwischen Juni 2010 Kunden überführten wegen der konjunk- und Juni 2011 neu eingestellten Leiharbei- Dabei haben bei der jüngsten IGM-Erhe- vom Entleiher übernommen würden, so turbedingt guten Auftragslage gerade „im ter war vorher langzeitarbeitslos, also län- bung 88 Prozent der befragten Leihar- verbesserten sich dennoch ihre Chancen großen Stil“ Leiharbeiter ins Stammper- ger als ein Jahr ohne Beschäftigung. Fast beiterinnen und Leiharbeiter angegeben, auf dem Arbeitsmarkt. Leiharbeit also als sonal. Die Realität sieht anders aus: Die die Hälfte der neu eingestellten Leiharbei- dass eine Übernahme in ein Stammar- eine Art Vorbereitung auf die Normalbe- Übernahme von Beschäftigten in Leihar- terinnen und Leiharbeiter hatte erst in den beitsverhältnis für sie „sehr wichtig“ ist, schäftigung? Der geringe Anteil derjenigen beit ist die Ausnahme und oft genug nur zwölf Monaten zuvor eine andere Stelle weiteren zehn Prozent ist sie „wichtig“. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, die zu- verloren. Das heißt, sie Kein Wunder, wenn der langfristige Ein- vor überhaupt langzeitarbeitslos waren, wurden in der Krisenzeit satz von Leiharbeitern immer häufiger der stimmt skeptisch. Um den Brückeneffekt entlassen und fanden Fall ist. Bei der Umfrage hat mehr als die tatsächlich überprüfen zu können, muss anschließend nur über Hälfte der Befragten angegeben, bereits man den Blick jedoch auf die Beschäfti- die Leiharbeit einen Job. länger als ein Jahr im gleichen Einsatzbe- gungsphasen nach der Leiharbeit rich- Leiharbeit verdrängt so trieb beschäftigt zu sein. Mehr als 4.000 ten. Hierbei zeigt sich, dass der Anteil feste Stellen und wird IG-Metall-Mitglieder in Leiharbeit haben derjenigen, die über die Leiharbeit in ein sich an der Erhebung beteiligt. reguläres Arbeitsverhältnis finden, klein „Seit Ende meiner Ausbildung 2006 arbeite ich nur in der Leiharbeitsbranche. Immer wieder vertröstet man uns auf Festanstellung am Sankt-Nimmerleins-Tag. Durch die Hire-and-Fire-Situation konnte ich bisher keine Familie gründen, keinen Führerschein machen und so weiter.“ dem massiven Druck der Betriebsräte im für Beschäftigte zu einer willkürlich ver- Einsatzbetrieb zu verdanken. In der Krise längerten Probezeit mit unsicherem Aus- ist. Wesentlich mehr Personen bleiben in vor zwei Jahren wurde Leiharbeitern vor gang. Denn der sogenannte Klebeeffekt, der Leiharbeit hängen oder fallen in die allem gekündigt. Konjunkturbedingt ist, nämlich dass Leiharbeiter im Einsatzbe- Arbeitslosigkeit. 66 Die Studien, die Klebeeffekt und Brückenfunktion untersuchen, sind immer nur Momentaufnahmen. Neben der konjunk- Die Brücke auf den Arbeitsmarkt ist nur ein schmaler Steg: Lediglich sieben Prozent turellen Lage beeinflussen weitere Fakto- der ehemals arbeitslosen Leiharbeitskräfte finden eine dauerhafte Festanstellung ren die individuellen Übernahmechancen. Innerhalb von zwei Jahren nach der Überlassung waren Leiharbeiter überwiegend* … Zum Beispiel die Art der Tätigkeit: Wer im Einsatzbetrieb als Hilfsarbeiter beschäftigt ist, wird seltener fest eingestellt als ein Spezialist. Oder die rechtliche Lage: Im Dezember 2011 wur- „Ich bin der Meinung, dass ein Leiharbeitsverhältnis spätestens nach zwölf Monaten in eine Festanstellung verwandelt werden sollte, selbst wenn die zeitlich begrenzt ist. Schließlich will auch ein Leiharbeiter seine Zukunft, Familie, Kinder planen, was in der Leiharbeit aber leider nahezu unmöglich ist.“ de das Arbeitnehmer 7 % … überlassungsgesetz um den Passus ergänzt, dass eine Überlassung immer „vorübergehend“ erfolge. Allerdings hat der Gesetzgeber das Eine IAB-Untersuchung hat die Erwerbs- nicht definiert, einschlägige Urteile von verläufe von Leiharbeitskräften des Jah- Arbeitsgerichten stehen noch aus. Die res 2006 ausgewertet. Dafür wurden die Entscheidung der Gerichte wird noch über vorhergehenden und die auf die Leiharbeit mehrere Instanzen gehen. Mit einer end- folgenden Beschäftigungsverhältnisse ana- gültigen Entscheidung ist erst in mehreren lysiert, in einem Gesamtzeitraum von vier Jahren zu rechnen. Viele hoffen darauf. Jahren. Die Ergebnisse zeigen: Nur sieben Prozent der vormals Arbeitslosen schaffen es, im Zweijahreszeitraum nach der Leihar- Literatur beit überwiegend beschäftigt zu bleiben Florian Lehmer, Kerstin Ziegler (2010): Brü- und die Leiharbeit komplett hinter sich zu ckenfunktion der Leiharbeit: Zumindest ein lassen. 57 Prozent hingegen sind auch zwei schmaler Steg, IAB-Kurzbericht Nr. 13. ar be l it s os g em el de t e in ke en) ( t s tig l a s äf g e h u c es e z t b is o d i be p ar s e ih e i t e L rb e r ha n b d L ei l se ) a rh itere ha s e n e P s ß e e r z la au w … ku ug e ( z t tig e i t ä f ig k h s c gt e s slo e f ti t b e it n i ä h n h be r b sc eo e ar A be uf Tag ih u n d ä t e i l 5 L t r e ve 3 6 e r be i rb bs vo n ha b d har r i l e a i Le r w ng rh Le in ß e von e E er u … u g d i a e t or … s t nf un s t a … de in M Quelle: Integrierte Erwerbsbiografien (IEB), Institut 35 % 10 % 25 % 22 % für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Jahre nach der Leiharbeit arbeitslos oder weisen einen „unstetigen Erwerbsverlauf“ Andreas Crimmann, Kerstin Ziegler, Peter Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) untersuchte die Beschäfti- aus. Das Fazit der Autoren fällt entspre- Ellguth, Susanne Kohaut, Florian Lehmer gungsverhältnisse von Leiharbeitskräften vor und nach ihrer Überlassung im Jahr 2006. chend nüchtern aus. Für sie ist Leiharbeit (2009): Forschungsbericht zum Thema Von den 25 Prozent der Leiharbeitskräfte, die innerhalb der vorhergehenden zwei Jahre „keine breite Brücke, sondern wohl eher „Arbeitnehmerüberlassung“, IAB (zugl.: überwiegend arbeitslos gemeldet waren, fanden in den folgenden zwei Jahren nur sieben ein schmaler Steg aus der Arbeitslosigkeit Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Prozent eine reguläre Beschäftigung außerhalb der Leiharbeit. in Beschäftigung außerhalb der Branche“. Forschungsbericht Arbeitsmarkt, Nr. 397). * überwiegend = mindestens 365 Tage im Zweijahreszeitraum 67 68 innern. Damals brach sich ein Kollege den Fuß, hatte Schmerzen. Trotzdem musste er weiter schleppen. „Keiner wollte den Krankenwagen rufen. Der Einsatzbetrieb sagte nur: ‚Ich habe dich für den Tag be- Nahaufnahme: Martin, Leiharbeiter stellt, jetzt sollst du auch arbeiten.‘ Das Finanziell hat sich durch die Übernahme war das Schlimmste, was ich jemals in der für Martin nicht viel geändert. Ob Leihar- Zeitarbeit erlebt habe.“ beiter oder Festangestellter, der Stundenlohn ist gleich geblieben. Dennoch ist es Wechselnde Aufgaben, viel Hin und Her, für ihn nach Jahren in der Leiharbeit eine oft körperlich anstrengende Tätigkeiten – Erleichterung, nun unbefristet und fest zur für Martin brachte die Leiharbeit lange Zeit Stammbelegschaft zu gehören. Als Famili- „Ich habe mir von der Leiharbeit nie viel vorgekommen, erinnert er sich, dass ein kaum Stabilität mit sich. Obwohl er eine envater mit zwei Kindern sagt er: „Mir geht versprochen. Insofern konnte ich davon Verleiher den Arbeitsvertrag mit der Ein- zertifizierte Qualifikation nachweisen es um Planungssicherheit. Mit Familie auch nicht enttäuscht werden“, sagt satzzeit synchronisierte. kann und selbst schon als Ausbilder tätig denkt man darüber nach, mal in Urlaub zu war, hieß es oft: niedrige Einstufung bei fliegen, einen Kredit aufzunehmen, einen Martin schulterzuckend. „Ich wusste von Anfang an, dass das moderner Sklaven- Stapelweise Angebote – immer Leiharbeit den Entgeltgruppen, schlechte Bezahlung. Fernseher zu kaufen. In der Leiharbeit ist handel ist. Die Leute werden verkauft, Die Arbeitsagentur schickte dann gleich Bis auf 6,70 Euro wurde Martins Stunden- man doch jederzeit abmeldbar. Die sagen um Arbeit zu verrichten. Und oft wird man den nächsten Stapel Angebote. Darunter lohn in manchem Einsatzbetrieb gedrückt. einfach: Jetzt ist Schluss. Und das war’s nicht viel besser bezahlt als ein Sklave“, kein einziges von einem Unternehmen, Doch 800 Euro netto monatlich reichen dann.“ Selbst befristet wäre ihm die Fest- fügt er in sachlichem Ton hinzu. Für ihn sondern nur Adressen sogenannter Per- nicht zum Leben. „Dann bekommt man anstellung lieber gewesen, um wenigstens ist das keine neue Erkenntnis, sondern sonaldienstleister. Sackgasse Leiharbeit Stütze, geht ja nicht anders.“ ein, zwei Jahre Stabilität zu haben. langjährige Erfahrung. Martin kennt den also? An Beständigkeit und Zukunftspla- Arbeitsmarkt fast nur aus dieser Perspek- nung war nicht zu denken: „Für mich war „Kein Mensch hält das durch“ Trotz Boom kaum Festeinstellungen tive. Nach zwölf Jahren in der Leiharbeit Leiharbeit immer damit verbunden, dass Seit einigen Monaten hat Martin nun einen Die erneuerbaren Energien sind eine weiß er, wovon er spricht. einem sofort gekündigt werden kann – und neuen Job, diesmal aber keine neuen Kol- Boombranche. Auch in Martins Betrieb auch wird“, sagt er. Selbst Krankheit ge- legen und keinen neuen Arbeitsweg. Denn läuft die Produktion auf Hochtouren. Doch Ungefähr 15 verschiedene Verleiher hat fährdete den Arbeitsplatz: „Ich war mal bei neu ist der Job nur auf dem Papier. Sein statt neue Mitarbeiter einzustellen, setzen Martin in den letzten Jahren kennenge- einer Firma, die hat die Leute entlassen, früherer Entleiher hat ihn übernommen. die Firmen auf Leiharbeit. Dabei geht es lernt, so genau erinnert er sich nicht mehr. wenn sie in der Probezeit krank wurden. Martin ist in die Stammbelegschaft ge- nicht um einen kurzfristigen Flexibilitäts- „Alle großen Firmen habe ich durch, und Wenn sie wieder gesund waren, wurden rutscht und nun direkt beim Unternehmen puffer: „Bei uns sind die aktuellen Leis- einige kleine. Eine schuldet mir sogar noch sie erneut eingestellt. Es ging nur darum, angestellt. Zuvor war er bereits über Jahre tungsspitzen dauerhaft, die Auftragsbü- 700 Euro, die mir für eine Schutzausrüs- das Gehalt nicht weiter zahlen zu müssen.“ als Leiharbeiter in diesem Betrieb – sein cher sind voll bis 2020. Das sind noch acht tung abgezogen wurden, die ich nie ge- Obwohl Martin viele verschiedene Einsät- längster Einsatz. Und sein letzter, wie er Jahre. Ein Wahnsinn, das mit Leiharbeit sehen habe. Die hatten nicht einmal ein ze hinter sich hat, kann er sich an den kur- hofft. Denn Leiharbeit bis zur Rente, das abzufangen“, sagt Martin. Viele Kollegen Büro, sondern saßen in einer Garage.“ zen Auftrag als Umzugshelfer noch gut er- kann sich Martin nicht vorstellen: „Kein kommen gar nicht mehr aus der Leiharbeit Sein kürzester Einsatz dauerte zwei Tage. Mensch hält das durch: die ständigen heraus. Immer wieder werden die Einsätze So lange war er angeheuert, um bei einem Wechsel, immer wieder neue Prozesse verlängert, und die Verleiher verdienen gut Umzug zu helfen. Als der erledigt war, war lernen. Man wird in nichts richtig gut. Eine daran mit. Weniger als die Hälfte dessen, auch Martin wieder arbeitslos. Es sei oft unbefristete Festanstellung ist doch das, was der Einsatzbetrieb zahlt, landet auf was alle wollen“, sagt er. dem Konto der Angestellten. Zugleich 69 70 wächst der Druck am Arbeitsplatz: „Leiharbeiter werden oft zusammengefaltet, sie müssen häufiger beim Meister antanzen. Sie können es sich nicht leisten, krank zu sein. Und sie müssen mehr Leistung bringen. Es gibt Unternehmen, die verbrennen Leiharbeiter regelrecht. Da heißt es dann immer nur: ‚Das muss schneller gehen, Jahren niemand direkt eingestellt. Es gibt schneller!‘ Das hält keiner länger als vier auch nie externe Stellenausschreibungen.“ Monate durch. Man wird verheizt.“ Martin ist unsicher, ob er selbst auf Dauer ohne Leiharbeit auskommen wird. Er will Dass Martin nun in die Stammbelegschaft deshalb anonym bleiben, seinen richtigen übernommen wurde, ist keinem Umdenken Namen nicht gedruckt sehen. Ein Foto? bei der Unternehmensstrategie, keinem Lieber nicht. Abrücken von der Leiharbeit geschuldet: Der Betriebsrat konnte die Einstellung in Weniger Aufwand im Arbeitsalltag einigen Präzedenzfällen erkämpfen, weil Die Festanstellung macht einige Abläufe die Unternehmensleitung an anderer Stel- im Arbeitsalltag einfacher. Zum Beispiel le seine Zustimmung brauchte. Doch noch wurde die Lohnabrechnung transparen- immer ist die Leiharbeitsquote hoch. Mehr ter – bei 40 Wochenstunden werden nun als die Hälfte der Mitarbeiter ist in Leihar- auch 40 Wochenstunden bezahlt, die beit beschäftigt, schätzt Martin, fast jede Pflicht, auf einem Arbeitszeitkonto 150 Woche werden neue durch die Werkhallen Stunden Mehrarbeit anzusparen, gilt nicht geführt. „Leiharbeit ist der einzige Weg, ins mehr. Martin freut das, denn von Über- Unternehmen zu kommen. Soweit ich mich stunden hatte er kaum etwas. „Als die erinnere, wurde in der Produktion seit zwei jetzt zu Vertragsende endlich ausgezahlt wurden, ging ein Großteil an den Fiskus.“ Dinge zu klären, ist nun mit weniger Aufwand verbunden: „Alles ist unkomplizierter geworden, weil es nicht mehr über die Leiharbeitsfirma läuft. Einen Tag Urlaub oder Krankheit kann ich jetzt direkt mit dem Betrieb besprechen, es sind nicht mehr unzählige Telefonate nötig.“ Und er trägt jetzt mehr Verantwortung, steht „Es müsste eine Regelung zur Übernahme geben, wenn man länger in einem Betrieb ist. Denn gebraucht wird man ja!“ 72 vielen Betrieben darum, wie gut man mit seinem Vorarbeiter und dem Meister kann. in der Hierarchie nicht mehr ganz unten. Martin, „damit die Leute noch mehr Gas ge- Denn die entscheiden, wer der Nächste Auch die Weiterqualifikation ist mit we- ben.“ Denn die Beschäftigten wollen raus ist. Transparent ist das am Ende nicht. Die niger Hürden verbunden und direkt im aus der Unsicherheit, der auf Jahre verlän- Leute sind oft mit absoluter Willkür einge- Betrieb möglich. Denn die angebotenen gerten Probezeit. Martin hat sich deshalb stellt worden. Einmal hieß es: Ein halbes Lehrgänge sind nur für Festangestellte. auch an den Betriebsrat gewandt. „Jahre- Jahr Einstellungsstopp! Und trotzdem sind lang wurde mir versprochen: Du stehst kurz Kollegen übernommen worden.“ Martins aktueller Arbeitgeber weiß es für vor der Übernahme. Da bin ich irgendwann sich zu nutzen, dass die Leiharbeitskräfte sauer geworden.“ von der Festanstellung träumen. Schon bei In einigen Einsatzbetrieben hat Martin ne Chance. Wer gibt mir denn 200.000 inoffizielle Listen gesehen, geführt von Euro? Selbst bei einem unbefristeten Ver- der Einstellung werden sie mit der Aussicht „Transparent ist das am Ende nicht“ Vorarbeitern und Meistern. Darauf wer- trag bist du innerhalb von zwei Monaten auf Übernahme gelockt. „Nach einem hal- Eigentlich soll das System der Übernah- den die Leiharbeiter nach dem Nutzen kündbar, einfach so. Die Leiharbeitsfirma ben Jahr besteht diese Option, wurde am men nachvollziehbar und eindeutig sein. sortiert, den sich das Unternehmen von sagt dann, sie hat keinen Auftrag mehr. Anfang gesagt.“ Doch eine Option ist eben Wichtigstes Kriterium ist die Dauer der Be- ihnen erwartet: oben die Kandidaten für Im Unternehmen ist das etwas anderes. keine Garantie. „Das sind Tricks“, findet triebszugehörigkeit. „Außerdem geht es in die nächste Übernahme, unten diejenigen Da geht das nicht so einfach. Wenn die für die erste Entlassung. Ein ständiger Be- Auftragsbücher voll sind, muss eine Kün- wertungsprozess, ein ständiger Wettbe- digung schon begründet werden.“ Beschäftigte in Leiharbeit nach Berufsgruppen: 21 Prozent der werb. „Kaum läuft es schlechter, müssen Leihbeschäftigten arbeiten in der Metall- und Elektroindustrie die Ersten gehen. In der Krise haben sie Weniger Unsicherheit, dafür mehr Verläss- Beschäftigtenanteile in Prozent genau das gemacht. Kurz vor Weihnachten lichkeit – auch Martins Identifikation mit wurden viele Leiharbeiter abgemeldet.“ dem Betrieb ist dadurch gewachsen. „Meine Motivation, den Laden voranzubringen, Hilfspersonal 33 33 30 Dienstleistung 27 27 Metall- und Elektroindustrie ist noch einmal gestiegen“, sagt er. Davon Beschäftigung“ profitiert auch die Unternehmensleitung. Da zeigte sich wieder, was Martin im All- Für die ist wichtig, dass das Miteinander tag oft festgestellt hat: „Leiharbeit ist ein- funktioniert, denn Leihkräfte und Festan- fach keine vollwertige Beschäftigung.“ Bei gestellte arbeiten nebeneinander in einem seiner Bank sieht man das genauso. Ein Team, müssen gemeinsam die Qualität si- Eigenheim finanzieren? Ganz schwierig. chern. Auf Druck des Betriebsrats tragen „Wenn ich als Leiharbeiter mit 35 Jahren sie mittlerweile die gleichen T-Shirts, es ein Haus bauen will, habe ich doch kei- gibt keine optische Kennzeichnung der „zweiten Klasse“ mehr. Und auch beim 5 3 1 11 Übrige Berufe 9 0 20 21 „Einfach keine vollwertige 2 0 20 3 0 20 4 0 20 5 0 20 6 0 20 7 73 Seite an Seite. Aus ganz pragmatischen Technische Berufe 0 20 wöchentlichen Betriebssport spielen sie Gründen: Anders wäre gar keine Mann0 20 8 0 20 9 10 20 11 20 Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Arbeitnehmerüberlassungsstatistik schaft zustande gekommen. Der Anteil der Leiharbeiter ist einfach zu hoch. „Es zählen nur noch Zahlen und der Umsatz. Krank darf man als Leiharbeiter nicht sein. ,Dann können wir Sie nicht mehr vermitteln‘, heißt es. Man wird ganz schön unter Druck gesetzt. Das ist ziemlich belastend. Auf keinen Fall motiviert es!“ (Un)gerechtigkeit 76 (Un)gerechtigkeit Sklaven, Knechte, Leihgurken Ahmed ist einer von ihnen. Der 36-Jähri- Die Fakten ge ist als Maschinenbediener über eine Leiharbeitsfirma beschäftigt. Nach einer Leiharbeit macht krank, hat eine Studie der Techniker Krankenkasse herausge- schwierigen Stellensuche war das seine funden. Genauer gesagt: Sie geht auf die Nerven und die Knochen. 2010 waren letzte Option: „Eine direkt ausgeschrie- Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter im Durchschnitt 15 Tage arbeitsunfähig ge- bene Stelle lässt sich kaum mehr finden. meldet. In anderen Branchen lag der Durchschnitt bei 11,5 Tagen. Am häufigsten Für mich blieb am Ende nur die Wahl, zum waren Leiharbeiter wegen Muskel- und Skeletterkrankungen sowie Verletzungen Arbeitsamt oder zu einer Leihfirma zu ge- und Vergiftungen arbeitsunfähig gemeldet, doch auch psychisch bedingte Krank- hen. Oder, anders gesagt: Man ist entwe- schreibungen sind in letzter Zeit angestiegen. der Mensch zweiter Klasse oder Arbeiter zweiter Klasse. Ich habe mich für Letzteres Weniger Erholungszeit für Leiharbeiter: Der tarifliche Urlaubsanspruch in der Die Gleichstellung von Leiharbeitskräf- entschieden.“ Ahmed hat das Gefühl, auf Metall- und Elektrobranche beträgt 30 Tage. Im BZA-Tarif sind für Leiharbeite- ten und Stammbelegschaften sollte in einer deutlich schwächeren Position zu ste- rinnen und Leiharbeiter im ersten Jahr 24 Urlaubstage festgehalten, im zweiten Deutschland fest im Arbeitsalltag ver- hen als die festangestellten Kollegen, sich 25. 30 Tage Urlaubsanspruch bestehen erst nach fünf Jahren ununterbrochener ankert sein. Denn Equal Treatment, also noch stärker beweisen zu müssen: „Für al- Betriebszugehörigkeit. die Gleichbehandlung, gilt als zentraler les gibt es in Deutschland eine Lobby, aber Grundsatz der Leiharbeit, der auch in ei- für uns Leiharbeiter interessiert sich kaum Leiharbeit wirkt sich negativ auf die gesellschaftliche Teilhabe aus. Befristet ner EU-Richtlinie festgeschrieben ist. Doch jemand. Wir werden als Arbeiter zweiter Beschäftigte und Leiharbeitskräfte fühlen sich weniger gut in die Gesellschaft inte- die Realität sieht anders aus. Leiharbeiter Klasse eingestuft, egal wie gut oder wie griert, belegt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). sprechen von einer „Behandlung zweiter schlecht wir arbeiten. Ich habe genauso Faktoren wie niedrige Löhne, ein erhöhtes Arbeitslosigkeitsrisiko und schlechtere Klasse“. Die Tarifverträge der Stammbe- viel gearbeitet, geschwitzt und geblutet Weiterbildungsmöglichkeiten gefährden die soziale Teilhabe. Dies spiegelt sich „Man engagiert sich, arbeitet, macht alles, was die Stammarbeiter machen, leistet genauso viel, macht Verbesserungsvorschläge und so weiter. Und kriegt nichts dafür, nicht einmal Anerkennung. Es wird nichts honoriert!“ wie die Stammbelegschaft. auch in der subjektiven Wahrnehmung der gesellschaftlichen Integration wider. Aber ich habe gerade einmal Die Beschäftigungsunsicherheit führt also dazu, dass sich temporär Beschäftigte die Hälfte von dem verdient, stärker ausgeschlossen fühlen als Festangestellte. was die Festangestellten verdienen“, sagt er. Dazu kommt die fehlende Kalkulierbarkeit und die Angst, Job und Einkommen zu „ewiger Probezeit“, in einer Sackgasse, als verlieren: „Wenn Leiharbeiter nicht in das „Knecht“ oder „nicht für voll genommen“. legschaften, wie der für die Metall- und Betriebsklima passen, werden sie einfach „Aussagen wie ‚Du bist ja nur Leiharbeiter‘ Elektroindustrie, gelten für sie nicht, ausgewechselt, so lange, bis es passt.“ kommen ständig“, schildert einer seinen sie arbeiten unter deutlich schlechteren Alltag, „Wir sind die Lückenbüßer, die für Bedingungen, haben weniger Urlaub, Ahmeds Erfahrungen teilen viele Leiharbei- andere die Drecksarbeit machen“ äußert bekommen, wenn überhaupt, geringere ter. Von wenig Geld und anhaltender Unsi- sich ein anderer. Ein dritter fühlt sich unfair Zuschläge, stehen ständig unter Kontrolle cherheit kann fast jeder berichten. Dazu behandelt, wenn er sich in der eingesetzten und müssen mit Unsicherheit und psychi- kommen der psychische Druck und die Aus- Firma als „Mädchen für alles“ beschimpfen schem Druck leben. Der IG Metall haben grenzung. Viele beschreiben ihren Status lassen muss. Betroffene davon berichtet, wie es sich für wie Ahmed als „Arbeiter zweiter Klasse“, sie anfühlt, im Berufsalltag nicht voll und andere bezeichnen sich als „moderne Skla- ganz integriert zu sein. ven“ oder „Leihgurke“, fühlen sich wie in 78 Verlust des Arbeitsplatzes steht immer als Leihbeschäftigte fühlen sich oft nicht dazugehörig Drohung im Raum: „Ich werde ausgenutzt, Mittelwerte auf einer Skala von 1 bis 10 (1 = ausgeschlossen, 10 = dazugehörig) ausgebeutet und der Arbeitgeber verdient Unterschiede in den Mittelwerten nach Einkommensgruppen sind lediglich in der untersten sich eine goldene Nase auf meine Kosten. Einkommenskategorie (unter 1.000 Euro) signifikant (95 Prozent-Niveau). „Ich bin eine Verliererin“ Ich habe keine Perspektive, muss meinen „Wie ein Mensch zweiter Klasse“ kommt Mund halten und darf nichts sagen, sonst Unbefristet beschäftigt sich auch die 34-jährige Johanna vor. Sie werde ich ausgetauscht.“ Befristet beschäftigt hat das Gefühl, in ihrem Job besonders In Leiharbeit kämpfen zu müssen: „Obwohl ich Abitur „Uns wird nicht gedankt“ und eine abgeschlossene Ausbildung Mit ganz ähnlichen Worten schildert auch vorweisen kann, bin ich eine Verliererin, Nicole ihre Situation. Sie lebt in ständiger weil meine Elternschaft mit Inflexibilität Angst, ihren Job zu verlieren: „Wir dürfen assoziiert wird.“ Dabei muss die Modell- uns nicht den kleinsten Fehler erlauben, bauerin, alleinerziehende Mutter eines sonst wackelt unser Arbeitsplatz“, berich- 12-jährigen Mädchens, als Leiharbeite- tet die 29-Jährige. „Wir arbeiten im Akkord rin flexibler sein als Festangestellte. Und und unter Hochdruck, um unsere Stellen sie muss sich mit allen Vorgaben abfin- nicht zu verlieren und nicht abgemeldet den. Von ihrem Chef im Einsatzbetrieb zu werden. Wir haben keine Stimme, um fühlt sie sich gemobbt, eine Einstufung wahrgenommen zu werden.“ Die unglei- als Facharbeiterin wird ihr verwehrt. Da- chen Arbeitsbedingungen bekommt sie durch verdient Johanna so wenig wie eine jeden Tag zu spüren, und sie leidet dar- ungelernte Kraft. Ihr ganzes Einkommen unter: „Natürlich fühle ich mich als Leih- geht für laufende Kosten drauf. Der Druck, arbeiterin ungerecht behandelt. Prämien für Akkordarbeit und selbst Son- „Leiharbeit muss abgeschafft werden! Weil sie nicht nur innerbetrieblichen Zwist zwischen Festund Leihangestellten schafft, sondern auch viele Menschen in die Depression treibt.“ derzahlungen aufgrund ‚überragender Leistungen während der Wir tschaf tskrise‘ erhalten nur Stammmitarbeiter. Wir Leiharbei- 1 en m ro m ko Eu ein .000 s t al r 3 sh übe u Ha en m ro m ko Eu ein .999 s t 2 al sh bis u 0 a H .00 2 en m ro m ko Eu ein .999 s t 1 al sh bis u 0 a H .00 1 en m ro m ko Eu in 00 e lts 1.0 ha ter s u un Ha 2 3 4 5 6 7 8 9 10 2 3 4 5 6 7 8 9 10 * * 1 ter sehen davon nichts und gehen nicht aufzufallen, nicht zu widersprechen, trotz unserer harten Mitarbeit leer aus. Unsichere und befristete Beschäftigungsverhältnisse schwächen das subjektive Teilhabe- belastet sie. „Für die Firma, bei der ich Uns wird nicht gedankt, weder seitens der empfinden und Zugehörigkeitsgefühl. Besonders Leihbeschäftigte in Haushalten mit nied- arbeite, bin ich nur eine Nummer. Dort Leihfirma noch seitens der Firma, in der rigem Nettoeinkommen fühlen sich gesellschaftlich schlechter integriert als befristet bzw. schreiben sie mir sogar vor, wann ich Ur- wir arbeiten. Wir verdienen ein Drittel von unbefristet Beschäftigte in ähnlicher finanzieller Situation. laub zu nehmen habe. Man hat mir gesagt, dem, was Stammmitarbeiter als Gehalt be- * A ufgrund geringer Fallzahlen werden die Mittelwerte in diesen Einkommenskategorien nicht dargestellt. ich solle mich fügen, da ich mir sonst mit kommen, und stehen immer unter Druck. meiner Art eine Zukunft in dieser Firma Sowohl finanziell als auch moralisch.“ verbaue. Also muss ich still sein, alles hinnehmen, besonders gut arbeiten und mich nicht beklagen, wenn mir etwas nicht passt, sonst kündigen sie mir.“ Denn der Quelle: PASS, Wellen 1 und 2 (2006/2007 bzw. 2007/2008) Grafik: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 80 Kauf. Oft arbeitet sie auch am Samstag, auf sogenannter – freiwilliger – Basis. „Die körperlich schweren Arbeiten werden den Leiharbeitern zugeteilt. Beispielsweise müssen wir 20 Kilogramm schwere Kisten über sieben Stunden lang hin und her hieven. Die Stammbelegschaft hat die Auswechseln und ersetzen Möglichkeit, diese Arbeit abzulehnen. Wir Leiharbeit macht krank: Muskel- und Skeletterkrankungen wie Rückenschmerzen Unter Druck stand auch Jochen, als er ei- hingegen müssen die Arbeit verrichten, gehören zu den häufigsten Ursachen für Fehltage von Leiharbeitskräften nen Job in Leiharbeit annahm. Der Medien- sonst folgt die Kündigung.“ Bei den Son- Fehltage 2010 je 100 Leiharbeitskräfte bzw. je 100 Beschäftigte anderer Branchen, gestalter hatte noch einen Kredit abzuzah- derzahlungen gelten ähnliche Diskriminie- nach Krankheitsarten len, fand aber keine andere Stelle. In den rungen, die die 32-Jährige hart treffen: „Die jeweiligen Einsatzbetrieben fühlt sich der Stammbelegschaft unseres Betriebs erhält Mittdreißiger ausgegrenzt und schikaniert: wirklich viele Prämien. Wir als Leiharbeiter „Ich habe schon alles erlebt: Stechuhren können davon nur träumen, und das, ob- vor dem Klo oder 15-Minuten-Pausen im wohl ich und viele andere Leiharbeitneh- Zeitarbeiter 338 mer bereits seit fünf „Innerbetriebliche Weiterbildungen sollten auch für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeiter zur Verfügung stehen. Leiharbeit führt zur Zweiklassengesellschaft im Betrieb.“ Jahren für den Betrieb arbeiten. Auch verantwortungsvolle Tätigkeiten wie Kon- Lager, ohne die Getränke mitnehmen zu trollaufgaben, die Arbeit als Maschinen- dürfen. Beliebt sind auch Wasserspender führer sowie die Alleinverantwortung bei ohne Pappbecher. Dazu kommt die häufige Produktionen werden mit nur 7,75 Euro Wochenendarbeit.“ Jochen hat selbst mit- brutto die Stunde vergütet.“ Selbst eine erlebt, dass die Unsicherheit in der Leihar- Übernahme in die Festanstellung würde beit nicht nur eine gefühlte, sondern eine keine Gleichstellung mit der Stammbeleg- ganz konkrete, realistische Bedrohung ist: schaft bedeuten, so Anjas Erfahrung. „Die „Es wurden auch schon 20 Prozent der übernommenen Leiharbeiter bei uns erhal- Leiharbeiter ohne erkennbaren Grund im ten nahezu 30 Prozent weniger Lohn als ersten Monat ausgewechselt. Sie kamen das Stammpersonal. Dort geht das System einfach nicht mehr, und dafür erschienen von Arbeit zweiter Klasse weiter.“ M us l ke n werden. Deswegen nimmt die Mutter einer Achtjährigen, die neben ihrem Halbtagsjob als Produktionshelferin noch einen Minijob hat, am Arbeitsplatz Benachteiligungen in et t 224 228 m At un g 155 220 179 187 he is c e n h yc n g P s nk u a kr Er In informatikerin Anja Angst: sofort ersetzt zu l ke ,S , en ng g e n u t z un r le i f t Ve erg V am nächsten Tag andere.“ Genau davor hat die gelernte Wirtschafts- Beschäftigte anderer Branchen fe io kt ne n 162 78 53 Quelle: Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse, 2011 82 „Wie ein Stück Fleisch“ ‚Nein, der Samstag gehört meiner Familie‘. Fehlende Arbeitserfahrung kann bei Piet Dann werde ich ‚abgemeldet‘, also raus- hingegen nicht das Problem sein. Auch geschmissen.“ Als Leiharbeiter fühlt sich der 42-Jährige besonders angreifbar: „Den der 55-Jährige sieht kaum mehr eine Möglichkeit, regulär in seinem Beruf zu Kein gemeinsamer Urlaub, kein Festangestellten wird zwar auch gedroht, arbeiten. Nach einer langen, kräftezeh- Weihnachten aber das gestaltet sich doch schwieriger.“ renden Bewerbungsphase erscheint ihm Die schlechten Bedingungen an seinem Die Situation belastet nicht nur Markus, Andauernde Frustrationserfahrung die Leiharbeit als der einzige Ausweg, Arbeitsplatz wirken sich auch auf Piets sondern auch seine Frau und die beiden Nicht nur die Arbeit ist „zweite Klasse“ – um finanziell unabhängig zu bleiben. Er Privatleben aus. „Ein gemeinsamer Urlaub Kinder sind Leidtragende: „Dass der gar als „Mensch zweiter Klasse“ fühlt sich empfindet das als ungerecht, verspürt mit meiner Frau lässt sich gar nicht reali- Samstag schließlich bezahlt wird, ist ein Daniel. Deprimierend sei es, so das Fazit Resignation, aber auch Wut: „Derzeit ar- sieren. Auch zu den Weihnachtstagen des schwacher Trost. Erstens ist die Summe des kaufmännischen Angestellten, als Leih- beite ich als gelernter Elektroniker nur in vergangenen Jahres wurde mir kein Urlaub eher lächerlich, zweitens fehlt meine Er- arbeiter beschäftigt zu sein: „Ich arbeite niederen Hilfsjobs, die mich nicht fordern genehmigt. So konnte ich nicht mal meine holungszeit. Wenn ich samstags von der genauso viel wie meine Kollegen. Seit drei und, abgesehen davon, auch kaum etwas Kinder und Enkelkinder besuchen.“ Arbeit nach Hause komme, habe ich keine Jahren mache ich die gleichen Aufgaben mit Elektrotechnik zu tun haben. Wie kann wie sie, bekomme aber deutlich weniger das sein, dass meine Ausbildung und etli- Gerade die Regelungen zum Urlaubsan- Lohn.“ Besonders belastet es ihn, keine che erweiternde Lehrgänge angeblich zu spruch sind es, die auch Markus beson- Literatur: Aussicht auf ein berufliches Fortkommen nichts taugen?“ Doch nicht nur die fehlen- ders ungerecht vorkommen. Denn der Stefanie Gundert, Christian Hohendammer zu haben. So machte er während seiner Job- de Anerkennung seiner Qualifikationen gelernte Schreiner hat mit 25 Urlaubs- (2011): Leiharbeit und befristete Beschäf- belastet ihn, sondern tagen schon auf dem Papier weniger Er- tigung. Soziale Teilhabe ist eine Frage von auch die Missachtung holungszeit als seine Kollegen, zudem stabilen Jobs, IAB-Kurzbericht Nr. 4. im täglichen Umgang: muss er jeden zweiten Samstag arbeiten: „Tatsächlich fühlt es „Dadurch wird mir real der Jahresurlaub sich als Leiharbeiter gekürzt. Ich kann nicht einfach sagen: „Beim Kauf von werksinternen Lebensmitteln wird von uns Leiharbeitern mehr verlangt als von Stammbeschäftigten. Ist die Regelung Ihrer Ansicht nach gerechtfertigt?“ Lust mehr, etwas zu unternehmen.“ suche die Erfahrung, dass Arbeitgeber auf so an, als hätte man alle seine Rechte an Zusatzqualifikationen und Weiterbildungen der Garderobe abgegeben. Wobei von Gar- viel Wert legen, wenn es um eine Festan- derobe noch nicht einmal die Rede sein Überstunden, Urlaub, Sonderzahlungen: stellung geht. Als Berufsanfänger von An- kann. Da es in meinem derzeitigen Betrieb Das bekommen Leiharbeiter und Stammbeschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie fang 20 gab es für ihn daher trotz langer für uns Leiharbeiter nicht einmal einen Suche keine Alternative zur Leiharbeit. Nun Spind gibt, in dem wir die eigenen Sachen Leiharbeiter Stammbeschäftigter hat er zwar einen Job, aber keine Perspekti- ablegen können, müssen wir uns auf dem ve: „Weiterbildungen sind bei dem Gehalt Gang umziehen. Die Stammbelegschaft nicht drin. Dabei sollten diese es einem hat dafür eigene Räumlichkeiten. Ich kom- doch gerade ermöglichen, attraktiver für me mir vor wie ein Stück Fleisch, das nur Urlaub Urlaubsgeld Weihnachtsgeld Überstundenzuschläge mindestens 24 Tage 150 bis 300 Euro/Jahr – Bis zu 25 % 30 Tage 50 % des Durchschnittseinkommens Bis zu 50 % des Durchschnittseinkommens Bis zu 50 % die Wirtschaft zu werden.“ Paradox, wie er zu funktionieren hat. Ich möchte endlich findet, „besonders, wo Deutschland doch gerecht entlohnt werden und nicht nur als viel zu wenige Fachkräfte hat“. Sklave für den Leiharbeitgeber schuften.“ Quelle: IG Metall 84 Stellungnahmen Was Beschäftigte in Leiharbeit der IG Metall zum Thema Ungerechtigkeit berichtet haben – und was sie über die schlechten Arbeitsbedingungen denken:* „An Brückentagen bzw. Wochenenden werden fast nur Leiharbeiter eingeteilt, zwischen Juni und Ende September gilt für sie Urlaubssperre, Urlaub wird für maximal zwei Wochen genehmigt. Alle haben Anspruch auf 30 Urlaubstage – nur die Zeitarbeiter nicht, die bekommen 24 Tage. Wo bleibt da die Gerechtigkeit? So etwas nenne ich moderne Sklaverei. Altersarmut ist vorprogrammiert, wo soll das noch alles hinführen?“ „Leider ist es so, dass man in den Einsatzfirmen für die Kollegen häufig nur die ‚Leihkeule‘ ist – das ist schade und extrem nervig. Aber wenn es um Überstunden oder Wochenendarbeit geht, sind fast nur die Leiharbeiter da. Die könnten ansonsten ja auch abgemeldet werden, bzw. die hoffen auf eine Übernahme.“ „Als Leiharbeiter wird man im Betrieb echt schlecht behandelt. Ich wollte drei Wochen Urlaub beantragen. Da wurde mir knallhart gesagt, dass ich Leiharbeiter sei und froh sein könne, in der Firma arbeiten zu dürfen, und ich dürfe höchstens drei zusammenhängende Tage Urlaub nehmen.“ „Leiharbeitnehmer sollten wesentlich besser bezahlt werden als Stammis, denn die psychische Belastung ist enorm. Jeden Tag Angst um den Arbeitsplatz. Und die Demütigung, wenn der Kollege neben dir ein Drittel mehr verdient.“ „Equal Pay und Equal Treatment schön und gut, aber: Es ist für die Firmen zu einfach, nach dem Hire-and-Fire-Prinzip zu verfahren. Das muss sich ändern. Denn einfach so lange die Leiharbeiter rauszuschmeißen, bis man den passenden hat, ohne den anderen die Möglichkeit zu geben, sich richtig zu integrieren, ist der falsche Weg. Die Zahlung von Zuschlägen für Leiharbeiter ist noch nicht in jeder Firma gang und gäbe, was sich auf die Motivation nicht gerade positiv auswirkt. Es muss noch einiges getan werden, damit man sich als Leiharbeiter auch als Teil des Teams fühlt!“ „W ir haben keinen Kündigungsschutz, viel weniger Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld.“ * D ie Stellungnahmen wurden im Rahmen einer Erhebung der IG Metall zusammengetragen. Dafür wurde im November 2011 eine Auswahl der Mitglieder in Leiharbeit angeschrieben und zu ihrer Beschäftigungssituation befragt. Die Antworten beschreiben skandalöse Zustände – hier einige anonymisierte Beiträge, ausgewählt aus den mehr als 1.000 Erfahrungsberichten. Namen und Kontaktdaten sind der IG Metall bekannt. Zum Schutz der Befragten bleiben die Zitate anonym. „Leiharbeit sollte nicht nur gleich bezahlt, sondern teurer sein als eine Festanstellung, zum Beispiel über eine Strafsteuer! Flexibilität kostet normalerweise Geld, zum Beispiel bei Handyverträgen, Freelancern, Fahrkarten ... Solange die Unternehmen keinen Anreiz haben, ihre Mitarbeiter in eine Festanstellung zu übernehmen, werden sie im Sinne der Aktionäre und Bilanzen ihre Verbindlichkeiten möglichst gering halten.“ „M an hat keine Lobby. Man wird schlechter behandelt. Man hat keine Planungssicherheit, weil man nicht weiß, wie es weitergehen wird. Und man muss sich auch bei Krankheit zur Arbeit schleppen, sonst ist man ganz schnell weg vom Fenster.“ „In unserem Entleihbetrieb gibt es zwar Vereinbarungen zur Besserstellung von Leiharbeitern, aber die gelten nicht für alle. Da wird unterschieden in normale Leiharbeiter und solche, die in Werkverträgen arbeiten. Weil ich mir das als Leiharbeiter ja auch vorher aussuche!?! Sogar bei Weihnachtsgeschenken werden Unterschiede gemacht. Werkvertragler bekommen schon mal gar nichts, weder Zuschlag noch Geschenk. Das steigert die Motivation ungemein, wenn man unter den Leiharbeitern auch noch die erste und zweite Klasse hat.“ „Es werden zwar Zuschläge für Nacht- und Schwerarbeit gezahlt, aber es gibt kein Weihnachtsgeld, kein Urlaubsgeld, keine Gewinnbeteiligung, weniger Gehalt und es wird nicht geschaut, wozu man fähig ist, sondern man muss die unbeliebte Arbeit machen. Das muss sich wirklich ändern! Leiharbeiter dürfen nie krank sein, sonst müssen sie um ihren Job bangen, solche Fälle habe ich miterlebt. Es kommen Leiharbeiter mit gebrochenen Fingern und starker Grippe zur Arbeit, während die Festangestellten teilweise wochenlang krank sind. Das schafft eine schlechte Atmosphäre und demotiviert!“ „Mich ärgert unter anderem, dass ich zwar an den Betriebsversammlungen meines Einsatzortes teilnehmen darf, aber zum Beispiel von Angeboten der ärztlichen Vorsorge – wie Sehtests für Bildschirmarbeitsplätze – ausgeschlossen bin. Ohne nachzufragen werde ich nie darüber informiert, ob meine Tätigkeit weiter benötigt wird oder ob mein Einsatz zu Ende ist.“ 86 Foto: Privat Nicht dazugehören – was heißt das? Dr. Sandra Siebenhüter Das System der zeitlich und örtlich flexiblen Beschäftigung verhindert ein Mitein ander, ein Dazugehören, es schließt die Leiharbeiter quasi aus. Mit den billigeren Leiharbeitstarifen und der geringen Arbeitsplatzmacht sind sie gegenüber den Stammbeschäftigten ungewollt immer in der Position des „Wettbewerbers“ und „Das Label ‚Leiharbeiter‘ haftet an den Menschen“ Interview mit Dr. Sandra Siebenhüter des „Angreifers“. So sind Leiharbeiter Selbst wenn sie sich wohlfühlen und im zwar auf der arbeitstechnischen Ebene alltäglichen Umgang keine Unterschiede integriert, sie sitzen mit am Schreibtisch spüren, gehören sie strukturell eben doch und stehen mit am Band, sozial sind sie nicht völlig dazu. Auch die Qualifikati- es aber, je nach Einsatzdauer, nicht mal on spielt eine Rolle: Wer als Leiharbeiter ansatzweise. eine Schlüsselposition übernimmt, genießt mehr Ansehen als ein Hilfsarbeiter, Wen trifft die Desintegration der aus Sicht der Firma leicht zu ersetzen besonders? ist. Dieser verliert durch Leiharbeit seine Am schlimmsten ist es bei den nur kurzfris- Identität, vielfach wird er nur geduzt und tig eingesetzten Leiharbeitern, die wochen- ohne Namen angesprochen. Er spürt sehr oder sogar tageweise die Entleihbetriebe genau: Hier geht es nicht um ihn, sondern Leiharbeit verändert die Menschen. An- Was sind für Sie als Arbeitssoziologin wechseln. Sie haben gar keinen Zugang nur um seine Arbeitskraft; und wenn die ders als eine Festanstellung kann sie die zentralen Unterschiede zwischen zur Stammbelegschaft. Leiharbeiter, die mal schwächer wird … kaum identitätsstiftend wirken, weil die einem Normalarbeitsverhältnis und seit mehreren Jahren im Betrieb sind, sind Dazugehörigkeit zu einem Kollektiv fehlt, der Leiharbeit? besser integriert. Sie werden zum Beispiel Kann er seine Identität nicht sagt Dr. Sandra Siebenhüter. Stattdessen Aus der arbeitssoziologischen Perspektive zu Versammlungen, Feiern und Ausflügen über den Verleihbetrieb ausbilden? hat Leiharbeit Desintegration zur Folge. schafft Arbeit Identität. Bedürfnisse nach eingeladen. Man kennt sie mit Namen, sie Nein. Die Leiharbeiter sind zwar bei der Im Interview beschreibt die Soziologin, Anerkennung, Wertschätzung, Sicherheit erfahren Wertschätzung. Doch auch hier Verleihfirma angestellt, doch diese tritt die kürzlich im Auftrag der Otto Brenner und Teilhabe werden durch den Arbeits- gibt es Ungerechtigkeiten, denn sie werden quasi nur als Vermittlungsagentur auf, sie Stiftung zur Leiharbeit forschte, die Druck- platz und die Dazugehörigkeit zu einer Be- über Monate und Jahre schlechter bezahlt ist kein sozialer Treffpunkt. Viele Leihar- mechanismen der Branche, spricht über legschaft befriedigt. Bei Leiharbeitern und als die Festangestellten, haben keinen beiter kennen daher gar keine Kollegen Ursachen und Folgen der Unsicherheit und insbesondere bei Hilfskräften, die häufig Anspruch auf Betriebsrente oder Prämien. aus ihrer Verleihfirma, weil die auf hun- erklärt, warum Migrantinnen und Migran- den Entleihbetrieb wechseln, ist dieser derte von Einsatzbetrieben verteilt sind. ten davon besonders betroffen sind. Prozess jedoch unterbrochen, ja, er kann Dem Leiharbeiter wird so die Möglichkeit gar nicht erst beginnen. Sie sind zwar in genommen, ein kollektives Bewusstsein einem Betrieb eingesetzt, aber sie gehö- mit den Leidensgenossen aus der Leihar- ren dort nicht dazu. Der Status Leiharbeiter beitsfirma zu entwickeln. macht einsam. 88 er bringt, desto weniger wird sich der Verlei- steht in der Hierarchie ganz oben, ist der- Wie gehen Leiharbeiter damit um? her die Mühe machen, sich mit ihm ausein- jenige, der den Verleiher und die Leihar- Sie sind verunsichert. Das Bezahlsystem anderzusetzen. An dieser Stelle zeigt sich beitskraft bezahlt und auch auf die Bedin- ist nicht vergleichbar mit einem Normal die totale Ökonomisierung der Leiharbeit: gungen Einfluss nehmen könnte. Es muss arbeitsverhältnis – die zusätzlichen Es geht nicht um den Menschen, sondern das politische Ziel sein, das System Leih- Fahrtkosten, der Verpflegungszuschuss darum, welche Leistung er zu bieten hat, arbeit zu ändern, dessen heutige Form dis- und so weiter. Oft wird der Lohn bei hö- wie viel Gewinn mit ihm zu machen ist. Der kriminierend ist. herwertiger Arbeit nur durch Zulagen er- Mensch verliert seinen Wert an sich, er unKönnen Betriebsrat und Stammbeleg- terliegt den reinen Marktgesetzen. schaft im Entleihbetrieb etwas gegen höht, nicht durch eine Höhergruppierung Warum gibt es so wenige Kontrollen? in der Entgeltstufe. Bei der Berechnung Die Kontrolle der Leiharbeitsfirmen liegt von Arbeitslosengeld oder beim Urlaubs- die Desintegration tun? Heißt das, Qualifikation schützt vor Dis- in der Hand der Landesarbeitsämter. Hier geld zählen diese Zulagen aber nicht. All In einem großen Industrieunternehmen kriminierung? wurden in den vergangenen Jahren Stellen das öffnet findigen Verleihern die Tür zur kann ein starker Betriebsrat die Situation Bei der Leiharbeit geht es nicht um die Qua- abgebaut, gleichzeitig ist die Zahl der Ver- Diskriminierung. der Leiharbeiter etwas erleichtern, ein Bei- lifikation des Betroffenen, sondern um sei- leihfirmen auf mehr als 17.000 gestiegen. spiel sind die Besservereinbarungen der ne Tätigkeit. Darunter leiden insbesondere Diese Lücke ist immer größer geworden. IG Metall. Aber das ändert nichts an ihrem Ältere und Migranten. Viele sind gut quali- Kleine Leiharbeitsfirmen, und hier finden nahme hoffen. rechtlich-strukturellen Status, der bis ins fiziert, doch ihre Ausbildung wird nicht an- sich meist die schwarzen Schafe, werden Das ist oft die große Hoffnung. Doch wenn Privatleben hineinreicht. Er macht die Men- erkannt, sie arbeiten deshalb als Hilfskräf- kaum noch kontrolliert. jemand übernommen wird, sind es meist schen unsicher und angreifbar, führt dazu, te. Es gibt zum Beispiel den promovierten dass sie Angst haben, sich zurückziehen Physiker aus Russland, der als Hilfsarbeiter Wenn es schon keine externe Kontrolle sind die Auswahlkriterien fast nie trans- und sich unterordnen. Leiharbeit gilt bei Paletten abräumt, weil seine Qualifikation gibt – warum nehmen die Leiharbeiter parent und nachvollziehbar. Leiharbeiter vielen Banken und Vermietern nicht als die nicht zählt. Letztlich kommt es in diesem die Missstände hin? Und wie erzeugen sprechen oft vom „Nasenfaktor“. Sie ver- beste Arbeit, mit einem Leiharbeitsvertrag System darauf an, als was jemand einge- die Verleiher Druck? suchen, im System der Unsicherheit neue erhält man kaum einen Kredit oder eine setzt ist, als was er vermittelt wird und wie Das ganze System ist nicht transparent. Berechenbarkeiten zu schaffen, indem sie Wohnung. Die Menschen sind als Leihar- viel Geld er dem Verleiher bringt. Die Arbeitsver träge sind in Juristen- sich etwa mit dem Vorarbeiter gut stel- deutsch verfasst, mit dem sich jeder Fach- len, von dessen Wohlwollen sie abhängig beiter und damit als prekär Beschäftigte Also müssen Leiharbeiter auf eine Über- Facharbeiter, keine Hilfsarbeiter. Zudem „gelabelt“. Daran können auch Betriebsrat Ist der Verleiher also der böse Bube? fremde schwertut. Dazu kommt: Die Tarif- sind. Man kann sagen, die Leiharbeit hat und Stammbelegschaft nichts ändern. Nein. Es gibt zwar unter den Verleihern verträge der Zeitarbeitsverbände haben ein neues Machtsystem in die Betriebe schwarze Schafe, aber man muss sehen, verschiedene Bezahlmodi. Die einen be- gebracht und Personen in Entscheidungs- Sind die Leiharbeiter also immer in der dass es sich bei der Leiharbeit um ein an zahlen pro Arbeitstag, die anderen legen positionen, die dieser Personalverantwor- schwächsten Position? Wettbewerbskriterien ausgerichtetes Ge- ein festgesetztes Stundenkontingent pro tung nicht gewachsen sind. So steigt die Das hängt davon ab, wie sehr der Verlei- schäftsmodell handelt, das diese spezifi- Monat zugrunde, so dass die Leiharbeiter Verunsicherung weiter. her den Leiharbeiter braucht. Er verdient schen Mechanismen hervorbringt. Alle je nach Arbeitstagen pro Monat immer im ja an der Verleihung der Arbeitstätigkeit, Verleiher sind dem unterworfen, sie kon- Plus oder Minus sind. Hinzu kommt die und an einer Hilfskraft verdient er weniger kurrieren um Aufträge. Das Machtgefälle fragwürdige Methode, auftragslose Zeiten als an einem Ingenieur. Sind es bei einem geht jedoch immer vom Entleiher aus. Er mit den aufgebauten Überstunden gegen- Hilfsarbeiter etwa 50 Cent Gewinn pro Ar- zurechnen. Obwohl das eigentlich das beitsstunde, können es bei einem Ingeni- unternehmerische Risiko der Verleihfirma eur viele Euro pro Stunde sein. Je geringer ist, wird es hiermit auf den Leiharbeiter jemand qualifiziert ist, je weniger Rendite abgewälzt. 90 Ist Leiharbeit ein Thema, das Migranten besonders betrifft? Die Arbeitsmarktstatistik weist nur Nationalitäten aus, zum Anteil der Menschen Integration durch Arbeit? mit Migrationshintergrund gibt es ledig- Leiharbeit führt zu sozialer Ausgrenzung – Menschen mit Migrationshintergrund sind lich Schätzungen. Ein BZA-Vorstandsmit- davon besonders betroffen. Warum stehen Leiharbeiter mit Migrati- glied schätzte den Anteil bei den Hilfsar- onshintergrund besonders weit unten in beitern in Leiharbeit auf rund 60 Prozent, der Hierarchie? also dreimal so hoch wie in der Gesamt- Ein Grund sind der unsichere Aufenthalts- bevölkerung. Und die Hilfsarbeit ist das status und der Mangel an Deutschkennt- problematischste Segment der Leiharbeit, nissen. Ein anderer ist die Unkenntnis der da dort kaum in die Menschen investiert Arbeitnehmerrechte und der Arbeitsor- wird, kaum Weiterbildungen angeboten ganisation in Deutschland. Viele wissen werden. Im Rückblick wird deutlich, wie nicht, wer im Unternehmen weisungsbe- sozial erfolgreich der Weg der Gastarbei- fugt ist, sie wissen nichts über Betriebs- ter verlief: Sie wuchsen als Festangestell- räte und agieren oft so, wie sie es aus te mit den Jahren in einen Betrieb hinein, ihren Herkunftsländern kennen, nämlich hatten deutsche Arbeitskollegen, knüpf- mit Unterordnung. Sie haben kein Vertrau- ten mit diesen und ihren Familien Freund- en in Institutionen wie Gewerkschaften schaften und wurden bisweilen sogar Be- oder Arbeitsgerichte. Zudem fehlen Men- triebsrat oder Betriebsratsvorsitzende. schen mit Migrationshintergrund oft die Wer heute als Migrant keine Möglichkeit sozialen Netzwerke – insbesondere zu hat, über den Arbeitsplatz einen Anker zu Schlüsselpersonen, die Arbeitsplätze zu werfen, sondern in Leiharbeit gefangen vergeben haben. So sind sie meist auf of- ist, steht dauerhaft finanziell, sozial und fizielle Ausschreibungen angewiesen und rechtlich-politisch im Abseits. Hier ver- weniger erfolgreich bei der Arbeitssuche. wehrt die deutsche Gesellschaft Teilha- Fehlende interkulturelle Kompetenz von be- und Integrationschancen. St am m be le it c gs b ar ha ei ft te r er hm e n eit P r r, arb fe te h i i el e e H L b r te te it a r tz etz fe se e M nges el e t g H e i e st e in ge zt fri sti et t ig s f ri Be s i e g g fr lan ng e in nd e La u s i te Menschen mit we ier Migrationshintergrund ge fiz i l a a /t in Leiharbeit qu t ig ch r is f Ho rz Ku ro je k tm Je weiter ein Arbeitsverhältnis vom Zentrum (Normalarbeitsverhältnis) entfernt ist, desto unsicherer und damit prekärer ist es. Der Anteil der Migration steigt überproportional, Mitarbeitern von Behörden und Unternehmen und die Gefahr der rassistischen Literatur je kürzer ein Leiharbeitsverhältnis andauert und je kurzfristiger die Beschäftigung ist Diskriminierung kommen dazu. Schlechte Sandra Siebenhüter (2011): Integrations- (in der Grafik dargestellt durch immer hellere Ringe). Ver- und Entleiher nutzen diese schwache hemmnis Leiharbeit. Auswirkungen von Position aus, weil sie wissen: Der wehrt Leiharbeit auf Menschen mit Migrations- sich sowieso nicht. hintergrund, OBS-Arbeitsheft 69. Quelle: Sandra Siebenhüter, 2011 92 A. Mittlerweile sind wir bei unserem Verleiher auch im Betriebsrat vertreten. Dafür ist kaum mehr jemand von der Arbeitgeberliste dabei. Die Internen, Disponenten und Angestellte, mussten ihre Ämter aufgeben, als sie sich ihre Kündigungs- und Einstellungsvollmacht wiedergeholt hatten – in dem Moment waren sie aus dem Betriebsrat raus. Wegen des Interessenkonflikts D. Wenn man den Verleiher wechselt, gilt können sie ja nicht gleichzeitig Disponent das als Neueinstellung. Etwas Ähnliches und Betriebsrat sein. habe ich auch schon erlebt. Ich war eingesetzt, dann gab es eine Lücke von mehreren „Ohne Zweitjob hast du keine Chance“ Protokoll eines Leiharbeiterstammtischs C. Ich gehe normalerweise zu einem ande- Monaten, dann wurde ich bei der gleichen ren Stammtisch, der sich später gegründet Leiharbeitsfirma erneut eingestellt. Die Fol- hat, eben weil es Unmut im Betrieb gab. gen sind: Man hat dann wieder Probezeit Wir versuchen gerade, noch mehr Kolle- und einen reduzierten Urlaubsanspruch gen über unsere Aktivitäten zu informie- wegen nicht durchgängiger Beschäftigung. ren. Ein Problem ist zum Beispiel, dass Und das, obwohl ich dort schon seit Jahren die Urlaubsanträge mit viel Hin und Her gut und zuverlässig arbeite. In vielen Städten haben sich Beschäftigte A. Angefangen mit dem Stammtisch haben zwischen Einsatzbetrieb und Verleiher ver- in Leiharbeit unter dem Dach der IG Metall wir 2009, als bei unserer Leiharbeitsfirma bunden sind, natürlich außerhalb der Ar- E. An was ich mich noch gut erinnere: Bei zu Arbeitskreisen zusammengeschlossen. ein Betriebsrat gegründet, unsere Liste beitszeiten. Ein anderer Punkt: Ein Kollege meiner Einstellung wurden mir von der Leih- So auch in Augsburg, wo sich monatlich aber wegen „unheilbaren Mangels“ ab- hatte eine OP und hat das dem Verleiher arbeitsfirma fünf Verträge vorgelegt. Ich Leiharbeiter aus der Metall- und Elekt- gelehnt wurde. Da haben wir uns gesagt: gemeldet. Da hieß es, die Auftragslage sei sollte entscheiden, welchen ich nehme, von robranche treffen. Darüber hinaus haben Ihr wollt uns nicht, aber ohne uns geht’s schlecht und sie müssten ihm kündigen. wenig Stundenlohn mit einer hohen Auslö- Leiharbeiter in einigen Einsatzbetrieben auch nicht! Wir haben uns rechtlich schlau- Aber wenn alles gut verheilt sei, könne er se bis zu einem hohen Stundenlohn ohne regelmäßige Stammtische organisiert. gemacht, über den Stammtisch Aktionen sich wieder melden. Sie waren also zu- Auslöse. Da habe ich natürlich gesagt, dass Dort planen sie Aktionen, um ihren Anlie- geplant und Kontakte geknüpft. frieden mit ihm, wollten aber keine „Un- es dieser letzte Vertrag sein muss. Zwar kosten“ und sich um die Lohnfortzahlung hatte ich so höhere Abgaben, aber wenn gen innerbetrieblich wie öffentlich Gewicht zu verleihen, und tauschen sich über die B. Zuvor gab es für Leiharbeiter nur den im Krankheitsfall drücken. Viele Kollegen man krank ist oder Urlaub hat, zählt der Situationen in den Einsatzbetrieben aus. monatlichen Arbeitskreis bei der IG Metall. sind schon seit Jahren als Leiharbeiter in Stundenlohn und nicht die Auslöse. Durch diese Strukturen und den solidari- Doch viele Kollegen arbeiten im Schicht- diesem Betrieb. Einige haben mehrfach schen Zusammenhalt haben sie für sich system und können manchmal Monate lang den Verleiher gewechselt, weil das die Un- B. Die Auslöse, also Fahrtgeld und Über- und die Kollegen schon einige Verbes- nicht daran teilnehmen. Die Stammtische ternehmensführung wollte. nachtungspauschale, ist sozialversiche- serungen erreicht. Hier berichten sieben sind daher direkt in den Betrieben angesie- rungsfrei. Das heißt, du zahlst darauf keine Stammtischteilnehmer aus ihrem Alltag. delt und finden jede Woche statt. Rentenbeiträge und sammelst geringere Weil einige von ihnen Befürchtungen haben, ihren Job zu verlieren, werden keine Namen und keine Betriebe genannt. Ansprüche. 94 le haben zudem befristete Verträge, die Fluktuation ist hoch. Bei den Befristungen gibt es übrigens viele Tricks. Oft laufen die Verträge am 23.12. aus, am 7.1. holen sie die Leute wieder. Dann muss für die Weihnachtszeit kein Urlaubs- und Feiertagsgeld gezahlt werden. F. Erschwerniszulagen werden hingegen auf C. Befristungen sind schlimm, weil man die Urlaubspauschale angerechnet. Aber: im Ungewissen gelassen wird. Bei der üb- Die beträgt einen Euro, und da muss man lichen Befristung bis 23.12. weiß man oft beim Verleiher mächtig dafür kämpfen. Der Ende November nicht, wie es weitergeht, Betriebsrat hilft dabei. manchmal auch am 22.12. noch nicht. Dabei soll man sich doch drei Monate vorher B. Nur wenige Verleiher haben einen Be- beim Arbeitsamt melden. Man ist einfach triebsrat, von ungefähr 200 Leiharbeitsfir- nur Tagelöhner. men in der Region vielleicht drei. „Wenn man selbst nicht hochkommt, passiert ja nichts.“ Aus dieser Überzeugung heraus haben Leiharbeiter in Augsburg schon einige Verbesserungen für sich und die Kollegen erreicht. E. Beim Arbeitsamt heißt es ja auch: lieber F. Der kann aber viel erreichen, zum Bei- einen unbefristeten Arbeitsvertrag bei der spiel die Abrechnungen kontrollieren, Verleihfirma, womöglich noch unter Hartz- und prüfen, ob eine tarifliche Lohnerhö- IV-Satz und mit Aufstocken, als einen be- hung richtig umgesetzt wurde. An einem fristeten Arbeitsvertrag im Unternehmen, D. Ich bin seit elf Jahren in der Leiharbeit, ich Leiharbeiter, samstags und sonntags Standort hat mehr als ein Drittel der Kol- obwohl man dort auf Anhieb mehr verdient. und mit Übernahme tut sich nichts. Wahr- bin ich zwölf Stunden Taxi gefahren, nur, legen nach der letzten Beanstandung eine Ich würde es aber allemal andersrum se- scheinlich wurde die ganze Abteilung, in um die Grundbedürfnisse zu decken. Und Nachzahlung von mehr als hundert Euro hen: lieber eine befristete Festanstellung. der ich eingesetzt bin, abgeschrieben. Da das als Facharbeiter. Du kannst auch kein habe ich einfach Pech. Ehrenamt mehr übernehmen, deinen Inte- bekommen. Ohne Betriebsrat wäre das den Betroffenen zwar auch aufgefallen, es traut C. Die Übernahmechancen aus einem be- sich nur keiner, was zu sagen. fristeten Festangestelltenvertrag in einen A. Leiharbeit bedeutet den sozialen Ab- ressen nicht mehr nachgehen. weiteren, vielleicht sogar unbefristeten stieg, ein Ende des Lebensstandards, den G. Bei der Technikerschule war neulich G. Eine Betriebsratsgründung ist aber Vertrag sind sicher höher als aus der Leihar- du dir erarbeitet hast. Gerade wenn man Jobbörse. 70 Prozent der Aussteller waren schwierig. Wenn der Arbeitgeber das zu beit. Auch bei einer anderen Firma bewirbt Familie hat und entsprechend Verpflich- Verleihfirmen. Berufseinsteiger haben gar früh rausbekommt, kann es sein, dass man sich als Festangestellter von einer an- tungen zu erfüllen hat. Das geht dann keine andere Option mehr. Dabei handelt er die ganze Niederlassung schließt oder deren Position aus, allein schon, wenn man einfach nicht mehr, da kannst du ma- es sich um qualifizierte Leute, viele reden die Leute an einen anderen Einsatzort nach dem bisherigen Gehalt gefragt wird. chen, was du willst: Ohne Zweitjob hast doch vom Facharbeitermangel. Da, der Kol- versetzt und so die Wahl verhinder t. du keine Chance. Ich hatte eine Sieben- lege lacht. Manchmal werden Betriebsräte von Ein- Tage-Woche. Von montags bis freitags war satzbetrieben übernommen, und auch dann bricht alles weg, der Betriebsrat hat dann nicht mehr genügend Mitglieder und oft sind keine Nachrücker vorhanden. Vie- 96 G. Da geht es den Unternehmen darum, A. Der Betriebsrat weiß, wie wir ticken, die die IG-Metall-Tarifverträge auszuhöhlen, Vertrauensbasis stimmt, man spricht sich und bei 30 Prozent Leiharbeitsanteil auch ab. Und wir haben den Zugang zu den Kolle- darum, deren Macht zu brechen. Deshalb gen, das weiß der Betriebsrat auch. Früher werden keine festen Arbeitsplätze ge- hat man sich als Leiharbeiter versteckt, schaffen, sondern stattdessen Leiharbei- aber das ist bei uns vorbei. Vor einiger Zeit ter genommen. haben wir sogar einen Vertrauenskörper im A. Ja, weil die Arbeitgeber andererseits Einsatzbetrieb gebildet, in dem von jeder sagen, eine verbindliche Übernahmega- A. In der Wirtschaftskrise wurden hier rantie brauchen sie nicht. Wo sollen die bei einem Einsatzbetrieb von 1.600 Leih- E. Die großen Verleihfirmen könnten es treten ist. 2008 haben wir erreicht, dass in Facharbeiter denn herkommen? Alles nur arbeitern 900 abgemeldet. Dabei stellte sich leisten, mehr zu zahlen, tun aber so, der Krise keine 50 Leiharbeiter abgemeldet noch Leiharbeiter? Bei uns im Betrieb liegt sich heraus, dass das so gar nicht ging, als müssten sie sich dafür den Arm ausrei- wurden, sondern jeder, Festangestellter wie der Anteil der anderen Arbeitsverhältnisse weil die Leiharbeiter Schlüsselpositionen ßen. Alle Verhandlungen sind langwierig. Leiharbeiter, vier Monate lang jeweils ei- bei ca. 25 Prozent, da sind Leiharbeiter und innehatten. Da mussten die Leiharbeiter Bei meinem vorherigen Einsatz haben wir nen Montag nicht gearbeitet hat. So wurden auch viele Werkverträge dabei. Nach den noch die Festangestellten einweisen, bevor zweieinhalb Jahre gebraucht, um eine Ak- die Leiharbeiter gehalten. Dieser Schulter- letzten Übernahmen wurden wieder dop- sie entlassen wurden. kordprämie durchzusetzen. schluss ist dem starken Betriebsrat anzu- Leiharbeitsfirma auch ein Leiharbeiter ver- rechnen. Die Leiharbeiter sind andersrum pelt so viele neue Leiharbeiter reingeholt. C. Das ist echt unfair. Ich habe das Gefühl, B. Trotzdem war das Ergebnis nicht so toll. auch mit auf die Straße gegangen, um für E. Zum Stichwort Facharbeiter: Wir müssen eine Ware zu sein, deren Wert von Angebot Die Stammbeschäftigten haben im Akkord die Festangestellten zu kämpfen. ja auch mal an Lehrgängen teilnehmen. In und Nachfrage abhängt. Je nach Auftragsla- vier Euro Prämie pro Stunde bekommen. Bayern gibt es aber kein Gesetz zum Bil- ge gängeln uns die Schichtführer mehr oder dungsurlaub. Bei Festangestellten ist das weniger. Man merkt dann: Zurzeit bin ich F. Ja, und die Leiharbeiter bei 120 Prozent nige Zeit kaum Erfolge vorzuweisen hatten. zum Beispiel im IG-Metall-Tarifvertrag gere- für die wohl besonders ersetzbar. Mein Ver- Leistung nur einen Euro Prämie pro Stunde, Das hat die Leute nicht gerade ermutigt, gelt. Für die Leiharbeiter gilt der aber nicht. trag wird nur quartalsweise verlängert. Ich bei mehr als 130 Prozent 2,50 Euro. Für uns zum Stammtisch zu kommen. Dennoch ist Wir haben bei uns jetzt erreicht, dass der habe versucht, das zu verhandeln, konnte war das trotzdem eine Menge Geld. das wichtig, denn im Gegensatz zu indivi- Einsatzbetrieb die Kosten übernimmt. aber nur ein paar Wochen mehr rausschlagen. Da geht’s zu wie auf dem Basar. F. Oft wird das aber abgeschmettert. Das B. Man muss dazu sagen, dass wir über ei- duellen Gesprächen am Arbeitsplatz oder A. Da sieht man, dass unsere letzte Ver- nach der Arbeit ist es doch ein kleiner An- einbarung wie ein Sechser im Lotto ist. satz gewerkschaftlicher Aktivierung. F. Zur Bezahlung: Ein Metallfacharbeiter, Bei uns bekommen nämlich jetzt alle ein Zerspaner an der CNC-Fräse zum Bei- dieselbe Nettoprämie, und der Entleiher G. Ich bin seit 2004 Leiharbeiter, immer spiel, bekommt monatlich ca. 1.600 Euro kontrolliert auch, ob sie eins zu eins an beim gleichen Arbeitgeber, hatte zwei ver- brutto, egal mit wie viel Arbeitserfahrung. die Arbeiter geht. schiedene Arbeitsplätze. Mit den wenigen Der neue Geselle, festangestellt, bekommt Wechseln sind wir eine echte Ausnahme, 3.178 Euro monatlich brutto. Das geht E. Das hat der Betriebsrat im Einsatzbetrieb weil wir ja eigentlich Facharbeiter mit hoch doch nicht! erreicht, der ist ein Fels in der Brandung. hängt vom Vorgesetzten ab. bezahlten Qualifikationen sind. Einige Vertreter der Verleihfirmen haben schon komisch geguckt, als es hieß: Ent- F. Nur, dass wir nicht hoch bezahlt werden. weder ihr zieht mit bei der Bezahlung oder ihr seid raus. 98 A. Wir haben die verschiedensten Hinter- F. In meinen Augen ist dieses Arbeitszeit- gründe, sitzen alle miteinander an einem konto ein kostenloses Darlehen an den Ar- Tisch. Das ist unsere Stärke. Wir haben beitgeber. Das sind doch Millionenbeträge auch schon vor einem anderen Einsatzbe- bei einzelnen Verleihern, wenn man das trieb demonstriert, dort sind wir ja nicht mal ausrechnet, die haben mehrere tau- angreifbar. Da gehört dann schon ein biss- send Arbeiter, und das mal 150 Stunden. chen Mut dazu. Das kriegt man nur durch Solidarität hin. Ohne Rückendeckung ist schön auseinander, ziehen das Verpfle- C. Ich habe nur einen 130-Stunden-Vertrag man doch schnell weg vom Fenster. gungs- und Fahrtgeld ab und rechnen nur und sammle dauernd Überstunden. Ich mit dem Grundlohn. Damit war es aus mit weiß gar nicht, wann ich die nehmen kann. E. Viel zu viele Leiharbeiter haben Angst um dem Kredit – kein Haus kaufen, nichts. Jetzt ihren schlechten Job, weil sie darauf ange- zahle ich 900 Euro Miete. Da hat keiner ge- A. Ich habe einen Kollegen, der sich die wiesen sind. Das ermöglicht den Arbeitge- fragt, ob ich das bezahlen kann. Die Raten Bänder angerissen hat und mit der Schie- bern und Entleihern erst die Ausbeutung. für ein Reihenhaus außerhalb hätten bei ne und Schmerzen an der Werkbank stand. Das mit dem Zweitjob ist ja kein Witz. Ich knapp über 700 Euro gelegen. Da kriegst Man traut sich nicht, sich krankschreiben A. Nur so kann man was erreichen – wenn kenne viele, die als Facharbeiter von ihrem du so einen Hals. zu lassen, weil sonst die Ablöse wegfällt. man selbst nicht hochkommt, passiert ja Hungerlohn nicht leben können. Als ich in nichts. Wir haben uns ja auch erst einar- die Leiharbeit kam, hat mich die Bankbe- E. Das Schwierige in der Leiharbeit ist auch, E. Die Leute wissen, dass sie als Leiharbei- beiten müssen, ins Arbeitnehmerüber- raterin darauf hingewiesen, dass es jetzt dass man mobil sein muss. Viele haben ter wenig einzahlen und bei Arbeitslosigkeit lassungsgesetz und ins Betriebsverfas- nicht zu weit in die roten Zahlen gehen darf. einen Zweitwohnsitz, fahren jede Woche weniger als wenig rausbekommen. sungsgesetz zum Beispiel. Gleiche Arbeit, 400 Kilometer oder mehr. Wer Junggeselle gleiches Geld, das steht ja sogar in der All- F. Davon kann ich ein Lied singen! Das ist, muss noch Zweitwohnsitzsteuer be- A. Es kriegt auch keiner mit, wenn Leihar- gemeinen Erklärung der Menschenrechte. Haus, in dem ich mit meiner Familie ge- zahlen. Und man hat eine doppelte Haus- beiter entlassen werden. Wenn ein Betrieb wohnt habe, wurde abgerissen. Wir muss- haltsführung, soll flexibel bleiben, hat aber schließt, werden sie einfach abgemeldet. C. Manchmal ist es schwierig, wenn Kol- ten uns umschauen. Eine Vierzimmer- bei der Miete oder beim Internetanschluss Kein Unternehmer ist verpflichtet, für sie legen die Erwartung haben: Ihr seid die wohnung in der Stadt kostet monatlich eine Kündigungsfrist von drei Monaten. einen Sozialplan aufzustellen, selbst wenn Aktiven, also macht was. 1.200 Euro Miete. Gut, habe ich gesagt, da Und die GEZ steht auch ein zweites Mal es 900 Leute sind. Das steht auch nicht in kann man besser was kaufen. Aber Puste- auf der Matte. der Zeitung. einfach, dass sich jeder mit seinen Fähig- D. Zwei Klassen gibt es auch bei Ost- und F. Je nachdem, wie lange man beschäftigt keiten und Erfahrungen einbringt. Anfangs Westlöhnen. Wir haben seit bald 22 Jahren war, wäre die Leihfirma eigentlich verpflich- haben wir hier Arbeitsverträge verglichen die Wiedervereinigung! Bei allem, was man tet, über eine bestimmte Dauer einen neuen und in Büchern nachgeschlagen, was über- bezahlen muss, gibt es doch auch keinen Einsatz zu suchen. Machen sie aber nicht, haupt rechtens ist. Viele haben wir zur IG- Unterschied. sondern sie kündigen. Und die Kündigungs- E. Aber alleine geht gar nichts. Wichtig ist kuchen! Die in der Bank nehmen dich ganz frist beträgt nur zwei Monate. Metall-Beratung geschickt. E. Und dann noch die Arbeitszeitkonten: G. Jeder hier hat ja noch weitere Kontakte, Viele Verleiher sind hinterher, dass man die der Stammtisch ist eine Art Schnittstelle. 150 Stunden Reserve für schlechte Zeiten So kriegt man mit, welche Aktionen die aufbaut. Man schenkt dem Verleiher die anderen planen. Stunden und hat nichts davon. D. Ich lebe eben auf dem Schleudersitz. „Gleiches Geld für Leiharbeiter oder sogar mehr als für die Stamm angestellten! Denn ein Leiharbeiter ist manchmal wochenlang unterwegs, weg von seiner Familie – und das sollte man gut bezahlen.“ Ausblick 102 Was bisher passiert ist: Erfolge der IG Metall von Werkverträgen. Der Betriebsrat kann Stammbeschäftigten. Das wirkt sich auf dadurch überprüfen, ob hinter Werkver- der Lohnabrechnung doppelt aus, denn trägen möglicherweise verdeckte Leihar- auch Spät-, Nacht- und Wochenendzu- beit steckt. Bei gewerblich Beschäftigten schläge werden nun auf Grundlage des in Leiharbeit sieht der Tarifvertrag eine höheren Entgelts berechnet. Neu ist auch Höchsteinsatzdauer von sechs Monaten die Lohnfortzahlung bei Krankheit und Ur- vor, bei Ingenieuren, Technikern sowie laub. Zudem soll der Anteil der Leiharbeit IT-Spezialisten eine von 24 Monaten. Im reduziert werden. In Eisenach lag die Leih- Gegenzug erklärten sich die Arbeitnehmer arbeitsquote bei den sozialversicherungs- bereit, ein höheres Maß an „interner Flexi- pflichtig Beschäftigten laut Hans-Böckler- bilität“ zu ermöglichen. Damit profitieren Stiftung 2009 bei über acht Prozent und beide Seiten von der Vereinbarung. war damit mehr als doppelt so hoch wie Bessere Arbeitsbedingungen, transparen- in Leiharbeit der IG Metall entgegenbrin- te Übernahmeregelungen und eine gerech- gen: Zwischen 2007 und 2011 haben sich Gleiches Geld und Übernahme te Entlohnung von Leiharbeitern – das sind mehr als 40.000 Leiharbeitnehmer der IG bei Curamik Electronics Inhalte der Besservereinbarungen, die die Metall angeschlossen. Gleiches Geld für vergleichbare Arbeit, fairen Verleihbetriebs und das ab dem ersten Einsatztag, sieht Einen ganz anderen Weg zur Durchsetzung IG Metall in den vergangenen Jahren in im Bundesdurchschnitt. Alternative: Gründung eines mehr als 1.200 Betrieben der Metall- und Ein Leuchtturm am Bodensee auch der Tarifvertrag vor, den die IG Metall des Equal-Pay-Grundsatzes ist die IG Me- Elektroindustrie durchgesetzt hat. Wich- Einen von vielen Leuchttürmen in Sachen 2009 mit dem fränkischen Automobilzulie- tall hingegen in Siegen gegangen. Anfang tigstes Ziel ist es, Equal Pay – also die Equal Pay stellt der Haustarifvertrag dar, ferer Curamik Electronics vereinbart hat. 2009 gründete man gemeinsam mit Ver- gleiche Bezahlung von Leiharbeitern und auf den sich IG Metall, Betriebsrat und Hier waren die Übernahmeregelungen ein tretern des Kreises Siegen-Wittgenstein Festangestellten auf betrieblicher Ebe- Geschäftsführung des bekannten An- zusätzliches wichtiges Anliegen für die und dem Verband der Siegerländer Me- ne – herzustellen. Audi ist einer der be- triebs- und Fahrwerktechnikherstellers Beschäftigten. Sie konnten durchsetzen, tallindustriellen e. V. die Leiharbeitsfirma kanntesten Arbeitgeber, der bereits 2009 ZF in Friedrichshafen im November 2011 dass Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter QuatroTransFair GmbH, deren Beschäftigte eine Besservereinbarung unterzeichnet geeinigt haben. Wichtigster Punkt darin: nun nach zwölf Wochen Einsatzzeit ein grundsätzlich den im Entleihbetrieb gülti- hat. Leiharbeitskräfte werden dort seither Ob ausgeliehen oder fest beschäftig – bei Arbeitsplatzangebot bekommen müssen. gen Tarif erhalten. auf Basis des IG Metall-Tarifs bezahlt. Das der Bezahlung macht das nun keinen Un- schützt die Stammbelegschaft vor Lohn- terschied mehr. Wie die Festangestellten Auch bei Bosch und sechs weiteren Firmen Die Kunden von QuatroTransFair zahlen drückerei und sichert den Leiharbeitneh- müssen die Leiharbeiterinnen und Leih- in Eisenach konnte die IG Metall bessere die gleichen Preise wie bei vergleichba- mern ein Gehalt, von dem sie leben kön- arbeiter künftig von der ersten Stunde Bedingungen für Leiharbeiter aushandeln. ren Verleihfirmen, bei den Kolleginnen nen. Auch in der Krise konnte die IG Metall an nach demselben Flächentarifvertrag Im Mittelpunkt hier: die unfairen Entgelte. und Kollegen kommt aber mehr an, erklärt bei Audi etwas zum Positiven bewegen: bezahlt werden. Seit Anfang 2011 verdienen die Leiharbeit- die IG Metall Siegen das alternative Ge- nehmer nun fast doppelt so viel wie zuvor. schäftsmodell. Dies ist möglich, weil die Abgemeldete Leiharbeiter wurden über eine Transfergesellschaft aufgefangen und IG Metall und Betriebsrat konnten bei ZF Damit ist die „Eisenacher Lösung“ ein Zwi- Gesellschafter der GmbH keine Gewinner- weiterqualifiziert. In der Stahlindustrie in weitere Forderungen durchsetzen: Höchst- schenschritt in Richtung Equal Pay – auch wartung haben. Nordrhein-Westfalen konnte die IG Metall grenzen – zeitlich und anteilsmäßig – für wenn die IG Metall erstmal nur von einer 2010 die gleiche Bezahlung für Leiharbeit- den Einsatz von Leiharbeitern, ein erwei- „Notlösung“ spricht. Die Besserverein- Die Beispiele machen deutlich, dass sich nehmer sogar im Tarifvertrag verankern. tertes Mitbestimmungsrecht über das barung sieht vor, dass Leiharbeiter statt auf lokaler und betrieblicher Ebene bereits Diese Erfolge spiegeln sich in der Akzep- Betriebsverfassungsgesetz hinaus sowie 6,41 Euro pro Stunde nun 11,71 Euro er- tanz und dem Vertrauen, die Beschäftigte ein Informationsrecht bei der Vergabe halten, den gleichen Grundlohn wie die 104 Erfolge abzeichnen, die die IG Metall im und Equal Treatment – müssen ohne Aus- Kampf gegen den Missbrauch der Leih- nahme für alle Leiharbeitnehmer Gesetz arbeit erstritten hat. Doch die Situation werden. Dass das möglich ist und dass muss sich grundlegend für alle Leiharbei- Leiharbeit auch anders geregelt werden terinnen und Leiharbeiter verbessern. Hier kann, zeigen nicht nur die Tarifverträge ist die Politik gefordert: Gleiches Geld und und Betriebsvereinbarungen der IG Metall, gleiche Arbeitsbedingungen – Equal Pay sondern auch der Blick über die Grenzen. Leiharbeit in Europa: Die 2008 verabschiedete EU-Richtlinie über Leiharbeit wird in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich umgesetzt So läuft es andernorts: Leiharbeit in Europa Die EU-Richtlinie zur Leiharbeit ist In diesen Ländern der EU gibt es für die Bezahlung von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern … ein wichtiger Schritt hin zur Angleichung staatlicher Regelungen in Europa. Darin keine Regelung ist der Grundsatz Equal Treatment festgeschrieben. Sie wird in den einzelnen Län- Equal-Pay-Regelung mit Ausnahmen dern unterschiedlich umgesetzt. Equal-Pay-Regelung für alle In Österreich wird die Leiharbeit über einen Kollektivtarifvertrag reguliert, der für S alle Verleihbetriebe bindend ist. Darin ist festgelegt, dass für Leiharbeitskräfte en ed w ch d an nl n i F während der Verleihzeiten dieselben Tarifverträge wie für die Stammbelegschaft im Einsatzbetrieb gelten. Damit ist Österreich ein gutes Beispiel dafür, dass Leiharbeit Es l Be t Le n gie d an Irl ien nn ir ta b oß Gr ut De Fr l ga r tu o P d an hl sc len Po durch die Tarifparteien effektiv geregelt werden kann, wenn der Gesetzgeber für die nd tla Rahmenbedingungen sorgt. ik bl en epu u R a Lit che s hi c e ch eich Ts rr te Ös ei ak ow Sl In Dänemark gibt es für Arbeitgeber kaum Anreize, auf Leiharbeit zu setzen. Zum einen ist der Kündigungsschutz auch für Festangestellte schwach, zum anderen haben Leiharbeitskräfte dieselben tariflichen Lohnansprüche wie die Stammbelegschaften, nur für betriebliche Sozialleistungen wie Rente, Urlaub und Krankheit können während einer Qualifizierungsphase Sonderregeln gelten. Leiharbeitnehmer werden in der Regel nur für die Auftragsdauer beschäftigt. Zwischen den Einsätzen fallen sie auf die Grundsicherung zurück, die in Dänemark aber relativ hoch ist. h eic kr an rn ga Un Sl ow en ien ien an Sp n lie Ita Quelle: Arrowsmith, 2008 nd tla ien än m Ru l Bu n rie ga In Frankreich gilt wie in Deutschland der Grundsatz Equal Pay, allerdings ohne Ausnahmen. Ab dem ersten Tag bekommen Leiharbeitskräfte die gleiche Bezahlung und zusätzlich eine „Prekaritätsprämie“ in Höhe von zehn Prozent des d an nl e h iec Gr Lohns. Leiharbeitsbetriebe zahlen in einen branchenbezogenen Weiterbildungsfonds ein. Prinzipiell dürfen Leiharbeiter keine regulär Beschäftigten ersetzen. Die Begrenzung der Einsatzdauer auf 18 Monate soll Missbrauch verhindern. rn pe Zy Arbeitsverträge sind meist auf einen Einsatz beschränkt – so ist die Leiharbeit auch in Frankreich eine unsichere Beschäftigungsform. 106 nicht nur schlechte Löhne machen die Breite gesellschaftliche Unterstützung – und die Politik denkt um Foto: CDA „Gleiche Arbeit – Gleiches Geld“ Karl-Josef Laumann (CDU) ist Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) und Fraktionsvorsitzender im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Zeitarbeit zu dem, was man landläufig als prekäre Beschäftigung bezeichnet. In Krisenzeiten sind die Leiharbeiter die Ersten, die ihren Job verlieren. Die Fluktuation ist hoch. 2008 beispielsweise hatten wir einen durchschnittlichen Bestand von „Gleiche Arbeit – Gleiches Geld“ heißt Immer mehr Belegschaften spalten sich die Kampagne, mit der sich die IG Metall auf in Festangestellte und schlechter seit April 2008 für faire Arbeitsbedingun- bezahlte Leiharbeiter. Wie sehen Sie 900.000 überschritten. Diese Entwicklung neu begonnenen Leiharbeitsverhältnissen gen in der Leiharbeit einsetzt. Damit ist diese aktuelle Entwicklung? ist bedenklich. Trotz des immensen Fach- ebenso viele beendete gegenüber. Von kräftemangels sitzen vor allem junge Leu- den im ersten Halbjahr 2011 neu einge- zugleich das wichtigste Ziel formuliert, 760.604 Leiharbeitern in Deutschland. Allerdings standen einer rund einer Million das sich die Initiatoren angesichts des Laumann: Es ist erfreulich, dass die Arbeits- te auf gepackten Koffern und sind ständig stellten 569.000 Leiharbeitern war nicht zunehmenden Missbrauchs der Leiharbeit losenzahl deutlich gesunken ist. Eine Auf- auf der Suche nach einer Festanstellung. einmal die Hälfte länger als drei Monate setzten: die Lohndrückerei zu stoppen. spaltung in Stamm- und Randbelegschaf- Wir brauchen auf dem Arbeitsmarkt wieder beschäftigt. Leiharbeiter sollten wirklich Unter der Schirmherrschaft der drei frü- ten ist aus Sicht der CDA nicht hinnehmbar. mehr Recht und Ordnung. nur die Auftragsspitzen abfedern. heren Bundesarbeitsminister Dr. Herbert Arbeitnehmer und ihre Familien brauchen Ehrenberg, Dr. Norbert Blüm und Walter Sicherheit und gerechte Bezahlung. Was sind für Sie die wichtigsten Anfor- liches Bündnis gegen die Ausbeutung von Machnig: Fakt ist, dass im Boomjahr 2011 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch die Leiharbeit einen regelrechten Laumann: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit entstanden. Mehr als 21.000 Menschen Aufwärtstrend erlebte. 3,2 Prozent aller am gleichen Ort – dann entfällt auch der haben die Forderungen der Initiative be- sozialversicherungspflichtig Beschäftig- Anreiz, Leiharbeiter lange in einem Unter- reits unterzeichnet. ten übten einen Job in der Zeitarbeitsbran- nehmen zu beschäftigen, um den Lohn zu che aus, ein Prozent mehr als im Vorjahr. drücken. Der gleiche Lohn muss nach einer Auch Matthias Machnig (SPD), seit 2009 Mit 910.000 Leiharbeitnehmern im Juni angemessenen Einarbeitungszeit gezahlt Minister für Wirtschaft, Arbeit und Techno- 2011 wurde erstmals die Marke von werden – wobei diese kürzer als ein hal- logie in Thüringen, und Karl-Josef Laumann bes Jahr sein muss! Bei der konkreten Aus- (CDU), Bundesvorsitzender der Christlich- gestaltung sind die Tarifpartner gefordert. Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) und Fraktionsvorsitzender im Landtag Machnig: Es ist kein Geheimnis, dass die von Nordrhein-Westfalen, setzen sich für Löhne in Zeitarbeit niedriger sind als in gleiches Geld bei gleicher Arbeit ein. Ein allen anderen Branchen – im Vergleich Gespräch mit den beiden Politikern über zur Stammbelegschaft eines Betriebes Fairness, Würde und Gerechtigkeit. durchschnittlich 40 bis 60 Prozent. Aber Foto: Bildwerkstatt Michael Voigt derungen an faire Leiharbeit? Riester ist seither ein breites gesellschaft- Matthias Machnig (SPD) ist seit 2009 Minister für Wirtschaft, Arbeit und Technologie in Thüringen. 108 müssen der Vergangenheit angehören. Würden Betriebsräte dahingehend mehr mitbestimmen können – auch in Hinblick auf eine sich stark entwickelnde Praxis von Werkverträgen im Unternehmen –, wäre der Trend sicher weniger dramatisch. Unter welchen Voraussetzungen ist Viele Leiharbeiter sind trotz Leiharbeit ein sinnvolles Instrument? eines Vollzeitjobs auf staatliche Transferzahlungen angewiesen. Laumann: Sie sollte Langzeitarbeitslosen Wie schätzen Sie das ein? als Brücke auf den Arbeitsmarkt dienen. Es ist auch in Ordnung, wenn Unterneh- Laumann: Wer Vollzeit arbeitet, muss zu- men sie einsetzen, um Auftragsspitzen mindest selbst von seinem Lohn leben kön- abzufangen. Ich bin davon überzeugt: Die nen, ohne ergänzend „Stütze“ zu beziehen. Stärkung der Rechte und der tariflichen Es ist Aufgabe des Staates, mit Transfer- Ansprüche der Leiharbeitnehmer ist die leistungen Familien zu unterstützen, aber beste Voraussetzung dafür, Leiharbeit auf nicht, Dumpinglöhne zu subventionieren. diesen legitimen Kern zu begrenzen. „Die Würde der Erwerbsarbeit drückt sich auch in ihrer Bezahlung aus“, sagt Karl-Josef Laumann. „Für uns Christlich-Soziale ist diese Überzeugung ein politischer Auftrag.“ Deswegen brauchen wir neben Equal Pay in der Leiharbeit auch eine allgemeine Machnig: Heute haben 16.000 Unterneh- widerlegt. Recht und Ordnung auf dem Laumann: Ja. Nicht ohne Grund stellen Lohnuntergrenze. men eine Lizenz für die Leiharbeit und es Arbeitsmarkt heißt, dass die Abschaffung CDA und CDU die Würde der Arbeit her- gibt 8.000 Leiharbeitsunternehmen. Es des Befristungs-, des Wiedereinstellungs- aus. Die Würde der Erwerbsarbeit drückt Machnig: Diese Unternehmensstrategie gibt immer noch keine Zertifizierung und und des Synchronisationsverbotes sowie sich auch in ihrer Bezahlung aus. Für uns ist eigentlich Betrug am Steuerzahler. zu viele schwarze Schafe. Diese Entwick- der Wegfall der Überlassungshöchstdauer Christlich-Soziale ist diese Überzeugung Laut einer DGB-Studie von Februar 2011 lung muss gestoppt werden. Wir brauchen überprüft und angepasst werden müssen. ein politischer Auftrag. ist rund jeder achte Leiharbeitnehmer ein Qualitätssiegel für die Leiharbeit. zusätzlich zu seinem Gehalt auf staat- Wenn gerade einmal sieben Prozent aller Liegt es nicht in der Verantwortung Machnig: Meiner Ansicht nach gilt das für liche Unterstützung angewiesen. Wir vormals Arbeitslosen nach der Leiharbeit gerade auch jener Politiker und Politi- alle Menschen, und es ist keine morali- haben daraus Konsequenzen gezogen: In den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt kerinnen, die sich dem Menschenbild sche Frage: Ein Sozialstaat zeichnet sich Thüringen gibt es keine Investitionsför- schaffen, ist die einst beabsichtigte Brü- der christlichen Soziallehre verpflich- durch Rechtsansprüche aus – die sicher- derung für Unternehmen mehr, die eine ckenfunktion dieser Branche faktisch tet fühlen, die Verhältnisse endlich zu stellen müssen, dass es keine Menschen ändern? zweiter Klasse gibt. zu hohe Leiharbeiterquote haben und die sich nicht an bestimmte Entlohnungsstandards halten. Entscheidende Dinge können jedoch nur auf Bundesebene geregelt werden. Lohnflucht über Zeitarbeit oder Leiharbeiter als Streikbrecher 110 Wer Leiharbeitern trotz gleicher Arbeit weniger Lohn als den anderen Beschäftigten Unter den mehr als 21.000 Menschen, die zahlt, verstößt gegen die Menschenrech- die Initiative „Gleiche Arbeit – Gleiches te. Die Unternehmer haben ihr unterneh- Geld“ unterstützen, sind auch zahlreiche merisches Risiko auf die Leiharbeiter ab- bekannte Vertreterinnen und Vertreter aus gewälzt: Sie waren die ersten Opfer der er seinen Bürgern Wohlstand und soziale Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. In Krise. Schlechte Arbeitsbedingungen sind Sicherheit gewährleistet. Wir sollten mehr kurzen Statements machen sie deutlich, aber kein Naturgesetz, sondern schlecht Staat wagen, den Markt wieder unter die warum sie sich den Forderungen der IG Me- gemachte Arbeitsbedingungen. Leihar- Aufsicht des Staates stellen. Unsere Le- tall anschließen. beit ist politisch in Gang gesetzt worden. bensverhältnisse dürfen nicht in erster Deshalb ist die Politik jetzt gefordert, die Linie vom Markt bestimmt werden. Not- Renate Schmidt, Charlotte Knobloch, Präsidentin der Is- Würde und den Respekt der Leiharbeit zu wendig sind robuste soziale Leitplanken. Bundesfamilienministerin a. D.: raelitischen Kultusgemeinde München schützen. Jeder, der arbeitet, hat Anspruch Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn „Ich unterstütze die Initiative ‚Gleiche Ar- und Oberbayern und Vizepräsidentin auf gleiche Bezahlung, gleiche Rechte und muss zumindest eine existenzsichernde beit – Gleiches Geld‘, weil viele Unterneh- des Jüdischen Weltkongresses: gleiche soziale Sicherheit.“ Entlohnung garantieren. Wer das als unzu- men Leiharbeit als ‚Regelarbeitsverhältnis‘ „Ich unterstütze die Initiative ‚Gleiche Ar- missbrauchen und Arbeitnehmer/innen in beit – Gleiches Geld‘, weil das deutsche Prof. Dr. Kerstin Jürgens, Soziologin an hat nicht begriffen, was Wettbewerb be- dauernder Unsicherheit und unterbezahlt Grundgesetz die Würde des Menschen als der Universität Kassel: deutet: Erfolgreich sind produktive und arbeiten lassen. Dies war vom Gesetzge- oberste Prämisse des Handelns vorgibt. „Ich unterstütze die Initiative der IG Me- innovative Unternehmen. Wenn sich je- ber so nie gewollt und dieser Ausbeutung Dieser Vorgabe sollte sich auch die freie tall, weil die Missachtung gleicher Ar- doch Unternehmen durchsetzen, weil sie muss ein Ende bereitet werden, denn alle Wirtschaft verpflichtet fühlen. Auch das beitsleistung bei gleicher Qualifikation die Löhne drücken, schaden sie der Volks- Menschen brauchen ein Mindestmaß an Recht auf Gleichberechtigung ist eine es- eine Ungerechtigkeit darstellt, die sozi- wirtschaft langfristig.“ Sicherheit.“ sentielle Voraussetzung gesellschaftlicher alen Polarisierungen und Konflikten in und sozialer Balance.“ unserer Gesellschaft Vorschub leistet.“ „Leiharbeit: billige und willige, schneller Dr. Franz Segbers, Theologe und Prof. Dr. Peter Bofinger, „Wirtschafts- Weitere Statements von Unterstützerin- zu heuernde und zu feuernde Lückenbü- Professor für Sozialethik an der weiser“, Geschäftsführer des Volkswirt- nen und Unterstützern sind unter www. ßer. Das ‚Menschenmaterial‘ wird einfach Universität Marburg: schaftlichen Instituts der Universität gleichearbeit-gleichesgeld.de zu finden. zeitnah und konfliktfrei angemietet, wie ein „Leiharbeit ist eine moderne Form von Würzburg: Dort sind zudem aktuelle Informationen, Presslufthammer, eine Hebebühne oder ein Tagelöhnerei. Leiharbeitnehmer werden „Schon vor der Krise ist ein Großteil der Fakten und Hintergrundberichte zum Kleinlaster. Zeitarbeit = Leiharbeit, oder die hin und her geschubst und wie eine Ware Beschäftigten vom steigenden Wohlstand Thema Leiharbeit abrufbar. Und über den moderne Form von Menschenhandel.“ behandelt, die man kaufen und verkaufen einfach abgekoppelt worden: Die Mittel- Leiharbeitsmelder können Beschäftigte kann. Doch Arbeit ist keine Ware, sie hat klasse ist geschrumpft, die Armutsquo- ihre persönlichen Erfahrungen schildern. Würde. Zur Würde gehört ‚Gleicher Lohn für te gestiegen, die soziale Absicherung Machen Sie mit! Unterstützen Sie die Ini- gleiche Arbeit‘. Im Artikel 23 der UN-Men- schwächer geworden. Das darf nach der tiative online! schenrechtserklärung heißt es: ‚Jeder, ohne Krise nicht so weitergehen, sonst gerät Unterschied, hat das Recht auf gleichen der Staat in Misskredit. Der Staat bezieht Lohn für gleiche Arbeit.‘ Das aber heißt: nämlich seine Legitimation daraus, dass lässigen Eingriff in den Markt verdammt, Im Internet Günter Wallraff, Schriftsteller: 112 Landkarte der Leiharbeit: Während in einigen ländlichen Regionen Leiharbeit kaum vorhanden ist, wird sie in Industrieregionen intensiv genutzt Anteil der Beschäftigten in Leiharbeit an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt Aktiv für Gerechtigkeit: Ziele der IG Metall 3,5 bis 11,7 % 2,4 bis 3,5 % 1,45 bis 2,4 % bis 1,45 % „Grenzenloser Einsatz von Leiharbeit, Verdrängung von regulärer Beschäftigung, Lohndumping – all das ist mit uns nicht mehr zu machen. Wir packen die Leiharbeit aktiv, konsequent und dauerhaft in den Einsatzbetrieben an und gehen offensiv in den Konflikt mit den Arbeitgebern“, sagte Detlef Wetzel, der zweite Vorsitzende der IG Metall, als die Initiative „Gleiche Arbeit Mitarbeiter zweiter Klasse sein. Sie müs- – Gleiches Geld“ 2008 an den Start ging. sen bezahlt und behandelt werden wie die Stammbelegschaft – das bedeutet Equal Die Auseinandersetzung beginnt Pay und Equal Treatment. Menschen müs- in den Betrieben sen gut von ihrer Arbeit leben können – Leiharbeit darf nur zur vorübergehenden das ist einer der Grundpfeiler der sozialen Bearbeitung von Auftragsspitzen einge- Marktwirtschaft, der nicht weiter bröckeln setzt werden. So können Unternehmen darf. Es ist ein Skandal, dass viele Leihar- flexibel den kurzfristig gestiegenen Per- beitnehmer trotz eines Vollzeitjobs noch sonalbedarf abdecken und dadurch auch auf zusätzliche staatliche Unterstützung die Arbeitsplätze der Stammbelegschaft angewiesen sind. 2011 haben die Be- sichern. Die Unternehmen sind aber auch schäftigungszahlen in der Leiharbeit ein in der Pflicht: Leiharbeiter dürfen keine neues Rekordniveau erreicht. Die von der IG Metall in mittlerweile weit mehr als 1.200 Betrieben der Metall- und Elektroindustrie durchgesetzten Besservereinbarungen für Leiharbeitsbeschäftigte zeigen, dass Niedriglöhne in der Leiharbeit kein Naturgesetz sind. Leiharbeit zu fairen Bedingungen ist sehr wohl möglich. In vielen Betrieben der Metall- und Elektrobranche Quelle: Regionale Datenbank „Atypische Beschäftigung“ des WSI, Hans-Böckler-Stiftung 114 Mit BAP und iGZ: Verhandlungen über höhere Löhne Mit den Verbänden der Leiharbeit wird über höhere Löhne verhandelt. Die IG Metall will für die mehr als 300.000 Betroffenen einen Branchenzuschlag durchsetzen, den die Verleihfirmen künftig zusätzlich zum Leiharbeiterlohn zahlen sollen. Verhandlungspartner sind der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und der Bundesverband der Personaldienstleister (BAP). Eine Umfrage unter den Mitgliedern in Leiharbeit hat der IG Metall Ende 2011 ein eindeutiges Mandat für diese Gespräche erteilt: 97 Prozent der konnten IG Metall und Betriebsräte dar- mehr als 4.000 Kolleginnen und Kollegen, über hinaus den Einsatz von Leiharbeit die an der Befragung teilgenommen ha- verhindern und den Aufbau regulärer ben, fordern die IG Metall auf, in Tarifver- Beschäftigung oder die Übernahme von handlungen mit den Verbänden der Leih- Leiharbeitern in die Stammbelegschaften arbeit einzutreten. 96 Prozent sind bereit, durchsetzen. sich aktiv in die Tarifrunde einzubringen. In der Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen ist Equal Pay tarifvertraglich festgeschrieben. Die IG Metall setzt sich dafür ein, dass diese Regelung künftig bundesweit gilt. Arbeit ist der wertvollste Rohstoff, den Das Thema Leiharbeit Die Politik muss ihrer Verantwortung Deutschland besitzt, und den gilt es zu gehört in die Tarifrunde gerecht werden hegen und zu pflegen. Arbeit darf nicht Was einzelne Betriebe können, ist auch in Die IG Metall verlangt Respekt und Aner- zur Ramschware verkommen. Die IG Metall größerem Rahmen möglich. In verschie- kennung für geleistete Arbeit. Die IG Me- will verhindern, dass Stammarbeitsplätze denen Branchen hat die IG Metall bereits tall steht für eine sichere, gerechte und bessere Regelungen für Beschäftigte in zukunftsfähige Gesellschaft. Dazu gehört Pflicht: Sie sind gefordert, für die Leihar- werden und dass es am Ende verschiede- Leiharbeit durchgesetzt. So gilt in der auch die Verantwortungs- und Mitbe- beit neue und strengere Rahmenbedin- ne Lohnlinien in Betrieben gibt. Die neue nordrhein-westfälischen Stahlindustrie stimmungskultur, die Gewerkschaften in gungen zu definieren. Dazu gehört die Masche der Chefs – outgesourcte indus- seit 2011 ein Tarifvertrag, der die gleiche Deutschland entscheidend mitentwickelt Wiedereinführung einer Höchstüberlas- trielle Dienstleistungen, die mit Werkver- Bezahlung festschreibt. In der Tarifrunde haben. Doch das entlässt die politisch sungsdauer und des Synchronisationsver- trägen zu niedrigeren Löhnen eingekauft für die Metall- und Elektroindustrie wird Verantwortlichen in Berlin nicht aus ihrer bots. Und dazu gehört die Einführung des und wieder in den Betrieb geholt werden – 2012 über die erweiterte Mitbestimmung Grundsatzes „Gleiche Arbeit – Gleiches wird daher ein weiteres Schwerpunktthe- bei Leiharbeit verhandelt. Betriebsräte der Geld“ ohne Ausnahmeregelungen. Denn ma der IG Metall sein. Entleihbetriebe sollen stärker mitentschei- Tarifverträge können für Teilbereiche zwar den, ob und wie Leiharbeit in den Unter- positive Regelungen schaffen – darüber nehmen eingesetzt wird. So kann Miss- hinaus sind aber gesetzliche Regelungen brauch wirksam verhindert und so können erforderlich, damit branchen- und be- faire Arbeitsbedingungen erreicht werden. reichsübergreifend Wirkung erzeugt wird. durch prekäre Beschäftigung verdrängt 116 Stellungnahmen „Es scheint die Kunden wenig zu interessieren, dass beim häufigen Wechsel bzw. Wegfall von Langzeitleiharbeitern insbesondere im Ingenieurs- bzw. technischen Bereich Erfahrungsträger und zum Teil umfangreiches Know-how abfließen. Ich Was Beschäftigte in Leiharbeit der IG Metall aus ihrem Arbeitsalltag berichtet haben – habe Leiharbeiter kommen und gehen sehen – die Phase des Neu- bzw. Wieder- und was sie über die fehlenden Zukunftsaussichten denken:* anlernens bindet zwangsläufig jedes Mal Kapazitäten, kostet Zeit und verursacht ,Fehlzeiten‘ beim Stammpersonal. Zum Teil entstehen auch Fehlleistungen durch „Ich habe die Nase voll von Leiharbeit! Ich bin 30 Jahre alt, verheiratet und kann mir keine Zukunft aufbauen, weil ich alle drei Monate, wenn mein Vertrag ausläuft, nachdenken muss: ,Was ist jetzt? Habe ich morgen noch meine Arbeit oder nicht mehr?‘ Jeden Tag gehe ich mit Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen zur Arbeit. Ich kann mir keinen Urlaub oder freien Tag leisten, weil ich ein Leiharbeiter bin.“ neue und noch unerfahrene Leiharbeiter, die gleichfalls Mehrkosten verursachen. All diese Gesichtspunkte scheinen bei der heutigen Strategie der Arbeitgeber keine oder nur eine untergeordnete Rolle zu spielen, warum auch immer. Aus meiner Sicht ist die Motivation bei stabilen Beschäftigungsverhältnissen und qualitativ guter Personalführung ein großer Vorteil für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.“ „Seit 2005 bin ich beim gleichen Einsatzbetrieb in Hamburg. Nach den anfänglichen Aussagen, wir würden nach und nach übernommen, hat sich bis heute nichts mehr getan. Über sieben Jahre Leiher, kein Ende in Sicht, Bezahlung auch nicht hundertprozentig gleich. Und immer im Hinterkopf: Wenn man den Mund aufmacht, darf man gehen.“ „Im Unternehmen, in dem ich seit über sechs Jahren arbeite, fühlt man sich nicht imstande, uns eine feste Stelle anzubieten. Wir werden hin- und her verschachert, damit die Erfahrung, die wir mit den Jahren gesammelt haben, nicht verloren geht. Immer mit der Angst zu leben, am nächsten Jahresanfang keine Arbeit mehr zu haben, finde ich sehr bedenklich.“ „Am wichtigsten ist mir die Übernahme. Seit November 2007 habe ich für ein Unternehmen der Metallindustrie als Leiharbeiter gearbeitet. Dafür hatte ich damals meinen Arbeitsplatz gekündigt. Als die Krise kam, musste ich im September 2009 das Unternehmen verlassen, war dann zwölf Monate arbeitslos. Im Oktober 2010 hat man mich dann wieder zurückgeholt, bis heute arbeite ich dort. Ich bin dort sehr zufrieden, nur an eine Übernahme ist nicht zu denken. Da ist man dann der Depp, der wieder gehen muss, wenn die Lage schlechter wird. Leider!“ „Ich bin Leiharbeiter, jedoch ohne jegliche Übernahmechance. Es gibt Leute bei mir in der Firma, die sind fünf Jahre und länger am gleichen Standort und wurden noch immer nicht übernommen. Was ich verdeutlichen will: dass dieses Konzept Leiharbeit einfach nicht mehr so funktioniert, wie es noch vor zehn Jahren geklappt hat. Ein Sprungbrett zur leihenden Firma ist es auf keinen Fall, eher sind wir die Lückenbüßer, die für andere die Drecksarbeit machen.“ „Ich bin seit fast fünf Jahren ohne Unterbrechung bei ein und demselben Kunden eingesetzt. Das nennt man dann ‚die Spitzen abfangen‘? Es müsste von der Politik wieder der alte Riegel, die „Ich bin jetzt 31 Jahre alt und seit sechs Jahren im selben Werk als Leiharbeiter beschäftigt. Ich frage Sie etwas ganz Wichtiges: Wenn man jahrelang als Leiharbeiter arbeitet – welche Firma hält einen bis zur Rente? Ich denke, ab 40 sind die meisten von uns arbeitslos.“ zeitliche Begrenzung, aktiviert werden. Sonst haben wir in vielen Betrieben nur noch 20 bis 30 Prozent festangestellte Mitarbeiter. Das kann’s ja nicht sein.“ * D ie Stellungnahmen wurden im Rahmen einer Erhebung der IG Metall zusammengetragen. Dafür wurde im November 2011 eine Auswahl der Mitglieder in Leiharbeit angeschrieben und zu ihrer Beschäftigungssituation befragt. Die Antworten beschreiben skandalöse Zustände – hier einige anonymisierte Beiträge, ausgewählt aus den mehr als 1.000 Erfahrungsberichten. Namen und Kontaktdaten sind der IG Metall bekannt. Zum Schutz der Befragten bleiben die Zitate anonym. „Ich bin seit 2002 bei meinem Verleiher beschäftigt, mit Verleihdauern von drei Tagen bis 4,5 Jahren am Stück – Übernahme bis jetzt Fehlanzeige. Ich bin der Meinung, dass man die Entleihbetriebe nur über den Kostenfaktor zur Übernahme bewegen kann. Schöne Worte habe ich in den letzten Jahren zu oft gehört.“ „Es ist leider kaum zu ertragen, dass man jeden Tag zur Arbeit geht, dort mehr Einsatz zeigt als so mancher Stammwerker und trotz allem mit der Angst leben muss, dieser Tag könnte dein letzter im Unternehmen sein. Zum November gab es wieder eine Entlassungswelle von Leihwerkern. Sie bekamen dann einen Tag vorher gesagt: ‚Tut uns leid, ab morgen bist du abgemeldet.‘ Mit dieser Angst im Bauch ist das Arbeiten nicht immer einfach …“ 118 Glossar zur Leiharbeit Arbeitszeitkonto Auslöse Arbeitszeitkonten erfassen die tatsächlich Für berufliche Aufwendungen wie Über- geleistete Arbeit inklusive Überstunden, nachtung und Verpflegung erhalten Be- Krankheit und Urlaub von Beschäftigten. schäftigte in Leiharbeit eine zumeist Entstehen beim Abgleich mit der vertraglich pauschal berechnete monatliche Auslöse. zu leistenden Arbeitszeit Plus- oder Minus- Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sollten zeiten, müssen diese gemäß dem Arbeits- sich nicht auf eine Kürzung des Arbeits- oder Tarifvertrag ausgeglichen werden. entgelts einlassen, wenn der Verleiher im Arbeitnehmerüberlassung, Zeitarbeit, Personalleasing oder Leiharbeit – immer ist Gegenzug dafür die Auslöse erhöhen will. dasselbe gemeint, nämlich dass ein Arbeitgeber einen Beschäftigten einem Dritten Atypische Beschäftigungen Denn erstens erhalten sie in Zeiten ohne zur Erbringung einer Arbeitsleistung überlässt. Das Glossar erläutert auf den folgen- Als atypische Beschäftigungen werden Be- Überlassung keine Auslöse und zweitens den Seiten kurz und knapp, um was es sonst bei dem Thema geht, von der Allgemein- schäftigungsformen zusammengefasst, die wird die Auslöse nicht bei der Berechnung verbindlichkeitserklärung über den Drehtüreffekt und das Synchronisationsverbot vom Normalarbeitsverhältnis abweichen. von Arbeitslosengeld und Rente berück- bis hin zur Leiharbeit. Dazu gehören befristete und geringfügige sichtigt. Beschäftigung, Leiharbeit und Teilzeitar- A Arbeitnehmerfreizügigkeit beit mit 20 oder weniger Arbeitsstunden Austauschkündigung Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ermöglicht pro Woche. Atypische Beschäftigungs- Werden Stammbeschäftigte entlassen und Allgemeinverbindlichkeitserklärung es Bürgerinnen und Bürgern der Europä- verhältnisse sind vermehrt auch prekäre durch Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter Tarifverträge können auf Antrag von Ge- ischen Union, in allen Mitgliedsstaaten Beschäftigungen, die langfristig kein exis- mit entsprechend geringerer Entlohnung werkschaften oder Arbeitgebervereinigun- uneingeschränkt und ohne Arbeitserlaub- tenzsicherndes Einkommen und keine so- ersetzt, handelt es sich um unzulässige gen vom Bundesministerium für Arbeit und nis eine Beschäftigung aufzunehmen. Für ziale Sicherung gewährleisten. Austauschkündigungen. Soziales für allgemeinverbindlich erklärt neue Mitgliedsstaaten gelten teilweise werden. Die Allgemeinverbindlichkeitser- Übergangsfristen mit eingeschränktem Aufhebungsvertrag klärung bewirkt, dass Tarifverträge auch Zugang zum Arbeitsmarkt. Manche Verleiher schlagen ihren Leiharbei- für alle bisher nicht tarifgebundenen Ar- B terinnen und Leiharbeitern bei Auftrags- Befristete Beschäftigung beitgeber und Beschäftigten im Geltungs- Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) mangel vor, einen Aufhebungs- oder Auflö- Die befristete Beschäftigung gehört zu den bereich verbindlich werden. In Deutschland legt das AÜG seit 1972 die sungsvertrag zu unterschreiben. So wollen atypischen Beschäftigungsformen. Ein rechtlichen Rahmenbedingungen der Leih- sie eine Kündigung umgehen. Beschäftigte Arbeitsverhältnis endet dabei nach einer Arbeitnehmer-Entsendegesetz arbeit fest. Im Zuge der Hartz-Reformen riskieren damit eine Sperrzeit bei der Bun- vertraglich vereinbarten Zeitspanne oder Wird das Arbeitnehmerentsendegesetz entfielen wesentliche Beschränkungen desagentur für Arbeit, weil diese den Auf- nach Erfüllung eines Zwecks, beispielswei- auf eine Branche angewendet, verpflich- zu Überlassungsdauer, Befristung, Syn- hebungsvertrag als Kündigung wertet. se einer Krankheitsvertretung. tet es ausländische wie inländische Ar- chronisation und Wiedereinstellung. Zwar beitgeber und damit auch Ver- und Ent- wurde 2004 in diesem Gesetz gleiche Aufstocken Besservereinbarung leihbetriebe zur Einhaltung gesetzlicher Arbeitsbedingungen (Equal Treatment) Gemeinhin wird vom Aufstocken gespro- Ergänzungen zu Tarifverträgen und Be- und tarifvertraglich geregelter Mindest- einschließlich gleicher Arbeitsentgelte chen, wenn das Einkommen von geringfü- triebsvereinbarungen, die zwischen Ent- standards. Damit soll verhindert wer- (Equal Pay) zugesichert, aber auch eine gig oder voll sozialversicherungspflichtig leiher und IG Metall ausgehandelt werden, den, dass ausländische Beschäftigte in Öffnungsklausel zur Abweichung von die- Beschäftigten zur Existenzsicherung nicht um die Arbeitsbedingungen und die Ent- Deutschland zu Löhnen ihres Herkunfts- sem Grundsatz festgeschrieben. ausreicht und sie zusätzlich auf Arbeitslo- lohnung von Leiharbeitsbeschäftigten zu sengeld II angewiesen sind. verbessern, werden als Besservereinba- landes arbeiten. rungen bezeichnet. 120 Branchenzuschläge Branchenzuschläge sind gewerkschaftlich D geforderte Lohnzuschläge für Beschäf- Deregulierung Equal Pay tigte in Leiharbeit, mit denen das gleiche Die ursprüngliche Regulierung der Leih Equal Pay bedeutet, dass Leiharbeitsbe- Lohnniveau wie im Entleihbetrieb oder im arbeit, die eine Beschäftigungsstabilität schäftigte für die gleiche oder gleichwer- branchenüblichen Tarifvertrag erreicht für Leiharbeitskräfte sichern sollte, wur- tige Arbeit das gleiche Entgelt erhalten werden soll. de in den vergangenen Jahrzehnten zu- müssen wie die Stammbelegschaft im gunsten der Flexibilitätsanforderungen Entleihbetrieb. Betriebsrat Der Betriebsrat ist die gewählte Interes- Brückenfunktion von Entleihbetrieben gelockert. Mit den senvertretung der Beschäftigten. Er wahrt Die Möglichkeit von (Langzeit-)Arbeitslo- Hartz-Reformen führte die Deregulierung Equal Treatment die betriebliche Mitbestimmung gemäß sen, über die Arbeitnehmerüberlassung der Arbeitnehmerüberlassung im Jahr 2004 In der 2008 verabschiedeten EU-Richtlinie dem Betriebsverfassungsgesetz. Bei Ent- in ein Normalarbeitsverhältnis zu gelan- zur vollständigen Aufhebung der Überlas- über Leiharbeit ist der Grundsatz Equal scheidungen zu Einstellungen und Kün- gen, wird als Brückenfunktion von Leih- sungshöchstdauer, des Synchronisations- Treatment verankert, der Leiharbeits- digungen, Veränderungen der Arbeitszeit arbeit bezeichnet. und des Wiedereinstellungsverbots. beschäftigten die gleichen Arbeitsbe- spracherecht. Zu seinem Aufgabenfeld Bundesarbeitgeberverband der Perso- Drehtüreffekt Arbeitsentgelts (Equal Pay) wie der Stamm- gehören außerdem der Arbeitsschutz, naldienstleister Wenn unzulässigerweise Stammbeschäf- belegschaft im Entleihbetrieb gewährleis- die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Der Bundesarbeitgeberverband der Perso- tigte von einem Betrieb entlassen und als tet. Das deutsche Arbeitnehmerüberlas- sowie die Eingliederung benachteiligter naldienstleister (BAP) entstand aus einem Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter für die- sungsgesetz beinhaltet die Grundsätze und die Betreuung externer Arbeitskräfte. Zusammenschluss des Bundesverbands selbe Tätigkeit, aber zu wesentlich geringe- Equal Treatment und Equal Pay in Form des Für Beschäftigte in Leiharbeit gilt, dass sie Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA) rer Entlohnung wieder eingestellt werden, Gleichstellungsgrundsatzes. beim Verleiher und, je nach Dauer, auch im und des Arbeitgeberverbands Mittelständi- wird das als Drehtüreffekt bezeichnet. Entleihbetrieb bei den Betriebsratswahlen scher Personaldienstleister (AMP) und ist wahlberechtigt sind. der größte Arbeitgeberverband der Leihar- oder Betriebsorganisation besitzt er Mit- dingungen einschließlich des gleichen beitsbranche. Betriebsvereinbarung E G Geringfügige Beschäftigung Einsatzzulage Geringfügige Beschäftigung liegt vor, wenn entweder das Arbeitsentgelt aus einer Tarifvertrag abhängige Ergänzung zum Ar- Beschäftigung monatlich nicht 400 Euro Sie ist ein wichtiges Mittel zur Mitbestim- C Die Einsatzzulage ist eine vom jeweiligen Christlicher Gewerkschaftsbund beitsentgelt, die gezahlt wird, wenn Leih- überschreitet oder wenn eine Beschäfti- mung, denn sie umfasst Rechte und Pflich- Deutschlands arbeitsbeschäftigte über mehrere Monate gung vertraglich auf zwei Monate oder ins- ten von Beschäftigten, Betriebsrat und Ar- Der Christliche Gewerkschaf tsbund ununterbrochen in einem Entleihbetrieb gesamt 50 Arbeitstage begrenzt ist. Diese beitgeber. Dazu gehören die betriebliche Deutschlands (CGB) ist ein Zusammen- tätig sind. geringfügig entlohnten oder kurzfristigen Altersversorgung, Fortbildungsprogramme, schluss arbeitgeberfreundlicher Splitter- Frauenförderung und die Aufstellung von gewerkschaften, die für niedrige Tarifab- Entleiher Minijobs bezeichnet und gehören zu den Sozialplänen. Entgelte und Arbeitsbedin- schlüsse und Lohndumping bekannt sind. Als Entleiher werden Betriebe bezeichnet, atypischen Beschäftigungsformen. gungen sind meist nicht Gegenstand von Die zum CGB gehörende Tarifgemeinschaft denen Verleiher zeitweise Leiharbeiterin- Betriebsvereinbarungen, sie werden vor- Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit nen und Leiharbeiter zur Erbringung einer rangig im Tarifvertrag geregelt. und Personalserviceagenturen (CGZP) wur- Arbeitsleistung überlassen. Zwischen Ent- de gerichtlich für nicht tariffähig erklärt und leihbetrieben und Leiharbeitskräften be- darf keine Tarifverträge mehr abschließen. steht kein Arbeitsvertrag, jedoch sind Ent- Eine Betriebsvereinbarung wird zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat geschlossen. Beschäftigungen werden gemeinhin als leiher ihnen gegenüber weisungsbefugt. 122 K Lohndumping Der Begriff Lohndumping bezeichnet die Klebeeffekt Zahlung immer niedrigerer Löhne, die deut- Gleichstellungsgrundsatz Wenn Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter Im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ist nach der Überlassung von einem Entleih- Leiharbeit der Gleichstellungsgrundsatz verankert, betrieb übernommen und dauerhaft be- Leiharbeit ist eine Beschäftigungsform, der Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern schäftigt werden, wird das als Klebeeffekt bei der ein Arbeitgeber (Verleiher) seine Lohnkostenzuschuss die gleichen Arbeitsbedingungen (Equal der Leiharbeit bezeichnet. Diese arbeits- Beschäftigten (Leiharbeiterinnen und Leih- Arbeitgeber können von der Bundes- Treatment) und das gleiche Arbeitsentgelt marktpolitische Wirkung wird zwar von arbeiter) zeitweilig einem Dritten (Entleiher) agentur für Arbeit zeitweilig einen Lohn- (Equal Pay) wie der Stammbelegschaft im Befürwortern der Leiharbeit als Chance zur Erbringung einer Arbeitsleistung über- kostenzuschuss erhalten, wenn sie Ar- Entleihbetrieb zusichert. Der Gleichstel- gesehen, durch die Arbeitnehmerüberlas- lässt. Zwar besteht ein Arbeitsvertrag zwi- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit lungsgrundsatz gilt jedoch nicht, wenn im sung in ein reguläres Arbeitsverhältnis zu schen Verleiher und Leiharbeitsbeschäf- Vermittlungshemmnissen wie mangelnde Tarifvertrag ein abweichender Lohn verein- kommen. Tatsächlich sind die Übernahme- tigten, der eigentliche Arbeitseinsatz wird Qualifikation oder Langzeitarbeitslosigkeit bart wurde. quoten aber sehr niedrig. aber im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag beschäftigen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen der lich unter Tarif liegen und kein existenzsicherndes Einkommen ermöglichen. zwischen Verleiher und Entleiher geregelt. H Kurzarbeit Kurzarbeit bedeutet, dass Betriebe in einer Leiharbeit sind im Arbeitnehmerüberlas- Hartz IV schwierigen Wirtschaftslage vorüberge- sungsgesetz festgelegt. Durch die Deregu- Mindestarbeitsbedingungengesetz Der Begriff Hartz IV steht für das „Vierte hend die Arbeitszeit reduzieren, um Kün- lierung im Zuge der Hartz-Reformen wurden Das Mindestarbeitsbedingungengesetz Gesetz für moderne Dienstleistungen am digungen zu vermeiden. Um den dadurch Beschränkungen der Überlassungshöchst- bietet eine rechtliche Grundlage zur Fest- Arbeitsmarkt“, das 2005 als letztes Ge- entstehenden Verdienstausfall zu verrin- dauer, Synchronisations- und Wiederein- setzung von Mindestlöhnen in Branchen, in setz der Hartz-Reformen in Kraft trat. Die gern, zahlt die Bundesagentur für Arbeit stellungsverbot vollständig aufgehoben. denen bundesweit weniger als die Hälfte der Arbeitslosenhilfe wurde mit der niedrigeren als Lohnersatzleistung Kurzarbeitergeld. Wollten Entleihbetriebe ursprünglich durch Beschäftigten tarifvertraglich gebunden ist. Sozialhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II M den Einsatz von Leiharbeitsbeschäftigten L Flexibilität bei der Personalplanung gewinnen und Auftragsspitzen bewältigen, ent- Der Mindestlohn ist ein gesetzlich oder ta- Langzeitarbeitslosigkeit wickelt sich die Leiharbeit heute zu einem rifvertraglich festgelegtes Mindestarbeits- I Als Langzeitarbeitslose gelten alle Perso- Instrument zur Kostenreduktion. Die De- entgelt. Seit 2012 besteht ein gesetzlicher nen, die ein Jahr oder länger bei der Bun- regulierung der Arbeitnehmerüberlassung Mindestlohn für die Leiharbeitsbranche, IW-Zeitarbeitsindex desagentur für Arbeit arbeitslos gemeldet führt dadurch nicht nur zur Verschlechte- der den Beschäftigten ein existenzsichern- Der IW-Zeitarbeitsindex wird regelmäßig sind. Durch Langzeitarbeitslosigkeit sinken rung der Arbeits- und Entgeltbedingungen des Einkommen gewährleisten soll. Diese vom Institut für Wirtschaftsforschung (IW) die soziale Integration, die finanzielle Sta- von Leiharbeitskräften, sondern gefährdet Lohnuntergrenze ist aber nur dann relevant, in Zusammenarbeit mit dem Bundesarbeit- bilität und mit der Stagnation der berufli- auch die Arbeitsplatzsicherheit der Stamm- wenn kein flächendeckender Tarifvertrag geberverband der Personaldienstleister chen Qualifikation auch die Anschlussfä- belegschaft. besteht, und schützt Leiharbeitsbeschäf- (BAP) erstellt. Durch regelmäßige Umfra- higkeit an den Arbeitsmarkt. (ALG II) zusammengelegt, das umgangssprachlich als Hartz IV bezeichnet wird. Mindestlohn tigte nicht vor ungleicher Entlohnung. gen bei Verleihbetrieben werden aktuelle Für die Beschäftigungsform Leiharbeit Leiharbeiterzahlen und Arbeitsstunden werden ebenfalls die Begriffe Zeitarbeit, ermittelt und die Entwicklung der Branche Personalleasing und Personaldienstleis- prognostiziert. tung gebraucht. 124 Normalarbeitsverhältnis Prekarisierung Der Begriff Normalarbeitsverhältnis be- Der Begriff der Prekarisierung beschreibt zeichnet eine abhängige, sozialversiche- die stetige Zunahme von prekären Beschäf- rungspflichtige, unbefristete Vollzeit- tigungsverhältnissen, die im Gegensatz Stammbelegschaft beschäftigung, bei der das Arbeits- und zum Normalarbeitsverhältnis gekennzeich- Die Stammbelegschaft ist die Gesamtheit Beschäftigungsverhältnis identisch ist. Das net sind durch geringe Arbeitsplatz- und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Normalarbeitsverhältnis gewährleistet die Planungssicherheit, niedrige Entlohnung, mer eines Betriebs, die zumeist in einem Integration in soziale Sicherungssysteme schlechte soziale Absicherung und erhöh- Normalarbeitsverhältnis beim Unterneh- und soll einen stabilen gesellschaftlichen tes Armutsrisiko. men selbst angestellt sind. Forderungen Mitbestimmung Status, berufliche Planungssicherheit und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Versorgung einer Familie ermöglichen. können über den Betriebsrat ihre Inter- nach Equal Treatment und Equal Pay für S Beschäftigte in Leiharbeit orientieren sich an den Arbeitsbedingungen der Stamm- Sozialversicherungspflichtig Neben der betrieblichen Mitbestimmung O Outsourcing Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Streik gibt es in Kapitalgesellschaften auch die Die Auslagerung von ehemals intern er- sind alle Arbeiterinnen und Arbeiter, An- Beschäftigte in Leiharbeit haben das Unternehmensmitbestimmung durch den brachten Unternehmensleistungen an ex- gestellten und Auszubildenden, die in der Recht, für die Verbesserung ihrer Arbeits- Aufsichtsrat. terne Dienstleister wird als Outsourcing gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Entgeltbedingungen die Arbeit nieder- bezeichnet. Unternehmen versuchen durch und Arbeitslosenversicherung pflichtver- zulegen. Bei einem Streik im Entleihbetrieb N Einsparungen bei Personal- und Produk- sichert sind. sind sie nach dem Arbeitnehmerüberlas- Nichteinsatzzeit Geschäftsrisiko zu reduzieren. Werkverträ- Staffellöhne für den Entleiher zu arbeiten. Jedoch kann Wenn ein Verleiher seine Beschäftigten ge werden als Möglichkeit genutzt, ganze Staffellöhne in der Leiharbeit orientieren der Verleiher dann eine Überlassung in ei- zeitweilig nicht an einen Entleihbetrieb Arbeitsschritte outzusourcen. sich am Berufsbild und der Qualifikation nem anderen Betrieb vermitteln. essen artikulieren und auf innerbetriebliche Entscheidungen Einfluss nehmen. sungsgesetz nicht dazu verpflichtet, weiter tionskosten Gewinne zu erhöhen und ihr vermitteln kann, muss er diese Nichtein- belegschaft. Beschäftigte für eine Überlassung. Verleihbetriebe vereinbaren mit Leiharbeiterinnen und Leih- Synchronisationsverbot arbeitern einen höheren Stundenlohn, Anfang 2004 wurde das Synchronisati- von Leiharbeitsbeschäftigten ist nach dem P Personal-Service-Agentur wenn sie entsprechend ihrer Ausbildung onsverbot aus dem Arbeitnehmerüberlas- Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht zu- Personal-Service-Agenturen (PSA) sind eingesetzt werden, und einen niedrigeren sungsgesetz gestrichen. Es verhinderte bis lässig. vermittlungsorientierte Verleihbetriebe, Stundenlohn, wenn sie für eine Hilfstätig- dahin, dass die Laufzeit eines Leiharbeits- die im Rahmen der Hartz-Reformen einge- keit überlassen werden. Leiharbeitskräfte vertrags der Dauer des geplanten Einsatzes Niedriglohnsektor führt wurden. Sie arbeiten im Auftrag der haben jedoch keinen Einfluss auf die Aus- im Entleihbetrieb entsprach. Heutzutage Als Niedriglohnsektor wird der Teil des Ar- Bundesagentur für Arbeit und erhalten Zu- wahl der Arbeitseinsätze. können Verleihbetriebe selbst bei unbefris- beitsmarktes bezeichnet, in dem Löhne am schüsse für die Arbeitnehmerüberlassung teten Arbeitsverträgen den Leiharbeiterin- unteren Ende der Einkommensskala gezahlt ehemals Arbeitsloser sowie Prämien bei nen und Leiharbeitern synchron zum Ende werden. Nach Definition der Organisation deren dauerhafter Vermittlung an einen einer Überlassung kündigen. Das unterneh- für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Arbeitgeber. merische Risiko wird damit vom Verleiher satzzeit trotzdem vergüten. Eine Verrechnung mit Pluszeiten der Arbeitszeitkonten Entwicklung (OECD) liegt die Niedriglohngrenze bei zwei Dritteln des mittleren Einkommens aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten. auf die Leiharbeitskräfte übertragen. 126 U Überlassungshöchstdauer Die gesetzliche Beschränkung der Überlassungshöchstdauer, also der maximalen Zeitspanne einer ununterbrochenen Überlassung an einen einzigen Entleihbetrieb, wurde 2004 vollständig aufgehoben. Seit W Dezember 2011 enthält das Arbeitnehmer Werkvertrag überlassungsgesetz in Orientierung an der In einem Werkvertrag wird die eigenverant- T EU-Richtlinie die Formulierung, dass die wortliche Erfüllung eines Arbeitsauftrags Überlassung „vorübergehend“ erfolge. gegen Zahlung einer ergebnisbezogenen Tarifvertrag Eine genauere Definition dieses Zeitraums Vergütung vereinbart. Anders als Leihar- Ein Tarifvertrag ist ein Vertrag zwischen Ar- enthält das Gesetz allerdings nicht. beitskräfte werden Werkvertragsarbeit- beitgebern und Gewerkschaften, der die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien festlegt. Er regelt Arbeits- und Ent- nehmende nicht in den Bestellerbetrieb V eingegliedert und ihnen stehen deshalb keine tariflichen Entlohnungs- und Arbeits- geltbedingungen wie Arbeitszeit, Eingrup- Verleiher pierung, Zuschläge und Kündigungsfristen Als Verleiher wird ein Arbeitgeber bezeich- in einer Branche. Leiharbeitskräfte arbei- net, der seine Beschäftigten zur Erbringung Wiedereinstellungssperre ten unter anderen Tarifverträgen als die einer Arbeitsleistung zeitweilig einem Ent- Im Jahr 2004 wurde die Wiedereinstel- Stammbeschäftigten. Für sie gelten meist leiher überlässt. Obwohl die eigentliche lungssperre aufgehoben, die verhinderte, Tarifverträge, die zwischen dem BZA oder Arbeit extern geleistet wird, bestehen die dass Verleiher je nach Auftragslage ihren der iGZ und der DGB-Tarifgemeinschaft ab- Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitskräften kündigen und sie wieder geschlossen wurden. Leiharbeitsbeschäftigten. einstellen konnten. Tarifvertragsgesetz Vermittlungsprovision Das Tarifvertragsgesetz bildet die rechtli- Manche Verleiher verlangen von Entleihbe- che Grundlage des Tarifsystems und legt trieben eine Vermittlungsprovision, wenn Zeitarbeit die Voraussetzungen für das Abschließen diese überlassene Leiharbeitsbeschäftigte Der Begriff Zeitarbeit bezeichnet die Be- eines Tarifvertrags fest. Darüber hinaus übernehmen wollen. Obwohl solche Klau- schäftigungsform Leiharbeit und wird häu- ist die Tarifautonomie, also das Recht von seln in den Arbeitnehmerüberlassungsver- figer von Arbeitgebern und Arbeitgeberver- Arbeitgebern und Gewerkschaften, die trägen Leiharbeitskräften den Zugang zu bänden verwendet. Zeitarbeit ist nicht zu Arbeits- und Entgeltbedingungen eigen- einem regulären Beschäftigungsverhältnis verwechseln mit befristeter Beschäftigung. verantwortlich und ohne staatliche Ein- erschweren können, sind sie in Deutsch- mischung auszuhandeln, im Grundgesetz land noch zulässig. Nach der EU-Richtlinie verankert. über Leiharbeit von 2008 sollten sie aber für nichtig erklärt werden. bedingungen zu. Z Produktnummer: 23686-38209
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