Sarah Gold und Karlyn De Jongh machen aus
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Sarah Gold und Karlyn De Jongh machen aus
Arte bella Sarah Gold und Karlyn De Jongh machen aus dem alten Palazzo Bembo einen jungen Ort für Künstler. Dahinter steckt eine faszinierende Geschichte über Kunst und Leidenschaft T e xt: D a n i e l B o e s e , P o rTRÄ T: M atti a B a l s am i n i Draußen der Canal Grande, drinnen die Kunst: Karlyn De Jongh und Sarah Gold auf dem Balkon des Palazzo Bembo 72 73 Während der Biennale 2011 schloss sich der Künstler Xing Xin täglich in einer Gefängniszelle ein Im ehemaligen Zimmer des Bankdirektors baute Toshikatsu Endo seinen Holzblock auf 74 75 W ie sagen wir denn Nein zu Yoko Ono? Das wird schwer“, sagt Sarah Gold. „Wir können aber unmöglich Feuer im Palazzo Bembo legen!“ Yoko Ono will diesen Sommer in Venedig 16 Silikon-Frauen verbrennen und die Überreste zeigen. Das Feuer soll im Innenhof des Palazzo lodern, das hat der Assistent der Künstlerin gerade gemailt. Der Palazzo Bembo ist aber nicht nur der Ort, den Sarah Gold und ihre Kuratoren-Kollegin Karlyn De Jongh zu neuem Leben erweckt haben, sondern auch der Familiensitz von einer der vier Gründerfamilien Venedigs und steht unter strengstem Denkmalschutz. Jeder neue Nagel muss genehmigt werden – aber wegen der unter acht Schichten Wandbemalung verborge nen Fresken ist das unmöglich, genau wie das von Yoko Ono gewünschte Feuer. Also werden Sarah Gold und ihre CoKuratorin Karlyn De Jongh Nein zu Yoko Ono sagen müssen. „Wir werden ihr vorschlagen, das Feuer am Ende des Lido brennen zu lassen“, erklärt der Künstler Rene Rietmeyer ihren Kompromiss. Gold, De Jongh und Rietmeyer sind wohl die heißesten Newcomer in der Kunstmetropole Venedig, seit sie 2011 bei der 54. Biennale mit der Ausstellung „Personal Structures“ auf der Bildfläche erschienen. Das „Kollateral-Event“ war die Entdeckung der Biennale – und das obwohl kaum ein Kunstprofi ihre Namen kannte. Das Trio kommt aus den Niederlanden, Sarah Gold, 35, wuchs aber in Süddeutschland auf. Karlyn De Heute Hotspot der Kunst, aber gebaut wurde der Palazzo Bembo schon Ende des 15. Jahrhunderts – von der Adelsfamilie Bembo, die Kohle importierte 76 Jongh, 32, studierte in Leiden, Rene Rietmeyer, 55, hat in den letzten zwei Jahrzehn ten die halbe Welt bereist. Gemeinsam bauen sie jetzt den Palazzo Bembo zu einer neuen Institution der Kunst in Venedig auf. Das Projekt begann als Schnellschuss – sie hatten keine sechs Wochen Zeit von der Anmietung des Hauses bis zur Eröffnung. Aber es wurde ein voller Erfolg – 70 Meter neben der Rialto-Brücke am Canal Grande zeigten sie Marina Abramović, Joseph Kosuth, Roman Opalka und Lawrence Weiner, insgesamt 28 Künstler, es kamen über 70 000 Besucher. Keine einfache Leistung, versucht doch jedes Emirat und jeder Milliardär mit genug Geld, zur Biennale in einer abgelegenen Gasse eine „amazing art show“ zu zeigen. Bei den meisten sind dann die Palazzi spannender als die Kunst. Ganz anders im Palazzo Bembo: Die monumentalen, schwarz verkohlten Holzblöcke von Toshikatsu Endo beeindruckten genauso wie das zarte Farbband von Judy Millar. Im Frühjahr 2013 planen sie gerade die nächste Ausstellung für die 55. Biennale im Sommer. Am Donnerstag kommt der Wiener Ur-Aktionist Hermann Nitsch, 75, um seinen Raum anzusehen. Gotthard Graubner hat sich ein paar Wochen später angekündigt – noch ist unklar, welche seiner großen Leinwände man durch das enge Treppenhaus des Palazzos bugsieren kann. „Staunen von Raum zu Raum“, sagt Karlyn De Jongh, „das ist unser Konzept.“ 64 Künstler aus allen Kontinenten werden sie zeigen, neben Yoko Ono auch viele unbekannte. Sarah Gold und Karlyn De Jongh sind die wohl heißesten Newcomer der Kunstmetropole Venedig Judy Judy Millar Millar (oben) (oben) spannte spannte ein ein Farbband Farbband durch durch denden Palazzo Palazzo Bembo, Bembo, Tony Tony Matelli Matelli verstörte verstörte die die Besucher Besucher mit mit seiner seiner schwebenden schwebenden Skulptur Skulptur Darryn George aus Neuseeland ist einer, auf den sie sich besonders freuen: Er wird einen Raum in Schwarz auskleiden. In Venedig wohnten sie am Anfang in einem kleinen Apartment auf der Insel der Glasbläser, Murano. Jetzt haben sie Wohnung und Büro in Laufnähe zum Palazzo bezogen. Weil ihre Ausstellung mit Künstlern der A-Liste von keinem Unternehmen gesponsert und keiner Regierung präsentiert wird, sprechen wir über Geld: „Wer ist denn euer Oligarch oder Hedgefonds-Milliardär?“ Mit Unverständnis im Blick hebt Karlyn De Jongh die Augenbrauen. Dass es in der Stadt, in der ein Milliardär wie François Pinault mit seiner Sammlung gleich zwei Palazzi füllt, undenkbar erscheint, ohne enorm viel Geld in der ersten Liga der Kunstwelt zu spielen, kann De Jongh nicht nachvollziehen. Dennoch reagieren alle drei mit niederländischer Offenheit: Für ihr erstes Buch und die vier Symposien, die sie ab 2007 in Tokio, Amsterdam, New York und Venedig veranstaltet haben, waren das rund 230 000 Euro. Sie haben sich über acht Jahre von NoBudget über Low-Budget zu Mini-Budget hochgearbeitet. Sie wagten Dinge, die anderen unmöglich erscheinen – Lawrence Weiner und Joseph Kosuth zum Symposium einzuladen zum Beispiel – mit einem fast amerikanisch anmutenden Esprit: „Just do it.“ Die Ausstellung 2011 kostete 450 000 Euro, dafür gründeten sie in den Niederlanden die Stiftung „Global Art Affairs“. Die Symposien waren keine geheime Gelddruckmaschine, finanziert haben sie das meiste über den Verkauf von Rene Rietmeyers Werken: minimalistischen Installationen aus bunten Boxen. Rietmeyer selbst ist ein Künstler in der Mitte seiner Karriere – hätte er einen Galeristen, würde der wahrscheinlich gerade versuchen, Direktoren einer renommierten Institution zur entscheidenden 77 „Mid-Career-Retrospective“ zu überreden. Aber Rietmeyer hat keinen Galeristen, er verkauft direkt und hängt in guten europäischen Sammlungen – unter anderem der Caldic Collection, einer der großen niederländischen Unternehmenssammlungen. Entscheidend für den Erfolg von „Personal Structures“ war auch nicht das Geld, sondern die Leidenschaft und der Ernst, mit dem Karlyn De Jongh und Sarah Gold mit Künstlern arbeiten. „Unsere Arbeit ist unser Leben“, sagt Gold. „Wir kennen kein Wochenende.“ Sie nehmen sich lange Zeit, um ein Interview vorzubereiten. Sarah Gold hat sich eine ursprüngliche Begeisterung erhalten, mit außergewöhnlichen Künstlern zu arbeiten: „Du sprichst dann schließlich mit Marina Abramović!“ Und man kann das Funkeln in ihren Augen sehen. D as Ganze hat als Projekt von Rene Rietmeyer begonnen, 2003 hatte er ein Buch mit dem Titel „Personal Structures“ veröffentlicht. 2005 lernte er Sarah Gold kennen, als sie für die Caldic Collection arbeitete. Sie verliebten sich, er begeisterte sie bei einer Diskussion in der Badewanne dafür, gemeinsam Symposien über „Zeit, Raum und Existenz“ zu veranstalten. „Die grundlegendsten Themen der Kunst“, so Rietmeyer. 2007 stieß Karlyn De Jongh dazu, direkt von der Universität Leiden. Sie machen keine Ausstellungen, um davon zu leben – sondern leben, um Ausstellungen zu machen. Die Leidenschaft für Kunst war ansteckend, inzwischen leben sie in einer Arbeiten mit Leidenschaft an fundamentalen Themen der Kunst: Rene Rietmeyer, Karlyn De Jongh und Sarah Gold Ménage-à-trois. Sie sind keine dogmatischen Verfechter offener Beziehungen, sondern niederländische Freigeister, erklärt Sarah Gold: „Gemeinsames Essen mit Freunden erlaubt unsere Gesellschaft, gemeinsame Zärtlichkeiten aber nicht. Wieso nicht?“ Karlyn De Jongh fügt hinzu: „Wir wollen ein möglichst interessantes Leben führen. So wie Hermann Nitsch sagt: Bewusst leben.“ Hohes Interesse für die Perspektive der Künstler kennzeichnet ihren Ansatz. Sarah Gold sagt: „Wir lassen die Künstler sprechen.“ 2,5 Kilo wiegt das Buch, das sie 2009 bei DuMont mit den Mitschriften der Symposien und zusätzlichen Interviews veröffentlichten. Die abstraktesten Themen Zeit, Raum und Existenz könnten ja schnell auch die langweiligsten sein und die Trockenheit einer schlechtbesuchten Ringvorlesung ausstrahlen. Nicht aber bei Gold und De Jongh – der Palazzo Bembo strahlte 2011 nicht die Argumentationsstrenge einer Themenausstellung aus, sondern Entdeckungsfreude von hoher Intensität, sinnlich erfahrbar. Genauso sinnlich wie es zu Venedig mit den Schaufenstern voller bunter Lederschuhe, feinziselierten Masken und frischen Tramezzini-Sandwiches passt. Am anziehendsten sind diese Qualitäten für die Künstler. „Heinz Mack will ins nächste große Buch“, erzählt Gold. Bald soll es fertig sein, und die Arbeit der letzten drei Jahre zeigen. Mack wird auch im Sommer ausstellen, erzählt Rietmeyer: „Unser Traum ist: Neben Heinz Mack auch Otto Piene, den Veteranen von Zero, zur Eröffnung auf den Sie machen keine Ausstellungen, um davon zu leben, sondern leben, um Ausstellungen zu machen Kuratorin imelbstversuch: Selbstversuch: Karlyn Karlyn De De Jongh Jongh als als Jüngstes Projekt: Arnulf Rainer übermalt Fotos von Gold und De Jongh Akteurin am Kreuz bei Hermann Nitschs „Orgien Mysterien Theater“ Balkon des Palazzo Bembo zu bringen.“ Die Einladungen sind schon verschickt. Fuhren sie anfänglich noch aus den Niederlande zu den Künstlern – allein 932 Kilometer, um Roman Opalka zu treffen – leben sie seit 2011 in Venedig. „Früher waren wir für die Interviews immer unterwegs, heute kommen die meisten zu uns. Alle zwei Jahre ist die ganze Kunstwelt in der Stadt“, erzählt Gold. Das Unternehmen „Personal Structures“ würde nicht so wachsen, wenn Sarah Gold und Karlyn De Jongh nicht eine gute Hand für die Arbeit mit Künstlern hätten. Man kann die beiden wohl am besten als Kuratoren für Künstler verstehen – als „artists’ curators“. Sie sind keine Starkuratoren wie Hans-Ulrich Obrist oder Carolyn Christov-Bakargiev, die mit Vielfliegerstatus und wasserfallartigem Zugriff auf aktuelle Theorie glänzen. Sie geben den Künstlern Raum und machen ihre kuratorische Arbeit auf den ersten Blick unsichtbar. Man muss schon ihre Kunstbücher lesen, um mehr zu verstehen. Mit Lawrence Weiner haben sie 24 Stunden auf seinem Hausboot in Amsterdam verbracht und ein fast genauso langes Interview geführt – das Buch trägt den Titel „Ménage à quatre“. Den Wiener Aktionisten Hermann Nitsch trafen sie in Neapel und interviewten ihn über mehrere Tage während der Vorbereitung seiner 130. Aktion. Sie sind die ersten, die je über ihre Erfahrung, am „Orgien Mysterien Thea ter“ als Akteur teilzunehmen, Tagebuch geführt haben. Die Bilder davon waren im Palazzo zu sehen: Sarah Gold und Karlyn De Jongh nackt am Kreuz, mit verbundenen Augen und rotem Blut auf der Haut. Furchtlos gehen sie für die Kunst über ihre eigenen Grenzen. Ausstellung: „Personal Structures 2013“, Palazzo Bembo, 1. Juni bis 24. November 2013 78 79
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