Georgien - Globetrotter

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Georgien - Globetrotter
Historische Kulturstätten und gepflegte
Ess- und Trinkkultur im Südkaukasus
Text und Bilder: Andreas Scholz Als Andreas Scholz von einem
ehemaligen Studienkollegen in dessen Heimat Georgien eingeladen
wird, sagt er sofort zu. Das kleine Land am östlichen Ende des
Schwarzen Meeres empfängt ihn mit ­offenen Armen. Neben dem bekannten Owtscharka, dem kaukasischen Hirtenhund, trifft ­Andreas
auch den typischen kaukasischen Partywolf – den «Tamada». Um
einen solchen aufzuspüren, braucht es aber weder ein Fernglas
­
noch festes Schuhwerk, sondern lediglich einen georgischen Freund.
H
allo, mein Freund, alles
klar?», begrüsst mich Levan nachts um viertel vor
drei Uhr vor dem Flughafen in Tiflis, der georgischen Hauptstadt. Levan
Lekvinadze hat mit mir
zusammen in Deutschland studiert und ist anschliessend wieder nach Georgien zurückgekehrt. In seiner Heimatstadt Kutaissi, der
zweitgrössten Stadt des Landes, hat er sich inzwischen mit einer Werbe- und Reiseagentur
selbstständig gemacht.
Unser erstes Nachtquartier schlagen wir bei
einem Freund von Levans in einem Stadtteil
von Tiflis auf. «Aber ausschlafen ist nicht drin»,
42
GLOBETROTTER-MAGAZIN Frühling 2012
grinst Levan, «denn ich habe mit Freunden einen Ausflug zum Felsenkloster Katskhi und
nach Tchiatura organisiert – und du bist als
Gast natürlich mit eingeplant.»
Die Nacht wird in der Tat kurz. Ein Taxi
bringt uns am Morgen zum Busbahnhof. Von
dort geht es mit dem Bus weiter nach Kutaissi.
Auf der Fahrt durch Tiflis entdecke ich bereits
eine andere Welt. Rechts wie links der massig
mit Kopfsteinpflastern ausgelegten Strassen
stehen einfache Häuser oder grosse Plattenbausiedlungen – Relikte aus der Sowjetzeit –, und
am Horizont erstrecken sich
sanfte grüne Berghügel. Zu
meinem Erstaunen sind viele
Strassenreiniger an der Arbeit,
dabei ist doch heute Sonntag.
«Tja, in Georgien ist eben einiges anders als in Deutschland»,
meint Levan. Das Verkehrstreiben wird dichter und der Lärmpegel steigt – Dauerhupen ge-
Vorderasien


In die Jahre gekommen. Mit dem Minibus
reist man preiswert und einfach.
Sowjetandenken. Typische Plattenbauten
zieren die Ränder der grösseren Städte.
hört scheinbar zum georgischen Verkehrsalltag.
«Früher war das noch schlimmer, der Verkehr
in Tiflis ist sogar sicherer geworden», winkt
mein Kumpel ab. Am Busbahnhof stechen mir
die vielen Fahrzeuge aus westeuropäischer Fabrikation ins Auge – Spitzenreiter sind Vehikel
mit einem silbernen Stern auf der Kühlerhaube.
Viele Georgier reisen angeblich extra nach
Westeuropa, um sich einen gebrauchten deutschen Mercedes-Sprinter oder einen französischen Citroën auszusuchen.
Vielfältiges Landschaftsbild. Vor der mehr-
stündigen Busfahrt nach Kutaissi decken wir
uns in einem kleinen Laden noch mit kalten
Getränken und etwas Obst ein. Ich staune
über die sehr günstigen Preise. Natia – Levans
Freundin – ist inzwischen auch eingetroffen,
und es kann losgehen. Sie hat in den USA eine
Ausbildung gemacht und arbeitet jetzt für eine
britische Ölfirma in der georgischen Hauptstadt. Ich mustere kurz die anderen Reisegäste – vom verkatert wirkenden Bauarbeiter,
der eleganten Mutter mit zwei Kleinkindern,
dem Greis mit den wachen Augen, bis hin zur
völlig schwarz gekleideten älteren Dame ist alles vertreten. Einige haben riesige Taschen mit
Einkaufsgut für eine ganze Woche dabei. Ich
frage Levan, warum manche Frauen vollkommen schwarz gekleidet sind. Vielleicht sei der
Mann, der Sohn oder die Tochter gestorben.
Dann würden einige Frauen bis zum eigenen
Tod traditionell nur noch schwarz tragen. Levan gibt mir gleich einen kurzen Überblick
über sein Land: «Georgien ist sehr jung und
war im 20. Jahrhundert eine beliebte Urlaubsregion für viele Russen. Seine fruchtbaren Böden sind ebenfalls ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Obwohl das Land arm an Rohstoffen ist,
wurde zu Sowjetzeiten massiv Mangan abgebaut. Die Regionen Abchasien und Südossetien waren lange umkämpft, inzwischen
hat Russland deren Unabhängigkeit anerkannt,
die politische Lage bleibt dort aber weiter
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angespannt. Für Touristen besteht im Landesinneren jedoch kein Anlass zur Sorge.
Seit der Rosenrevolution im Jahr 2003,
die unter anderem Michail Saakaschwili
zum Staatspräsidenten machte, gibt es in
vielen georgischen Städten eine Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen –
Korruption und Kriminalität sind seitdem stark zurückgegangen.»
Ich versuche auf der Fahrt noch etwas
Schlaf nachzuholen, aber ein Schlagloch
weckt mich wieder auf. Das Landschaftsbild wechselt förmlich im Sekundentakt.
Eben huschten an der Windschutzscheibe
noch sichtbar glückliche Kühe und Pferde
auf bunten Wiesen vorbei. Im nächsten
Moment sehe ich weite Täler und Flusslandschaften, dann geht es hinter der
nächsten Kurve plötzlich steil bergauf, und unmittelbar danach türmt sich ein Mittelgebirge
in grün schimmernden Farbtönen vor uns auf.
Gelegentlich wird die landschaftliche Szenerie
durch Wohnsiedlungen und kleineren Städte
unterbrochen. An den Industrieanlagen in den
Vororten hat eindeutig der Zahn der Zeit genagt. Bei einer kleinen Quelle halten wir an
und füllen unsere leeren Wasserflaschen auf.
Vielen Quellen hier werden heilende Kräfte
nachgesagt.
Klöster, Kathedralen und Ruinen. Gegen elf
Uhr erreichen wir Kutaissi. Sergo, Levans
Bruder, holt uns mit seinem Auto ab und fährt
uns gleich weiter zum Treffpunkt.
Ein fliegender Wechsel zu unserem
privaten kleinen Reisebus steht an.
Levans Geschäftspartner Archil und
dessen Freundin, die Fotografin Lela,
sowie der Zahnarzt Kachaber, «Kacha», und der Masseur Sulchan, «Sucho», sind mit von der Partie.
Vorne im Bus machen Archil und
Kacha Stimmung und reichen uns
Bier in Zwei-Liter-Plastikflaschen sowie Fladenbrot und georgischen Käse.
Nach eineinhalb Stunden erreichen
wir das Felsenkloster Katskhi, das
aberwitzig auf einem allein stehenden
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In luftiger Höhe. Felsenkloster Katskhi.
Innenansichten. Jahrhundertealte, teils gut
erhaltene Fresken zieren viele Gotteshäuser.
 Kulturerbe. In ganz Georgien finden sich
zahlreiche historische Kirchen, Kathedralen
und Klosteranlagen (u.a. das Kloster
Motsameta, UNESCO-Weltkulturerbe).

Traditionell. Ist der Ehemann oder ein
eigenes Kind gestorben, tragen ältere Frauen
teils nur noch Schwarz.


knapp 50 Meter hohen Felsblock am Rande des
Katskhi-Canyons thront. Die Landschaft ist
herrlich grün. Der Frühling ist in der Region
Imeretien deutlich spürbar. Sofort steigt einem
wohltuender Akazienduft in die Nase. Leider
ist ein direkter Aufstieg zum Kloster über die
in die Felswand gehauene Stahlleiter wegen Renovierungsarbeiten derzeit nicht
möglich. Ein Mönch erzählt uns aber einiges über die Entstehungsgeschichte des
Klosters.
Dann gehts weiter nach Tchiatura, bekannt für den Manganabbau und als Stadt
mit den meisten Seilbahnen in Georgien,
insgesamt über zwei Dutzend. Unser Ziel
ist jedoch die Felskathedrale oberhalb der
Stadt. Frauen müssen vor Betreten der Kathedrale einen Rock und ein Kopftuch
überziehen. Wegen der Jahrhunderte alten
orthodoxen Glaubenskultur ist ein Grossteil der georgischen Bevölkerung sehr religiös. Für mich als Westeuropäer ist es
anfangs verwunderlich, dass die Einheimischen ihre Heiligtümer – UNESCOWeltkulturerbe hin oder her – berühren, küssen
und sich dabei mehrmals bekreuzigen.
Nach der Besichtigung der mit viel Goldschmuck und Heiligenbildern ausgestatteten
Felskathedrale wollen wir uns ein Picknick
gönnen. Auf Serpentinen geht es bergauf. Kacha und Sucho suchen in der Nähe der Modinache-Felsruine auf dem Bergrücken nach einer geeigneten Grillstelle. Zu den mitgebrachten Mzwadi – Fleischspiesse – wird auch erstmals der traditionelle Hauswein ausgeschenkt.
Dazu gibt es Tomaten, Gurken und eine pikante Sauce namens «Adschika». Ich habe nach
dem zweiten Glas Wein genug – schliesslich ist
es erst vier Uhr nachmittags.
Familie und Traditionen. Am ersten Tag in
Georgien habe ich schon reichlich viel erlebt.
Nun freue ich mich so schnell wie möglich zurück nach Kutaissi zu kommen, um mich vom
langen Tag zu erholen. Unser Reisebus setzt
sich wieder in Bewegung. Georgische Volksmusik schallt aus den Lautsprechern, einige
singen lautstark mit. Plötzlich macht Kacha
durchs Mikrofon eine Ansage: «Kacha hat
vorderasien
Tamada-Runde. Geselliges Zusammensein
mit Lewan (mit Brille) und seinen Verwandten
bei reichlich Hauswein.

Grillplausch. Mit Freunden schmecken die
«Mzwadi» – Fleischspiesse – besonders gut.

Kurze Ruhepause. Zwischen regem
Kundenbetrieb bleibt Zeit für einen Schwatz.

In Tiflis. Belebtes Übereinanderwohnen.

In Kutaissi. Nebeneinanderwohnen am Fluss
Rioni.

hier in der Nähe, im Dorf Bunikauri, Verwandte und will denen mal spontan Hallo sagen.» – «Stell dich besser auf eine längere Sitzung ein», fügt Levan mit verschmitzter Miene der Übersetzung hinzu.
Der Kleinbus holpert den steilen Weg zum
Dorf hinauf. Kacha steigt aus, um die Lage zu
checken. Kurze Zeit später öffnet sich das Hofgatter, und unser Fahrer parkt ein. Wir sind
sofort alle willkommen. Im Garten der Bauernfamilie spielen ein paar Buben Fussball. Die
Männer des Hauses führen uns derweil zu
einem Tongefäss, das in die Erde eingegraben
ist. Mit einer langen Kelle schöpfen sie den
Hauswein aus dem sogenannten Kwewri. Ich
darf auch gleich probieren. Ich muss über die
Weinsommeliers bei uns schmunzeln, die endlose Fachdiskussionen über die neuesten
Trends zur Weinlagerung führen. In Georgien
reicht ein seit Jahrhunderten bewährtes Lüftungssystem im Boden aus, um guten Weissund Rotwein pilzfrei zu lagern und reifen zu
lassen. Diese Tongefässe im eigenen Garten mit
mehreren tausend Litern Fassungsvermögen
sind in georgischen Familien keine Seltenheit.
Inzwischen ist es dunkel und frisch geworden. Wir wärmen uns am knisternden Holzofen in der Stube und sehen den Frauen beim
Brotbacken zu. Bald ist angerichtet. Wir sind
knapp 20 Personen und sitzen alle um einen
grossen runden Tisch. Kacha ist am heutigen
Abend unser Tamada, der Tischmeister. Im Minutentakt reichen uns die fleissigen Hausdamen neue Speisen. Mschadi, das georgische
Maisbrot, und natürlich das traditionelle
Chatschapuri, ein üppiges Käsebrot, Hühnchenschenkel und Fleischspiesse. Dazu gibt es
frische Kräuter aus dem Garten, Tkemalisauce – eine leckere Mirabellensauce – sowie Tomaten, Gurken, Radieschen und natürlich Wein, Wein und
nochmals Wein. Kacha erhebt mehrmals sein Glas und spricht einen Toast
nach dem anderen. Obwohl ich ausser
«Gagvimarjos» und «Madloba» – Prost
und Danke – nichts verstehe, spüre ich
den Pathos und die ansteckende Lebensfreude dieser georgischen TamadaRunde. Levan übersetzt für mich. Zuerst
wird ein Toast auf die Gastgeberfamilie
ausgesprochen, dann auf die Verstorbenen, die Unabhängigkeit Georgiens, die
georgischen Frauen, den Weltfrieden
und so weiter. Kaum ist das Glas in einem Zug ausgetrunken, wird sofort
kräftig nachgegossen. Schliesslich greift
Kacha zu einem traditionellen Trinkhorngefäss. Obwohl er schon an die
15 Gläser Wein intus hat, wirkt er noch
kein bisschen müde, bloss seine Wangen
fangen an zu glühen. Aber die Zunge hat
es ihm hörbar gelockert, aus voller
Kehle singt er mit viel Leidenschaft
georgische Volkslieder und hat damit
die Lacher auf seiner Seite.
Unsere launige Runde wird gegen
Mitternacht aufgelöst. Die Rückfahrt
zieht sich in der pechschwarzen Nacht
lange hin. Kacha und Sucho tanzen aus-
gelassen im Bus herum. Schon in wenigen
Stunden wird Kacha wieder in seiner Zahnarztpraxis stehen – ein richtiger Tamada verfügt eben über echte Steher-Qualitäten. Gegen
halb drei Uhr erreichen wir Levans Wohnung
in einer Plattenbausiedlung, die etwas ausserhalb von Kutaissi liegt. Hier werde ich die
nächsten Tage verbringen.
Frühling 2012 GLOBETROTTER-MAGAZIN
45

Stadterkundungen. Während Levan in den
nächsten Tagen wieder arbeitet, habe ich Zeit,
den georgischen Alltag auf eigene Faust zu erkunden. So schlendere ich durch enge Wohngassen, schaue mir die alten Kirchen an und
beobachte das muntere Treiben in den kleinen Läden am Strassenrand. An einer Bushaltestelle sehe ich eine ältere Frau, die in einer
Plastiktüte lässig zwei lebende Hühner transportiert. Am meisten staune ich über das
grosse Angebot an Gewürzen, Obst und Ge-
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GLOBETROTTER-MAGAZIN Frühling 2012
müse auf dem Basar. Fast jeder
georgische Haushalt scheint
über ein eigenes Gartengrundstück zu verfügen. Hier halten
die Georgier Hühner, bauen
Wein an, ernten Feigen, Kiwis
und Kartoffeln oder produzieren Honig, wie
es schon seit Generationen gemacht wird.
Nach meinen Rundgängen schaue ich dann
abends jeweils bei Levan im Büro vorbei. Dieses befindet sich in einem kleinen Park, einem
bekannten Treffpunkt für verliebte Pärchen.
Sobald er mit der Arbeit fertig ist, gehen wir
essen – dabei kommt es gelegentlich zu weiteren unvermeidlichen Tamada-Tafelrunden. In
der Stadt scheint fast jeder jeden zu kennen.
Der Zusammenhalt unter den Georgiern ist



Auf Nebenstrassen. Erkundungen in
Kutaissis Wohnquartieren.
Sehenswert. Die moderne Brücke des
Friedens in der Hauptstadt Tiflis.
Basar in Kutaissi. Rund ums tägliche
Geschäftemachen herrscht buntes Treiben.
Frühlingsidyll. Die ersten Blumen spriessen
vor der atemberaubenden Bergkette um den
Mount Kuro.
auch für einen Fremden sofort spürbar. Während man bei uns zu Hause oft den Nachbarn
nicht kennt, trinkt man hier abends mit ihnen
vor dem Haus noch ein Bier oder einen Wein
und unterhält sich dabei angeregt über Politik,
Wirtschaft oder Sport. Bei meinen zaghaften
Kommunikationsversuchen mit den Einheimischen stelle ich mal wieder die völkerverbin-
vorderasien
infos&tipps
dende Wirkung des Fussballs fest. Mit den mir
aus europäischen Topligen wohlbekannten
georgischen Fussballhelden Georgi Kinkladze
und Levan Kobiashvili ist schnell ein gutes Gesprächsthema gefunden. Allerdings ist nicht
Fussballl, sondern Rugby in Georgien die
Sportart Nummer eins. Die Tradition um den
Sport wird auch in den Provinzen noch intensiv gelebt.
An einem Abend gehe ich mit Sergo und
dessen Kumpel ins städtische Hallenbad. Bevor
wir in die Schwimmhalle dürfen, muss sich zu
meinem Erstaunen jeder Badegast einer kurzen
medizinischen Untersuchung unterziehen – so
muss auch ich aus hygienischen Gründen Füsse und Bauch vorzeigen. Alles in Ordnung, wir
dürfen hinein… Ein Besuch in der «Banja» –
einer typisch russischen Sauna – rundet den
Besuch ab.
Ins kaukasische Hochgebirge. Nach knapp
zwei Wochen neigt sich mein Aufenthalt langsam dem Ende zu. Levan schlägt mir zum Abschluss einen zweitägigen Ausflug in die Bergregion Kazbegi nahe der russischen Grenze
vor. Um dorthin zu gelangen, droht uns eine
schier endlos scheinende Busfahrt. Zuerst
müssen wir wieder dreieinhalb Stunden nach
Tiflis fahren, dann steigen wir um in den Bus
nach Kazbegi. Die Fahrt führt über den künstlich angelegten Jinvali-See, immer höher hinauf in den Kaukasus. Wir passieren sanfte Hügellandschaften mit zart blühenden Obstbäumen. Allmählich werden die Landschaft rauer
und die Strassenverhältnisse kontinuierlich
ruppiger. Wir kommen an dem Wintersportort Gudauri vorbei, in dem es ein einziges
grosses Sporthotel, aber dafür umso mehr
kleinere Pensionen gibt. Die Wintersportmöglichkeiten im Kaukasus sollen weiter ausgebaut werden, was aber noch eine Weile dauern könnte, denn manche Bauverträge wurden noch zu Sowjetzeiten abgeschlossen.
Immer wieder verzögern Rinder-, Schafoder Ziegenherden unsere Weiterfahrt. Hier
oben in den Bergen sehen wir auch den kau-
Grösse | 69 700 km² (ca. eineinhalb Mal die Schweiz)
Bewohner/Religion |  4 469 200 Einwohner  84 % gehören der autokephalen Georgischen Orthodoxen Apostelkirche an. 9,9 % sind Muslime, der Rest verteilt sich auf verschiedene andere Religionsgemeinschaften.
Grösste Städte |  Tiflis 1 100 000 Einwohner  Kutaissi 188 000  Batumi 122 000
 Rustawi 117 000  Sugdidi 72 000
Beste Reisezeit | April–Juni und September–November.
Verkehrsmittel | Von Tiflis gibt es eine Bahnverbindung Richtung Kutaissi. Mit Kleinbussen ist
man bei Überlandfahrten aber besser bedient, da diese oft fahren, preiswert sind und zudem bei
Bedarf überall halten. Eine Busfahrt von Tiflis nach Kutaissi kostet 8 bis 10 Lari (1 Lari = cirka
0,45 Euro). Tiflis verfügt auch über ein U-Bahn- und Linienbusnetz. Jedoch sind auch hier wie in
den anderen Städten die Minibusse eine gute und günstige Alternative. Mit dem Taxi zu fahren,
empfiehlt sich aus Kostengründen nur für kürzere Distanzen.
Unterkunft | Hotels mit verschiedenen Standards gibt es in jeder grösseren Stadt. In Batumi
oder in Tiflis muss mit höheren Hotelpreisen gerechnet werden. Im Landesinneren und in den
Dörfern gibt es günstige Pensionen (10–20 Euro). Die Einheimischen helfen gerne weiter und so
ist in der Regel jeweils bald eine
Unterkunft gefunden. Die (legenGE O RGI E N
däre) georgische Gastfreundschaft
RUSSLAND
sorgt zudem dafür, dass niemand
hungrig ins Bett ­gehen muss.
Kultur | Neben einer obligatoMt. Kazbek
(5033 m)
rischen Tamada-Tafelrunde mit
Felsenkloster
Mt. Kuro Kazbegi
Hauswein und leckerem Essen
Katskhi
(4090 m)
gehört auch die Besichtigung
Kutaissi
Tschiatura
Schwarzes Meer
einer der vielen Klosteran­lagen oder
der Gang über einen pulsierenden
Tiflis
Basar zu einer Georgienreise. Die
Altstadt von Tiflis ist sehr sehensTÜRKEI
wert. Hier bietet sich ein SpazierARMENIEN
ASERBAIDSCHAN
gang über die Friedensbrücke und
eine Besichtigung der Monumentalstatue Kartlis Deda (Mutter Georgiens) an. Batumi am Schwarzen Meer eignet sich für einen
Badeurlaub. Der Besuch eines Nationalparks rundet einen Georgien-Trip ab. Im Nationalpark
Swanetien beispielsweise können sich Naturliebhaber beim Bergwandern einen Eindruck von der
artenreichen Flora und Fauna der kaukasischen Bergwelt machen. Es können auch Mountainbikeoder Rafting-Touren in den Gebirgsregionen unternommen werden.
Wichtigste Sehenswürdigkeiten |  Höhlenstadt Vardzia  Kloster David Garedij
 Stadt Mzcheta (UNESCO-Welterbe)  Höhlenstadt Uplistsikhe  der mythische Berg
Kazbek  Tiflis
Bücher |  Georgien – Unterwegs zwischen Kaukasus und Schwarzem Meer (2010);
Trescher Verlag; ISBN 978-3-89794-171-7  Georgien (2011); Reise Know-How-Verlag,
ISBN 978-3-8317-2014-9
Infoquelle |  www.d-k-g.de/georgien.html: Deutsch-Kaukasische Gesellschaft e.V. Georgien,
 www.georgiano.de: private Webseite für Reisende, die Georgien und den Kaukasus als
Reiseziel entdecken wollen.
kasischen Hirtenhund häufiger. In kleinen
Bretterbuden am Strassenrand sitzen Frauen,
die wild gestikulierend Souvenirs wie «Bochochi» – traditionelle kaukasische Kopfbedeckungen aus Schafwolle – und kleine landestypische Snacks wie süsssaure Weintraubenplatten anbieten.
Eine spektakuläre Bergkette reiht sich an
die nächste. Ich kann meinen Blick von der
glitzernden Eiswelt und den weissen Bergriesen kaum abwenden. Ein Mann steigt im
nächsten Bergdorf aus – unter dem Arm trägt
er grosse Metallteile, die er sich in Tiflis besorgt
hat. Da das Passieren der russisch-georgischen
Grenzübergänge immer noch mit viel Bürokratie verbunden ist, nehmen die Bewohner
hier für einen Gross- oder Spezialeinkauf lieber
den langen Weg nach Tiflis auf sich – obwohl
die russische Grenze nur zehn Kilometer entfernt ist und die russische Stadt Wladikawkas
in der Nähe liegt. In strengen Wintern sind
manche kaukasische Bergdörfer von der Aussenwelt abgeschnitten. Viele der Bergbauern
sind daher Selbstversorger. Endlich erreichen
wir die Stadt Kazbegi. Die Dreifaltigkeitskirche
und den 5033 Meter hohen Gipfel des schneebedeckten Mount Kazbek haben wir von hier
fest im Blick. Levan fragt den Busfahrer nach
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einer Übernachtungsmöglichkeit. Spontan kommen wir in der Pension seiner
Cousine in Gergeti unter, etwas oberhalb
von Kazbegi.
Von aussen sieht die Pension wie ein
einfacher Bergbauernhof aus. Die grosse
Überraschung folgt im Innenbereich. Es
gibt ein schönes und modernes Badezimmer mit Dusche und gekachelten Fliesen.
Vor der Scheune grasen ein paar TibetYaks. Von unserer Pension haben wir einen
spektakulären Blick auf die Gebirgskette
rund um den über 4000 Meter hohen
Khuro. Die freundliche Wirtin verrät uns,
dass auf einigen kaukasischen Gipfeln
noch kein Mensch war, weil der Aufstieg
zu gefährlich sei. Gipfel, die in Zeiten von
Reinhold Messner und den Huber-Buben
angeblich noch von keinem Bergsteiger
bezwungen wurden? Kaum zu glauben,
was der Kaukasus für Geheimnisse birgt.
Naturparadies Bergwelt. Zum Abendessen werden uns vegetarische Khinkhali,
Teigtaschen mit Käse- und Kartoffelfüllung, und frische Tarkhuna-Kräuter serviert. Dazu gibt es frisch zubereiteten
Kräutertee und selbst gemachten leckeren Kakao. Der Grossvater setzt sich zu uns
und schenkt uns – wie könnte es auch anders
sein – einen Hauswein ein. Eigentlich wollten
wir uns nach dem langen Sitzen im Bus noch
etwas die Füsse vertreten. Aber wir lassen uns
zu zwei weiteren Gläsern überreden, bevor
wir nach draussen gehen. Die Regenwolken
haben sich verzogen, und die Abendsonne
taucht die Berggipfel in ein intensives Licht.
Wir können von dem herrlichen Alpenglühen
nicht genug bekommen. Von den schönen
Natureindrücken und dem guten Abendessen
gesättigt, legen wir uns schlafen.
48
GLOBETROTTER-MAGAZIN Frühling 2012
Imposantes Bauwerk. Die Dreifaltigkeitskirche «Zminda Sameba» auf 2300 m. ü. M.

Ländlicher Übernachtungsort. Blick auf
das Bergdorf Gergeti und die Kleinstadt
Kazbegi nahe der russischen Grenze.

Georgienbegeistert. Autor Andreas Scholz.

Nach einem kleinen Frühstück schnüren
wir kurz vor sieben Uhr unsere Trekkingschuhe, um zur Wallfahrtskirche Zminda
Sameba auf knapp 2300 Meter zu marschieren.
Kaum sind wir ein paar Schritte unterwegs,
rückt auch der Mount Kazbek wieder in unser
Blickfeld. Am Wegesrand entdecken wir bota-
liche Frühlingsidyll wird kurzzeitig durch
Motorenlärm unterbrochen. «Das sind die
Touristen, die bequem mit dem Jeep zur
Kirche hochfahren», sagt Levan. Nach
zehn Minuten und zirka 15 Jeeps ist der
Spuk auch schon wieder vorbei, und wir
können die kaukasische Natur weiter in
Ruhe geniessen.
Nach zweieinhalb Stunden Fussmarsch erreichen wir Zminda Sameba. Es
muss für die Mönche im 14. Jahrhundert
ein enormer Aufwand gewesen sein, das
ganze Baumaterial hier herauf zu transportieren. Die schöne Lage der Kirche entlang der georgischen Heerstrasse und unweit des magischen Kazbek-Gipfels inspiriert georgische Dichter und Künstler bereits seit Jahrhunderten.
Nach der Besichtigung der Klosteranlage vor atemberaubender Kulisse steigen
wir auf einem anderen Weg wieder ins Tal
hinab und begegnen dabei auch einigen
südeuropäischen Wanderern. Nach eineinhalb Stunden erreichen wir unsere Pension in Gergeti. Während Levan die Innereien eines frisch geschlachteten Ziegenbocks verspeist – eine georgische Delikatesse –, begnüge ich mich mit einfachem
Käse, gesunden Taragon-Kräutern und einem
dampfenden Tee.
Nur noch eine Nacht und dann fliege ich
schon wieder zurück nach Deutschland. Wehmut kommt auf. Ich löse mich ungern vom
magischen Anblick der kaukasischen Berge.
Doch zum Glück gibt es auch zu Hause georgische Spezialitätenrestaurants, die das Fernweh gegebenenfalls etwas lindern könnten.
Und wer weiss, vielleicht treffe ich dort auch
einen kaukasischen Partywolf, der fern der
georgischen Heimat sein Unwesen treibt.
andreas.scholz@hohenlohetour.de
© Globetrotter Club, Bern
nische Schönheiten wie Mehlprimel,
Frühlingsenzian, Gelbes Windröschen und Kaukasische Schachbrettblume. Während unseres Aufstiegs
sehen wir ausserdem den schön gefärbten Trauermantel-Schmetterling
und viele Wildbienen, die eifrig die
Blüten der Weidenkätzchen ansteuern. Zwei Adler und ein paar Gänsegeier nutzen die günstige Thermik aus
und kreisen ohne Flügelschlag über
die steilen Berghänge. Das landschaft-
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