Ausgabe 138 - Buchkultur
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Ausgabe 138 - Buchkultur
01_COVER_138_2 Kopie 07.09.2011 16:02 Uhr Seite 1 BUCHKULTUR P.b.b. Verlagspostamt 1150 Wien Nr. 02Z033122M Erscheinungsort Wien EURO 4,90/SFR 8,90 Das internationale Buchmagazin Heft 138 | Oktober/November 2011 Im Blitzlicht COCO CHANEL Auf den Kopf gestellt MAJA HADERLAP Gegen den Mainstream URS WIDMER ARNALDUR INDRIDASON & CO Umbruch in Island Autoren mit kühlem Blick IN B N on v T tag ist H s le I C ode v. K D . T rich 0 20 ein H E E E E R L Buch ISBN 978-3-431-03840-8 | € 24,99 [D] /€ 25,50 [A] / sFr 35,50 (UVP) Hörbuch ISBN 978-3-7857-4567-0 | € 29,99 [D] [A] / sFr 42,50 (UVP) London 1529: Der vierzehnjährige Nick of Waringham lebt als Internatsschüler im Haus des berühmten Humanisten Sir Thomas More. Als Nicks Vater in Verdacht gerät, ein Lutheraner und Häretiker zu sein, muss Nick nach Waringham zurückkehren. Kurz darauf wird der Earl of Waringham wegen des Verdachts auf Ketzerei verhaftet, und Nick findet heraus, dass sein Vater Opfer einer politischen Intrige geworden ist … www.luebbe.de BK_Gable_210x295.indd 1 01.09.11 14:19 03_05_EDIT_INHALT 07.09.2011 9:03 Uhr Seite 3 www.aufbau-verlag.de Editorial Auf der Suche nach der richtigen Literatur Oft wird in manchen Kreisen Literatur, die sich an eine breite Schicht wendet, in Bausch und Bogen als trivial abgetan. Und auch in der Germanistik wird der Begriff Trivialliteratur schon seit Jahrzehnten schräg angesehen, dennoch findet er nach wie vor Verwendung. Wer sich dort mit dieser Form von Literatur beschäftigt, entschuldigt sich fast. Über diese Lektüre wird dann geschwiegen. Aber hatte nicht dieser oder jener Roman doch einen gewissen Einfluss, und man sollte ihn deshalb nicht ausklammern? CHEFREDAKTEUR Das zeigt sich auch jetzt wieder, seit der erste Band aus der Reihe „Fantômas“ von Pierre Souvestre und Marcel Allain in der Edition Epoca neu aufgelegt ist. Nach dem Ersten Weltkrieg haben diese Romane den Franzosen jedenfalls ungemein gefallen. Tobias Hierl Ein Fest fürs Lesen „Fantômas – das Sinnbild einer an die Romantik gemahnenden Märchenwelt, die nach dem Ersten Weltkrieg im Hang zum Okkultismus ihren Ausdruck fand“, so schreibt Jaques Schuster in der „Welt“. € 20.6 0 Ich meine: Fantômas wird in eine Reihe mit Caligari und Dr. Mabuse gestellt. Man könnte noch Arsène Lupin, den König der Diebe, dazu nehmen, obwohl der einem eigenen Ehrenkodex folgte. Diese Figuren waren Ausdruck ihrer Zeit, höchst populär, und verströmen eigentlich auch heute noch ihren Reiz. Nur lieNur durch Offenheit und gen sie eben in einer Schublade mit x-beliebigen Unvoreingenommenheit anderen Büchern. Diese Haltung zeigt auch das Beispiel Charles Dickens: Hierzulande gilt er als Erzähler für Jugendliche und jene, die große voluminöse Romane lieben. Eher einfach gehalten und spannend in der Handlung, mit ein wenig Sozialkritik gewürzt. Im angloamerikanischen Sprachraum steht er jedoch in einer Reihe mit James Joyce und Franz Kafka! Ein Unterschied, der hoffentlich spätestens dann auch bei uns diskutiert wird, wenn im Februar 2012 sein 200. Geburtstag gefeiert wird und viele Werke von ihm neu aufgelegt sowie neue Materialien zu seinem Leben erscheinen werden. Meiner Meinung nach kommt man nur durch Offenheit und Unvoreingenommenheit zu neuen Erkenntnissen und Einschätzungen. Deshalb finden Sie im Magazin BUCHKULTUR regelmäßig Berichte aus dem großen Spektrum der Literatur. Ro m a n . 4 56 S. ISB N 978 -3 -35 1-033 58 -3. kommt man zu neuen Der Unterschied ist, sie wirkten stilprägend, Erkenntnissen. waren innovativ und beeinflussten sicher die Literatur ihrer Zeit. Man muss diese Bücher also nicht mit spitzen Fingern angreifen, sondern kann lustvoll darin schwelgen. Natürlich lässt sich über Gesellschaftsmodelle reflektieren, lassen sich politische Positionen diskutieren, die darin vertreten werden. Das soll man auch, doch dafür müsste man diese Bücher kennen. Vorurteile müssen bestätigt werden – Ausgrenzung ist fehl am Platz. Sonst kommt es nämlich dazu, selbst arrivierte Autoren in eine falsche Ecke zu stellen. »Paula McLain erzählt Ernest Hemingways Pariser Jahre aus der Sicht seiner ersten Frau Hadley. Man ist immer wieder berührt.« f.a.z. »Ein unterhaltsamer Blick auf einen männlichen Mythos.« die presse, wien Ihr Tobias Hierl BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 bewegt 03_05_EDIT_INHALT 06.09.2011 16:07 Uhr Seite 4 BUCHKULTUR NUMMER 138 | 23. JG. I N H A LT SPEKTRUM 6 B U C H W E LT 14 Der Tod ist allgegenwärtig ....................................................18 Maja Haderlap: Wirbel um die Bachmann-Preisträgerin Gekühlte Gefühle ....................................................................20 Island zu Gast auf der Frankfurter Buchmesse. Teil 2 Mythos und Mysterium ..........................................................23 Geschichten und Bücher zum 40. Todestag von Coco Chanel ISLAND Teil 2 zum Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse: Unter anderem mit dem Autor Thórarinn Eldjárn (Foto) SEITE 20 28 Belletristik ....................................................................................28 Lyrik ..............................................................................................35 Pro & Contra................................................................................36 Wiedergelesen ............................................................................39 Krimi-Kolumne: Peter Hiess ....................................................43 Taschenbuch ..............................................................................44 Sachliteratur ..............................................................................46 DVDs..............................................................................................55 Hörbuch........................................................................................56 JUNIOR 58 Wieder-Entdeckung! ..................................................................58 Heiri Strub und sein Buch „Das Walross und die Veilchen“ Urmel gratuliert! ......................................................................58 Max Kruse feiert seinen 90. Geburtstag Vom Leben lernen......................................................................59 Literatur rund ums „Coming out“ Zur Sache ....................................................................................59 Über Chemie und das Universum Nora liest .....................................................................................60 Bücher über den Holocaust Vom Ende der Welt....................................................................60 Weltuntergang im Jugendbuch 3x3 ..................................................................................................61 Bilderbuch – Kinderbuch – Jugendbuch CAFÉ 62 COVERFOTO: KRISTINN INGVARSSON Buchkultur-Literaturrätsel ......................................................62 Impressum ..................................................................................64 Zeitschriftenschau ....................................................................64 SCHLUSSPUNKT 66 Das Wort kann nicht töten Stefan Çapaliku über die Bedeutung des Schriftstellers im heutigen Albanien 4 Mit „Stille Post“ gegen das Mainstream-Gequassel: URS WIDMER SEITE 14 FOTO: 2011 JIM RAKETE / COURTESY SCHIRMER/MOSEL M A R K T P L AT Z FOTO: REGINE MOSIMANN/DIOGENES VERLAG Krisen, Katastrophen, Kontrollverlust ..............................26 Ein Dichterleben: Heinrich von Kleist ist vor 200 Jahren gestorben FOTO: MAX AMANN Pfade des Erzählens ..................................................................16 Transflair: Alex Capus und Alois Hotschnig über Geschichten am Wegesrand und Schaffensprozesse FOTO: KRISTINN INGVARSSON Ein Regenwurm hebt ab ........................................................14 Urs Widmers Störarbeit gegen das Mainstream-Gequassel Ihr schriftsllerisches Leben ist auf den Kopf gestellt: MAJA HADERLAP SEITE 18 BILDBÄNDE: Ein Fotoessay über Südafrika von Santu Mofokeng und ein Fotoband von Jim Rakete, in dem die wichtigsten Personen des deutschsprachigen Films auftauchen (im Bild: Moritz Bleibtreu). SEITE 46 Neu auf www.buchkultur.net Leseproben und Trailer von Büchern aus diesem Heft finden Sie ab sofort auf unserer Website! Die aktuelle Auswahl umfasst: • Bernd Brunner, Mond. Die Geschichte einer Faszination, Kunstmann • Alafair Burke, Online wartet der Tod, dtv • Michael Degen, Familienbande, Rowohlt • Doris Dörrie, Alles inklusive, Diogenes • Rebecca Gablé, Der dunkle Thron, Lübbe • Michaela Karl, Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber, Residenz • Paula McLain, Madame Hemingway, Aufbau • Tilman Röhrig, Der Sonnenfürst, Piper • Louis Sachar, König, Dame, Joker, Bloomsbury • Matthias Steinbach, Wie der gordische Knoten gelöst wurde, Reclam • Antonine Varenne, Fakire, Ullstein • Mark Watson, Elf Leben, Eichborn • Gerhard Wisnewski, Operation 9/11. Der Wahrheit auf der Spur, Droemer Knaur BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 03_05_EDIT_INHALT 06.09.2011 16:08 Uhr Seite 5 OKTOBER/NOVEMBER 2011 ALLE BÜCHER IM ÜBERBLICK Belletristik 28 Benrath, Ruth J.: Wimpern aus Gras Berges, Markus: Ein langer Brief an September Nowak Degen, Michael: Familienbande Dörrie, Doris: Alles inklusive Franzobel: Bordello Ballade Gablé, Rebecca: Der dunkle Thron Gracián, Baltasar: Hand-Orakel und Kunst der Weltklugheit Gruber, Sabine: Stillbach oder Die Sehnsucht Grün, Lili: Zum Theater! Hermann, Wolfgang: Die Augenblicke des Herrn Faustini Jacobson, Howard: Die Finkler-Frage Leroy, Gilles: Zola Jackson Lughofer, Johann G: Reise nach Ljubljana Lustiger, Gila: Woran denkst du jetzt McCarten, Anthony: Liebe am Ende der Welt McLain, Paula: Madame Hemingway Piñeiro, Claudia: Der Riss Röhrig, Tilman: Der Sonnenfürst Rubin, Szilárd: Eine beinahe alltägliche Geschichte Rushdie, Salman: Luka und das Lebensfeuer Saramago, José: Kain Schischkin, Michail: Venushaar Schmidt, Kathrin: Finito. Schwamm drüber Skomsvold, Kjersti A: Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich Spiegel, Nadja: manchmal lüge ich und manchmal nicht Steiner, Peter: Der Sturz aufs Dach der Welt Varenne, Antonine: Fakire Watson, Mark: Elf Leben Sachliteratur 32 38 37 36 40 42 39 32 35 40 35 40 33 37 29 29 38 42 38 28 31 31 33 36 28 40 42 40 46 Avey, Denis, Rob Broomby: Der Mann, der ins KZ einbrach Brunner, Bernd: Mond. Die Geschichte einer Faszination Geisler, A., Ch. Schultheis: Heile Welten. Rechter Alltag in Deutschland Karl, Michaela: Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber Mamdani, Mahmood: Blinde Retter Matussek, Matthias: Das katholische Abenteuer Sarafan, Randy: 62 Dinge, die du mit einem kaputten Computer und anderem Elektroschrott machen kannst Steinbauer, Maria: Der Schilcher und sein Land Weiß, Volker: Deutschlands Neue Rechte Thema: Bildbände Neue Geschichten über Kinder, italienische Schwiegerväter und andere Verrückte 54 53 48 54 54 52 53 54 48 46 Diserens, Corinne: Chasing Shadows – Santu Mofokeng Rakete, Jim: Stand der Dinge Auch als E-Book Thema: Marshall McLuhan 48 Baltes, Martin, Rainer Höltschl: absolute Marshall McLuhan Coupland, Douglas: Marshall McLuhan McLuhan, Marshall: Das Medium ist die Massage Thema: Nine Eleven 50 232 Seiten. Laminierter Pappband. € 17,50 (A) / sFr. 24,50 (UVP) © Enno Kapitza Bröckers, Mathias, Ch. Walther: 11. 9. – zehn Jahre danach von Bülow, Andreas: Die CIA und der 11. September Ventura, Jesse, Dick Russel: Die amerikanische Verschwörung Wisnewski, Gerhard: Operation 9/11 06_13_spektrum_02_09 06.09.2011 16:11 Uhr Seite 6 SPEKTRUM DU SOLLST NICHT… Eine Empfehlung VON SYLVIA TREUDL Selber schuld, wenn man TV schaut. Anstatt sich eine Niveau-DVD mit Frühwerken des film noir oder eine gelungene Literaturverfilmung einzulegen. Noch selberer schulderer, wenn man sich dem österreichischen ÖffentlichRechtlichen aussetzt. Dem mit dem Bildungsauftrag. Stimmt schon. Aber ab und zu passiert’s halt. Und auch die plain pleasures dürfen zu ihrem Recht kommen. Und dann passiert’s halt auch, dass man eventuell bei einer österreichischen Krimiserie hängenbleibt. Weil man dem Genre nicht abhold ist und schließlich, das muss zu Trost und Rechtfertigung gesagt werden, auch aus einer der größten Müllserien heimischer Provenienz, in der ein Köter (ja, schon gut, eh ein schöner Hund, aber halt ein Hund) die Fälle gelöst hat, schließlich und immerhin ja doch einer wie Karl Markovics sich herausgeschält hat. Allerdings gibt’s auch jene Serien, aus denen sich nie und nimmer was ergeben wird, außer schlechten Plots und relativ talentfreien DarstellerInnen, die bei diversen SOKO-Einsätzen zu Wasser und zu Berge auch noch ein gar schauerliches Idiom daherschwätzen, das ZuschauerInnen offenbar auf die jeweilige Region, in der die seichte Handlung sich hinquält, verweisen soll. Wen wundert’s da noch, dass Synchronisationsstudios weltweit meinen, der „typische Wiener“ spräche eine Mischung aus Bayerisch und einer Phantasievariante von Schönbrunnerdeutsch. Oder stamme eh überhaupt aus Frankfurt. All das wäre ja schon ärgerlich genug, aber in einer vor geraumer Zeit ausgestrahlten SOKO-Episode hat man sich dann doch zu einer einigermaßen impertinenten Story verstiegen, die in ihrer Darstellung von intellektuellem Umgang mit der Welt ein Spürchen zu dummdreist daherkam. Ganz mit dem Finger auf den Wunden der Zeit, ging’s um die copypaste-Gesellschaft und um abgeschriebene Doktorarbeiten und das Klauen im wissenschaftlichen Literaturbetrieb. An sich ja ein Thema, dem eine gewisse Relevanz nicht abgesprochen werden soll. Was allerdings dem Zuschauer/der Seherin, der/die sich zurecht zur Primetime ein wenig vor der Glotze entspannen möchte, serviert wurde, das waren folgende Metatexte: a) der Superintellektuelle (= der Plagiatsjäger) ist ein karrieregeiler Unsympathler, b) Abschreiben ist vielleicht nicht ganz ok, aber wen interessiert’s, außer, wenn man Promis und solchen, die’s gerne wären, hämisch eins am Zeug flicken kann, sobald aufkommt, dass die auch nur mit Wasser kochen, c) der Superintellektuelle (= der Plagiatsjäger) ist nicht nur ein widerlicher Arsch, der eh in einer Welt existiert, die nur Spinner interessiert, die dort ebenfalls hauptgemeldet sind, sondern hat selbst abgeschrieben – ha! – und ist nur deshalb so heiß drauf, andere auffliegen zu lassen, weil er Dreck am Stecken hat, d) die ganzen Intellektuellen mit ihren Scheinproblemen und mit ihren Bauchschmerzen vom geistigen Eigentum/Urheberrecht kann man getrost vergessen. So viel zur Abhandlung eines Themas zur Hauptsendezeit. Auch so wird Meinung gebildet – oder besser: gemacht. Was übrig bleibt, ist ein schales Gefühl und das Raunen einer gelangweilten Gratiszeitungs-Konsumgesellschaft, die da vielleicht zwinkert, dass man ja auch in der Schule schon ein bissl abgeschrieben hat. Dass in Zeiten des www alles anders, salonfähig ist. Und dass man dem Vernehmen nach (war da nicht was, irgendwann) sogar bei renommierten Verlagen punkten kann, wenn man richtig klaut. Frechheit siegt, Ellenbogen raus, wer sich aufregt, hat wahrscheinlich selber eine copy-paste-Leiche im Keller. Oder in der Dissertation, im Debütroman. Was soll’s. Die nächste SOKO ermittelt eh wieder in Milieus, die Menschen interessieren. 6 EINDRUCKSVOLL Arno Schmidt als Fotograf Seit den ersten Ausstellungen im Jahr 2003 findet das fotografische Werk (mehr als 3500 Farbdias und Schwarzweiß-Negative) des Schriftstellers Arno Schmidt (1914–1979) immer größeres Interesse. Nun erscheint im Hatje Cantz Verlag der Bildband „Arno Schmidt als Fotograf. Entwicklung eines Bildbewusstseins“ mit Texten von Janos Frecot, Gabriele Kostas, Rainer Stamm, Thomas Weski und einem Vorwort von Jan Philipp Reemtsma. Herausgeber ist Janos Frecot. Die Aufnahmen, die vorwiegend die norddeutsche Heidelandschaft dokumentieren, verwandeln diese in Farb- und Strukturflächen. Bis Anfang Oktober ist im Lübecker Günter-Grass-Haus und später in der Ècole Normale Supérieure de Photographie in Arles eine Ausstellung des Fotografen Arno Schmidt zu sehen. Weitere Stationen dieser Ausstellung werden Koeppenhaus, Greifswald, Venedig, Rheinsberg, Hamburg, Erfurt u. a. sein. • GROSSARTIG Punktgenau „Hätten Sie’s gewusst?“ Die Kommunikationsdesignerin Anja Haas hat 45 Persönlichkeiten aus Kunst, Politik und Märchen gepixelt und in dem kleinen Booklet „The Pixel Book“ (cadeau/ Hoffmann und Campe Verlag) zusammengestellt. Ein bisschen erinnern die Figuren an Lego-Bauten, bei denen man sich fragte: Ist das nun ein Schiff oder ein Flugzeug? Bei Anja Haas geht es dar- um, z. B. Charly Chaplin – rein äußerlich! – von Adolf Hitler zu unterscheiden, Marilyn von Marlene oder den vermeintlichen Fuchur aus der Unendlichen Geschichte als weißen Tiger von Siegfried und Roy zu enttarnen. Da sich die Auflösungen sehr geschickt in der Falz verstecken, ist das Buch für Rate-Runden super geeignet. Beflügelnde Heiterkeit ist garantiert! • VERZICHTBAR Unverlangte Manuskripte Verrückte Briefe an Verlage von verhinderten „Autoren, die die Welt nie lesen musste“ haben Rolf Cyriax und Peter Wichmann für den Band „Das habe ich im Koma gedichtet“ (Bassermann Verlag) zusammengetragen und kommentiert. Berücksichtigt wurden aus rechtlichen Gründen nur Einsendungen aus den 1980er-Jahren. Ob das ein oder andere Projekt in der Zwischenzeit doch noch verwirklicht wurde, darf allerdings bezweifelt werden. Die ab- und zurückgewiesenen AutorInnen tragen es vermutlich dennoch mit Fassung, schließlich mangelte es ihnen offenkundig nicht an gesunder Selbst(über-)schätzung. • BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: AUS „ARNO SCHMIDT ALS FOTOGRAF“/HATJE CANTZ; ILL: AUS „THE PIXEL BOOK“/CADEAU DURCHBLICK 06_13_spektrum_02_09 06.09.2011 16:12 Uhr Seite 7 SPEKTRUM G EWAGT VERGLEICHEND 1 Proust als Comic, die Dritte ILL: AUS „AUF DER SUCHE NACH DER VERLORENEN ZEIT. BD. 3“/KNESEBECK Seit 1988 arbeitet der Bretone Stéphane Heuet daran, die sieben in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ verbundenen Romane von Marcel Proust in Graphic Novels zu verwandeln. Sechs Bände sind bislang in Frankreich erschienen, zehn weitere sind geplant. Stéphane Heuet dürfte also voraussichtlich die nächsten 30 Jahre Proust zeichnen. In deutscher Übersetzung der Unter- und Dialogtexte von Kai Wilksen ist nun der dritte Band bei Knesebeck erschienen. Die berühmteste Szene, als Marcel sich Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: Dieser Comic spricht Erstleser ebenso an wie Experten. durch den Geschmack von Biskuit in Lindenblütentee in der „verlorenen Zeit“ wiederfindet, schien dem Mitbegründer der deutschen MarcelProust-Gesellschaft Jürgen Ritte in „Kulturzeit“ unübersetzbar: „... dann ist man auch sehr schnell in der Ästhetik eines kitschigen Werbefilms, wo jemand die Tasse hebt und sagt: Ah.“ Mittlerweile werden die an den Stil der Ligne claire der 1930er-Jahre angelehnten Comics allerdings als beeindruckende „Verdichtung“ gepriesen. • KRANK Wahl des kuriosesten Buchtitels Bis zum 28. September ist noch Gelegenheit, auf www.kuriosesterbuchtitel.de unter 20 – freiwillig oder unfreiwillig – irrwitzigen Buchtiteln den durchgeknalltesten auszuwählen. Die Redaktionsteams von „Schrotts Sammelsurium“ und BuchMarkt haben aus den Einsendungen die Vorauswahl getroffen. Die Leser entscheiden nun über die Short-List von sechs Titeln … und dann kommt die Jury, bestehend aus ZDF-Aspekte-Moderatorin Luzia Braun, Kabarettist und Autor Eckart von Hirschhausen und Sprachhistoriker Bodo Mrozek an die Reihe. Die Preisverleihung findet auf der Frankfurter Buchmesse statt. Persönlicher Favorit der Verfasserin dieser Zeilen: „Geritten werden. So erlebt es das Pferd“ von Ulrike Thiel. • BIX - der Bibliotheksindex Auch bei den Bibliotheken gibt es große Unterschiede. Angebote, Serviceleistungen, Effizienz und Entwicklungspotenzial sind nur einige der 17 Indikatoren für die Stärken und Schwächen bibliothekarischer Dienstleistungen, die seit 1999 im BIX erhoben werden. Dieses Jahr haben 236 der rund 2000 im Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) vertretenen Bibliotheken aller Sparten und Größenklassen teilgenommen. Institute, von der Gemeindebücherei bis zur Universitätsbibliothek, stellten sich dem Ranking, um ihr Verbesserungspotential auszuloten. Alle Teilnehmer und Ergebnisse des BIX 2011 finden Sie unter • www.bix-bibliotheksindex.de VERGLEICHEND 2 EU-Studie zur Lesekompetenz Einer von fünf europäischen Jugendlichen im Alter von 15 Jahren kann nicht richtig lesen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie zur Lesekompetenz der EU-BürgerInnen, die EU-Kommissarin Androulla Vassiliou vorgelegt hat. Die von Eurydice durchgeführte Analyse zeigt, auch auf Basis von PISA und PIRLS, die Korrelation der Lesekompetenz mit den Faktoren Familie, Lehrer und Schulsystem. Bildung, Herkunft und Einkommen der Eltern prägen die Fähigkeiten der Kinder. Im länderspezifischen Vergleich liegt Österreich mit 28 Prozent leseschwachen SchülerInnen deutlich hinter Finnland, das diese Wertung mit 8 Prozent anführt. Schlusslicht ist mit knapp 41 Prozent Rumänien. In Österreich wird seit dem Schuljahr 2005 versucht, der Leseschwäche mittels kriteriengeleiteter Individualisierung zu begegnen. SchulanfängerInnen durchlaufen dieses Programm innerhalb von acht Wochen und werden, wenn nötig, so lange individuell gefördert, bis sie es erfolgreich abschließen können. Bisher haben nur Polen, Finnland und Dänemark das EU-weite Ziel, den Anteil an leseschwachen SchülerInnen auf 15 Prozent zu senken, erreicht. • Info: http://eacea.ec.europa.eu/education/eurydice/thematic_studies_en.php#2011 06_13_spektrum_02_09 06.09.2011 16:13 Uhr Seite 8 SPEKTRUM PERSONALIA Rupert Bucher Töchterlich die Zeit Buch 1: Zahllose Gestalten des Ich Die gescheiterte Familie – den Wandel begreifen Hardcover | 17 x 24,5 cm | 304 Seiten Euro 24,50 | ISBN 978-3-99018-071-6 Das Zusammenleben der Geschlechter löst sich aus seinen alten Formen und Konventionen. Dieser Umbruch trifft alle. Ihn zu verstehen, erfordert neue Begriffe und Modelle; er wird erfahren in der Neuordnung der Gesellschaft. Mit der Vorstellung eines rationalen Ich als Zentrum der Persönlichkeit befanden wir uns bisher in einem quasi vorkopernikanischen Weltbild, in dem sich die Sonne um die Erde zu drehen schien. Diese Vorstellung gilt es ebenso zu verabschieden wie das Konzept der persönlichen Autonomie und der Dreiteilung von Körper, Geist und Seele. B U C H E R Verlag Hohenems – Wien T 0 55 76-71 18-0 info@bucherverlag.com www.bucherverlag.com Donald Windhams Debütroman „Dog Star“ zum ersten Mal in deutscher Übersetzung und erregte die Aufmerksamkeit, die schon Thomas Mann, André Gide und Albert Camus dem Original zukommen ließen. Nun gab die Yale Universität bekannt, dass sie von dem am 31. Mai 2010 in Manhattan, NYC Verstorbenen beauftragt wurde, die nach ihm und seinem Lebensgefährten benannten „Donald Windham-Sandy M. Campbell Literature Prizes“ in sieben bis neun Kategorien zu vergeben. Jede Kategorie ist mit 150.000 US$ dotiert und gehört damit zu den höchst dotierten Preisen der englischsprachigen Literatur. Keinen Schreib-, sondern einen Verkaufsratgeber hat der Amerikaner John Locke verfasst: „How I Sold 1 Million eBooks in 5 Months!“. Die darin enthaltenen Beschreibungen ähneln frappant den Erfolgsstorys von Schlankheits- oder Raucherstopp-Instituten. „Knapp ein Jahr lang hab ich überhaupt nichts verkauft ...“ Dann habe er sein eigenes Vermarktungskonzept ausgearbeitet und seither wird alle 7 Sekunden irgendwo auf der Welt eines von John Lockes Büchern (7 Krimis, 2 Western) um 99 Cent heruntergeladen. Das Geheimnis? Locke ist Selbstverleger und hat seine Bücher über Amazons KDPProgramm hochgeladen. Jetzt gehört er neben Leuten wie Stieg Larsson und James Patterson mit einer Handvoll Supersellern zu Amazons „Kindle Million Club“. Der algerische Schriftsteller Boualem Sansal erhält 2011 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Er wurde 1949 in Téniet el Had geboren und lebte seit 1956 in Algier. Als Generaldirektor der Industrie im Ministerium für Industrie und Umstrukturierung beaufsichtigte er ab 1996 die industriel- 8 len Aktivitäten in Algerien. Zugleich begann er an seinem ersten Roman „Le serment des barbares“ zu schreiben. Nachdem dieser 1999 bei Gallimard veröffentlicht wurde, wurde Boualem Sansal seiner Aktivitäten im Minsterium entbunden. In seinem letzten Buch, „Das Dorf des Deutschen“, erzählt Sansal von einem Algerier aus Paris, der sich auf die Spuren seines deutschen Vaters macht. In diesem Buch zieht Boualem Sansal Parallelen zwischen Faschismus und Islamismus, denn der gesuchte Vater ist SSOffizier und Unterstützer der arabischen Widerstandsbewegung. Eine der wichtigsten Stimmen der europäischen Literatur, Ágota Kristóf (* 30. Oktober 1935 in Csikvánd) ist am 27. Juli 2011 in Neuenburg in der Schweiz gestorben. In ihrem Hauptwerk „Le grand cahier“ (Deutsch: „Das große Heft“, Berlin 1987) schreiben Zwillingsbrüder einzelne Episoden ihres Lebens in ein großes Heft. Sie wurden während des Kriegs zu ihrer Großmutter, einer einsamen alten Bäuerin, gebracht. Ágota Kristóf, die 1956, nach der Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstands in die Schweiz floh, hat damit einen der bedeutendsten Anti-Kriegs-Romane des vergangenen Jahrhunderts geschrieben. Ihr Werk wurde in dreißig Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Vor dreieinhalb Jahren wurde beim britischen Science-FictionAutor Terry Pratchett Alzheimer diagnostiziert. Der damit zu erwartende schleichende Verfall des Gehirns wird von den meisten Betroffenen als extrem beängstigend empfunden. Terry Pratchett selbst musste sich für seinen 38. Roman bereits von einer Schreib- kraft helfen lassen und muss davon ausgehen, zunehmend nicht mehr die komplexen Welten erfinden zu können, für die er berühmt ist. Nun kämpft er mit einer Kampagne gegen das Verbot der Sterbehilfe, die in Großbritannien mit bis zu 14 Jahre Gefängnis bestraft werden kann, und sorgt mit seinem Dokumentarfilm „Choosing to die“ für Aufregung. Er begleitete mit einem BBCTeam einen 71-Jährigen, der an einer unheilbaren Motorneuronkrankheit litt, in die Schweiz zum Sterbehilfeverein Dignitas und löste damit im Königreich heftige Debatten aus. Allerdings plädiert er nicht für das Schweizer Modell, sondern für Schiedsgerichte, die Todkranken den Erwerb von tödlichen Medikamenten erlauben und ihnen damit ermöglichen, in vertrauter Umgebung ihr Leben zu beenden. Der Autor, Zeichner, Filmemacher, Bühnen- und Kostümbildner, Schauspieler, vor allem aber große Humorist Vicco von Bülow mit dem Künstlernamen Loriot ist am 22. August 2011 in Ammerland am Starnberger See an Altersschwäche gestorben, wie sein Verlag mitteilte. Mit „Auf den Hund gekommen“ (1954) war er einer der ersten Autoren des Diogenes Verlags, bei dem er in fast sechzig Jahren 114 verschiedene Bände herausbrachte. Der am 12. November 1923 in Brandenburg an der Havel geborene Vicco von Bülow studierte von 1947 bis 1949 Malerei und Grafik an der Kunstakademie in Hamburg und war anschließend als Werbegrafiker und für die Zeitschriften „Die Straße“, „Stern“, „Weltbild“ und „Quick“ tätig. Ab 1967 textete und moderierte er die Fernsehsendung Cartoon für die ARD, für die er auch CoRegie führte. Der Zeichentrick-Hund Wum, Maskottchen für die „Aktion Sorgenkind“ in der ZDF-Quizshow „Drei mal Neun“, entstand 1971. 1988 drehte Loriot als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller den Film „Ödipussi“, 1991 „Pappa ante Portas“. BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: LILIENFELD VERLAG; CHRISTIAN THIEL 2008 erschien 06_13_spektrum_02_09 07.09.2011 9:31 Uhr Seite 9 SPEKTRUM EINFÜHLSAM AMÜSANT Während der Vorbereitungen zu einem Konzert hat die Musikerin und Fotografin Gabriele Kostas im Haus des Schriftstellers Walter Kempowski in Nartum bei Bremen die Aufnah- men für den Band „Das Haus der Kempowskis“ (Hatje Cantz) gemacht. Die von Glas und Spiegeln erzeugten Lichtreflexe im Haus Kreienhoop ermöglichen auf den Bildern den Eindruck des Ineinanderfließens von Innen und Außen. Für diesen Effekt wurden keinerlei Doppelbelichtungen oder digitale Tricks angewendet. Texte von Janos Frecot, Walter Kempowski und Gabriele Kostas vervollständigen das Porträt des Hauses. • FRAGWÜRDIG Beantwortet „Bin ich Jesus?“ fragen die Autoren Elias Hauck, Dominik Bauer und Michael Tetzlaff auf dem Cover von „Die Kunst, nicht zu antworten“ (Verlag Antje Kunstmann). Diese Antwort-Frage ist dem Kapitel „Wie Sie antworten, wenn Sie keine Ahnung haben“ entnommen. Darüber hinaus gibt es noch Tipps, wie Sie antworten, wenn Sie Zeit gewinnen wollen, dem anderen ein gutes Gefühl geben wollen, überhaupt nicht wissen, wie Sie reagieren sollen, ein Gespräch beenden wollen oder mal nicht antworten wollen. Das Geniale daran ist, dass in all den Ausweichund Ablenkungsmanövern keine Beleidigungen enthalten sind. Wie das funktioniert? Das weiß ich jetzt auch nicht mehr … • Jugendtorheiten Lisa Seelig und Elena Senft klingt ja eigentlich nach Künstlername, doch die beiden jungen Damen heißen angeblich wirklich so und stehen für ihr „Lexikon der Jugendsünden“ gerade. 1979 sind sie geboren und blicken schon zurück mit Schamesröte. Die Erinnerung an Kurt Cobain, David Hasselhoff und Kevin Costner treibt ihnen beispielsweise diese auf die Wangen. Sniffer, Säufer, Seitenspringer. Die drei sind gar nicht so unterschiedlich, wie der erste Eindruck glauben machen will. Dies und noch viel mehr in „Wir waren jung und brauchten das Gel“ (sic!), Peinlichkeiten aus der Jugendzeit – heute ein bei S. Fischer erschienen. kurzweiliges Vergnügen FORTSCHRITTLICH Amazon Authors Central Nicht nur die LeserInnen, auch die AutorInnen werden bei Amazon bestmöglich betreut. In den Vereinigten Staaten können sie sich neuerdings ein öffentlich einsehbares Konto anlegen, in das sie Videos, Fotos, Blogs und was ihnen sonst noch rund um ihre Bücher einfällt und für User von Interesse sein könnte, einstellen. Wenn sie dann neugierig die Ranking-Zahlen überprüfen, um herauszufinden, ob sich der Einsatz gelohnt hat, können sie seit kurzem sogar nachsehen, wo ihre Bücher zuletzt gekauft wurden. Natürlich auch, wo sie NICHT gekauft wurden, also ob sich ein bestimmter Inhalt in Utah oder doch in Kalifornien besser verkauft hat. • lad Auf der Suche nach dem verlorenen Vater © Guy Gi FOTOS: AUS „DAS HAUS DER KEMPOWSKIS“/HATJE CANTZ; ILL: AUS „DIE KUNST, NICHT ZU ANTWORTEN/KUNSTMANN; AUS „WIR WAREN JUNG UND BRAUCHTEN DAS GEL“/S. FISCHER Fotodokumentation Haus Kreienhoop Wer ist der Vater, nach dem das Mädchen wieder und wieder vergeblich fragte? War er ein Kapo oder ein Partisan gewesen? Ein Verräter oder ein Held? Eine berührende Suche nach Sinn und Begründung eines wahnwitzigen Geheimnisses. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler Deutsche Erstausgabe _ premium 220 Seiten ¤ 15,40 ISBN 978-3-423-24895-2 www.dtv.de 06_13_spektrum_02_09 06.09.2011 16:15 Uhr Seite 10 SPEKTRUM € 21,99 (D) / € 22,70 (A) sFr 30,90 / 576 Seiten 978-3-550-08873-5 Erscheint: 10. Oktober KURZMELDUNGEN Das größte E-Book-Projekt der Welt planen die Perry-Rhodan-Redaktion und ihr Technik-Partner bookwire GmbH: Alle der in 50 Jahren erschienenen 200.000 sollen zum Download verfügbar werden. Joanne Rowling will mit dem Start ihrer neuen Website Pottermore.com erstmals E-Books der Buchserie anbieten und dafür die offene Plattform Google E-Books nützen. Das vermeintlich verschollene Verlagsarchiv des Schweizer Arche Verlags konnte nun von den Söhnen des Verlagsgründers Peter Schifferli (1921–1980) dem Schweizer Literaturarchiv übergeben werden. In den 22 Kisten befinden sich Korrespondenzen, Manuskripte, Typoskripte und Illustrationen bedeutender Künstler des 20. Jahrhunderts. Seit dem 13. Juli 2011 können sich Self-Publishing-Autoren um den mit insgesamt 20.000 Euro dotierten derneuebuchpreis.de bewerben, indem sie ihr Werk kostenlos auf www.epubli.de veröffentlichen und zur Wahl stellen. Die Webuser und ein Expertenteam mit der Agentin Petra Eggers und der Autorin Cora Stephan entscheiden über die vier Gewinner in den Kategorien Belletristik, Sachbuch, Wissenschaft und Buchgestaltung. Die brasilianische Nationalbibliothek will bis zum Jahr 2020 7,6 Mil- Du siehst ihn nicht. Er jagt Dich. Unerbittlich. Der neue Thriller vom SpiegelBestsellerautor lionen US-Dollar zur Förderung von Übersetzungen und Wiederveröffentlichungen von Werken brasilianischer Autoren in Form von Verlagszuschüssen ausgeben. Wie das Auktionshaus Sotheby’s mitteilte, ist ein unvollendetes Manuskript von Jane Austen (1776– 1817) mit dem Titel „The Watsons“, das vermutlich 1804 entstanden ist, für fast eine Million Pfund versteigert worden. Oliver Graute, Marketingchef und Produktionsleiter des Mannheimer Verlags Feder & Schwert, setzt auf Crowd-Funding. Er will in Zukunft die Kunden mit Hilfe des Internetportals StartNext.de selbst bestimmen lassen, ob ein Buchangebot produziert wird oder nicht. Gemäß der ARD/ZDF-Onlinestudie 2011 lesen die Menschen heuer täglich um 3 Minuten weniger als im Vorjahr (25 Min.) und sehen um 15 Minuten weniger fern (2010: 244 Min.). Schlusslicht ist mit 4 Min. täglich der Konsum von Videos. Da Apple seit einiger Zeit Apps verbietet, um sich auf Online-Shops zu verlinken, auf denen Inhalte gekauft werden können, hat Amazon mit dem Kindle-Cloud-Reader eine in HTML5 programmierte Website installiert, auf der sich in den Browsern Chrome und Safari Amazon Kindle E-Books auch ohne spezielle Kindle-Apps lesen lassen. Der zur Ueberreuter Verlagsgruppe gehörende Oldenburger Lappan Verlag geht gegen 400 von 7000 Verstößen gegen das Urheberrecht vor, die auf gewerblich genutzten Seiten Gedichte des 1979 verstorbenen Heinz Erhardt betreffen. Die Erbengemeinschaft Erhardts hat sich davon distanziert. Facebook hat das Internet-Startup Push Pop Press, das herkömmliche Bücher für den interaktiven Gebrauch auf mobilen Apple-Geräten aufbereitet (u. a. Al Gores „Our Choice“), erworben. Die Wiedeking-Stiftung Stuttgart überlässt 28 private Briefe Franz Kafkas an seine Bekannte Grete Bloch dem Deutschen Literaturarchiv Marbach als Dauerleihgabe für seine Kafka-Sammlung, in der sie ab 5. Oktober d. J. zugänglich sein werden. Ministerpräsident Winfried Kretschmann überreichte im Neuen Schloss, Stuttgart, den Innovationspreis 2011 aus dem Bereich Kunst an den Hatje Cantz Verlag für die Reihe „Kunst zum Hören“, die auf dem Konzept des illustrierten Hörbuchs beruht. Einen „einzig- und neuartigen Weg“ für Self-Publishing-Portale geht www.triboox.de gemäß seinem Geschäftsführer Karl-Friedrich Pommerenke mit dem Druck der Anthologie „Facetten der Liebe“. EFFEKTIV? Das etwas andere Einschlafbuch Jetzt abLeseprobe: d reinlesen! scannen un www.nesbo.de Keine Tipps, sondern den Trost, nicht allein zu sein, bietet „Verdammte Scheiße, schlaf ein!“. Das Kinderbuch für Erwachsene von Adam Mansbach hat einen solchen Medienhype ausgelöst, dass man jungen Eltern fast nichts anderes mehr schenken kann. Auf Amazon hatte es schon vor Erscheinen Verkaufsrang eins und Fox hat sich schnellstens die Filmrechte gesichert. Gerahmt von eindrucksvollen, selbstgemalten Bildern, liefert der Autor darin liebliche Einschlafreime von Schäfchen, Kätzchen und Fröschlein, die nach ein paar Zeilen im F...Wort münden, und schafft damit eine Mischung aus Wut und Witz, in der sich offensichtlich fast alle Eltern verstanden fühlen. Die deutsche Übersetzung von Jo Lendle ist bei DuMont erschienen. • AZ_Buchkultur_Nesboe_42x265_3.indd 29.08.2011 1 11:56:44 Uhr Für schlaflose Eltern: übers Internet zum Hype und Bestseller BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 06_13_spektrum_02_09 07.09.2011 15:51 Uhr Seite 11 NEU Beckett digital Bei der Beckett-Konferenz in New York diskutierten 170 Beckett-Forscher den so genannten „grauen Kanon“ aus dem handschriftlichen Nachlass von Samuel Beckett, zu dem u. a. 16.000 Briefe zählen. Mit dem digitalen Archiv, das unter der Leitung von Mark Nixon und Dirk von Hulle angelegt wird, sollen Handschriften lesbar und an einem zentralen Ort zugänglich gemacht werden. Unter anderem geht aus Becketts Briefen hervor, wie mühselig sein Weg war, bevor er im Alter von 47 mit „Warten auf Godot“ internationalen Erfolg hatte. Von seinen ersten beiden Romanen wurden weniger als 100 Stück verkauft und seine Eltern waren sicher, dass er kein Talent hätte. Das neu angelegte Archiv bietet die Becketts handschriftlicher Nachlass endlich für alle zugänglich Möglichkeit, bei der Erforschung der bis zu 16 Textversionen, die Samuel Beckett von einem Werk erstellte, die Bezüge zu Philosophie und anderen Dichtern wie Shakespeare und Dante besser zu verstehen. • K o A LT 100 Jahre Éditions Gallimard In 100 Jahren kann einiges in einem Familienverlag geschehen, noch dazu wenn er ein Renommee hat wie die Editions Gallimard. Beinahe alle großen französischen Namen wie Proust, Camus, Sartre und Beauvoir standen dort unter Vertrag, aber auch angelsächsische und deutsche wie Hemingway, Joyce und Kafka. Erst durch die Rechte an Harry Potter konnten bei den Banken lie- gende Anteile zurückgekauft werden, sodass die Familie inzwischen wieder 98 Prozent hält. Marcel Proust wurde übrigens von André Gide, der damals dem Lektorenkomitee angehörte, abgelehnt. Gallimard gelang es später doch noch, die Rechte an Prousts Werk zu erwerben, und immerhin macht der Verlag heute 60 Pro- EMPFEHLENSWERT FOTO: JERRY BAUER/SUHRKAMP VERLAG; EDITION GALLIMARD; ARCHIV DER SPAUN-STIFTUNG, SEEWALCHEN Dialekt-Diktionäre Zwegn de poa nedsch? Ligt do a Kombinesch am Trottoaa wisawii? Langenscheidts Dialekt-Lillis ermöglichen Nicht-Wienern die korrekte Antwort, jo oda na, und brillieren zugleich mit einigem Hintergrundwissen. Négy = vier (ungarisch) und damit als Ausdruck für wenig Geld, ein Relikt der Doppelmonarchie; vis-á-vis = gegenüber, Combinaison = Kombination (hier des passenden Unterkleids) und Trottoir = Gehweg gelten in Wien als Überbleibsel höfischer Habsburgerkultur, in Köln als solche napoleonischer Besatzung. Das Trottoir findet sich in leichter Modifikation („Trottoar“) auch im „Schweizer-deutsch“. Alle LangenscheidtLilliput-Bände – Badisch, Bairisch, Berlinerisch, Fränkisch, Hessisch, Kölsch, Plattdeutsch, RuhrpottDeutsch, Sächsisch, Schwäbisch und s. o. – sind kleiner als eine Zigarettenschachtel und ausgesprochen praktisch. • BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 zent seines Umsatzes mit der Backlist. Anlässlich des „Geburtstags“ ist in der Bibliothèque Nationale eine Ausstellung zu sehen, und die Adresse in Saint Germain, an der der Verlag residiert, wurde von Rue Sébastian-Bottin in Rue Gallimard umbenannt. • AUSSTELLUNG Karl Wilhelm Diefenbach In Wien erinnert eine Straße an den Maler und Vordenker von Nacktkultur und autoritär geführtem Kommunenleben. Hier sollte er auch in Florian Berndl, dem „Vater des Gänsehäufels“ und späteren Zeitgenossen, Nachfolger finden. Die von Claudia Wagner kuratierte Münchner Ausstellung ist noch bis 26. Oktober 2011 in der Hermes Villa in Wien zu sehen, wo Diefenbach von 1992 bis 1999 für den Österreichischen Kunstverein sein monumentales „Per aspera ad astra“ schuf und am Himmelhof, der nur 20 Gehminuten von der Hermesvilla entfernt liegt, seine zweite Kommune anführte. Die Ausstellung „Der Prophet – Die Welt des Karl Wilhelm Diefenbach“ zeigt Bilder Diefenbachs und seiner Weggefährten ebenso wie Fotografien und Dokumente aus seinem Umfeld. • www. wienmuseum.at 11 06_13_spektrum_02_09 06.09.2011 16:17 Uhr Seite 12 SPEKTRUM U M FA S S E N D LESENSWERT Musik und Text Gemeinsam lesen „Na und? Hat sich bewährt, sollte man beibehalten.“ So ungefähr heißt es in der Kabarettnummer „Schnulzenentbindung“ des Duos Wehle/Bronner augenzwinkernd über das Plagiieren. Die Gründerin der „Celler Schule für Textdichter“, Edith Jeske, und ihr Kompagnon Tobias Reitz haben ein „Handbuch für Songtexter“ (Autorenhaus Verlag) verfasst, das Anfängern auf die Sprünge helfen soll. Von den „Capri-Fischern“ bis zu „Männer sind Schweine“ werden erfolgreiche Liedtexte unter die Lupe genommen. Dabei wird z. B. gezeigt, dass Verben viel intensivere Vorstellungen auslösen als Substantive oder gar Adjektive. Wer gerne so vor sich hintextet, kann sicher einiges optimieren, indem er ab und an in diesem Handbuch schmökert. Für blutige Anfänger stellt sich aber möglicherweise der Tausendfüßler-Effekt ein: Vor lauter Nachdenken, was man alles beachten müsste, fällt einem gar nichts mehr ein. Obwohl der Tipp, sich doch mal irgendwelche Melodien „auszuleihen“ und dazu zu dichten, um die Phrasierungen kennenzulernen, gerade für sie von Nutzen ist. • Mannschaftssportler haben es gut, denn sie sind mit ihrem Hobby nie allein. Ganz anders ergeht es den Lesern. Einsam lachen oder weinen sie in die Seiten und haben niemanden, der sie aufmuntert, wenn sie sich langweilen. Um der Gefahr der Einsamkeit vorzubeugen, können sie sich nach einem Lesekreis umsehen oder am besten gleich selbst einen gründen. Das Basiswissen dazu liefert der langjährige Programmleiter des Literaturhauses Köln und designierte Leiter des Literaturfestivals Berlin Thomas Böhm in „Das Lesekreisbuch“ (Bloomsbury Verlag). Geschichtliches findet hier neben Organisatorischem und Lektürevorschlägen seinen Platz. Sagen Sie nicht, das mach’ ich, wenn ich mal in Pension bin, fangen Sie gleich damit an! • PREISE UND AUSZEICHNUNGEN Preis Spycher: Literaturpreis Leuk Spycher: Literaturpreis Leuk Goethe-Medaille Silberne Feder Uwe-Johnson-Förderpreis Reinhard-Priessnitz-Preis Buxtehuder Bulle Übersetzerpreis Erlangen Deutscher Sprachpreis Dr.-Manfred-Jahrmarkt-Ehrengabe Buchpreis d. Salzburger Wirtschaft Hannah-Arendt-Preis Translatio Translatio outstanding artist award Anton-Wildgans-Preis Robert-Helmlé-Preis Rheingau Literatur-Preis Gernhardt-Preis Robert-Gernhardt-Preis Nicolas-Born-Preis Eschenbach-Preis Ernst-Jandl-Preis Erich-Fried-Preis Celan-Preis Cotta-Übersetzerpreis Kranichsteiner Literaturpreis Kleist-Preis Böll-Preis Petrarca-Preis Petrarca-Preis Erich-Maria-Remarque-Preis Österr. Staatspreis für europ. Literatur Thomas-Mann-Preis Europäischer Litraturpreis Andersen-Preis Preisträger Marie NDiaye Mikhail Shishkin John le Carré Martin Baltscheid Judith Zander Richard Obermayr Susan Beth Pfeffer Elke Erb Gustav Seibt Andreas Altmann Peter Stephan Jungk Navid Kermani Adnan Kovacsics Johann Strutz Barbara Hundegger Doron Rabinovici S. Müller u. H. Fock Josef Haslinger Thomas Gsella Matthias Göritz Peter Waterhouse Ludwig Fels Peter Waterhouse Thomas Stangl Mirjana u. Klaus Wittmann Claudia Ott Jan Wagner Sybille Lewitscharoff Ulrich Peltzer Florjan Lipus John Burnside Ben Jelloun Javier Marias Jan Assmann Hanna Krall Isabell Allende Buchtitel Drei Frauen Venushaar Gesamtwerk Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor Dinge, die wir heute sagten Das Fenster Die Welt, wie wir sie kannten Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Jáchymov Tiere und Reime Das Geschäft mit den Träumen Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Tausendundeine Nacht Australien Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Preisgeld Aufenthalt Aufenthalt undotiert 2.000 EUR 2.500 EUR 4.000 EUR 5.000 EUR 5.000 EUR 5.000 EUR 5.000 EUR 7.000 EUR 7.500 EUR 8.000 EUR 8.000 EUR 8.000 EUR 10.000 EUR 10.000 EUR 10.000 EUR 12.000 EUR 12.000 EUR 15.000 EUR 15.000 EUR 15.000 EUR 15.000 EUR 15.000 EUR 20.000 EUR 20.000 EUR 20.000 EUR 20.000 EUR 20.000 EUR 20.000 EUR 25.000 EUR 25.000 EUR 25.000 EUR 25.000 EUR 67.000 EUR BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 06_13_spektrum_02_09 06.09.2011 16:19 Uhr Seite 13 SPEKTRUM FESTIVALS BuchBasel Messe und Festival, 18. bis 20. November 2011 am Messeplatz Mehr über die 100 Veranstaltungen, über neue Sachbücher, über Literatur, über aktuelle gesellschaftliche Fragen und über die rund 200 Autorinnen und Autoren aus dem In- und Ausland, die in Basel zu Gast sein werden, finden Sie unter www.buchbasel.ch BUCH WIEN 10. bis 13. November 2011, Messe Wien, Halle D (U2 Station Krieau), Trabrennstraße, 1020 Wien Petros Markaris wird in seiner Eröffnungsrede über seine Heimat Griechenland, die Wirtschaftskrise und die Rolle von Kunst und Literatur sprechen. Die Lesefestwoche eröffnet der deutschiranische Autor Navid Kermani, weiters werden u. a. Judith Schalansky mit ihrem aktuellen Bildungsroman „Der Hals der Giraffe“ und Charlotte Roche mit ihrem neuen Buch „Schoßgebete“ erwartet. www.buchwien.at Bücherbüffet 20. bis 28. Oktober 2011, Fleischmarkthalle Karlsruhe Autorenlesungen, Gäste-Rezensionen, Vorlese-Oma, Musik und – der Name verpflichtet – ein kostenloses Drei-GängeFingerfood-Menü für die Besucher der großen Abendveranstaltung. www.bücherbüffet.de Göttinger Literaturherbst 14. bis 23. Oktober 2011, Altes Rathaus, Markt 9, Aula am Wilhelmsplatz, Wilhelmsplatz 1, Deutsches Theater, Theaterplatz 11, Paulinerkirche, Papendiek 14 Schwerpunkte sind die internationale Literatur und das wissenschaftliche Sachbuch. Bei 33 Veranstaltungen werden u. a. die österreichische Bachmannpreisträgerin Maja Haderlap, der deutsche Ozeanograph und Klimatologe Stefan Rahmstorf, der Yale-Professor Thomas Pogge und der Biologe Gerhard Roth erwartet. www.literaturherbst.com 29. Karlsruher Bücherschau 10. November bis 4. Dezember 2011, Regierungspräsidium Karlsruhe, KarlFriedrich-Straße 17, 76133 Karlsruhe Dreieinhalb Wochen Gelegenheit, in ein Meer von 22.000 Büchern aus 300 Verlagen einzutauchen. Lesungen, Vorträge und Diskussionen runden den thematischen Schwerpunkt – diesmal „Buch & Kunst“ – ab. www.buecherschau.de DR. TRASH EMPFIEHLT KriLit 11 im ÖGB 4./5. November 2011, Johann-BöhmPlatz 1, 1020 Wien Ziel der „Kritischen Literaturtage“ des Österreichischen Gewerkschaftsbundes ist es, unabhängige und kleine Verlage mit alternativen, gesellschafts- und sozialkritischen Büchern zu unterstützen, indem sie im neuen Haus des ÖGB ihr Sortiment bewerben und verkaufen können. www.kritlit.at LesArt.Festival Dortmund 11. bis 20. November 2011, an 9 Orten 9. Dortmunder Lyriktag, Autorinnen und Autoren aus den Niederlanden, Polen und anderen Ländern, Renitenztheater Stuttgart, LesArt.Preis der jungen Literatur, KindergartenBuchTheaterFestival, Poetry Jam … www.lesart-festival.de Literatur im Nebel 21./22. Oktober 2011, in der Margithalle Heidenreichstein Gast wird der somalische Schriftsteller Nuruddin Farah sein, der den Großteil seines Werks dem Zerfall des Staates Somalia widmet. www.literaturimnebel.at Literatürk 2011: GRENZGÄNGE! 14. bis 17. Oktober 2011, in Essen und im Ruhrgebiet Seit 2005 besteht das eigensinnige türkisch-deutsche Literaturfestival des Kulturzentrums GREND e.V. in Zusammenarbeit mit Fatma Uzun und Semra Uzun-Önder. Hoflgeldiniz! www.Grend.de 52. Münchner Bücherschau und Literaturfest München 10. bis 27. November 2011, im Gasteig Verlage können sich noch mit nationalen und internationalen Romanen und Sachbüchern anmelden. www.muenchner-buecherschau.de Österreich liest. Treffpunkt Bibliothek 17. bis 23. Oktober 2011 Tausende Veranstaltungen für Erwachsene ebenso wie für Kinder. www.oesterreichliest.at Zürich liest 27. bis 30. Oktober 2011, im ganzen Kanton Zürich Das gesamte Festivalprogramm mit über 100 Lesungen, Bilderbuchkino und Eröffnungsgala im Schauspielhaus finden Sie auf www.zuerich-liest.ch BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 Agenturmeldungen sind das Letzte Selbst als Freund der „unsichtbaren Literatur“ kann der Doc dem Textmüll, den Presseagenturen ausschicken und der dann meist eins zu eins vom Boulevard, den Qualitäts-Propagandaorganen und dem Staatsfunk abgekupfert wird, nichts abgewinnen. Zumal ja klar und bekannt ist, dass diese angeblichen Nachrichten A. von ausländischen Agenturen übernommen, B. von Spin-Doktoren konstruiert oder C. von Werbemenschen erfunden wurden. Dennoch gab‘s vor kurzem eine wie immer hatschert formulierte Meldung, die den alten Trash faszinierte: Der Comic-Verlag Marvel, mittlerweile im Besitz der Disney-Corporation und verantwortlich für Kino-Superheldenschund wie „Thor“ und „Captain America“, hat Comic-Händler dazu aufgerufen, die Hefte des größten Konkurrenten DC (Besitzer: Time Warner) zu zerstören. Für jedes vernichtete DC-Produkt sollen die Händler ein limitiertes Marvel-Comic gratis erhalten. Üble Sache – und typisch für die mutierten „X-Men“ von Marvel. Der Konflikt zwischen den beiden Comic-Giganten wird ja bereits seit Jahrzehnten ausgetragen, bis in die Herzen der Fans hinein. Die Frage, ob man Marvel oder DC (die Heimat von Superman und Batman) lieber hat, stellt sich bereits in frühester Jugend und ist etwa so lebensentscheidend wie einst die Präferenz für die Beatles oder die Stones. Als altem Fab-Four-Freund, der stets mehr auf Qualität setzte als auf Pseudo-Revoluzzerei, war und ist dem Doc DC naturgemäß näher; nicht umsonst sind ja auch die genialen „Watchmen“ dort erschienen … Umso größer war die Freude, als vor nicht ganz einem Jahr der Riesenprachtband „75 Years of DC Comics: The Art of Modern Mythmaking“ von Paul Levitz im Taschen-Verlag (dt. & engl.) herauskam. Zugegeben, das ist schon eine Zeit her – aber die 720 Seiten wollten einmal ausführlich studiert werden, ohne dass man sich einen Bruch hebt. Nach entsprechenden architektonischen Umgestaltungen kann der Doc guten Gewissens sagen: freigegeben! Investieren Sie ruhig die 150 Euro in dieses unentbehrliche Stück Comic-Geschichte. Um an den Beginn zurückzukehren: Die vertrotteltste Agenturmeldung des Sommers berichtete von der Gründung der US-Firma 1DollarScan, die ihren Kunden anbietet, Bücher, Zeitschriften, Photos etc. billig zu digitalisieren und die Papieroriginale dann zu „entsorgen“. Denkt man da nicht gleich an „Fahrenheit 451“? Der Plan, der Menschheit ihre Bücher zu entziehen, wurde angeblich in Japan ausgeheckt, weil dort (so die Meldung) die Menschen solche Angst haben, bei Erdbeben von ihren Bücherregalen erschlagen zu werden. Wer sowas kritiklos abschreibt, gehört selbst unter ein paar Regale gesetzt. Irgendwo im Tsunami-Gebiet … 13 14-27 buchwelt 06.09.2011 16:36 Uhr Seite 14 B U C H W E LT Ein Regenwurm hebt ab Erinnern Sie sich? Wir saßen an einem Tisch und haben uns reihum einen Satz ins Ohr geflüstert – damals, als Kinder, an Geburtstagspartys. Je mehr Ohren, desto unverständlicher das Ergebnis, und der Letzte in der Reihe verkündete schließlich ein einziges Gestammel. Wir haben uns krumm und schief gelacht und fingen von vorne an. Das Spiel heißt „Stille Post“ – genauso wie das neue Buch mit Kurzprosatexten von Urs Widmer. Dort treibt er das Spiel weiter, als Experiment und ganz in Widmerscher Manier: witzig, spritzig und – wie immer – mit seinem unerschöpflichen Potential an Fantasie. Der Autor hat sich an einen Tisch gesetzt, zusammen mit einem Spanier, einem Chinesen, einer Engländerin, einem Russen und einem Franzosen. Seine zu diesem Zweck geschriebene Geschichte „Erste Liebe. Ein Brauch“ hat er dann dem Spanier „ins Ohr“ geflüstert – d. h. zur Übersetzung in die Mailbox geschickt, dieser, nach getaner Arbeit, dem Chinesen und so weiter und so fort. Und dann hielt Urs Widmer sein eigenes Ohr hin, um zu hören, was seinem Text auf der Reise rund um die Welt geschehen war. Um es vorweg zu nehmen: Urs Widmer war entsetzt. Aus der verspielten Geschichte, einer Art „Initiationsritus“, wie er sagt, war ein knochentrockenes, bierernstes Etwas geworden. Und die Moral von der Geschicht? Anderssprachige verstehen sich halt nicht? Kaum. Denn was wäre das Lesen im Allgemeinen und das Lesen von Literatur im Besonderen, wenn nicht Übersetzung? Wenn nicht Übertragung der Sätze in die je eigene Welt, ins je eigene Getümmel von Erfahrungen, Vorstellungen, Vorurteilen …? Nichts käme dabei heraus als Langeweile und Öde – ein Häufchen Buchstaben, gerade wert genug, zusammengekehrt zu werden. Und was wäre (ist) das Schreiben von Literatur denn, ohne Übersetzung in die eigene Sprache? Siehe oben. Urs Widmer beherrscht die Übersetzungskunst wie kein anderer Schweizer Autor. Mit enormer Sprungkraft hebt er ab vom gängigen und – sehr oft – vom realistischen Boden. Was er zu sagen hat, kleidet er in Mythen und Legenden und Märchen. „Das Metaphorische ist (…) die Domäne der Literatur“, sagt er in seinen Frankfurter Poe14 tikvorlesungen, und pocht so auf das Recht der Fantasie – um nicht zu sagen: auf die Pflicht dazu. Die Pflicht zur Fantasie: In seiner Rede zur diesjährigen Eröffnung der Klagenfurter Tage der deutschsprachigen Literatur wies Urs Widmer den Anspruch nach der eigenen Sprache zwar zurück, weil sie „just das Allgemeine ist, über das die andern auch verfügen und das uns mit den andern verbindet“. Wohl wahr. Wahr ist allerdings auch, dass ihrer Verwendung so wenig Grenzen gesetzt sind wie einem Knäuel Wolle. Und Witzig, spritzig und mit einem unerschöpflichen Potential an Fantasie. diese je eigene Verwendung – Rhythmus, Tonfall, Farbe, Dichte … –, wäre nicht sie das Eigene? Und dieses Eigene, ist es nicht (auch) dazu da, beharrlich Störarbeit zu leisten im unsäglichen Getriebe des Mainstream-Gequassels? Oder anders gesagt, blumig, nach Urs-Widmer-Art: „Vielleicht sind die Dichter auch heute für Sprache so etwas wie das, was die Regenwürmer für die Erde sind. Sie halten sie schön locker und sorgen dafür, dass aus ihr etwas gedeihen und wachsen kann.“ Schon der Anfang der Geschichte in seinem neuen Buch „Reise nach Istanbul“ pflügt den Boden um, und es „gedeiht“ beim Lesen erstmal ein Stirnrunzeln, aber dann ein unaufhaltsames Wachsen von Gedanken, ein Sprießen von Vorstellungen und ein Blühen von Bildern: „Ich weiss nicht mehr, wann ich dies erlebte: kürzlich jedenfalls, gestern vielleicht, jeden Tag. Ich fuhr in einem Zug, da bin ich mir sicher, in einem Schlafwagenabteil, zusammen mit meiner Frau und meinem Kind, das ein fünfjähriges Mädchen ist.“ So weit, so verwirrend. Doch dann nimmt die Konfusion erst recht ihren Lauf. Als der Zug an einem Grenzort anhält, steigt der Mann aus, um Zeitungen zu kaufen. Er verlässt auch kurz den Bahnhof, flaniert ein wenig im Ort und will dann zurück. Die Straße, auf der er eben noch ging, ist nicht mehr da. Auch der Bahnhof ist nicht mehr da … „Im Anfang war eine Stille; das All still, still.“ So beginnt eine andere Geschichte: Die Schöpfungsgeschichte von Urs Widmer. Es gab – vielleicht – ein paar Götter, die, wenn es sie denn gab und wenn sie schliefen, von Farben träumten. Denn das All war zwar still, aber es war farbig. Später kamen die Tiere dazu, und als dann die Menschen das All bevölkerten, war es mit der Stille vorbei: „Dann erschlugen wir uns mit Stein und Bein. – Dann mit Kreuz und Schwert. – Mit Korn und Pulver.“ Am Ende der Geschichte warten eine Beschwörungs- und eine Hoffnungsgeste: „Wir werden sterben, wenn wir nicht wieder fliegen lernen. Warum sollten wir es nicht können.“ Warum sollten wir nicht endlich zu weinen anfangen über den „Lärm“, den wir auf dieser Welt machen? Warum sollten wir uns nicht eingestehen, so wie der Mann, der nach Istanbul reisen wollte, dass wir uns verirrt haben? Warum sollten wir es nicht können? Vielleicht, weil wir es allein nicht können. Weil wir Anstöße brauchen, das Fliegen wieder zu lernen – das Davonfliegen. Urs Widmers fantasiegetränkte Bücher helfen beim Flüggewerden. Und beim Fliegen gegen den Wind. ZUM AUTOR Urs Widmer, geboren 1938 in Basel, studierte Germanistik, Romanistik und Geschichte. Er arbeitete einige Jahre als Verlagslektor und gründete mit anderen Lektoren den Verlag der Autoren, bevor er selbst zum Schriftsteller wurde. Für seine Werke vielfach ausgezeichnet, lebt Urs Widmer in Zürich. Urs Widmer |Stille Post| Diogenes 2011, 176 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 33,90 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: REGINE MOSIMANN/DIOGENES VERLAG „Stille Post“ – Urs Widmers Störarbeit gegen das Mainstream-Gequassel. VON SILVIA HESS ahres „Ein w rwerk“ Wunde lda a Gava Ann Aus dem Englischen von Ilija Trojanow und Susann 379 S. Geb. f 20,60[A] / f 19,95[D] Aus dem Französischen von Christian Kolb. Urban. 515 S. Geb. f 20,60[A] / f 19,95[D] ISBN 978-3-406-62166-6 239 S. Klappenbr. f 17,50[A] / f 16,95[D] ISBN 978-3-406-62156-7 Der neue große Roman vom Autor des Weltbestsellers „Der weiße Tiger“. Adiga erzählt eine Geschichte um Geld und Macht, Luxus und Entbehrung, bietet ein breites Gemälde der Menschen in Bombay und nicht zuletzt das Porträt einer brodelnden Stadt – „Der letzte Mann im Turm“ wirft einen tiefen Blick in die Herzen und Köpfe der Bewohner einer Mega-City – einfache Menschen, die an einem Ort ohne Grenzen bis an ihre Grenzen getrieben werden. ISBN 978-3-406-62162-8 „Dieser grandios komponierte Roman … verwebt die verschiedenen Zeiten, Orte und Biografien so kunstvoll miteinander, er schafft ein so fein gesponnenes Netz aus Leitmotiven, Bildern und Symbolen, dass sich daraus eine ganz eigene, viel tiefere Wahrheit ergibt: nicht die historische, sondern die literarische; nicht die Wahrheit der Fakten, sondern die der Fiktion.“ Andreas Wirthensohn, Wiener Zeitung „Sabine Gruber gehört zu den wichtigsten Talenten der österreichischen Autorengeneration nach Elfriede Jelinek und Marlene Streeruwitz.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung „Dieses große kleine Buch macht Lust zu lieben, geliebt zu werden, sich in die Liebe zu stürzen und alles zu geben!“ Anna Gavalda „Es gibt Bücher, bei denen man noch Tage später stille Freude spürt. Dieses ist so eines.“ Christine Westermann, WDR Bücher „Die Geschichte dieser neuen Liebe erzählt Foenkinos so empfindsam, dass man sich beim Lesen schon mal wundert, dass ein Mann diese Zeilen geschrieben hat.“ Vanessa Plodeck, Freundin C.H.BECK www.chbeck.de 14-27 buchwelt 06.09.2011 16:38 Uhr Seite 16 B U C H W E LT Zu Gast bei Klaus Zeyringer: Alois Hotschnig, ein Sprachkünstler mit Tiefenschärfe (l.), und Alex Capus, ein Meister der Schilderung Über Geschichten am Wegesrand und Schaffensprozesse – wie mit Elementen der Wirklichkeit literarische Fiktion ersteht: Alex Capus und Alois Hotschnig bei TRANSFLAIR. VON KLAUS ZEYRINGER Beim Festival „Literatur und Wein“ fand TRANSFLAIR an einem sonnigen Spätvormittag statt, aufgeweckt die Gäste und munter das Publikum. Auf dem Podium Alex Capus, ein Meister der Schilderung, und Alois Hotschnig, ein Sprachkünstler mit außergewöhnlicher Tiefenschärfe. Ihre Literatur nimmt Elemente von Realitäten und schafft daraus – auf ganz unterschiedliche Weise – eine neue Art von Wirklichkeit. Im Banne des Erzählten kann man der Existenz enthoben werden, um anderen Leben zu folgen. Mit der Verve der Darstellung von Capus vermag man sich die schwierige Liebe eines Léon und einer Louise zwischen 1918 und 1940 und danach auszumalen; mit Hotschnigs differenzierten Momentaufnahmen kann man eine spezifische Situation nachvollziehen. In beiden Fällen ist es ein Spiel mit der Wahrheit und mit der Konstruktion der Realitäten. Alois Hotschnig, 2010 mit dem erstmalig vergebenen Jonke-Preis ausgezeichnet und zuvor mit dem Fried-Preis, schafft eine äußerst 16 präzise Literatur. In seinem Roman „Leonardos Hände“ (1992) lautet der erste Satz: „Wenn einer stirbt, heißt das hier, der kauft nicht mehr ein.“ Ein Rettungsfahrer hat einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem ein Ehepaar gestorben ist. Deren Tochter liegt im Koma, der Rettungsfahrer sucht sie, besucht sie, bis sie tatsächlich aus dem Koma erwacht – und als, in der Mitte des Buchs, die beiden miteinander zu leben beginnen, lautet der erste ÜberlebensSatz „Wir kaufen ein“. Im Jahr 2000 erschien „Ludwigs Zimmer“, ein Roman, in dem es um ein Haus und um Pfade der Erinnerung geht, um ein KZ-Außenlager am Loiblpass. Als Großmeister der Reduktion erwies sich Hotschnig mit „Die Kinder beruhigte das nicht“ und zuletzt mit den sechs Prosastücken des Bandes „Im Sitzen läuft es sich besser davon“. Hier findet sich eine bemerkenswerte Weiterführung von Hotschnigs Erzählhaltung, die nun einen feinen grotesken Humor bietet. In Dialogsequenzen lässt er Stimmen aufeinander treffen, nebeneinander reden. An diesem Spätvormittag im Literaturhaus liest Alois Hotschnig „Die kleineren Reisen“ ebenso pointiert und fein, wie er seine Prosa baut. Alex Capus erzählt meist historische Momente und eine geschichtliche Umwelt. In seinen Prosabänden schildert er oft recht merkwürdige und bemerkenswerte Figuren, viele aus der Schweizer Geschichte. Etwa in „Zehn Porträts“ einen schwäbischen Herrn Nestlé, der am Genfersee in seiner kleinen Apotheke Milchpulver erfunden hat. Oder in „Dreizehn wahre Geschichten“ Louis Chevrolet aus dem Jura, der in den USA als Mechaniker in der eigenen Fabrik endete. Um Deutsch-Ostafrika geht es in „Eine Frage der Zeit“ (2007): Kaiser Wilhelm II. gab 1913 den Auftrag für ein großes Schiff, das zerlegt an den Tanganikasee transportiert und dort wieder zusammengebaut wurde; der Roman schildert die drei Werftarbeiter, die jene 5000 Kisten begleitet haben und dafür sorgen mussten, dass daraus wieder ein Dampfer wird. 1914 geraten sie in den Krieg, als auch die Engländer ein Schiff auf dem Landweg zum Tanganikasee bringen. Mit seiner tiefen, warmen Stimme liest Alex Capus aus seinem neuen Roman „Léon und Louise“. Das erste Kapitel ist in der Jetztzeit angesiedelt: Der Großvater ist gestorben, die BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTOS: WOLFGANG KÜHN/ULNÖ Pfade des Erzählens 14-27 buchwelt 07.09.2011 10:12 Uhr Seite 17 B U C H W E LT Totenmesse findet in Notre Dame statt – und eine kleine Dame, die nicht zur Familie gehört, trippelt herein, beugt sich über den Sarg, küsst den Leichnam und lässt eine Fahrradklingel erschallen. Die beiden, Léon und Louise, hatten sich unweit der Front 1918 verliebt, sich danach gegenseitig für tot gehalten und erst zehn Jahre später zufällig wieder gesehen. Einen Geschichtenbogen über die Zeiten schafft Capus mit pointierten Episoden in Milieus, die in einigen Strichen plastisch und nachvollziehbar erstehen. „Hab viel in Archiven recherchiert“ (Capus) Beide, Capus und Hotschnig, recherchieren für ihre Werke, der eine in der Art des Historikers, der andere eher als sozialer Beobachter. Er habe viel in Archiven gearbeitet, sagt Capus, in der Schweiz sei ja die Quellenlage besonders gut, da sie seit langem von keinem Krieg beeinträchtigt worden sei. Alois Hotschnig erläutert, dass seine Vorbereitungen jeweils anders verlaufen, und wenn er es von vornherein wüsste, wäre der nächste Text leichter zu schreiben. Nach der Arbeit an einem Buch vergesse er diese Art der geschaffenen Wirklichkeit und müsse wieder eine neue erfinden, etwa durch die Figuren, die sich melden. Sein Theaterstück „Absolution“ habe für ihn in der S-Bahn in Berlin begonnen, wo ein Mann mit einer Frau gestritten und den Waggon mit dem Satz verlassen hat: „Sag ihm, für ihn bin ich jetzt tot.“ Er habe gerade an einem Roman geschrieben und dies unterbrochen, um ein Drama zu schaffen, weil er sich gedacht habe: Wer sagt jemandem so einen Satz, der ja eine seltsame Inversion ist; üblicherweise heißt es „du bist gestorben für mich“. Was für ein Leben kann jemand geführt haben, dass es zu so einem Kulminationspunkt kommt? Das ist für Hotschnig ein Anlass, eine Vergangenheit von fiktiven Figuren zu erfinden, für die so ein Satz gilt – der dann in seinem Text meist gar nicht vorkomme. Alex Capus seinerseits geht oft von der Vergangenheit faktischer Personen aus. Er sei ja viel unterwegs, da liegen die Geschichten am Wegesrand. Er stoße auf Figuren, von denen er in der Sekunde wisse, dass er von ihnen erzählen wolle. Und dann müsse er Genaueres von ihren Umständen und ihrem Umfeld wissen. Wie haben sie Kaffee gebraut, gab es 1928 schon Filterkaffee, gab es da Lockenwickler, Staubsauger, wie schepperte 1918 ein Fahrrad (wie es im Roman „Léon und Louise“ eine wichtige Rolle spielt)? Über diese Äußerlichkeiten erschließe sich ihm die Figur auch. Die Geschichte von Léon und Louise habe er aus seiner Familie übernommen; sein Großvater sei ebenso Polizeichemiker am Quai des Orfèvres in Paris gewesen wie dieser Léon im Roman. Die Wohnung, die er beschreibe, sagt Capus, sei die seiner frühen Kindheit, gleich gegenüber der Sorbonne. Die genauen biografischen Hintergründe schildert er dem Publikum im Literaturhaus, es ist eine Geschichte faszinierender Zufälle, wie sich seine Eltern 1960 in Paris kennen gelernt haben. Beim Schreiben brauche er bald ein dramaturgisches Gerüst; bei „Léon und Louise“ habe er gleich gefühlt, dass die TotenmessenSzene zu Beginn des Romans stehen müsse: um eine billige Spannung herauszunehmen und von vornherein klar zu stellen, wo die Geschichte endet – der Held stirbt, aber hoch betagt –, und dann in Ruhe vom Anfang her zu erzählen. Alois Hotschnig bemerkt dazu, dass ja in Capus’ Roman bestimmte Koordinaten unaufdringlich auf den ersten Seiten vorgegeben seien und sich zwischen diesen Koordinaten das ganze Instrumentarium der Geschichte ergebe. „Ich habe eine Art Grafik der Geschichte vor dem Auge“, sagt Capus, „der dramaturgische Bogen hat seine Farben und seine Geräusche wie eine Partitur.“ Darauf Hotschnig: „Ich hingegen bin Versenkungsspezialist.“ Was bei Capus die Farben seien, das seien bei ihm Entfernungen, Perspektiven, Landkarten. Er müsse zunächst wissen, ob er auf ein Meer oder auf einen See hinausschaue: „Ist das, was es zu beschreiben gilt, eine begrenzte Angelegenheit oder etwas Romanhaftes, weit über den momentan sichtbaren Horizont hinaus; spielen da noch Inseln mit hinein, als Sehnsuchtsmoment oder als Projektionsfläche? Und außerdem brauche ich, um zu schreiben beginnen zu können, eine Position, wo ich gerade selbst bin, meist eine bildhafte Verortung. Im Text kann sie auch wieder verschwinden, weil der Text nicht das nötig hat, was ich nötig hatte, um zu dem Text überhaupt hinzukommen.“ Er beginne mit einem Satz, den er verfolge? „Nein, der verfolgt mich. Er blinkt wie eine Ampel. Und ich suche die Geschichte, die zu dem Satz geführt hat.“ ZUM THEMA Alex Capus |Léon und Louise| Hanser 2011, 320 S., EurD 19,90/ EurA 20,50/sFr 29,90 Alois Hotschnig |Im Sitzen läuft es sich besser davon| Kiepenheuer & Witsch 2009, 144 S., EurD 16,95/EurA 17,50/sFr 24,90 Die grenzüberschreitende Lese-Gesprächsserie „Transflair“ findet seit März 2004 im Unabhängigen Literaturhaus Niederösterreich (www.ulnoe.at) statt. In Gesprächen österreichischer AutorInnen mit KollegInnen von anderswo werden mithilfe der Literatur Bekanntes und Fernes miteinander verbunden. 14-27 buchwelt 06.09.2011 16:41 Uhr Seite 18 Der Tod ist allgegenwärtig Nachdem Maja Haderlap den Bachmann-Preis bekommen hatte, war der mediale Wirbel groß. Deshalb ging sie erst einmal auf Urlaub … danach stellte sie sich dann doch einigen Fragen von DITTA RUDLE zu ihrem ersten Roman. Leicht war der Jury die Wahl nicht gefallen. Erst nach dem vierten Wahlgang stand fest: Maja Haderlap hat den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Natürlich hat Maja Haderlap gehofft und sich gewünscht, „halbwegs gut abzuschneiden. Dass es dann so kommen wird, konnte keiner voraussagen oder ahnen.“ Wohl kein Literatur-Preis wird medial so heftig und intensiv begleitet wie das mehrtägige Klagenfurter Event. Auch wenn der Erfolg bei einigen PreisträgerInnen in der 35-jährigen Geschichte der Veranstaltung nicht gehalten hat, was die Ehrung versprach, so stehen sie doch einige Zeit im Blitzlichtgewitter. Das musste auch Maja Haderlap, bisher als Lyrikerin in einem eher stillen Winkel zu Hause, hautnah erleben: „Mein schriftstellerisches Leben ist auf den Kopf gestellt worden. Ich habe als sloweni- 18 sche Lyrikerin angefangen und Gedichte auf Slowenisch, später auch auf Deutsch veröffentlicht, und habe mich an die Lyriknische gewöhnt, daran, nur marginal und von einem kleinen Kreis von Literaturinteressierten wahrgenommen zu werden. Der Bachmann-Preis hat mich aus dem Literaturnebenraum ins grelle Licht katapultiert.“ Erste Reaktion: Flucht in einen langen Urlaub. Dabei ist sie sich klar geworden, wie es weiter gehen wird und ob „Engel des Vergessens“, ihr erster Roman, ein einmaliges Ereignis bleiben soll. Aber sie hat, wie man gemeinhin sagt, auch wenn die Metapher hier nicht wirklich korrekt ist, Blut geleckt: „Das Erzählen möchte ich nicht aufgeben, obwohl ich im Moment am liebsten an Gedichten weiterarbeiten würde. Zur Zeit stehen jedoch andere Aufgaben im Vordergrund, Im Roman erzählt ein etwa achtjähriges Mädchen, das im Lauf der immer wieder durch Erinnerungen der Personen, vor allem der Großmutter (in deren „schwarzer Küche“ die Erzählung beginnt), unterbrochenen Geschichte allmählich älter wird, den Heimatort verlässt und in Wien ein Studium beginnt. Dieses Mädchen, das schon sehr früh begreifen muss, dass sich der Tod, körperliches Leid und Demütigungen auch in ihr „eingenistet“ haben, lebt die Biografie der Autorin von den frühen 60er-Jahren bis 1991, als der Krieg in Jugoslawien beginnt, Slowenien sich für unabhängig erklärt. Haderlap selbst war zu dieser Zeit in Ljlubljana und erlebte am Hauptplatz das erste Hissen der neuen slowenischen Nationalflagge. Aus Angst vor der jugoslawischen Volksarmee reiste sie noch am selben Tag nach Österreich zurück. Der von den Kriegserlebnissen schwer traumatisierte Vater „verliert über den drohenden Krieg in Slowenien beinahe den Verstand“. Das Ende des Buchs ist dem qualvollen Tod des Vaters gewidmet. Immer wieder hat sich der Mann, der als Zwölfjähriger von österreichischen Polizisten gefoltert worden ist und den Vater dennoch nicht verraten, sich aber den Partisanen angeschlossen hat, selbst töten wollen. Dann hat ihn die BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: MAX AMANN Lesungen und Interviews, der Literaturbetrieb fordert seinen Tribut.“ In „Engel des Vergessens“ richtet die Kärntner Slowenin den Scheinwerfer auf die Zeit des Widerstands und Kampfs der Kärntner Slowenen gegen die deutsche Wehrmacht. Die Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl, die Maja Haderlap vorgeschlagen hat, meinte in der Laudatio: „Sie hat den Kärntner Parti„Mein schriftstellerisches sanen eine Stimme gegeLeben ist auf den Kopf ben“ und lobte, dass die gestellt worden. Der BachAutorin „bedächtig, mit großer Genauigkeit und mann-Preis hat mich aus dem Literaturnebenraum ins grelle ohne Hass“ beschreibt. Doch „Engel des VergesLicht katapultiert.“ sens“ ist keine Kriegsgeschichte und keine historische Aufarbeitung des Kampfs der Kärntner Slowenen um Freiheit und Gleichberechtigung, sondern viel mehr. Haderlap stützt sich auf die eigene Biografie und die ihrer Familie, siedelt den Roman in ihrem Geburtsort Lepena an, bezieht die Landschaft und die Natur mit ein und geht weit über die verbürgten Tatsachen hinaus. Autobiografisch, historisch und fiktional zugleich, könnte auf die Banderole geschrieben werden, wenn es denn notwendig ist zu kategorisieren. 14-27 buchwelt 06.09.2011 16:42 Uhr Seite 19 B U C H W E LT Großmutter mit rauchenden Weidenruten „geheilt“. Doch die Tochter lebte in ständiger Angst, nicht nur vor den schwarzen Stunden des Vaters, sondern auch vor seinen Wutausbrüchen. Alles Folgen des Kriegs, wofür er als Entschädigung im sogenannten Gedenkjahr 2005 einen Betrag von 5000 Schilling erhielt. Damit will er sich das Gebiss von einem slowenischen Zahnarzt reparieren lassen. Seine Tochter fährt mit ihm und wieder tauchen die Bilder auf, die sich vor 50 Jahren eingeprägt haben. Manchmal sind sie auch der Leserin unerträglich. Darf man das Buch auch als Epitaph für ihren Vater lesen? „In gewisser Weise“ darf das Buch auch als Epitaph auf Maja Haderlaps Vater gelesen werden. Sie habe „viel recherchiert und auch viel imaginiert“, sagt die Autorin und sieht ihr Buch keineswegs als pure Autobiografie: „Das Buch geht, hoffe ich, weit über das Autobiografische hinaus. Natürlich sind die Figuren real, aber ich wollte an ihrem Beispiel eine Geschichte erzählen, die auf etwas Anderes hinweist, die sie in einen größeren Zusammenhang integriert. Das Ich hat im Text auch die Funktion eines Mediums, es erzählt die Geschichten der anderen und hat doch nachvollziehbar mit mir zu tun. Denn nur über dieses Ich konnte ich die Chronologie der Ereignisse darstellen und das Dokumentarische, Historische, das Teil des Texts ist, mit einbeziehen. Die Geschichte der Kärntner Slowenen ist oft Teil der Familiengeschichte und wird auch so weitergegeben. Aber Erinnerung ist harte Arbeit und verlangt von jedem, der ihr nachgeht, Geduld und Kraft.“ Diese Geschichte der Kärntner Slowenen ist so grausam und so blutrünstig, so von Verrat und Gemeinheit gespickt, dass es schwierig ist, sie als literarisches Werk, als Roman ohne Kitsch und Pathos, ohne Übertreibung und Parteinahme zu erzählen. Wenn das erzählende Kind allmählich erwachsen wird und begreift, was die Großmutter erzählt und der Vater bei sich behält, wechselt Haderlap den Stil und thematisiert auch immer wieder, wie heikel es ist, für das Geschehen die richtigen Wörter zu finden. Dann flüchtet sie sich in die Natur. An den Beschreibungen des Waldes, der nicht nur ein Ort ist, wo man jagt, sondern auch einer, wo viele gejagt worden sind, der Wiesen und Teiche und auch des Lebens im Dorf, erkennt man die Lyrikerin. Man kann den Rauch der glosenden Weidenruten riechen und die Apfelmarmelade, „Malada“, schmecken – bittersüß. „War das Schreiben auch therapeutische Arbeit?“, werfe ich vorsichtig ein. Die Antwort kommt prompt und präzise: „Ich glaube, dass jede Autorin, jeder Autor, nachdem er oder sie einen Text abgeschlossen hat, befreit ist. Bei mir stellte sich auch ein Gefühl von Genugtuung ein, aus der Empfindung heraus, einer Pflicht nachgekommen zu sein. Jetzt bin ich frei für Anderes und Neues.“ Wenige Tage nach Erscheinen des Romans ist der jahrzehntelang schwelende „Kärntner Ortstafelstreit“ durch ein Verfassungsgesetz beigelegt worden. Wie sieht Maja Haderlap die Zukunft für die Kärntner Slowenen? „Ich mache mir Sorgen um den Bestand der slowenischen Sprache in Kärnten. Da werden auch die zweisprachigen Ortstafeln wenig daran ändern. Denn eine Sprache kann nur überleben, sich entwickeln, wenn Sie Teil des öffentlichen und medialen Lebens ist. In Kärnten konnte man innerhalb der eigenen vier Wände Slowenisch reden, wann immer man wollte, solange nicht ein Ehepartner oder andere Verwandte etwas dagegen hatten. Der politische Konflikt entzündete sich immer an den Fragen der öffentlichen und gesellschaftlichen Funktion des Slowenischen. Denn das Slowenische war kein selbstverständlicher Bestandteil der öffentlichen Kommunikation im zweisprachigen Gebiet und ist es auch jetzt nicht. Dazu kommt, dass die Slowenen vorwiegend im ländlichen Raum leben und im verstärkten Maße von der Abwanderung sowie von der strukturellen, wirtschaftlichen Verarmung der Randregionen betroffen sind. Sie werden sich als Abgewanderte bald nicht mehr als Gruppe wahrnehmen können, sondern nur noch als Vereinzelte, die ihre Muttersprache in Gegenden mitgenommen haben, wo sie museal wirkt, weil sie niemand mehr benutzt.“ ZUR AUTORIN Maja Haderlap, geb. 1961 in Bad Eisenkappel, lebt in Klagenfurt. Sie studierte Theaterwissenschaften und Deutsche Philologie, war Redakteurin und Herausgeberin der Kärntner slowenischen Literaturzeitschrift mladje, hält Lehraufträge an der AlpenAdria-Universität Klagenfurt und war lange Jahre Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt. Sie schrieb Lyrik, Prosa, Essays und Übersetzungen aus dem Slowenischen ins Deutsche. Diverse Auszeichnungen, u. a. HubertBurda-Preis für Lyrik 2004. |Engel des Vergessens| Wallstein 2011, 288 S., EurD 18,90/EurA 19,50/sFr 27,50 |Gedichte – Pesmi – Poems| Drava 1998, 128 S., EurD/A 34/sFr 58,90 14-27 buchwelt 06.09.2011 16:43 Uhr Seite 20 B U C H W E LT | B U C H M E S S E S P E Z I A L Gekühlte Gefühle Unbeständiges Klima unterhalb des Atlantik-Polarkreises und eine wie mit einem Katapult beschleunigte Umgestaltung zur digitalen Zivilisation haben in Island spezielle Charaktertypen geprägt. Solche Zusammenhänge darzustellen, haben sich Autorinnen und Autoren der Gegenwart in vielen Varianten und Genres der Belletristik zu eigen gemacht. Bei den genannten geografischen und gesellschaftlichen Bedingungen zeigt sich als dominante Thematik, sich mit der Sozialpsychologie der Menschen zu beschäftigen. Einer prinzipiellen Konstante der Mentalität in Island ist Jón Klaman Stefánsson auf der Spur, wenn er vom wortkargen Jens und seinem anonymen jugendlichen Begleiter erzählt. Beide befinden sich, historisch noch abseits der dynamischen Transformation, in archaischer Naturlandschaft auf einem riskanten Marsch durch Schnee, Eis und Sturm, um im Süden der Insel Post in entlegenen Dörfern zuzustellen. Unter dem Druck der extremen Route ergeben sich ungewollt persönliche Gespräche zwischen dem alten Griesgram und dem welt-neugierigen Jungen, die allerdings eine Grenze haben: „Besorgte Frage, beschwichtigende Antwort, isländischer Umgang miteinander in nuce, alle sind wir unfähig, anderen unsere Gefühle offenzulegen – komm meinem Herzen bloß nicht zu nah!“ Wie Zuneigung trotz existenzieller Bedrängnis verkapselt bleiben kann, erscheint im „Schmerz der Engel“ wie eine fatal-überwältigende Tragödie. Obwohl die Menschen offenbar nur gekühlte Gefühle zulassen, gibt es aber keinen Grund zum Pessimismus. Gerade in winterlicher Kälte bricht „Der gute Liebhaber“ aus seinem seelischen Kokon, indem Karl, ein pekuniär saturierter Manager, seine Jugendliebe Una nach 17 Jahren unentschlossenen Wartens in einem spontanen Coup aus ihrem Ehegefängnis in Reykjavik befreit und nach New York entführt. Allerdings 20 Thórarinn Eldjárn Hallgrímur Helgason mit dem Tribut, dass er von einer helfenden Psychiaterin zur schonungslosen Selbstanalyse genötigt wird. Eine Glücksgeschichte mit dezentem Humor, die sich Steinunn Sigurdadóttir ausgedacht hat. Sarkastisch, ja zynisch wird der Humor, wenn „Eine Frau bei 1000°“ wegen hoffnungsloser Krebsdiagnose verbrannt werden will und zuvor noch in einem intensiven Monolog ihr turbulentes Leben bilanziert. Ein ambitionierter Versuch von Hallgrímur Helgason, das Schweigen als „eine der tragenden Säulen isländischer Kultur“ durch eine kritische Revue europäischer Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts zu ersetzen. Denn Schweigen festigt gesellschaftliche Tabus wie Alkohol- und Drogensucht, die wohl erst durch Krankheitserfahrungen bewusst und per Literatur öffentlich werden. Insofern ist der Briefroman „Vorübergehend nicht erreichbar“ zugleich eine berührende Liebesgeschichte über ein Paar auf Entzug und ein ehrliches Therapeutikum, mit dem sich Einar Már Gudmundsson selbst von hochprozentiger Abhängigkeit herausgelöst hat. Was als episches Großformat eine gewisse Aufklärungswucht hat, wird in Erzählungen pointierter. Etwa wenn Thórarinn Eldjárn in seinen ironischen „Geschichten aus Island“ den Deckmantel der Selbstzufriedenheit lüftet, indem er „Die Zauberformel“, nämlich das Pro-Kopf-Prinzip als Maßstab für nationale Rekorde, als Hybris oder die kleinen Schuldgefühle eines Familienvaters beim Fahrradklau als Heuchelei der „glücklichsten Nation unter der Sonne“ entlarvt. Drastischer noch sind „freche junge Autoren“, wie Hallgrímur Hellgason in seinem Vorwort zur Anthologie „Junge Literatur aus Island“ meint. Da ist keine Agrar-Idylle mehr, sondern Regionen wandeln sich durch Binnenmigration zum einsamen „Niemandstal“, eine nostalgische Erinnerung von Gudmundur Óskarsson. Und Audur Jónsdóttir präsentiert in ihrer Erzählung „Die dicke Mutter“ eine Skala destruktiver Emotionen (Ohmacht, Wut, Hass u. a.), um sich über den negativen Einfluss des Fastfood zum Ausgleich von Frustrationen aufzuregen, weil ihre Protagonistin deshalb „ihr dreifaches Idealgewicht“ und die Zerstörung der Familie erreichte. Hinter der Fassade intakter Lebens- wirklichkeit lauern also unheimliche Gefahren, die als Thriller verpackt zum Albtraum werden. Unbemerkt zunächst, wie für Eva. Sie ist eine Künstlerin, die in einem Luxusappartement, das sie während eines Aufenthalts in Reykjavik kostenlos nutzen darf, mit einem perfiden Manipulationssystem von „Frauen“ konfrontiert. Durch eine raffinierte Apparatur gezwungen, sich ihrem vergangenen (Schuldgefühle am Kindbetttod ihrer unehelichen Tochter) und BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTOS: KRISTINN INGVARSSON Aspekte isländischer Lebenswirklichkeit in zeitgenössischer Erzählliteratur, eingefangen von HANSDIETER GRÜNEFELD. Der zweite Teil unseres Beitrags über das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse. 14-27 buchwelt 06.09.2011 16:45 Uhr Seite 21 Steinunn Sigurdardóttir Einar Már Gudmundsson aktuellen Leben (zaudernde Regisseurin) zu stellen, erlebt sie die Möglichkeiten grausamer Macht der neuen ökonomischen Elite, die Steinar Bragi in surrealistischen Szenen beleuchtet. Politisch deutlicher ist Óttar Martin Nordfjörd, denn sein Sujet ist militanter Rassismus. Wobei „Das Sonnenkreuz“, ein Symbol kultureller Identität aus der Wikingerzeit, zur fixen Idee eines Fanatikers wird, Island von Ausländern zu „reinigen“. Während der aufregenden Jagd nach dem Täter brutaler Blutrituale werden sowohl fundiertes Wissen über germanische Mythologie als auch brisanter Inzest zum überraschenden Plot stilistisch virtuos verklammert. Verborgene sexuelle Delinquenzen, ein ebenso bedrückendes wie verdrängtes Sujet, führen erwartungsgemäß an gesellschaftliche „Abgründe“, das ahnt auch der ehemüde Kommissar Sigurdur Óli, als er eine Erpressung aus einem Swingerclub untersucht. Doch darüber hinaus findet er bei seinen Recherchen noch ganz andere Indizien für einen obskuren Mord, nämlich Motive in Zirkeln neureicher Finanzspekulanten. Eine Wendung, wodurch Arnaldur Indridason in seinem exquisiten Krimi die Nähe von spießiger Moral und ökonomischer Potenz kritisiert. Fazit: Um die Diskursfähigkeit gegen das Schweigen über die eigenen Defizite zu mobilisieren und um das Lesepublikum aus emotionaler Reserve zu holen, haben die Autoren in Island sich internationalen Trends angeschlossen, indem sie die Romanform und auch populäre Mischgenres für differenzierte Darstellungen der Lebenswirklichkeit kultivieren. Dabei reflektieren sie in ihren Büchern oft die Tradition der Sagas und andere literarische Referenzen, füllen somit ein Vakuum zur europäischen Moderne. Nicht gekühlte Gefühle sollen länger das Verhalten bestimmen, sondern der kühl engagierte Blick darauf, wie man den Umbruch in Island meistern kann. DIE BÜCHER Steinar Bragi |Frauen. Roman| Übers. v. Kristof Magnusson. Kunstmann 2011, 255 S., EurD 19,90/EurA 20,40/sFr 28,90 Hallgrímur Helgason |Eine Frau bei 1000°| Übers. v. Karl-Ludwig Wetzig. Klett-Cotta 2011, 390 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 27,90 Thórarinn Eldjárn |Die glücklichste Nation unter der Sonne. Geschichten aus Island| Übers. v. Coletta Bürling. Conte 2011, 160 S., EurD 14,90/EurA 15,40 Arnaldur Indridason |Abgründe. Island Krimi| Übers. v. Coletta Bürling. Lübbe 2011, 429 S., EurD 19,99/EurA 20,60/sFr 30,50 Ursula Giger, Jürg Glauser (Hg.) |Niemandstal. Junge Literatur aus Island| Div. Übersetzer. dtv 2011, 288 S., EurD 8,90/ EurA 9,20/sFr 12,90 Einar Már Gudmundsson |Vorübergehend nicht erreichbar. Eine Liebesgeschichte| Übers. v. Angela Schamberger u. Wolfgang Butt. Hanser 2011, 336 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 29,90 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 Óttar Martin Nordfjörd |Das Sonnenkreuz| Übers. v. Richard Kölbl. Aufbau TB 2011, 442 S., EurD 9,99/EurA 10,30/sFr 15,25 Steinunn Sigurdardóttir |Der gute Liebhaber| Übers. v. Coletta Bürling. Rowohlt 2011, 208 S., EurD 17,95/EurA 18,50/sFr 25,90 Jón Kalman Stefánsson |Der Schmerz der Engel| Übers. v. Karl-Ludwig Wetzig. Piper 2011, 343 S., EurD 19,99/EurA 20,60/ sFr 30,50 14-27 buchwelt 07.09.2011 15:52 Uhr Seite 22 B U C H W E LT | B U C H M E S S E S P E Z I A L Lebensnerv des Volkes In der Spätantike und im Mittelalter lebten die Germanen, als Begriff ein Kollektivum für kulturell und ethnisch durchaus heterogene Nationalitäten, mobil (Völkerwanderung) oder verstreut in verschiedenen europäischen Regionen. Kommunikativen Kontakt hatten sie aber offenbar dennoch durch die Verwandtschaft der Sprachen und die gemeinsame Mythologie. Bemerkenswert ist vor allem die altnordische Schöpfungsgeschichte, weil da, ein scheinbares Paradox, nicht nur Ähnlichkeiten zum antiken griechischen Polytheismus, sondern auch Einflüsse aus christlichen Lehren (etwa bei der göttlichen Naturgestaltung) auffallen: Aus vagem Etwas, altnordisch: Ginnungagap, formte sich spontan Leben: der Ur-Riese Ymir saugte seinen Lebenssaft aus der Ur-Kuh Audhumla, die wiederum die erste Kreatur Bur aus salzigen Steinen herausleckte. Deren Nachkommen, die Götter-Brüder Odin, Wili und We erschlugen Ymir und nutzten seinen gigantischen toten Körper als Baumaterial für die Welt: So entstanden gemäß der anonymen Dichtung „Völuspá oder Die Weissagung der Seherin“ in locker assoziierten Szenen Erde, Meer und Himmel. Sowohl vertikal als auch horizontal dreigeteilt, findet die germanische Kosmogonie ihre Ordnung im Weltenbaum Yggdrasill, wo die Götter in Asgard, die Menschen zentral in Midgard und feindliche Dämonen, Riesen und Trolle außen, in Utgard wohnen. (Diese unheimlichen Parallelwelten kann man als Touristenattraktion im Icelandic Wonders Museum Stokksyri besichtigen.) Die Menschen nun sind bei dieser Konstellation in „ein Schicksal eingespurt“, in die Machtkämpfe der Göttersippen um Gut und Böse verwickelt und und mit eigenen Konflikten beschäftigt. Diese „Daseinserfahrungen unzähliger Generationen, die sich zu Bilderfolgen verdichtet haben“ (Arthur Häny) sind von keiner spirituellen Religion, sondern eigentlich von einem materialistisch bedingten Fatalismus bestimmt. Und zwar transnational: Denn viele Motive der „Götter- und Heldenlieder der Edda“, eine Sammlung poetischer Epen, und aus der „Prosa Edda“ des isländischen Gelehrten und Dichters Snorri Sturluson (1178–1241 / beide Texte sind im Codex Regis aus dem Jahr 1325 überliefert), finden sich auch im „Nibelungen-Mythos“ und anderen germanischen Texten, die außerhalb Skandinaviens entstanden sind. Vier große Sagas übersetzten Rudolf Simek und Reinhold Hennig. Sie bieten einen guten Einstieg in die isländische Sagenwelt. Sie wimmeln von Geistern und ungewöhnlichen Gestalten, doch erzählen sie auch auf eigene Art von der Geschichte Islands. Eine Prosa-Übersetzung der Edda bietet die Reclam-Edition von Arnulf Krause, Spezialist für Altnordische Literaturgeschichte in Bonn. Sein Stil ist direkt an verständlicher Syntax orientiert, ändert aber nicht die Strophenformen, sodass Lesegewohnheiten der Gegenwart unterstützt werden. Akribische Kommentare auf jeder Seite erklären das genuin isländische Vokabular. Wesentlich sparsamer verwendet Arthur Häny, Altphilologe und Autor in Zürich, im Anhang aufgelistete Anmerkungen zum Edda-Text der Manesse-Ausgabe. Er nähert sich mit bewusster Berücksichtigung rhythmischer Strukturen einer respektablen Nachdichtung. Den gleichen Prinzipien folgt Arthur Häny bei der Übersetzung der großartigen Prosa-Edda von Snorri Sturluson, eine Kompilation „altgermanischer Traditionen, die er (Snorri) in einer christlichen Epoche dem drohenden Vergessen entreißen“ 22 wollte. Dieses literarische Erbe gehört in Island bis in die Gegenwart zum „Lebensnerv des Volkes“, wie der Nobelpreisträger Halldór Laxness meinte. Ebenso und vielleicht noch intensiver ist die Kenntnis der Sagas verbreitet, also Geschichten der Inselclans, die vor Gewalt- und Eifersuchtsdramen nur so strotzen. Gerade wegen des Pathos, sich im rauen Inselalltag zu behaupten, sind die berühmten Helden aus der Saga-Zeit (930–1030) wie Egil, Gudrun, Grettir, Hühnerthorir und Njàl Identifikationsfiguren geblieben. Eine komplette Neuübersetzung der Originale ist bei S. Fischer erschienen. Im Buch „Der Mordbrand von Örnulfsdalur“ hat Tilman Spreckelsen die fünf oben erwähnten Sagas gewissermaßen als spannende Krimis oder Abenteuergeschichten in moderne Prosa komprimiert. Je eine Rahmenszene von Originalschauplätzen, von Kat Menschik mit expressiven Illustrationen dekoriert, bereitet atmosphärisch auf die folgende Saga vor. Obwohl man bei der Lektüre mittelalterlicher Literatur aus Island mit einer entfernten Epoche konfrontiert ist, hat man nicht das Gefühl, in einem fiktiven Mausoleum zu sein. Denn die Stoffe, die Charaktere und die Episoden der Edda und der Sagas haben, liest man sie als poetisch sublimierte Träume oder Phantasie, einen überraschenden Aktualitätswert als Sozialdramen. Ihre Bedeutung für den „Lebensnerv des Volkes“ ist im Saga-Museum Reykjavik und dem Saga-Zentrum in Hvolsvöller (Süd-Island) präsent. HANS-DIETER GRÜNEFELD Bis heute Identifikationsfiguren: die Helden aus der Saga-Zeit (Illus aus: Der Mordbrand von Ornölfsdalur) DIE BÜCHER Klaus Böldl, Andreas Vollmer, Julia Zernack (Hg.) |Isländersagas| 5 Bde. im Schuber. Diverse Übersetzer. S. Fischer 2011, 2700 S., Subskriptionspreis bis Juni 2012: EurD 98/EurA 100,80/sFr 139 (Die Bände sind auch einzeln erhältlich.) |Die Edda Götter- und Heldenlieder der Germanen| Übers. v. Arthur Häny. Manesse 2009, 592 S., EurD 22,90/EurA 23,60/sFr 35,90 Arnulf Krause (Hg.) |Die Götter- und Heldenlieder der Älteren Edda| Übers. v. Arnulf Krause. Reclam 2011, 455 S., EurD 24,95/EurA 25,70/sFr 35,50 Rudolf Simek, Reinhold Hennig (Hg.) |Sagas aus Island. Von Wikingern, Berserkern und Trollen| Übers. v. Rudolf Simek u. Reinhold Hennig. Reclam 2011, 596 S., EurD 34,95/EurA 36/sFr 46,90 Tilman Spreckelsen |Der Mordbrand von Ornölfsdalur und andere Island Sagas| Ill. v. Kat Menschik. Galiani 2011, 208 S., EurD 24,99/EurA 25,70/sFr 35,90 Snorri Sturluson |Prosa-Edda| Übers. v. Arthur Häny. Manesse 2011, 256 S., EurD 17,95/EurA 18,50/ sFr 27,90 Internetportale zu den Sagas: www.perlan.is (Saga-Museum), www.draugasetrid.is (Islandic Wonders), www.sagenhaftes-island.de, www.literaturhaus.net BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: THE ÁRNI MAGNÚSSON INSTITUTE FOR ICELANDIC STUDIES; ILL: KAT MENSCHIK/AUS „DER MORDBRAND VON ORNÖLFSDALUR UND ANDERE ISLAND SAGAS“/GALIANI Das literarische Erbe der Edda und der Sagas aus Island 14-27 buchwelt 06.09.2011 16:47 Uhr Seite 23 Coco Chanel (5. v. l.) inmitten einer Schar ihrer bezaubernden Models Mythos und Mysterium Legenden, Mythen, Kollaboration: Das Leben von FOTOS: WILLY RIZZO; PATRICK DEMARCHELIER FOR US HARPER’S BAZAAR „Mademoiselle Chanel“ wird neu ausgeleuchtet. Was sie, vielleicht, mit der Gestapo zu tun hatte. Und was die Modewelt aus ihrem Erbe machte. VON ALEXANDER KLUY Coco Chanel. Keine andere Modeschöpferin ist weltweit so bekannt wie die Französin. Über sie, deren Todestag sich heuer im Jänner zum 40. Mal jährte, sind in den letzten zwei Jahrzehnten zahlreiche Bücher geschrieben worden – so manches davon präsentierte, wie auch zwei Kinofilme, nur überschaubar Neues. Es hat den Anschein, dass kein Editionshaus in Deutschland, Österreich oder der Schweiz sich der Chance entschlagen will, sich mit dem Namen des noch heute in der rue Cambon im ersten Pariser Arrondissement, unweit der Place Vendôme, ansässigen Modehauses zu schmücken, denn kaum eines dieser Bücher ist nicht auf Deutsch erschienen. Daher war abzusehen, dass auch die jüngste, schön ausgestattete Biografie der Londoner Modejournalistin Justine Picardie gleich nach Erscheinen der Originalausgabe auf Deutsch vorliegen würde. Doch das Buch der Engländerin, einst für „Vogue“ wie für die seriöse Wochenzeitung „The BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 Als „Inbegriff der Eleganz“ sah die amerikanische Vogue die Modelle der Coco Chanel. Observer“, heute als Modekolumnistin für den „Sunday Telegraph“ tätig, ist eine wohltuende Ausnahme. Denn sprachlich so geschmeidig, scharfsinnig, einfühlsam und erhellend ist selten über die Legendenbildnerin Gabrielle – genannt Coco – Chanel geschrieben worden. Picardie reiste zu den Lebensstationen der 1883 in kleinsten Verhältnissen geborenen Chasnel, so der Familienname auf ihrem Geburtsschein. Nach Saumur, dem kleinen Flecken in der Provinz. Zum Nonnenkloster in der Auvergne, in der Gabrielle mit zwölf Jahren landete und nähen lernte. Zum Gut des ersten wohlhabenden Geliebten, eine Stunde entfernt von Paris. Nach London und Schottland, wo Chanel in der Stadtresidenz und auf dem noblen Landsitz des Duke of Westminster, genannt „Bendor“, des reichsten Engländers seiner Zeit, viele Sommer verbrachte. Zum Pariser Hotel Ritz und zu Chanels Villa La Pausa in Roquebrune an der Côte d’Azur. Mit vielen hat sie gesprochen; vor allem Chanels Nichte, eine Psychoanalytikerin, ist Picardie eine wichtige Hilfe gewesen, um hinter den zahlreichen, von Chanel in Umlauf gebrachten, immer wieder anders erzählten Legenden, Mythen und Schleiern die Persönlichkeitsstruktur Coco Chanels herauszuschälen: die einer 23 14-27 buchwelt 06.09.2011 16:47 Uhr Seite 24 B U C H W E LT Für Coco Chanel beginnt die Modernisierung der Frau im und auf dem Kopf. Karl Lagerfeld führt seit 1983 das Modehaus. Für Cocos Biografie im Steidl Verlag steuerte er flotte Grafiken bei. 24 Zu flüchtig geht Picardie jedoch auf das Kapitel „Chanel und die Kollaboration“ ein. Auch von Chanel in ihren eigenen Worten erhalten wir keine ausreichende Erklärung. Damit hat sich Hal W. Vaughan „Sleeping with the Enemy“. beschäftigt. Der Amerikaner war lange JahVaughan will nachweisen, re im Auswärtigen dass die Modeschöpferin Dienst der USA tätig, ein „dunkles“ Doppelleben als Journalist sowie als Nazi-Agentin führte. nach eigenen Angaben an verdeckten Operationen der CIA beteiligt, heute lebt der 83-Jährige in Paris. Nach seinem letzten Buch über zwölf kaum bekannte USGeheimdienstmitarbeiter, die Anfang der 1940er-Jahre in Nordafrika der Invasion der Alliierten in Südeuropa den Weg gebahnt haben sollen, legt er nun ein Buch über Chanel vor, das Skandal heischend daherkommt und wohl deshalb, gleichzeitig in mehreren Ländern erschienen, ein PRBallyhoo erzeugte. Den Titel der englischen Originalausgabe, „Sleeping with the Enemy“, hat der Hoffmann und Campe Verlag horribel sensationalis-tisch als „Der schwarze Engel. Ein Leben als NaziAgentin“ eingedeutscht. Vaughan will anhand archivalischer Recherchen den ungeheuer ambitionierten, energisch auf Nachweis führen, dass die Modeschöpferin Unabhängigkeit pochenden, jede poten- ein „dunkles“ Doppelleben führte und in ziell Erfolg versprechende Möglichkeit den 1940er-Jahren im besetzten Paris aktiv dynamisch beim Schopf packenden moder- für die Gestapo tätig gewesen sein soll. nen, späterhin spitzzüngig-verbitterten, Recht einfallslos bettet er seine Thesen von Arbeit besessenen Frau. Ihr eigener, auf ein in die stilistisch glanzlos erzählte BioKorsett und jegliche Beengungen verzich- grafie Chanels. tender, flirrend androgyner, sachlicher, dabei Kurios, ja geradezu Atem beraubend ist, auf raffinierte dekorative Accessoires nie dass hier ein Biograf der Couturière am verzichtender Bekleidungsstil wurde zum Werk ist, der sich rein gar nicht für Mode Signum zweier Epochen, des Jazz-Age der interessiert und ganz offensichtlich auch Zwischenkriegsjahre sowie, nach ihrem nichts davon versteht. Chanels Arbeit und Comeback 1954 über den Umweg USA, ihre Kollektionen, die Modeströmungen der 60er-Jahre. Der einzige Makel dieses und Rivalinnen kommen bestenfalls, wenn Zeit- wie Modeströmungen kundig wie- überhaupt, unverstanden am Rande vor. dergebenden, ihr Umfeld und ihre Freun- Viel näher ist Vaughan die schattige Welt de präzis skizzierenden, stilistisch geschmei- der Spione. Selbst wenn es sich um solch Die Fotos auf diesen Seiten sind aus dem Band „Chanel. Ein Name – Ein Stil“. Der französische Designer und Modehistoriker Jérôme Gautier zeichnet darin die unverwechselbare Linie von Coco Chanel nach, die ihrer Zeit stets voraus war. Viele Designer orientieren sich noch heute an ihrem zeitlosen Stil, dem „Kleinen Schwarzen“, den bordierten Tweedjäckchen und ausgestellten Röcken. Gautier stellt der zeitgenössischen Modefotografie das Fotomaterial aus den 1950er-Jahren gegenüber und verdeutlicht so den unmittelbaren Einfluss von Chanel auf die aktuelle Modeszene. Mit glanzvollen Aufnahmen von Karl Lagerfeld, Richard Avedon, David LaChapelle u. a. Jérôme Gautier |Chanel. Ein Name – Ein Stil| Prestel 2011, 304 S., EurD/A 69/sFr 99. Erscheint am 24. Oktober! BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: CONDÉ NAST ARCHIVE/CORBIS/EDWARD STEICHEN; ILL: AUS „COCO CHANEL. IHR LEBEN“/STEIDL/LSD (2) digen Buchs sind die überflüssigen, da mediokren Zeichnungen, die Karl Lagerfeld beisteuerte, der heute die kreativen Geschicke des Hauses Chanel leitet. 14-27 buchwelt 06.09.2011 16:48 Uhr Seite 25 Edition Nautilus raschungsfreies inklusive schiefer suggestiver Unterstellungen, etwa dass Dincklage zeitweilig am Königsee nahe Berchtesgaden lebte, weil bekanntlich auf dem Obersalzberg oberhalb Berchtesgadens Hitler residiert hatte. Zudem ignoriert Vaughan, enthusiasmiert von deutschen Geheimdienstlisten, in denen Chanels Name aufgeführt ist, Gegenargumente, die bei Picardie problemlos nachzulesen sind. Auch leicht greifbare Forschungsliteratur über Frankreich zwischen 1940 und 1950 hat Vaughan nicht abwägend zur Kenntnis genommen. Nimmt man so wie er eine Agentenpetitesse wie Dincklages „Operation Modellhut“, an dessen Erfolg augenscheinlich von Anfang an keiner der Beteiligten glaubte, mit groteskem Vergrößerungsfaktor unter die Lupe, dann starrt man auf einen einzelnen Baum, sieht aber den Wald nicht mehr. Was wenig an Chanels energischem Opportunismus ändert. Von Klaus Harpprecht und dessen Buch über den französischen Filmstar Arletty könnte Vaughan lernen, wie eine liebevoll kritische Monografie zu schreiben ist. Arletty, und das zeigt die aufschlussreiche Darstellung Vaughan besitzt erstaundes seit langem in Südlich wenig Empathie für frankreich lebenden Publidie komplexe widersprüchCoco Chanel gilt bis heute zisten deutlich, war viel liche Mentalität seines bioals einflussreichste Designe- stärker und eindeutiger in grafischen Objekts. Maderin des 20. Jahrhunderts – moiselle Chanel bleibt ihm die Zusammenarbeit mit eine zeitlose Stilikone. fremd, erst recht ihre erraden deutschen Besatzern tische, impulsive, inkonseverstrickt als die dezidiert quente Legenden-, Stimeigensinnige Chanel. mungs- und Meinungsbildung ist für ihn undurchdringlich. Auch die anderen, wichtigeren Lieb- Wie pluralistisch und multidisziplinär, teils haber Boy Capel und „Bendor“ sowie Paul Iribe schreiend bunt und auf schieren Effekt angelegt geraten ihm blass. Dincklage, der angebliche - es mit der Mode nach Chanels Tod weitergeganMeisterspion, dagegen wird episch in Cinemas- gen ist, führen zwei abwechslungsreich und fulcope skizziert und seine mutmaßliche Bedeutung minant illustrierte Modebücher vor. Zugleich wird innerhalb der deutschen „Abwehr“ überhöht. Wie- deutlich, dass das Bezugsfeld der Mode weiter so aber kam ihm dann die Surêté so oft so rasch denn je ist und von Subkultur bis zu artistischer auf die Schliche? Untragbarkeit reicht. Dies und dass heute manVersucht sich Vaughan an atmosphärischen che Models bekannter sind als die Modeschöpfer, Schilderungen, rutscht er nicht selten ab in Über- würde Coco Chanel spitz kommentieren. DIE BÜCHER Markus Brüderlin, Annelies Lütge (Hg.) |Art & Fashion. Zwischen Haut und Kleid| Christof Kerber 2011, 136 S., EurD 38,90/EurA 40/sFr 52,50 Justine Picardie |Coco Chanel. Ihr Leben| Übers. v. Gertraude Krueger u. Dörthe Kaiser. Steidl/LSD 2011, 428 S., EurD 38/EurA 39,10/sFr 54 Coco Chanel, Paul Morand |Die Kunst, Chanel zu sein. Coco Chanel erzählt ihr Leben| Schirmer Graf 2009, 286 S., EurD 19,80/EurA 20,40/ sFr 30,50 Adelheid Rasche (Hg.) |Visions & Fashion. Bilder der Mode 1980-2010| Christof Kerber 2011, 224 S., EurD 39,95/EurA 41,10/sFr 53,90 Klaus Harpprecht |Arletty und ihr deutscher Offizier. Eine Liebe in Zeiten des Krieges| S. Fischer 2011, 448 S., EurD 24,95/EurA 25,70/ sFr 37,90 Hal W. Vaughan |Coco Chanel – Der schwarze Engel. Ein Leben als Nazi-Agentin| Übers. v. Gerlinde Schirmer-Rauwolf u. a. Hoffmann und Campe 2011, 416 S., EurD 22,99/EurA 23,60/sFr 36,90 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 Matthias Wittekindt Schneeschwestern Im Wald von Fleurville wird die sechzehnjährige Geneviève tot aufgefunden. An Verdächtigen herrscht kein Mangel. Der Leser ist gleichzeitig dem Mörder auf der Spur und erlebt hautnah, was geschieht, wenn das fein austarierte Zusammenspiel zwischen Vernunft und Trieb auseinanderbricht. Gebunden mit SU, 256 Seiten, € [D] 14,90 | [A] 15,40 unbekannte und offenkundig erfolglose handelt wie Hans Günther von Dincklage, um den herum das Buch eigentlich angelegt ist. Mittels angeblich von ihm erstmals ausgewerteter Dokumente erhebt Vaughan den Anspruch, dass der dreizehn Jahre jüngere deutsche Militär Dincklage, von 1940 bis 1950 Chanels Geliebter, diese nicht nur manipuliert habe. Sondern dass sie, antisemitisch, wie sie seit ihrer Jugend eingestellt gewesen sein soll – tatsächlich wollte sie die NS-„Arisierungen“ in Frankreich arglistig (aber erfolglos) ausnutzen, um die französisch-jüdische Mehrheitsteilhaberfamilie Wertheimer aus der gemeinsamen Parfumfirma zu drängen –, sich nach der Okkupation Frankreichs auf eine „diabolische“ Kollaboration einließ. Ja dass sie gar geheimdienstliche Arbeit betrieben und eine eventuell Frieden bringende Korrespondenz mit ihrem langjährigen Freund Winston Churchill geführt habe, mittels derer der deutsche Geheimdienst hinter Hitlers Rücken einen Separatfrieden mit Großbritannien einfädeln wollte. Gebunden mit SU, 352 Seiten, € [D] 18,00 | [A] 18,50 Suspense und Geheimnis Patrick Pécherot Boulevard der Irren Im Juni 1940 in Paris einen depressiven Nervenarzt zu überwachen, ist für Nestor Burma nicht gerade ein Traumjob. Die Nazis stehen kurz vor Paris, die Hauptstädter fliehen aus der Stadt und der merkwürdige Selbstmord des Irrenarztes macht die Sache nicht besser ... »Die Atmosphäre! Sie ist es, die an Patrick Pécherot so begeistert …« Gérard Meudal, Le Monde des Livres In jeder guten Buchhandlung Mehr Infos: www.edition-nautilus.de 14-27 buchwelt 07.09.2011 9:20 Uhr Seite 26 B U C H W E LT Krisen, Katastrophen, Kontrollverlust Das Leben des Heinrich von Kleist, beendet vor 200 Jahren. Vier Biografien und anderes, durchgesehen von KONRAD HOLZER. Die Informationen über sein Leben sind nicht umfassend, für viele der Fragen, die gestellt werden, gibt es keine Antworten. Wie geht ein Biograf heutzutage – aus aktuellem Anlass – damit um? Indem er das, was gesichert ist, für seine Überlegungen benützt – und da ergibt sich äußerst Vielfältiges. Jeder der Autoren holt sich aus den spärlichen Quellen Beweismaterial für seine Theorie, oder besser: für seine Anschauung dieses so ganz eigenartigen Lebens. nicht wisse, was die Zukunft bringt. Er fragt, wie ein ehemaliger Soldat zu einem der größten Erneuerer der deutschen Literatur wird, „wo die generativen Kerne sind, aus denen sich seine Kreativität entfaltet“, und weiß, dass er mehr Fragen sammeln wird, als Antworten darauf zu wissen. Er stellt die Frage nach der Homosexualität, er forscht nach, ob Kleist wirklich als Spion gearbeitet hat usw. Und schiebt auch eine Betrachtung über die Unterschiedlichkeit deren Rezeption durch Literaturwissenschaftler und Leser ein: „Lesen hat vor allem emotionelle Beweggründe. Literaturwissenschaftler halten in ihren Analysen Distanz und bemerken nicht mehr, wie Texte sie berühren und welche Erzählmittel dafür verantwortlich sind.“ UNGLÜCKLICH ORGANISIERT UND FAST IMMER IN FIEBERHAFTEM ZUSTAND So sieht Hans Joachim Kreutzer, Professor für Deutsche Philologie, dieses Leben. Kreutzer war Präsident der Heinrich-von-KleistGesellschaft, gründete das Kleist-Jahrbuch und rief den Kleist-Preis wieder ins Leben. Er sieht sich bei der Lebensbeschreibung Kleists „kaum zu lösenden Problemen“ gegenüber. Und reagiert darauf, indem er ganz knapp unter dem Kapitel „Lebensphasen“ die biografischen Daten anführt. Mit 16 Eintritt in die Armee, zwei Jahre stand er im Krieg, vier Jahre tat er Garnisonsdienst. „Kleist wurde ein Kriegsdichter par excellence. Doch über das, was er im Kriege selber gesehen, erlebt hat, lesen wir bei ihm nichts. Die Kriege in seiner Dichtung sind von ihm erdachte.“ So weit Kreutzer über das Ineinanderwirken von Leben und Werk. Dann also Studium, Verlobung, Reisen, Kriegsgefangenschaft. Und schon widmet er sich den „Schreibereien“, geht da vorerst einzeln und recht genau auf die Dramen ein. Kreutzer ist sehr genau im Aufspüren von Quellen. So fand er heraus, dass Goethe, der ja bei der Uraufführung des „Zerbrochenen Krugs“ Regie führte, den Dorfrichter Adam – ganz entgegen späteren Usancen – mit einem Schauspieler besetzte, der, wäre er ein Sänger, dem Fach „Leichter Spieltenor“ angehörte. Fortgesetzt wird mit Kleists publizistischem Wirken und seinem erzählerischen Werk. Um dann noch einmal ein Kapitel „dem 26 letzten Jahr“ zu widmen. Dieser Tod – Mord und Selbstmord oder Doppelselbstmord – ist für Kreutzer nicht leicht zu beschreiben, „geschweige denn zu erklären“. Er überlässt es Rahel Levin, einer Freundin Kleists, emotional darauf zu reagieren. ER BESCHREIBT DAS ENTSETZEN „Von Kleists Werken zu schwärmen, ist leicht, mit seiner Person hat man es schwerer.“ Günter Blamberger ist Professor für Neuere Deutsche Literatur und leitet das Internationale Wissenschaftskolleg „Morphomata“, das Denkbilder des Schöpferischen oder des Todes im interkulturellen Vergleich untersucht. Und unwillkürlich denkt man bei diesen beiden Begriffen an Kleist. BlamDER berger ist zurzeit Präsident der HeinDICHTER rich-von-Kleist-Gesellschaft und SPRICHT Herausgeber des Jahrbuchs. Sein Buch kann man mit Fug und Anna Maria CarRecht als Standardwerk bezeichpi lehrt deutsche nen, so umfassend und ausführLiteratur an der lich – daher manchmal auch Universität in abschweifend – kommt es daher. Venedig, ist So beginnt er mit der von DideAutorin von rot gestellten Denkaufgabe: Gedichten und „Wenn man in einer Kutsche sitzt Romanen, und die Pferde plötzlich durchgeÜbersetzerin hen, in welche Richtung man da sprinund Hergen solle.“ Weil nämlich Kleist – mit seiausgeberin ner Schwester Ulrike unterwegs nach einer Paris – so ein Unglück passierte. neuen Und falsch reagierte, dennoch überlebte. Blamberger weigert sich, die Kleist’sche Biografie von ihrem monströsen Ende her zu schreiben, er will versuchen, sie von den Anfängen, aus den Prägungen der Kindheit zu verstehen. Und – wie er es ausdrückt – „eine präsentische Erzählweise wählen“, das Widersprüchlich, von großer Nachhaltigkeit: heißt: beim Schreiben der Dichter Heinrich von Kleist so zu tun, als ob er BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 14-27 buchwelt 06.09.2011 17:00 Uhr Seite 27 italienischen Ausgabe der Werke Kleists. Sie hat in ihrem Buch einen äußerst gewagten Schritt getan: Sowieso erzählt sie seine Geschichte wahrheitsgetreu – sie beruft sich da auf die Dokumentensammlung von Helmut Sembdner („Heinrich von Kleists Lebensspuren“, Hanser). Aber, sie theatralisiert, das heißt, sie hat die Kleist’sche Sehnsucht nach Kommunikation inszeniert, dialogisiert, dazu die äußeren Umstände dargestellt. Man könnte nach diesem Buch einen Film drehen; sie lässt ihn „mit blitzenden Augen aufspringen“, dann gleich wieder von Verzweiflung gepackt werden „und die Hände vors Gesicht schlagen“. Es kann sein, dass sie von den extremen Situationen in Kleists Erzählungen Farbe angenommen hat, die aber bei der ernsthaften Darstellung des Lebens zu grell, zu bunt, zu aufgesetzt wirkt. ORDNUNGEN WERDEN DURCH LEBHAFTESTE UNRUHE ZERSTÖRT „Er scheint zur Unzeit in die Welt gekommen. Sie braucht ihn nicht.“ Hans-Jürgen Schmelzer war Oberstudienrat, also Mittelschulprofessor. Er meint, dass „verwissenschaftlichte Theorien den Zugang zum Werk verbauen“, daher am Anfang einer guten Lebensdarstellung die Liebe stehen muss und nicht das Wissen. Auch der Titel seiner Biografie scheint ausschließlich Emotionelles anzukündigen: „Deutschlands unglücklichster Dichter“. Aber Schmelzer beschreibt, beginnt natürlich auch beim selbstmörderischen Ende, stützt sich ebenfalls auf die Dokumente von Helmut Sembdner, baut das Werk in die Biografie ein, hat da eigenständige, originelle Ideen und will haben, dass der Michael Kohlhaas wieder in den Kanon der Werke eingegliedert werden soll, die im Deutschunterricht durchgenommen werden. Er holt den Dichter in unsere Zeit, indem er untersucht, wie sich die Nachfolger der Soldatenfamilie Kleist im Nationalsozialismus verhalten haben: einige nämlich waren auf der Seite Hitlers, andere im Widerstand. Auch Peter Michalzik legte eine anschauliche Biografie vor, wobei er für sich auch den Mangel an Quellenmaterial nutzbringend umsetzte. Erst im Oktober erscheint die Arbeit des Redakteurs Adam Soboczynski, der auch über Kleist promovierte. Nachdem man alle, mehrere oder nur eine dieser Biografien gelesen hat, bleibt einem noch, zu einem kleinen gelben Büchlein zu greifen, „Heinrich von Kleist: Sämtliche Erzählungen und andere Prosa“, erschienen in Reclams Universalbibliothek. Möglich wären natürlich auch die „Sämtlichen Werke und Briefe“ in drei Bänden, die im Oktober bei dtv erscheinen werden. Und dann stürzt all das, was diesen Mann ausmachte, ungefiltert auf einen herein. Dem sollte man sich aussetzen. DIE BÜCHER Günter Blamberger |Heinrich von Kleist| S. Fischer 2011, 597 S., EurD 24,95/EurA 25,70/sFr 35,90 Anna Maria Carpi |Kleist. Ein Leben| Übers. v. Ragna Maria Gschwend. Insel 2011, 477 S., EurD 24,90/EurA 25,60/sFr 35,50 Heinrich von Kleist |Sämtliche Werke und Briefe. Münchner Ausgabe: Auf der Grundlage der Brandenburger Ausgabe| Hg. v. Roland Reuß und Peter Staengle. dtv 2011, 2736 S., EurD 58/ EurA 59,70/sFr 77,90 Heinrich von Kleist |Sämtliche Erzählungen und andere Prosa| Reclam 1986, 380 S., EurD 8/ EurA 8,30/sFr 11,90 Hans Joachim Kreutzer |Heinrich von Kleist| C. H. Beck Wissen 2011, 128 S., EurD 8,95/EurA 9,20/ sFr 14,50 Peter Michalzik |Kleist: Dichter, Krieger, Seelensucher| Propyläen 2011, 560 S., EurD 24,99/ EurA 25,70/sFr 34,90 Hans-Jürgen Schmelzer |Heinrich von Kleist. Deutschlands unglücklichster Dichter| Hohenheim 2011, 250 S., EurD 14,90/EurA 15,40/sFr 36 Adam Soboczynski |Kleist. Vom Glück des Untergangs| Luchterhand 2011, 128 S., EurD 14,99/ EurA 15,50/sFr 24,90 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 28_42 marktplatz 06.09.2011 17:04 Uhr Seite 28 AKTUELLES. GUTES ODER SCHLECHTES. Auf alle Fälle Bemerkenswertes finden Sie auf den folgenden Seiten. Mit seinem neuen Roman „Luka und das Lebensfeuer“ schließt Salman Rushdie an sein Buch „Harun und das Meer der Geschichten“ an. Manfred Chobot arbeitete sich durch neun Ebenen einer märchenhaften Geschichte. Nach einem Zirkusbesuch spricht der zwölfjährige Luka, Sohn des Geschichtenerzählers Raschid, einen Fluch gegen den Zirkusdirektor Captain Aag aus, der seine Tiere miserabel behandelt. Tatsächlich brennt der Zirkus ab. Hund der Bär und Bär der Hund flüchten sich zu Luka und werden seine besten Freunde. Wie alle Tiere in diesem Buch können sie sprechen. Da Raschid in einen todesähnlichen Schlaf verfällt, liegt es an Luka, für ihn das Lebensfeuer zu stehlen – eine scheinbar unlösbare Aufgabe, doch ahnt der Leser bereits, dass er es schaffen wird, lernwillig und vif wie Luka allemal auftritt. Wie bei einem Computerspiel arbeitet sich Luka von einer Ebene zur nächst höheren, sammelt 999 „Leben“, um bei seinen Abenteuern einen entsprechenden Vorrat zur Verfügung zu haben. Im richtigen Augenblick tauchen immer wieder Helfer auf, die ihm zur Seite stehen. Besonders nützlich erweist sich die Insultana Soraya, die den fliegenden Teppich König Salomons besitzt. Nachdem Luka ihr den klugen Rat gegeben hatte, als Waffen gegen ihre Feinde, die „Ratten des Respektorats“, anstatt Betelsaft, Eier und vergammeltes Gemüse besser Juckpulverbomben einzusetzen, steht sie voll an seiner Seite. Mit dabei ist ständig Nobodaddy, der gläsern aussieht und einen Panamahut trägt. Je 28 Wahrheit sein.“ Für einen Zwölfjährigen eine beachtliche Denkleistung. Und Nobodaddy doziert: „Unter allen Jungen solltest gerade du wissen, dass der Mensch ein Geschichten erzählendes Wesen ist, das allein in Geschichten seine Identität findet, seinen Lebenssinn, das Lebensblut. Erzählen Ratten Geschichten? Kennt der kleine Zeck einen narrativen Zweck? Ele-fantasieren Elefanten? Im Menschen allein brennt das Verlangen nach Büchern.“ Ob auch nach diesem Buch? Jedenfalls weiß ich jetzt, dass außerhalb der Kármán-Linie in 100 Kilometern Höhe das All beginnt. „Um den Berg des Wissens erklimmen zu können, musst du wissen, wer du bist“, hatte Raschid Khalifa seinem Sohn Luka mit auf den (Lebens-)Weg gegeben. PERSONEN-TEILE ad absurdum geführt. In der Geschichte „Lisa und Elias und ich“ sind alle Handlungen gleich plausibel. Lisa hat manchmal recht und manchmal nicht. Ausweg aus dem Nullsummenspiel der Erkenntnis bilden höchstens ausgesprochene Trivialitäten. In der Sequenz „Rechts und links“ wälzt sich ein Paar synchron durch die ganze Nacht und sieht naturgemäß alles doppelt. Wir drehen links, wir drehen rechts, heißt es den ganzen Text hindurch. Kann sein, dass es sich bei diesem Paar um Milchsäuren handelt. Nadja Spiegel erzählt trocken von den Wahrscheinlichkeiten, den Porträts eines doppelten Ichs, vom Hunger eines Kleinkinds auf Befehl und von Schwesternmotiven, worin Veränderungen zum Konkurrenzkampf der beteiligten Personen-Teile werden. HS Nadja Spiegel stellt in ihren zwanzig Erzählungen jeweils Heldinnen vor, die sich in zwiespältigen Situationen lapidar zu wehren wissen. Die Situationen gleichen oft einem Münzwurf, bei dem Kopf oder Zahl, Lüge oder Wahrheit, Sein oder Nichtsein gleich wahrscheinlich auftreten. In der Eingangserzählung spaltet sich eine junge Frau in zwei Metas auf, die nur durch das Geigenspiel voneinander zu unterscheiden sind. Die eine Meta kommt aus der Ukraine, die andere heißt vielleicht Anna und trinkt zu viel Bier. Das ständige Wechseln zwischen den Meta-Bildern lässt schließlich eine Figur entstehen, die nur manchmal eindeutig ist. Aber nicht nur im künstlerischen oder theatralischen Sujet ist die Identitätsspaltung State of the Art, auch in trivialen Situationen tritt oft ein anderes Ich auf und stellt beinahe mathematische Übungen an. In diesem Zusammenhang werden feste Regeln FAZIT Im Galopp durch Mythen und Märchen bis zur 9. Ebene geleitet Salman Rushdie seine Leserschaft. Salman Rushdie |Luka und das Lebensfeuer| Übers. v. Bernhard Robben. Rowohlt 2011, 268 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 30,50 Fazit: Frech, schön verlogen, wahrscheinlich oder nicht. Nadja Spiegel |manchmal lüge ich und manchmal nicht| Skarabaeus 2011, 256 S., EurD/A 16,90/sFr 28,50 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: BEOWULF SHEEHAN-PEN AMERICAN CENTER DAS VERLANGEN NACH LEBEN UND BÜCHERN schlechter es Lukas Vater geht, desto stabiler wird Nobodaddy. Dass er Luka belügt, ist ohnedies gleich klar. Weniger klar ist, ob das Buch für Kinder oder erwachsene Kinder geschrieben wurde. Neben Wissensbergen gibt es den Zeitfluss und den Zeitstrudel, aber auch Radar und Geschichtenströme. Rushdie bedient sich aus dem Fundus des Götterpantheons, vom nordischen Odin zu den Azteken und Inkas, mit dabei sind griechische, römische, indische, japanische, chinesische und polynesische Gottheiten, „als sei das Herz der Magie eine Art Altersheim für gestrandete Superhelden“. Der Leser begreift die Kritik an den Religionen, doch erscheint der „mythologische Vergnügungspark“ überstrapaziert. Die gigantischen Feuerringe, wo das Lebensfeuer lagert, „bilden eine unpassierbare Dreifachsperre“ und sehen aus wie Doughnuts. Ist zwar gut vorstellbar, allerdings eher „unmagisch“. „Schließe das Unmögliche aus, dann muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein – wie unwahrscheinlich sie auch klingt.“ Daraus folgerte Luka: „Dann muss das Unmögliche die 28_42 marktplatz 06.09.2011 17:05 Uhr Seite 29 DIE FRAU IM HINTERGRUND Die Idee, einen Roman über eine Gattin zu schreiben, um damit besseren Einblick in das Leben eines Schriftstellers zu geben, ist keine neue. Der Franzose Gilles Leroy legte etwa den Roman „Alabama Song“ vor wenigen Jahren vor, in dem er die Ehe – und das fulminante Leben – der Fitzgeralds aus Sicht der Gattin Zelda erzählt. Nun, im Ernest-Hemingway-Jahr (im Juli war sein 50. Todestag), präsentiert Paula McLain ihren Roman „Madame Hemingway“. Es ist eine berührende Geschichte, die Hemingways erste Ehefrau Hadley Richardson zur Protagonistin hat. Sie lernt Hemingway auf einer Party in Chicago kennen, als dieser gerade einundzwanzig Jahre alt ist. Sie selbst ist sieben Jahre älter und hat eine schwierige Zeit hinter sich: Hadley hatte die kranke Mutter gepflegt und ihr eigenes Leben in den Hintergrund gestellt. Nach der Bekanntschaft mit Hemingway scheint das Leben wieder Sinn zu machen. („Ich sah etwas Neues. Den Funken einer Möglichkeit.“) Die beiden heiraten, ziehen nach Paris, sie gebärt ihm einen Sohn, Bumby. Im Originaltitel heißt das Buch „The Paris Wife“. Treffender könnte der Titel nicht sein. Denn Richardsons und Hemingways gemeinsame Zeit spielt sich (hauptsächlich) im Paris GALAKTISCHE EMPFÄNGNIS 1999, McCarten war eben 30 geworden, erschien „Spinners“, die unglaubliche Geschichte der 16-jährigen Delia, die behauptet, ein Kind von einem Außerirdischen zu erwarten. Der Durchbruch gelang ihm aber erst mit dem zweiten Roman. „Der englische Harem“, der 2008 (sieben Jahre nach dem Erscheinen in Australien) endlich auch ins Deutsche übersetzt wurde. Davor war aber schon McCartens dritter Roman „Superhero“ bei Diogenes erschienen. Beide Romane kamen beim Publikum so gut an, dass der Verlag nun auch sein Erstlingswerk übersetzen ließ. „Spinners“ wurde zu „Liebe am Ende der Welt“. Am Ende der Welt scheint die neuseeländische Kleinstadt Opunake tatsächlich zu liegen. Im Zentrum steht Borthwicks Fleischfabrik, in der im Sommer auch die Schülerinnen am Fließband arbeiten. Eine von ihnen ist unverhofft in ein Märchen eingetaucht. „Es war am Samstagabend, nach der Arbeit, aber noch bevor der Pub zumachte, dass Delia Chapman einen Außerirdischen sah. Na ja, genau genommen stimmt das nicht ganz – es waren zehn Außerirdische.“ BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 der 20er-Jahre ab. Sie wird als Pariser Ehefrau bekannt, gefolgt von einer Key-WestWife Pauline Pfeiffer und der spanischen Bürgerkriegs-Gattin Martha Gellhorn. (Gellhorns Erzählungen „Reisen mit mir und einem anderen. Fünf Höllenfahrten“ sind soeben im Dörlemann-Verlag erschienen.) Während Hemingway in Paris schreibt und im Salon der Gertrude Stein ein- und ausgeht, ordnet Hadley sich unter. Sie ist eine einfache Frau, die an die Ehe glaubt und so gar nicht nach Paris passt, wo gefeiert, geflirtet und getrunken wird. Paula McLain hat der Geschichte viel Platz gegeben. 456 Seiten hat das Buch, ein paar weniger Ausschweifungen hätten es zu einem noch besseren gemacht. Interessant ist vor allem die empfindsame Seite Hemingways, die die Autorin beschreibt. War er doch sonst als Macho und Grobian bekannt. Leider sind die Dialoge etwas sperrig. Das mag aber auch an der Übersetzung liegen. EMILY WALTON FAZIT Paris in den Zwanzigern: Die berührende Geschichte der Hadley Richardson – Ernest Hemingways erste Ehefrau. Paula McLain |Madame Hemingway| Übers. v. Yasemin Dincer. Aufbau 2011, 456 S., EurD 19,99/EurA 20,60/sFr 28,90 So beginnt Anthony McCartens Debütroman, und ihn zu lesen, ist pures Vergnügen. McCarten kann erzählen und beobachten. Das Kleinstadtleben, die eingebildeten Sorgen und echten Probleme der weiblichen Teenager, die Aufregung, die durch Delias Bericht hervorgerufen wird und bald über die Grenzen Opunakes hinausgeht, das alles amüsiert, auch wenn der junge Autor sich brav an Stereotypen und Klischees hält. Kleinstädte mit ihrer Enge und den Tratschereien, den Eifersüchteleien und Intrigen sind offensichtlich auf der ganzen Welt ziemlich ähnlich. Opunake ist eine echte Stadt, bei der Volkszählung von 2006 wurden 1368 Bewohner gezählt. Bis alle Lügen aufgeklärt, alle Geheimnisse gelüftet, alle Rätsel gelöst sind, dauert es eine ganze Weile. Am Ende, das darf verraten werden, wird ein Baby geboren. Woher es kommt, ist keine Frage, denn kommt nicht jedes neue Menschenwesen aus einer fernen Galaxie? DITTA RUDLE FAZIT Ein vergnügliches Erstlingswerk, das den späteren Erfolg des Autors bereits ahnen lässt. Anthony McCarten |Liebe am Ende der Welt| Übers. v. Manfred Allié. Diogenes 2011, 360 S., EurD 22,90/EurA 23,60/sFr 38,90 Treffpunkt Bibliothek 17.–23. Oktober 2011 ! e i S f u a n e t r wa r e h c ü B n e en d n e s u 50 Million a t n o ev n i e e i S n e h Besuc ! n e g n u t l a t s n Literaturvera ichliest.at/kalender re www.oester Eine Aktion des Büchereiverbandes Österreichs mit Partnern buchkultur.indd 1 31.08.11 13:19 28_42 marktplatz 06.09.2011 17:05 Uhr Seite 31 Christian Einmal noch begehrte der Alte auf. Einmal noch beließ der portugiesische Literaturnobelpreisträger es nicht nur bei Ironie und Spott. Einmal noch ließ Saramago seinem Zorn gegen Gott freien Lauf. Nun also sein letzter Roman: Kain, der Widersacher des alttestamentarischen Gottes, ist sein Titelheld. Er beginnt bei Adam und Eva, in der Stimmung, die man aus seinen letzten Geschichten kennt: sanft ironisch, weise lächelnd. Die beiden werden auch bei Saramago aus dem Paradies vertrieben, doch der Wache haltende Cherub lässt sich von Eva zu gewissen Hilfsdiensten verleiten, Adam und Eva sind dann auch nicht die einzigen Menschen auf der Erde. Der Tonfall ändert sich bald, und zwar mit dem Opfer der Brüder Kain und Abel. Der Dichter stellt die Frage, die bis jetzt niemand hat beantworten können: Warum hat Gott das Opfer Kains abgelehnt? Es kommt auch in diesem Roman, wie es kommen muss: Kain tötet Abel und wird von Gott dazu verurteilt, unstet auf der Erde umherzuirren. Vorher aber rechtet Kain mit Gott, wie es so nicht in der Bibel steht: „Ich habe Abel getötet, weil ich dich nicht töten konnte, doch meiner Absicht nach bist du tot. Ich verstehe, was du sagen willst, aber Göttern ist der Tod verwehrt.“ Kain WUCHERNDE GESCHICHTEN Mit Venushaar wird eine Farn-Art bezeichnet, die aus allen Fugen üppig herauswuchern kann. Ähnlich funktioniert das Erzähl-Konzept von Michail Schischkin, aus allen Poren der Mythologie, Zeit- und Weltgeschichte wuchern Geschichten hervor. Lose von der Figur eines Dolmetschers begleitet, stürmen die wildesten Textsorten auf den Leser ein. Zu Beginn scheint es noch ein ziemlich fassbares Einstiegsloch in das amorphe Textsystem zu geben. Ein Dolmetscher, der neben einem Himmelspförtner Marke Petrus sitzt, übersetzt sinnlose Fragen und Antworten, wie sie bei einem Asylverfahren gestellt werden. Bei dieser Gelegenheit erzählen die Delinquenten absurde Geschichten aus fernen Ländern und Kulturkreisen, bedrückende Sequenzen aus dem Lagerleben am Rande jeglicher Zivilisation. Alle Fragen, die zu diesen Fällen gestellt werden, wirken in ihrem Bürokratie-glatten Humanismus zynisch. Das konkrete Frage-Antwort-Spiel einer behördlichen Vernehmung löst sich bald einmal auf in Mythen, zeitgeschichtliche Einschübe, Erinnerungen, Folterberichte und Ehe-Störungen. Dabei kommen so BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 bekommt also sein Zeichen und wandert von da an über die Erde, aber nach dem Willen Saramagos bewegt er sich auch in der Zeit vor und zurück: Er hindert Abraham daran, Isaak zu opfern, er kämpft vor Jericho, er wundert sich über den Turmbau zu Babel, ist mit den Engeln in Sodom, hört die Klagen Hiobs und landet am atemberaubenden Ende in der Arche bei Noah. Jede dieser Geschichten hat eine eigene Stimmung, manchmal verlässt den Dichter der Witz und er geifert nur mehr – das sind die blasphemischen Stellen, mit denen er in Spanien und Portugal noch einmal Aufsehen erregte. Dann aber wieder äußert er sich ironisch über die literarische Qualität der alttestamentarischen Flüche und Verwünschungen und erzeugt Heiterkeit damit, Engel bei der Arbeit zu beobachten. Zwischen all das streut er eine Prise Erotik, dazu dient ihm seine Variation der Lilith. Einmal ergreift er auch selbst als Erzähler das Wort: „Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte ihrer Uneinigkeiten mit Gott, weder versteht er uns, noch verstehen wir ihn.“ Mähr Foto: © www.corn.at / Deuticke GROLL GEGEN GOTT KONRAD HOLZER FAZIT Saramago erzählt mit all seinem Können von Kain, mit aller Ironie, allem Humor, aber auch aller Wut, zu der er fähig war. José Saramago |Kain| Übers. v. Karin von Schweder-Schreiner. Hoffmann und Campe 2011, 208 S., EurD 19,99/EurA 20,60/sFr 32,90 gut wie alle erdenklichen Textsorten zum Einsatz. Groteske Situationen, wenn sich etwa ein Gefangener mit einer Zeitung gegen die Explosion einer Handgranate schützen will, lösen sich mit seltsamen Lebensweisheiten ab. Einmal wird der Leser geradezu aufgefordert, die kommenden Seiten zu überblättern, auf denen die Namen von im Feuer Umgekommenen in voller Länge aufgezählt sind. Das knapp zwanzig Seiten dicke Glossar strotzt vor russischer Literatur- und Zeitgeschichte, ist aufgefüllt mit Schlachten der Weltgeschichte und griechischer Mythologie und hat ab und zu ein verrücktes Zitat auf Vorrat. Etwa Alexander Blok am 5. April 1912: „Untergang der Titanic, hat mich gestern unsagbar gefreut. (Es gibt ihn noch, den Ozean!) Maßlos öde und schwer.“ Venushaar ist ein Jahrhundertbuch; es erstreckt sich über Themen des letzten Jahrhunderts, verwendet alle gängigen ErzählModelle und hat schließlich etwas von der einladenden Strenge einer „Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss. HS FAZIT Solche Bücher können wahrlich den Geisteszustand einer Gesellschaft verändern! Michail Schischkin |Venushaar| Übers. v. Andreas Tretner. DVA 2011, 554 S., EurD 24,99/EurA 25,70/sFr 35,50 31 Auch als -book erhältlich »Absurd und abgefeimt wie ein Qualtinger-Text und ein herrlich böses Lesevergnügen.« Wolfgang A. Niemann, Rheinischer Merkur 320 Seiten. Gebunden. € 18,40 [A] www.deuticke.at 28_42 marktplatz 06.09.2011 17:08 Uhr Seite 32 HERZEN AUS HEIDELBERG SCHICHTEN DER ERINNERUNG Vor zehn Jahren wurde die „Frau Ava Gesellschaft für Literatur“ gegründet, die heuer zum fünften Mal den „Frau Ava Literaturpreis“ vergab, für einen Text, „der sich auf neuartige und innovative Weise in Sprache und Form mit Themen im Spannungsfeld von Spiritualität, Religion und Politik auseinandersetzt und sich an erwachsene und/oder junge Leserinnen und Leser wendet“. Dieser Text ist der Roman „Wimpern aus Gras“ der Heidelberger Autorin Ruth Johanna Benrath. Es geht darin um eine Mädchenfreundschaft, die irgendwann einmal zwischen Anna und Rena sehr eng war und dann aber auseinanderbricht: Anna ist in die Welt hinausgezogen, hat geheiratet und ist bald darauf gestorben. Rena, die in Heidelberg Zurückgebliebene, versucht jetzt mehr über das Leben ihrer Freundin zu erfahren. Die Autorin hält nichts vom chronologischen Erzählen, setzt Szenen aus den diversen Vergangenheiten und Gegenwarten nebeneinander und unterbricht den Erzählfluss noch einmal mit englischsprachigen Einsprengseln. Diese formalen Brüche kontrastieren sehr stark mit der Handlung, die wie aus längst vergangenen Tagen daherkommt. Die beiden Mädchen sind sehr dünnhäutig, können sich aber andrerseits ganz und gar nicht in jemand anderen hineindenken. (Daran scheitert ja letztlich auch ihre Beziehung, daran leidet Anna noch sehr viel mehr als Rena.) Man muss ihnen schon sehr gewogen sein, um ihnen ihre Eigenheiten durchgehen zu lassen. Aber vielleicht denkt sich eine junge Frau, die zum ersten Mal mit einem Mann ins Bett geht, wirklich: „Ich bin nackt wie ein Kind.“ Ja, die Religion: Anna versucht immer dort, wo sie fremd ist, in Kirchen Heimat zu finden, so wie sie das in ihrer Kindheit und frühen Jugend gewöhnt war. Nach San Clemente in Rom geht sie immer und immer wieder, um dort das Apsismosaik zu betrachten. Halt finden beide jungen Frauen auch in der Literatur, bei Ingeborg Bachmann, weniger bei Emily Dickinson. Letztlich ist es sehr schwer, eine Erzählung, die so auf ein bestimmtes Publikum ausgerichtet ist, adäquat zu beurteilen, wenn man nicht zum auserwählten Leserkreis gehört. Das ist aber bei den Romanen um alte Männer genauso. Die Jury schloss ihre Begründung: „Der Roman präsentiert sich als das reife Ergebnis eines wohldurchdachten Arbeitsprozesses.“ KONRAD HOLZER Mit „Stillbach“ legt Sabine Gruber einen starken Roman vor. FAZIT: Ein sehr empfindungsreiches Buch, in dem dünnhäutige junge Frauen aneinander und an ihrer Umwelt scheitern. Ruth Johanna Benrath |Wimpern aus Gras| Suhrkamp nova 2011, 218 S., EurD 13,95/EurA 14,40/sFr 20,50 32 Clara, eine nicht mehr ganz junge, in Wien lebende Südtirolerin, wird durch einen Hilferuf aus ihrer Heimatgemeinde Stillbach – einem fiktiven Ort irgendwo im Vintschgau – aus ihrer Arbeit an einem Buch über große Liebespaare in Venedig gerissen. Sie soll in Rom die Verlassenschaft ihrer dort plötzlich verstorbenen Kollegin und Jugendfreundin sichten und ordnen. Dabei stößt sie auf umfangreiche Aufzeichnungen, deren Hauptbestandteil Erinnerungen dieser Ines während eines Ferialjobs in einem kleinen römischen Hotel 1978 darstellen. Durch Begegnungen mit noch lebenden Protagonisten des scheinbar so authentischen Konvoluts wird deutlich, wie sehr jeder Versuch eines Erinnerns – sei es an kollektiv Öffentliches, sei es an Privatestes – aus dem subjektiven Blickwinkel des jeweiligen Betrachters geschieht. Die neben Ines zentrale Figur dieses Erzählkorpus (er macht mehr als die Hälfte des Buchs aus), eine in den späten 20er-Jahren als Magd in das gleiche Hotel gelangte Stillbacherin, durch Heirat nun zur Besitzerin geworden, kann in ihrer Altersdemenz dem über sie Erinnerten nicht mehr viel entgegensetzen. Umso aktiver bemüht sich ihr Sohn, der niedergeschriebenen Version seiner Familiengeschichte seine Vision gegenüberzustellen. Und auch ein österreichischer Historiker, im Text als junger Student eher eine Randfigur, bemüht sich um Retuschen in aufklärerischer Absicht. Sabine Gruber, geboren 1964 in Meran, studierte Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft. So beginnt ihr Portrait im Klappentext, der dann einen kursorischen Überblick ihres bisherigen Werks (Romane, Hörspiele, Lyrik) gibt, das überdies Essays und herausgeberische Arbeit umfasst. All dies schlägt sich im Aufbau des vorliegenden Romans deutlich nieder. Drei Zeitebenen werden da geschichtet: eineinhalb Jahrzehnte des italienischen Faschismus, die 70er-Jahre, in denen die brigate rosse das Land in Aufgeregtheit und Stillstand zugleich versetzten, und ein heutiger Horizont, ein prägnant skizziertes Italien der Berlusconi-Ära. In der Gegenwart schichtweise abgelagerte Erinnerungen: Politologin und Historikerin ergänzen einander da unter der Federführung einer einfühlsamen Schriftstellerin. Politische Tendenz der Akteure/Betrach- FOTO: KARL-HEINZ STRÖHLE M A R K T P L AT Z Sabine Gruber, glaubhaft, mitfühlend – und authentisch ter, ihre soziale, geografische und ethnische Herkunft lassen ein jeweils anderes Bild einer Geschichte entstehen, deren objektive Fakten jedoch detailreich dargelegt werden: Arbeitsimmigration in den Süden, Konkurrenzfaschismus, Verweigerung jedes Versuchs einer Vergangenheitsbewältigung seien als Beispiele genannt. Von besonderem Interesse dabei ist auch eine behutsame Einführung einer gewissen Genderperspektive, die Anklänge einer weiblichen oral history der (männlichen?) offiziellen Geschichtsschreibung gegenüberstellt. Wenn man Inhalt, Interessenslage und Aufbau so resümiert, kann der Verdacht eines überfrachteten, allzu ehrgeizigen Entwurfs entstehen. Das ist aber das eigentliche Wunder dieses Buchs: Trotz aller seiner Konzeptionalität und Selbstreflexion leben seine Figuren von allem Anfang an, sind glaubhaft und mitfühlend gestaltet – ihre Interaktionen sind menschlich und plausibel, ja sogar einzelne Landschaften erhalten durch den Blick auf ihre Geschichte Farbe und Umriss. Diese Authentizität kommt sicherlich auch daher, dass Sabine Gruber sehr nahe an ihrem Leben schreibt. Ist sie doch selber Herausgeberin einer jung verstorbenen Südtiroler Schriftstellerin und trägt auch mit „Stillbach“ dazu bei, dass Anita Pichler nicht zu schnell vergessen wird. (Dies hätte sich allerdings aus Biografie und Lektüre auch ohne expliziten Selbstverweis erschlossen. Das Auftauchen der Figur des Autors/der Autorin sollte nicht zur Mode THOMAS LEITNER werden ...) FAZIT Ein komplexes Konzept, das durch stilistische Sicherheit zu literarischem Leben erweckt wird. Sabine Gruber |Stillbach oder Die Sehnsucht| Beck 2011, 379 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 30,50 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 28_42 marktplatz 06.09.2011 17:07 Uhr Seite 33 KURZ UND EINPRÄGSAM Ein Mann begrüßt seine Nachbarin jeden Mittwoch mit dem immer gleichen Satz: „Bissel Ljebe wär nett, göll.“ Und die treue Lucie geht Woche für Woche zum Markt, um dem Nachbarn Leber zu kaufen, der sie nie kocht, sondern nur einfriert. Weil er in Wahrheit nicht Hunger hat, sondern bloß einsam ist. Es sind Geschichten wie diese, die Kathrin Schmidt erzählt. „Finito. Schwamm drüber“ ist der erste Erzählband der Autorin, die 2009 für ihren Roman „Du stirbst nicht“ mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde und davor eher der Lyrik zuzuordnen war. In ihrem aktuellen Werk verwebt Schmidt poetische Sprache zu Prosa. Es sind Texte, die Titel wie „Laubers Lachen“, „Königsberger Klops“ oder „Norwegische Formel“ haben und meist nur wenige Seiten lang sind. Mit dem Zusatz „Erzählungen“ hat der Verlag ein wenig geschummelt: Wenn sich 31 Texte auf 237 Seiten ausgehen, sind es eher Kurzgeschichten. Aber die Bezeichnung ändert an der Qualität und Sogkraft der Texte nichts. Viel eher ist es so, dass Schmidt gerade durch diese kurze Form und die Verknappung überzeugen kann. Die Sätze sind kurz, nur mit dem Nötigsten gefüllt. REISE NACH LJUBLJANA Anthologien erzählen über die einzelnen Texte hinaus immer auch von einer Idee, die mit diesen Bausteinen verwirklicht wird. „Reise nach Ljubljana“ versammelt Texte jener österreichischen Autorinnen und Autoren, die ständig unterwegs sind und beispielsweise auf einen Sprung oder ein Projekt in Laibach vorbeischauen, wo die Literatur gerade eine Blüte erlebt. Die ausgewählten Reise-Literaten gehen nicht nur mit den Texten durchaus an ihre Grenzen, sie verfassen kompakte Texte, die sich jederzeit an jedem Ort auspacken und vorführen lassen. Aus Tiroler Sicht ist vor allem Markus Köhle zu nennen, der mit seinem Thomas-Bernhard-Stück unter einem Kastanienbaum jede Grenze von Ehrfurcht überschreitet. Thomas und Bernhard haben sich ein Spiel ausgedacht, bei dem sie vor allem eines können: saufen. Denn der Verlierer (oder der Gewinner) muss jeweils ein oder zwei Stamperln trinken. Stefan Abermann geht in „Kokon“ einem strengen Geruch nach. Irgendwie ist jemand unbemerkt in einer Wohnung verstorben und hat nichts außer seinem Geruch hinterlassen. Jetzt rätselt man vor allem, wie so etwas möglich ist und ob vielleicht die Philosophie des Cokoonings dahintersteckt. Wer ist drinnen, BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 Entstanden sind die Texte in den vergangenen 15 Jahren. Stilbrüche merkt man dabei aber nicht. In einer so langen Zeit lässt sich eine ganze Bandbreite an Themen abhandeln. Trauriges, Witziges, Böses, Groteskes und Derbes gibt es. Die Geschichten siedelt Schmidt meist in Ostdeutschland an. Grau ist die Umgebung. Es geht um Menschen, die Sinn und Halt suchen, weil sie den Boden verloren haben: Manche sind arbeitslos, andere einsam oder entwurzelt. Oft sind die Protagonistinnen Frauen um die vierzig, die Liebe suchen und Sehnsucht haben. Was sonst treibt eine Frau dazu, einen vietnamesischen Lover zu (er-)finden? Eine andere Heldin strickt ihrem Mann einen Ganzkörper-Strampelanzug, um ihn dann beim Vorspiel aufzutrennen und Erregung zu spüren. Sexualität spielt in vielen Texten eine Rolle. Ekel und auch Missbrauch kommen in manchen der drastischeren Texte vor. Nicht alle 31 Texte werden dem Leser gefallen. Aber jeder wird die für ihn passenden Geschichten finden. Oder sich zumindest über Sprachspiel, Originalität und sehr einprägende Bilder freuen. EMILY WALTON FAZIT Originelle Kurzgeschichtensammlung. Bizarr und versponnen sind die Texte der genauen Beobachterin Kathrin Schmidt. Kathrin Schmidt |Finito. Schwamm drüber| Kiepenheuer & Witsch, 237 S., EurD 17,95/EurA 18,50/sFr 25,90 wer ist draußen? Wer hat sich eingekapselt, der Tote oder die ignoranten Hinterbliebenen? Die versammelten Geschichten von Stefan Abermann, René Bauer, Nadja Bucher, Milena M Flasar, Yasmine Hafedh, Michael Hammerschmid, Markus Köhle, Jürgen Lagger, Mieze Medusa, Alexander Peer, Michael Stavaric, Otto Tremetzberger und Erwin Uhrmann haben alle einen bemerkenswerten Kern, den man nicht so leicht vergisst. Jürgen Lagger etwa schickt die Jahreszeit ins Out, unter dem Titel Markusplatz brechen die verfaulenden Früchte des letzten Jahres auf, der Lebenssinn verrottet kurzfristig, jemand berichtet, dass am Markusplatz Tauben vergiftet worden sind. Yasmin Hafedh hingegen packt gleich die ganze Welt in einen Koffer, und das drei Mal. Als Trend ist vielleicht auszumachen: das akustisch verspielte und am Slam orientierte Textkomponieren, andererseits das Hinterfragen vordergründiger Wahrnehmungen, schließlich die ironische Durchbrechung erwarteter Textstrukturen. HS FAZIT Ein verschmitzter Einblick in die Literatur der jungen Szene Österreichs. Johann Georg Lughofer (Hg.) |Reise nach Ljubljana. Junge Literatur aus Österreich| Limbus 2011, 221 S., EurD/A 18,90 € 16,- [D] / € 16,50 [A] ISBN 978-3-8270-1004-9 Bücher fürs Handgepäck … … geben jedem, der ein Land kennenlernen will, einen Schlüssel zu dem, was er sieht, hört und erlebt. Jeder Band ca. 224 Seiten Ab € 9.90 / sFr 14.90 Bereits erschienen: Ägypten • Argentinien • Bali • Belgien • China • Emirate Himalaya • Hongkong • Indien • Indonesien • Innerschweiz Island • Japan • Kanada • Kapverden • Kolumbien Kreta • Kuba • London • Malediven • Marokko • Mexiko Myanmar • Norwegen • Patagonien • Provence • Sahara Schweiz • Südafrika • Tessin • Thailand • Toskana Unionsverlag www.unionsverlag.com 28_42 marktplatz 06.09.2011 17:09 Uhr Seite 35 M A R K T P L AT Z DIE FREMDE WELT Als Außenseiter – obwohl er es schon zwei Mal auf die Longlist geschafft hatte – bekam der 68-jährige Howard Jacobson 2010 den Booker-Preis für seinen elften Roman, „The Finkler-Question“. Howard Jacobson ist Jude, und als man ihn fragte, ob er ein englischer Philip Roth sein möchte, antwortete er darauf, dass er lieber eine jüdische Jane Austen wäre. „Die Finkler-Frage“ ist ein durch und durch jüdischer Roman, in der Tradition von Malamud, Bellow und Roth, durchsetzt mit Elementen von Woody Allen. Wobei Jacobsons Humor noch viel sarkastischer ist als der des amerikanischen Filmemachers. Held dieses jüdischen Romans ist ein Versager. Julian Treslove, gescheitert als Mann, Vater und im Beruf, wünscht sich ein neues Leben. Er, der Nicht-Jude, hat zwei jüdische Freunde, und er möchte so gerne sein wie sie: so klug, so wortgewandt, so „voll Grandeur und Tragik“. Dass den beiden an ihrem Judentum gar nicht so besonders viel liegt, stört ihn dabei gar nicht. Der Familienname eines dieser Freunde, des äußerst erfolgreichen Sachbuchautors Samuel Finkler, wird für Julian die Bezeichnung für Juden schlechthin. Samuel, der sich lieber Sam nennt, von seiner Frau, die für ihn zum Judentum übergetreten ist, aber Schmuel genannt wird, ist Mitglied in einem Verein, der BÜHNE AM RAND DES DROHENDEN UNTERGANGS Mit ihrem 1935 erschienenen zweiten Roman „Zum Theater!“ feierte die junge Wiener Schriftstellerin Lili Grün einen großen Erfolg. Sieben Jahre später war sie tot. Ermordet. Im Konzentrationslager Maly Trostinec. Die Autorin erzählt hier, wie auch in ihrem von der Kritik gepriesenen Erstling, zweifellos viel Autobiografisches, dennoch berechtigt diese Tatsache, so verlockend es sein mag, keineswegs dazu, die gekonnte literarisch-künstlerische Gestaltung als nebensächlich zu behandeln. Abgesehen vom Zsolnay Verlag, dem viel an der jungen Erfolgsautorin lag, und den Übersetzungen ins Ungarische und Italienische sowie der positiven Kritik insgesamt, klingt auch der bekannte Romancier Robert Neumann überzeugt: „Um diese Lili Grün ist mir nicht bange. Sie wird ihren Weg machen.“ Tatsächlich ist dem zweiten, leicht und flott geschriebenen Roman aus der Theater- und Operettenwelt nicht anzumerken, unter welch gesundheitlichen und finanziellen Schwierigkeiten er entstand. Allenfalls die Erfahrungen der Protagonistin Loni Holl – erst als Komparsin, BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 sich „Die schamerfüllten Juden“ nennt. Der andere Freund ist ein alter tschechischer Lehrer, der in seiner besten Zeit mit Marilyn Monroe und Ava Gardner zu tun hatte. Beide Freunde sind soeben Witwer geworden, gehen damit aber sehr verschieden um. Alle drei Freunde weinen leicht und viel. „Die Finkler-Frage“ ist also der jüdische Roman dieser Tage. Er ist randvoll mit allem, was auch – und schon wieder – in unserer Zeit Juden angetan wird. Und das nicht nur von Nicht-Juden. Ein enges Netz aus jüdischem Antizionismus, nichtjüdischem Antisemitismus und jüdischem Selbsthass umgibt die handelnden Personen, die dennoch irgendwie versuchen, ihren ganz eigenen, privaten Weg zu gehen. Nicht allen gelingt dies, und auch der Möchtegern-Jude Julian muss in diesem Netz stolpern und sich am Ende eingestehen, dass er sich mehr vorgenommen hat, als er verkraften konnte. Die letzten Szenen des Romans spielen auf einem Friedhof, er endet mit einem Kaddisch, dem Totengebet der Juden. Aber: „die Juden wünschen sich bei einer Beerdigung ein langes Leben, geben ihre Stimme im Angesicht des Todes der Fortdauer des Lebens.“ KONRAD HOLZER FAZIT Ein umfassendes Bild zeitgenössischen jüdischen Lebens. Howard Jacobson |Die Finkler-Frage| Übers. v. Bernhard Robben. DVA 2011, 448 S., EurD 22,99/EurA 23,70/sFr 35,90 später als Ensemblemitglied an einer Provinzbühne – sind autobiografisch. Milieu, Ensemble, Repertoire, Atmosphäre des fiktionalen Mährisch-Niedauer Theaters jedoch sind der Autorin mittels weniger kraftvoller und bildhafter Schilderungen eindrücklich gelungen. Ebenso treffend sind Grüns Charakterisierungen der Ensemblemitglieder und irgendwelcher Nebenfiguren, die häufig bloß in einer Skizze hingeworfen sind. Doch dieser Schein trügt, denn ein einziger Satz Lili Grüns reicht oft, eine ganze Geschichte zu erzählen. 1933 musste Lili Grün Berlin verlassen, doch auch aus ihrer Heimatstadt Wien emigrierte sie via Prag nach Paris. Trotz ihrer wieder aufgeflammten Lungenerkrankung vollendete sie ihren Theaterroman, der 1935 in Zsolnays Züricher Ableger erschien. Ob des tragischen Todes bleibt die Frage, welche Werke der literarischen Welt vorenthalten blieben. SUSANNE ALGE FAZIT Der flotte Ton, das amüsierte, zwischen den Zeilen hervorschimmernde Lächeln lassen die Tragik des wahren Geschehens fast (!) vergessen. Lili Grün |Zum Theater!| Hg. v. Anke Helmberg. Aviva 2011, 216 S., EurD 18/EurA 18,50/sFr 32,40 LYRIK HEUTE Hundertundein Gedichte verspricht Herbert J. Wimmer in seiner Sammlung „Ganze Teile“. Man ist gespannt – und erfreut, denn er hält sein Versprechen. Die meist kurz gehaltenen Texte sind unterschiedlichster Art, Aphoristisches ebenso wie Persönliches, Beobachtungen eines Stadtmenschen; ein paar sympathische Momente der Betroffenheit über den Tod seiner Lebensgefährtin, der Dichterin Elfriede Gerstl; ein langes EssayGedicht, Siegfried J. Schmidt gewidmet, das sich aus zehn Modulen zusammensetzt. Schönes Beispiel: unter dem verfänglichen Titel „urban intim geruchsverkehr“ steht „nachmittags/ im septembersommer/ zwischen vorstadt und zentrum/ riecht die stadt/ wie ein alter lederschuh/ unersetzbar/ bequem“. Lyrisch wie lapidar, sehr schön! Eine Sammlung von 37 Gedichten präsentiert uns Christoph W. Bauer, „mein lieben mein hassen mein mittendrin du“. Im Nachwort stellt der Münchener Altphilologe Niklas Holzberg fest: Titel und Zitat am Anfang zeigen, dass Bauers Gedichtesammlung „im Zeichen des römischen Dichters … Catullus“ steht. Man muss aber kein Catull-Kenner sein, um mit Bauers Gedichten zurechtzukommen. Sein ausschließliches Thema in diesem Band: die Liebe. Von der ersten, zarten Annäherung zum überschäumenden Glück, zum Schmerz bei Trennung und zum Hass. Im Ton oft unkonventionell, stellt er viele starke Momentaufnahmen vor, etwa „wieder drückt der abend die stadt an die wand/ in der präzision eines bilds von canaletto legt/ die maserung eines verfrühten sommers frei“. Ihr Roman „Dinge, die wir heute sagten“ wurde für den Deutschen Buchpreis 2010 nominiert. Jetzt legt Judith Zander, u. a. Absolventin des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig, ihren ersten Lyrikband vor. Der ist sprachlich gewandt geschrieben, wenngleich zu merken ist, dass Zander noch sehr von der Prosa bestärkt scheint. So wäre es angebracht, zu ihren Texten Prosagedicht zu sagen. Was ja nichts Schlechtes bedeutet. Wird Zander sprachlich „experimentell“, klingt das dann doch nach Das-kann-ich-auch. Zu empfehlen ist der Schlussteil des Bands, „vergessen und nachtfrost“ übertitelt. Verstreute Bilder, Momentaufnahmen ohne lauten Ton, umso anrührender. Christoph W. Bauer |mein lieben mein hassen mein mittendrin du| Nachwort Niklas Holzberg. Haymon 2011, 89 S., EurD/A 17,90/sFr 25,90 Herbert J. Wimmer |ganze teile| Klever 2010, 143 S., EurD/A 15,90 Judith Zander |oder tau| dtv Premium 2011, 100 S., EurD 11,90/EurA 12,30/sFr 17,90 35 28_42 marktplatz + 06.09.2011 17:09 Uhr Seite 36 pro & c ontra Die Strand- und Sommertage sind ja bereits vorbei, trotzdem will ich diese kurzweilige Lektüre empfehlen. Für den herbstlichen Regennachmittag. _ Doris Dörrie macht es sich ein wenig zu einfach. Lesevergnügen auf Kosten der Figuren zu bereiten, ist weder fair noch fein. Und auch nicht witzig. Natürlich hat es sie gegeben, ich kann mich selbst daran erinnern: An Sonne, Meer und eine Urlaubsliebe genügen nicht, um glücklich zu machen. jene Zeit, als Kinder noch Zufall gewesen und mitten drin herumwuDas wissen wir alle, doch wenn Doris Dörrie diese Binsenweisheit mit selten. Dabei darf man heute eines nicht vergessen: Zu jenen Zeiten, spitzer Feder ausmalt, dann sollte das für einen Nachmittag recht nette in denen Doris Dörries Roman teilweise angesiedelt ist, gab es ja Unterhaltung ergeben. Dörrie, mit dem scharfen Blick einer Film- und schon unterschiedlichste Gruppen und Grüppchen. Da war bereits die Opernregisseurin ausgestattet, kennt kein Mitleid. Gnadenlos werden ihre gestrenge Maoisten-Formation, daneben das Häuflein von Trotzkis JünFiguren entkleidet und demaskiert, bis sie nackt und leblos im Pool schwimgern, außerdem natürlich die „ächte“ Kape-Fraktion, Wahrer der Wahrmen. Also eine wenigstens, die anderen werden seelisch gemordet. Die heit, plus diverse Nebenströmungen. Plus – nicht vergessen, die große Personen der Handlung: Ingrid, eine Mutter, die barbusig als Hippie Gruppe all derjenigen, die mit dem Sektiererwesen nichts am Hut hat(deshalb muss die Geschichte 1976 beginnen) am Strand von Torremolite, die herumliefen in wahrlich buntem Gewand, ohne Haarschnitt (Männos Schmuck verkauft, und ihre damals und auch später unglückliche ner), mit blankem Busen (Frauen); diese Abteilung, überschlagsmäßig Tochter mit dem originellen Namen Apple; ein Bankangestellter, der „Hippies“ genannt, war wohl die fröhlichste. Auch wenn es nicht immer sich von den Brüsten der Hippiefrau betören lässt und seine Frau betrügt, fröhlich gewesen. Geldmangel, die unterschiedlichsten Schlafplätze, die die einsam mit Söhnchen Tim (das sich später zu Tina wandelt) in der schönsten Sonnenaufgänge – aber hungrig. Naja. Wie das gewesen wunderbaren Villa sitzt; 30 Jahre später erscheint eine andere Deutsche und was daraus auch werden kann, das beschreibt Dörrie in ihrem „Alles (dick natürlich), die unter hispanischen Sonnen den Mann ihrer Träume inklusive“. Dass ein Mädchen Apple heißt, wirkt heute wohl viel gefunden hat, der sich bald als Albtraummacho entpuppt, und eine deutwitziger, als es damals gewesen sein mag, egal, diese Apple ist eine sche Journalistin (Frauenzeitschrift), die für ihren Mann samt neuer NieHauptfigur. Deren (frühes) Leben verfolgen wir ebenso wie ihren Zustand re ein Haus an der Costa del Sol kauft, auf dass er genese. Das tut er (!) an die dreißig Jahre danach. Während ihre Mutter, die Strandköniauch und entdeckt gleichzeitig sein schwules Ich. gin von ehemals, immer noch leicht schwebend durch die Gegend Alle diese Leute interessieren mich überhaupt nicht, weil ich sie auch nicht tanzt, hat sich Apple, schon als Kind etwas schaumgebremst, wenig wirklich kennen lerne. Sie sind nicht lebendig, lediglich Karikaturen, mitgenommen für ein leichteres Leben. Beziehungsstörungen, Erinnegezeichnet ohne Gefühl und Respekt zur Unterhaltung der Pharisäer/innen, rungsfelsen, noch nicht ganz flügge, wie es scheint. die sich an die Brust klopfen: „Göttin, ich danke Ach ja, wie das genau ausschaut mit ihrem gesdir, dass ich nicht so bin wie diese.“ Den vielen trigen und gegenwärtigen Leben, wie es ihrer Mutkleinen Geschichten, manchmal von den Figuren ter ging und geht, wie den anderen Hauptfiguren selbst in Tagebuchform erzählt, wohnt keinerlei Doris Dörrie |Alles dieses Dramas ohne Aussicht, das muss man schon Erkenntnisgewinn inne, und wenn die gute Apple inklusive| Diogenes selber lesen. nach dreißig Jahren „entgeistert“ nach dem FischerNILS JENSEN 2011, 250 S., EurD 21,90/ dorf sucht, das Torremolinos einst war, dann wird EurA 22,60/sFr 36,90 sie als Konstrukt geoutet und mein Interesse schwindet unter den Nullpunkt. DITTA RUDLE FLOTTER ABGANG In Kjersti A. Skomsvolds Roman vom Ausgeistern knapp vor dem Tod versucht Mathea Martinsen noch ein paar Kurven zu kratzen, ehe sie die große Kurve angehen wird. Sie ist steinalt und kürzlich ist ihr Mann gestorben, der mehr oder weniger alles im Leben ausrechnen konnte. Denn er war ein mathematischer Typ, weshalb er im Sinne der Wahrscheinlichkeitsrechnung Epsilon genannt wurde. Jetzt gilt es für Mathea, vielleicht noch einmal Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen, aber eigentlich ist ihr das Alleinsein lieber. Eine Tombola im Altersheim ist auch nicht gerade die ideale Kommunikation, denn ungefragt sind es die Ungeziefer und andere Tiere, die die Einsamen heimsuchen. Eine gute Methode, neben dem Stricken 36 von Ohrwärmern noch einmal so etwas wie Geschichte ins Leben zu bringen, ist das Vergraben einer Zeitkapsel. Darin kann man die wichtigsten Erinnerungen abspeichern, etwa wie Mathea vom Blitz getroffen wurde und wegen der minimalen Wahrscheinlichkeit des Ereignisses gleich Epsilon geheiratet hat. Denn bislang wurde sie vom anderen Geschlecht stark abgelehnt und man kriegt bekanntermaßen dicke Oberschenkel, wenn man vom anderen Geschlecht abgewiesen wird. Freilich hat sie in der Folge mit vielen Unterhosen stark verhütet, so dass sie kinderlos geblieben ist. Der Hund Stein, der ersatzweise angeschafft wurde, ist eines Tages freiwillig ins Wasser gegangen und ertrunken. Als der Mann nach Spitzbergen ziehen wollte, hat sie es mit Hinweis auf die Eisbären abwimmeln können, obwohl es auch gegen Eisbären ein Mittel gibt, man braucht jemanden, der langsamer ist und als Ersatz gefressen wird. Und ein Leben lang hat der Protagonistin die Banane gefallen, weil sie geschlechtslos und sinnlos ist und sogar Buddha beeindruckt hat. Jetzt wird es genug sein, denkt sich die Frau, die wegen ihres gekrümmten Rückens verkehrt ins Wasser gehen muss, sie taucht unter und alles ist klar. Kjersti A. Skomsvold schreibt von diesen letzten Dingen mit einer Gelassenheit und Fröhlichkeit, dass man als Leser aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. HS FAZIT So müsste man den eigenen Abgang hinkriegen, dann ist alles o.k.! Kjersti A. Skomsvold |Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich| Übers. v. Ursel Allenstein. Hoffmann und Campe 2011, 144 S., EurD 18/EurA 18,50/sFr 28,90 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 28_42 marktplatz 06.09.2011 17:10 Uhr Seite 37 IM SCHATTEN DES VATERS Michael Degen, Schauspieler und Schriftsteller, zeichnet in seinem neuesten Roman das Bild des jüngsten Sohns von Thomas Mann, gänzlich ohne Kitsch und Schnörkel, nüchtern, beinahe distanziert. Im Hause des Schriftstellers und Nobelpreisträgers geht es streng und äußerst kühl zu, auch die zärtlichen Verniedlichungen der Namen der einzelnen Familienmitglieder vermögen darüber nicht hinwegzutäuschen. Mutter „Mielein“ ordnet ihr gesamtes Tun und Denken ihrem beherrschten, kaum zu Empfindungen fähigen Ehemann unter und bildet keineswegs einen sanften Gegenpol zu Vater „Pielein“, der zu Michael, „Bibi“, dem Jüngsten, ein noch seltsameres Verhältnis als zu seinen anderen Kindern hat – besser gesagt: gar keines. Der kleine Junge liest nichts als Abscheu und Ekel in den Augen des „Zauberers“ Thomas Mann, den er trotz aller Enttäuschungen und Lieblosigkeiten bis an sein Lebensende verehrt und um dessen Liebe er buhlt. Er selbst, Wunderkind auf der Violine, wird nach schwierigen Schuljahren und Reibereien auf dem Züricher Konservatorium tatsächlich Musiker, ein anerkannter noch dazu, bevor auch er zur Feder greift, die Musik an den Nagel hängt, Germanistik studiert und DIE LANGE NACHT DER TRAUER Zwei Frauen sitzen in der Küche, später im dämmerigen Garten, und reden, erinnern sich, streiten ein wenig, denken lange nach, philosophieren und gehen dann wieder zu Belanglosigkeiten und Alltagskram über. Es sind die Schwestern Tanja und Lisa, die eine Art Totenwache halten. Onkel Paul, heiß geliebter und hoch verehrter Bruder der Mutter, liegt aufgebahrt im Wohnzimmer nebenan. Überraschend kam sein Tod nicht, er litt an Bauchspeicheldrüsenkrebs, und als ihm die Ärzte nur noch wenige Wochen an Leben zugestanden hatten, wünschte er sich nach Hause. Damit meinte er nicht die eheliche Wohnung, sondern sein Elternhaus, wo die Schwester ihre beiden Töchter aufgezogen hat, als deren Vater auf und davon war und eine andere geheiratet hatte. Onkel Paul, der das Denken und Handeln der beiden nun erwachsenen Schwestern Lisa und Tanja geprägt hatte, ob sie nun seinen Wünschen und Anweisungen gefolgt waren oder genau das Gegenteil getan hatten, ist tot. Und jetzt noch, da er im Wohnzimmer stumm auf die Trauergäste wartet, die am Morgen eintreffen werden, eifern sie um seine Zuneigung. Eifersucht und Sehnsucht nach Anerken- sich der Herausgabe der Tagebücher seines Vaters widmet. Ein unsteter Charakter, cholerisch, jähzornig, so wird Michael dargestellt. Auch die Liebe und Hingabe seiner Frau Gret kann ihn nicht besänftigen oder für die Kälte im Elternhaus entschädigen. Er verfällt wie seine älteren Geschwister dem Alkohol. Zu seinen wenigen Bezugspersonen zählen ein jüdischer Schulkamerad, der wie er nach Amerika ausgewandert ist, und sein Bruder Klaus, Außenseiter, Homosexueller sowie begnadeter Schriftsteller, den er verehrt, liebt. Alkohol und Medikamente beenden Michaels unglückliches Leben mit 57 Jahren. In einer Sprache, wie sie sich ein anspruchsvoller Leser nur wünschen kann, wird das Bild nicht nur eines Mannes, sondern einer ganzen Familie entworfen, auf Fakten basierend, gut recherchiert, nicht vordergründig wertend, dennoch anrührend und packend auf nahezu befremdende Weise; unsentimental wird die Tragik eines Menschen aufgezeigt, zermalmt im Bannkreis großer, herausragender Talente und äußerer Einflüsse. KAROLINE PILCZ FAZIT Romanhafter, dennoch seriöser Einblick in die Familie Mann. Gleichzeitig selbst ein ernstzunehmendes Stück deutscher Literatur. Michael Degen |Familienbande| Rowohlt Berlin 2011, 476 S., EurD 22,95/EurA 23,60/sFr 34,90 nung, Wahrheit und Lüge und das ganze Gespinst, das wir Leben nennen, sind die zentralen Punkte, um die die beiden Schwestern in dieser Nacht, da die Zeit aufgehoben scheint, kreisen. Doch im Mittelpunkt steht immer Onkel Paul, der nicht nur Vater war, sondern auch die Mutter ersetzt hat. Allmählich entsteht das Bild einer Familie, die von einem egoistischen Tyrannen beherrscht wurde und an dessen Rand die einsame, blasse Figur der Frau Onkel Pauls steht. Kleine Lügen werden aufgedeckt und große Geheimnisse gelüftet, nur das letzte Geheimnis bleibt im Dunkeln. Gila Lustiger, Übersetzerin, Lektorin, Autorin, hat mit dem Familienroman „So sind wir“ (Buchkultur 99/2005) die Leserinnen erobert. Wie es ihre Art ist, blitzt auch in ihrem jüngsten Roman immer wieder ihr Humor durch, selbst wenn der Grundton tragisch ist. Die Gespräche und stummen Gedanken der Schwestern weiß die Autorin so spannend zu schildern, dass man weiter und weiter liest, auch wenn kaum etwas passiert. DITTA RUDLE FAZIT Mit ausnehmender Kunstfertigkeit komponiertes Kammerspiel, das ganz klar auch von uns, den Leserinnen, handelt. Gila Lustiger |Woran denkst du jetzt| Berlin Verlag 2011, 160 S., EurD 18,90/EurA 19,50/sFr 27,50 28_42 marktplatz 06.09.2011 17:11 Uhr Seite 38 M A R K T P L AT Z MEMOIREN, GEFUNDEN IN DER KUR-BADEWANNE Szilárd Rubin, geboren 1927 in Budapest und im vergangenen Jahr verstorben, brachte 1963 den Roman „Kurze Geschichte von der ewigen Liebe“ heraus, der erst 2004 in Ungarn wiederentdeckt und nach der Veröffentlichung der deutschsprachigen Version 2009 auch jenseits der ungarischen (Sprach-)Grenze euphorisch als herausragendes Meisterwerk des 20. Jahrhunderts gefeiert wurde. Viel zu spät erfuhr der „geistreiche Melancholiker“ Rubin internationale Würdigung. Nun liegt bei Rowohlt ein zweiter Titel in deutscher Sprache vor, der sich erneut mit einer unmöglichen Liebe beschäftigt. In „Eine beinahe alltägliche Geschichte“ kurt sich der in die Jahre gekommene Protagonist Levente Rostàs durch verschiedene Heilbäder, um einerseits seiner lästigen Schuppenflechte und andererseits seiner Piroska zu entkommen. Ersteres ist ihm ein Anliegen, zweiteres nicht – aber seine wohlmeinenden Freunde sind der Auffassung, dass Levente sich selbst und auch ihre Nerven ausreichend mit den Wirren dieser erneuten amour fou strapaziert habe und arrangieren eine Auszeit für ihn. In den Badewannen zwischen Karlsbad und einem ungarischen Sanatorium reflektiert der Schrifsteller Rostàs nicht nur über seine dramatisch-tragikomische Geschichte mit Piroska, er erzählt seine Lebensgeschichte, die vom täppischen Knaben, den alle für etwas dümmlich halten, bis zu seinen ersten literarischen Erfolgen reicht, spöttelt geradezu anmutig und liebevoll über die Marotten seiner schreibenden Freunde – und erzählt über Ungarn in der Nachkriegszeit. In einer kraftvollen und zugleich zarten Poesie tunkt Rubin seinen Protagonisten in goldene Ströme von Heilwasser, lässt ihn in den sehr frühen Morgenstunden ganz allein seltsame und berührende Symphonien aus den Leitungsrohren hören, rettet ihn vor einem rachsüchtigen Heilmasseur und lässt ihn die Qualen der Liebe und des Schreibens erzählen. Beides wider jede Vernunft … SYLVIA TREUDL Fazit: Eine melancholische Kostbarkeit, abgeklärt, traurig, heiter und bezaubernd. Szilárd Rubin |Eine beinahe alltägliche Geschichte| Übers. v. Andrea Ikker. Rowohlt 2010, 160 S., EurD 16,95/EurA 17,50/ sFr 25,90 38 RISS IM LEBEN Das Ruder mit Mitte 40 herumreißen – oder was tun, wenn klaffende Risse sich abzuzeichnen beginnen? Alles andere als ein Lebenshilferatgeber eines Midlifecrisis geplagten Protagonisten ist Claudia Piñeiros soeben erschienener Roman „Der Riss“. Der Architekt Pablo Simó stellt sich schon lange weder Fragen zu seiner Ehe, noch zu seinen beruflichen Ambitionen oder weshalb er – im Gegensatz zu seiner pubertierenden Tochter – keine Musik mehr zu hören pflegt. Er hält seine gewohnte Ordnung aufrecht, der Caran-d’Ache-Bleistift exakt diagonal über dem Notizblock, in den er Tag für Tag das gleiche elfstöckige Hochhaus mit Ausrichtung nach Norden zeichnet, das er niemals bauen wird. Er lebt seine sexuellen Phantasien über seine Kollegin Marta, mit der ebenfalls keine Annäherung stattfinden wird, während er mit seiner Frau Laura schläft. Er trägt die zweckmäßigen Hemden und Hosen, die Laura besorgt, obgleich er ihre Farben verabscheut. Er denkt nicht mehr an Nelson Jara, der im Betonfundament des Hauses, in welchem sich das Architekturbüro befindet, begraben liegt – und WO DER KROKUS SPRIESST Können Sie sich etwas unter dem Begriff „Erdmöbel“ vorstellen? Indie-Pop-SpezialistInnen werden ob der dummen Frage verächtlich die Schulter zucken, denn natürlich ist eine durchaus gefeierte Band aus dem Raum Münster seit 1995 KennerInnen ein Garant für Qualität. Der Terminus „Erdmöbel“ stammt angeblich aus dem pittoresken Fundus der ehemaligen DDR-Sprachverregelung und meint ganz sachlich „Sarg“. Der Songschreiber und Sänger der „Särge“ ist Markus Berges, welcher bereits in seiner Eigenschaft als LyricsVerantwortlicher bei „Erdmöbel“ als Schöpfer von Geschichten „wie traumverloren hingeraunt“ (Die Zeit) gelobt wurde. Im vergangenen Jahr brachte die Formation ihr achtes Album auf den Markt, das „Krokus“ titelt. Das letzte Stück auf dem Tonträger heißt „September Nowak“. Und der Debütroman von Markus Berges, der parallel zu den Songs für das Album entstand, nennt sich „Ein langer Brief an September Nowak“. Dieser 200 Seiten starke Text, der so hinreißend ist, dass er beim Lesen zu kurz wird, ist ein durch und durch gelungenes Roadmovie um die 19-jährige Betti aus einem kleinstädtischen Nest in Westfalen. Sehr zum Missfallen der Eltern macht Betti sich auf den Weg seine ehemaligen Träume sind mindestens ebenso leblos. Pablo Simó wartet; bis eines Nachmittags eine junge Frau, einen schweren Rucksack über der Schulter, das Büro mit der Frage nach Nelson Jara betritt, sie habe etwas Persönliches mit ihm zu besprechen. In der Folge erhält Simó von seinem Chef Borla den Auftrag, sich um sie zu kümmern, herauszufinden, wer sie ist und wie viel sie weiß. Dass die Geschichte unvorhergesehen weitergeht, was es mit Nelson Jara und mit seinem Status als einbetonierte Leiche auf sich hat, wie sich Pablo Simós Leben hierdurch zu wandeln beginnt, sei vorerst nicht verraten. Nur so viel: Die Lektüre lohnt sich! Nicht nur für Liebhaber der Architektur oder der Stadt Buenos Aires. Ein weiterer klug gebauter Roman der 1960 geborenen Argentinierin Claudia Piñeiro, die sich mit „Elena weiß Bescheid“ im letzten Jahr auch im deutschsprachigen Raum einen Namen machte. MARLEN SCHACHINGER FAZIT Spannend, unterhaltsam, intelligent – schlicht: lesenswert! Claudia Piñeiro |Der Riss| Übers. v. Peter Kultzen. Unionsverlag 2011, 248 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 28,90 an die Cote d’Azur, um ihre langjährige Brieffreundin mit dem aufregenden Namen September Nowak zu besuchen. Endlich Monaco live. Endlich das Palais sehen, in dem die mondäne September lebt. Endlich das wirkliche Leben, inklusive der Yacht „Kismet“, auf der ein österreichischer Josef kochen wird. Es kommt ein klein wenig anders, als Betti nach anstrengender Zugfahrt an der Endstation Nizza anlangt. Es könnte eine Katastrophe sein, es könnte darauf hinauslaufen, dass Betti, verzweifelt, betrogen und sich lächerlich gemacht fühlend, sofort wieder den Zug Richtung Mutti und Vati besteigt. Aber Betti nimmt die Herausforderung an und ihre Neugier ernst. Es ist ihre große Reise. In den folgenden Wochen trifft Betti auf erstaunliche, schräge Personen, es ist nicht ganz ungefährlich, worauf sie sich einlässt. Betti taucht ein in einen Sommer voller Erfahrungen, zu denen sich auch eine neu erwachte Liebe zur Architektur, zur Kunst gesellt, Betti erlebt den Sommer ihres Lebens. Als sie nach Hause zurückkehrt, ist sie erwachsen. SYLVIA TREUDL FAZIT Ein zauberhaftes Roadmovie, poetisch angelegt wie ein Spiegelkabinett. Markus Berges |Ein langer Brief an September Nowak| Übers. v. Dieter E. Zimmer (Zitat S. 206). Rowohlt 2010, 208 S., EurD 18,95/EurA 19,50/sFr 28,90 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 28_42 marktplatz 07.09.2011 15:55 Uhr Seite 39 WIEDER GELESEN www.rowohlt-berlin.de VON RICHARD CHRIST BALTASAR GRACIÁN Der Krieg in seiner ganzen Wahrheit Erschreckend, bewegend und fesselnd wie ein Roman: Peter Englunds Meisterwerk über den Ersten Weltkrieg Auch als E-Book ©Getty Images Wenige Bücher haben wie Graciáns „Hand-Orakel“ ihre Gegenwart wie auch die Epochen danach beeinflusst. Es ist das in der Welt meist gelesene Werk der spanischen Literatur. Viele sehen in dem Jesuitenzögling und Theologieprofessor Baltasar Gracián einen Vorläufer der europäischen Aufklärung, indes hatte er auch philosophische Gegner, Voltaire zum Beispiel hielt ihm Verworrenheit des Denkens vor, manche argwöhnten bei ihm Unmoral. Gracián, 1601 geboren, stammte aus der Region Zaragossa und trat sehr früh dem Jesuitenorden bei. Der Jesuitenorden jedoch witterte in Graciáns Texten eine feindselige Haltung und erteilte dem Gelehrten zeitweise Publikationsverbot. Gracián gibt mit seinen Aphorismen Verhaltenshinweise, nicht aber Gesetze für den Gerechten oder Ratschläge für den Weisen. Gracián war einer der gelehrtesten Männer seines Zeitalters, er versammelte ein riesiges Wissen über Theologie und alte Sprachen. Schon in jungen Jahren stand er einer Bibliothek vor und lehrte lateinische Grammatik. Er lebte in der Zeit des absolutistischen Königs Philipp IV.; das spanische Weltreich hatte unter seiner Herrschaft schwere politische und religiöse Konflikte; es wurde zum Ursprungsland der Gegenreformation. Trotzdem entwickelte sich ein Goldenes Zeitalter (Siglo de oro) der Literatur und Kunst; Graciáns Zeitgenossen waren zum Beispiel Ribera (Schule von Valencia), Velásquez (Kastilische Schule) und Morillo (Schule von Sevilla). Gracián verwendet in seinem „Hand-Orakel“ viele Gedanken antiker Autoren – vor allem Plato, Aristoteles und die Römische Stoa, von ihr besonders Seneca. Gracián hebt in seinen dreihundert Aphorismen des „Hand-Orakels“ das Gefühl für menschliche Würde hervor. Er unterstreicht die soziale Bedeutung des Individuums, besonders dessen Rechte gegenüber der Verfügungsgewalt der Feudalherren und der Willkür der katholischen Autoritäten. Zum ersten Mal in der Neuzeit regte sich ein Geist, der die unterschiedlichsten Bereiche von Kultur, Politik und Geschichte als wissenschaftliche Fächer behandelt. Unter den dreihundert Aphorismen finden sich viele, die auch in einer Epoche ohne einen autoritären Herrscher ihre Wahrheit behalten haben. Gracián bewahrte den Kontakt zum ungelehrten und ungebildeten Mann. Er wurde Feldkaplan und nahm an der Schlacht von Lérida 1646 teil, wo die von französischen Truppen unterstützten katalanischen Separatisten besiegt wurden. Seine Fürsorge für die Verwundeten und sein Beistand für die Sterbenden wie auch sein persönlicher Mut brachten ihm bei den Soldaten den Ehrentitel „Pater des Sieges“ ein. Baltasar Gracián starb 1658 in Spanien eines natürlichen Todes. Das „Hand-Orakel“ wurde von dem deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer meisterhaft übertragen. Er wurde durch diese Arbeit auch angeregt zu seinen misanthropischen „Aphorismen zur Lebensweisheit“. Baltasar Gracián |Hand-Orakel und Kunst der Weltklugheit| Hg. v. Otto Taube, Übers. v. Arthur Schopenhauer. Insel 2008, 136 S., EurD 10,80/EurA 11,10/sFr 16,50 Baltasar Gracián |Hand-Orakel und Kunst der Weltklugheit| Übers. v. Arthur Schopenhauer. Diogenes 2003, 272 S., EurD 9,90/EurA 10,20/sFr 16,90 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt 704 Seiten. Gebunden € 34,95 (D) / € 36,00 (A) / sFr 46,90 (UVP) 28_42 marktplatz 06.09.2011 17:13 Uhr Seite 40 M A R K T P L AT Z VERKNÜPFT Einen besonderen Erzählreigen entspinnt Mark Watson in seinem Roman, denn darin verknüpft er die Schicksale mehrerer Personen. Sie kennen sich zwar nicht, doch ihr Handeln hat Auswirkungen auf das Leben der anderen. Gewissermaßen im Mittelpunkt steht der Radiomoderator Xavier, der sich in London einen neuen Namen zulegte und ein neues Leben aufgebaut hat. Das Unglück in seiner Vergangenheit möchte er vergessen. Nun ist er Moderator einer Nachtsendung, in der Anrufern Tipps bei Problemen gegeben werden. Nur in seinem Privatleben zeigt er sich nicht als Problemlöser, sondern versucht sich eher zu drücken. Und genau darum geht es Watson, er will nämlich zeigen, wie notwendig es manchmal ist, sich in das Leben anderer einzumischen. Bei Xavier beginnt die Änderung mit seiner Putzfrau, die er auf einem Speeddatingabend kennenlernt. Mit viel Witz und genauer Beobachtung knüpft Watson unterhaltsam Geschichte an Geschichte und findet gute Querverbindungen. Interessiert folgt man dem Wandel von Xavier und ist überrascht über die Einfälle von Watson, die gekonnt zwischen Melancholie und Ironie irrlichtern. LB Mark Watson |Elf Leben| Übers. v. Stefanie Jacobs. Eichborn 2011, 272 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 28,50 Die Idee für seinen zwar schmalen, doch eindringlichen Roman kam Gilles Leroy, als er in Alabama an seinem vorherigen Buch („Alabama Song“) arbeitete. Da sah er im Fernsehen einen Film über die Flutkatastrophe in New Orleans. Dabei sah er eine Afroamerikanerin, die aus dem Fenster ihres Hauses blickte und auf Hilfe zu warten schien, während das Wasser höher stieg. Eine Afroamerikanerin ist auch seine Titelheldin. Zola Jackson ist eine ehemalige Lehrerin, die mit ihrer Hündin allein wohnt und sich weigert, ohne ihren Hund das Haus vor der anstehenden Katastrophe zu verlassen. Ihr Mann verstarb schon vor Längerem, auch ihr Sohn Caryl starb an Krebs. Sie ist alleine und denkt vor allem an die Vergangenheit. Sie ist verbittert geworden, auch eigensinnig und trinkt aus Überdruss noch ein Bier. Leroy hielt sich bei seiner Geschichte an die Chronologie der Ereignisse von 2005 und erzählt dabei in Rückblenden und Einschüben auch eine Geschichte von Rassismus, Homophobie und Diskriminierung. Daraus wird ein nahegehender Monolog auf engstem Raum vor einer dramatischen Kulisse. Nicht zuletzt will man erfahren, ob Zola und ihre Hündin das Unglück überleben. SE Gilles Leroy |Zola Jackson| Übers. v. Xenia Osthelder. Kein & Aber 2011, 176 S., EurD 18,90/EurA 19,40/sFr 27,50 40 FERNLIEBE Gegen das ewige Abenteuer der Liebe ist jede Expedition nur ein kleines Blatt im Dschungel der Gefühle. In Peter Steiners Roman gibt es beides, bei einer Expedition stürzt der Ich-Erzähler an Bord eines Helikopters ab, und der Sturz ist so gewaltig, dass nach einem knappen Vierteljahrhundert eine große Liebe daraus hervor wuchert. Der Botaniker und Ich-Erzähler Lorenzo fliegt in den entlegenen Urwald Boliviens, um für einen Pharmakonzern eine seltene Heilpflanze zu erkunden. Mit im Camp ist seine Tochter, die von ihrer Freundin Marlies begleitet wird. Einmal erhascht der Forscher einen magisch-erotischen Blick von Marlies Körper, und schon ist es um ihn geschehen. Im zweiten Kapitel, dreiundzwanzig Jahre später, sind rundherum die Liebschaften ad acta gelegt und der Erzähler hat sich auf einen mondänen Villenhügel zurückgezogen. Aus heiterem Himmel erhält er einen Brief von Marlies. Beim alten Ich-Erzähler geht es nun hormonell rund. Peter Steiner hat die ungestümen Phasen einer Fernliebe in die Körper abgeklärter, ausgereifter Figuren gelegt. Der Sturz aufs Dach der Welt ist gewissermaßen der Beweis für die Zeitlosigkeit der irdischen Gefühle, eine wohltuend romantische VorHS stellung. Peter Steiner |Der Sturz aufs Dach der Welt| Otto Müller 2011, 169 S., EurD/A 18/sFr 27,50 HELD VOLLER ROMANTIK SEX MIT WÜRDE In diesem Songspiel nach einem Text von Franzobel wird die Welt am Beispiel des ältesten Gewerbes abgehandelt. Die Szenerie ist authentisch, an der Grenze steht ein kleines Puffhäuschen, das vor allem die Männer von drüben bedient. Zuckergoscherl und Ferkel treten als schwache und starke Prostituierte auf. Die Puffmutter Rosl managt den Laden mehr schlecht als recht, vor allem Bussibär und Kirschgarten müssen als alter und junger Mafioso in Schranken gewiesen werden. Die Wirtschaftskrise erreicht auch das kleine Bordell, die Geschäfte gehen schlecht, und so beschließen die Frauen, aus dem System der Ausbeutung auszusteigen und die Dienste gratis beziehungsweise gegen freiwillige Spenden auszuführen. So kriegt der Sex wieder seine Würde zurück und die Mafiosi schauen mit ihrem Inkasso durch die Finger. Bordello Ballade erhöht schon durch den operettenhaften Charakter das Geschehnis ins Grotesk-Nachdenkliche. So endet das Stück mit einem gesellschaftlichen Patt, nach dem Muster Brechts, der im Vorspann ausdrücklich als Ahnvater dieses Gesellschaftsstücks angesprochen wird. Musik und Idee stammen übrigens von Moritz Eggert. HS Franzobel |Bordello Ballade. Ein DreiGoscherl-Songspiel mit Spelunkenliedern| Kyrene 2011, 47 S., EurD/A 10,90 Faustini ist ein aufmerksamer Zeitgenosse mit geradezu übersinnlichen Empfindungen für den Alltag. Die neuen Abenteuer des Herrn Faustini nennen sich schlicht Augenblicke. Da irrt er angewidert vom letzten Wahlsonntag in Vorarlberg herum; so zeigt er nach dem Zufallsprinzip im Atlas auf einen Ort namens Edenkoben in Rheinland-Pfalz und reist, nachdem ihn die Zugsauskunft persönlich betreut hat, dorthin. Edenkoben hat den Höhepunkt des Städtedaseins schon hinter sich, jetzt wuchert es unauffällig zwischen Volksfesten, Weinlese und vergangenen Denkmälern dahin. Manche Erkenntnisse Faustinis können gar als Faustini-Faustregeln gelesen werden. Wolfgang Hermann erzählt die Abläufe Satz für Satz von innen her, quasi von der anderen Seite des Sichtbaren. Jede noch so unauffällige Kleinigkeit ist in Wirklichkeit das Ergebnis einer großen Geschichte. Herr Faustini ist ein Held voller Romantik, kindlicher Aufgeregtheit und ungebrochener Entschleunigung. Gerade weil er so genau und schräg auf die Dinge schaut, entdeckt er überall nur Sachlagen, die beinahe aus den Fugen geraten sind. HS Wolfgang Hermann |Die Augenblicke des Herrn Faustini| Haymon 2011, 135 S., EurD/A 17,90/sFr 25,90 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: EICHBORN VERLAG VOR DEM UNTERGANG Der Thriller-Star eröffnet die Jagdsaison. Vielleicht kommen Sie mit dem Lesen davon? 432 Seiten | € [A] 20,60 464 Seiten | € [A] 10,30 ©FinePic®, München | Helmut Henkensiefken VORSICHT FITZEK! AZ_Fitzek-Buchkultur_210x295_A.indd 1 29.08.2011 11:02:34 Uhr 28_42 marktplatz 06.09.2011 17:42 Uhr Seite 42 M A R K T P L AT Z SELBSTMORDFIEBER Für jene, die bewährte Serienkillerkost gewöhnt sind, mag der dritte Krimi des französischen Autors Antonine Varenne wahrscheinlich nichts sein. In Frankreich war er ein großer Erfolg und hat wichtige Preise abgeräumt, doch zu schräg, zu abgedreht sind die Figuren und zu verwinkelt die Handlung. Wer allerdings nach neuen Stimmen sucht und auch ungewöhnliche Szenarien schätzt, wird hier gut bedient. Es beginnt schon bei den Ermittlern. Rätselhafte Selbstmorde geschehen in Paris. Da läuft ein Mann nackt auf einer vielbefahrenen Straße auf die Autos zu und wird von einem LKW frontal erwischt. Im Museum springt ein anderer auf das Gerippe eines Wals und lässt sich von einem Knochen durchbohren. Schließlich verblutet ein Fakir in einem Sado-Maso-Lokal, weil er sich während seiner Show an Fleischerhaken aufhängen ließ. Zuständig für Selbstmorde ist Kommissar Guérin, ein strafversetzter Sonderling, der in einem kleinen Büro unterm Dach arbeitet, gemeinsam mit seinem Assistenten Lambert. Wie ein Besessener sucht er nach Verbindungen, und dabei kratzt er sich manchmal so intensiv, dass seine Kopfhaut blutet. Von den Kollegen werden die beiden scheel angesehen, denn Guérin galt zwar als außergewöhnlicher, aber unbestechlicher Ermittler. Zu dieser Zeit kommt der amerikanische Psychologe John Nichols nach Paris. Er war ein Freund des Fakirs Alan und soll seine letzten Dinge regeln. Er glaubt nicht an einen Selbstmord, sondern denkt, die Gründe liegen in Alans Vergangenheit, der im Irak Mitglied einer Sondereinheit der CIA war und dort folterte. Nichols schrieb seine bislang unveröffentlichte Doktorarbeit über das Sankt-Sebastion-Syndrom. Dabei wird ein einstiger Folterer zum Masochisten, der sich selbst zugrunde richten möchte. Bei ihren Nachforschungen treffen Nichols und Guérin zusammen. Nun zeichnet sich doch eine Lösung zumindest für einen Fall ab, und die Spur scheint in die US-Botschaft zu führen, wo ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher arbeitet. Doch ein gutes Ende gibt es eigentlich nicht. Manches hätte vielleicht noch erklärt werden können, etwa wie die Übertragung von Folterer zu Masochisten funktioniert, doch so bleiben immerhin Felder für Mutmaßungen. SE Fazit: Ungewöhnlicher Krimi, raffiniert gezeichnet. Antonine Varenne |Fakire| Übers. v. Claudia Steinitz und Tobias Scheffel. Ullstein 2011, 493 S., EurD 18/EurA 18,50/sFr 24,90 42 FORTSETZUNG DER WARINGHAM-SAGA Das Epos um das Geschlecht derer von Waringham geht weiter. In gewohnter Seitenstärke und Opulenz entführt Rebecca Gablé ihre Leser nun ins England des 16. Jahrhunderts. Der junge Nick of Waringham verliert, kurz nachdem er die Schule von Sir Thomas More frühzeitig verlassen hat, seinen Vater, der als Ketzer angeklagt worden ist. Plötzlich ist er auf sich selbst gestellt, seine Baronie heruntergewirtschaftet, die böse Stiefmutter gegen ihn. Im Reich herrscht Unfriede, weil sich König Henry VIII. gegen den Papst stellt, um die Annulierung seiner Ehe mit Catalina von Aragon zu erreichen und Anne Boleyn ehelichen zu können. Seine Tochter, Prinzessin Mary, steht dem gleichaltrigen Nick sehr nahe. Die Dinge nehmen ihren turbulenten Lauf. Der blutjunge Waringham durchlebt mit seinen Gefährten Abenteuer, die so waghalsig und unwahrscheinlich anmuten, dass sie schon wieder realistisch wirken, eingebettet natürlich in das historische Geschehen um Heinrich den Achten und seine sechs Ehefrauen sowie die damit verbundene politisch-geistliche Neuordnung des Königreichs England. Das, was manchmal in eine nahezu triviale Abenteuergeschichte abgleitet, deren Held alles Glück der Welt in den größten Miseren erfährt, erhält LIEBE ZWISCHEN MORD UND TOTSCHLAG Dem Erzbischof von Köln und Kurfürsten des Hl. Römischen Reiches, Clemens August I., widmet Tilman Röhrig seinen jüngsten Roman. Als Folge des spanischen Erbfolgekriegs verbrachte Clemens August, Sohn des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern, seine Schulzeit in österreichischer Ehrenhaft und lebte in Klagenfurt und Graz. Sein Vater hatte ihn zum Geistlichen bestimmt, um seinen eigenen Machtbereich zu vergrößern. Clemens August zögerte nicht, Titel um Titel, Amt um Amt auf sich zu ziehen. Diese Ämterkumulierung gab dem „Sonnenfürsten vom Rhein“ auch Macht und Ansehen. Doch Röhrig widmet sich mehr dem Innenleben des sensiblen Kunstmäzens und leidenschaftlichen Bauherrn. Im Zentrum steht die innige Freundschaft von Clemens August mit dem Freiherrn von Roll. Die (niemals gelebte) Liebe endet tragisch. Johann Baptist von Roll wird ermordet. Im Duell erstochen, heißt es offiziell. Doch es gibt Zeugen für den feigen Mord, und Clemens August schwört Gerechtigkeit und Rache. unbestritten Qualität durch das Einbringen von genauen historischen Fakten, die seriös recherchiert und dem Leser durch brillant gezeichnete Szenen nahe gebracht werden. Natürlich ist von Anfang an klar, dass alles gut enden wird. Von der bösen Schwiegermutter über den tugendhaften Mentor und den gottesfürchtigen, unauffälligen Retter bis hin zu den politischen Intriganten ist das Inventar einer guten Komödie vollzählig. Stellenweise plakativ erzeugt Gablé dennoch einen Kosmos, dem man sich unschwer entziehen kann. Man möchte doch wissen, welche Wendungen die Geschichte noch nimmt, um die Helden zu retten. Eines muss man ihr lassen: Ihre Romane entbehren nicht der Spannung, auch nicht der fünfte Band der Waringham-Saga. Ausgehend von früheren Romanen erfindet Gablé stets Neues, nichts, das man schon kennen würde. Nur hat man als Leser die alten Geschichten und Figuren (die freilich nicht zum Verständnis der aktuellen Handlung nötig sind) nicht immer so parat, wie man gern möchte. Eine Stammtafel der Waringhams wäre wünschenswert. KAROLINE PILCZ FAZIT Gewohnte Spannung, brillant vermengt mit Historischem. Lebendige Geschichte als leichte Kost. Gehobene Unterhaltung für ausdauernde Leser. Rebecca Gablé |Der dunkle Thron| Lübbe 2011, 956 S., EurD 24,99/EurA 25,70/sFr 35,50 Höfischer Alltag und höfische Feste, Intrigen, Machtkämpfe, Spionage in allen Ecken und auch des feinfühligen Fürsten Privatleben, das er bald mit der Harfenspielerin Mechthild Brion teilt, ergeben einen spannenden Roman, dessen politischer Hintergrund in Österreich liegt. Angelpunkt ist die von Kaiser Karl VI. geplante „Pragmatische Sanktion” (ein Dokument, um die Erbfolge der habsburgischen Reiche neu zu ordnen). Die europäischen Mächte waren gespalten, vor allem Karl Albrecht, Kurfürst von Bayern, der Bruder Clemens Augusts, erhob selbst Anspruch auf das habsburgische Erbland. Sein Bruder in Köln sollte an seiner Seite stehen. Dessen Zögern wurde mit brutaler Gewalt geahndet. Dass das Leben im 18. Jh. noch so barbarisch war, dass Menschen, waren sie nicht in Schlösser hineingeboren, nichts galten und ohne Zögern ermordet wurden, ist eine erschreckende Erkenntnis, die Röhrig den Leserinnen nicht erspart. DITTA RUDLE FAZIT Einige Jahre aus dem Leben eines Sonnenfürsten, spannend und unterhaltsam und voller Überraschungen. Tilman Röhrig |Der Sonnenfürst| Piper 2011, 448 S., EurD 19,99/EurA 20,60/sFr 29,90 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 06.09.2011 17:43 Uhr Seite 43 SCHMAUCH SPUREN 43-54 TB_SB Biedermänner und Brandstifter, Chefober und Lustmörder, Leutefinder und Kleinstadt-Gangster: PETER HIESS liefert diesmal ein Wienkrimi-Special, umrahmt von zwei amerikanischen Abenteuern. VON PETER HIESS Für einen Privatdetektiv ist Leonid McGill im Privatleben ungewöhnlich stark gebeutelt: Er ist in eine Frau verliebt, mit der er nicht zusammen sein kann; mit einer ungeliebten Gattin und mit drei Kindern geschlagen, deren zwei nicht von ihm sind; fünfzig vorbei und ohne große Zukunft. Und eigentlich wäre er sowieso lieber Boxer geworden. Krimifreunde, die jetzt einen klischeehaft traumatisierten PI erwarten, dürfen dennoch beruhigt aufatmen: Walter Mosleys neuer Antiheld wirkt in seinem Romandebüt Manhattan Karma realistisch und sympathisch, samt Kommunistenvater und Rassismusproblematik. Und das ist ein Kunststück bei einem Protagonisten, der Spezialist für das Auffinden von Menschen ist und das auch für die Mafia schon oft getan hat – mit tödlichen Folgen. Gerade als Leonid sauber werden will, läuft ihm ein Auftrag über den Weg, bei dem er wieder vier Männer finden soll. Dummerweise werden auch die alle ermordet, sobald er sie aufgespürt hat, so wie sein Auftraggeber. Und er selbst steht ebenfalls auf der Abschussliste … Mosley liefert mit „Manhattan Karma“ nach langem wieder ein lesbares, erfreuliches und spannendes Buch ab. Verzeihen wir ihm also, dass sein Erstling „Teufel in Blau“ Bill Clintons Lieblingskrimi war. Man kann es sich – wie auch Detektiv McGill weiß – im Leben halt nicht immer aussuchen. Auch dem Krimirezensenten passiert oft Uner- FOTO: ANGELIKA HERGOVICH wartetes – zum Beispiel die neue Lieferung des auf Regionalkrimis spezialisierten Gmeiner Verlags, der in seinem aktuellen Programm gleich vier Genrevertreter aus Wien vorstellt. Da will der Autor dieser Zeilen seine Herkunft nicht verleugnen und stürzt sich ins Leseabenteuer … Neue Krimis BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 Gerhard Loibelsberger setzt seine Serie um den ebenso dicken wie findigen Inspektor Nechyba, der in den letzten Jahren der Monarchie ermittelt, mit dem Roman Mord und Brand äußerst erfolgreich fort. Diesmal jedoch stehen nicht Nechyba und sein Journalistenfreund Goldblatt im Mittelpunkt, sondern ein Duo infernal, das sich fast moritatenmäßig durchs alte Wien mordet wie das gutgelaunte Pärchen in „Natural Born Killers“: Frantisek Oprschalek – ein ehemaliger Arbeiter, der in seinem privaten Kampf gegen den Kapitalismus die Besitzenden massakriert und ihre Häuser abfackelt – und sein Freund, der Berufsverbrecher Nepomuk Budka. Wie sich die beiden durch Hotels und Kaffeehäuser, Zimmermädchen und Vermieterinnen, Fabriken und Holzlagerplätze morden und brennen, das ist einfach wunderbar erzählt und beweist A., dass wir keine kindheitsgeschädigten Serienkiller aus den USA brauchen, weil wir selber bessere haben, und B., dass Gerhard Loibelsberger mit diesem Roman nicht nur den Regional-, sondern auch den historischen Krimi eigenhändig aus der Krise reißt, sodass wir C. bitte mehr von ihm lesen wollen. Vom 2008 verstorbenen Pierre Emme erscheinen weiterhin regelmäßig Bücher, als würde er posthum eifrig weiterschreiben. Obwohl: Bei Zwanzig/11, seinem Versuch eines in Österreich angesiedelten Polit-Thrillers, hat er sich eventuell etwas zu sehr von den Versuchungen im Jenseits ablenken lassen. Die Geschichte, wie sein Protagonist Max Petrark nach dem Autounfall des Bruders in ein globales Terrorkomplott à la 9/11 verstrickt wird, liest sich viel zu langatmig, hält sich ewig mit familiären und weltpolitischen Betrachtungen auf und hätte noch stark überarbeitet werden müssen. Hermann Bauer lässt in Philosophenpunsch Andreas Pittler liefert in Mischpoche 14 zum Teil durchaus witzige Stories um seinen Ermittler David Bronstein aus der Zwischenkriegszeit ab. Nur: Die versprochenen „Wiener Kriminalgeschichten“ findet man hier leider nicht, sondern eher Vignetten um historische Ereignisse, bei denen der Polizist oft nur eine Statistenrolle spielt und kaum ermitteln darf. Man merkt, dass der Autor Politikwissenschaftler ist und sich in der Landesgeschichte auskennt – aber das Ergebnis ist dann doch mehr Schulfernsehen als Straßenfeger-Krimiserie. wieder seinen Kaffeehauskellner Leopold aus Floridsdorf in Sachen Mord und Totschlag ermitteln; diesmal um die Weihnachtszeit, mit Liebesg‘schichten und Familiensachen. Man merkt, dass Bauer von Buch zu Buch besser wird, stringenter erzählt und mehr Atmosphäre aufbauen kann – insofern ist seine Story um schlamperte Studentinnen und gescheiterte Häfenphilosophen wirklich liebens- und lesenswert, obwohl sie halt eher auf Stimmung setzt als auf Spannung. Und weil kein Platz mehr ist, schnell noch im Telegrammstil: Murder Is My Business von Brett Halliday. Würdiger Abschluss der ersten Staffel von Hard Case Crime, der wunderbaren Pulp-Serie. Held: der leider fast vergessene coole Privatdetektiv Mike Shayne. 40er-Jahre, El Paso, Kleinstadtkorruption, Silberminen, Nazispione, verwickeltes Komplott. Routiniert erzählt, beste Unterhaltungslektüre. Bitte weitermachen! Hermann Bauer |Philosophenpunsch| Gmeiner TB 2011, 273 S., EurD 9,90/ EurA 10,20/sFr 14,90 Brett Halliday |Murder Is My Business| Pierre Emme |Zwanzig/11| Gmeiner TB 2011, 322 S., EurD 11,90/EurA 12,20/sFr 17,90 Gerhard Loibelsberger |Mord und Brand| Gmeiner TB 2011, 328 S., EurD 12,90/EurA 13,30/sFr 18,90 Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2010, 223 S., 7,99 US-$ Walter Mosley |Manhattan Karma| Übers. v. Kristian Lutze. Suhrkamp TB 2011, 389 S., EurD 9,95/EurA 10,30/sFr 14,90 Andreas Pittler |Mischpoche| Gmeiner TB 2011, 324 S., EurD 11,90/EurA 12,20/ sFr 17,90 43 43-54 TB_SB 06.09.2011 17:18 Uhr Seite 44 M A R K T P L AT Z | TA S C H E N B U C H TRUNKENE SCHLAGSCHATTEN ALLTAGSWAHNSINN Ein ganzer Kontinent kann sich innerhalb von Minuten in zig Variationen zeigen, je nachdem, worauf man bei diesem kontinentalen Blick achtet. Serhij Zhadan beschreibt die musikalisch-philosophische Lage der Gesellschaft aus der Sicht eines Erzählers, der als aktiver Musiker, als Undergroundler, als Geheimjournalist oder auch bloß als verspielter Fan in die Epizentren der Szene reist, Ukraine, Wien, Linz, Berlin beispielsweise. Der Kern dieser elf Erzählungen ist 2003 entstanden, seither werden diese Texte regelmäßig upgedatet und ergänzt. Schon die erste Erzählung „Berlin“ führt perfekt jene Methode vor, mit der gesellschaftliche Verschiebungen, das Zusammenprallen von Nostalgie und glatter Zukunft analysiert werden. Während einer undefinierbaren Reise durch die Musik-Galaxie brechen ein paar Untergrund-Musiker von Wien auf, um in Berlin vielleicht das zu finden, was sie vage im Auge haben, eine Szene, die sowohl für die Gegenwart authentisch ist, als auch eine Zukunft verspricht. Der Sinn dieser Reise besteht im Durchtasten einer Nacht in einem klapprigen Auto, im sich Zurechtfinden in einer amorphen Geografie und im sauber kalkulierten Trinken. Der Sixpack erweist sich als ideale Dosierung von generell düsteren Erlebnissen. Territorialgewässer in der Badewanne, Pornogefühle an der Bushaltestelle eines irren Städtchens, verrückte bisexuelle Gefühle, Wodka als Gleitmittel durch die Nacht, die Einmaligkeit toter Objekte oder das Gefühl einer totalen Evakuierung beim Betreten eines Bahnhofs sind weitere Schlagschatten in diesen mit dem wildem Sound einer inneren Anarchie vorgetragenen Erzählungen. Serhij Zhadans Geschichten sind aufregend durch den Untergrund der Gesellschaft gebuddelt, die postsowjetischen Zustände zeigen sich nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Berlin und Wien, das ist das Überraschende dieser Texte. HS Geschichten nicht an, aber schön schräg sind sie allemal. Ihr Zentrum haben sie in der bayerischen Provinz, und von dort geht es schon mal statt in den Süden in den hohen Norden auf Sommerurlaub. Es ist eine kleine Sammlung „hilfreicher“ Geschichten, die manchmal ins Schräge und Absurde abgleiten und wo man viel über die Persönlichkeit und das Umfeld von Georg Ringsgwandl erfährt. Er war kardiologischer Oberarzt am Klinikum in Garmisch-Partenkirchen, ehe er mit 45 das Handtuch warf und sich beruflich der Musik und dem Kabarett verschrieb und wo er im schrillen Outfit zu sehen ist. Er hat viel und schmissig zu erzählen, seine Wendungen sind oft überraschend und dann doch jedes Mal plausibel. Kurzweilig und verblüffend. Ringsgwandl: „Es gibt Künstler, die nicht besonders intelligent sind. Die straft Gott durch Schönheit.“ Ringsgwandl |Das Leben und Schlimmeres| rororo 2011, 256 S., EurD 9,99/EurA 10,30/sFr 14,90 ANEKDOTISCH Anekdoten sind auf alle Fälle kurzweilig. Sie erzählen einen außergewöhnlichen Vorfall oder bemerkenswerten Sachverhalt, sind manchmal kurios, manchmal sehr erhellend. Aus allen Zeiten sind Anekdoten überliefert. Es kann sich um Herodot handeln oder Konfuzius, um Friedrich den Großen oder die Autorin Ricarda Huch. Obwohl sie gewissermaßen ein geschichtlicher Splitter sind, spiegelt sich doch in ihnen Weltgeschichte und als Streiflichter fallen sie auf die gesamte Geschichte. Diese Miniaturerzählungen, eigentlich ein literarischer Bastard, wie der Herausgeber erklärt, können doch historische Wahrheiten offenbaren. Man muss nur wissen wie. Versammelt sind Anekdoten der Weltgeschichte, die in kürzeren Essays historisch erklärt werden. Insgesamt 27 Geschichtsanekdoten haben Herausgeber Matthias Steinbach und sein Autorenteam vorwiegend aus dem Umfeld der TU Braunschweig und der Uni Jena zusammengetragen und auf ihre mindestens doppelte Wahrheit untersucht. Es finden sich bekannte Geschichten, aber auch so manche entlegene Erzählung. Etliche Zusammenhänge sind wirklich überraschend. Wer sich weiter damit befassen möchte, findet zu jedem Kapitel anregende Literaturhinweise. Ein erfrischendes Geschichtsbuch. Matthias Steinbach (Hg.) |Wie der gordische Knoten gelöst wurde| Reclam TB 2011, 250 S., EurD 12,95/EurA 13,40/sFr 18,90 UNTERWEGS Mit ihrem Kommissar Kluftinger haben Volker Klüpfel und Michael Kobr einen Kulthelden geschaffen. Das liegt einerseits am Allgäuer Kommissar, aber andererseits an den Autoren selber. Ihre Lesungen werden geschätzt und vermitteln viel Witz und Esprit. Live sind sie besser als etwa im Hörbuch. Durch ganz Deutschland und Österreich sind sie schon getourt. Naheliegend war deshalb, über diese Reisen auch ein Buch zu schreiben, um zu erzählen, was man als Autorenduo so erlebt. Wie man sich mit Veranstaltern einigt und mit Fotografen umgeht. Kurzweilig wird der Vorhang gelüpft, um hinter die Kulissen zu blicken. Das Erlebnisbuch gibt es auch in einer limitierten Fan-Edition mit einer DVD. Aufgezeichnet wurde eine Live-Act-Lesung des Romans „Laienspiel“. Volker Klüpfel, Michael Kobr |Zwei Einzelzimmer, bitte! Mit Kluftinger durch Deutschland| Piper TB 2011, 160 S., mit Fotos, EurD 9,95/EurA 10,30/sFr 14,90 FLOTT ERMITTELT Das Schreiben liegt bei Alafair Burke in der Familie, ist doch ihr Vater der bekannte Autor James Lee Burke. Sie selbst hat zwei Serien konzipiert, sieben Romane gibt es schon. Einmal steht die Staatsanwältin Samantha Kincaid im Zentrum, dann die New Yorker Polizistin Ellie Hatcher. In ihrem ersten übersetzten Roman tritt Ellie Hatcher auf. Sie ist eine junge Polizistin, die überraschend in das Morddezernat versetzt wird. Dort erwartet sie der Fall eines möglichen Serienkillers, der via Internet an seine Opfer kommt. Geschickt konstruiert Burke ihren Fall und setzt dabei weniger auf drastische Einzelheiten, sondern eher auf gekonnte Wendungen. Alafair Burke |Online wartet der Tod| Übers. v. Susanne Wallbaum. dtv 2011, 459 S., EurD 8,95/EurA 9,20/sFr 12,90 44 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTOS: AUS „DAS LEBEN UND SCHLIMMERES“/RORORO; SZENENFOTO AUS „NAKED LUNCH“/DVD BEI STUDIOCANAL Serhij Zhadan |Big Mäc. Geschichten| Übers. v. Claudia Dathe. Suhrkamp TB 2011, 227 S., EurD 14/EurA 14,40/sFr 20,90 Die großen Themen schneidet Ringsgwandl in seinen 43-54 TB_SB 07.09.2011 9:35 Uhr Seite 45 TA S C H E N B U C H | M A R K T P L AT Z ZEITENWENDE Eigentlich sollte der erste Roman von Donna Milner nur eine kleine Erzählung werden, doch dann wuchs er sich zu einer großen Geschichte voller Dramatik und der richtigen Dosis Tragik aus. Damit landete die ehemalige Immobilienmaklerin einen internationalen Bestseller und arbeitete sofort am Folgeband. Er spielt wieder in Vancouver. Dieses Mal im Jahr 1962. Im August stirbt nicht nur Marilyn Monroe sondern am selben Tag und unter merkwürdigen Umständen auch Lucy Coulter. Zurück bleiben ihre Kinder, die elfjährige Ethie, die als Ich-Erzählerin fungiert, ihr etwas älterer behinderter Bruder Kipper, dann Frankie, der schon eigene Wege geht, und noch ihr Mann Howard, der unter einem schweren Kriegstrauma leidet. Fast zerbricht die Familie am Tod der Mutter. In langen Rückblenden wird auch die Geschichte von Howard erzählt, der während des Kriegs in japanischer Kriegsgefangenschaft war. Von Schuldgefühlen bedrängt, flüchtet er in den Alkohol. Doch das Unglück trägt unter anderem dazu bei, dass er sich dieser Zeit nun zu stellen beginnt. Donna Milner |Der Tag, an dem Marilyn starb| Übers. v. Sylvia Höfer. Piper TB 2011, 400 S., EurD 9,95/EurA 10,30/sFr 14,90 MORAL UND KAPITAL Die Antwort auf die Frage im Titel kommt sehr klar vom französischen Philosophen André Comte-Sponville: „Der Kapitalismus ist nicht moralisch; er ist auch nicht unmoralisch; er ist – aber das total, radikal und definitiv – amoralisch.“ Moral und Kapitalismus passen nicht zusammen, dafür sorgt schon der menschliche Eigennutz. Allerdings ist der Kapitalismus ohne Alternative. Der Kapitalismus ist zwar ungerecht und amoralisch, doch wirtschaftlich leistungsfähiger. André Comte-Sponville untersucht seine Thesen an einigen Beispielen, etwa, ob der Unternehmer aus Nächstenliebe niemand entlassen sollte. Sollte er pleite gehen, würden die Arbeiter aber trotzdem auf der Straße stehen, meint Comte-Sponville. Es sind keine dummen Überlegungen, wohl aber provozieren sie Widerspruch. Wie auch immer, bei den Diskussionen über Links oder Rechts und wer nun eher richtig argumentiert, gehören die Ausführungen von Comte-Sponville sicher zu den durchdachtesten. André Comte-Sponville |Kann Kapitalismus moralisch sein?| Übers. v. Hainer Kober. Diogenes TB 2011, 336 S., EurD 11,90/EurA 12,30/sFr 19,90 NACHWUCHSPROBLEME Nicht nur Frauen haben ihre Probleme beim Kinderkriegen oder besser -nichtkriegen, auch Männer. Es wird nur seltener angesprochen. Wenn Felix Wegener erzählt, dann bekommt man ein ganzes Buch davon und erfährt, was so manche Männer über 30 denken und wie sie leben. Um den Kinderwunsch zu realisieren, nimmt der Protagonist Felix einiges auf sich. Erzählt wird flott und nicht ohne Selbstironie, immerhin geht es um ein Thema, bei dem Männer schnell nervös werden, wenn es bei ihnen nicht klappt. Gewissermaßen nebenbei erfährt man so manch Aufschlussreiches über Spermiogramme, Insemination, In-vitro-Fertilisation und so andere Termini in diesem Zusammenhang. So wird daraus ein Erfahrungs- und Aufklärungsbuch für interessierte Männer, aber auch Frauen, die sich über das andere Geschlecht informieren wollen. Felix Wegener |Nichtschwimmer| Ullstein TB 2011, 240 S., EurD 8,99/EurA 9,30/sFr 12,50 Gelungene Neuverfilmung NAKED LUNCH James Grauerholz und Barry Miles haben den berühmten und lange verbotenen Roman „Naked Lunch“ mit zusätzlichem Material neu herausgegeben. Er zählt wahrscheinlich zu den einflussreichsten Romanen der Gegenkultur und hat heute einen festen Platz im Kanon. Mit wirklicher Wucht und ohne jede Scheu hat William S. Burroughs (1914–1997) seine Zeit als Junkie erzählt, jedoch fehlte ihm jegliche präzise Erinnerung an das Schreiben dieser Aufzeichnungen, wie er in seinem Epilog bemerkte. Drogen waren für ihn eine Flucht, aber auch ein Widerstand gegen jede Form von Kontrolle. Er galt aus Ausnahmeliterat, liebte allerdings auch Waffen und hatte manche reaktionäre Meldung parat. Burroughs selbst sah eine von ihm gekürzte und überarbeitete Version des Romans als letztgültig an. Die ursprüngliche Fassung, noch zusätzlich aufgemöbelt mit Materialien, wollte er ehedem nicht gedruckt sehen. Doch es lohnt sich. Es ist ein umfangreiches Buch geworden, bei dem auch die Materialien, etwa zusätzliche Texte von Burroughs, beeindrucken. William S. Burroughs |Naked Lunch. Die ursprüngliche Fassung| Übers. v. Michael Kellner. rororo 2011, 416 S., EurD 9,99/EurA 10,30/sFr 15,90 46-47 bildbände 06.09.2011 17:54 Uhr Seite 46 FOTOS: AUS „CHASING SHADOWS – SANTU MOFOKENG”/PRESTEL (3) M A R K T P L AT Z | B I L D B Ä N D E In Soweto 1986: Die Kirche im Zug (o.) und Schlafzimmer einer Familie in Vaalrand (u.) In intensiven Fotoessays zeigt Santu Mofokeng die Geschichte und Gegenwart seines Landes Südafrika, aber auch den Umgang mit unserer historischen Erinnerung. VON LORENZ BRAUN Der Künstler Santu Mofokeng zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Fotografen Südafrikas. In seinem Werk greift er verschiedene Aspekte des jetzigen Lebens des Landes auf, wie Religion, die sozialen Verhältnisse oder die symbolische Bedeutung von Landschaft. Dabei bezieht er immer auch die Kritik an der Apartheid mit ein. Seine Fotos zeigen die Ungleichheiten des Lebens, die Missstände, kleine Freuden. Es sind oft nur Ausschnitte, die in ihrem Zusammenhang, dem Essay, der manchmal aus einer Vielzahl an Bildern besteht, sehr differenziert viele Geschichten erzählen. In „Township Billboards“ zeigt er die modernen Werbeflächen und ihr unmittelbares Umfeld. Großflächig wird für Omo, Cola, Dove oder die Demokratie geworben. Manchmal hängen die Werbemittel schief, vermitteln nur eine trügerische 46 Klare Blicke Hoffnung vor einer tristen und öden Landschaft, in der Frische und Sauberkeit zu einem unerreichbaren Ideal werden. In „Child headed households“ fotografierte er Jugendliche aus der Nordprovinz, die sich um den Haushalt kümmern müssen, da ihre Eltern an Aids verstarben. Dadurch verändern sich auch traditionelle Rollenbilder, die besonders in ländlichen Gegenden noch üblich sind. Grundlage seiner Arbeit sind aber vor allem die persönlichen Geschichten und die Familienhistorie der Menschen. Besonders augenfällig zeigt sich das in „The Black Photo Album/Look at Me 1890 – 1950“. Dafür suchte Mofokeng zahlreiche ältere Fotos und Familienporträts aus verschiedenen Sammlungen, die er dann retouchierte und erneut fotografierte. Zu jedem Bild recherchierte er die Geschichte und den Kontext, wann und wo es aufgenommen wurde. Es war ihm wichtig herauszufinden, welche Motive ausschlaggebend waren, sich auf eine gewisse Art und Weise fotografieren zu lassen. Dadurch werden uns die Sichtweisen der Kolonialisierten auf sich selbst und ihre Identifikationsmuster klarer. In Ausstellungen waren auch Interviews der Betroffenen zu den Bildern zu hören und ihre Statements wurden abgedruckt. Vor einiBUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 46-47 bildbände 06.09.2011 17:50 Uhr Seite 47 M A R K T P L AT Z Das Coverbild des großen Fotobands: ein verwunschener Anblick zwischen Traum und Erwachen gen Jahren begann er seine Arbeit nicht nur auf Südafrika zu beschränken. Er schuf etwa für den Essay „Landscapes of Trauma“ Fotografien des Konzentrationslagers Auschwitz und von Ravensbrück. So sieht er auch Ähnlichkeiten zwischen der südafrikanischen Apartheid und dem deutschen Nationalsozialismus: „Ich denke nicht, dass ich übertreibe, wenn ich sage, dass der Holocaust und die Apartheid die beiden unvergesslichsten Übel sind, die in diesem Jahrhundert die Welt hypnotisierten.“ Auf der Suche nach tragischen Orten fuhr er auch nach Hanoi und Nagasaki. Erstmals wird seine Arbeit der letzten 30 Jahre in einer Monografie sowie in einer Ausstellung in Paris gezeigt. Nach Paris wird die Ausstellung bis November in der Kunsthalle Bern zu sehen sein. Einen ersten Eindruck von seiner Arbeit und den verschiedenen Fotoessays erhält man auf seiner Website, wo er auch ausführlich seine Arbeiten kommentiert: www.santumofokeng.com Kinoträume FOTOS: 2011 JIM RAKETE / COURTESY SCHIRMER/MOSEL (2) Fast alle wichtigen Personen des deutschsprachigen Films tauchen im neuen Fotoband von Jim Rakete auf. VON LORENZ BRAUN Zur Wiedereröffnung des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt wird eine Ausstellung neuer Arbeiten von Jim Rakete gezeigt. Natürlich drehen sich die Fotos um den Film bzw. die Darsteller. Posiert wird mit typischen Requisiten aus ihren Filmen. So ist Götz George natürlich mit seiner Schimanski-Jacke zu sehen oder Doris Dörrie mit Kirschblüten. Moritz Bleibtreu umklammert eine Beretta. Es kommt immer auf den Moment an. Das Besondere soll eingefangen und nicht einfach ein Bild eines Stars abgeliefert werden. Manche Bilder wirken inszeniert, andere wiederum sehr privat. Sie sind aber insgesamt sehr einfühlsam, obwohl der Fotograf oft nur wenig Zeit für ein Foto braucht. Im Mittelpunkt stehen die Gesichter, deren Details wichtig sind. Die Umgebung oder der Hintergrund kann demgegenüber sogar unscharf sein. Diese Einstellung erfreute auch die Porträtierten. Zwei Änderungen in seiner Arbeit gab es jedoch bei dieser Arbeit: Er fotografierte digital und in Farbe, allerdings in sehr erdigen, zurückhaltenden Tönen. Weit über ein Jahr hat Rakete an dem Projekt gearbeitet. Der wichtige Portraitfotograf, der schon als Schüler mit der Fotografie begann und auch als Musikproduzent reüssierte, kannte viele der Aufgenommenen schon von ihrem Karrierebeginn an. Ein Termin ließ sich deshalb leicht finden. So ein Pantheon des Deutschen Films gab es aber trotzdem noch nicht. Die Bilder erzählen mitunter mehrere Geschichten. So ließ sich Volker Schlöndorff mit der originalen Blechtrommel und auf der Berliner Straße in Babelsberg abbilden. Christoph Waltz wiederum trägt die Armbanduhr aus dem Film „Inglourious Basterds“, der ihn weltweit bekannt machte. Bis zum Februar 2012 ist die Ausstellung der Bilder in Frankfurt/Main noch zu sehen. Corinne Diserens |Chasing Shadows – Santu Mofokeng. 30 Years of Photographic Essays| Prestel 2011, 240 S., EurD 49,95/ EurA 51,40/sFr 72,90 Jim Rakete |Stand der Dinge: 100 Porträts für das Deutsche Filmmuseum| Schirmer Mosel 2011, 207 S., EurD 49,80/EurA 51,20 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 Wer schreibt hier so viel? Martina Gedeck mit ihren Drehbüchern Ulrich Tukor spielte die Hauptrolle in „John Rabe“. 47 43-54 TB_SB 06.09.2011 17:21 Uhr Seite 48 M A R K T P L AT Z MEDIAL AUFBEREITET Viele Artikel erschienen zu Marshall McLuhans 100. Geburtstag, doch seine wichtigsten Werke sind derzeit zum Großteil nur antiquarisch zu bekommen. Für einen lockeren Einstieg lohnt sich auf alle Fälle die Biografie von Douglas Coupland. Darin erzählt er sehr unprätentiös das Leben des ungewöhnlichen Forschers, der aus der kanadischen Provinz kam und letztlich zu einem weltberühmten Popautor wurde. Viele tun sich schwer mit den Theorien, doch die üblichen Schlagworte wie „globales Dorf“ und „das Medium ist die Botschaft“ werden gerne verwendet. Coupland, der selbst für einen modernen Begriff wie „Generation X“ steht, erzählt recht launig das Leben McLuhans und wie er von einem Fachmann für altenglische Literatur zu einem Spezialisten der neuen Medien wurde, obwohl ihm das Moderne eher unangenehm war. Er sah aber die Möglichkeiten der Veränderung und war der erste, der diese interdisziplinären Gedanken hatte. Noch immer aktuell ist „Das Medium ist die Massage“. Der Titel rührt von einem Fehler des Setzers her, McLuhan fand die Doppeldeutigkeit witzig. Es ist eines der berühmtesten Bücher, selbst wenn es gar nicht von ihm geschrieben wurde. Zusammengestellt wurden die Texte von Jerome Agel und Quentin Fiore sorgte für ein spannendes Layout. Einen guten Einstieg in die Arbeit von McLuhan bietet „absolute Marshall McLuhan“. Es beginnt mit einem wirklich langen und umfangreichen Interview, das er damals dem Playboy gab. Ein detaillierter Lebensabriss wird unterbrochen durch Passagen aus seinen wichtigsten Werken wie „Die mechanische Braut“ oder „Die Gutenberg-Galaxis“. SE Fazit: Gute Einstiege zu Leben und Werk eines ungewöhnlichen Denkers. Martin Baltes, Rainer Höltschl (Hg.) |absolute Marshall McLuhan| Orange Press 2011, 223 S., EurD 18/EurA 18,50/ sFr 25,90 Douglas Coupland |Marshall McLuhan| Übers. v. Nicolai v. Schweder-Schreiner. Tropen 2011, 221 S., EurD 18,95/ EurA19,50/sFr 26,90 Marshall McLuhan |Das Medium ist die Massage. Ein Inventar medialer Effekte| Übers. v. Martin Baltes, Rainer Höltschl. Tropen 2011, 160 S., EurD 12/EurA 12,40/ sFr 17,90 48 AUF RECHTEN PFADEN Rechtes Gedankengut klingt heute in vielen Bereichen anziehend, denn über die passenden Feindbilder und über nötige Strategien sind sich viele einig. Astrid Geisler und Christoph Schultheis haben sich auf den Weg gemacht, die Welten und Lebensfelder der neuen Rechten in Deutschland zu erkunden. Entstanden sind sehr unaufgeregte Reportagen, die nicht auf den Skandal abzielen, sondern einfach den Alltag beschreiben wollen. Es sind darunter gewöhnliche Bürger, die in der Provinz für die NPD kandidieren und schon einmal für die potentiellen Wähler grillen. Andere zeigen sich im Internet mit ihren Insignien oder rotten sich zusammen, um gegen eine angeblich geplante Moschee zu demonstrieren. Sicher gibt es darunter auch welche, die gerne zu viel trinken und dann mal jemanden verprügeln. Eine spezielle Gruppe sind die Esoterikfans, die hinter weißen Streifen am Himmel die große Verschwörung wittern. Die neuen Rechten gelten nicht als Unholde, vielleicht als nicht besonders klug, aber sie hängen Meinungen an, die in weiten Teilen der Bevölkerung keinen Anstoß erregen. In den Medien liest man hin und wieder von einem Skandal, einem vermeintlichen Aufreger, doch geht es vielmehr um die kleinen Verschiebungen, die das Denken in neue Kanäle bringt. Wenn ein junger Mann seine Freundin ersticht, weil sie sich von ihm trennen wollte, denken viele heute sofort an Ehrenmord und an den Islam. Das war erst jüngst wieder bei den Postern einer ansonsten liberalen Zeitung wieder zu lesen. Es ist auch egal, selbst wenn nicht ein Fizzelchen Migrationshintergrund daran beteiligt ist. Mit so einer Denkhaltung werden einem Rechtspopulisten vielleicht nicht sympathisch, doch man steht ihren Kommentaren nicht von vornherein ablehnend gegenüber. Nach außen hin bieder und mit einem „anständigen“ Flair, findet die Rechte auch mehr Wähler, die gerne mal gegen die übliche Politik protestieren wollen. Rassismus und Nationalismus sind aber ungebrochen bei den Rechten, selbst wenn sie im Elternbeirat sitzen und heimisches Gemüse schätzen. Ihre Anhänger sorgen sich um den Arbeitsplatz und fürchten sich vor Globalisierung, der EU und den Migranten. Rechtes Denken gehört laut Geisler und Schultheis zum Alltag in Deutschland. Lei- Auf der Website zu „Heile Welten“ möchten die Autoren ihre Arbeit fortsetzen, indem sie auf Artikel hinweisen, die von der Alltäglichkeit rechter Akteure berichten. der ist es nicht nur auf diesen Raum beschränkt, sondern taucht auch in anderen Ländern auf. Zu dem Buch gibt es auch einen eigenen Blog unter www.heile-welten.de. Dort werden zum Teil die Reportagen fortgesetzt. Ein wenig geht jedoch das theoretische Fundament ab. Einen intellektuellen Hintergrund haben kaum welche der befragten und porträtierten Rechtspopulisten. Hier kommt Volker Weiß zum Zug, denn er erfasst die wichtigen Vordenker dieses Milieus von 1900 bis heute. Als einen der ersten Kulturpessimisten sieht er Oswald Spengler. Engagiert war auch Edgar J. Jung. Dazu stieß später noch Friedrich Sieburg, der sich ähnlich wie Ortega y Gasset von der Masse abheben wollte und einen exzentrischen Elitebegriff vertrat. Heute sind Botho Strauß, Peter Sloterdijk und immer wieder Thilo Sarrazin im Gespräch. Sie können nicht eindeutig der extremen Rechten zugeordnet werden, sind aber deswegen in ihren Aussagen mit der bürgerlichen Mitte kompatibel, während sie gleichzeitig in vielen Aspekten von den Rechten genutzt werden. Sarrazin etwa sieht sich in der sozialdemokratischen Denktradition und will den Verfassungsstaat nicht aushebeln. Trotzdem hat er sozialdarwinistische Ausfälle, spricht von Eliten, Leistung bestimmter Bevölkerungsgruppen und Vererbung. Womit er wieder passendes MateSE rial für die Rechten liefert. FAZIT Zwei Studien, die akribisch die rechte Seite analysieren. Volker Weiß |Deutschlands Neue Rechte| Ferdinand Schöningh 2011, 141 S., EurD 16,90/EurA 17,40/sFr 24,90 Astrid Geisler, Christoph Schultheis |Heile Welten. Rechter Alltag in Deutschland| Hanser 2011, 224 S., EurD 15,90/ EurA 16,40/sFr 22,90 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 »Einer der besten spanischen Romane © Sarah Shatz des vergangenen Jahrzehnts!« El País Madrid 1935/36, am Vorabend des Bürgerkriegs. Ignacio Abel, ein erfolgreicher Architekt, entgeht knapp den Erschießungskommandos und flieht in die USA. Dort trifft er überraschend Judith Biely wieder, mit der er in Madrid eine leidenschaftliche Affäre hatte. Sie verbringen eine letzte Nacht miteinander, die »Nacht der Erinnerungen« … Deutsch von Willi Zurbrüggen Gebunden | 1008 Seiten | € 30,90 [A] ISBN 978-3-421-04499-0 Eine Leseprobe und Veranstaltungstermine unter www.dva.de RH_Molina_210x295_4c_CS4 1 02.09.11 16:59 43-54 TB_SB 06.09.2011 17:22 Uhr Seite 50 M A R K T P L AT Z Mit Stanley-Messern in den 3. Weltkrieg Zum 10. Jahrestag des Anschlags vom 11.9. sind die Gazetten wieder voll mit Nachberichterstattung und bekannten Bildern. Besonders für Verschwörungsfans war und ist das Ereignis ein wahrer Fundus. Deshalb werden einschlägige Bücher überarbeitet sowie erweitert und danach neu aufgelegt. PETER HIESS hat sich durchgeackert und war ganz weg. 50 nen Massenvernichtungswaffen fand, störte dann auch schon niemanden mehr – schließlich waren die Massenmedien (und das gilt auch für die österreichischen „Qualitätszeitungen“ und den Staatsfunk) spätestens seit 9/11 völlig gleichgeschaltet; das sah man auch heuer bei der Berichterstattung über die arabischen „Revolutionen“ (hallo, Erdöl!) oder das Kasperltheater über die Ermordung eines Bin-Laden-Darstellers durch das USMilitär (aufgeführt als Wahlkampfhilfe für den neuen US-Präsidenten) wieder. Schon kurz nach dem Attentat wurden kritische Stimmen laut, die den offiziellen Hergang der Ereignisse anzweifelten – nicht nur in den USA, sondern auch in den Kolonien des neuen Weltherrschers. Es gab ja auch genug offene Fragen, die zu Spekulationen verleiteten: Wie hatten es 19 mit StanleyMessern bewaffnete Araber, die nicht einmal zum Steuern von Sportflugzeugen fähig waren, eigentlich geschafft, große Passagiermaschinen mit waghalsigen Profi-Flugmanövern genau ins Ziel zu steuern? Warum waren die Türme des World Trade Centers trotz ihrer absolut sicheren Bauweise eingestürzt – noch dazu genau so, als wären sie gesprengt worden? Wie war es möglich, dass die bombensicheren Flugschreiber aller vier entführten Flugzeuge vernichtet waren, während sogar noch Festplatten aus dem WTC gerettet werden konnten? Was hatte die US-Luftabwehr an diesem Tag Besseres zu tun? Ach ja: Wo war eigentlich das Flugzeug hingekommen, das angeblich ins Pentagon gekracht war? Und wo waren die Leichen des von mutigen amerikanischen Bürgern zum Absturz gebrachten Flugs UA 93, bei dem sich (ungewöhnlicherweise) ebenfalls alles und jeder in Staub aufgelöst hatte? Der offizielle Bericht der US-Regierung über 9/11 konnte diese Fragen nicht zureichend beantworten – weil er von allem Anfang an eine Alibiaktion und ein aufgelegter Schwindel war. Und die vielen Zweifler, die sich im vergangenen Jahrzehnt nicht mit dem Märchen von „Osama und den 19 Räu- Warum waren die Türme des WTC trotz ihrer absolut sicheren Bauweise eingestürzt? bern“ zufriedengeben wollten, wurden von den Medien-Hofnarren schlicht als Verschwörungstheoretiker denunziert. Zu den deutschsprachigen Autoren, die schon relativ bald nach den Ereignissen von 2001 ihre Zweifel anmeldeten, gehörten die Journalisten Mathias Bröckers und Christian C. Walther, der Ex-Politiker und Publizist Andreas von Bülow und der Aufdecker Gerhard Wisnewski (der sich auch über den tödlichen Unfall Jörg Haiders ein Buch lang Gedanken machte); ihre Werke wurden nun anlässlich des „Jubiläums“ in aktualisierten und überarbeiteten Fassungen neu aufgelegt. „11.9. – zehn Jahre danach. Der Einsturz eines Lügengebäudes“ von Bröckers und Walther dreht den Spieß um und behandelt statt der angeblichen Verschwörungstheorien die einzige real existierende Verschwörungstheorie – nämlich die Version der amerikanischen Regierung und ihrer Medienvasallen über den Hergang der Ereignisse. Statt sich auf alternative Deutungen festzulegen, nehmen die Verfasser sehr geschickt jeden einzelnen Punkt der offiziellen „Geschichtsschreibung“ her, zerlegen ihn nach allen Regeln der Kunst und schlagen jeweils am Schluss dieser Kurzkapitel dem fiktiven Staatsanwalt eines noch zu führenden Prozesses zur Klärung des Sachverhalts vor, welche Zeugen er vorladen sollte und welche Fragen beantwortet werden müssten. Andreas von Bülow, vor der Ära Kohl immerhin deutscher Bundesforschungsminister, macht in „Die CIA und der 11. September: Internationaler Terror und die Rolle der Geheimdienste“ sehr konkret – wie der BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: SEANPAVONEPHOTO/SHUTTERSTOCK.COM Schon auf den ersten Blick war es die nahezu perfekte Fernsehinszenierung: die zwei Passagiermaschinen, die in die berühmtesten und symbolträchtigsten Wolkenkratzer der Welt krachten, zufällig in hervorragenden Winkeln aufgenommen. Die in Sekundenschnelle in sich zusammenstürzenden Türme des World Trade Centers. Die heroischen Helfer und Feuerwehrleute. Das Flugzeug, das ins Pentagon krachte. Die heldenhaften Passagiere, die noch ein bisschen telefonieren durften und dann verhinderten, dass auch die vierte Maschine ein Terrorziel traf. Ein wenig zu sehr nach großer Show roch es dann schon, dass die USA binnen weniger Stunden nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 (der sich heuer zum zehnten Mal jährt und die Welt in ein neues dunkles Zeitalter gestürzt hat) schon den Täter parat hatten: einen gewissen Osama bin Laden, der aus einer finsteren Höhle irgendwo in den Bergen von Afghanistan diesen größten Coup der Terrorgeschichte inszeniert haben sollte. Manchen machte es stutzig, dass die saudiarabische Familie dieses bin Laden in besten Geschäftsbeziehungen mit den USA – und dort vor allem mit der Präsidentendynastie Bush – stand. Oder dass es sich beim angeblichen Terrornetzwerk AlKaida, das dieser bärtige „islamistische“ Dämon leitete, um genau die Mudschaheddin-Truppe handelte, die von der CIA zum Guerillakampf gegen die Sowjetunion und andere unliebsame Staaten ausgebildet worden war. Alles egal. Die Vereinigten Staaten waren auf ihrem eigenen Grund und Boden von irgendwelchen „Untermenschen“ angegriffen worden. Sie hatten – ein Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch des Ostblocks – endlich einen neuen Feind: den Islam. Die Schurkenstaaten. Sie durften endlich wieder in den Krieg ziehen, erst nach Afghanistan, um dort den Opiumanbau sicherzustellen, und dann wieder einmal in den Irak, um sich dort das Öl unter den Nagel zu reißen. Dass man bei Saddam keine der als Kriegsgrund erfunde- 43-54 TB_SB 07.09.2011 15:56 Uhr Seite 51 Titel schon verrät – den berüchtigten amerikanischen Auslandsgeheimdienst für die Inszenierung der 9/11-Ereignisse verantwortlich. Er belegt seine Thesen von den ferngesteuerten Drohnenflugzeugen, der Sprengung des von den Attentaten nur entfernt betroffenen Gebäudes WTC-7 und der rechten Kamarilla, die mit dem angeblichen Terroranschlag das „amerikanische Jahrhundert“ und den „Clash of Civilisations“ einläuten wollte, mit Interviews, Internet- und anderen Quellen – und ist dabei nicht immer konsistent, stellt aber immerhin wichtige Fragen, die nach wie vor ihrer Beantwortung harren. Zum Beispiel die, wie es möglich war, dass in den verdächtig schnell beseitigten Trümmern des WTC Spuren des äußerst wirksamen Sprengstoffs Nanothermit gefunden werden konnten … Auch Gerhard Wisnewski präsentiert in „Operation 9/11: Der Wahrheit auf der Spur“ die vielen neuen Indizien, die im vergangenen Jahrzehnt von Rechercheuren aller Art zusammengetragen wurden. Für ihn ist klar, dass es sich bei den Flugzeugentführungen und ihren Folgen um eine großangelegte, viele Millionen Dollar teure Geheimdienstoperation gehandelt haben muss – und dass die unmöglich in irgendwelchen afghanischen Höhlen geplant worden sein kann. Er präsentiert neue Fakten über die offensichtlich gesprengten Türme, die Indizien für den Einschlag einer Rakete im Pentagon, die gefälschten Anrufe aus den entführten Maschinen (damals war es technisch gar nicht möglich, mit Handys aus dem Flugzeug zu telefonieren) und vieles mehr, durchwegs gut belegt, nicht unpolemisch und ohne Scheu, auf die wahren Drahtzieher der Anschläge (also die Leute, die seit Jahrzehnten die USA und die Welt hinter den Kulissen regieren) BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 hinzuweisen. Wer da noch behauptet, in der Wikipedia und im „Spiegel“ (die beide Systemmedien sind) sei all das längst widerlegt worden, ist schon nicht mehr naiv, sondern geradezu bösartig. Eine Stimme aus Amerika, die sich ebenfalls – unter anderem – mit den Ereignissen um den 11. September 2001 befasst, ist der Ex-Wrestler, -Filmschauspieler, - Navy-SEAL und -Gouverneur Jesse Ventura, der zusammen mit dem Journalisten Dick Russel einige Erkenntnisse aus seiner erfolgreichen TVSerie „Conspiracy Theory“ im Buch „Die amerikanische Verschwörung: 9/11 und andere Lügen“ zusammengefasst hat. Ventura ist kein US-Gegner, sondern glaubt an die amerikanische Verfassung und an die Werte seines Landes; umso empörter ist er darüber, dass die amerikanische Regierung (oder die Männer im Hintergrund) seit vielen Jahren ihr Volk und die Welt belügen und betrügen. „9/11“ ist nur ein Kapitel seines durchaus informativen und unterhaltsam geschriebenen Werks, das sich mit Widersprüchen, Ungereimtheiten und offensichtlichen Lügen der amerikanischen Geschichte – angefangen vom Attentat auf Präsident Lincoln über die „irren Einzeltäter“, die angeblich für die Ermordung der Kennedy-Brüder, Martin Luther Kings und anderer verantwortlich waren, die erfundenen Kriegsanlässe, Wahlbetrügereien und Wall-Street-Geldvernichtungen bis hin zu 9/11 und dem Plan, die Demokratie endgültig abzuschaffen – befasst. Wer sich mit der Thematik bereits beschäftigt hat, dem wird vieles in Venturas Buch bekannt vorkommen; für „Einsteiger“, die das glauben, was ihnen die Gehirnwäscheindustrie Tag für Tag vorsetzt, ist es jedoch ein garantierter Augenöffner. FAZIT Vier Bücher, die sich auf verschiedene Weise mit den wahren Hintergründen hinter den 9/11-Terroranschlägen befassen – und mit anderen Schweinereien des Weltherrschers. Mathias Bröckers & Christian C. Walther |11. 9. – zehn Jahre danach. Der Einsturz eines Lügengebäudes| Westend 2011, 320 S., EurD 16,99/EurA 17,50/sFr 24,90 Andreas von Bülow |Die CIA und der 11. September: Internationaler Terror und die Rolle der Geheimdienste| Piper TB 2011, 336 S., EurD 9,95/EurA 10,30/sFr 14,90 Jesse Ventura & Dick Russel |Die amerikanische Verschwörung: 9/11 und andere Lügen| Übers. v. Lotta Rüegger u. Holger Wolandt. Heyne TB 2011, 379 S., EurD 8,99/EurA 9,30/ sFr 15,50 Gerhard Wisnewski |Operation 9/11: Der Wahrheit auf der Spur| Knaur TB 2011, 480 S., EurD 12,99/EurA 13,40/sFr 20,50 43-54 TB_SB 06.09.2011 17:26 Uhr Seite 52 Der eBookReader Ihres Buchhändlers Bücher, eBooks und eBook-Reader mit integriertem Shop – alles aus einer Hand. Den iriver-Story HD-Wi-Fi erhalten Sie ab November 2011 bei Ihrem Buchhändler. » lesen-leicht-gemacht.de Ausgezeichnet lesbares Display, gerade auch bei Sonne Mobiler Webshop über WLAN Bis zu 6 Wochen Akkulaufzeit im StandBy-Modus 207 g Gewicht: leichter als ein Taschenbuch Zoom-Funktion: 8 verschiedene Schriftgrößen Die Bibliothek im Handtaschenformat: Speicherplatz für 1500 Bücher Matthias Matussek ist SPIEGEL-Redakteur, kommt also nicht unbedingt aus der Ecke, aus der man sich eine Verteidigung des Katholizismus erwartet. Er aber, der reflexhaft zu denen hält, auf die eingedroschen wird, hat nun unter dem Titel „Das katholische Abenteuer“ eine Provokation losgelassen, die es in sich hat.“ Die Debattenbeiträge zum Thema katholische Kirche sind eine geradezu beleidigende Unterforderung der Intelligenz, denn sie kreisen um die immer gleichen Reizthemen: Zölibat, Papst, Priester.“ Und er, Matussek, verteidigt alle diese drei Institutionen, ihn langweilt der sattsam bekannte Reformkatalog, mit dem eigentlich der Protestantismus gefordert wird. Er kennt keine ruhige Mittellage, sein Katholizismus besteht aus „Zorn und Liebe, Glaube und Zweifel und bisweilen Verzweiflung über den eigenen Verein“. Er ist wolllüstig pathetisch, dramatisiert eher, bevor er unterspielt, schreibt andauernd unter allerhöchster Spannung und beginnt publikumswirksam mit den Todsünden – denen gibt er Gesichter, stellt sie recht plakativ, aber dadurch auch einprägsam dar. Und wenn er den Gott des Alten, des Ersten Testaments, selbst der Todsünde des Zornes zeiht, schrammt er für viele knapp an der Blasphemie vorbei. Dann erzählt er von der eigenen katholischen Sozialisierung, von seinem Kindheitsglauben. Und zitiert einen katholischen Philosophen, der meinte, dass für ihn ursprünglich der Glaube der Kindheit gewesen wäre, „und alles spätere Nachdenken bedeutete nur, dass dieser Glaube vertieft und befestigt wurde“. Als nächstes legt er sich mit den atheistischen Wissenschaftlern an, holt sich Darwin, Voltaire, Planck und Heisenberg zu Hilfe und bezeichnet deren Aussagen als „Traumtore, die gegen das Team der Atheisten verwandelt wurden“. Und bevor er mit Martin Walser und Rüdiger Safranski Erbsünde und Zölibat bespricht, wettert er auch noch schnell gegen den Ethikunterricht. Bernhard Schlink schickt ihm sein Buch über die Wichtigkeit von Ritualen und liturgischen Formen, das von der Sehnsucht eines Protestanten zum Katholizismus handelt. Und dann folgt ein Kapitel, mit dem man sich auch als überzeugter Katholik recht schwer tut, in dem er schreibt, warum die Kirche mit ihren Päpsten Glück hat. Darin verteidigt er den „starken und starrsinnig unfehlbaren, lachenden und zornigen MystikerPapst Woytila“ und den kontroversen Professorenpapst Ratzinger. Weitere Themen sind seine Reisen auf der Suche nach Gott in Nordund Südamerika, wo er auch bei orthodoxen Juden Halt macht. Matussek macht sich Gedanken über die Rolle der Massenmedien als Ersatzgötter, meditiert über Engel und setzt ans Ende seines Buchs eine Glaubens-Safari. Das sind Begegnungen, die er in Deutschland hatte: mit ganz einfachen Menschen, aber auch mit Philosophen und zuletzt mit dem Dichter Michael Krüger. „Der Unterschied zwischen mir und Michael Krüger liegt … darin, dass ich mit meinem Werben für den Glauben bisweilen die Türen eintrete, während er Nachdenkliches durch die Dachluke schmuggelt KONRAD HOLZER oder durch eine unverschlossene Kellertür.“ FAZIT Matussek hält, was er verspricht, er provoziert. Und es tut gut, auf seiner Seite zu sein. Matthias Matussek |Das katholische Abenteuer. Eine Provokation| DVA 2011, 368 S., EurD 19,99/ EurA 20,60/sFr 30,90 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: MELANIE FEUERBACHER STANDPAUKE UND STOSSSEUFZER 43-54 TB_SB 06.09.2011 19:22 Uhr Seite 53 S A C H L I T E R AT U R | M A R K T P L AT Z UNSER MANN IM MOND Bernd Brunner ist unser Mann im Mond, keine Frage. Nachdem der 1964 geborene Kultur- und Wissenschaftshistoriker schon erhellende Bücher über die Erfindung des Aquariums, die Beziehung von Mensch und Bär und die deutsche Auswanderung nach Amerika veröffentlichte, schafft er es in seiner kurzen Geschichte des Mondes Wernher von Braun und Werwölfe, Bischöfe, Christoph Kolumbus, australische Mythen, das buchstäbliche Versanden von Julius Cäsars Englandinvasion, das Geschlechtsleben von Meereskorallen und Ideen für eine kommerzielle Ausbeutung sowie Vignetten von Flügen ins All zusammenzuführen. Alles unter den Auspizien des blassen, geo-atmosphärisch eher abweisenden Erdtrabanten namens Mond. Denn, so fragt Brunner durchaus berechtigt, was wäre unser Heimatplanet ohne diesen? Jede Zivilisation besaß (mindestens) eine Beziehung zum Mond. Das zeigt der in Berlin lebende Brunner auf seiner kulturellen Promenade durch die lunare Historie des Menschengeschlechts leichthändig auf. Viele großartige, kuriose Zitate, eigentlich kondensierte Anekdoten, hat er ausfindig gemacht und flicht sie in sei- IDEENREICH BEIM SCHROTT Randy Sarafan empfiehlt letztlich etwas gleichsam Nützliches und Anarchistisches: Warum nicht aus kaputten Geräten und edlem Schrott etwas Sinnvolles machen! Wie in einem echten Lehrbuch gibt es zuerst eine Einschulung in den Sinn. Die Materialien sind manchmal wertvoller als Gold und der Raubbau im Dschungel des Kongo dementsprechend. Nach dem Sinn braucht es kluges Werkzeug. In einem Kapitel werden die brauchbarsten Werkzeuge und ihre Handhabung vorgestellt. Und dass das alles ernst gemeint ist, beweisen die Dutzenden Sicherheitshinweise, die durchklingen lassen, dass Strom auch außerhalb des Elektrischen Stuhls tödlich sein kann. Der direkteste Zugang zur Wiederverwertung liebgewordener Geräte ist der Umbau zu heimeligen Wohnungseinrichtungen. Wer sich von seinem Scanner nicht trennen will, kann daraus mit ein paar Handgriffen ein Beistelltischchen mit persönlichen Intarsien formen. Tastaturlampen, Kabel-Untersetzer, Zahnrad-Uhr oder Walkman-Seifenschale sind weitere nützliche Dinge, die kaum mehr an die ursprüngliche Verwendung der Bauteile denken lassen. BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 nen im Wortsinn erhellenden Erzählfluss kundig und geschickt ein. Gar nicht mehr selbstverständlich ist es auch, dass ein Sachbuch mit derart vielen, nämlich fast einhundert schönen, oft genug kuriosen Illustrationen, aus Magazinen des 19. Jahrhunderts wie aus dem Bereich der Science-Fiction, versehen ist, die den Text trefflich ergänzen. Vor 50 Jahren stellte der Astronom und Autor Axel Firsoff die – rhetorische – Frage: „Ist der Mond ein Museumsstück aus einer geologisch weit zurückliegenden Zeit, das im Vakuum des Weltalls wie in einem beschrifteten Glaskasten erhalten geblieben ist?“ Wie lebendig über die Jahrhunderte die Wissenschaft vom Mond gewesen ist und wie anregend für Film, Fernsehen und Literatur – von Casanova über Jules Verne bis zu Arthur C. Clarke und Stanley Kubrick – und die bildende Kunst, das zeigt Brunner anregend und informativ, Komplexes leichthändig präsentierend. ALEXANDER KLUY FAZIT Faszinierend, vielgestaltig und bis heute in seinen Bann ziehend: Der Mond und die Beziehungen der Menschen zu ihm, lebendig und informativ aufgeschrieben. Bernd Brunner |Mond. Die Geschichte einer Faszination| Übers. v. Bernd Brunner. Kunstmann 2011, 320 S., EurD 19,90/ EurA 20,40/sFr 28,90 Modische Technik nennt sich jener Abschnitt, in dem so ziemlich alle erdenklichen Aufputzmittel und Accessoires zum Einsatz kommen. Fernbedienungsarmbänder, Tastaturknöpfe, Kabel-Ansteckblumen oder Kondensator-Ohrringe sind nicht nur am digitalen Laufsteg ein Muss. Ein besonderes Kapitel stellen LärmKünste dar, immerhin ist die Lautstärke in manchen Kulturkreisen das erste Kunstmittel. Tragbare Verstärker, Trichterlautsprecher oder sogenannte Musik-Monster verströmen beinahe überirdischen TurboLärm. Natürlich kriegen auch so genannte sinnlose Sachen jede Menge Platz. Wer fühlt sich nicht angeregt, den nächstbesten Bleistift zu spitzen, wenn dieser in einer Maus vergraben ist? Auch wenn man als stupider Bastler vielleicht nicht auf Anhieb alles zusammenbaut, so dient dieses Lehrbuch vortrefflich als Einführung in die wichtigsten Bauteile eines PC. HS FAZIT Das Buch sprüht nur so vor Ideen, Gebrauchsanweisungen und überraschenden Tipps. Randy Sarafan |62 Dinge, die du mit einem kaputten Computer und anderem Elektroschrott machen kannst| Übers. v. Simone Siebert. Eichborn 2011, 252 S., EurD 16,95/ EurA 17,50/sFr 24,50 53 07.09.2011 9:37 Uhr Seite 54 M A R K T P L AT Z SCHWELGERISCH Im Herbst ist die Schilcherzeit in der Weststeiermark angebrochen. Die Autorin und Edelbrandsommeliere Maria Steinbauer aus Rassach hat deshalb ein genussvolles Porträt der Weinregion verfasst. Darin beschreibt sie die verschiedenen Varianten der Blauen Wildbachertraube, die besonders als Schilcher einen eigenen Reiz vermittelt. Die Schilcherweinstraße führt von Ligist bis nach Eibiswald. Steinbauer erzählt auch die Geschichte des Schilchers, seine Besonderheiten, seine Entwicklung und wie man ihn genießen soll. Einen großen Teil nimmt die reich bebilderte Beschreibung der Betriebe ein, die von der Ölmühle über die Buschenschank bis zu Gasthöfen einen breiten Überblick bietet. Die knappen Texte und Bilder sollen eher animierend wirken und die Besucher anlocken. Abrundend werden die Feste der Region vorgestellt sowie einige Rezepte, bei denen der spezielle Roséwein eine wichtige Rolle spielt. LB Maria Steinbauer |Der Schilcher und sein Land| Styria regional 2011, 190 S., EurD/A 24,99/sFr 35,50 ANALYTISCH Als der Süden des Sudans nun seine Unabhängigkeit feiern konnte, wurde zwar ein neues Kapitel aufgeschlagen, der bestehende Bürgerkrieg jedoch damit noch nicht befriedet. Mahmood Mamdani, der nun in New York lehrt und früher an einigen afrikanischen Universitäten unterrichtete, erläutert in seiner umfassenden Studie die historischen und politischen Dimensionen des Konflikts, um nicht auf eine verkürzte ethnische Auseinandersetzung zwischen Afrikanern und Arabern hereinzufallen, wie es in hiesigen Medien gerne geübt wird. Mitglieder der Save Darfur Kampagne instrumentalisieren diesen Zwist gerne als Kampf gegen den Terror. In Wirklichkeit ist es ein Kampf ums Land, der von Sesshaften gegen Nicht-Sesshafte geführt wird. Hier sind die klimatischen Bedingungen wichtig, eine versäumte Landreform und zentralistische Unterdrückungen, die nicht an einer Konfliktbereinigung, wohl aber an Bodenschätzen interessiert sind. Der Politologe hat sich schon seit Jahren mit den verschiedenen Aspekten von Darfur beschäftigt und bietet eine Fülle an Fakten, die unsere Bilder von Afrika und speziell dem Sudan hinterfragen. SE Mahmood Mamdani |Blinde Retter. Über Darfur, Geopolitik und den Krieg gegen den Terror| Übers. v. Maren Hackmann. Edition Nautilus 2011, 384 S., EurD 29,90/ EurA 30,80/sFr 41,90 54 GEWAGT Die Geschichte ist wirklich unglaublich und faszinierend zugleich: Ein britischer Kriegsgefangener, der in der Nähe von Auschwitz interniert ist, will sich selbst ein Bild über die Greuel machen, von denen er gehört hat. So beschließt er, mit einem gefangenen Juden die Kleidung zu tauschen. Er wird Zeuge von schrecklichen Untaten und verlässt das Lager wieder. Nach dem Krieg schwieg er über Jahrzehnte. Nun ist er über 90 Jahre alt, erhielt 2010 den Titel eines „British Hero of the Holocaust“ und wurde vom damaligen Premierminister Brown ausgezeichnet. Seine Geschichte hat er nun dem BBC-Journalisten Rob Broomby erzählt. Trotz vieler Fakten und Details kochte nach der Veröffentlichung bald eine Diskussion los, die sich um die Frage drehte, ob die Geschichte nicht bloß erfunden sei. Avey selbst meinte, er hätte seinen Offizieren nach der Rückkehr nach England alles erzählt, doch sie wollten ihm nicht glauben. Er zog deshalb einen Schlussstrich und schwieg die nächsten 60 Jahre. Im Buch erzählt er seine ganzen Erlebnisse während des Kriegs, den er an verschiedenen Schauplätzen erlebte. Am eindringlichsten ist aber sicher der Teil SE über Auschwitz. Denis Avey, Rob Broomby |Der Mann, der ins KZ einbrach| Übers. v. Dietmar Schmidt. Lübbe 2011, 360 S., EurD 19,99/ EurA 20,60/sFr 28,50 POINTIERT Dorothy Parker (1893–1967) zählt zu den bekanntesten Schriftstellerinnen ihrer Zeit. Sie veröffentlichte zahlreiche Gedichte, eine Reihe von Kurzgeschichten und mehrere Theaterstücke. Besonders beliebt war bei ihr der Geschlechterkampf in vielen Varianten. Doch neben ihrer schreiberischen Tätigkeit gibt es auch viel über ihr Leben zu erzählen, denn sie war mehrmals verheiratet, hatte einen großen Freundeskreis, war Korrespondentin im spanischen Bürgerkrieg, engagierte sich politisch und lebte eigentlich im Algonquin Hotel. Es war eine gute Adresse. Der illustre literarische Zirkel, der sich dort traf, nannte sich deshalb die Algonquin Runde. Die Hauptfigur war dabei eben Dorothy Parker, die durch ihren Witz, ihre Schlagfertigkeit und ihren Sarkasmus immer für ein Bonmot gut war. Sie liebte eben das letzte Wort und kannte keine Grenzen. Als ihr der Arzt das Trinken ausreden wollte und prophezeite, sie wäre in einem Monat tot, antwortete sie nur kurz: „Alles leere Versprechungen.“ Den Witz von Dorothy Parker vermittelt Michaela Karl recht schmissig und weiß viel über die 20er- und 30erJahre in New York des letzten Jahrhunderts zu LB erzählen. Michaela Karl |Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber| Residenz 2011, 281 S., EurD/A 24,90/ sFr 35,90 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: WERNER GOACH 43-54 TB_SB 55-57_HB_NM 06.09.2011 18:00 Uhr Seite 55 M E D I E N M I X | M A R K T P L AT Z >DVDs aktuell • Literatur zum Ansehen >Digital 1885 – STURM AUF AFRIKA KUNST BEGREIFEN FOTOS: POLYBAND MEDIEN; ARTHAUS (2); PANDORA FILM/LES FILMS DU POISSON/TAYLOR MEDIA - PHOTO: BARUCH RAFIC DOKU. Im November 1884 wurde im Berliner Reichskanzlerpalais die Westafrikakonferenz einberufen. Diplomaten, Juristen und Geografen diskutierten dort über die Zukunft Afrikas. Konkret wurde begonnen, Afrika in Kolonien einzuteilen und willkürlich Grenzen zu ziehen. Filmaufnahmen von damals gibt es nicht, deshalb wurden für den Dokumentarfilm Schlüsselszenen der Konferenz nachgestellt. Joël Calmettes nützte für seine interessante und teilweise spannende Doku-Fiktion Extras: keine auch unveröffentlichtes Archivmaterial Regie: Joël Calmettes, Darsteller: Jacques Spiesser, Carlo und neueste Erkenntnisse der KoloniaBrandt u. a., Polyband Medien. Dauer: 90 Min., Format: 1,78:1 lismusforschung für eine ARTE-Serie, die (anamorph), Ton: Deutsch DD 2.0 nun auf DVD vorliegt. BRIGHTON ROCK THE TREE JAMES IVORY THRILLER. Regisseur Rowan Joffe hat den 1938 erschienenen und 1947 von John Boulting bereits verfilmten Roman von Graham Greene neu bearbeitet. Dabei siedelt er die Geschichte um den Ganoven Pinkie, der zum Boss aufsteigen möchte, in den 60er-Jahren an, inmitten der Auseinandersetzungen zwischen Roller fahrenden Mods und Rockern. Darsteller, allen voran Sam Riley und Helen Mirren, sowie Kamera überzeugen, die Handlung zeigt Schwächen. DRAMA. Auf Judith Pascoes Roman „Our Father who are in the Tree“ basiert der Film von Julie Bertuccelli. Feinfühlig dreht er sich um Abschied und Tod. Simone verarbeitet die Trauer über den Tod ihres Vaters auf ungewöhnliche Art. Sie zieht sich auf einen Feigenbaum zurück. Als ihre Mutter sich auf eine neue Beziehung einlassen könnte, kommen auch vom Baum Reaktionen. Eine interessante Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur, ohne zusätzliche Features. ARTHAUS CLOSE UP. Drei Filme des amerikanischen Regisseurs, entstanden zwischen 1985 und 1992, im Schuber: „Zimmer mit Aussicht“, „Maurice“ und „Wiedersehen in Howards End“. Gespickt mit prominenten Namen, unter anderen Helena Bonham Carter, Emma Thompson und Anthony Hopkins, hat Ivory die Romane von E. M. Forster in opulenten Bilderwelten spannend in Szene gesetzt. Sie entführen ins viktorianische England der vorletzten Jahrhundertwende. Extras: keine Extras: keine Extras: u. a. Audiokommentare, geschnittene Szenen, Interviews Regie: Rowan Joffe, Darsteller: Sam Riley, Andrea Riseborough u. a. Arthaus. Dauer: 107 Min., Format: 2,35:1 (anamorph), Ton: Deutsch/Engl./Franz. DD 5.1, Untertitel optional Regie: Julie Bertuccelli, Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Marton Csokas u. a. Alive AG. Dauer: 92 Min., Format: 1,85:1 (anamorph), Ton: Deutsch/Englisch DD 5.1, deutsche Untertitel optional Regie: James Ivory, Darsteller: Hugh Grant, Ben Kingsley u. a. Arthaus. 3 DVDs, Dauer: 383 Min., 1,78:1/2, 35:1 (anamorph), Ton: Deutsch/Englisch DD 2.0/DD 5.1, deutsche Untertitel optional BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 Das „Belser Lexikon der Kunst- & Stilgeschichte“ ist ein fachkundiger Begleiter in die Welt der Bildenden Kunst – von Malerei über Plastiken bis zur Architektur. Von den frühen Hochkulturen bis zur Moderne werden rund 1300 Werke in Bild und teils auch Ton vorgestellt. Außerdem die Künstler, Epochen und über 200 Museen. Die Bedienung ist einfach, entweder wird die Zeitleiste genutzt oder eine der vielfältigen Suchmöglichkeiten, bis hin zur Volltextsuche. Die versammelten Werke lassen sich nach Künstler, Stil, Herstellung und anderen Kriterien durchforsten. Ein informatives Kompendium, das leider nur unter Windows läuft. HL |Belser Lexikon der Kunst- & Stilgeschichte 3.0| United Soft Media 2011, 1 DVD für Win Auch als Download auf www.usm.de erhältlich! 55 55-57_HB_NM 06.09.2011 18:00 Uhr Seite 56 M A R K T P L AT Z | M E D I E N M I X PARODISTISCH KULINARISCH Der letztjährige BachmannPreisträger Peter Wawerzinek ist angeblich ein „besessener Vielleser“, der sich seit 30 Jahren mit unterschiedlichen Texten deutschsprachiger Autoren beschäftigt. Dabei schreibt er sie fort, um, anders – es entstehen Parodien. Eine Sammlung davon wurde nun in den „Raubzügen“ veröffentlicht. Sie beginnt mit modernen Klassikern wie Gottfried Benn, Rilke oder Alfred Döblin, geht weiter zu Ernst Jandl, Enzensberger, Rolf Hochhuth oder Peter Handke. Unter den Klassikern der DDR-Literatur firmieren z. B. Anna Seghers oder Wolfgang Hilbig. Auch Thomas Brussig bekommt sein Fett ab. Die Palette der Gegenwartsautoren ist breit und reicht von Wladimir Kaminer bis Helge Schneider. Es sind vorwiegend kürzere Texte, viel Lyrik, doch jede Gattung wird bemüht. Die Schneisen durch die Literatur sind ungemein vielfältig. Und weil Wawerzinek auch ein geschätzter Vortragskünstler ist, hat er eine Reihe seiner Texte eigens für eine CD eingelesen, die dem Buch beiliegt – weshalb es auch unter den Hörbüchern firmieren kann. Die Lesung animiert, ist doch Wawerzinek ein prächtiger Stimmenimitator. Schon zwei Bände zum Thema Küchenirrtümer hat Ludger Fischer verfasst und jetzt gibt es auch noch ein Hörbuch darüber. Fischer studierte zwar nicht Ernährungswissenschaften, sondern vielmehr Politik und Kunstgeschichte, aber er ist in Brüssel in Gremien für die Hersteller von Lebensmitteln sowie für Lebensmittelsicherheit und setzt sich deshalb ständig mit Lebensmitteln auseinander. Über viele Themen macht er sich Gedanken. Darunter etwa Meersalz, das angeblich gesünder sein soll, dann Olivenöl, Glutamat, Kaffee sowie Muscheln, Essig oder Zusatzstoffe. Breite Palette. Man erfährt einfache Dinge, etwa wie absurd es ist, ein blutiges Steak zu bestellen, denn da ist kein Blut mehr vorhanden. Die rötliche Flüssigkeit kommt vom Myoglobin, das dem Muskelgewebe seine rote Farbe gibt. Erleichtert kann man auch Spinat wieder aufwärmen. Und Fischer versichert, dass Eischnee aufgeschlagen werden kann, selbst wenn etwas Eigelb dabei ist. Im Selbstversuch konnte er es bestätigen. Selbst Nudeln müssen nicht in kochendes Wasser gegeben werden. Manche der Tipps sind hilfreich, sparen Zeit, Geld und vor allem Nerven bei der Küchenarbeit. Ludger Fischer argumentiert sehr unaufgeregt, unterhaltsam und hat die eine oder andere Anekdote parat, um seinen Gedankengang zu untermauern. Als Erzähler fungiert Florian Fischer, der sich schon bei so manchem Hörbuch bewährt hat. Peter Wawerzinek |Wawerzineks Raubzüge durch die deutsche Literatur| Galiani 2011, 240 S., 1 CD, ca. 78 Min., EurD 24,99/EurA 25,70/sFr 35,90 DRASTISCH Auch Hörbücher lassen sich durch andere Medien erweitern. Den Beweis tritt „Level 26“ an. Es ist eine flotte Krimihandlung, die ambitioniert von Udo Schenk gelesen wird. Protagonist ist Steven Dark, der bei seinem letzten Einsatz übers Ziel hinausschoss und einen gesuchten Serienkiller hinrichtete. Er quittiert zwar den Dienst, doch die neuen Fälle interessieren ihn immer noch. Bald werden Leichen gefunden, die nach Tarot-Motiven hingerichtet wurden. Nun kribbelt es Dark in den Fingern … An unterschiedlichen Stellen im Hörbuch tauchen Codes auf; wenn man diese im Internet eingibt, kann man per Video live bei Steve Darks persönlicher Tarotsitzung dabei sein. Anthony E. Zuiker, Duane Swierczynski |Level 26: Dunkle Prophezeiung| Übers. v. Axel Merz. Lübbe Audio, 6 CDs, 444 Min., EurD 19,99/EurA 20,20/sFr 29,90 56 Ludger Fischer |Küchenirrtümer| Eichborn Audio, 1 CD, 85 Min., EurD 14,95/EurA 15,10/sFr 22,90 ABRECHNUNG FAMILIÄR INTIM Kurz vor seinem Tod diktierte Thomas Harlan noch diese intensive letzte Auseinandersetzung mit seinem Vater Veit Harlan. Dieser war einer der wichtigsten Regisseure unter den Nazis, der durch Filme wie „Jud Süß“ propagandistisch für sie arbeitete. Nach 1945 kam der Regisseur Veit Harlan zwar vor Gericht, wurde jedoch von der „Beihilfe zur Verfolgung“ freigesprochen. Thomas hasste seinen Vater, wollte für die Schuld, die dieser auf sich geladen hatte, jedoch auch büßen. Die Konfrontation eines Sohns mit seinem NaziVater ist eine Geschichte über Verlust und Verrat sowie Lüge und Trauer. Als Sprecher agiert Thomas Thieme. Er spielte schon an manchem renommierten Theater, wie dem Burgtheater, der Schaubühne in Berlin und dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Außerdem wurde er 2000 zum Schauspieler des Jahres gewählt. Da ist natürlich Wucht zu hören – und mit Emotion geht Thieme an die Sache heran. Über die „Schoßgebete“ wurde allerorten berichtet und die Autorin tauchte in vielen Interviews sowie Talkshows auf. Wer wirklich vom Inhalt noch keine Ahnung hat: Elizabeth versucht mit ihrem Mann eine erfüllte Beziehung zu führen. Da nimmt Sex in vielen Spielarten natürlich eine wichtige Rolle ein. Das ist freilich nicht alles, denn da gibt es noch den Alltag, das Essen kochen, die Gespräche mit der Therapeutin. Die Eltern sind nicht ohne und lasten auch noch auf der Protagonistin, und dann sind noch diese Erinnerungen an einen schrecklichen Unfall. Geschrieben ist es flott, leichtflüssig in ähnlicher Offenheit, wie ihr erster Bestseller. Natürlich knöpft sie sich wieder einige Tabus vor, die es zu überwinden gilt. Selbstbewusst und doch verletzlich beschäftigt sie sich also mit Ehe und Familie. Dazu hat Roche sich auch an der eigenen Biografie bedient. Eingelesen wurde das Buch von ihr selbst. Sie hat zwar Erfahrung als Moderatorin, doch die Fülle in der Stimme geht ihr ein wenig ab. Sie liest zu abgeklärt, fast distanziert. Thomas Harlan |Veit Strunz!| intermedium records, 1 CD, 55 Min., EurD 14,90/EurA 15,10 Charlotte Roche |Schoßgebete| Hörbuch Hamburg/Osterwold Audio, 8 CDs, 581 Min., EurD/A 19,99/sFr 30,50 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: EICHBORN VERLAG >Hörbuch aktuell 55-57_HB_NM 06.09.2011 18:01 Uhr Seite 57 M E D I E N M I X | M A R K T P L AT Z FOTO: BILDSCHÖN/MARK BASSETT EINFÜHLSAM Es ist ein ungewöhnliches Buch, das Patrick Ness (Foto) nach einer Idee von Siobhan Dowd verfasste. Dowd ist leider nach schwerer Krankheit verstorben. Im Mittelpunkt steht der 13-jährige Conor O’Malley, der mit seiner Mutter, die schwer an Krebs erkrankt ist, zusammenwohnt. Jede Nacht erscheint ihm ein Monster, das ihm drei Geschichten erzählt und von ihm eine vierte Geschichte hören will, die sich um das Leben drehen soll und um die Wahrheit sowie um mögliche Verluste. Conor selbst hat das Leben nicht gut mitgespielt. In der Schule wird er gemobbt, die Eltern sind geschieden und mit seiner Großmutter, die sich um die kranke Mutter Conors kümmert, versteht er sich nicht sonderlich. Die einzige Instanz, mit der er noch sprechen kann, ist eben das Monster. Es sind sehr lebendige Figuren und die Themen Krankheit und Tod werden zwar direkt, doch sehr sensibel und mitfühlend behandelt. In 13 Ländern wird der Roman gleichzeitig veröffentlicht. Als Sprecherin wählte man Maria Furtwängler, die zwar sehr getragen spricht, aber dennoch das nötige Einfühlungsvermögen mitbringt. Patrick Ness, Siobhan Dowd |Sieben Minuten nach Mitternacht| Übers. v. Bettina Abarbarnell. Hörverlag, 4 CDs, 276 Min., EurD/A 19,99/sFr 29,90 NEUE ERFAHRUNGEN Der „Heldensommer“ ist eine Art Roadmovie, das sicher viele anspricht, denn die Charaktere sind gut gezeichnet, die Geschichte spannend und die Sprache lakonisch, schnoddrig und mit der richtigen Dosis Wortwitz versehen. Es geht um den jungen Phillip, der in Französisch nicht die Klasse besteht. Das will er nicht auf sich sitzen lassen; so fährt er mit seinem Kumpel Borawski und einem geklauten Soldatenkopf aus Weltkriegsbeton nach Frankreich. Der Plan: dort ist das Heimatdorf des Austauschlehrers, der für die schlechte Note verantwortlich ist. Und dort wollen sie den Wehrmachtsschädel auf das hiesige Widerstandsdenkmal platzieren. Das ist natürlich nur die Rahmenhandlung, denn wichtig werden die Erlebnisse und auch Hindernisse, die ihnen auf der Reise begegnen. Da geht es schon mal drunter und drüber. Timmo Niesner liest die Geschichte. Er ist die deutsche Stimme von Frodo aus dem „Herrn der Ringe“ – er hat schon eine Reihe Hörbücher für eher jugendliches Publikum eingesprochen. Enthusiasmus bringt er genug mit, und so wird eine vergnügliche Reise daraus. Andi Rogenhagen |Heldensommer| Lübbe Audio, 6 CDs, 398 Min., EurD 16,99/EurA 17,20/sFr 25,90 KRIMINALISTISCH FLOTT Drei Hörspiele aus der Blüte der Krimizeit des Radios wurden hier verpackt, nämlich „Neues von Dickie Dick Dickens“, dann „Die Dame ist leichtfertig“ sowie „Die vielgeliebte Dame“. Als beliebte Serienhelden firmieren Dickie Dick Dickens, Philip Odell und Heather McMara. Vielleicht sind für manche diese Hörspiele aus den 50er- und 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts zu nostalgisch, doch trotz ihrer Jahre strotzen sie vor Frische, abwechslungsreicher und spannender Handlung und originellen Charakteren. Dickie Dick Dickens ist einer jener guten Ganoven, die einen eigenen Ehrenkodex haben. In den Hörspielen mit Damen ermitteln der Privatdetektiv Philip Odell und seine Partnerin Heather McMara einmal zu rätselhaften Morden in einem medizinischen Forschungslabor. Im anderen Fall wurde ein berühmtes Fotomodell entführt. Odell ermittelt, doch dann verschwindet seine Partnerin Heather ebenfalls. Es sind wie immer sehr charmante und überaus einfallsreich inszenierte Fälle, die eine breite Riege an Sprechern erfordern. Dickie Dick Dickens wird von Carl-Heinz Schroth gesprochen. Albert C. Weiland hat nicht nur Regie geführt, sondern auch gleich die Rolle des Philip Odell übernommen. Daneben sind noch Brigitte Dryander, Fritz Haneke oder Norbert Gastell zu hören. |Krimi Kult Kiste 7| Hörverlag, 12 CDs, 410 Min., 194 Min., 232 Min., EurD/A 29,99/sFr 42,50 58-61 junior 06.09.2011 18:03 Uhr Seite 58 JUNIOR Wieder-Entdeckung! 1951 erschien Heiri Strubs Buch – und verschwand alsgleich aus den Buchläden. Die seltsame Geschichte eines Zensurversuchs mit endlich gutem Ausgang: „Das Walross und die Veilchen“ erschien jetzt in einer Neuausgabe in Originalversion. VON NILS JENSEN de. Wie man Freunde gewinnt? Das steht dezidiert in diesem köstlichen Buch, das der Schweizer Illustrator Heiri Strub ersonnen und gezeichnet hat. Und das ist runde 60 Jahre her. Damals erschien das Buch in Aarau, und während es Rezensenten hochlobten, steckte der Verkauf fest: Es wurde kaum angeboten, man musste insistieren, wollte man ein Exemplar. Wie das? Nun, erst als Strub vor einigen Jahren in der sogenannten „Fiche-Affäre“ seine Polizeiakten lesen konnte, erfuhr er den wahren Hintergrund: Der engagierte Illustrator und Künstler Strub war damals Mitglied der PdA (Partei der Arbeit; schweizerisches Äquivalent zur KP) und stand unter polizeilicher Beobachtung. Und diese Polizei hintertrieb den Vertrieb und Verkauf des Buchs – mit Erfolg. Resultat: Strub, der schon damals Werbeaufträge hatte und politische Kampagnen illustrierte, musste sich mit Frau und siebenjähriger Tochter eine neue Existenz suchen. Er wanderte in die DDR aus, fand in Frankfurt am Main einen Drucker, der das Buch neu auflegte, und fand schnell Käufer: innert kurzer Zeit war die Auflage vergriffen, das gescheite Buch um Freundschaft und Zusammenhalt einerseits und um Verbohrtheit und Dickköpfigkeit andererseits ein Erfolg geworden. Nur Schweizer Kinder mussten, Urmel gratuliert! Max Kruse feiert seinen 90. Geburtstag, und sein bekanntestes Geschöpf, das Urmel, gratuliert ganz herzlich. HANNA BERGER gratuliert ebenfalls. Das Urmel tritt ja mittlerweile nicht nur in über 800.000 verkauften Büchern auf, sondern auch als Filmheld und im Puppentheater. Dabei ist sein Schöpfer Max Kruse zuerst mit etwas anderem berühmt geworden: „Der Löwe ist los“ heißt die Geschichte, die 1965 kam, verfilmt vom Hessischen Rundfunk, in einer Aufführung der Augsburger Puppenkiste. Vier Jahre danach hieß es dann: „Urmel aus dem Eis“. Bis heute sind 11 Abenteuer um das Urmel erschienen. 58 Just zum runden Geburtstag seines Erfinders kommt „Urmel schlüpft aus dem Ei“, neu illustriert von Günther Jakobs, heraus. Außerdem ein über dreihundertseitiger Sammelband, „Das dicke Urmel-Buch“. Wie des Autors Leben eigentlich war, erzählt er ausführlich nebst viel Fotomaterial in seiner Autobiografie „Im Wandel der Zeit “. Denn die Schriftstellerei war ihm nicht in die Wiege gelegt: Kruses Mutter ist die weltbekannte Käthe Kruse, die wie gesagt, über ein halbes Jahrhundert warten, bis sie sich an Strubs Buch erfreuen konnten. Heuer ist es in originaler Aufmachung im Atlantis Verlag (Imprint von Orell Füssli) erschienen. Wie weit es geht, dass Veilchenduft sogar Walrösser zu verwirren vermag, und wie voreingenommen manche Herren Professoren sein können, wie Freundschaft hält und wie Geschichten gut ausgehen können, ohne jemals in Kitsch und Heuchelei abzurutschen, das und noch mehr bietet dieses endlich wieder zu genießende Buch des mittlerweile 95-jährigen Heiri Strub. Der immer noch zeichnet. Übrigens: Den Text der Neuausgabe hat er überarbeitet, die Illustrationen zeichnete er damals direkt auf Zinkplatten und für die Kolorierung machte er Linolschnitte. Die aufwendige Herstellungsweise lohnt sich – das Resultat spricht für sich, erstklassig! ZUM AUTOR Strub, 1916 in der Schweiz geboren, lebt nach Jahren der Emigration wieder in der Nähe von Basel. Heiri Strub |Das Walross und die Veilchen| Atlantis 2011, 48 S., Euro (A/D) 16,80/sFr 26,80 Schöpferin unzähliger Puppen, die mittlerweile bedeutenden Sammlerwert besitzen. Max Kruse hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Puppenfabrikation wieder aufgebaut und geleitet, bis er die Agenden seiner Schwester übergab und sich ganz aufs Schreiben konzentrierte. Den Urmel gibt es mittlerweile in China ebenso wie in Korea, in Russland wie in Schweden. Kruse erhielt für sein Gesamtwerk den Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur (2000), er ist Mitglied des P.E.N. und Träger des deutschen Bundesverdienstkreuzes und lebt heute in der Nähe von München. BÜCHER ZUM JUBILÄUM Max Kruse |Urmel schlüpft aus dem Ei| Ill. v. Günther Jakobs. Thienemann 2011, 32 S., EurD 12,95/EurA 13,40/sFr 20,50 |Das dicke Urmel-Buch| Ill. v. Erich Hölle. Thienemann 2011, 328 S., EurD 9,95/EurA 10,30/sFr 15,90 |Im Wandel der Zeit. Wie ich wurde, was ich bin| Thienemann 2011, 592 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 30,50 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: ATLANTIS VERLAG; THIENEMANN VERLAG Aufgefallen ist mir der Titel gleich, als ich das Buch in die Hände bekam: Ein monströses Walross, das einem jedoch nicht wild und böse entgegenstarrt, sondern mit augenzwinkerndem Vergnügen. Der Zeichenstil ist realistisch, kein Strich zuviel und doch voller Details. Die Geschichte beginnt mit dem Streit eines Professors und eines Gärtners. Während der Professor seine steife Lehrmeinung vorträgt – Melonen sind Früchte des Südens und können nur dort wachsen –, widerspricht der kundige Gärtner: „Wenn man Pflanzen richtig pflegt, wachsen sie überall.“ Ha, schreit der in seinem tiefsten Professorenherzen getroffene Mann, wenn das gelingt, dann „müssten wir Ihnen eine Million Franken bezahlen, den Superpreis aus der Melonenkernenbrotforschungsstiftung“. Ergo baut der Gärtner mitten im Eis ein Treibhaus und züchtet darin Melonen und Veilchen (die gehören zur Abmachung dazu!); und irgendwann bricht das schwere Walross durch den vermeintlichen Schneehügel, der in Wahrheit das Dach des Glashauses ist, stürzt tief – da „stieg süßer Veilchenduft in seine Nasenlöcher. Der roch so gut, dass das Walross genießerisch die Augen schloss und lächelte. Da lachte auch der Gärtner, obwohl er Grund hatte, böse zu sein.“ Und so werden sie Freun- 58-61 junior 06.09.2011 18:10 Uhr Seite 59 JUNIOR Vom Leben lernen! Ein wichtiges Thema für Heranwachsende, bei dem man Klartext sprechen sollte. Auch wenn das selbst im 21. Jahrhundert manche immer noch nicht schaffen: „Coming out“. VON ANNA ZIERATH Das ist so eine Sache: Gerade ist der erste Ansturm und Drang der Pubertät vorbei, der Jungmensch blickt wieder halbwegs geradeaus, das taucht was auf, so ein Gefühl, und man kann mit niemand darüber reden. So wie in Nick Burds Romanerstling „Die Wonnen der Gewöhnlichkeit“. Statt auf die Girlies der Cheerleadertruppe abzufahren, fühlt sich sein Protagonist Dade zum Star der FootballMannschaft hingezogen. Einschub: Heute ist Homosexualität kein besonderes Thema mehr (bis auf gewisse verbohrte Gruppen), aus den einschlägigen Selbsthilfegruppen wurden selbstbewusste Interessensvertretungen. Das gilt für Erwachsene. Was aber, wenn ein junger Mensch draufkommt, dass er nicht so tickt wie die meisten Mitschüler? Wohin kann er sich vertrauensvoll wenden, mit wem kann er sich austauschen, wo kann er nachfragen? Aufklärung ist vonnöten, in jedem Fall. Auch wenn im Internet und den zig Fernsehkanälen alles und jedes gezeigt wird und scheinbar „eh alles klar“ ist. Seriöses Wissen um die eigene Sexualität, ob Hetero, ob Homo, liegt eben nicht „auf der Straße“, sprich in Internet & Co, sondern muss erlernt sein. Ein etwas hinkender Vergleich, aber doch: Es ist wie mit dem Autofahren; wer sich das irgendwie beibringt ohne Kenntnisse der Verkehrsregeln und der Technik, wird wohl selten einen gesellschaftlich brauchbaren Umgang mit besagter Tätigkeit entfalten. Wir haben hier drei Bücher ausgewählt, die exakt zum Thema passen: Romane, die von den Erfahrungen, Belastungen, der Einsamkeit und Verlassenheit erzählen. Von der Wut im Bauch und vom kaum bewältigbaren Schritt, sich als Persönlichkeit selbst anzuerkennen. Erzählen vom stillen Kampf innerhalb der Familie, von den Hänseleien in der Schule, vom schließlichen Ausbruch und vom Aufbruch in ein selbstbestimmtes Leben. Das geht natürlich nicht so glatt, wie es klingt – und das ist ein Qualitätszeichen dieser Romane: Dass sie weder eine tiefschwarze Unterschichtstory beibringen noch ein Comingout-Märchen mit Rosen und Tralala. Es sind drei Geschichten, die Homosexualität zum Thema haben und für die Altersgruppe exakt BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 passen. Wie gesagt, da ist einmal die Geschichte des jungen Dade, und die Geschichte jenes Sommers vor dem College, als Dade sein Coming out erfährt. Er lernt mühsam und schmerzlich, wie es ist, zu seinem Ich zu stehen; wie man Spott und Häme übersteht, ohne unterzugehen. Angesiedelt in den USA heute, Mittelschicht, Autos und Vorgärten und Personen, die weder besonders auffällig noch besonders böse sind, Alltag eben. Nick Burd schafft es bravourös, kommt ohne Tragik und Schwarzweißmalerei aus. Im zweiten Beispiel beschreibt Anna Kuschnarowa in „Junkgirl“ den Ausbruch eines wohlbehüteten Mädchens in Deutschland aus familiärer Zwangsumklammerung. Alissa verliebt sich in eine neue Mitschülerin, um dann als Alice an deren Seite durch die Szene zu streifen. Alice – so nennt sie ihr alter ego, nachdem sie Drogen und Subkultur kennenlernte. Kuschnarowa gelingt eine durchaus zärtliche Beschreibung des Mädchens in allen Höhen und Tiefen, Ende offen. Kein Hohelied auf Drogen oder Aussteigerfolklore, Klartext eben, und das in rasanter Geschichte. Das dritte Buch stammt von Floortje Zwigtman und ist der Abschluss ihrer Trilogie um Adrian Mayfield. Diese spielt in London Ende des 19. Jahrhunderts, Mayfield ist Lehrjunge, mittellos, wird von einem Kunstmaler als Modell aufgenommen. Die Teile sind jeder für sich lesbar, ebenso als großer Bogen um Normen und Verlogenheit jener Epoche. Dreimal Klartext zum Heranwachsen und Werden. Dreimal Klartext mit ganz verschiedenen Stilmitteln und Stories zu einem ganz wichtigen Thema. Gewünscht, dass es engagierte Lehrpersonen gibt, die diese Romane ihren Schülern empfehlen. ® DIE BÜCHER Nick Burd |Die Wonnen der Gewöhnlichkeit| Übers. von Wolfram Ströle. dtv premium 2011, 320 S., EurD 14,90/ EurA 15,40/sFr 21,90 Anna Kuschnarowa |Junkgirl| Gulliver/Beltz & Gelberg 2011, 223 S., EurD 12,95/EurA 13,40/sFr 18,90 Floortje Zwigtman |Adrian Mayfield – Auf Leben und Tod| Übers. v. Rolf Erdorf. Gerstenberg 2011, 634 S., EurD 22/ EurA 22,70/sFr 31,90 ® ZUR SACHE Zurück zum Urknall – Die große Verschwörung enthält eine Reihe von Beiträgen über wissenschaftliche Themen, die einen guten Einblick in aktuelle Theorien rund ums Universum geben: seine Entstehung, seine dunkle Seite, Wurmlöcher und Zeitreisen. „Zurück zum Urknall“, von vier bedeutenden Wissenschaftern geschrieben, besticht mit übersichtlichen und verständlichen Begriffserklärungen (unser Sonnensystem; die Newtonschen Gesetze etc.). Es klingt alles viel komplizierter, als es sich liest. Immerhin geht es ja um das Schwein Freddy und die Frage: An welchem Ort des Universums würde ein Schwein am liebsten leben? Auch Wie man aus 92 Elementen ein ganzes Universum macht dreht sich ums Universum: Der Chemielehrer Adrian Dingle zeigt, „wie sich chemische Elemente miteinander verbinden und dabei jede Menge Dinge bilden (alle, um genau zu sein)“. Das großformatige Buch ist in vier Kapitel unterteilt (Weltraum, Erde, Natur; Im Alltag; Materialien; Technik) und anschaulich illustriert. Da wird man schnell warm mit Kalten Kometen, mit Diamantenfieber oder mit Chemie im Alltag zwischen Fast Food und prickelndem Zuckerwasser. Die einzelnen Themen sind stets auf Doppelseiten mit mehreren Textblöcken aufbereitet, die Erklärungen sowie Beispiele bieten. Hübsch. In Trickchemie geht es um Schweine, genauer um den schlauen Hein und seine Klassenkameraden. Und um ein neues Schulfach: Chemie. Ziemlich kompliziert das Ganze. Bis Rosa Griebenschmalz ihnen anschaulich macht, dass Chemie halt aus mehr besteht als aus so komisch klingenden Sachen wie Säuren, Laugen und Periodensysteme. Es folgen alltagspraktische Beispiele, einfach erklärt und leicht nachzumachen (ob man aus Milch, Essig und Backpulver einen Klebstoff machen kann? Man kann!). So eine Rosa möchte man allen Schulkindern wünschen, nicht nur Schwein Hein & Freunden. HANNA BERGER Lucy und Stephen Hawking |Zurück zum Urknall – Die große Verschwörung| Übers. v. Irene Rumler, Ill. v. Quint Buchholz. cbj 2011, 304 S., EurD 17,99/EurA 18,50/sFr 27,90 Adrian Dingle |Wie man aus 92 Elementen ein ganzes Universum macht| Übers. v. André Mumot. Bloomsbury 2011, 96 S., EurD 16,90/EurA 17,40 Robert Griesbeck, Nils Fliegner |Trickchemie. Schräge Experimente und schweineschlaue Tricks| Boje 2011, 117 S., EurD 9,99/EurA 10,30 59 58-61 junior 07.09.2011 10:09 Uhr Seite 60 JUNIOR NORA LIEST … Nora Zeyringer, 18, die starke Stimme der Jugend ÜBER DEN HOLOCAUST „Esther“ von Maya Rinderer und „Nicht ohne dich“ von Leslie Erika Wilson behandeln beide den Holocaust. Während Maya Rinderer aus der Perspektive der 15-jährigen Jüdin Esther schreibt, erzählt Leslie Erika Wilson ihre Geschichte aus der Sichtweise eines jungen deutschen Mädchens, Jenny, die in ihren besten Freund, den Juden Raffi, verliebt ist. Esther lebt 1942 mit ihrer Mutter und den kleinen Geschwistern in Frankfurt. Als sie den Transportbescheid bekommen, flieht Esther mit der jüngsten Schwester Rachel und schlägt sich von da an alleine durch. Ihr Ziel ist eigentlich Frankreich, aber soweit kommt sie nicht. Es scheint, als könnte Esther dem für sie vorbestimmten Schicksal nicht entfliehen. Jenni und Raffi sind seit sie denken können befreundet. Durch Zufall entgeht Raffi der Deportation, aber Jenny kommt zu spät, um seine Mutter ebenfalls vor dem Transport zu bewahren. Durch die Liebe, die Jenny für Raffi empfindet, ist sie bereit, alles zu tun, um ihn zu retten, auch wenn sie selbst dabei zu Schaden kommt. Fast hätten Jenny und ihre Mutter es geschafft, Raffi bei sich zu verstecken, aber sie werden verraten und müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um Raffi – und sich selbst – zu retten. Vom Stil her schreibt Maya Rinderer, die erst 15 Jahre alt ist, wie eine Jugendliche. Ihre Sätze sind so formuliert, dass man merkt, eine junge Person hat diese verfasst. Ich denke, sie kann ihre Fähigkeiten im Schreiben durchaus noch verbessern. Es ist ein sehr schwieriges Thema, dem sie sich in „Esther“ angenommen hat, und dafür, dass es ihr erster Roman ist, ist es ihr gar nicht so schlecht gelungen. Allerdings gefiel mir Leslie Erika Wilsons Buch von Stil und der Geschichte her besser. Beim Lesen des Buchs hab ich deutlich gemerkt, dass das Buch von einer Erwachsenen geschrieben wurde, sie formuliert die Sätze mit mehr Bedacht und beschreibt die Situation besser, wie ich finde. Ich empfehle diese Bücher allen über 13, die schon etwas Vorwissen zum Holocaust besitzen und auch gerne mal ernstere Bücher lesen. Maya Rinderer |Esther| Bucher 2011, 356 S., EurD/A 19,90/ sFr 29,90 Leslie Erika Wilson |Nicht ohne dich| Übers. v. Ch. Prummer-Lehmair u. K. Förs. Boje 2011, 384 S., EurD 16,99/ EurA 17,50/sFr 24,50 60 Vom Ende der Welt In Zeiten, da immer öfter von Naturkatastrophen und anderen Krisen berichtet wird, verwundert es nicht, dass im Jugendbuch vermehrt Weltuntergangsszenarien durchgespielt werden. Eine aktuelle Auswahl von HANNES LERCHBACHER. Ob Eiszeit, Erdbeben oder außerirdische Besucher – das Kino hat mit Katastrophenszenarien regelmäßig Kassenschlager hervorgebracht. Im Mittelpunkt todesmutige Helden, die ihr Leben aufs Spiel setzen, als ginge es um Spieljetons beim Familienroulette. Auch die vorliegenden Bücher bieten schauderbare Zukunftsvisionen. Hier sind die Helden Jugendliche. Die 16-jährige Lucy in Jo Treggiaris „Ashes, Ashes“ kämpft, während der Großteil der Weltbevölkerung Naturkatastrophen und Epidemien zum Opfer gefallen ist, in den Überresten von New York ums Überleben. Von einem Tsunami ins Landinnere getrieben, schließt sie sich einer Gemeinschaft an, die zwar Schutz bietet, aber auch stetes Ziel von Angriffen bewaffneter Truppen ist, die auf der Suche nach etwas sind. Als Lucy begreift, worum es geht, ist es bereits zu spät. Gefällig! Von einem noch vergleichsweise intakten New York erzählt „Die Verlorenen von New York“, der zweite Band von Susan Beth Pfeffers Endzeit-Reihe. Das Szenario ist gleich wie beim Vorgänger „Die Welt wie wir sie kannten“: Ein Asteroid schlägt auf dem Mond ein – und dieser, nun näher bei der Erde, löst alle erdenklichen Katastrophen aus. Mittendrin muss Alex auf seine Schwestern aufpassen, Lebensmittel auftreiben und sich auf immer neue Unwegbarkeiten einstellen. Eine Fortsetzung ist „Numbers – Den Tod vor Augen“ von Rachel Ward. Adam hat die gruselige Gabe, in den Augen der Menschen die Todestage zu lesen, von seiner Mutter geerbt. Als ein Datum in immer mehr Augen aufscheint, muss er etwas unternehmen. Ein bewährtes Konzept neu aufgesetzt. In „X.TRA“ erzählt Stephen Wallenfels von einer außerirdischen Invasion aus Sicht zweier Zeugen. Die 12-jährige Megs wartet in Los Angeles auf ihre Mutter, als eine Flotte bedrohlicher Weltraumkugeln auftaucht. Der 15-jährige Josh ist derweilen mit seinem Vater im Nordwesten der USA. Auch hier schweben die Kugeln am Himmel. Was die wollen, wird nicht klar. Die beiden Kids erzählen abwechselnd von Hunger, Gefahren und zunehmender Hoffnungslosigkeit. Existenzängste leidet Neva im gleichnamigen Roman von Sara Grant keine. Dennoch will sie ausbrechen. Sie ist überzeugt, dass es jenseits der abgeschirmten Kuppel, in der sie aufgewachsen ist, eine Welt gibt, in der Menschen noch ein Recht auf Eigenständigkeit haben und für die es sich lohnt zu kämpfen. Um Kuppeln geht es auch in „Deadline 24“ von Annette John. Unter diesen sind die Menschen nämlich sicher, während sie außerhalb hungrigen Bestien als Futter dienen. Sally verlässt auf der Suche nach ihrem Bruder die Kuppelfarm der Familie und zieht in den Kampf gegen die mächtigen Warlords. Spannend bis zuletzt! Lauren DeStefano erzählt in „Totentöchter“ von einer Zukunft, in der die Lebenserwartung recht niedrig ist. Frauen sterben mit zwanzig, Männer mit fünfundzwanzig, punkt. Mädchen im gebärfähigen Alter werden entführt und anschließend verkauft oder getötet. Die 16-jährige Rhine hat „Glück“ – sie landet in einem Harem. Pech nur, dass sie sich statt in den Hausherrn in einen Diener verliebt. Im Gegensatz zu den vorherigen Büchern richtet sich letzteres ausschließlich an Mädchen, die zudem ein Faible für üppige Liebesgeschichten haben. DIE BÜCHER Lauren DeStefano |Totentöchter. Die dritte Generation| Übers. v. Catrin Frischer. cbt 2011, 394 S., EurD 16,99/ EurA 17,50/sFr 26,90 Susan Grant |Neva| Übers. v. Kerstin Winter. Pan 2011, 349 S., EurD 16,99/EurA 17,50/sFr 26,90 Annette John |Deadline 24| Beltz & Gelberg 2011, 375 S., EurD 16,95/EurA 17,50/sFr 24,90 Susan Beth Pfeffer |Die Verlorenen von New York| Übers. v. Annette von der Weppen. Carlsen 2011, 350 S., EurD 16,90/EurA 17,40/sFr 26,90 Jo Treggiari |Ashes, Ashes| Übers. v. Dorothee Haentjes. ars edition 2011, 375 S., EurD 16,95/EurA 17,50/sFr 26,90 Stephen Wallenfels |X.TRA| Übers. v. Anja Malich. Boje 2011, 284 S., EurD 14,99/EurA 15,50/sFr 21,90 Rachel Ward |Numbers – Den Tod vor Augen| Übers. v. Uwe-Michael Gutzschhahn. Chicken House 2011, 429 S., EurD 14,95/EurA 15,40/sFr 23,90 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 58-61 junior 06.09.2011 18:16 Uhr Seite 61 3x3 VON HANNES LERCHBACHER BILDERBUCH Rosa und Bleistift von Jens Rassmus ist wie ein Stück Lieblingstorte! Der Genussfaktor ist nicht erklärbar. Geschichte und Bilder sind stimmig, von der ersten bis zur letzten Seite passt hier einfach alles, weckt Lust zum Lesen, Wiederlesen, Vorlesen, selbst zu zeichnen juckt es, und man möchte es verschenken – einmal, zweimal … Astrid Walentas Affe ist wieder unterwegs, diesmal per Teppich. Ferdinand im Morgenland ist ein lustig-fröhlicher Kulturaustausch. Singend und reimend macht sich Ferdinand auf, Neues zu entdecken. Die farbenfrohen Bilder der Reise liefert Maria Hubinger in gewohnt (papier-)reißerischer Manier. Die große Reise von Fräulein Pauline ist eine großformatige Liebeserklärung an das Kindsein. Das Leben ist voller Regeln und lästiger Aufgaben: Mach dies, denk an das … Als Kind kann man vor diesen Stimmen zum Glück noch entfliehen. Charlotte Gastaut hat Paulines Flucht-Welten fantasievoll in Szene gesetzt. KINDERBUCH Die Geschichte neigt dazu, sich zu wiederholen, spricht Uromimi, und behält wieder einmal Recht. Denn Pollys Widersacher ist zurück. Mr. Gum und die Kristalle des Unheils wollen einen alten Fluch erfüllen, den es zu verhindern gilt. Andy Stantons Bücher, übersetzt von Harry Rowohlt, sind schräg-schauriges (Vor-)Lesevergnügen. Schurken überall! Da hilft nur ein unerschrockenes Superheldenteam. Ob es sich um gemeingefährliche Ganoven aus der Parallelklasse oder Schrecken verbreitende Familienangehörige dreht – Sebastian und seine Freunde sorgen für Recht, Ordnung und … meistens Chaos. Denn selbst mit bester Absicht geht mal etwas schief. Launig! Ums Familiendasein dreht sich Spaghetti mit Schokosoße von Ruth Löbner. An einem Vater-Wochenende wird Joram mit Papas neuer Familie konfrontiert. Es erwarten ihn Mädchen, Großeltern und … eine andere Frau. Aber so ungern er Papa auch teilt, muss er sich schließlich doch eingestehen, dass so eine Zusatzfamilie auch ihre Vorteile hat. JUGENDBUCH Status: Online! Nachdem ihm ein iPhone den Schädel zerdeppert und sich mit seinem Gehirn verlinkt hat, gibt’s Internet in Toms Kopf. Unterstützt von ein paar Hardware-Erweiterungen mischt er als iBoy die Gangster im Viertel gehörig auf. Besser schreiben als Kevin Brooks geht nicht, um Jugendliche für Literatur zu begeistern. Ein ungewöhnlicher Roman ist König, Dame, Joker. Eingebettet in die Geschichte von Alton, der sich einer Erbschaft willen die Sommerferien über um seinen Onkel kümmert, führt Louis Sachar informativ und kurzweilig in den Bridgesport ein. Und weckt Lust aufs Ausprobieren. Rundherum gibt’s Liebe, Spannung, Abenteuer. Nach dem Tod der Mutter wird Zoë von einem schrulligen Onkel aufgenommen. Beide finden sich dabei in ungewohnten Rollen wieder. Und auch sonst gibt es hier Einiges, was eines aufgeweckten Mädchens Neugierde weckt. Zwischendurch kommt die Hauskatze zu Wort. Clay Carmichaels Debüt ist ansprechende Geschichte, die ohne Liebe auskommt. BILDERBUCH KINDERBUCH JUGENDBUCH Charlotte Gastaut |Die große Reise von Fräulein Pauline| Übers. v. Ana Maria Montfort. Knesebeck 2011, 48 S., EurD 20,60/EurA 19,95/sFr 28,50 Ruth Löbner |Spaghetti mit Schokosoße| Ill. v. Karsten Teich. Boje 2011, 187 S., EurD 12,99/EurA 13,40/sFr 18,90 Kevin Brooks |iBoy| Übers. v. UweMichael Gutzschhahn. dtv 2011, 298 S., EurD 13,90/EurA 14,30/sFr 19,90 Frank Schmeißer |Schurken überall!| Ill. v. Jörg Mühle. Ravensburger 2011, 209 S., EurD 12,99/EurA 13,40/sFr 22,90 Clay Carmichael |Zoë| Übers. v. Birgitt Kollmann. Hanser 2011, 255 S., EurD 13,90/EurA 14,30/sFr 19,90 Andy Stanton |Mr. Gum und die Kristalle des Unheils| Ill. v. David Tazzyman. Übers. v. Harry Rowohlt. Sauerländer 2011, 216 S., EurD 12,95/EurA 13,40/sFr 21,90 Louis Sachar |König, Dame, Joker| Übers. v. Werner Löcher-Lawrence. Bloomsbury 2011, 363 S., EurD 16,90/ EurA 17,40 Jens Rassmus |Rosa und Bleistift| Nilpferd in Residenz 2011, 40 S., EurD/A 14,90/sFr 21,90 Astrid Walenta |Ferdinand im Morgenland| Ill. v. Maria Hubinger. Bibliothek der Provinz 2011, 64 S., EurD/A 18/sFr 30 BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 62-63 BK_RÄTSEL 06.09.2011 18:18 Uhr Seite 62 GEWINNSPIEL Mitmachen & Gewinnen Das anspruchsvol Graham Greene war einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Der Großneffe von „Schatzinsel“-Autor Robert Louis Stevenson ist heute vor allem als Schöpfer von „Der dritte Mann“ bekannt. Er hat ein beträchtliches Oeuvre hinterlassen, wurde mehrmals für den Literatur-Nobelpreis gehandelt. Viele seiner Romanewurden erfolgreich verfilmt. Zuletzt der 1938 erschienene Roman „Brighton Rock“, der bereits 1947 ein erstes Mal als Filmvorlage diente und im Jahr 2010 von Rowan Joffe erneut verfilmt wurde. In diesem psychologischen Krimi nützt der Katholik Greene die spannende Handlung sowie eindrückliche Charakterstudien für seine Kritik am Katholizismus. Schreiben Sie und das richtige Lösungswort und gewinnen Sie eines der 3 Greene-Pakete! 1 GEWINNFRAGE Mit seiner Biografie nahm es unser gesuchter Autor nicht so ernst und seine Biografen tun sich etwas schwer, Fakten von Fiktion zu trennen. In jungen Jahren büchste er von zu Hause aus. In einer anderen Version wollten ihn seine Eltern einfach nicht mehr auf die Schule lassen. Nach einigen Jahren in St. Petersburg begann er zu studieren. Doch das währte nicht lange und Reisen rund um den Globus folgten. Auf ihnen begann er auch zu schreiben und hatte bald Erfolg damit. Als Kriegsfreiwilliger verlor er einen Arm. Es dauerte einige Zeit, bis er diesen Verlust überwand, doch dann schrieb er weiter, reiste und versuchte sich in verschiedenen Berufen. Er war auch im Filmgeschäft sehr rege, doch am bekanntesten wurde er als Autor. Wo befindet sich sein Nachlass? T Rom 62 S Paris R Bern 2 GEWINNFRAGE Heute sind seine Bücher weitgehend vergessen, mit einer einzigen Ausnahme. Und die hat es in sich. Nahezu jeder und jede kennt die Figuren aus diesem Buch, aber nicht den Autor. Als es erstmals erschien, wurde es zum Welterfolg, und blieb es eigentlich bis heute. Doch damals war fast jedes seiner Bücher ein Verkaufsschlager und er gehörte zu den meistgelesenen Autoren seiner Zeit. Das war zu Beginn nicht absehbar, denn nachdem er die Schule ohne Abschluss verließ, kümmerte er sich vor allem um einen Job, mit dem er Geld verdienen konnte. Damit reiste er dann sogar nach Indien. Doch das Schreiben wurde immer wichtiger und er kehrte zurück. Neuerdings wurde sein Werk wieder erforscht und unbekannte Quellen wurden untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass unser Autor ein Antisemit war. Welche Ausbildung absolvierte er eigentlich? E Kaufmann 3 A Buchhalter O Krankenpfleger GEWINNFRAGE Schwere Krisen bestimmten das Leben unseres gesuchten Autors. Schon früh verstarb sein Vater. Zu seiner Mutter hatte er ein sehr problematisches Verhältnis. Nur das Verhältnis zu seiner Schwester sorgte für Entspannung. Sie lebten auch nach dem Tod der Mutter zusammen. Sie führte ihm den Haushalt und arbeitete zudem als seine Sekretärin. Öfters führte ein Scheitern von ihm, etwa bei seinem Jus-Studium, zu Depressionen. Die Folge war die Einweisung in eine Anstalt. Durch eine Erbschaft waren er und seine Schwester finanziell abgesichert. Das war auch nötig, denn der literarische Erfolg sollte noch auf sich warten lassen. Doch nach seinem Durchbruch erschienen regelmäßig seine Arbeiten. Gegen Ende seines Lebens verfiel er wieder in Depressionen. Wie hieß seine Mutter mit Vornamen? A Maria E Magdalena U Elisabeth BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 62-63 BK_RÄTSEL 06.09.2011 18:19 Uhr Seite 63 GEWINNSPIEL FOTOS: ARTHAUS In der Neuverfilmung von „Brighton Rock“: Helen Mirren (l.) und Sam Riley in wichtigen Rollen. olle Literaturrätsel 4 GEWINNFRAGE Sehr alt wurde unser gesuchter Autor nicht. Das liegt aber vor allem an einem Leiden aus seiner Jugend. Er erkrankte nämlich an TBC, doch die Ärzte konstatierten eine Lungenentzündung. Mit der Krankheit musste er zu leben lernen. Er liebte es zu reisen, sah sich auch als eine Art Vagabund und eckte schon früh mit seinen Arbeiten an, ob es sich nun um erotische oder politische Themen handelte. Bekannt wurde er nicht nur für seine Lyrik und die Theaterstücke, sondern auch für seine Nachdichtungen, wofür er sich sehr mit dem asiatischen Raum beschäftigte. Seine Werke veröffentlichte er unter Pseudonymen. Besonders unter einem Namen ist er noch immer bekannt – doch wie hieß er wirklich mit Vornamen? V Max 5 Zu gewinnen gibt’s: 3 mal 1 DVD „Brighton Rock“ (Arthaus) 1 Buch „Am Abgrund des Lebens“ (dtv) GEWINNFRAGE A 1916 FOTOS: DTV; ARCHIV; FLYOUT; MELEAGROS; WALTER JACOBI Machen Sie mit und gewinnen Sie die DVD der neuen „Brighton Rock“-Verfilmung (Arthaus) sowie das Buch zum Film – Graham Greenes „Am Abgrund des Lebens“, erschienen im Deutschen Taschenbuch Verlag! S Heinrich T Alfred Unser gesuchter Autor war Philosoph und Wissenschaftler, doch von manchen wird er eher als Journalist und Autor gesehen. Weil er angeblich zu leidenschaftlich schrieb, gerne provozierte und für eine gründliche und systematische Aufarbeitung ihm das Naturell fehlen sollte. Er arbeitete einige Zeit als Theaterkritiker, musste dann aber emigrieren, schaffte es jedoch, eine Professur in seinem neuen Heimatland zu bekommen und nahm auch dessen Staatsbürgerschaft an. Einige Jahre nach dem Krieg kehrte er zurück, obwohl Verwandte von ihm während des Kriegs ermordet wurden. Bekannt wurde er mit seinen kritischen Monografien und Porträts sowie einer Arbeit über anstößige Literatur. Seinen kritischen Geist hat er nie aufgegeben. Er schrieb übrigens seine Doktorarbeit über Friedrich Nietzsche. Wann wurde diese veröffentlicht? 6 + E 1917 O 1918 GEWINNFRAGE Trotz seines Studiums schlug sich unser Autor als freier Journalist und Schriftsteller durch. Es brauchte schon einige Jahre, bis ihm der Durchbruch gelang. Er war mehrmals verheiratet und liebte das Reisen. Seinen Wohnsitz wechselte er anfangs öfters, lebte in Paris, Berlin, Brüssel und in Zürich. Erst spät fand er seinen Lebensort, an dem er auch verstarb. Geschätzt wurde er als Essayist und Romancier. Er war sehr produktiv, ließ sich später aber unter den Nazis zu einer Ergebenheitsadresse hinreißen. Dafür musste er heftige Kritik von manchen Kollegen einstecken. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es deshalb sehr ruhig um ihn und er verarmte. Doch dann kam es zu einer Wiederentdeckung durch Rolf Hochhuth und seine Bücher erreichten wieder fulminante Auflagen. In einem seiner Romane lässt er das Flair der Blütezeit einer Stadt wieder aufleben. Um welchen Ort handelt es sich? T Marienbad R Baden-Baden S Bad Gastein BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 Teilnahmebedingungen: Das Buchkultur-Literaturrätsel geht in die nächste Runde. Lösen Sie das „Literarische Rätsel“ dieser Ausgabe und schicken Sie uns die Antwort. Aus den Buchstaben der 6 Fragen bilden Sie das Lösungswort. Lösungshinweis: Das gesuchte Wort ist der Nachname eines Autors, der für seine Bücher sehr geschätzt wurde, obwohl er einige Zeit im Gefängnis saß. Heute trägt eine Reihe von Schulen oder Straßen seinen Namen. 1 2 3 4 5 6 Die Gewinne werden unter den TeilnehmerInnen verlost, die das richtige Lösungswort bis zum 24. Oktober 2011 eingesandt haben. Die Gewinnspielteilnahme ist bei gleichen Gewinnchancen auch mit einfacher Postkarte oder über unsere Website möglich (www.buchkultur.net). Schreiben Sie an: Buchkultur VerlagsgmbH., Hütteldorfer Straße 26, 1150 Wien, Österreich, Fax +43.1.7863380-10 E-Mail: redaktion@buchkultur.net Eine Barauszahlung ist nicht möglich. Die GewinnerInnen werden von der Redaktion benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Die Auflösung von Heft 137: Gesucht war Armistead Maupin Gewonnen haben: Hauptpreis: Frau Heidi Riepl, Leonding 2.-4. Preis: Frau Bernhild Knichel, Rüsselsheim • Herr Matthias Lang, Meerbusch • Frau Monika Ties, Dornbirn 63 64-65 BK cafe 06.09.2011 18:36 Uhr Seite 64 B U C H K U LT U R C A F É [Zeitschriftenschau] die horen 242 Zum Gastland der Frankfurter Buchmesse 2011, Island, eine erstklassige Beigabe, diese neue Ausgabe der renommierten Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik. „Bei betagten Schiffen“ wurde als Titel gewählt. Es ist der Gedichttitel eines Textes von Stefán Hördur Grímsson, ein betörend schöner Text. Das Bedeutende dabei: Grimsson gehörte wie einige Kollegen damals in den 1950er-Jahren zu den sogenannten „Atomdichtern“. Warum diese so geheißen wurden, was es mit ihnen und ihrer umwälzenden Art zu schreiben auf sich hat, ist in diesem ausführlichen, dicken und lesenswerten Band enthalten. Ein Glanzstück herausgeberischer Tätigkeit, und ein Lesevergnügen besonderer Art. Info: www.die-horen.de Salz 144 Schweizer Literaturen diesmal das Thema der Salzburger Zeitschrift. Und immer wieder Neues findet man in diesem kleinen, wiewohl sehr mehrsprachigen Land. Man erinnere sich nur etwa des Wespennest-Schweizhefts oder jenes des Podium. In Salz 144 wird wieder entdeckt und vorgestellt, ein weiteres Puzzle-Teilchen. Man glaubt es nicht, wie virulent und bunt die Schweizer Literaturlandschaft ist. Im Vorwort schreibt Liliane Studer ganz richtig: „Die Schweizer Literatur hat mit PROGRAMM ÖSTERREICH 1 Die Pest Hörspiel in drei Teilen nach dem gleichnamigen Roman von Albert Camus Die algerische Stadt Oran wird von rätselhaften Ereignissen heimgesucht. Plötzlich tauchen überall in der Hafenstadt die Ratten auf. Kurz darauf sterben die ersten Menschen an einem heimtückischen Fie- HÖRSPIEL-STUDIO Ausziehen ja, anziehen auch Von Alois Hotschnig. Drei Männer und vier Frauen, ältere Herrschaften allesamt, sitzen im Wartezimmer einer Ärztin – und warten. Manche kommen oft, manche sind zum ersten Mal hier. Die Gespräche kreisen in Endlosschleifen über Krankheiten, über das Leben, über den Tod, den Verlust. „Ich bin eine einzige Regenzeit“, sagt Frau Miller. „Es beginnt in den Knöcheln. Das Wasser steigt und steigt. Dämme gibt es nicht.“ Vorübergehend helfen Infusionen, Bandagen und Medikamente: „Ein Megalon, zwei Cervoflax, ein Madopor.“ Herr Berg hingegen ist vor allem von einer Angst getrieben: Die Ärztin, fürchtet er, könne ihm eine Jacke verschreiben. Herr Renk verspricht, ihm die Jacke noch im Wartezimmer aufzutrennen, vorausgesetzt, Frau Dr. Thaler würde Herrn Berg eine Strickjacke verordnen. Bei einer Lederjacke, sagt er, wüsste er freilich „auch nicht“. Man könne allerdings versuchen, sich die Jacke im Café Central stehlen zu lassen. Wiewohl im Central noch niemals „etwas abhanden gekommen“ ist. oe1.ORF.at Ö1 gehört gehört. 64 Freibord 152 Wie gut, dass es das Freibord bereits im 35. Jahrgang gibt: Denn da kann man immer weiter Texte entdecken sowie Autorinnen und Autoren, die ziemlich einnehmen. Bekannte Namen ebenso wie Neues. Herausgeber Gerhard Jaschke mit neuem Elan, wie es scheint. Erfreulich! Wir schauen und lesen: Lisa Spalt und Gerhard Rühm, Friedrich Achleitner und Peter Rosei, O. P. Zier und Friederike Mayröcker, Gerhard Ruiss und Julian Schutting. Gunter Brus. Anselm Glück. Ingrid Wald. Und so weiter sehr heiter, chapeau! Kontakt: freibord@gmx.at IMPRESSUM LITERATUR IM HÖRSPIEL-GALERIE der Schwierigkeit, gesehen zu werden, zu kämpfen. Dass dem nicht so ist, zeigt die Wahrnehmung in den letzten Jahren …“. Mit dabei etwa Arno Camenisch, Pedro Lenz, Melinda Nadj Abonji, Simona Ryser, Dorothee Elmiger. Info: www.leselampe-salz.at ber. Die Pest wütet in der Stadt. Oran wird hermetisch abgeriegelt. Ein Entkommen ist nicht möglich. Albert Camus’ 1947 erschienener Roman gehört zu den Klassikern der Weltliteratur. In ihm seziert der spätere Nobelpreisträger hellsichtig das menschliche Handeln im Angesicht der Katastrophe. Samstag, 1., 8. und 15. Oktober 2011, 14.00 Uhr, Ö1 Ähnlich wie in seinem preisgekrönten Hörspiel „Die kleineren Reisen“ – es wurde vom Ö1-Publikum zum „Hörspiel des Jahres 2010“ gewählt – beschäftigt sich der in Tirol lebende Kärntner Schriftsteller Alois Hotschnig in seinem neuen Stück auf ebenso existentielle wie liebenswürdige Weise mit dem Alter. „Das Wichtigste“, sagt Herr Berg, „ist, dass man rechtzeitig stirbt. Nur wann ist rechtzeitig? Man will ja nie.“ Dienstag, 29. November 2011, 21.00 Uhr, Ö1 Ö1 CD TIPP Italienische Reisen Johann Wolfgang Goethe 1786 - Michael Schrott 1986 Auf den Spuren Goethes hatte sich Michael Schrott jenseits des Brenners nach „Arkadien“ begeben und 2000 Kilometer Radio mit nach Hause gebracht. Zu hören ist sein „Hörfilm“, eine Verschränkung von literarischem und journalistischem Reisebericht, bei dem Alexander Goebel dem Dichterfürsten seine Stimme lieh. 4 CDs um 36,20/Ö1 Club-Preis EUR 32,58 Erhältlich im ORF Shop, Argentinierstraße 30a, 1040 Wien Telefonische Bestellung: (01) 501 70-373, per Fax: (01) 501 70-375 oder E-Mail: orfshop@orf.at Buchkultur Nr. 138 | Oktober/November 2011 ISSN 1026–082X Anschrift der Redaktion A-1150 Wien, Hütteldorfer Straße 26 Tel.: +43/1/786 33 80-0 | Fax: +43/1/786 33 80-10 E-Mail: redaktion@buchkultur.net Eigentümer, Verleger Buchkultur VerlagsgesmbH.,A-1150 Wien, Hütteldorfer Straße 26 Herausgeber Michael Schnepf, Nils Jensen Chefredaktion| Tobias Hierl Art Director| Manfred Kriegleder Chef vom Dienst| Hannes Lerchbacher Redaktion| Konrad Holzer, Ditta Rudle, Sylvia Treudl, Hannes Vyoral, Redaktion Berlin: Richard Christ Mitarbeiter dieser Ausgabe| Susanne Alge, Hanna Berger, Lorenz Braun, Stefan Çapaliku, Manfred Chobot, Simon Eckstein, Hans-Dieter Grünefeld, Silvia Hess, Peter Hiess, Alexander Kluy, Thomas Leitner, Christa Nebenführ, Karoline Pilcz, Marlen Schachinger, Helmuth Schönauer, Emily Walton, Klaus Zeyringer, Nora Zeyringer, Anna Zierath Geschäftsführung, Anzeigenleitung| Michael Schnepf Vertrieb| Christa Himmelbauer Abonnementservice| Clemens Ettenauer, Tel. DW 25, E-Mail: abo@buchkultur.net Druck| Wograndl Druck, 7210 Mattersburg Vertrieb| D: W. E. Saarbach GmbH (Kiosk) Ö: Mohr Morawa, A-1230 Wien, Morawa Pressevertrieb, A-1140 Wien Erscheinungsweise| jährlich 6 Ausgaben sowie diverse Sonderhefte Preise, Abonnements| Einzelheft: Euro 4,90 Jahresabonnement: Euro 28 (A)/Euro 31 (Europa)/Euro 34 (andere) Studentenabonnement: Euro 20 (A)/Euro 23 (Europa) (Inkriptionsbest. Kopie!) Auflage| 15.100 Die Abonnements laufen über 6 Ausgaben und gelten, entsprechend den Usancen im Pressewesen, automatisch um ein Jahr verlängert, sofern nicht ein Monat vor dem Ablauf die Kündigung erfolgt. Derzeit gilt Anzeigenpreisliste 2011. Über unverlangt eingesandte Beiträge keine Korrespondenz. Namentlich gezeichnete Beiträge müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Copyright, wenn nicht anders angegeben, bei den Urhebern bzw. den Rechtsnachfolgern. Wir danken den Verfügungsberechtigten für die Abdruckgenehmigung. Alle Preisangaben sind ohne Gewähr. Gefördert von Im Internet: www.buchkultur.net BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 homicide_1_1_buchkultur_Layout 1 08.08.11 20:50 Seite 1 DER TRUE-CRIME-KLASSIKER DES AUTORS VON ™ »Das beste Buch, das je ein amerikanischer Autor über die Ermittler einer Mordkommission geschrieben hat.« NORMAN MAILER ¢ BUCHTRAILER ONLINE: 832 Seiten, Klappenbroschur Euro 24,90 (D) | 25,50 (A) SFr 35,90 ISBN 978-3-88897-723-7 verlag antje kunstmann 66_schlusspunkt 06.09.2011 18:21 Uhr Seite 66 SCHLUSSPUNKT Das Wort kann nicht töten Kanun des Lekë Dukagjini auf explizite Weise die Freiheit des Wortes. In diesem mittelalterlichen Kodex, der im nördlichen Albanien gewirkt hat und bis heute weiterhin wirkt, heißt es: „Das Wort kann nicht töten.“ Der Autor des Kanuns erkennt in dem Wort ein universelles Werkzeug, dessen unterschiedlichste Funktionen ermöglichen, dass es sich sogar zu seinem eigenen Gegenteil verwandeln kann. Das Wort ist gleichzeitig die tödliche Waffe, aber auch der heilende Balsam. Diese Diagonale, die entgegengesetzte Eckpunkte miteinander verbindet, ergibt eine der zentralen Achsen, auf welche sich albanische Schriften stützen. Das Wort vermag einem Menschen auf moralischer Ebene zu schaden, aber keineswegs auf der physischen. Die Trennung des Wortes von jeglicher physischen und materiellen Funktion entlarvt die Intoleranz dem Wort gegenüber als verbrecherisch und eröffnet ihm neue soziale und kulturelle Dimensionen. Dadurch wäre das Wort gleichsam das Objekt eines Zivil- und Moralkodexes und weniger eines Strafkodexes. Aber in ihrem geschichtlichen Rahmen konnten albanische Autoren sich nicht damit abfinden, dass der Wortfundus, der ihnen zur Verfügung stand, einen immateriellen Charakter haben sollte, denn dadurch konnte das Wort weder bestehende soziale Missstände bekämpfen, noch als Werkzeug bei der Schaffung einer neuen gesellschaftlichen Ordnung eingesetzt werden. Bei den jeweiligen sozialen Spannungen, ihrem dringenden Handlungsbedarf, ihrem Verantwortungsbewusstsein und auch ihren Empfindungen ist es nachvollziehbar, dass albanische Schriftsteller sich mit der ätherischen Natur des Wortes als Gegenstand, aus dem sie schöpften, nicht begnügen konnten. Die Idee, dass dem Wort Handlungen nicht gleichzusetzen wären, verringerte den Stellenwert ihres gesellschaftlichen Beitrags in der Öffentlichkeit. Allmählich empfanden sie die „Unschuld“, die ihnen das intellektuelle Wort gewährte, als untragbar, weil sie tief in ihrem Innern einen Schuldkomplex zu verspüren begannen. In der albanischen Literaturgeschichte setzt dieser Prozess in der Zeitspanne zwischen den zwei Weltkriegen ein. Ganz besonders zu dieser Zeit bedienten sich albanische Schriftsteller einer ehrlicheren, mutigeren, eindeutigeren und engagierteren Sprache, die natürlich nach diesem ersten Aufkeimen befruchtend wirken sollte. Diese Entwicklung war jedoch von sehr kurzer Dauer. Die Horde kommunistischer Gesetzgeber drosselte diese Bewegung albanischer Autoren bereits in ihren Anfängen, indem behauptet wurde, dass es nicht der Wahrheit entspreche, dass das Wort keinen Tod verursachen könne, sondern dass es sehr wohl tötet und keineswegs immateriell sei, sondern es eine weitaus gefährlichere Wirkung als Feuerwaffen haben kann. Die Autoren verloren im Kommunismus ihren privilegierten Unschuldsstatus. Sie wurden zu jahrelangen Gefängnisstrafen und auch Hinrichtungen verurteilt. Mitunter wurde in dieser Zeit auch der Kanun des Lekë Dukagjini vollständig außer Kraft gesetzt. Und die kommunistische Gesellschaft Albaniens nutzte diese Gelegenheit, einen anderen grundlegenden Artikel des Kanuns auszurotten. Dieser lautet: „Der Bote soll frei seinen Weg gehen.“ Das kommunistische Regime hingegen ließ keine Gelegenheit ungenützt und alle erdenklichen Mittel waren recht, den Schriftsteller in seiner Funktion als Boten zu behindern und anzugreifen. Im Albanien der 1990er-Jahre gab es keine Rückkehr zu der Unschuld, wie sie dem Schriftsteller durch den Kanun gewährt wurde. In dieser lan- 66 gen und mühevollen postkommunistischen Übergangsphase gibt es zahlreiche Möglichkeiten, dem Boten seinen Weg abzuschneiden. Aber am weitesten verbreitet und am effizientesten scheinen in der albanischen Realität: die finanzielle Zensur und die politische Kompromittierung. Im Bereich postkommunistischer Literatur lassen sich aus sozialer Sicht drei Kategorien von Schriftstellern unterscheiden: 1. Die ehemaligen Künstler des kommunistischen Regimes, die in der Gegenwart weiterhin tätig sind. 2. Die Künstler, die nach den 1990er-Jahren mit ihren Werken an die Öffentlichkeit getreten sind. 3. Die Künstler, die früher nur illegal geschrieben haben. Die Schriftsteller der ersten Kategorie bemühen sich vergebens, ihre Musen in neue Farben einzukleiden. Geflissentlich berufen sie sich auf die kulturelle und nationale Identität. Sie bedienen sich jener kollektiven Empfindlichkeiten, die die Diktatur in ihrer Suche nach einer geschichtlichen Ideologie kultivierte, wobei man glaubte, die kulturelle Identität der Bevölkerung durch die kontinuierliche Förderung des Monologs und der kulturellen Isolation zu bewahren. Einige Vertreter dieser Gruppe nutzen die Erwartungshaltungen, die der Kommunismus geschaffen hat, um das Vaterland als eine geschlossene Struktur zu konzipieren, als eine Art Höhle, die die Menschen vor der Welt beschützt, anstatt es als einen offenen Raum zu sehen, in dem der Kontakt zur Welt ermöglicht wird. Die Generation der Künstler, die ihre künstlerische Tätigkeit weitab und außerhalb des Sozialistischen Realismus begannen, hatte das Glück, „spät“ geboren zu sein. In dieser Kategorie gibt es sehr wichtige und charismatische Autoren, die vor allem durch ihre Bemühungen, auf internationalem Niveau Anerkennung zu finden, auffallen. Aber der Balkan bleibt ein Terrain, auf welchem stets Bilderverehrung betrieben wird. Die Plätze unserer Städte werden immer noch von Denkmälern nationalistischer Helden dominiert. Wir haben die Peiniger unserer Nachbarvölker zu unseren Helden erklärt und unsere Nachbarvölker feiern die geschichtlichen oder gegenwärtigen Peiniger unseres Volkes als ihre Helden. Und gerade das ist der Punkt. Trotzdem denke ich, dass die Autoren der Gegenwart wie Sterne sind. Auch wenn der Himmel über uns wolkenverhangen ist und wir sie nicht sehen können, wissen wir wohl, dass sie da sind. Übersetzt von Ilir Ferra Stefan Çapaliku, geb. 1965 in Shkodra/Albanien, studierte Albanische Sprache und Literatur. Er war als Professor an den Universitäten Shkodra und Belgrad tätig, arbeitete im Kulturministerium, verlegte eine Literaturzeitschrift, unterrichtet an der Theaterakademie Tirana und veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände, Novellen und Theaterstücke, für die er mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. In Kooperation mit KulturKontakt Austria lassen wir zum Schlusspunkt jeder Ausgabe eine Autorin / einen Autor des writer-in-residence-Programms, aber auch langjährige Kooperationspartner von KK zu Wort kommen. BUCHKULTUR 138 | Oktober/November 2011 FOTO: PRIVAT Als erstes Dokument der albanischen Kulturgeschichte behandelt der Über die Bedeutung des Schriftstellers im heutigen Albanien. VON STEFAN ÇAPALIKU Egon Friedells Kulturgeschichte: jetzt komplett in einer wunderschönen Ausgabe. Mit einer Vivaldi-CD ›Il Complesso Barocco‹ V Mit iv aldi-C Diogenes 80 Seiten, Pappband, vierfbg. € (A) 17.40 erscheint am 27. September Kurioses aus Venedig – das erzählt Donna Leon. Untermalt werden die besonderen Begebenheiten auf historischen Instrumenten: Virtuoses von Antonio Vivaldi, extra aufgenommen für dieses Buch von Donna Leons Lieblingsorchester Il Complesso Barocco. Foto: © Peter Peitsch / peitschphoto.com Foto: Archiv Diogenes Verlag Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag Donna Leon Kurioses aus Venedig D Kurioses und Virtuoses: ein Lese- und Hörvergnügen der amüsanten Art. »Er hat ein Händchen für tolle Geschichten, kann ernste Themen mit Witz behandeln.« 2800 Seiten, Leinen € (A) 49.40 WDR, Köln Von Ägypten und dem Alten Orient bis zu Hochblüte und Niedergang Athens zeichnet Egon Friedell in der Kulturgeschichte des Altertums »Leben und Legende der vorchristlichen Seele« nach. Mit der Kulturgeschichte der Neuzeit, seinem Meisterwerk, wurde er weltberühmt. 368 Seiten, Leinen € (A) 23.60 Drei unschuldige Mädchen, die plötzlich schwanger sind. Von Außerirdischen, versichern sie. Ein spannender Roman über Wunder, Täuschungen und die Geschichten, die wir erfinden, um uns vor der Wahrheit zu schützen. Und eine phantastische Liebesgeschichte. Vom Autor des gefeierten Debüts Die Welt ist im Kopf. »Er versteht sein Handwerk und hat eine Geschichte zu erzählen.« »Eine Meisterin des befreienden Lachens; das ist ihr Geheimnis.« Die Zeit, Hamburg 224 Seiten, Leinen € (A) 22.60 Ein junger Mann vertieft sich in die KriegsFotoalben seines Großonkels aus dem Ersten Weltkrieg. Und je mehr er sich fragt, wie dieser der Hölle unversehrt entkommen konnte, umso tiefer gerät er selbst hinein. Foto: © Mathias Bothor / photoselection.de *unverbindliche Preisempfehlung Foto: © Roger Eberhard Foto: © Daniela Agostini / Diogenes Verlag Neue Bücher bei Diogenes Die Zeit, Hamburg 336 Seiten, Leinen € (A) 20.50 Die unglaubliche, aber wahre Geschichte über einen mittellosen Jungen aus dem Trailerpark, der eines Tages erfährt, dass sein ihm unbekannter Vater ein Genie ist, und sich auf die Suche nach ihm macht – das Abenteuer seines Lebens. 256 Seiten, Leinen € (A) 22.60 Auch als Hörbuch Ein Sommer in Spanien, nach dem nichts mehr so sein kann, wie es war. Vier äußerst unterschiedliche Menschen, alle auf der Suche nach der Sonnenseite des Lebens. Aber kann man das Glück buchen wie einen Urlaub, alles inklusive? www.diogenes.ch buchkultur_138.indd 1 19.08.11 11:15
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