und Stahlindustrie - Federal

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und Stahlindustrie - Federal
Sonderdruck aus „stahl und eisen“ 124 (2004), Heft 4, Seiten 37– 41
Nachdruck verboten. Verlag Stahleisen GmbH, Düsseldorf
Selbstschmierende, wartungsfreie
Gleitwerkstoffe in der Hütten- und
Stahlindustrie
Self-lubricating, maintenance-free sliding materials in the iron and steel
industry
Hubert Hilp
Die Verwendung von selbstschmierenden Gleitwerkstoffen gewinnt in allen Produktionsbereichen der Stahlindustrie
stetig an Bedeutung. Besonders vor dem Hintergrund des permanent steigenden Wettbewerbsdruckes werden von Anlagenbauern und Anlagenbetreibern heute Lösungen gefordert, die gleichermaßen technische und auch wirtschaftliche Vorteile bieten. Gleitlagerungen und Gleitführungen, bei denen auf Schmierung verzichtet werden kann, oder kritische Anwendungen, die selbst bei vorhandener Zusatzschmierung Probleme bereiten, stellen somit ein erhebliches
Optimierungs- bzw. Einsparungspotential dar.
Self-lubricating sliding materials become more and more important in the whole steel industry. Especially caused
by the permanently growing stress of competition, builders and operators of the plants request solutions giving
technical advantages as well as economical ones. Sliding bearings and guides that give the possibility to abandon
a lubrication or critical applications which cause problems even with an existing additional lubrication have a very
huge potential for optimisations and savings.
rsache für dieses gestiegene Interesse an wartungsfreien Lösungen sind die vielen gravierenden Veränderungen, die die Stahlindustrie in den letzten Jahren
erfahren hat. So bereiten die starken personellen Einschnitte der letzten Jahre besonders Probleme, wenn es
um die Umsetzung der zu bewältigenden (Schmier-)Aufgaben geht, aber auch stetig steigende Entsorgungskosten für verbrauchte Fette bieten weiteren Anreiz, möglichst auf Schmierung zu verzichten. Daher ist man in
der Stahlindustrie kontinuierlich darum bemüht, möglichst viele Lagerstellen und Gleitführungen auf wartungsfreie Gleitmaterialien umzustellen.
Die ThyssenKrupp Stahl AG zum Beispiel, die diesbezüglich eine Vorreiterrolle einnimmt und das Thema
„Kostenreduktion durch Wartungsfreiheit“ mit der
internen Abteilung Tribotechnik begleitet, nennt darüber hinaus die gestiegenen Anforderungen an die Anlagenverfügbarkeit, an die Arbeitssicherheit und nicht zu-
U
stahl und eisen 124 (2004) Nr. 4
letzt an die Produktqualität als Gründe für den vermehrten Einsatz selbstschmierender Werkstoffe.
Im Folgenden werden verschiedene Gleitlagerwerkstoffe und ihre möglichen Einsatzgebiete vorgestellt.
Dickwandige Gleitlager mit
mikroverteiltem Festschmierstoff
Das Produkt Deva-Metal umfasst eine Gruppe von Verbundwerkstoffen, basierend auf drei verschiedenen Legierungsreihen – Bronze, Eisen und Nickel. Sie enthalten Festschmierstoff, der gleichmäßig verteilt in der
Metallstruktur eingebettet ist, 1 .
Die Zusammensetzung des metallischen Gefüges bestimmt dabei die physikalischen, mechanischen und
Hubert Hilp, Technischer Betriebswirt, Application Manager Steel, Federal-Mogul Deva GmbH,
Stadtallendorf.
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Anlagentechnik
chemischen Eigenschaften einer Legierung und ist deshalb Grundlage, wenn die Materialauswahl für einen
speziellen Anwendungsfall erfolgen soll. Hauptkriterium hierbei ist die Temperatur an der Lagerstelle.
Bronze und Bleibronze kommen sehr häufig zum Einsatz bei Temperaturen bis 350 °C, wobei der Werkstoff
bei einem Dauertemperatureinsatz ≥150 °C einer speziellen Wärmebehandlung unterzogen werden muss.
Für Dauerbetriebstemperaturen über 350 °C werden Legierungen auf Eisen- und Eisen-Nickel-Basis eingesetzt.
Anwendungen mit besonderen Anforderungen bezüglich Temperatur- und Korrosionsbedingungen bedürfen eines Gleitwerkstoffes auf Nickelbasis bzw. nicht
rostendem Stahl.
Die Art des Festschmierstoffes, seine Form und vor
allem sein prozentualer Anteil im metallischen Gefüge werden von den betrieblichen Anforderungen, z. B.
der Gleitgeschwindigkeit und Flächenpressung, bestimmt. Damit haben die Festschmierstoffe grundsätzlich entscheidenden Anteil am Gleitverhalten einer Legierung.
Verwendung als Festschmierstoff finden in der
Gleitlagertechnik vor allem Graphit, Molybdändisulfid, Wolframdisulfid und in zunehmendem Maße
PTFE.
1
Dickwandige Gleitlager, Typ Deva-Metal
Usual shapes of Deva-Metal
2
Röhrenübergabestation bei Vallourec & Mannesmann, Mülheim
Transfer station for pipes at Vallourec & Mannesmann, Mülheim
Beispiel Übergabevorrichtung. Mit der durch die
SMS-Demag AG im Jahre 1972 gebauten Einrichtung
werden bei Vallourec & Mannesmann in Mülheim Rohre
von der Produktionslinie seitlich auf das Rechenkühlbett übergeben, 2 .
Um größere Verformungen an den noch heißen Rohren zu vermeiden, wird die zu überwindende Fallhöhe
in zwei Schritten bewältigt. Zunächst fallen die Rohre in
eine winkelförmige Ablagefläche, aus der sie dann im
zweiten Schritt durch Schieber herausgehoben werden
und auf das Rechenkühlbett gelangen.
Der Hebelmechanismus unterhalb der Schieber, der
für die notwendigen Bewegungsabläufe sorgt, wurde
zunächst mit Gleitlagern aus reinem Graphit ausrüstet.
Im Jahre 1983 wurde von der Instandhaltung eine Umrüstung der Lagerstellen auf metallische Gleitlager mit
eingelagertem Festschmierstoff durchgeführt. Diese
Maßnahme führte zu einer Verdreifachung der Standzeit der am meisten beanspruchten Gleitlager im vorderen Bereich des Kühlbettes. Die neuen Lager erreichen
trotz Temperaturen um 200 °C, einer Schwenkbewegung von 45° und rd. 5 700 Bewegungen pro Tag eine
Standzeit von ungefähr zwei Jahren, die Lager im hinteren Bereich des Kühlbettes wurden bisher noch nicht
ausgewechselt.
Dünnwandige Gleitlager mit
mikroverteiltem Gleitwerkstoff
Der Bimetall-Verbundwerkstoff Deva-BM wird in einem speziellen Walz-Sinter-Verfahren hergestellt. Er be-
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steht aus einem Stahlrücken und einer selbstschmierenden Gleitschicht aus Bronze mit mikroverteiltem
Festschmierstoff, .
Neben höchster Belastbarkeit verbinden dünnwandige
Gleitwerkstoffe dabei die tribologischen Eigenschaften
einer dickwandigen Bronze mit kompakter Bauweise.
Besonders zu erwähnen ist hier die ansteigende Verwendung von PTFE als Festschmierstoff, die die anerkannt guten Gleiteigenschaften dieses Materials nutzt
und mit der Verschleißfestigkeit einer metallischen Matrix kombiniert.
Ein Ziel ist es, den unerwünschten Stick-Slip-Effekt,
im allgemeinen Sprachgebrauch oft als Rattern
oder Ruckgleiten bezeichnet, zu vermeiden. Beim
Stick(Haft)-Slip(Rutsch)-Effekt handelt es sich um ein
Phänomen, das bei ungünstigen Gleitpaarungen auftritt, die – angeregt durch Relativbewegung zueinander – in ein Wechselspiel zwischen Gleit- und Haftreibung geraten.
Beispiel Pfannenkippstuhl. Die Sonderkonstruktion
Pfannenkippstuhl bei den Hüttenwerken Krupp-Man-
Dünnwandige Gleitlager, Typ Deva-BM
Usual shapes of Deva-BM
4
Pfannenkippstuhl im Werk von Hüttenwerke Krupp Mannesmann, Duisburg
Ladle tilting device at Hüttenwerke Krupp Mannesmann works, Duisburg
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Anlagentechnik
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Verbundgleitlager, Typ
Deva-Tex
Usual shapes of Deva-Tex
nesmann (HKM) in Duisburg ist Beleg für eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Anlagenbetreiber (Neubauabteilung), dem Anlagenhersteller (Konstruktion)
und dem Gleitlagerhersteller, 4 .
Zunächst war konstruktiv die Verwendung von „30
mm dicken Gleitplatten aus Bronze mit makroverteiltem Festschmierstoff“ vorgesehen. Die kundenseitige
Forderung nach einer Stick-Slip-freien Bewegung und
der maximal zulässige Verschleiß von 1,5 mm haben
dazu geführt, dass dünnwandige Gleitplatten mit einer
selbstschmierenden Gleitschicht eingesetzt wurden.
Mit Blick auf die gegebenen Rahmenbedingungen wurde die Gleitschicht zusätzlich mit „Reinigungsnuten“
ausgeführt, um die abrasive Wirkung von vorhandenem
Zunder zu verringern. Für den Höhenausgleich wurden
die Gleitplatten mit Platten aus Stahl unterlegt.
Vorteil für den Kunden war zunächst die Vermeidung
von Stick-Slip. Zusätzlich erbrachte die Umstellung
noch eine verbesserte Materialausnutzung, denn bei einem zulässigen Verschleiß von 1,5 mm wären gemäß
Erstkonstruktion 28,5 mm an Materialstärke nicht genutzt worden.
Der 1996 in Betrieb genommene Pfannenkippstuhl
wurde im Sommer 2002 mit neuen Gleitplatten bestückt.
Dies entspricht einer Standzeit von ca. sechs Jahren.
Betriebsbedingung
Auswirkungen auf das Gleitlager
Hohe Temperatur
spezielle Schmierstoffe erforderlich
Schmierstoffe können sich zersetzen
Schmierstoffe verharzen in längeren Leitungen
Verbrauch kann steigen
Kantenpressung
lokaler Anstieg der Flächenpressung
Schmierfilm kann reißen
erhöhter Verschleiß
Hohe Flächenpressung
Schmierfilm reißt
Schmierfilm wird aus der Lagerstelle herausgedrückt
erhöhter Verschleiß
Schmutz
Bindung von Schmutz im Lager
Bildung einer abrasiven Paste
Laufspielverengung/eventuell Festsitzen der Welle
Winkelbewegungen
kein Schmierstofftransport in die eigentliche Lastzone
Lange Stillstandzeiten
Schmierstoff wird aus der Lastzone herausgequetscht
6
Auswirkungen schwieriger Betriebsbedingungen auf Gleitlager
Effects of severe operating conditions on sliding bearings
Verbundgleitlager aus Glasfaser-Kunststoff
Der in 5 gezeigte selbstschmierende, glasfaserverstärkte Verbundwerkstoff Deva-tex wird in einer speziellen Wickeltechnologie hergestellt. Die Tragschicht ermöglicht die hohen Festigkeiten, während die Gleitschicht spezielle Fasern und Festschmierstoff enthält,
die für die tribologischen Eigenschaften sorgen.
Im Vergleich zu metallischen Werkstoffen sind glasfaserverstärkte Kunststoffe deutlich eingeschränkt,
wenn es um Anwendungen bei höheren Temperaturen
(≥150 °C) und in sehr abrasiver Umgebung geht. Ihre
Vorteile spielen die Kunststoffe dann aus, wenn es um
Anwendungen mit hoher Stoßbeanspruchung bzw. mit
starken Kantenpressungen geht.
Einsatz in Kran- und Bremsanlagen. In diversen Krananlagen wurden z. B. gehärtete Buchsen oder auch
metallische Sonderwerkstoffe durch Gleitlager auf
Kunststoffbasis ausgetauscht.
Grund hierfür war vor allem, dass die metallischen
Buchsen den hohen Stoßbeanspruchungen nicht standhielten und teilweise vollständig zerstört wurden.
Bei der Brammenbremse handelt es sich um eine
Sonderkonstruktion. Hier werden im Rollgang ankommende Brammen durch einen Hebelarm, der zwischen
den Walzen hervorsteht, abgebremst. In Erwartung einer hohen Flächenpressung durch den Hebelarm in Verbindung mit der Stoßbelastung der Lagerstellen wurde
bereits bei der Erstausrüstung ein Kunststoff mit Erfolg
eingesetzt.
Tribologisches System „Trockenlauf“
Das Prinzip, nach dem alle hier beschriebenen Werkstoffe auch ohne Anwesenheit von konventionellen
Schmiermitteln arbeiten können, ist dabei grundsätzlich gleich.
Die in den Lagerstellen stattfindende Bewegung erzeugt kontinuierlichen Mikroabrieb, wodurch der im
Gleitmaterial vorgespannt eingebettete Festschmierstoff aus der Gleitschicht freigesetzt wird.
Dadurch baut sich am Gegenwerkstoff ein dauerhafter Schmierstofffilm auf. Bedingt durch ihren chemischen Aufbau sind die Festschmierstoffe in der Lage, die
beiden Gleitpartner dauerhaft zu trennen.
Die Abnutzung dieses Gleitfilms, z. B. durch hohe Bewegungshäufigkeit, Zunder, Staub, etc. sorgt durch die
ansteigende Reibung zur Freisetzung von Schmierstoff
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und somit der Erneuerung des Schmierfilmes; daraus
resultiert eine wartungsfreie Selbstschmierung.
Im Vergleich zu geschmierten Gleitlagern werden die
Vorteile dieses Funktionsprinzips besonders bei genauerer Betrachtung der kritischen Betriebsbedingungen
innerhalb eines Stahlwerkes deutlich.
6 führt beispielhaft einige dieser Bedingungen auf
und zeigt, welche Auswirkungen sie auf das Lager haben.
Ausblick
Betrachtet man zusammenfassend die Fülle der in
der Stahlindustrie bereits langfristig etablierten Anwendungen für selbstschmierende Werkstoffe, wie z. B.
in Brennschneidemaschinen, Pressen, Blech- und Rohrrichtmaschinen, Pfannendrehtürmen, Kühlbetten, Haspeldornen, Wärmebehandlungsöfen, Adjustageeinrichtungen, Walzenwechselsystemen, Führungssystemen,
so wird deutlich, wie breit das vorhandene Anwendungsspektrum grundsätzlich ist.
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Die Frage, wann der Einsatz entsprechender Werkstoffe
technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, muss
individuell geklärt werden, weshalb bereits im Vorfeld
eine besonders enge Zusammenarbeit zwischen Anwender und Hersteller notwendig ist. Dies bietet die Gelegenheit, dass bei der Werkstoffauswahl bzw. der konstruktiven Ausführung alle Betriebsgrößen ausreichend berücksichtigt werden und sowohl das technische als auch das
wirtschaftliche Optimum gefunden werden kann.
Eine Gesamtbetrachtung aller anfallenden Kosten,
angefangen von den Beschaffungskosten über Schmiermittelverbrauchs-, Entsorgungs-, Personaleinsatz-, Instandsetzungs- und Produktionsausfall- bis hin zu Ausschusskosten lässt erkennen, welche finanziellen Einsparpotentiale gegeben sind und rechtfertigen den Einsatz wartungsfreier Gleitlager. Sollte sich der erwähnte
Wettbewerbsdruck am Markt weiter verstärken – und
davon ist auszugehen –, so verlangt dies innovative Lösungen.
(S 31112)
hubert_hilp@eu.fmo.com