Untitled - Universitatea din București

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Untitled - Universitatea din București
22. Jg.
Heft 2 (44) 2013
ZEITSCHRIFT DER GERMANISTEN
RUMÄNIENS
Herausgeber:
GESELLSCHAFT DER GERMANISTEN RUMÄNIENS /
GGR-ZWEIGSTELLE BUKAREST
(SOCIETATEA GERMANIŞTILOR DIN ROMÂNIA / S.G.R. FILIALA BUCUREŞTI)
INSTITUT FÜR GERMANISTIK DER UNIVERSITÄT BUKAREST
(DEPARTAMENTUL DE LIMBI ŞI LITERATURI GERMANICE
AL UNIVERSITĂŢII DIN BUCUREŞTI)
IN DIESEM HEFT:
* LINGUISTIK - SPRACHANALYTISCH UND
KONTRASTIV (GERHARD STICKEL, THOMAS
SCHARES, EMILIA MUNCACIU, EVE DRAGANOVICI)
* KULTUR UND LITERATUR
(AMADU OURI BA, GABRIEL H. DECUBLE,
IRMELA VON DER LÜHE, HANS DAMA,
MOHAMED TABASSI, BJÖRN HAYER, NAE ANDREI,
ALEXA STOICESCU, PETRA ANTONIA SÂRB)
* RUMÄNISCHE KULTUR- UND LITERATURINTERFERENZEN
(LIGIA-MARIA FODOR, MELANIA ILEA, MARIA
ARSENE-NICULIU, CARMEN POPA, ALEXANDRU
RONAY, ANTOANETA OLTEANU)
* BUCHBESPRECHUNGEN
Bucureşti, 2013
Herausgeber:
- GESELLSCHAFT DER GERMANISTEN RUMÄNIENS - ZWEIGSTELLE BUKAREST
(SOCIETATEA GERMANIŞTILOR DIN ROMÂNIA - FILIALA BUCUREŞTI)
- DEPARTAMENTUL DE GERMANISTICĂ AL UNIVERSITĂŢII DIN BUCUREŞTI
(INSTITUT FÜR GERMANISTIK DER UNIVERSITÄT BUKAREST)
Anschrift der GGR, des Instituts für Germanistik und der Redaktion:
Str. Pitar Moş 7-13
RO-010451 Bucureşti 1 / România
Tel.: 0040-21-252.59.72; 252.15.51; 318.15.80, App. 119)
Fax.: 0040-21-252.59.72
E-mail: gutugeorge@yahoo.de
Url: http://www.unibuc.ro/n/resurse/zgr/index.php
(Sowie: www.ggr.ro; www.ggr.ro/zgrOnline.htm)
SCHRIFTLEITER: George G u ţ u
|| Redaktion: Ruxanda COSMA (Bukarest), Ioana CRĂCIUN-FISCHER (Bukarest), Cornelia CUJBĂ
(Iaşi/Jassy), Gabriel H. DECUBLE (Bukarest), Cosmin Ionuţ DRAGOSTE (Craiova),
Lucia GORGOI (Cluj/Klausenburg), George GUŢU (Bukarest) Mariana LĂZĂRESCU
(Bukarest), Carmen Elisabeth PUCHIANU (Braşov/Kronstadt), Maria SASS
(Sibiu/Hermannstadt), Elena VIOREL (Cluj/Klausenburg)
|| Wissenschaftlicher Beirat: Anil BHATTI (New Delhi), Ludwig M. EICHINGER (Mannheim),
Dietmar GOLTSCHNIGG (Graz), Jacques LE RIDER (Paris), Ioan LĂZĂRESCU
(Bukarest), Roxana NUBERT (Timişoara/Temeswar), Stefan SIENERTH (München)
|| Peer Review: Peter ERNST (Wien), Camilla MIGLIO (Rom), Peter MOTZAN (München), Otto WOLF
(Bayreuth), Hermann SCHEURINGER (Regensburg)
©
GGR & Editura Paideia – Bucureşti 2013
MIT FINANZIELLER UNTERSTÜTZUNG DES DAAD, BONN, AUS MITTELN DES AUSWÄRTIGEN AMTES .
Bestellungen aus dem In- und Ausland nimmt die Redaktion der ZGR entgegen.
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für die/pt. Societatea Germaniştilor din România.
Schecks sind an die Redaktion (obige Anschrift) zu schicken.
Preis im Ausland:
12.- Euro (Einzelheft, einschließlich Versandkosten); 20.- Euro (Doppelheft)
ISSN 1454-4008
DRUCK: EVOMEDIASERV BUCUREŞTI
TEXTEINGABE UND -VERARBEITUNG: REDAKTION DER ZGR
GELD- UND SACHSPENDEN VON: INTENS-PREST, PITEŞTI; MASTER PRINT SRL, BUKAREST.
Zeitschrift der Germanisten Rumäniens
22. Jahrgang
Heft 2 (44) 2013
Inhalt:
Zum vorliegenden und zu den nächsten Bänden (George Guţu)...................................5
I. LINGUISTIK - SPRACHANALYTISCH UND KONTRASTIV.....................................7
STICKEL GERHARD: Sprachentwicklung – Sprachkultur – Sprachkritik:
Erwägungen zum heutigen und künftigen Deutsch......................................9
SCHARES THOMAS: Wie groß ist der deutsche Wortschatz?
Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher....................35
CODARCEA EMILIA: Der Valenzbegriff in der rumänischen Linguistik.
Eine kontrastive Darstellung deutsch-rumänisch.......................................60
DRAGANOVICI EVE: Das „Unbekannte“ in der Zielkultur. Zum Transfer
„kultureller Einheiten“ in der Translation....................................................81
II. KULTUR UND LITERATUR...........................................................................93
BA AMADOU OURY: „Weltliteratur“ und „Civilisation de l’universel“:
Prolegomena eines deutschen und afrikanischen
Kultursynchretismus.....................................................................................95
DECUBLE GABRIEL H.: Die Dialektik von Nachricht und Gerücht
in der religiösen Kommunikation – am Beispiel des „Diatessaron“
Tatians..........................................................................................................113
VON DER LÜHE IRMELA: Zwischen Maskerade und Demontage.
Zur Literaturgeschichte weiblicher Autorschaft........................................137
DAMA HANS: Peter Rosegger - vor 170 Jahren geboren: „Wenn das,
was fertig ist, nur immer auch vollendet wäre.“........................................151
TABASSI MOHAMED: Der Mensch und das Geld in der Novelle Lüschers
„Frühling der Barbaren“.............................................................................164
HAYER BJÖRN: Michael Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner
gleichnamigen Literaturverfilmung von Elfriede Jelineks
„Die Klavierspielerin“..................................................................................187
NAE ANDREI: Leidenschaften in den Gedichten von Emily
Dickinson......................................................................................................201
Inhalt
STOICESCU ALEXA: Hybridität und Sprache. 'Heimat' in Herta Müllers
„Reisende auf einem Bein“..........................................................................209
SÂRB PETRA ANTONIA: Zu den Anfängen der Schule bei den
Siebenbürger Sachsen.................................................................................223
III. RUMÄNISCHE KULTUR- UND LITERATURINTERFERENZEN..................... 233
FODOR LIGIA-MARIA: Din istoria învăţământului secundar de stat în
Bucovina habsburgică. Gimnaziul Superior de Stat din Coţmani
(1904-1918)...................................................................................................235
ILEA MELANIA: Lucian Blaga în spaţiul lingvistic şi cultural german.
Un studiu comparat al traducerilor de poezie...........................................251
NICULIU-ARSENE MARIA: Cultură-agricultură – interreferenţialităţi
esenţiale pentru schimbarea paradigmei de la intensiv la durabil..........270
POPA CARMEN: Receptarea culturii germane prin intermediul
traducerilor publicate în gazetele sibiene „Tribuna“ şi „Telegraful
Român” în cea de-a doua jumătate a secolului al XIX-lea.......................280
RONAY ALEXANDRU: Sfârşitul lumii în poezia modernă expresionistă
de avangardă..............................................................................................290
OLTEANU ANTOANETA: Tema lagărului la A. I. Soljeniţân
şi Herta Müller.............................................................................................297
IV. BUCHBESPRECHUNGEN............................................................................311
Sorin Gadeanu: Graphematik und „Phonetologie“. Eine Schrift- und
Lautlehre des Deutschen / Grafematică şi „fonetologie“. Ştiinţa scrierii
şi a sunetelor limbii germane, synoptisch-zweisprachige Ausgabe / ediţie
sinoptic-bilingvă. Editura Fundaţiei România de Mâine, Bucureşti, 2009.
ISBN: 978-973-163-341-1, 36,50 RON, 320 p. (KINGA GALL)..................................313
V. AUTORINNEN UND AUTOREN DES BANDES................................................317
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ZGR 2 (44) / 2013
Vorwort
Ein neues Heft der „ZGR“ mit finanzieller Unterstützung des DAAD
Mit vorliegendem Heft der „ZGR“ verzeichnen wir nach dem Band 1 (43)/2013 einen weiteren Band dieser Fachpublikation, der in jüngster Zeit vom Deutschen Akademischen
Austauschdienst (Bonn) aus Mitteln des Auswärtigen Amtes finanziell unterstützt wird.
Hiermit setzt der DAAD, Bonn, der auch sonst unsere Tätigkeit, darunter den alle drei
Jahre stattfindenden großen Internationalen Kongress der Germanisten Rumäniens,
durch verschiedene Formen fördert, eine vorher übliche Art der Subvention für unser Periodikum fort, die das Erscheinen zahlreicher früherer Hefte ermöglichte.
Im vorangegangenen Band 1 (43)/2013 erschienen eine Reihe von Beiträgen vom IX. Kongress der Germanisten Rumäniens in Bukarest, 4.-7. Juni 2012. Wir stellten die dortigen
Beiträge unter die Überschriften Inner- und interkulturelle Dialoge sowie Linguistische
Streifzüge zusammen. Zugleich brachten wir dokumentarische Beiträge, die für das wissenschaftliche Leben innerhalb der rumänischen (Auslands)Germanistik von Bedeutung
sind und nicht an anderen Stellen Platz finden. Weitere Vorträge auf demselben Kongress
wurden bereits im Heft 2 (42) / 2012 der „Zeitschrift der Germanisten Rumäniens“ - ZGR,
in „transcarpathica. germanistisches jahrbuch rumänien”, Bd. 11 / 2012, sowie im „Rumänischen Goethe-Jahrbuch“, 2/2012, gedruckt. Die Vorträge der Sektion 3 zu Aspekten der
deutschen Literatur in und aus Rumänien werden in einen vom IKGS München herausgegebenen Band Aufnahme finden. Dies ist eine lockere Form der Verwertung der auf unseren germanistischen Kongressen gehaltenen Vorträge, die die schwerfälligen Tagungsbände nicht bieten können.
Vorliegender Band 2 (44) / 2013 druckt im ersten Teil sprachanalytisch und kontrastiv angelegte Beiträge, darunter jenen, den Prof. Dr. Gerhard Stickel, ehemals Direktor des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim, vor rumänischen Germanistik-Studierenden
des Instituts für Germanistik der Universität Bukarest gehalten hat. Der bis vor kurzem
noch in Bukarest unterrichtende DAAD-Lektor Dr. Thomas Schares zeichnet für den Beitrag über Aufgaben und Sinn retrodigitalisierter Wörterbücher verantwortlich. Emilia
Muncaciu und Eve Draganovici untersuchen in ihren Beiträgen den Valenzbegriff bzw. die
interkulturellen Translationsprozesse.
Der nächste Abschnitt beinhaltet den Vortrag von Prof. Dr. Irmela von der Lühe im Plenum des IX. Kongresses, den Beitrag von Ba Amadoo Ouri zum Begriff der Weltliteratur
aus afrikanischer Sicht, sowie Beiträge zu Peter Rosegger, Jonas Lüscher, Elfriede Jelinek,
Emily Dickinson und Herta Müller. Gabriel H. Decuble präsentiert im Ergebnis seiner Untersuchungen im Rahmen eines großangelegten Projektes einige Aspekte der religiösen
Kommunikation, während die Studierende Petra Antonia Sârb einen kurzen Überblick
über die Anfänge der siebenbürgisch-sächsischen Schulen bietet.
Einige Beiträge von der traditionellen Sektion in rumänischer Sprache auf dem IX. Kongress füllen den dritten Abschnitt des Heftes aus. Es sind Untersuchungen sowohl von
Lehrkräften als auch von Studierenden der BA- und MA-Stufe, die sich mit allgemeinen
Aspekten der Kultur- und Literaturentwicklung in pluriethnischen und mehrsprachigen
Regionen oder mit einzelnen konkreten Aspekten der interkulturellen Kommunikation im
rumänischsprachigen Kultur- und Literaturbereich befassen.
Auch mit diesem Heft präsentiert sich die rumänische Germanistik in ihrer grenzüberschreitenden und interdisziplinären Herangehensweise und belegt überzeugend ihre vielfältigen internationalen Beziehungen.
George Guţu
Vorwort / Prefaţă
Prefaţă
Un nou număr al „ZGR“ cu sprjin financiar din partea DAAD
Cu numărul de faţă publicăm, după volumul nr. 1 (43)/2013 al periodicului de specialitate
„ZGR“, încă un număr 2 (44)/2013, pentru care beneficiem de sprijinul financiar al
Serviciului German pentru Schimburi Academice (DAAD, Bonn) din fonduri ale Ministerului Afacerilor Externe al Germaniei. Pe lângă promovarea activităţii noastre prin
diverse forme, precum amplele Congrese Internaţionale ale Germaniştilor din România,
care au loc odată la trei ani, DAAD continuă o formă anterioară de sprijin eficient a organului nostru des specialitate, care a făcut posibilă apariţia atât de multor numere ale „ZGR”.
În numărul precedent 1 (43)/2013 au apărut o serie de comunicări ştiinţifice de la cel de al
IX-lea Congres Internaţional al Germaniştilor din România, Bucureşti, 4-7 iunie 2012. Arti colele acestui număr au fost grupate în rubricile Dialoguri intra- şi interculturale şi Crochiuri
lingvistice. Totodată am publicat acolo şi materiale documentare, necesare pentru cunoaşterea
activităţii specifice a germanisticii din România, deci dinafara spaţiului germanfon, care nu
pot fi publicate altundeva. Alte comunicări de la cel de al IX-lea Congres au fost deja publica te în nr. 2 (42) / 2012 al „ZGR”, în „transcarpathica. germanistisches jahrbuch rumänien”,
vol. 11 / 2012, precum şi în „Anuarul Românesc Goethe”, vol. 2/2012. Comunicările de la
Secţia 3 a Congresului dedicată aspectelor literaturii de expresie germană din România sunt
în curs de apariţie la editura IKGS din München, iar alte comunicări de lingvistică şi de lite ratură austriacă vor fi incluse în volume separate. Iată, aşadar, o modalitate mai vie şi mai
atractivă de valorificare a comuncărilor de la amplele Congrese ale germaniştilor din România, evitând publicarea lor în tomuri greu digerabile.
Volumul de faţă 2 (44) / 2013 publică în primul grupaj comunicări de lingvistică axate pe
analiza limbii şi pe aspecte contrastive, printre care şi articolul prof. dr. Gehard Stickel , fost
director al Institutului pentru Limba Germană de la Mannheim. Este vorba de o comunicare ţinută în faţa studenţilor în germanistică din Departamentul de Limbi şi Literauri
Germanice al Universităţii din Bucureşti. Lectorul DAAD Dr. Thomas Schares, plecat de
curând de la postul de lector oaspete de la Bucureşti, semnează studiul despre sarcinile şi
sensul dicţionarelor retrodigitalizate. Codarcea Emilia şi Eve Draganovici analizează
noţiunea de valenţă, respectiv procesele de translaţie interculturală.
Următorul grupaj conţine comunicarea prof. dr. Irmela von der Lühe, ţinută în plenul Congresului al IX-lea, studiul lui Ba Ouri Amadoo despre perspectivele africane de abordare a
noţiunii de literatură universală, precum şi analize ale operei unor Autori precum Peter
Rosegger, Jonas Lüscher, Elfriede Jelinek, Emily Dickinson şi Herta Müller. Gabriel H.
Decuble prezintă unele aspecte ale comunicării religioase ca rezultat al cercetărilor sale în
cadrul unui vast proiect, în vreme ce studenta Petra Antonia Sârb oferă o privire de ansamblu a începuturilor şcolii minorităţii germane din România.
Câteva comuncări de la secţia tradiţională în limba română de la cel de al IX-lea Congres sunt
prezente în al treilea segment. Atât cadre didactice cât şi studenţi abordează aici aspecte
generale ale evoluţiilor literare şi culturale din regiuni plurietnice şi multilingvistice.
Şi cu acest număr, germanistica din România îşi dovedeşte vocaţia transfrontalieră şi
interdisciplinară, precum şi amploarea relaţiilor sale internaţionale.
George Guţu
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ZGR 2 (44) / 2013
LINGUISTIK – SPRACHANALYTISCH UND KONTRASTIV
SPRACHENTWICKLUNG – SPRACHKULTUR –
SPRACHKRITIK:
Erwägungen zum heutigen und künftigen Deutsch
Gerhard Stickel
Sprachbewertungen und Sprachprognosen1
Vor einigen Jahren erschien die Wochenzeitschrift DER SPIEGEL mit dem
Aufmacher "Rettet dem Deutsch – Die Verlotterung der Sprache" (Schreiber
2006). Schon wenige Jahre später spielten die MitteilungeN des Deutschen
Germanistenverbandes im Titel mit der Form einer ärztlichen Diagnose:
”Name: Deutsch, Alter: 1200, Befund: gesund." Mehrere der Autoren dieses
Hefts diagnostizieren die 1200 Jahre alte deutsche Sprache dann auch als gesund. Rudolf Hoberg meinte sogar, dass sie ”wächst, blüht und gedeiht”. 2
Wenngleich diese Zeitschrift über die Fachgrenzen der Germanistik hinaus
kaum verbreitet ist, provozierten die Beiträge zu dem sprachoptimistischen
Heft auch Gegenmeinungen, besonders auch vom Verein Deutsche Sprache.
Dieser Verein, der nach eigenen Angaben mehr als 30 000 Mitglieder hat,
warnt seit Jahren vor einem Niedergang des Deutschen. 3 Widerspruch wäre
auch von der eigenen germanistischen Zunft möglich; denn theorie- und methodenstrenge Linguisten scheuen in der Regel wertende Pauschalaussagen
über eine Sprache. Dies nicht nur, um nicht von Fachkollegen unwissenschaftlicher Spekulationen geziehen zu werden, sondern auch aus Scheu vor
der kaum zu bewältigenden Komplexität der hierfür zu bearbeitenden Aufgabe. Bewerten ist ja stets Vergleichen und erfordert Bewertungskriterien.
Beim Bewerten einer Sprache wird entweder ihr beobachtbarer Zustand mit
einem früheren oder einem idealen Zustand verglichen oder mit dem einer
anderen Sprache, und zwar im Hinblick auf bestimmte Qualitäten oder Größen. Generelle Eigenschaften der Sprache und ihrer laufenden Entwicklung
1 Vortrag am Germanistischen Institut der Universität Bukarest im Oktober 2013. Die folgenden Überlegungen und Erwägungen sind in Teilen eine Erweiterung und Aktualisierung
von Stickel 2009.
2 MitteilungeN des Deutschen Germanistenverbandes. 56. Jg., H. 1/2009. Darin Hoberg S.
24-24.
3 Siehe die Selbstdarstellung dieses Vereins im Internet unter www.vds-ev.de
Gerhard Stickel
festzustellen, ist jedoch ungemein schwierig, schwieriger vielleicht noch als
die Erfassung anderer komplexer Zustände und Prozesse, etwa der gesamten
Volkswirtschaft eines modernen Staates. Im Unterschied zu den monetären
Einheiten, mit denen sich Wirtschaftsprozesse vergleichen und bewerten lassen, gibt es für eine Sprache und ihre Entwicklung keine standardisierten
Messgrößen. Größen wie durchschnittliche Satzlänge in Texten, Wortschatzumfang, Sprecheranzahl und ähnliche kann man zwar ermitteln. Daraus
lässt sich aber nicht so etwas wie ein sprachliches Bruttosozialprodukt oder
Wachstum berechnen4. Hinzu kommt, dass auch Linguisten in der sprachlichen Gegenwart leben und nur mit Mühe eine Beobachterdistanz zu ihrer
Objektsprache finden, besonders dann, wenn es ihre eigene Sprache ist.
Im Übrigen ist auch der Sprachwandel in der Vergangenheit, zu dem die erforderliche Beobachterdistanz besteht, im großen und ganzen zwar beschrieben, bisher aber nur unzureichend erklärt worden. Änderungen des Wortschatzes, der morphologischen und syntaktischen Regularitäten, von Stilformen und Textkonventionen sind sorgfältig erfasst und analysiert worden. Erklärungen gibt es aber nur ansatzweise und in Form konkurrierender Hypothesen. Als gesellschaftlicher Prozess ist Sprachwandel von so vielen Faktoren abhängig, dass er sich zumindest in einem naturwissenschaftlichen Sinn
nicht kausal erklären lässt. Bedingung für eine solche streng kausale Erklärung wäre die prinzipiell nicht zu leistende Aufdeckung aller Gründe und
Motive, wann, warum und wie die vielen Mitglieder einer Sprachgemeinschaft nach und nach ihren eigenen Sprachgebrauch ändern.
Weitgehender Konsens besteht in der modernen Sprachwissenschaft in der
Annahme von zwei generellen, gegenläufigen Bestrebungen, die den Sprachgebrauch der einzelnen Sprecher und Schreiber bestimmen: Zum einen ist es
das Bemühen um sprachliche Anpassung, d.h. das Bemühen, möglichst so zu
reden und zu schreiben wie die anderen, wie die Menschen der jeweiligen
Bezugsgruppe, um problemlos verstanden und akzeptiert zu werden. Dem
4 Zum Versuch einer ökonomischen Bewertung der deutschen Sprache siehe Coulmas 1993.
10
ZGR 2 (44) / 2013
Sprachentwicklung – Sprachkultur – Sprachkritik: Erwägungen zum heutigen und künftigen Deutsch
entgegengesetzt ist das Bemühen um sprachliche Originalität, d. h. das Bestreben, bemerkenswert anders zu reden und zu schreiben als die anderen,
um aufzufallen, um von den Adressaten beachtet zu werden. Die relative Stabilität einer Sprache beruht auf dem Vorherrschen der ersten Bestrebung.
Sprachwandel ergibt sich aus einer Mischung beider Bestrebungen. Das erstmals entlehnte Fremdwort zum Beispiel, das neugebildete Kompositum oder
die abweichende Wortstellung erzeugen Aufmerksamkeit, werden deshalb
wiederverwendet und schließlich von anderen übernommen, die sich der
Neuerung anpassen, soweit diese sich als kommunikativ nützlich, zumindest
nicht als hinderlich erweist5. Dies gilt im übrigen auch für sprachliche Neuerungen durch explizite Vereinbarung oder Vorschrift. Sie setzen sich auf
Dauer nur in dem Maße durch, in dem sie den kommunikativen Bedürfnissen der jeweiligen sozialen Gruppe oder großer Teile der Sprachgemeinschaft
insgesamt entsprechen.
Noch entschiedener vermeiden die meisten Linguisten Aussagen zur künftigen Entwicklung einer Sprache. Es gibt nämlich keine belastbaren linguistischen Theorien und Methoden, die Prognosen zur Entwicklung einer Sprache absichern könnten. Nach allem, was wir aus der Sprachgeschichte wissen, sind die Gründe für Sprachveränderungen nur zum geringen Teil in der
Sprache selbst zu finden, also in Wörtern und Sätzen, den Regularitäten ihres Baus und ihren Bedeutungen, sondern vor allem bei den Menschen, die
sprechen, hören, schreiben und lesen, die miteinander sprachlich umgehen,
die ihre sozialen Umgangsformen und individuellen Bedürfnisse ändern und
zudem neue Kommunikationsmedien erfinden und nutzen. Was aus der
deutschen Sprache wird, hängt also in erster Linie davon ab, was die
deutschsprachigen Menschen damit tun wollen oder tun müssen, d.h. unter
welchen künftigen sozialen und materiellen Bedingungen sie die Sprache zu
welchen Zwecken gebrauchen.
5 Hierzu Rudi Keller: Sprachwandel. Von der unsichtbaren Hand in der Sprache. (= UTB
1567) Tübingen 1990. Kellers Reduktion von Sprachwandel auf individuelles Sprachverhalten
ist aber eine starke Vereinfachung und letztlich nur ein Erklärungsschema. Über die sozialen
Prozesse in der Durchsetzung sprachlicher Neuerungen ist damit nur wenig gesagt.
ZGR 2 (44) / 2013
11
Gerhard Stickel
Tatsache ist aber, dass viele Menschen das Bedürfnis haben, das heutige
Deutsch insgesamt zu bewerten und etwas über seine Zukunft zu erfahren.
Vermutungen und Fragen zum Zustand der Sprache, speziell der eigenen
Sprache, nach ihrer wahrscheinlichen künftigen Entwicklung werden immer
wieder geäußert: von sprachinteressierten Laien, Lehrern, Sprachpflegern,
einzelnen Politikern oder Journalisten, die das verbreitete Interesse an
sprachlichen Themen zu bedienen suchen und von Linguisten zumeist eine
Bestätigung der eigenen Meinung oder Einstellung erwarten. Zukunftsorientiert sind besonders auch die Sorgen mancher Zeitgenossen, die Veränderungen unserer Sprache zum Schlechten konstatieren oder befürchten, wenn
nicht Maßnahmen zu ihrer Bewahrung oder gar Verbesserung ergriffen werden. Bekanntlich nehmen diese Sorgen mit dem Lebensalter zu. Ältere Menschen bewerten die gemeinsame Sprache kritischer als jüngere. Dies ist oft
wohl motiviert durch die Befürchtung, dass angesichts zunehmender Sprachveränderungen die eigene Kommunikationsfähigkeit beeinträchtigt werden
könnte.
Es besteht also offensichtlich ein Bedarf an Einschätzungen der Gegenwartssprache und an plausiblen Prognosen zu ihrer weiteren Entwicklung,
die man nicht schon durch Hinweis auf methodische Schwierigkeiten abtun
sollte. Und so riskieren es auch einzelne Linguisten hin und wieder, Spekulationen über die Zukunft einer Sprache anzustellen und auch zu veröffentlichen. Ein lesenswertes Beispiel bieten die Überlegungen von Harald Weinrich (1985) über „Die Zukunft der deutschen Sprache“. Auch ich schiebe für
meine spekulativen Erwägungen die nahe liegenden methodischen Skrupel
beiseite. Zunächst aber einige Bemerkungen zur sprachlichen Gegenwart.
1. Zum heutigen Deutsch
Was ist unter dem derzeitigen Zustand der deutschen Sprache zu verstehen?
Wie ist er zu beschreiben? Eine vollständige Zustandsbeschreibung bestünde
in der Erfassung aller lautlichen, grafischen, grammatischen Regularitäten
und lexikalischen Einheiten von deutschen Äußerungen, die heutzutage gemacht und/oder rezipiert werden. Hinzu kommen müsste auch eine Beschreibung der Zwecke des aktualen Sprachgebrauchs. Und zur Rezeption
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ZGR 2 (44) / 2013
Sprachentwicklung – Sprachkultur – Sprachkritik: Erwägungen zum heutigen und künftigen Deutsch
müsste auch das Hören und Lesen älterer Äußerungen gehören; denn wir lesen ja z. B. auch Literatur aus der Vergangenheit oder schauen uns alte Filme
an. Eine solche totale Zustandsbeschreibung kann aber auch mit vereinten
linguistischen Kräften schwerlich geleistet werden und wird auch von niemandem erwartet. Erwartet und diskutiert werden unter Bewertungsaspekten in erster Linie Beschreibungen von Veränderungen des derzeitigen
Sprachgebrauchs im Vergleich zu früheren Sprachgebräuchen und deren Regularitäten. Auch linguistische Laien stellen Beobachtungen oder Vermutungen zum laufenden Sprachwandel an, bemerken und bewerten den Gebrauch
neuer Wörter, tatsächliche oder vermeintliche grammatische Neuerungen
oder auch Änderungen von Text- und Dialogkonventionen. Immer wieder
gern diskutiert werden:
 Anglizismen und andere Neuwörter,





die Wortstellung nach weil (weil sie hat das nicht gewusst),
das (vermeintliche) Verschwinden von Konjunktiv und Genitiv
(des Dollar),
Änderungen von Briefkonventionen und Grußformeln (Hi Inge;
Hallo, Herr Müller)
die geänderten Gebrauchsbedingungen für Titel (Prof., Dr.; Minister), und Anredepronomina (du, Sie),
Übernahme jugendsprachlicher Ausdrücke von Erwachsenen (super, geil, abhängen).
Bemängelt werden solche Änderungen oft mit der expliziten oder unausgesprochenen Sorge, dass so die Sprache schlechter werde. Dies kann nur als
Befürchtung verstanden werden, dass die veränderten sprachlichen Mittel
bestimmten kommunikativen Zwecken nicht mehr genügen, also eine Verständigung in der tatsächlich oder vermeintlich veränderten deutschen Sprache erschwert werde.
Zu den Neuwörtern hier nur eine kleine Liste von Beispielen, die dem Neologismenwörterbuch von Herberg et. al. (2004) entnommen sind:
a) Neubildungen ohne englischsprachige Anteile: Armutsfalle, BesserZGR 2 (44) / 2013
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Gerhard Stickel
wessi, Datenautobahn, Elchtest, Euro-Land, gaucken, Gentomate,
Hörbuch, Leitseite, Minusrunde, Ostalgie, Quengelware, schönrechnen, Spaßkultur, Warmduscher;
b) 'reine' Anglizismen: Blinddate, Bodypainting, Booklet, Burnout,
Couch-potato, Globalvillage, Hypertext, Inline-skates, Mobbing, online, outen, Ranking, Shareholder-value, Wellness;
c) Mischbildungen: abspacen, Ärztehopping, Chat-Raum, Eventkultur,
Kuschelrock, Mobbing-Beratung, Online-Kaufhaus, Partydroge, Semesterticket, verlinken.
Diese Liste soll in unserem Zusammenhang nur illustrieren, dass neue Wörter nicht überwiegend oder gar ausschließlich aus dem Englischen übernommen werden. Die Wortbildung, d.h. die Bildung neuer Wörter aus vorhandenen Wörtern oder Morphemen ist weiterhin ein durchaus produktives Verfahren. Auch die Beispiele unter c) zeigen, wie fremde Elemente produktiv in
deutsche Strukturen integriert werden. Es gibt auch ansonsten keine markanten Anzeichen dafür, dass die deutsche Sprache als langue, als Ensemble
der verfügbaren lexikalischen und grammatischen Mittel, sich gegenüber
früheren Sprachzuständen verschlechtert habe, genauer gesagt: von ihren
Sprechern verschlechtert worden sei. In einigen seiner strukturellen Komponenten ist das heutige Deutsch zweifellos anders als noch zu Beginn oder
auch zur Mitte des 20. Jahrhunderts, besonders in der Lexik, dem Wortschatz. Andererseits scheint die Sprache in ihren regionalen, medialen und
sozialen Varietäten weiterhin schier unbegrenzte Ausdrucksmöglichkeiten zu
bieten, die von der fein geschliffenen Prosa mancher zeitgenössischer Autoren bis zu den oft hermetischen Dialogen in jugendsprachlichen Milieus reichen.
Zeitgenössische Schriftsteller schreiben zweifellos anders als Theodor Fontane oder Thomas Mann; die Jugendsprachen von heute unterscheiden sich
erheblich von der Sprache der Jugendbewegung oder gar der Sprache der
Hitlerjugend.6 Die Verständigung innerhalb der literatursprachlichen und
6 Dies gilt besonders für die neuen jugendsprachlichen Varietäten, die oft als "Kiezsprache"
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ZGR 2 (44) / 2013
Sprachentwicklung – Sprachkultur – Sprachkritik: Erwägungen zum heutigen und künftigen Deutsch
der jugendsprachlichen Domänen scheint jedoch nicht beeinträchtigt zu
sein; zwischen beiden war sie schon immer schwierig. Literarisch gebildete
Menschen haben den Sprachgebrauch junger Leute schon immer unverständlich oder abstoßend gefunden, und schon früher haben sich viele junge
Leute nicht für Literatur interessiert. Der aktuelle Sprachgebrauch in den
Medien und in der Politik wird von manchen Menschen kritisch beobachtet
und kommentiert. Sprachschnitzer und irreführende Euphemismen werden
nicht kritiklos hingenommen. Man denke etwa an die Aktion ”Unwort des
Jahres” oder auch an den Erfolg von Sebastian Sick mit seinen Büchern über
den Dativ als "dem Genitiv sein Tod" (Sick 2004 ff.). Auch scheint die praktische Kritik des Sprachgebrauchs im Alltag der Familien und Schulen weitgehend zu funktionieren. Hierzu gehören auch die immer wiederkehrenden
Klagen über schlechte sprachliche Leistungen von Schülern und Studenten.
Auch solche Klagen zeugen von funktionierender Sprachkritik. Wenn
schlampige Klassenarbeiten, Referate oder mündliche Äußerungen kritiklos
hingenommen würden, wäre es um unsere Sprache wirklich schlecht bestellt.
Positiv ist auch, dass sich im gesamten Sprachgebiet die deutsche Standardsprache (‚Hochdeutsch‘) im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts soweit
verbreitet und stabilisiert hat, dass sie nun von den allermeisten Menschen
zwischen Bern und Greifswald, zwischen Flensburg und Klagenfurt verstanden wird, wenn auch nicht alle Menschen sie in allen Situationen und für alle
Zwecke aktiv gebrauchen. Bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts
beherrschten und nutzten viele Menschen nur ihre regionalen oder lokalen
Dialekte. Derzeit können erheblich mehr Menschen hochdeutsch lesen und
schreiben als je zuvor. Dies ist eine Folge der allgemeinen Schulpflicht und –
besonders in Deutschland – auch der Umsiedlung und Umschichtung großer
Bevölkerungsanteile in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Hinzu kommt die
verbreitete Nutzung alter und neuer Massenmedien und die zunehmende
berufliche Mobilität.
Anzumerken ist freilich, dass es bisher keine genauen Angaben darüber gibt,
bezeichnet werden. Wie frühere Jugendsprachen dienen sie der sprachlichen Solidarisierung
in jugendlicher Milieus und deren Abgrenzung nach außen. Hierzu ausführlich Neuland 2008.
ZGR 2 (44) / 2013
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Gerhard Stickel
wie viele von den rund 81 Millionen Einwohnern von Deutschland tatsächlich Deutsch als Erst- oder Zweitsprache verwenden, weil es in Deutschland
anders als in mehreren anderen europäischen Ländern bis heute keinen
Sprachenzensus gegeben hat und in absehbarer Zeit auch nicht geben wird.7
Auch zu den anderssprachigen Bevölkerungsgruppen fehlen genauere quantitative Daten. Es gibt zwar Angaben über die nationale Herkunft der Migranten in Deutschland, aber nicht über ihre Erstsprachen. Manche Menschen, die etwa aus der Türkei stammen oder deren Eltern einen türkischen
Pass hatten, sind nicht mit Türkisch, sondern mit Kurdisch als Erstsprache
aufgewachsen.
Zugenommen hat nicht nur die Verbreitung des Gebrauchs der deutschen
Standardsprache, sondern auch die Anzahl und Intensität der Kontakte mit
anderen Sprachen, und zwar sowohl innerhalb des deutschsprachigen Gebiets als auch Sprachgrenzen überschreitend. Von diesen Kontakten sind
größere Anteile der deutschsprachigen Bevölkerung betroffen als je zuvor.
Mit der Entwicklung der Verkehrswege und -mittel, der weitgehenden Öffnung der Grenzen in Europa und mit den modernen Kommunikationsmedien sind Begegnungen mit anderssprachigen Menschen und Texten längst
nicht mehr auf Boten, Kaufleute, fahrende Scholaren, Handwerksburschen
und Soldaten beschränkt. Jeder kann nahezu mühelos in ein anderssprachiges Gebiet reisen, und sei es als Tourist. Jeder kann, auch ohne zu reisen,
fremdsprachige Zeitungen und Bücher lesen und Radio- und Fernsehsendungen in anderen Sprachen empfangen. Hinzu kommen die Sprachkontakte, die im Fremdsprachenunterricht gezielt vermittelt werden, und das nicht
nur an Kinder 'aus gutem Hause', sondern an nahezu alle Kinder und Heranwachsende.
Zu beachten sind auch die Kontakte zu den Migrantensprachen im Sprachinland, die auf jedem Wochenmarkt, an vielen Arbeitsplätzen, in Kaufhäusern,
Zeitungsständen und anderswo geboten werden. Die erhebliche Zunahme an
Sprachkontakten führt auch zu vermehrten Entlehnungen. Die Übernahme
von Wörtern und Wendungen aus den unmittelbaren Kontaktsprachen be7 Dies wird im Einzelnen diskutiert in Stickel 2012.
16
ZGR 2 (44) / 2013
Sprachentwicklung – Sprachkultur – Sprachkritik: Erwägungen zum heutigen und künftigen Deutsch
nachbarter Länder und im Inland ist freilich relativ gering im Vergleich zu
den Entlehnungen aus dem Englischen. Deutliche Spuren aus Kontakten mit
anderen kontinentaleuropäischen Sprachen sind am ehesten wohl noch in
der importierten Gastronomie zu finden. Dort sind Cordon Bleu, Pizza,
Spaghetti, Čevapčići, Gyros und Döner schon seit Jahren keine seltenen Exotismen mehr. Aus DDR-Zeiten ist u.a. die russische Soljanka geblieben, und
in größeren Städten kann man neuerdings auch Tapas essen. Solche Entlehnungen haben aber im Vergleich zu den Anglizismen, den Übernahmen aus
dem Englischen, nur einen geringen Anteil an lexikalischen Neuerungen.
Während die territoriale und soziale Verbreitung des Standarddeutschen
und die Anzahl seiner Sprecher größer geworden sind, verringert sich andererseits sein Gebrauch in einigen Domänen.8. Die domänenspezifischen Gebrauchsmöglichkeiten des Deutschen gehen schon seit einiger Zeit zurück.
Bekanntlich publizieren die meisten deutschen Naturwissenschaftler und
Mediziner und viele Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler überwiegend
oder nur noch auf Englisch. Nachdem Deutsch bis in die ersten Jahrzehnte
des 20. Jahrhunderts in vielen Fächern eine herausragende Stellung auch in
der internationalen wissenschaftlichen Kommunikation hatte, hat seine Verwendung in dieser Funktion seit dem Ende des 2. Weltkrieges weiter abgenommen.9 Einen ähnlichen Domänenverlust weisen inzwischen auch andere
europäische Sprachen auf mit Ausnahme des Englischen, das zunehmend die
Stellung einer globalen wissenschaftlichen Verkehrssprache10 eingenommen
hat. Verschärft wird das Problem für das Deutsche dadurch, dass deutschsprachige Wissenschaftler der genannten Fächer Englisch nicht nur für die
internationale Verständigung nutzen - wogegen wenig einzuwenden ist -,
8 Die Soziolinguistik versteht unter Domänen die kommunikativen Sach- und Lebensbereiche, in denen eine Sprache gebraucht wird, also etwa Politik, Sport, Familie, Kirche, Tourismus und andere.
9 Hierzu ausführlich Ammon1998.
10 Ich vermeide hier die derzeit gebräuchliche Bezeichnung Lingua Franca. Die historische
lingua franca, mit der das heutige Englisch oft verglichen wird, hatte nie eine Funktion in
Wissenschaft, Politik oder Kultur im weitesten Sinn. Sie war lediglich eine rudimentäre
Hilfssprache, ein Pidgin für Kaufleute und Schauerleute an den Mittelmeerküsten.
ZGR 2 (44) / 2013
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Gerhard Stickel
sondern oft auch für die innerdeutsche Fachkommunikation.
Wenn deutsche Naturwissenschaftler ihre Arbeiten zunehmend auf Englisch
publizieren, auf Englisch vortragen und diskutieren - selbst auf Tagungen im
Sprachinland - , dann ist zu befürchten, dass deutsche Physiker, Chemiker
und Biologen sich schon in einigen Jahren zu Themen aus ihrem Fach auf
Deutsch gar nicht mehr äußern können. Erst recht nicht gegenüber interessierten Laien. Das geschieht dann nicht nur aus mangelnder Gewöhnung,
sondern weil die deutsche Sprache mit ihren reichen wissenschaftlichen Terminologien nicht mehr entsprechend dem Fortschritt der Forschung weiter
entwickelt und damit als Fachsprache für diese Disziplinen unbrauchbar
wird. Zudem nimmt auch der Gebrauch von Deutsch als Unterrichtssprache
in einigen Hochschulen und Disziplinen ab. An einigen Privathochschulen
und in einzelnen Fächern auch an manchen staatlichen Hochschulen wird
Englisch als Unterrichtssprache verwendet. So an der International University, Bruchsal, und der Jacobs University in Bremen. Mancherorts sind auch
die Geisteswissenschaften betroffen. An der Universität Heidelberg wurde
vor einiger Zeit ein ”geisteswissenschaftliches Exzellenzcluster” ('Vortrefflichkeitsklumpen') eingerichtet zu dem Themenbereich ”Asia and Europe in
a Global Context: Shifting Asymmetries in Cultural Flows." Untergebracht ist
dieser Cluster im ”Karl Jaspers Centre for Advanced Studies”. Der philosophische Namengeber hätte sich vermutlich darüber gewundert.
Eine ähnliche Entwicklung ist in der Wirtschaft zu beobachten: Mehrere
große multinationale Konzerne mit Sitz in Deutschland (u.a. Daimler, Siemens und Bertelsmann) haben selbst an ihren hiesigen Standorten in bestimmten Firmenbereichen Englisch als zweite Konzernsprache auch für die
deutschsprachigen Mitarbeiter eingeführt. Ein sich ausbreitender, anhaltender Domänenverlust wäre tatsächlich eine Verschlechterung der deutschen
Sprache, da sie dann für eine zunehmende Anzahl von Zwecken nicht mehr
verwendbar wäre. In diese Richtung deuten auch aktuelle Tendenzen im
schulischen Sprachunterricht. An den meisten deutschen Schulen wird – oft
auf Druck der Eltern – Englisch als erste Fremdsprache unterrichtet. Diese
Entwicklung geht nicht nur zum Nachteil anderer Fremdsprachen, sondern
mittelbar auch zu Lasten des Deutschen. In der Schweiz wurde vor einigen
18
ZGR 2 (44) / 2013
Sprachentwicklung – Sprachkultur – Sprachkritik: Erwägungen zum heutigen und künftigen Deutsch
Jahren sogar die Einführung von Englisch als allgemeine Verkehrssprache,
d.h. auch für die deutschsprachigen Kantone, diskutiert (s. Watts / Murray
2001).
In Schulen und Hochschulen anderssprachiger europäischer Länder wird
Deutsch als Fremdsprache insgesamt etwa so häufig wie Französisch gelehrt
und gelernt. Sein Anteil (wie der des Französischen) am Fremdsprachenunterricht ist aber besonders in den westlichen und nordeuropäischen Ländern
zugunsten des Englischen stark zurückgegangen. In Mittel- und Osteuropa
ist ebenfalls Englisch zur ersten Fremdsprache geworden (s. Europäische
Kommission 2012.)
2. Mögliche Zukünfte des Deutschen
Ein stark vereinfachender Blick auf das heutige Deutsch ergibt also ein gemischtes Gesamtbild. Wie geht es mit der deutschen Sprache weiter? Wohin
könnte oder sollte sie sich entwickeln? Sofern man keine prophetische Gabe
für sich in Anspruch nimmt und keine unbedingte Prognose riskiert, lassen
sich zur Zukunft des Deutschen nur bedingte Voraussagen machen, also Annahmen als begründete Vermutungen darüber, was aus der deutschen Sprache künftig wird, wenn bestimmte Bedingungen gegeben sind oder geschaffen werden. Anders freilich als eine ökonomische Prognose, die z. B. das
wahrscheinliche Wirtschaftswachstum eines Landes aus quantitativen Daten
ermittelt, können linguistische Prognosen nur Plausibilitätsbetrachtungen
zur sprachlichen Zukunft anstellen, die meist zu Vergleichen mit Prozessen
des Sprachwandels in der Vergangenheit greifen. Ein wichtiger Unterschied
besteht auch darin, dass ökonomische Prognosen meist nur für wenige Jahre
erwartet und gestellt werden, während Vermutungen oder Befürchtungen
zur Entwicklung einer Sprache weiter in die Zukunft ausgreifen. Für den Unternehmer oder Wirtschaftspolitiker kann die Wachstumsprognose für das
folgende Jahr entscheidungsrelevant sein. Sprachwandel ist dagegen nicht so
kurzatmig wie ökonomische Prozesse.
Was die Entwicklung des Deutschen in den kommenden zehn Jahren angeht,
so lässt sich – wie die neuere Sprachgeschichte lehrt – als sehr wahrscheinZGR 2 (44) / 2013
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Gerhard Stickel
lich vermuten, dass sich der Wortschatz in Teilen weiter verändern wird,
nicht in seinem Kernbestand, aber besonders in den lexikalischen Feldern zu
Domänen, in denen Neues geschieht. Die phonologischen, morphologischen
und syntaktischen Strukturen werden aber im Wesentlichen stabil bleiben.
Zu (weiteren) Änderungen kann es in den Textkonventionen für schriftliche
Nachrichten kommen, so wie sich dies jetzt schon in der E-Mail- und SMSKommunikation abzeichnet. Sollte die akustische Spracherkennung, d.h. die
gesprochene Eingabe in Computer und andere steuerbare Geräte, erheblich
weiter entwickelt werden und sich ihre Nutzung verbreiten, geht aber möglicherweise das Schreiben zurück, zumindest als Eingabemedium. Was man
gesprochen eingeben kann, braucht man nicht zu schreiben. Dies könnte aus
technischen Gründen aber auch zu einer artikulatorischen Präzisierung und
weiteren Standardisierung der gesprochenen Sprache führen. Auf das Lesen
komplexer Nachrichten und fiktionaler Literatur wird man auch künftig
nicht so leicht verzichten. Nachhören ist nun mal mühsamer als Nachlesen.
Diese Entwicklung würde nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch andere Sprachen in den technologisch entwickelten Ländern betreffen. Anzunehmen ist, dass der Domänenverlust, der erwähnte Rückgang des Deutschen zugunsten des Englischen, in einigen Sach- und Lebensbereichen sich
für einige Jahre noch fortsetzen wird, wenn sich bei den Akteuren in diesen
Domänen kein Interesse für eine andere Entwicklung gewinnen lässt. Mehr
hierzu später.
Versuchen wir, noch etwas weiter in die Zukunft hinein zu spekulieren! Hierzu muss wie bei der Einschätzung der Gegenwartssprache auch die weitere
Entwicklung des Deutschen im Kontext der anderen europäischen Sprachen
und darüber hinaus gesehen werden. Sofern die derzeitigen politischen und
wirtschaftlichen Bedingungen für Deutschland und die anderen deutschsprachigen Staaten im Großen und Ganzen fortbestehen, sind für die Zukunft der
deutschen Sprache gegen Ende dieses Jahrhunderts, also nach drei bis vier
Generationen, verschiedene Möglichkeiten vorstellbar. Ich beschränke mich
auf drei Szenarien, die ich zur Diskussion stelle:
A. Deutsch wird um die nächste Jahrhundertwende im gesamten bisherigen
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Sprachentwicklung – Sprachkultur – Sprachkritik: Erwägungen zum heutigen und künftigen Deutsch
Sprachgebiet in allen Domänen für fast alle Zwecke verwendet. Der
Wortschatz ist im Kernbereich kaum verändert, hat sich aber in einigen
domänenspezifischen Feldern durch eine Vielzahl von Neologismen und
Wegfall älterer Ausdrücke gewandelt; die lautlichen und grammatischen
Strukturen haben sich nur in wenigen Details verändert. So ist die Suffixmarkierung der Dativ- und Akkusativformen von Substantiven zum Teil
entfallen (*dem Präsident). Dies gilt auch für den Genitiv, der nicht
mehr als Objektkasus fungiert, sondern nur noch als Attributs- und Präpositionskasus (*Rede des Minister, *bezüglich deines Vorschlag). Vielleicht sind auch weitere 'starke' Verben in das regelmäßige Paradigma
übergegangen (laden, *ladete, *geladet). Die allermeisten Deutschen, Österreicher und Deutschschweizer sind dann dreisprachig. Neben Deutsch
beherrschen sie die inzwischen internationalisierte Varietät des Englischen (Internationalish) und können sich auch in wenigstens einer weiteren europäischen Sprache gut ausdrücken, etwa auf Französisch, Spanisch, Italienisch oder Russisch, in Grenzgebieten auch auf Niederländisch, Dänisch, Polnisch oder einer anderen Nachbarsprache. Außerdem
verfügen viele deutschsprachigen Menschen zusätzlich zu ihren aktiven
Sprachkenntnissen über eine rezeptive Kompetenz in weiteren Sprachen,
die sie leidlich verstehen ohne sie sprechen oder schreiben zu können.
Wissenschaftler haben sich längst angewöhnt, ihre gewichtigeren Publikationen zweisprachig abzufassen, tragen aber in Vorlesungen und auch
bei internationalen Veranstaltungen im Inland durchweg auf Deutsch
vor. Seminardiskussionen und Laborgespräche werden je nach den Teilnehmern oft auch mehrsprachig geführt. In vielen Gegenden des
deutschsprachigen Gebiets werden noch die alten Dialekte als Familienund Freizeitsprachen gepflegt. Dies gilt auch für die Herkunftssprachen
der Nachkommen von Migranten. Ähnliche sprachliche Verhältnisse bestehen in den anderen europäischen Ländern, die schon mehrere Jahrzehnte zuvor ebenfalls Bundesstaaten der Europäischen Union geworden
sind. Eine Ausnahme ist noch die Vereinigte Britische Republik (das frühere Vereinigte Königreich): Die meisten Schotten und Waliser sind zwar
schon seit längerem zwei- oder dreisprachig. Die Engländer dagegen
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Gerhard Stickel
wehren sich immer noch gegen die Vorherrschaft von Internationalish,
das die britische Varietät des Englischen zu einem regionalen Feierabenddialekt zu machen droht. Viele Engländer haben aber auch schon
begonnen, eine oder zwei andere europäische Sprachen zu lernen.
B. Die deutsche Sprache ist nicht aus dem deutschen Sprachgebiet verschwunden. Sie hat sich jedoch stark verändert. Vier Generationen ihrer
Sprecher haben sie nach und nach in eine ausgebaute deutsch-englische
Kreolsprache umgeformt: Über ein Substrat alter deutscher, morphologisch vereinfachter grammatischer Funktionswörter und Stellungsmuster
legen sich lexikalische Einheiten, die zumeist aus dem Englischen übernommen sind. Im Hochschulbereich könnte ein Satz in diesem "Denglisch" etwa lauten: De odder students moven in de false direction (in heutigem Deutsch: 'Die anderen Studenten gehen in die falsche Richtung.')
Dieses Neudeutsch ist auf das deutsche Sprachgebiet beschränkt, hat sich
aber in fast allen öffentlichen und privaten Domänen durchgesetzt. Vor
allem jüngere Menschen lesen kaum noch Texte vom Beginn des 21.
Jahrhunderts oder gar aus dem 20. oder 19. Jahrhundert, weil sie diese
nur mit Mühe oder gar nicht verstehen. Kreolformen haben sich unter
dem Einfluss des Englischen auch aus anderen europäischen Sprachen
entwickelt, unter anderem zu franglais und spanglish. Die englischen
Anteile sind nicht in allen diesen neuen Sprachformen gleich. Deutsch,
Niederländisch und die nordischen Sprachen sind stärker englisch überformt als die (ehemals) romanischen, slawischen und finno-ugrischen
Sprachen in Europa. Neben ihren regional beschränkten verschiedenen
Mischsprachen verwenden Deutsche und die anderen Europäer im internationalen Verkehr Englisch als Verkehrssprache, deren Morphologie
und Syntax sich nur wenig verändert hat. Fremdsprachen außer Englisch
werden in den kontinentaleuropäischen Ländern nicht mehr gelehrt und
gelernt.
C. Im Zuge der wirtschaftlichen und politischen Globalisierung sowie der
zunehmenden innereuropäischen Verflechtung haben die vorher deutsch-
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Sprachentwicklung – Sprachkultur – Sprachkritik: Erwägungen zum heutigen und künftigen Deutsch
sprachigen Menschen die Standardsprache ihrer Vorfahren nahezu ganz
aufgegeben und gebrauchen stattdessen eine amerikanisch geprägte
internationale Varietät des Englischen in allen wichtigen Lebensbereichen, also in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Bildungswesen,
generell im Berufsleben und auch in den Massenmedien. Die hochsprachliche Varietät des Deutschen existiert nur noch in alten Büchern,
Ton- und Bilddokumenten, die auf elektronischen Datenträgern verfügbar sind. Das Fach Deutsch ist schon mehrere Jahre zuvor aus den Lehrplänen der Schulen gestrichen worden, wird aber noch als Teilgebiet in
den geschichtswissenschaftlichen Departments einiger Universitäten betrieben. In manchen ländlichen Gegenden und alten Stadtvierteln werden noch Reste vormaliger deutscher Mundarten und Umgangssprachen
in der Familie, unter Freunden und bei Folkloreveranstaltungen gebraucht. Stärker ausgeprägt ist dies in Tirol und im ehemals deutschsprachigen Teil der Schweiz, wo ansonsten die früheren Landessprachen
längst durch Englisch ersetzt worden sind. Ähnlich ist es den meisten anderen europäischen Hochsprachen ergangen mit Ausnahme vielleicht des
Baskischen, Estnischen und Lettischen. Französisch wird nur noch in einigen außereuropäischen Gegenden (in Quèbec und Teilen von Afrika)
gebraucht, in Frankreich sonst nur als Ritualsprache bei bestimmten öffentlichen Anlässen. Italienisch ist in Italien bis auf dialektale Reste verschwunden, hat aber neben Englisch das alte Kirchenlatein als offizielle
Sprache des nun zweisprachigen Vatikans abgelöst. Spanisch und Portugiesisch werden in einigen Gegenden der iberischen Halbinsel als regionale Zweitsprachen neben Englisch verwendet, als Erstsprachen nur
noch in größeren Regionen Mittel- und Südamerikas. Katalonien ist englisch-katalanisch zweisprachig geworden. Auf den Britischen Inseln wird
wie auch sonst in Europa ein ‚globalisiertes‘ Englisch gesprochen. Die
britischen Varietäten des Englischen werden wie die alten keltischen
Minderheitssprachen lediglich noch in einigen ländlichen Regionen als
Familiensprachen verwendet. In Florenz, Mannheim, Uppsala und Krakau sind Dokumentationsstellen "for the former European languages"
eingerichtet worden, die aber nur von wenigen Sprachgelehrten und
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Gerhard Stickel
Historikern genutzt werden.
Weitere Szenarien sind denkbar. Als Folge größerer globaler Veränderungen
könnte Chinesisch als Verkehrssprache in Europa wichtiger werden als Englisch, oder es könnten Arabisch oder Suaheli als Fremdsprachen für Deutsche interessanter werden als Französisch oder Spanisch. All dies hätte Auswirkungen auf die Zukunft des Deutschen. Aus heutiger Sicht und unter den
derzeitigen Bedingungen sind jedoch solche Entwicklungen und ihre Folgen
für die deutsche Sprache nur schwer zu projizieren. Ich beschränke mich
deshalb auf die drei skizzierten Zukunftsbilder.
Für weniger wahrscheinlich als die beiden anderen halte ich das Szenarium
B, die Kreolisierung des Deutschen. Es nimmt Befürchtungen auf, wie sie unter anderem von Vertretern des schon erwähnten Vereins Deutsche Sprache
(VDS) geäußert werden, etwa in den Internet-Veröffentlichungen, in denen
wiederholt von einem "deutsch-englischen Kauderwelsch" oder einer
"Mischmaschsprache" die Rede ist, die schon heute mancherorts zu konstatieren sei und wozu sich die deutsche Sprache insgesamt entwickeln könne.
Der Gebrauch von Anglizismen hat zweifellos schon jetzt in einigen Domänen (u.a. in der Werbung, der Unterhaltungsindustrie und einzelnen Fachsprachen) erheblich zugenommen. In manchen Kontexten und Szenen werden hin und wieder auch englische Wendungen oder ganze englische Sätze in
einen Werbetext oder Gesprächsbeitrag eingefügt. Dass sich aber aus der Zunahme des Gebrauchs solcher Entlehnungen eines Tages eine umfassend
verwendbare, leidlich stabile Mischsprache, ein Kreol entwickeln könnte, ist
wenig wahrscheinlich. Die existierenden Kreolsprachen, etwa in der Karibik
und in Guayana, haben sich durchweg durch Ausbau und Stabilisierung früherer Pidgins11 entwickelt, d.h. aus extrem vereinfachten Hilfssprachen für
die Verständigung verschiedensprachiger Menschen zu eingeschränkten
Zwecken. Der Gebrauch von Anglizismen im Deutschen ist jedoch keine
Vereinfachung und dient nicht etwa der Verständigung mit britischen oder
amerikanischen Partnern, sondern entspringt durchweg dem Bemühen um
Ausdrucksdifferenzierung gegenüber deutschsprachigen Adressaten, um die11 Zu 'Ausbausprache' Kloss 1978, zu Pidgin- und Kreolsprachen Bauer 1987 und Migge 2004.
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Sprachentwicklung – Sprachkultur – Sprachkritik: Erwägungen zum heutigen und künftigen Deutsch
se zu beeindrucken, sich bei ihnen anzubiedern oder aus ähnlichen Motiven.
Abgesehen von ihrer unwahrscheinlichen Genese aus einem Pidgin hätte
eine deutsch-englische Kreolsprache auch nur geringen kommunikativen
Nutzen. Sie wäre auf das deutsche Sprachgebiet beschränkt, könnte für Kommunikation mit anderen Europäern, auch mit Engländern, nicht verwendet
werden und würde also den (ehemals) deutschsprachigen Menschen nicht
ersparen, Englisch oder andere europäische Sprachen zu lernen.
Für nicht völlig ausgeschlossen halte ich eine Entwicklung, wie sie im Szenarium C skizziert wird, also das weitgehende Verschwinden des Deutschen,
besonders seiner hochsprachlichen Varietät. Die schon erwähnte Aufgabe
des Deutschen zugunsten des Englischen in einzelnen Domänen könnte sich
ausweiten. Dies wäre ein Rückbau der deutschen Sprache durch Domänenverlust. Eine ‚ganze‘ Sprache, d.h. eine Sprache, in der sich alles sagen und
fragen lässt, was man weiß oder wissen möchte, ist Deutsch ohnehin erst seit
dem 18. Jahrhundert. Es hat bis dahin Jahrhunderte gedauert und Schriftsteller und fortschrittliche Wissenschaftler einige Mühe gekostet, die deutsche Sprache vom Lateinischen und später auch dem Französischen zu
emanzipieren und unter anderem für die wissenschaftliche Kommunikation
auszubauen. Heutzutage sind es gerade die professionellen Akteure in mehreren wissenschaftlichen Disziplinen, die ohne Bedenken oder sogar entschieden ihre eigene Sprache zugunsten des Englischen als neuer internationaler ‚Einheitssprache’ aufgeben. Auch in anderen Domänen könnte dies
durch eine weitere Zunahme der internationalen Kontakte in Wirtschaft, Politik und Tourismus befördert werden. Auf den sich abzeichnenden Funktionsverlust europäischer Hochsprachen insbesondere in den Domänen von
Wissenschaft und Wirtschaft wird seit Jahren immer wieder hingewiesen.12
Wenn diese Entwicklung sich verstärkt und ausweitet, könnte sich in den
kontinental-europäischen Ländern nach und nach eine Diglossie entwickeln,
d.h. eine funktionale Zweisprachigkeit aus der jeweils herkömmlichen Sprache und Englisch. Dabei würden wichtige Angelegenheiten in Politik, Wirt12 Unter anderem von Phillipson (2003) und in den Beiträgen zu Ehlich / Ossner / Stammerjohann (Hg.) 2001.
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schaft und Wissenschaft zunehmend auf Englisch verhandelt, und der Gebrauch der anderen Sprachen beschränkte sich eines schlechten Tages nur
noch auf die 'F-Domänen': Familie, Freunde, Freizeit und Folklore. Deutsch
und andere europäische Sprachen könnten so längerfristig zu sozial und
funktional beschränkten Regionalsprachen unterhalb von Englisch als europäischer Einheitssprache werden. Die Hochsprachen würden hierbei wiederum in Konflikt mit ihren Dialekten und den Minderheitssprachen geraten,
die ja von vielen Menschen schon immer für die F-Domänen bevorzugt werden. Für die lokal oder sozial begrenzte Kommunikation über Themen der
Familie, der Freunde, der Freizeit, ist eine Hochsprache weniger geeignet als
die lokale Mundart oder Minderheitssprache. Ihr Gebrauch lohnt sich in diesen Domänen nicht, würde eher stören. Es könnte sich so eine Entwicklung
ergeben, bei der die deutsche und andere europäische Hochsprachen zwischen einerseits das sich über immer mehr Domänen ausbreitende globale
Englisch und andererseits die lokal und sozial begrenzten Dialekte und Minderheitssprachen geraten und wegen abnehmender Verwendbarkeit nach
und nach verkümmern.13 Schließlich gäbe es neben Englisch als europäischer
Einheitssprache, Resten von einigen Sprachen mit außereuropäischer Verbreitung und einzelnen 'störrischen' Sprachen wie Baskisch lediglich noch
regional und funktional beschränkte Dialektreste der heutigen kontinentaleuropäischen Sprachen. Baskisch ist übrigens ein Beispiel dafür, dass die
Entwicklung einer Sprache nicht nur wirtschaftlich beeinflusst wird. Es gibt
keine ökonomischen Gründe dafür, dass die Basken noch Baskisch sprechen
oder wieder mehr sprechen, als ihnen zur Franco-Zeit erlaubt war. Der entscheidende Grund scheint zu sein, dass sie es wollen. Als sprachpolitisches
Vorbild möchte ich die Basken mit ihren oft gewalttätigen Aktionen selbstverständlich nicht empfehlen.
4. Für eine wünschenswerte Zukunft des Deutschen
Offenkundig ist, dass ich das Szenarium A den beiden anderen vorziehe,
wenngleich ich das Eintreffen keiner dieser Zukunftsvermutungen noch
13 Weiter ausgeführt in Stickel 2008.
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Sprachentwicklung – Sprachkultur – Sprachkritik: Erwägungen zum heutigen und künftigen Deutsch
selbst erleben kann. Während die Szenarien B und C eher Befürchtungen für
die sprachliche Zukunft bündeln, hat die Prognose A erwünschte Züge. Fraglich ist aber, ob sie auch die wahrscheinlichste von den dreien ist. Die Wahrscheinlichkeit hängt neben anderen Faktoren davon ab, ob die derzeitigen
deutschsprachigen Menschen und ihre Nachkommen eine Entwicklung ihrer
Sprache in Richtung auf eine Zukunft, wie sie in der Skizze A angedeutet ist,
für erstrebenswert halten oder ihnen dies als erstrebenswert vermittelt werden kann.
Inwieweit hat eine Sprache für ihre Sprecher überhaupt einen Wert, den es
zu bewahren gilt? Als nahezu selbstverständlich sei vor allem an folgende Argumente für den Wert der eigenen Sprache erinnert:14
 In und mit der eigenen Sprache erfährt und strukturiert der einzelne
Mensch wesentliche Aspekte seiner Welt.
 Über die eigene Sprache verfügt er sicherer als über andere Sprachen. Er
kann in ihr besser verstehen, agieren und reagieren.
 Die eigene Sprache schafft und erhält Gesellschaft als Kommunikationsgemeinschaft. In ihr erfährt sich der Einzelne als soziales Wesen.
 In der eigenen Sprache sind Geschichte und Kultur, einschließlich der Literatur, der eigenen Gesellschaft aufgehoben und werden in ihr vermittelt. Sie schafft historische Kontinuität sozialer Gruppen und Staaten, soweit diese sich auch über eine gemeinsame Sprache definieren.
Wert und Nutzen der eigenen Sprache für das Individuum sind nur eingeschränkt Gründe für ihre Bewahrung über die Generationen hinaus, weil der
einzelne Mensch diesen Wert im Laufe des kindlichen Spracherwerbs auch
in einer geänderten oder einer anderen Sprache finden könnte. Mehrsprachig aufwachsende Kinder gewinnen sogar den Wert von zwei oder mehr
Sprachen und Kulturen. Wichtig ist aber der Fortbestand einer jeden Sprache für die soziale und kulturelle Kontinuität einer Gesellschaft, auch einer
multilingualen Gesellschaft, und damit auch für die Sozialisation der Indivi14 Mehr zum Thema "eigene Sprache" in: Stickel 2002.
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duen, die ihr angehören. So wie der Einzelne den größten Teil seines Weltwissens nicht aus eigenen Erfahrungen, sondern aus Äußerungen und Texten
anderer Menschen gewinnt, wird die Kontinuität sozialer Gruppen, von Familien über Vereine, Religionsgemeinschaften und Berufsstände bis hin zu
Nationen, sprachlich vermittelt. Dies geschieht nicht bloß durch mündliche
Äußerungen und Texte der jeweiligen Gegenwart, einschließlich der Erzählungen von Eltern und Großeltern, sondern auch durch wesentlich ältere
Texte wie Rechtskodizes, 'klassische' Literatur, historische, philosophische
und religiöse Schriften. Erhebliche Änderungen des eigenen Sprachgebrauchs, die partielle oder völlige Aufgabe der eigenen Sprache verringern
oder tilgen nicht nur den Wert der Sprache für die Gegenwart und deren Bezug zur Vergangenheit, sondern erschweren auch künftigen Generationen
den Zugang zu ihrer Geschichte.
Dies gilt selbstverständlich nicht nur für die deutsche Sprache und ihre Zukunft, sondern auch für andere europäische Sprachen, in deren Kontext sich
das Deutsche weiterhin entwickelt. Das sind Sprachen, die ihren Sprechern
ebenso wertvoll und nützlich sind wie den Deutschen, Österreichern und
Schweizern die deutsche. Mit den anderen Sprachen ist sie Teil der sprachlichen Vielfalt des Kontinents, die konstitutiv ist für die soziale und kulturelle
Vielfalt Europas. Dieses Argument ist zwar mittlerweile schon zu einem Topos des Europadiskurses geworden; aber wahr ist schließlich auch eine Binsenwahrheit.15 Europa, speziell die Europäische Union, ist nicht sonderlich
reich an natürlichen Ressourcen. Sein eigentlicher Reichtum ist seine
sprachlich basierte kulturelle Vielfalt. Die Aufgabe der europäischen Sprachen, besonders ihrer hochsprachlichen Varietäten, zugunsten einer europäischen oder gar globalen Einheitssprache ginge mit hoher Wahrscheinlichkeit
mit einer kulturellen ‚McDonaldisierung‘ einher, die sich freilich schon jetzt
in einigen Bereichen alltäglicher Trivialkultur andeutet.
Wenn man das erste Szenarium, das bei einer Weiterentwicklung des Deut15 In der Erklärung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juli 2000 heißt es:
„Alle Sprachen Europas in mündlicher wie schriftlicher Form haben den gleichen kulturellen
Wert und die gleiche kulturelle Würde und sind ein Bestandteil der europäischen Kultur und
Zivilisation.“ (Europäische Gemeinschaften 2000, Art. 4)
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schen die Bewahrung seines grammatischen und lexikalischen Kerns annimmt, für erstrebenswert hält (was ich tue) dann ist zu fragen, inwieweit
eine solche Entwicklung schon heute aktiv gefördert werden kann. Linguisten, die sich auf die Beschreibung und Analyse der sprachlichen Gegenwart
und Geschichte konzentrieren, aber auf die Sprachentwicklung nicht einzuwirken suchen, liegt diese Frage fern, entsprechend dem aus dem Strukturalismus stammenden Motto Leave your language alone. Sprachen, besonders
die europäischen Hochsprachen, sind jedoch nur selten ‚allein gelassen‘ worden. Spätesten seit dem Beginn der Neuzeit, die nach und nach auch zur
Emanzipation der europäischen ‚Volkssprachen‘ vom elitären Latein zu den
heutigen Standardsprachen geführt hat, gibt es Sprachpolitik, das heißt, Einwirkungen bestimmter sozialer Gruppen, Institutionen und des Staates auf
die jeweilige regionale oder nationale Sprache. Angesichts der Vielzahl und
Vielfalt der sprachpolitischen Konzepte und Initiativen, die derzeit in europäischen Zusammenhängen vorgeschlagen und diskutiert werden,16 will ich
nur noch wenige Bemerkungen zu einer zukunftsorientierten Sprachpolitik
für das Deutsche machen.
Was die deutsche Sprache der Gegenwart angeht, so wirkt sich schon die relativ große Anzahl ihrer Sprecher sprachkonservativ aus. Die laufende
Sprachentwicklung ist nicht nur dem Einfluss globaler wirtschaftlicher Interessen und verbreiteter Vorteilserwägungen zukunftsvergessener Individuen
ausgesetzt. Die Kommunikation zwischen den Generationen wirkt – trotz aller vorübergehenden jugendsprachlichen Besonderheiten – einem raschen
Sprachwandel entgegen. Mit über 90 Millionen Sprechern in Europa droht
dem Deutschen nicht so bald das Schicksal kleiner nord- und südamerikanischer Indianersprachen, die ‚ausgestorben‘ sind, weil die jeweils jüngeren
16 Unter anderem sind die Bemühungen der Europäischen Kommission zu nennen, der seit
einigen Jahren auch ein Kommissar für Mehrsprachigkeit angehört. Siehe die laufenden Internetveröffentlichungen, deutsch unter: http://europa.eu/languages/de/home. Sprachpolitisch zu wirken sucht neben anderen internationalen Sprachgesellschaften auch die Europäische Föderation nationaler Sprachinstitutionen (EFNIL), zu der sich die Sprachakademien
und zentralen Sprachinstitute der EU-Länder zusammengeschlossen haben (siehe www.efnil.org).
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Generationen sie zugunsten des Englischen bzw. Spanischen aufgegeben haben. Die Vorteile der überregionalen Geltung der deutschen Standardsprache wirken sich stabilisierend auf diese aus, wozu auch ihre Funktion als
Amtssprache in mehreren Staaten und Regionen beiträgt. Ich lasse dahingestellt, ob dies noch verstärkt werden könnte, wenn im deutschen Grundgesetz analog zur österreichischen und schweizerischen Verfassung ausdrücklich festgehalten würde, dass Deutsch die offizielle Sprache der Bundesrepublik Deutschland ist. 17
Die Abstimmung der Sprachenpolitik zwischen den deutschsprachigen Staaten und Regionen ist aber noch entwicklungsfähig und entwicklungsbedürftig. Bisher beschränkt sie sich auf den eher marginalen Bereich der Rechtschreibung. Eine verstärkte Zusammenarbeit wäre nicht nur sprachinnenpolitisch, also für das gesamte deutsche Sprachgebiet sinnvoll, sondern auch
mit Bezug auf die Sprachenpolitik der anderssprachigen europäischen Staaten, dies besonders auch im Zusammenhang mit der Sprachenpolitik der EU.
Die künftige Entwicklung des Deutschen vollzieht sich – aus heutiger Sicht
unausweichlich - im Kontext der anderen europäischen Sprachen und dieser
Kontext wird umso bedeutsamer, je enger die Staaten der Union politisch
und wirtschaftlich zusammenwachsen.
Wirksame Sprachpolitik ist vor allem Bildungspolitik; denn die nachhaltigste
Wirkung auf die allgemeine Sprachentwicklung haben zweifellos die Bildungseinrichtungen. Neben dem Einfluss von Familie, Straße und Fernsehen
auf den kindlichen Spracherwerb werden Sprachvermögen und Sprachgebrauch der Menschen in ihrem auch sprachlich besonders lernfähigen Alter
am stärksten durch Kindergarten, Schule und weitere Bildungseinrichtungen
geprägt. Sprachunterricht in der Schule ist zukunftsorientiert. Er dient der
Entwicklung der Sprachfähigkeit von Kindern und Jugendlichen nicht nur
für den jeweils aktuellen Bedarf, sondern auch ‚für das Leben’, also für den
künftigen Gebrauch. Im Hinblick auf den europäischen Sprachenkontext
sollte der Deutschunterricht stets im Zusammenhang mit dem Fremdspra17 Sofern daraus keine Sprachschutz- oder gar Sprachreinigungsbestimmungen abgeleitet
werden, würde eine solche Klarstellung in der Verfassung auch nicht schaden.
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chenunterricht geplant und durchgeführt werden. Um der erwähnten Entwicklung einer deutsch-englischen Diglossie zu begegnen und um die europäische Sprachenvielfalt zu fördern, darf der Fremdsprachenunterricht aber
keinesfalls auf Englisch beschränkt werden. Es sollte wenigstens eine weitere
europäische Sprache hinzukommen, diese vielleicht sogar als erste Fremdsprache.
Zu erwähnen ist hier das so genannte Barcelona-Prinzip M+2 Sprachen
(Muttersprache plus zwei weitere Sprachen), das als Lernziel für alle Europäer 2002 in Barcelona von den Staats- und Regierungschef der EU-Länder
verabredet worden ist. An der Umsetzung in Lehrpläne und Unterrichtspraxis mangelt es aber bisher vor allem in den Ländern mit relativ ‚großen‘
Sprachen wie Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien und erst recht in
Großbritannien. Aber auch in anderen europäischen Ländern gibt es leider
eine Tendenz zum Unterricht in nur 1+1 Sprachen (Muttersprache plus Englisch). Für M+2 muss deshalb auch in Deutschland noch geworben werden.
Außerdem sollten Erforschung und praktische Erprobung der ‚Interkomprehension‘ verstärkt werden, das heißt der Verständigung zwischen Menschen,
welche die Sprache der jeweils anderen verstehen, wenn auch nicht aktiv beherrschen.18 Auch dies kann zur Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit deutschsprachiger Menschen und mittelbar zur Erhaltung und Weiterentwicklung der deutschen Sprache beitragen. Verstärkt werden sollte auch
der Austausch deutschsprachiger Schüler, Studierender, Auszubildender,
Praktikanten und Lehrer mit denen aus anderssprachigen Ländern.
Um dem Domänenverlust des Deutschen zu begegnen, ist die Kooperation
mit Vertretern der Wissenschaft und der Wirtschaft zu suchen. Die praktischen Vorteile des Englischen als internationaler Publikationssprache besonders für die so genannten ‚harten‘ Wissenschaften, die auch über außersprachliche Zeichensysteme (Formeln, Grafiken etc.) verfügen, brauchen
nicht aufgegeben zu werden. Um jedoch den weiteren Ausbau des Deutschen
und anderer europäischer Hochsprachen entsprechend dem wissenschaftlichen Fortschritt zu sichern, sollten Naturwissenschaftler für ihre heimischen
18 Siehe hierzu www.eurocomcenter.com.
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Gerhard Stickel
Adressaten und die interessierte Laienöffentlichkeit auch in ihrer Muttersprache publizieren und vortragen, zumal die eigene Sprache die Forschungskreativität eher fördert als behindert.
Eine praktizierte Mehrsprachigkeit kann sich auch für die Wirtschaft als vorteilhaft erweisen. Für die internationale Kooperation werden Industrie und
Kommerz auf länger Sicht Englisch benötigen; für den erfolgreichen Handel
in anderssprachigen Ländern und Regionen ist oft aber auch der Gebrauch
weiterer Sprachen erforderlich oder vorteilhaft. Den Firmen, die ihre Produktionsstätten in den deutschsprachigen Ländern haben, ermöglicht der
Gebrauch der Mehrheitssprache der Mitarbeiter eine effizientere Kommunikation und Produktion und erleichtert zudem den Absatz im Sprachinland.
Um das Bewusstsein für die eigene wie für andere Sprachen bei möglichst
vielen Menschen in den deutschsprachigen Ländern und Regionen auch
künftig wach zu halten und bei manchen Mitbürgern auch erst zu wecken, ist
weiterhin die Arbeit von Sprachgesellschaften und –vereinen erforderlich.
Jedoch nicht primär als emotionsgesteuerte Jagd auf Anglizismen und andere Fremdwörter. Sprachunterricht, Sprachberatung und Sprachkritik müssen
sich auch künftig auf wissenschaftliche Sprachdokumentation, Sprachbeschreibung und Sprachanalyse stützen können. Und daran ist auch die so genannte Auslandsgermanistik beteiligt, die sich hoffentlich weiterhin mit der
deutschen Sprache aus geneigter und kritischer Distanz befasst.
Literatur:
1.
AMMON, Ulrich1998: Ist Deutsch noch internationale Wissenschaftssprache? Berlin /
New York.
2.
BAUER, Anton 1987: Pidgin- und Kreolsprachen. In: HSK 3.1, Berlin / New York, 344352.
3.
COULMAS, Florian 1993: Was ist die deutsche Sprache wert? In: J. Born/G. Stickel,
Deutsch als Verkehrssprache in Europa (= IDS-Jahrbuch 1992). Berlin/New York 1993,
9-25.
4.
EHLICH, Konrad / OSSNER, Jakob / STAMMERJOHANN, Harro (Hg.) 2001: Hochsprachen in Europa. Entstehung, Geltung, Zukunft. Freiburg i.Br.
32
ZGR 2 (44) / 2013
Sprachentwicklung – Sprachkultur – Sprachkritik: Erwägungen zum heutigen und künftigen Deutsch
5.
Europäische Gemeinschaften 2000: Beschluss zum Europäischen Jahr der Sprachen
2001 Nr. 1934/2000/EG vom 17. Juni 2000. In: Amtsblatt L 232 vom 14.9.2001.
6.
Europäische Kommission 2012: Die europäischen Bürger und ihre Sprachen. Spezial
Eurobarometer 386. ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_386_de.pdf·
7.
GREULE, Albrecht / AHLVERS Liebel 1986: Germanistische Sprachpflege. Geschichte,
Praxis und Zielsetzung. Darmstadt.
8.
HERBERG, Dieter / KINNE, Michael / STEFFENS, Doris, 2004: Neuer Wortschatz –
Neologismen der 90er Jahre im Deutschen. Berlin / New York.
9.
HOBERG, Rudolf 2009: Die deutsche Sprache wächst, blüht und gedeiht. In: MitteilungeN des Deutschen Germanistenverbandes. 56 Jg., H. 1/2009 , 24-34.
10. JANICH, Nina / Rhein, Lisa 2010: Sprachkultur, Sprachkultivierung, Sprachkritik. Studienbibliographien Sprachwissenschaft 37, Tübingen.
11. KELLER, Rudi: Sprachwandel 1990. Von der unsichtbaren Hand in der Sprache. (= UTB
1567) Tübingen.
12. KLOSS, Heinz 1978: Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprachen seit 1800. 2.
erw. Aufl., Düsseldorf : Schwann.
13. MIGGE, Bettina 2004: Pidgin Language and Creole Language. In: HSK 3.1, 2. Aufl.,
Berlin / New York, 300-305.
14. MitteilungeN des Deutschen Germanistenverbandes. 56 Jg., H. 1/2009, hrsg v. Domke,
Christine / Kilian, Jörg.: Name: Deutsch, Alter 1200, Befund: Gesund.
15. NEULAND, Eva 2008: Jugendsprache. Tübingen: Narr-Francke.
16. PHILLIPSON, Robert 2003: English-Only Europe? Challenging Language Policy. New
York : Routledge.
17. SCHREIBER, Mathias 2006: Rettet dem Deutsch. Die Verlotterung der Sprache. In: Der
Spiegel 49/2006, 182 ff.
18. SICK, Bastian 2004 ff.: Der Dativ ist dem Genititiv sein Tod. 3 Bde., Köln.
19. STICKEL, Gerhard 2002: Eigene und fremde Sprachen im vielsprachigen Europa. In:
Ehlich, Konrad / Schubert, Venanz (Hrsg.), Sprachen und Sprachenpolitik in Europa.
Tübingen: Stauffenburg, 2002, 15-32.
20. STICKEL, Gerhard 2008: Europäische Hochsprachen in der Klemme: Zwischen globalem Englisch, Dialekten, Minderheits- und Regionalsprachen. In: Lüdi, Georges et al.
(Hg), Sprachenvielfalt und Kulturfrieden. Sprachenminderheit – Einsprachigkeit –
Mehrsprachigkeit. Fribourg / Stuttgart.
21. STICKEL, Gerhard 2009: Unvorgreifliche Erwägungen zum heutigen und zum künftigen Deutsch. In: Liebert, Wolf-Andreas / Schwinn, Horst (Hrsg.): Mit Bezug auf
Sprache. Festschrift für Rainer Wimmer. Tübingen : Gunter Narr, 2009, 381-400.
22. STICKEL, Gerhard 2012: Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute –
Daten und Einschätzungen. In: In: Eichinger, Ludwig M. et al. (Hrsg.): Sprache und
Einstellungen. Spracheinstellungen aus sprachwissenschaftlicher und sozialpsychologi-
ZGR 2 (44) / 2013
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Gerhard Stickel
scher Perspektive. Tübingen : Narr, 2012, 227-321.
23. WATTS, Richard J. / Murray, Heather (Hg.) 2001: Die fünfte Landessprache? Englisch
in der Schweiz. Zürich: vdf.
24. WEINRICH, Harald 1985: Die Zukunft der deutschen Sprache. In ders.: Wege der
Sprachkultur, Stuttgart 1985, 333-363.
*****
Abstract:
Following an explanation of the problems to evaluate the general state of a language
and to predict its future development, the main popular worries concerning the present German language are briefly presented and discussed. Three speculative scenarios of states of German at the end of the century are sketched and compared: A. The
preservation of the main structural features and domains of the German language, B.
The change of German into an Anglo-German creole, C. The exchange of German by
an 'international' English with the exception of a few relics of old German dialects.
Scenario A, the 'positive' one of the three possible developments, is argued for in
more detail, and ways and means to support such a development of the German language within the context of the other European languages are suggested and discussed.
Schlüsselwörter: Sprachbewertung, Sprachprognosen, künftiges Deutsch, Deutsch in
Europa, eigene Sprache, Sprachpflege
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WIE GROSS IST DER DEUTSCHE WORTSCHATZ?
Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher1
Thomas Schares
0. Einleitung
Die Benutzungsmöglichkeiten eines Wörterbuchs sind vielfältig, und je nach
Wörterbuchtyp sind die Erwartungen, die der Benutzer an ein Wörterbuch
stellt, verschiedenartig. Das Deutsche Wörterbuch (= DWB) von Jacob und
Wilhelm Grimm als ein Sonderfall der deutschen Lexikographie spricht verschiedene Benutzergruppen an. Seinen lexikographischen Prinzipien gemäß
ist es zunächst als ein Wörterbuch für die wissenschaftliche Benutzung konzipiert, aber schon seine Begründer hatten eine weiter definierte Zielgruppe
im Blick. Wenn auch nicht Jacob Grimms Vorstellung vom Hausvater, der
abends der Familie daraus vorliest,2 verwirklicht worden ist, so war dem Unternehmen doch stets mehr als nur die Aufmerksamkeit der Fachwelt beschieden; die Reaktionen auf den Abschluss des Wörterbuchs nach einer
mehr als hundertjährigen Bearbeitungszeit in den 60er Jahren und spätestens der kommerzielle Erfolg der Taschenbuchausgabe in den 80er Jahren
haben gezeigt, dass diesem in der deutschen Wörterbuchlandschaft noch immer einzigartig dastehenden Großwörterbuch mehr Interesse zukam und zukommt, als das selbst optimistische Einschätzungen hätten voraussagen können. Die Zugriffsstatistiken auf die seit geraumer Zeit bereitgestellte Internetversion des DWB3 können diesen Eindruck nur bestätigen, denn sie zeigen deutlich sowohl das breite weltweite Interesse, als auch das offensichtliche Bedürfnis nach der Verfügbarkeit einer solchen Ressource im Internet,
das auch in den zahlreichen Rückmeldungen und Anfragen von Benutzern
per E-Mail oder Telefon zum Ausdruck kommt.
Folglich ist bei der Bereitstellung des DWB im Internet sowie bei der Herstellung der DWB-CD-ROM mit hohen Benutzerzahlen und Benutzererwartungen zu rechnen, denen das elektronische DWB gerecht werden soll.4 An
den nur gelegentlich nachschlagenden Laien ist dabei ebenso zu denken wie
1 In diesem Beitrag sind die Ergebnisse dreier Vorträge zusammengestellt, die ich auf dem
Kolloquium zum Abschluss der Arbeiten am digitalen DWB in Mainz im Mai 2003, auf der
ICHOLS XI in Potsdam im August/September 2008 und auf dem VIII. Kongress der Germanisten Rumäniens in Cluj-Napoca/Klausenburg im Mai 2009 vorgestellt habe.
2 Vgl. Jacob Grimm im Vorwort zu Bd. 1 des DWB, Sp. XIII.
3 dwb.uni-trier.de.
4 Vgl. Christmann/Schares 2003, 20-21.
Thomas Schares
an den Wissenschaftler, der auch komplexe Anfragen an das Wörterbuch
richten möchte und von denen er mehr erwartet, als die Druckfassung ihm
bieten kann.
Über die Erarbeitung der Datengrundlage sowie über die Konzeption, Programmierung und das Design der Benutzeroberflächen für die Internetversion sowie die CD-ROM-Version ist in den zahlreichen Beiträgen ausführlich
berichtet worden.5 In diesem Beitrag soll in einem ersten Teil durch einen
Vergleich mit den elektronischen Versionen einiger anderer nationalsprachlicher Wörterbücher gezeigt werden, welche Überlegungen in die Konzeption
des digitalen DWB eingeflossen sind, um zu einer optimalen Erschließung
seiner reichhaltigen Informationen zu gelangen,6 und inwieweit das digitale
DWB dem internationalen Vergleich standhalten kann. Darauf folgen in einem zweiten Teil Anmerkungen zu Benutzungsmöglichkeiten des digitalen
DWB, die über die eines reinen Druckwerks hinausgehen. Schließlich sollen
in einem abschließenden Teil Überlegungen und Vorschläge zu einer bisher
kaum wahrgenommenen Nutzungsmöglichkeit retrodigitalisierter Wörterbücher folgen, der Nutzbarmachung für die Wörterbuchforschung oder Metalexikographie.
1. Das digitale DWB im internationalen und nationalen Vergleich
Die Mindestanforderung an die elektronische Version eines auch gedruckt
vorliegenden Wörterbuchs ist, dass der Benutzer mit dem gleichen Gewinn
das elektronische Wörterbuch benutzen kann, den auch der Leser des gedruckten Wörterbuchs hat, mit dem Unterschied allerdings, dass er das Gesuchte rascher findet. Die gezielte Suche nach einem Lemma anhand der alphabetischen Anordnung im Druckwerk verlangt zunächst, dass der Band
mit dem gesuchten Wort ausgewählt und darin so lange geblättert wird, bis
das Stichwort gefunden ist. Der Benutzer der digitalen Version gibt das gesuchte Lemma über das Stichwort-Suchfeld ein und erhält mit einem Klick
den Artikel auf den Bildschirm. Er kann sich aber über die Lemma-Laufleiste
auch schrittweise an das gesuchte Wort herantasten. Hier sind die Stichwörter in ihrer alphabetischen Reihung wie im Druckwerk aufgelistet. Anhand
dieser Lemmaliste ist wie im Inhaltsverzeichnis eines Buchs auch der Blick
auf im Wörterbuch unmittelbar benachbarte Stichwörter möglich. Die Ab5 Vgl. die Projekthomepage dwb.uni-trier.de unter „Bibliografie“.
6 Vgl. dazu auch Christmann/Schares 2003.
36
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Wie groß ist der deutsche Wortschatz? Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher
grenzung zum Druckwerk wird aber bei der weniger gezielten Wörterbuchlektüre auch deutlich: Das für ein Druckwerk typische Hin- und Herblättern,
eine Wörterbuchbenutzung also, der keine gezielte Nachschlagehandlung zugrunde liegt, kann am Bildschirm allerdings nicht erfolgen.
Manche Schwierigkeiten bei der Benutzung des DWB hängen mit den orthographischen Eigentümlichkeiten zusammen, die Jacob Grimm eingeführt hat
und die vor allem in den früheren Bänden von der heutigen Norm abweichen. Bei der Benutzung der elektronischen Version können diese Schwierigkeiten abgemildert werden. Ein Benutzer, der mit der Grimm-Orthographie
nicht vertraut ist und nach den Stichwörtern Muße oder Torwart sucht,
kann über die Möglichkeit der unscharfen Suche rasch zu den im DWB aufgenommenen Schreibungen Musze bzw. Thorwart gelangen. Diese Möglichkeiten kommen bei der Suche nach historischem Wortgut, für das mitunter
keine verbindlichen Schreibungen existieren, ebenso effektiv zum Einsatz.
Im elektronischen DWB kann überdies die Suche nach Stichwörtern mit weiteren einschränkenden Kriterien verbunden werden. Unter Einbezug verschiedener Felder in der Suchmaske für die Datenbanksuche sind Kombinationen ausführbar, die etwa nur Stichwörter berücksichtigen, die auf -ung
enden und deren zugehörige Artikel beispielsweise ein Zitat von Goethe enthalten. Die Möglichkeit, Trefferlisten mit den Resultaten abzuspeichern,
macht solche Suchanfragen auswertbar.
Schon allein in den hier nur angedeuteten Möglichkeiten zur Stichwortsuche
geht das elektronische DWB über das Druckwerk hinaus. Der eindimensionale Zugriff auf die Stichwörter im Druckwerk anhand ihrer alphabetischen
Anordnung wird ergänzt durch neue Benutzungsmöglichkeiten.
Ein Vergleich mit den Retrodigitalisierungen anderer Wörterbücher soll im
folgenden zeigen, wie unterschiedlich verschiedene Aspekte der Wörterbuchbenutzung und die Darstellung des Wörterbuchtexts in den elektronischen
Versionen bisher behandelt worden sind. Zum einen werden dabei sich allmählich abzeichnende Standards deutlich, zum anderen zeigt sich aber, dass
die formale Anlage sowie die unterschiedlichen zugrunde liegenden lexikographischen Methodologien auch jeweils auf das einzelne Wörterbuch zugeschnittene Lösungen für die elektronische Version notwendig machen.
Zum Vergleich herangezogen werden sollen zunächst die Internetversion der
zweiten Ausgabe des Oxford English Dictionary (=OED) sowie die CDROM-Version des Wordenboek der Nederlandsche Taal (=WNT). Sie haben
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37
Thomas Schares
ein Bündel von Gemeinsamkeiten mit dem elektronischen DWB; aufgrund
ihrer ähnlichen Konzeption als nationale Großwörterbücher, die auf wissenschaftlichen Prinzipien beruhen, ihrer Anlage als historische Belegwörterbücher, ihrer Entstehungszeiträume, die nicht allzu weit auseinander liegen,
und nicht zuletzt aufgrund dessen, dass es sich bei beiden um Retrodigitalisierungen von Printwörterbüchern handelt. Diese beiden Wörterbücher eignen sich daher besonders gut zu einem Vergleich. Dem OED kommt eine
Vorreiterrolle zu, denn dieses lexikographisch vorbildliche gesamtsprachliche Wörterbuch hat als erstes bereits in den achtziger Jahren die Konversion
ins elektronische Medium erfahren.
Abb. 1: Artikelgliederungsfenster und Artikelfenster im OED.
38
ZGR 2 (44) / 2013
Wie groß ist der deutsche Wortschatz? Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher
Wie das digitale DWB verfügen auch das elektronische OED (Abb. 1) und
WNT (Abb. 2) über ein Eingabefeld für die Stichwortsuche, das beim OED
allerdings in der Artikeldarstellung ausgeblendet ist (Vgl. Abb. 1). Ein solches Stichwortsuchfeld kann also als ein Standardmerkmal elektronischer
Wörterbücher angesehen werden. Ähnliches gilt für die Lemmalaufleiste: Im
WNT ist diese ständig am linken Rand sichtbar. Im OED allerdings ist diese
ebenso wie das Stichwortsuchfeld bei der Artikeldarstellung ausgeblendet;
zur Trefferliste einer Suchanfrage muss durch einen Klick auf "results" aus
dem Artikelfenster zurück geblättert werden. Die Möglichkeit der Kombination einer Lemmasuche mit weiteren Suchkriterien ist im OED in der Suchmaske für die Datenbanksuche möglich; das WNT bietet eine solche Möglichkeit zur kombinierten Suche nicht.
Abb. 2: Lemmalaufleiste und Artikelfenster im WNT.
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39
Thomas Schares
Wie verschieden die Wörterbuchartikel selbst in den drei digitalen Wörterbüchern dargestellt werden, soll im Folgenden gezeigt werden. Ein Charakteristikum des DWB wie auch der beiden anderen zum Vergleich anstehenden
Wörterbücher sind lange Artikel zu den Simplizia eines Wortschatzes, die
durch eine explizite und oftmals tief gestaffelte Gliederung lexikographisch
erschlossen sind.7 Bei der Lektüre solch langer Artikel wie GEIST oder des
über 300 Spalten langen Artikels zum Lemma STEHEN die Übersicht zu behalten, das ist schon im Druckwerk mühsam genug, und die Suche nach bestimmten Informationen in diesen Artikeln kann entsprechend zeitraubend
sein. Der Orientierung dient daher die explizite Gliederung des Artikels
durch Gliederungsmarken. In die elektronischen Versionen der drei besprochenen Wörterbücher sind im Bestreben, den vollständigen Wörterbuchtext
zu bieten, diese Gliederungsmarken natürlich ebenfalls integriert: Das WNT
bietet die Gliederungsmarken im Fließtext bei der Artikeldarstellung, sie
sind aber nicht weiter hervorgehoben und auch nicht separat ansteuerbar.
Der gebotene Artikeltext ist der Text des Druckwerks ohne Seitenumbrüche
unter Beibehaltung der wesentlichen typographischen Merkmale. Das OED
geht bei der Darstellung gegliederter Artikel etwas weiter und nutzt die Möglichkeiten des elektronischen Mediums: Die Gliederungsmarken werden in
einem schmalen Artikelgliederungsfenster links vom Artikeltext als Hyperlinks geboten, die das direkte Springen zu einem bestimmten Artikelabschnitt ermöglichen. Was in den betreffenden Artikelabschnitten aber inhaltlich geboten wird, geht aus der Aufreihung der bloßen Gliederungsmarken
nicht hervor. Der Benutzer weiß also nicht, was ihn an der Stelle erwartet, zu
welcher der Hyperlink führt (Abb. 1).
Wie im OED werden die gegliederten Artikel im DWB (Abb. 3) durch einen
separaten Darstellungsbereich auf der Benutzeroberfläche erschlossen, doch
ist die Darstellung der Artikelgliederung nicht reduziert auf die bloßen Gliederungsmarken, mit denen keine inhaltliche Information verbunden ist.
Vielmehr wird dem Benutzer des DWB zusätzlich die Möglichkeit geboten,
sich wie im Inhaltsverzeichnis eines Buchs rasch über den Artikelinhalt zu
informieren und auch gegebenenfalls schnellen Zugriff auf bestimmte Informationspositionen zu erlangen. Anders als im OED werden die Gliederungsmarken verknüpft mit dem Text, der den Gliederungsmarken folgt und über
den Inhalt eines Gliederungsabschnitts informiert. Auch ist es möglich, die
verschiedenen Gliederungsebenen ein- und auszublenden; es kann also zu7 Vgl. Christmann/Schares 2003, S. 15-16.
40
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Wie groß ist der deutsche Wortschatz? Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher
nächst die Großgliederung eines Artikels betrachtet werden; alle unterhalb
einer Gliederungsebene liegenden weiteren Ebenen können nach Belieben
ein- und ausgeblendet werden nach dem gleichen Darstellungsprinzip, das
der Computerbenutzer von der Ordnerdarstellung im Windows-Explorer gewohnt ist. Zwar gab es bei der Ausarbeitung für das DWB keine einheitlichen
Richtlinien für die Handhabung der Gliederungsmarken, und ihr Einsatz
kann von Lexikograph zu Lexikograph variieren; zumindest die erste Ebene
einer tiefer gestaffelten Gliederung ist seit Rudolf Hildebrand für die längeren Artikel zu Simplizia durch die Angaben "Herkunft und Form(en)" und
"Bedeutung und Gebrauch" o. ä. (vgl. Abb. 3) inhaltlich gegliedert, und die
Textanfänge der Binnengliederungsabschnitte lassen häufig schnelle Rückschlüsse auf den Abschnittsinhalt zu. Diese ausführliche Darstellung der Artikelgliederung im elektronischen DWB kann also als erheblicher Benutzungsvorteil gegenüber den beiden verglichenen retrodigitalisierten Wörterbüchern herausgestellt werden.
Abb. 3: Lemmalaufleiste, Artikelfenster und Artikelgliederungsfenster im DWB.
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Thomas Schares
Eine weitere Erleichterung, die dem Benutzer des digitalen Wörterbuchs viel
Blätterarbeit erspart, ist die Realisierung der Binnenverweise als Hyperlinks.
Die vielfältige interne Verweisstruktur innerhalb eines Wörterbuchs - ein reiner Verweisartikel verweist auf einen Vollartikel, innerhalb eines Vollartikels
finden sich Verweise auf andere Vollartikel usw. - wird als interne Verlinkung realisiert. Der Benutzer muss das Verweisziel nicht selbst über eine
neue Stichwortabfrage aufschlagen, sondern gelangt über einen einfachen
Klick auf den Verweis an die entsprechende Stelle. Das OED hat solche Binnenverweise ebenfalls als Hyperlinks realisiert (Abb. 4), die klare und einheitliche Strukturierung der OED-Artikel begünstigt die separate Auszeichnung dieser Verweise, welche sich bei der Auszeichnung des DWB wesentlich
komplexer gestaltet. Das WNT aber geht bei der Behandlung von Binnenverweisen nicht über die Präsentation von reinem Text hinaus (Abb. 4). Selbst
ein reiner Verweisartikel muss über die Stichwortliste oder das StichwortSuchfeld weiter verfolgt werden.
Abb. 4: Binnenverweis im WNT und im OED.
42
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Wie groß ist der deutsche Wortschatz? Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher
In ähnlicher Art wie die Binnenverweise werden im elektronischen DWB in
einem künftigen Update8 die Quellensiglen zu den Belegzitaten mit dem
Quellenverzeichnis verlinkt, um dem Benutzer die oft kryptischen Siglenkürzel bequem zu erschließen. Dies wird allerdings nicht für alle im Wörterbuch
vorkommenden Quellensiglen möglich sein, da das Quellenverzeichnis die
Quellen nicht vollständig erfasst und der uneinheitliche Aufbau der im Wörterbuchtext gebrauchten Siglen eine automatische Zuordnung erschweren
oder verhindern kann. Das OED wie das WNT bieten keine solche direkte
Verlinkung der Quellensiglen mit den Quellenverzeichnissen.
Wie in einem richtigen Buch ist es im elektronischen DWB übrigens auch
möglich, Randbemerkungen anzubringen, indem man eine persönliche Anmerkung zu einem bestimmten Artikel verfasst, die gespeichert wird. Genauso kann an einer beliebigen Stelle ein Lesezeichen eingelegt werden. Ein
Blick ins WNT und das OED zeigt, dass diese Werkzeuge zu den Standards
elektronischer Wörterbücher gezählt werden dürfen, wobei diese Möglichkeiten bei der Internet-Version des OED wie bei der Internet-Version des
DWB natürlich eingeschränkt sind.
Grundsätzlich dienen die genannten Merkmale der Erschließung der nicht linearen Wörterbuchstrukturen, die in der Druckversion multiple Nachschlagearbeit erfordern, in der elektronischen Version aber komfortabel zugänglich sind. Es zeigt sich, dass die Retrodigitalisierungen der miteinander verglichenen nationalen Großwörterbücher DWB, OED und WNT auf hohem
Niveau erstellt worden sind, wobei die Unterschiede in den Details liegen:
Unterschiedliche Realisierungen der Ansichten des Wörterbuchs beruhen
entweder auf der unterschiedlichen Anlage der Wörterbücher selbst oder
sind auf das bisherige Fehlen von verbindlichen Standards zurückzuführen;
zuletzt darf nicht übersehen werden, dass die Wörterbücher nicht zur gleichen Zeit digitalisiert worden sind.
Dass die besprochenen drei Wörterbücher adäquat ins elektronische Medium überführt worden sind, soll die folgende Erörterung der bisher verfügbaren Retrodigitalisierungen des Adelungschen Wörterbuchs zeigen: Dieses
wichtigste Vorgängerwörterbuch zum DWB ist bereits mehrfach digitalisiert
worden, und alle verfügbaren digitalen Versionen dieses Wörterbuchs ma8 Aufgrund der sehr heterogenen bibliographischen Gepflogenheiten im über einhundertjährigen Bearbeitungszeitraum des DWB hat sich bis zu Projektende diese Funktion nur rudimentär verwirklichen lassen.
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Thomas Schares
chen die Dringlichkeit der Erfordernis von verbindlichen Standards für die
Wörterbuchdigitalisierung deutlich.
An der Universität Bielefeld ist eine Bilddigitalisierung des Adelung online
verfügbar.9 Dazu sind sämtliche Buchseiten des Wörterbuchs eingescannt
worden und können als elektronische Bilddateien abgerufen werden (Abb.
5). Natürlich bleibt so die Originaltypographie erhalten, und sogar die Stockflecken der Buchseiten werden in den hochauflösenden Abbildungen sichtbar, die Suche nach einem bestimmten Stichwort aber ist sehr mühsam, weil
das Werk lediglich über die Angabe der Buchseite ansteuerbar ist. Ein Index
zu den Stichworten, der gezielt zu einem gesuchten Artikel führen könnte,
fehlt. Da es sich bei dieser Bilddigitalisierung nicht um einen elektronischen
Volltext handelt, sondern um elektronische Faksimiles der Buchseiten, ist
auch keine Volltextsuche möglich.
Abb. 5: Bielefelder Adelung.
9 http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/adelung/grammati/.
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Wie groß ist der deutsche Wortschatz? Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher
Eine weitere elektronische Version des Adelungschen Wörterbuchs ist am
Münchner Digitalisierungszentrum ebenfalls online verfügbar.10 Diese Version beruht wie die Bielefelder auf den elektronischen Faksimiles der Buchseiten. Zusätzlich zu den Images der Buchseiten ist hier der Wörterbuchtext als
Volltext erfasst worden, der allerdings von den aufgeschlagenen Images aus
nicht direkt aufgerufen werden kann; vom Volltext aus kann aber zum Image
gesprungen werden. Eine Volltextsuche ist also möglich. Stichwortlisten sind
ebenfalls verfügbar, eine Suche in den Stichwortlisten ist aber nicht vorgesehen. Der elektronische Volltext ist allerdings mit Vorsicht zu benutzen, darauf wird in den Benutzerhinweisen ausdrücklich hingewiesen:
Bei der Volltext-Erfassung konnte aus Kostengründen nur für die Stichwörter
eine nahezu 100% Korrektheit erzielt werden, im erklärenden Artikelteil muß
mit Tipp- bzw. Lese-Fehlern gerechnet werden. Ebenso konnten Begriffe in
nicht-lateinischen Schriftarten (vorzüglich griechisch und hebräisch) nicht erfaßt werden - im Text wird nur auf ihre Existenz hingewiesen.11
Das bedeutet nicht nur, dass der gebotene Volltext erst nach Rückgriff auf
die Abbildung der Buchseite bzw. das Druckwerk selbst zitierfähig wird, da
darin mit Fehlern gerechnet werden muss, sondern auch, dass bis auf die
Umlaute alle Sonderzeichen wie z.B. die Buchstaben des griechischen Alphabets durch den Einheitsplatzhalter "hier nichtlateinischer Text, siehe Image"
im Text repräsentiert werden, was ebenfalls einen Rückgriff auf die Bilddatei
bzw. das Druckwerk selbst erforderlich macht, um die betreffenden Stellen
lesen zu können. Angesichts der häufig im Adelung auftretenden griechischen Beispiele und Zitate ist die Benutzung erschwert. Für die als Gliederungsmarken eingesetzten griechischen Buchstaben werden inzwischen Ersatzdarstellungen durch lateinische Buchstaben eingesetzt: α = aa, β = bb, γ
= cc. Doch um die Übersichtlichkeit des Volltexts im elektronischen Medium
zu verbessern, sollte, wie z. T. im gedruckten Text, zumindest die Gliederung
hervorgehoben werden durch einen Zeilenumbruch.
Diese Beispiele zeigen, dass eine Bilddigitalisierung, die für mittelalterliche
Handschriften, Inkunabeln oder Frühdrucke eine unumgängliche erste Stufe
auf dem Weg zu einer Volltextdigitalisierung bildet, für Nachschlagewerke
wie Wörterbücher nicht geeignet ist, da die notwendigen Erschließungswerkzeuge nicht adäquat eingesetzt werden können.
10 http://mdz.bib-bvb.de/digbib/lexika/adelung.
11 http://mdz.bib-bvb.de/digbib/lexika/adelung unter "Benutzerhinweise".
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Thomas Schares
Das Adelungsche Wörterbuch ist nun in einer weiteren digitalen Version als
kommerziell vertriebene Offline-Ausgabe auf CD-ROM erhältlich, die vom
Verlag Directmedia Publishing GmbH, Berlin, in seiner Reihe "Digitale Bibliothek" herausgebracht wurde.12 Der Wörterbuchtext wird hier in einer Benutzeroberfläche präsentiert (Abb. 6), die an sich für die Darstellung von
Prosatexten entwickelt wurde, denn für sämtliche in der Reihe "Digitale Bibliothek" erscheinenden Texte wird eine einheitliche Benutzeroberfläche
verwendet, in welche jeweils die verschiedenen Datenbanken der Texte geladen werden.
Abb. 6: Adelung der "Digitalen Bibliothek".
Im linken Bereich ist eine Stichwortliste sichtbar, von hier aus gelangt man
zu den Artikeln der ausgewählten Stichwörter. Der Artikeltext wird als
12 Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Digitale Bibliothek Bd. 40. Berlin: directmedia publishing o. J.
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ZGR 2 (44) / 2013
Wie groß ist der deutsche Wortschatz? Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher
Fliesstext dargestellt. Ein Suchfeld für Stichwörter ist nicht vorhanden. Auch
in der Suchmaske ist das Durchsuchen einer separaten Stichwortliste nicht
möglich. Lediglich eine Volltextsuche wird geboten, wünschenswert wäre
aber zumindest eine gezielte Durchsuchbarkeit der Stichwortliste. Anscheinend sind in dieser erwerbbaren Version des Adelung überdies die Stichwörter nicht vollständig in der Stichwortliste erfasst worden. Das Stichwort
ABER ist nicht in der Liste, der Artikel kann nur über das vorhergehende
Stichwort ABENTEURIG aufgefunden werden (vgl. Abb. 6).
Unter dem Gesichtspunkt der Benutzbarkeit wird also auch diese digitale
Version des Adelung den heutigen Aufbereitungs- und Darstellungsmöglichkeiten nicht gerecht. Und ein Volltext des Adelungschen Wörterbuchs, der
auf der Version des Münchner Digitalisierungszentrums basiert, ist kostenlos aus dem Internet beziehbar.13
2. Über das Druckwerk hinausgehende Benutzungsmöglichkeiten
des digitalen DWB
Der Benutzer eines elektronischen Wörterbuchs erwartet zu Recht mehr als
eine übersichtliche Darstellung und bequeme Lesbarkeit der Wörterbuchartikel. Die Möglichkeit, gezielt den kompletten Text nach Zeichenfolgen
durchsuchen zu können, ja, diese Suche auch auf bestimmte Informationspositionen innerhalb der Wörterbuchartikel zu begrenzen, eröffnet Perspektiven der Wörterbuchbenutzung, wie sie mit einem gedruckten Werk vollkommen undenkbar sind. Voraussetzung dafür ist allerdings die adäquate
Aufbereitung und Umsetzung des Wörterbuchs ins elektronische Medium.
Von besonderer Wichtigkeit sind die Möglichkeiten zur Modifikation der Stichwortsuche: Der an Wortbildung interessierte Sprachwissenschaftler kann sich
etwa bei der Analyse von Präfigierungen noch mit einem gedruckten Wörterbuch begnügen, da hier die Wortbildungen mit einem bestimmten Präfix aufgrund der alphabetischen Anordnung der Lemmata leicht aufzufinden sind.
Eine systematische Suche zur Ermittlung von Suffixen muss allerdings bereits
scheitern; Abhilfe könnte im Druck nur ein rückläufiger Index der Stichwortliste schaffen, und ein solcher ist für kaum ein Wörterbuch vorhanden.14
13 http://www.bastisoft.de/sprache/adelung/.
14 Das Findebuch zu den mhd. Wörterbüchern bietet einen rückläufigen Index: Kurt Gärtner,
Christoph Gerhardt, Jürgen Jaehrling, Ralf Plate, Walter Röll, Erika Timm, Datenverarbeitung: Gerhard Hanrieder: Findebuch zum mittelhochdeutschen Wortschatz. Mit einem rück-
ZGR 2 (44) / 2013
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Thomas Schares
Im elektronischen DWB dagegen ist eine solche Suche ohne weiteres möglich. Es kann z. B. nach allen im DWB aufgenommenen Stichwörtern mit den
Suffixen -heit, -keit, -lich oder -ung recherchiert werden. Die Arbeit mit den
Ergebnissen einer solchen Suche wird darüber hinaus dadurch erleichtert,
dass sich die Trefferliste exportieren und mit anderen Textverarbeitungsprogrammen weiterverarbeiten lässt.
Eine optimale Ausschöpfung solcher Suchmöglichkeiten hängt aber nicht nur
mit einer ausgeklügelten Suchmaske in der Benutzeroberfläche zusammen. Für
viele Abfragen, die durch eine kombinierte Suchanfrage formuliert werden
können, gilt, dass erst durch eine Nachbereitung der Suchergebnisse durch den
Benutzer ihr Wert evident wird. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:
Ein Benutzer möchte sich aus der Stichwortliste des DWB eine Liste mit allen durch ent- präfigierten Verben erstellen. Eine einfache trunkierte Suche
im Stichwortsuchfeld gibt nun auch Beispiele aus, die mit dem Suffix -ung
enden, also Substantive sind. Durch eine kombinierte Suche, bei der der Benutzer im Feld für das Stichwort trunkiertes ent* eingibt und zusätzlich im
Feld für die lexikographische Informationsposition grammatische Angabe
die Wortart Verb markiert, ist das ein leichtes.
Dass aber beispielsweise in der Betaversion15 des DWB die Abfrage dieses
Suchfelds noch nicht möglich war, muss nicht heißen, dass der Benutzer bei
Interesse an solchen Fragestellungen das elektronische DWB nicht benutzen
kann. Das gleiche Ergebnis kann auch durch andere geschickte Abfragestrategien erzielt werden. Da bei den Verben der Infinitiv die Grundform für die
Stichwortliste des DWB bildet und dieser aber im Deutschen stets auf -en,
-eln, -ern endet, kann nun in einer sukzessiven Abfrage nach ent* und den
Endungen *en, *ern, *eln gesucht werden, indem ent*en, ent*ern, ent*eln als
Suchausdruck eingegeben wird. Die drei Trefferlisten können exportiert und
zusammengeführt werden. Auch auf diese Weise kommt eine Liste mit allen
im DWB als Stichwörter aufgenommenen Verben mit dem Präfix ent- zustande. Eine manuelle Nachbereitung einer solchen Liste ist allenfalls erforderlich, um etwa Lemmata wie das Nomen ENTSETZEN vom gleichlautenden Verb zu trennen und auszusortieren oder das Adverb ENTGEGEN aus
läufigen Index. Stuttgart 1992.
15 Eine für ein halbes Jahr lauffähige, in der Benutzung eingeschränkte Betaversion des digitalen DWB wurde im Dezember 2002 herausgegeben, die Publikation des DWB auf CD-ROM
erfolgte im Jahr 2004.
48
ZGR 2 (44) / 2013
Wie groß ist der deutsche Wortschatz? Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher
der Trefferliste zu eliminieren. Das Wörterbuch (auch das digitale) unterstützt
und erleichtert Forschungsarbeit, aber es nimmt sie dem Forscher nicht ab.
3. Wörterbuchforschung: Das digitale DWB als Forschungsobjekt
ODER Wie groß ist der deutsche Wortschatz?
De Schryver (2003) fasst die Erwartungen, die im bisherigen wissenschaftlichen Diskurs an elektronische Wörterbücher geknüpft worden sind, in einem
längeren Übersichtsartikel zusammen, doch findet sich in diesen „Lexicographer’s dreams in the electronic-dictionary age“ – so der Titel – kein Hinweis
auf die neuen Möglichkeiten, die sich der Metalexikographie bzw. Wörterbuchforschung durch die Verfügbarkeit elektronischer Wörterbücher erschließen können. Dieses Potenzial elektronischer Wörterbücher hat bisher
kaum Beachtung gefunden.16
Ein Wörterbuch ist jedoch nicht nur ein Hilfsmittel für den Wissenschaftler,
sondern auf verschiedenen Ebenen auch ein Objekt der Forschung. So ist die
Durchleuchtung der Prinzipien und Kriterien, nach welchen ein Wörterbuch
erarbeitet worden ist, wichtig für die Konzeption weiterer Wörterbuchprojekte. Das DWB ist z. B. paradigmenbildend für die wissenschaftliche germanistische Lexikographie. Die in seinem Umfeld geführten Methodendiskussionen halten bis heute an. Ein solches Wörterbuch wie das DWB ist daher
auch ein Stück Wissenschaftsgeschichte.
Die wissenschaftliche Erforschung von Wörterbuchinhalten ist in noch anderer Art und Weise von Bedeutung. So kann eine statistisch ausgerichtete Lexikologie auf der Grundlage von Wörterbüchern Aussagen über einen Wortschatz machen. Dies beginnt bei der Ermittlung der Größe eines Wortschatzes, für welche die Anzahl der in Wörterbüchern aufgenommenen Lemmata
einen Anhaltspunkt geben kann. Über eine Auswertung der grammatischen
Angaben in Wörterbüchern wäre es denkbar, Informationen zur Zusammensetzung eines Wortschatzes zu gewinnen: Nomina, Verben – selbst Partikelverben – sind in elektronischen Wörterbüchern relativ einfach ermittelbar,
vorausgesetzt, sie sind explizit als Verben markiert.
Die sich hier abzeichnenden Möglichkeiten sind damit nur unvollständig erfasst. Weiterhin ist es beispielsweise denkbar, solche aus Einzelwörterbü16 Ansätze aber bei Raymond/Tompa 1987 mit metalexikographischen Fragestellungen die
Artikellänge betreffend und bei Jucker 1994 lexikologische Fragestellungen betreffend.
ZGR 2 (44) / 2013
49
Thomas Schares
chern extrahierten Informationen zusammenzuführen, um so Abweichungen
der Wörterbücher untereinander (z. B. im Hinblick auf die Aufnahme von
Fremdwörtern, durchsichtigen Komposita und Ableitungen) zu ermitteln
und die so aus Einzelwörterbüchern gewonnenen Angaben miteinander abzugleichen, um schließlich zu verlässlicheren Aussagen über die Zusammensetzung des Wortschatzes zu gelangen. Dies ist jedoch noch Zukunftsmusik.
Dem muss die Arbeit an einzelnen elektronischen Wörterbüchern vorangehen. Voraussetzung dafür ist eine Sichtung und Klassifizierung der Untersuchungsmöglichkeiten, die elektronische Wörterbücher eröffnen.
Die oben skizzierten Nutzungsmöglichkeiten elektronischer Wörterbücher
sind mit hochspezifizierten Abfragen des Wörterbuchtexts verbunden und
können nicht mit einer Benutzeroberfläche, so ausgeklügelt sie sein mag, bewältigt werden, da sie immer nur vorgefertigte und somit letztlich immer
eingeschränkte Zugangsmöglichkeiten zum Text und zur Struktur des Wörterbuchs bietet. Für den Wörterbuchforscher/Metalexikographen wird an
solcher Stelle die Arbeit am Quelltext des elektronischen Wörterbuchs notwendig. Voraussetzung dafür ist wiederum ein Quelltext, der die lexikographischen Informationspositionen explizit als solche markiert, also wie im
Fall des DWB die informationsklassenabhängige Auszeichnung der Wörterbuchdaten nach den international standardisierten SGML/TEI-Richtlinien.
Ein reiner ASCII-Quelltext mit einer rudimentären Auszeichnung wie der im
Internet kostenfrei beziehbare Text des Wörterbuchs von Adelung ist für solche Untersuchungen weitgehend ungeeignet.
Ein Beispiel soll abschließend demonstrieren, inwieweit das elektronische
DWB für Fragen der Wörterbuchforschung ausgewertet werden kann. Die
Größe des in einem Wörterbuch gebuchten Wortschatzes lässt sich an der
Anzahl der im Wörterbuch aufgenommenen Lemmata ablesen. Diese Zahl
gibt Aufschluss darüber, ein wie hoher Anteil des Wortschatzes einer natürlichen Sprache im betreffenden Wörterbuch Berücksichtigung gefunden hat;
umgekehrt schließt der Wortforscher aus der Anzahl der Lemmata in den
Wörterbüchern zu einer betreffenden Sprache auf die Größe des Wortschatzes dieser Sprache. Die Bestimmung der genauen Anzahl der im DWB aufgenommenen Lemmata ist also nicht nur ein Anliegen für den Wörterbuchforscher, sondern auch für den Wortforscher, denn das DWB ist bis heute das
umfangreichste Wörterbuch des Deutschen und somit auch wertvollste Quelle für die Abschätzung des Umfangs des deutschen Wortschatzes. Bei Ulrike
Haß-Zumkehr (2001, S. 282) findet sich in einem Abschnitt über Wörter-
50
ZGR 2 (44) / 2013
Wie groß ist der deutsche Wortschatz? Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher
buchstatistik als Angabe für die Stichwortmenge im DWB der Wert 400.000
bis 500.000. Dieser Wert beruht auf einer Schätzung von Hartmut Schmidt
(1986a, S. 100) und ist gewonnen aus manuellen Auszählungen von Teilen
des DWB. Genauere Aussagen über die Anzahl der Lemmata im DWB existieren bis heute nicht. Auch an anderen Stellen werden solche aus Wörterbuchauszählungen gewonnenen Angaben verwendet, um die Größe des deutschen Wortschatzes zu illustrieren: Schmidt 1986a: 400.000, Schmidt
1986b: 500.000, Henne 1985: 400.000, Knipf-Komlósi u.a. 2006: 300.000500.000. Die recht ungenaue Angabe von (drei-) vier- bis fünfhunderttausend Lemmata kann, nachdem nun der elektronische Text des DWB vorliegt,
durch einen exakten Wert ersetzt werden: Die exakt ausgezeichneten Artikelpositionen des DWB lassen einen Zugriff auf die Stichwörter zu, und deren
Anzahl kann automatisch ausgezählt werden.
Diese Auszählung ergibt für das DWB einen Wert von 249.639 für die
Hauptlemmata. Neben den Hauptlemmata ist eine große Zahl von Stichwörtern im DWB als Sublemmata verbucht worden, die im Druck typographisch
verschieden gekennzeichnet sein können. Sie sind uneinheitlich gekennzeichnet, ein großer Teil der Sublemmata ist von einem bestimmten Zeitpunkt an durch Sperrung markiert. Durch die im elektronischen Quelltext
vorgenommene Auszeichnung sind die Sublemmata nun eindeutig identifizierbar und automatisch zählbar. Beim abschließenden Auszeichnungsstand
kommen zu den Hauptlemmata 69.656 Sublemmata hinzu. Im DWB finden
sich also insgesamt 319.295 Stichwörter,17 eine wesentlich geringere Zahl als
der erwähnte Schätzwert.18
Im ihren Ausführungen über Wörterbuchstatistik stellt Ulrike Haß-Zumkehr
weitere Berechnungen an, die belegen, wieviel Prozent des Druckraums in
Allgemeinwörterbüchern der deutschen Gegenwartssprache auf eine Buchstabenstrecke innerhalb des Gesamtwörterbuchs entfallen. Auch Michael
Schlaefer (2002, S. 91) macht sich den Zusammenhang der alphabetischen
Makrostruktur von Wörterbüchern zu ihrem Vergleich zu Nutze:
17 Die ermittelten Werte basieren auf dem Datenbestand des elektronischen DWB, Stand Mai
2003 kurz vor der Einspeisung in die Publikation des Digitalen Grimm (DWB).
18 Hier ist nicht der Ort, die Problematik der Ermittlung des Wortschatzumfangs von Einzelsprachen zu erörtern; es ist aber ein Allgemeinplatz, dass das Lexikon einer Sprache eine dynamische Größe ist und durch fixe Werte unzureichend repräsentiert ist, was umso mehr für
die kompositionsfreudige deutsche Sprache der Fall ist, ganz zu schweigen von der regionalen,
sozialen, funktionalen und historischen Differenzierung, vgl. Schippan 2002, S. 11.
ZGR 2 (44) / 2013
51
Thomas Schares
Im Zusammenhang mit der alphabetischen Makrostruktur der Wörterbücher
lassen sich auch durchschnittliche Anteile der nach Anfangsbuchstaben unterschiedenen Stichwortgruppen am gesamten Wörterbuchumfang betrachten.
Wie die folgende, auf einer Auszählung verschiedener Wörterbücher beruhende Übersicht ausweist, belegen die Lemmata mit dem Anfangsbuchstaben A
durchschnittlich 7,1 % eines normalalphabetischen Wörterbuchs, die mit dem
Anfangsbuchstaben L 3,7 % und die mit S 14 % usw.19
Diese Angaben sind in Tabelle 1 aufs DWB übertragen und nunmehr mit der
Anzahl der in den Alphabetstrecken vorhandenen Stichwörter korreliert worden, um Genaueres über den Raum einer Buchstabenstrecke im DWB festzustellen; über die Stichwortanzahl unter einem Buchstaben sagen sie zunächst
nichts aus. Aus Tabelle 1 ist in der ersten Kolumne nach der Buchstabenkolumne der Umfang in Wörterbuchspalten zu ersehen, den ein Buchstabe des
Alphabets im Wörterbuch einnimmt, also das Druckvolumen. Der Angabe
der Spaltenanzahl im Druck folgt eine entsprechende Angabe in Prozent. In
der dritten Spalte wird die Anzahl der unter einem Buchstaben aufgenommenen Lemmata angegeben. Auch hier folgt ein entsprechender prozentualer Wert. In der fünften Spalte ist angegeben, wie viele Lemmata innerhalb
einer Buchstabenstrecke als Sublemmata gebucht sind. Diese sind für die Ermittlung der Gesamtanzahl der gebuchten Lemmata zu den Hauptlemmata
zu addieren.20 Es ist zu ersehen, dass Sublemmata nur in bestimmten Buchstabenstrecken auftauchen. Die ersten fünf Buchstaben des Alphabets, die
auch in der Wörterbuchchronologie unter der Feder von J. und W. Grimm
als erste entstanden sind, weisen z. B. keine Sublemmata auf, bzw. die Sublemmata sind nicht typographisch hervorgehoben. Die Angaben in Klammern, die in dieser Spalte auftauchen, beruhen auf einer weiteren Besonderheit des DWB: In der Buchstabenstrecke S sind einige Lemmata aufgenommen, die nicht der alphabetischen Sortierung entsprechen. So finden sich
beispielsweise die Sublemmata VERSCHRUNDEN und EINSCHRUNDEN
unter dem Hauptlemma SCHRUNDEN in der S-Strecke. Diese wenigen Sonderfälle sind für diese Auszählung ihren richtigen Strecken zugeordnet worden und jeweils in Klammern in der Sublemmaspalte vermerkt. Sie finden
19 Schlaefer 2002, S. 91.
20 So muss Schmidt 1986, S. 100, mit den Resultaten einer Stichwortzählung arbeiten, die
nur die Hauptlemmata berücksichtigt und die als Sublemmata gebuchten Einträge nicht mitzählt, weil zu diesem Zeitpunkt – vor der Verfügbarkeit elektronischer lexikographischer Ressourcen – eine manuelle Sublemmaauszählung viel zu aufwändig gewesen wäre.
52
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Wie groß ist der deutsche Wortschatz? Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher
sich wohlgemerkt nur in der S-Strecke. In der letzten Spalte schließlich findet sich die Prozentangabe zur Gesamtanzahl der Lemmata einer Buchstabenstrecke unter Einschluss der Sublemmata.
Spalten
%
Lem. %
Sublemmata
Insgesamt %
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
____________________________________________________
A
1048 1,55 9576 3,84 (+16)
3,0
B
1375 2,03 13767 5,52 (+15)
4,32
0,15
C
0040 0,06 492
0,20 D
1136 1,68 7249 2,90 (+4)
2,27
E
1208 1,78 10169 4,07 (+5)
3,19
F
1104 1,63 14382 5,76 1
(+6)
4,51
G
11186 16,51 21521 8,62 11418 (+3)
10,32
H
2002 2,96 13988 5,60 1
(+10)
4,38
0,26
I
182
0,27 835
0,33 J
224
0,33 1646 0,66 (+1)
0,52
K
2916 4,30 17878 7,16 (+8)
5,6
L
1358 2,00 7897 3,16 (+2)
2,47
M
1490 2,20 9123 3,65 (+6)
2,86
N
1038 1,53 6808 2,73 4
2,13
O
350
0,52 2666 1,07 25
0,84
P
900 1,33 8896 3,56 187
(+6)
2,85
0,35
Q
98
0,14 1125 0,45 1572 2,23 10092 4,04 4
(+3)
3,16
R
S
13236 19,54 47897 19,19 9707
18,04
T
3700 5,46 9847 3,94 5419 (+6)
4,78
U
3932 5,80 4483 1,80 10847 (+1)
4,8
V
4748 7,01 9969 4,00 6770 (+8)
5,24
W
9182 13,55 14449 5,79 15705 (+3)
9,44
X
8
0,01 7
0,002 5
0,003
0,007
Y
12
0,02 12
0,004 12
Z
3200 4,72 4865 1,95 9443 (+3)
4,48
_____________________________________________
Insges.:
67742 249639
69656
Tab. 1: Prozentualer Anteil der Buchstabenstrecken am Gesamtwörterbuch nach
Druckspalten und Lemmata
ZGR 2 (44) / 2013
53
Thomas Schares
Aus der Tabelle kann nun abgelesen werden, dass beispielsweise unter dem
Buchstaben A 3,0 Prozent der im DWB enthaltenen Lemmata auf 1,55 Prozent des Druckseitenvolumens abgehandelt worden sind, unter dem Buchstaben G 10,32 Prozent der Lemmata auf 16,51 Prozent des Druckvolumens.
Unter dem Buchstaben G wird für einen Artikel also mehr Raum beansprucht, als unter dem Buchstaben A. Dieses Ungleichgewicht hängt mit der
Entstehungsgeschichte des Wörterbuchs zusammen. Die Zahlen sind deshalb nicht repräsentativ, wie gleich noch gezeigt werden wird.
A
B
C
D
E
F
G
H
I
J
K
L
M
N
O
P
Q
R
S
T
U
V
W
X
Y
Z
Volumen
(1)
1,55 (7,1)
2,03 (5,8)
0,06 (0,5)
1,68 (3,5)
1,78 (4,6)
1,63 (4,7)
16,51 (5,8)
2,96 (5,1)
0,27 (2,0 I+J)
0,33
4,30 (6,8)
2,00 (3,7)
2,20 (4,6)
1,53 (2,4)
0,52 (1,2)
1,33 (5,2 P+Q)
0,14
2,23 (4,1)
19,54 (14)
5,46 (3,4)
5,80 (3,1)
7,01 (4,3)
13,55 (4,3)
0,01
0,02
4,72 (3,0 XYZ)
Lemmata
(2)
3,0
4,32
0,15
2,27
3,19
4,51
10,32
4,38
0,26
0,52
5,6
2,47
2,86
2,13
0,84
2,85
0,35
3,16
18,04
4,78
4,8
5,24
9,44
0,003
0,007
4,48
Tab. 2: Prozentuale Anteile der Buchstabenstrecken nach Volumen und Lemmata
54
ZGR 2 (44) / 2013
Wie groß ist der deutsche Wortschatz? Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher
Die in dieser Übersicht zusammengestellten Werte können nun um einige
weitere Angaben ergänzt werden. Zunächst können die Spalten mit den Zah
len zu den Hauptlemmata ausgeblendet werden, denn entscheidend ist die
Gesamtanzahl der Lemmata in der letzten Spalte. In Tabelle 2 sind die pro
zentualen Werte für den Anteil am Wörterbuchvolumen (links) und für den
Anteil an der Gesamtanzahl der Stichwörter (rechts) ablesbar. In Klammern
beigegeben ist der von Schmidt (1986, S. 99) errechnete Durchschnittswert
für allgemeinsprachige deutsche Gegenwartswörterbücher.
Vergleicht man zunächst die Anteile der Buchstabenstrecken am Gesamtvolumen des DWB mit den Durchschnittswerten bei Schmidt, wird ersichtlich,
dass einige Werte des DWB unter den Durchschnittswerten liegen. Dies ist in
den Strecken A bis F und in H bis R der Fall. Besonders deutlich sichtbar ist
dies unter A, wo der Anteil des DWB von 1,55 Prozent dem Durchschnittswert für deutsche Wörterbücher von 7,1 Prozent gegenübersteht. Ähnlich
niedrig sind im Vergleich die Werte in den Strecken B, D, E, F, und K bis R.
Andererseits finden sich Strecken des Alphabets, wo umgekehrt der DWBWert am Druckseitenvolumen höher liegt als der Durchschnittswert. So in G
(16,51 : 5,8), in S mit weniger starkem Gefälle (19,54 : 14), sehr deutlich beim
W (13,55 : 4,3). Die Verteilung macht deutlich, dass die älteren Wörterbuchstrecken, also die in der Chronologie des DWB zuerst entstandenen, Werte
unterhalb des Durchschnitts und die jüngeren Wörterbuchteile die Werte
oberhalb des Durchschnitts haben.21 Die ältesten Teile des DWB haben die
niedrigsten Volumenanteile und die jüngsten Teile (besonders das W) die
größten Volumenanteile.
Wird der in der Übersicht in Spalte 2 gegebene Wert zum Anteil an der Anzahl der Stichwörter hinzugenommen, findet sich hier wieder eine ähnliche
Verteilung, die Werte für die Anzahl der Lemmata korrelieren also mit den
Anteilen am Volumen in gewisser Weise. Denn wieder sind hier die Werte in
den älteren Teilen des DWB A-F und H-R gleichmäßig höher als der Anteil
am Druckseitenvolumen, das in der linken Spalte ablesbar ist. Entsprechend
sind die Werte der jüngeren Wörterbuchteile verteilt, diese sind gleichmäßig
niedriger als die Anteile am Volumen links, so etwa beim G (10,23 Prozent
der Stichwörter sind auf 16,51 Prozent des Wörterbuchraums dargestellt), bei
S (19,54 : 18,04) und wieder weniger deutlich bei W (13,55 : 9,44). Die hier
gebotenen Werte können also jeweils wieder so miteinander in Beziehung
21 Zur Chronologie der Entstehung des DWB vgl. auch Schares 2006, S. 50-68.
ZGR 2 (44) / 2013
55
Thomas Schares
gesetzt werden, dass sich die jüngeren Wörterbuchteile eindeutig von den
älteren absetzen. Bei der Buchstabenstrecke S ist dies etwas weniger deutlich
der Fall, weil sich die Bearbeitungsphasen in dieser Strecke überschneiden.
Daraus lässt sich klar ablesen, dass in den jüngeren Teilen mehr Raum für
die Darstellung verbraucht wurde, dass die Artikel also im Schnitt länger
wurden.22
Interessant an dieser Aufstellung ist noch, dass sich die prozentualen Stichwortmengen im DWB im Vergleich zu den Werten für das Druckseitenvolumen des DWB stärker an die von H. Schmidt ermittelten Durchschnittswerte
annähern. Das kann vielleicht als Hinweis dafür gewertet werden, dass eine
Art sprachliches "Normalmaß" für Wörterbücher besteht, welches eher an
der Stichwortanzahl als am beanspruchten Druckseitenvolumen abzulesen
ist. Der von Schmidt gegebene Mittelwert, der sich auf das Druckseitenvolumen bezieht, nähert sich diesem fiktiven Normalwert stärker an, weil er aus
mehreren Wörterbüchern gewonnen worden ist.
Aus den Werten zum Druckseitenvolumen und zur Stichwortanzahl der
Buchstabenstrecken im DWB, die mit Hilfe der elektronischen Version ermittelt wurden, können also erstens exakte Angaben 23 zur Stichwortanzahl
des DWB extrahiert werden, und es werden unter Umgehung aufwendiger
und ungenauer manueller Zählmethoden Aussagen über die Verteilung der
Stichwortmenge im alphabetischen Raster möglich. Zweitens ist es möglich,
die postulierte "wechselnde Ausführlichkeit"24 der Artikel des DWB in Beziehung zu den verschiedenen Erarbeitungsphasen des DWB zu setzen: Die in
den Tabellen gebotenen Werte zeigen deutlich, dass die jüngeren Bearbeitungsphasen die längeren Artikel beinhalten. Dies hängt bekanntlich mit der
Entstehungsgeschichte des DWB zusammen, doch gerade diese Entstehungsgeschichte mit ihren sehr unterschiedlichen Phasen lässt sich statistisch nun genauer bestimmen und mit lexikographiegeschichtlichen Entwicklungen korrelieren. Durch eine exakte Auswertung der Länge der einzelnen Artikel, die das elektronische DWB ebenfalls ermöglicht, und eine Bezugsetzung dieser Werte auf die einzelnen Wörterbuchlieferungen kann diese Annahme noch wesentlich gestützt werden.
22 Vgl. Schmidt 1986, S. 97.
23 Mit den oben gemachten Einschränkungen, vgl. Fußnote 20.
24 Schmidt 1986, S. 97.
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Wie groß ist der deutsche Wortschatz? Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher
Bisher haben bei solchen Untersuchungen mithilfe gedruckter Wörterbücher
Extrapolationen von ausgezählten Teilbereichen zu Aussagen über das gesamte Wörterbuch geführt, so etwa die oben gegebene Hochrechnung der
Gesamtanzahl von Lemmata in einem Wörterbuch. Solche Ansätze lassen
sich durch elektronische Wörterbücher nicht nur wesentlich präzisieren,
sondern um weitere Aspekte bereichern, die zu exakteren Ansätzen in der
Wörterbuchstatistik führen können.
Nicht nur der Benutzer profitiert enorm von Wörterbüchern in elektronischer Form. Die Wörterbuchforschung steht vor der Aufgabe, die neuen Perspektiven zur Erforschung von Wörterbüchern, die sich mit der Verfügbarkeit elektronischer Wörterbücher eröffnen, wahrzunehmen, denn der Benutzer eines Wörterbuchs will etwas aus dem Wörterbuch erfahren, der Wörterbuchforscher will etwas über die Wörterbücher erfahren.
4. Wörterbücher und sonstige benutzte Literatur
1.
Adelung = Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart: mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen / von Johann Christoph Adelung. Mit D. W. Soltau's Beyträgen. - Rev. und berichtigt von Franz
Xaver Schönberger. - Wien : 1808, Teil 1 - 4. Digitalisierungen: Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Digitale Bibliothek Bd. 40. Berlin: directmedia publishing o. J. Online: http://mdz.bibbvb.de/digbib/lexika/adelung;
http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/adelung/grammati/; http://www.bastisoft.de/sprache/adelung/.
2.
CHRISTMANN, Ruth/SCHARES, Thomas: Towards the User: The digital Edition of the
'Deutsche Wörterbuch' by J. and W. Grimm. In: Literary and Linguistic Computing 18/1
(2003), S. 11-22.
3.
DWB = Der Digitale Grimm. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm.
Elektronische Ausgabe der Erstbearbeitung, bearbeitet von Hans-Werner Bartz, Thomas
Burch, Ruth Christmann, Kurt Gärtner, Vera Hildenbrandt, Thomas Schares, Klaudia
Wegge. Herausgegeben vom Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und
Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier in Verbindung mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. " CD-ROMs, Benutzerhandbuch, Begleitbuch. 1. Aufl. Juli 2004. Frankfurt/M. Zweitausendeins 2004.
4.
HASS-ZUMKEHR, Ulrike: Deutsche Wörterbücher - Brennpunkt von Sprach- und Kulturgeschichte. Berlin/New York: de Gruyter 2001.
5.
HENNE, Helmut: ‘Mein bruder ist in einigen dingen abgewichen’ Wilhelm Grimms Wörterbucharbeit. In: Zeitschrfit für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung (ZPSK) 38 (1985), S. 533-543.
ZGR 2 (44) / 2013
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Thomas Schares
6.
JUCKER, Andreas H.: New Dimensions in Vocabulary Studies: Review Article of the „Oxford English Dictionary (2nd ed.)“ on CD-ROM. In: Literary and Linguistic Computing
9.2 (1994), 149-154.
7.
KNIPF-KOMLÓSI, Elisabeth u.a.: Aspekte des Wortschatzes. Budapest: Bölcsész Konzorcium 2006.
8.
RAYMOND, Darrell R./TOMPA, Frank Wm.: Hypertext and the New Oxford English Dictionary. In: Hypertext ‘87 Papers. Chapel Hill 1987, 143-153.
9.
OED = Oxford English Dictionary. Second Edition. Internet-Version: www.oed.com.
10. SCHARES, Thomas: Untersuchungen zu Anzahl, Umfang und Struktur der Artikel der
Erstbearbeitung des Deutschen Wörterbuchs von Jacob Grimm und wilhelm Grimm.
Diss: Universität Trier 2006. (http://ubt.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2006/359/).
11. SCHIPPAN, Thea: Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen: Niemeyer
2
2002.
12. SCHLAEFER, Michael: Lexikologie und Lexikographie. Eine Einführung am Beispiel
deutscher Wörterbücher. Berlin: Erich Schmidt 2002.
13. SCHMIDT, Hartmut: Wörterbuchprobleme. Untersuchungen zu konzeptionellen Fragen
der historischen Lexikographie. Tübingen: Niemeyer 1986a.
14. SCHMIDT, Hartmut: [Rezension] Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm
Grimm, S. Hirzel Verlag, Leipzig 1854 bis 1971. 16 in 32 Bdn. und Quellenverzeichnis.
Sonderaufl. anlässlich des 200. Geburtstagesvon Jacob Grimm (4.1.1985) und des 125.
Todestages von Wilhelm Grimm (16.12.1984). In: Zeitschrfit für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung (ZPSK) 39, S. 712-716 (1986b).
15. DE SCHRYVER, Gilles-Maurice: Lexicographers‘ Dreams in the Electronic-Dictionary
Age. In: International Journal of Lexicography 16.2 (2003), 143-199.
16. WNT = Wordenboek der Nederlandsche Taal op CD-ROM. Rotterdam: AND publishers
b.v. 1999. Enthält: M. de Vries, L.A. te Winkel u.a.: Woordenboek der Nederlandsche
Taal. Teile I-XXIX. ’s-Gravenhage/Leiden u.a.: M. Nijhoff, A.W. Sijthoff u.a. 1882-1998.
Supplement I. ’s-Gravenhage/Leiden u.a.: M. Nijhoff, A.W. Sijthoff u.a. 1956.
*****
Abstract
Das Aufkommen elektronischer Wörterbücher betreffend können drei Aussagen gemacht werden: a) elektronische Wörterbücher können wie gedruckte Wörterbücher
benutzt werden; b) ihre Benutzbarkeit geht über die herkömmlicher Wörterbücher
hinaus; c) elektronische Wörterbücher können das Objekt metalexikographischer
Forschung sein. Über die ersten beiden gemachten Aussagen herrscht weitgehend
Einverständnis, während die dritte Aussage betreffend festgestellt werden kann,
58
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Wie groß ist der deutsche Wortschatz? Benutzungsmöglichkeiten retrodigitalisierter Wörterbücher
dass die metalexikographische Forschung bislang nur zögerlich auf die sich mit den
neuen elektronischen Wörterbüchern bietenden Möglichkeiten eingeht. Dieser
Beitrag versteht sich als eine Kontribution zu Fragen des Einsatzes elektronischer
Wörterbücher in der Metalexikographie.
Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Beobachtung, dass in einigen Beiträgen zur
germanistischen Lexikologie und Lexikographie die Größe des deutschen Wortschatzes betreffende Angaben durch extrapolierende Auszählung ausgewählter kleiner
Wörterbuchausschnitte, also durch lexikostatistische Methoden, gemacht wurden.
In Verbindung damit war zu beobachten, dass solche (geschätzten) Angaben zunehmend kanonisiert in Publikationen zur Wortforschung Verwendung gefunden haben.
Es soll demonstriert werden, wie die Verfügbarkeit elektronischer Wörterbücher (am
Beispiel des Grimmschen Wörterbuchs) die Möglichkeit bietet, diese Angaben zu
überprüfen und – gegebenenfalls – zu re-evaluieren. Hierzu wurde die Anzahl der
im Grimm aufgenommenen Lemmata maschinell ausgezählt, diese Werte wurden
angereichert durch Angaben zur Verteilung der Lemmaanzahl entlang der alphabetischen Achse. Ebenso wird die Anzahl der in jedem Anfangsbuchstaben enthaltenen
Lemmata sowie der verbrauchte Druckraum pro Anfangsbuchstabe berücksichtigt,
außerdem werden die dadurch sich bietenden Möglichkeiten des Vergleichs der Bearbeitungsprinzipien verschiedener Wörterbücher erörtert. Dies, um der doppelten
Aufgabe, einerseits der Angaben die Größe des deutschen Wortschatzes betreffend,
andererseits der gründlicheren Erforschung von Wörterbüchern zum Zwecke ihrer
praktisch-methodologischen Verbesserung, gerecht zu werden.
Key Words: electronic dictionaries, DWB, Grimms’s dictionary, size of German
lexicon
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DER VALENZBEGRIFF IN DER RUMÄNISCHEN LINGUISTIK.
Eine kontrastive Darstellung deutsch-rumänisch1
Emilia Codarcea
1. Einleitende Bemerkungen
Die Valenztheorie und die Dependenzgrammatik stellen eine wichtige Entwicklungsphase in der Linguistik dar, mit praktischem Nutzen im Fremdsprachenunterricht, in der Lexikographie, Computerlinguistik oder Übersetzung; sie ermöglichen ein besseres Sprachverständnis und -vergleich
(deutsch-rumänisch), durch kontrastive Untersuchungen und Beschreibungen der Sprachenstrukturen in der Grammatik und in Wörterbüchern. In der
rumänischen Linguistik werden die Dependenz und Valenz in der Tradition
von Tesnière beschrieben, unter Berücksichtigung der generativen Grammatik von Chomsky und Fillmores Kasustheorie. Aspekte der Dependenz und
Valenz werden in zahlreichen Werken untersucht, ohne dass es dafür eine
explizit ausgearbeitete Grammatik gibt (vgl. die Grammatik der Akademie/
GA 1966, 2005). Die Beschäftigung mit der DG in der rumänischen Germanistik begann mit dem Projekt der KGdr, Tesnières Theorie wurde in der
DVG und GA aufgenommen und weiterentwickelt. Vorliegende Arbeit systematisiert die Auffassungen zur Valenz und Dependenz in der rumänischen
Linguistik und vergleicht sie mit den Entwicklungsformen des Valenzbegriffs
in der germanistischen Linguistik, im Hinblick auf eine kontrastive Beschreibung der Valenz- und Dependenzrelationen in den zwei Sprachen. Ziel ist die
1 Vorliegende Arbeit ist dem Andenken Prof. Dr. Speranţa Stănescu gewidmet, unter deren
Betreuung ich meine Promotion zum Thema Valenz des Adjektivs „Grundlagen eines deutschrumänischen Wörterbuchs zur Valenz des Adjektivs“ gemacht habe. Prof. Dr. Speranţa Stănescu hat durch ihre jahrelange sachkundige, wissenschaftliche und didaktisch orientierte
Forschung und Tätigkeit einen grundlegenden Beitrag zur Entwicklung der germanistischen
Linguistik in Rumänien geleistet und gehört somit zu den Spitzenvertretern der Germanisten
Rumäniens und der kontrastiven germanistischen Linguistik auf internationaler Ebene. Sie
hat sich in zahlreichen Studien, Untersuchungen und Publikationen mit den grammatischen,
morphosyntaktischen, semantischen, pragmatischen und textlinguistischen Aspekten der
Sprache auseinandergesetzt und eine besondere Aufmerksameit der Dependenz und Valenz
gewidmet. Ein Schwerpunkt ihrer Forschung liegt in der Kontrastierung der zwei Sprachen,
der deutschen und rumänischen Sprachstrukturen, hinsichtlich der didaktischen Anwendung
im DaF- Unterricht und der lexikographischen Entwicklung von kontrastiven Wörterbüchern
(vgl. die Kontrastive Grammatik deutsch-rumänisch, das Verbvalenzlexikon deutsch-rumänisch u.a.). Ihre gesamte Arbeit, Forschung und Leistung sind von unbezweiflichem Nutzen für
Deutschlerner, Germanistikstudenten, wie auch für Lehrer, Forscher und die Entwicklung der
germanistischen Linguistik.
Der Valenzbegriff in der rumänischen Linguistik. Eine kontrastive Darstellung deutsch-rumänisch
erfolgreiche didaktische Anwendung der theoretischen Erkenntnisse im
DaF-Unterricht und in der (kontrastiven) Valenzlexikographie.
2. Grundbegriffe der Valenztheorie
Grammatiken untersuchen u.a. die hinter der linearen Erscheinungsform
des Satzes bestehende hierarchische Struktur (vgl. die Konstituenz, Rektion
und Valenz in der DG, KSG, GTG). Die Valenztheorie beschreibt die Abhängigkeiten der Satzteile, ausgehend vom Verb als strukturellem Zentrum des
Satzes, das eine bestimmte Zahl und Art der Ergänzungen verlangt, die weiterhin morpho-syntaktisch (Form, Kategorie, Kasus, Funktion, z.B. N, Akk,
D, NP, PP, pS, Adj, Adv, Inf, NS) und semantisch (inhaltliche Merkmale, semantische Rollen, z.B. -abstrakt, +human, Agens, Patiens), später auch pragmatisch (Valenz und Kommunikation) beschrieben werden.2 Hinter der syntaktischen Valenz stehen Bedeutungsvarianten, eine Erhöhung der Aktantenzahl ist oft mit einer Verringerung der Bedeutungsmerkmale des Valenzträgers (VT) verbunden (z.B. Das Kind liegt1+(1) im Bett; Berlin liegt2 an der
Spree), eine komplexe Beschreibung wird erst von allen drei zusammen geliefert. Obwohl die Valenztheorie mit dem Namen Tesnières verbunden wird,
gab es schon früher Ansätze zur Valenz (Valenz als „Wahlverwandtschaften“
bei Bühler). Im Laufe der Zeit wurde die Valenz unterschiedlich aufgefasst
und definiert: Ausgehend von Tesnières syntaktisch fundiertem Valenzbegriff
wird die Valenz als ein Ebenenmodell beschrieben (formal-syntaktisch, begrifflich-logisch, (außer)einzelsprachlich) und in den 70er und 80er Jahren
um die logisch- semantische und kommunikativ- pragmatische Ebene erweitert (Bondzio, Heger, Fillmore, Engel, Helbig/Schenkel, Sommerfeldt/
Schreiber, Welke, Eroms). Einige Linguisten schreiben die Valenz nicht nur
dem Verb und allen Wortarten zu, sondern allen sprachlichen Elementen
2 Die Dependenz greift ausschließlich auf die Teile zurück und ordnet sie aufgrund ihrer kombinatorischen Merkmale, wobei bestimmten Elementen eine höhere Position gegenüber anderen Elementen zugewiesen wird (“wenn-dann-Relationen”/Vorkommensrelationen). Das
Prinzip der Dependenz führt zum Begriff der Valenz, der für die Beschreibung und Erklärung
der inneren Organisation des Satzes unentbehrlich ist ().Die Eigenschaft sprachlicher Einheiten, Dependentien zu haben, heißt Valenz (Fügungspotenz, Fügungswert, Wertigkeit) und meint
die Fähigkeit eines Wortes, z.B. des Verbs, Leerstellen zu eröffnen, deren Füllung den Satz ergibt
(quantitative und qualitative Eigenschaft). Die Leerstellen werden durch Ergänzungen (subklassenspezifische Dependentien, Aktanten, Mitspieler, Komplemente) und Angaben (klassenspezifische Dependentien, Supplemente, Circumstanten) besetzt; die Ergänzungen eines Wortes
stehen in seiner Valenzliste, die Angaben nicht.
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Emilia Codarcea
(syntaktische, semantische, phonologische und morphologische Valenz; innere
Valenz bei der Wortbildung, äußere/ kreative Valenz bei satzsyntaktischen
Verhältnissen, vgl. Stepanowa/ Helbig 1978). Die Entwicklung des Valenzbegriffs bildete die Grundlage einerseits für die Subklassifizierung der
Wortarten, für ein System von SBP und für die Valenzlexikographie (zahlreiche syntaktisch, semantisch oder pragmatisch fundierte Valenzwörterbücher): 1. monokriteriale (syntaktische oder semantische) Valenzkonzepte,
die als Folge die Ebenenmodelle hatten; 2. polykriteriale Valenzkonzepte,
bei denen mehrere Aspekte der Valenz unterschieden werden: a. Ebenenmodelle, die sich hinsichtlich der Natur und dem angenommenen „Sitz“ dieser
Ebenen voneinander unterscheiden (die sprachliche „Oberflächenstruktur“
sei aus einer „Tiefenstruktur“ herzuleiten, ggf. mit mehreren Zwischenebenen), b. multidimensionale Modelle, die statt des Nacheinanders von Valenzebenen ein Nebeneinander von Valenzaspekten annehmen. Valenz steht somit im Schnittpunkt von lexikalischer Semantik und Syntax (Wechselwirkung) und in Beziehung zur Kommunikation.
Die Dichotomie Ergänzungen (E)-Angaben (A) geht auf Tesnière zurück:
Der verbale Kern ist vergleichbar mit einem kleinen Drama, das ein Geschehen mit Akteuren (Ergänzungen, „actants“) und Umständen (Angaben „circonstants“) darstellt. Ergänzungen sind valenzabhängig, strukturell notwendig und aufgrund der Weglassbarkeit/strukturellen Notwendigkeit fakultativ/ weglassbar: Wir essen (Brot) oder obligatorisch/nicht-weglassbar: Wir
besuchen die Freunde (bezeichnende, situierende, klassifizierende E bei Engel; Esub, Egen, Edat, Eakk, Eprp, Esit, Edir, Eadj, Enom, Evrb, Eexp). Angaben (auch in satzartiger Form) sind valenzunabhängig und nicht konstitutiv für einen Zustand oder ein Ereignis (Amod, Aexist, Aneg, Asit). Engel
(1988, 31994) klassifiziert sie nach Form und Inhalt unter Berücksichtigung
der Stellungsregularitäten im Satz (Anaphorisierungsprobe): verbbezogene/modifikative, satzbezogene/situative (kausal, temporal, lokal, komitativ,
restriktiv, instrumental), negative und äußerungsbezogene/ existimatorische Angaben (kautiv, selektiv, ordinativ, judikativ, verifikativ). Eroms
(2000) unterscheidet Satzadverbien (meist Modalwörter, Existimatoria)
und verbbezogene Angaben: situierende (temporal, lokal), handlungskennzeichnende (kausal, konditional, konzessiv, restriktiv, konsekutiv, final),
prädikatmodifizierende (instrumental, modal, quantifizierend), subjekt-/
sprecherbezogene Angaben und weitere Angabetypen (adverbiale Konnektive, Pertinenzkonstruktionen, Komitativ-, Negationsangaben). Auf Satzgliedebene sind Substantive/ Adjektive (nominaler) Kern eines Syntagmas,
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Der Valenzbegriff in der rumänischen Linguistik. Eine kontrastive Darstellung deutsch-rumänisch
Adjunkte/Attribute sind Subklassen der Satzgliedteile. Die verbale Valenz
wirkt satzkonstituierend, die nominale Valenz satzgliedkonstituierend (besonders bei Homonymie und Polysemie, z.B. hungrig sein/ ~ nach etw. sein).
Für die E/A-Unterscheidung sind in der Literatur zahlreiche operationale
Tests vorgeschlagen worden: Subklassen-, Eliminierungstest, Folgerungs-,
Reduktionstest, Dialogtest, „und zwar“-Test, Subkategorisierungstest, freie
Hinzufügbarkeit und Zurückführung auf einen selbständigen Satz. 3
In den 80er Jahren wird in der Valenzforschung bezüglich der E/A-Abgrenzung immer mehr von einer graduellen Abstufung der Valenzgebundenheit
gesprochen, die Valenz sei ein graduelles, nicht ein dichotomisches Phänomen, u.zw.: 1. Modelle der Valenzstufung, die die E/A-Abgrenzung durch
Mehrfachklassifikationen ersetzen (unterschiedliche Valenzbindungsstärke,
mehr oder weniger peripher gebundene Glieder, z.B. die Dreiteilung der Valenzkandidaten in der IDS-Grammatik in Komplemente des Kernbereichsdes Randbereichs- Supplemente, die für die einzelnen Phrasenklassen weiter
ausdifferenziert ist); 2. Modelle der Valenzquantifizierung, die den klassifikatorischen durch einen quantitativen Valenzbegriff ersetzen, bei dem die
Valenzbindungsstärke anhand eines einheitlichen Verfahrens gemessen werden kann; mit maschineller Hilfe werden in der Korpuslinguistik korpusorientierte Verfahren für umfangreiche quantitative und qualitative Valenzanalysen eingesetzt (Valenztests sind Instrumente, die ergänzend und problembewusst zur gezielten Feindiagnose bei speziellen Klassifikationsproblemen
herangezogen werden; vgl. Storrer 2006).
3. Der Valenzbegriff in der rumänischen Linguistik
Die rumänische Linguistik beschreibt die Dependenz und Valenz anhand derselben Methoden und Theorien der internationalen Linguistik und passt sie
hinsichtlich der kontrastiven Analyse an die eigenen Charakteristika an. Die
3 Problematisch bei der E/A-Unterscheidung sind z. B. die anzusetzenden Kriterien für die
Unterscheidung auf verschiedenen Valenzebenen, da die Grenze fließend ist und manchmal
kein eindeutiger Unterschied vorliegt (z.B. freie Dative, verbgebundene PP, die syntaktisch
obligatorisch sind, semantisch bestimmt, nicht formregiert, Instrumentalbestimmungen, gewisse Zeit-, Raum- und Modalbestimmungen: Die Sitzung dauert lange, Er benimmt sich gut).
Trotz der Schwierigkeit der E/A-Unterscheidung neigen Valenztheoretiker dazu, außer den
obligatorischen Ergänzungen auch solche als fakultative Ergänzungen zu betrachten, die als
Mitspieler der „Szene“ aufgefasst werden können; Angaben beziehen sich auf den allgemeinen
Rahmen der verbalen Handlung (Sachverhaltsbeteiligung (E)/-kontextualisierung (A) in der
IDS-Grammatik).
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rumänische Grammatik wurde konsequent nach der Grammatik der Akademie (GA 1966, 2005) vorgetragen, wichtige rumänische Grammatiken stehen
jedoch unter generativem Einfluss (z.B. Pană-Dindelegan 1974, 1999). Die Dependenz und Valenz wird in zahlreichen Werken beschrieben, ohne dass es
dafür eine explizit ausgearbeitete Grammatik gibt.
De pen d en ţă: „stare de subordonare, lipsă de autonomie a unei unităţi sintactice*
≈ unică: d. de un singur element regent, * ≈ multiplă: d. de două sau mai multe elemente regente.” (DOBRIDOR 1998:108); „tip de relaţie lingvistică în care unul dintre
termeni depinde de apariţia sau de forma altui termen. În concepţia tradiţională, sinonim cu subordonare. În concepţia modernă formulată de L. Hjelmslev, dependenţa include două tipuri de relaţii: interdependenţele, simbolizate prin A → B, în
care d. se manifestă prin constrângeri bilaterale şi determinările simbolizate ca A←
B, în care d. este unilaterală, manifestându-se prin constrângeri impuse numai de
unul dintre termeni. Se opune relaţiilor de tip facultativ, ceea ce Hjelmselv numeşte
constelaţii, iar alţi cercetători, independenţe sau nondependenţe.” (BIDU-VRÎNCEANU
2001:161)
Recţi un e : „formă de manifestare a constrângerilor (restricţiilor) combinatorii dintre două cuvinte aflate în relaţie sintactică, constând în impunerea unei anumite caracteristici de formă gramaticală de către un cuvînt celuilalt. Noţiunea de recţiune se
subordonează aceleia de relaţie obligatorie, deoarece termenii legaţi prin recţiune se
asociază, în orice apariţie a lor, cu aceeaşi restricţie de formă gramaticală. Recţiunea
presupune, în mod necesar, o orientare (o direcţie) a relaţiei: un termen al relaţiei
cere (impune) restricţia, iar celălalt se acomodează (supune) ei. Recţiunea permite
predictarea (deducerea) unei forme gramaticale din alta, ceea ce înseamnă că ea se
asociază cu o reducere sensibilă a cantităţii de informaţie gramaticală procurată de
unul din termeni. Caracteristica (restricţia) de formă poate fi cazuală, temporală sau
modală, prepoziţională, conjuncţională.” (PANĂ-DINDELEGAN 1999:39); „reprezintă,
alături de acordul gramatical, o formă de manifestare a constrângerilor sintactice în
cadrul relaţiei de subordonare, regentul impunând termenului subordonat o restricţie de caz sau prepoziţie. Se aseamănă cu acordul prin caracterul orientat al relaţiei (un termen impune restricţia, iar celălalt se supune ei) şi prin caracterul ei obligatoriu (termenii legaţi prin recţiune se asociază în orice apariţie a lor cu aceeaşi
restricţie de formă gramaticală). Exemple tipice de recţiune sunt cele de recţiune cazuală (regentul impune subordonatului informaţia de caz) şi de recţiune prepoziţională (subordonatului i se impune construcţia cu o anumită prepoziţie). Ca semnificaţie se apropie de guvernare, selecţie, constrîngere/restricţie sintactică.” (BIDUVRÎNCEANU 2001:423)
V al e nţ ă: „capacitate de combinare a unui cuvânt cu alte cuvinte, în funcţie de
conţinutul noţional şi semantic al acestuia.” (DOBRIDOR 1998:331); „Termen împrumutat din chimie, pentru a sugera că disponibilităţile de combinare a cuvintelor şi me-
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Der Valenzbegriff in der rumänischen Linguistik. Eine kontrastive Darstellung deutsch-rumänisch
canismele lor de combinare funcţionează după un model asemănător celui din chimie.
Valenţa este un concept care caracterizează cuvintele ca unităţi sintactice (Stati 1972),
indicând pentru fiecare cuvânt, capacitatea acestuia de a stabili relaţii sintactice cu
alt/alte cuvinte, şi, implicit, de a forma combinaţii de cuvinte, capacitate diferită de la
un cuvânt la altul sub aspectul numărului de legături sintactice simultane şi al tipului
de combinaţii. Valenţele apar ca disponibilităţi intrinsece, virtuale ale fiecărui cuvânt,
actualizarea lor în context însemnând folosirea cuvântului într-o anumită combinaţie
sintactică. Numai unele valenţe sunt contextual saturate, altele rămânând libere (sau
nesaturate) ca efect al neexprimării unui determinant. Atunci când cuvântul analizat
funcţionează drept cap de grup, conceptul de valenţă interferează cu cel de actant (sau
argument) şi cu cel de recţiune. Valenţa, în cazul unui cap de grup, indică, în acelaşi
timp, numărul de actanţi/argumente pe care capul le poate primi şi forma impusă argumentelor prin fenomenul de recţiune. Valenţele diferă de la o parte de vorbire la alta
(de ex. valenţele clasei verbului sunt diferite de ale clasei substantivului sau de ale clasei adjectivului); pentru unele părţi de vorbire (verb, adjectiv), valenţele diferă de la un
membru al clasei la altul (verbele a ploua, a cădea, a deveni, a ara, a plăcea, a depinde, a trimite au valenţe diferite atât ca număr de legături sintactice, cât şi ca formă
gramaticală impusă nominalelor cu care intră în relaţie sintactică. Valenţele stau şi la
baza clasificării cuvintelor pe criterii sintactice (…).” (BIDU VRÎNCEANU 2001:561); „Prin
valenţă verbul este legat de complinirile sale. Valenţa se referă întotdeauna numai la
o submulţime der verbe, ea este deci specifică subclaselor. Pe de altă parte, dependenţa complinirilor de verb poate fi obligatorie sau facultativă; vom deosebi deci
compliniri obligatorii şi compliniri facultative. In plus verbul poate fi legat de elemente libere (deci necondiţionate valenţial); aceste elemente sînt toate facultative şi sînt
denumite părţi de propoziţie libere. Astfel pe de o parte, între compliniri şi părţi de
propoziţie libere după criteriul specificităţii respectiv nespecificităţii de subclase trebuie să se facă deosebirea, iar pe de altă parte după criteriul facultativităţii între complinirile obligatorii şi cele facultative”. (ENGEL/SAVIN 1983:25)
Die Beschäftigung mit der DG in der rumänischen Germanistik begann mit
dem Projekt DRKG (KGdr), der Sprachunterricht war lange Zeit von der traditionellen Grammatik beherrscht (Kategorien, Terminologien); das DVGund GA-Modell haben Tesnières Theorie aufgenommen und weiterentwickelt (vgl. Stati, şerban, Pană-Dindelegan).4 Die DVG vollzog zwei wichtige
4 Die Rumänistik bot 1976 keine dem DVG-Modell vergleichbare Beschreibung und konnte nicht direkt in das Projekt DRKG aufgenommen werden, das Rumänische musste neu beschrieben werden.
Die DRKG ist anwendungsorientiert, für Lehrkräfte, Studierende mit Rumänisch/Deutsch als Zielsprache und für alle, die an Strukturvergleichen der beiden Sprachen interessiert sind. Die Valenz
wurde bei Verb, Substantiv, Adjektiv und Kopulapartikel untersucht und aufgrund der Anaphorisierungsprobe die E ermittelt. Die deutsche und rumänische Grammatik weisen weitgehende Strukturähnlichkeiten auf, neue zweisprachige Lehrbücher und Wörterbücher bieten morphosyntaktische Va-
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Änderungen im Bereich der Satzgliedbestimmung: das traditionelle nominale Prädikat wurde aufgelöst, das kopulative Verb wurde nicht mehr als semantisch leer/nicht prädikativ sondern im Hinblick auf seine Kookkurrenzen analysiert (zwei Valenzen: Esub, Enom/Eadj, z.B. nennen- a considera);
das Subjekt verlor seine Vorrangstellung, wurde aufgrund der Anapher definiert und als subklassenspezifischer Partner des Verbs, gleichrangig mit den
anderen E-Klassen behandelt. Aufgrund der E-Klassen- Kombinationen wurden Satzmuster gebildet (40 in der DRKG), die weitgehende Ähnlichkeit aber
seltene Übersetzungsäquivalente Verben beim selben Muster aufgewiesen
haben. Der Valenzbegriff diente als Grundlage beim Erstellen syntaktischer
Wörterbücher oder bei der syntaktisch fundierten Klassifizierung der Wörter. Für die syntaktischen Beziehungen gibt es folgende Termini in rumänischen Grammatikbüchern:
(GA 1966)
Stati 1972
şerban 1974
Coordonare
Subordonare
Coordonare
Subordonare
Relaţie predicativă
Relaţie apoziţională
Coordonare
Subordonare
Apartenenţă
Relaţie de referinţă
Interdependenţă
Relaţie de constelaţie
Pană-Dindelegan 1974,
1999
Relaţie de dominare
Relaţie de vecinătate
Interdependenţă
Dependenţă unilaterală
Facultativă
Incompatibilitate
Das Verb als strukturelles Zentrum des Satzes determiniert direkt/ indirekt alle
anderen Wörter im Satz und bestimmt dessen semantisch-syntaktische Struktur
(dependentielle Betrachtung). Die von der GA, şerban oder Stati beschriebenen
Relationen werden an den Oberflächenstrukturen festgelegt, der Begriff “subordonare sau determinare între două elemente ... dintre care un termen e determinat de celălalt” ist zweideutig: einerseits kann er vom Inhalt her als nähere Bestimmung der Einheit A/ “determinat” durch die Einheit B/ “determinant” verstanden werden, andererseits ist diese Beziehung von der Form her
umgekehrt: die Einheit A zwingt dem regierten Element B bestimmte Formeigenheiten auf (subordonare prin recţiune, acord, aderenţă). Die syntaktischen
Funktionen können semantisch als Rollen im Satz verstanden werden oder
syntaktisch als Valenz: „funcţia sintactică este sensul gramatical pe care îl
lenzangaben und Restriktionen bei Verben und Adjektiven, obwohl die rumänischen Lehrbücher
weiter traditionell orientiert sind (s. der Vergleich der rumänischen und deutschen Linguistik hinsichtlich der DG und Valenz bei Stănescu 1980, 1986, 2006).
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Der Valenzbegriff in der rumänischen Linguistik. Eine kontrastive Darstellung deutsch-rumänisch
capătă un cuvînt ca urmare a plasării lui într-o anumită relaţie cu un alt cuvînt
(sau cu alte cuvinte) din enunţ“ (STATI 1972:117). PANĂ-DINDELEGAN (1976:38)
beschreibt sie sowohl in den syntagmatischen als auch in paradigmatischen
Beziehungen:
O funcţie sintactică înseamnă, în plan paradigmatic, o clasă de substituţie, deci o
clasă de termeni neopozabili la nivel sintactic, iar în plan sintagmatic, o poziţie
constantă, şi, implicit, o relaţie constantă. [...] Fiecare funcţie se defineşte relaţional, stabilind, în acelaşi timp, relaţii de dominare şi de vecinătate. Fiecare funcţie
intră în două relaţii de dominare: ca termen „dominat“ şi ca termen care „domină“ şi în mai multe relaţii de vecinătate…dintre relaţiile de vecinătate reţinem,
pentru caracterizare, numai relaţiile obligatorii, deci contextele care apar în mod
constant pentru toate realizările unei funcţii sintactice, şi eliminăm relaţiile de
vecinătate facultative, deci contextele posibile, dar nu necesare.
STATI (1967:134, 1972) fasst die syntaktische Valenzbeschreibung funktional,
kategorial und denotativ auf und bezieht sie auf die kontextgebundene Kombinationspotenz der Aktanten. Im Satz entstehen sog. “Mikrostrukturen” als
abstrakte Verbindungen zwischen Funktoren, die sich gegenseitig selektieren
(jedes sättigt jeweils eine Valenz des anderen) und ein Syntagma bilden (Regens/ cuvânt regent- Dependens/ dependent), z.B. “copacul e înalt”: copacul
e= relaţie predicativă, e înalt= relaţie e acord, copacul înalt= relaţie de subordonare.5 Die Valenzbeziehung bedeutet nicht notwendigerweise eine Unterordnung, die Elemente selegieren und sättigen einander, bilden Syntagmen. Als kombinatorisches Merkmal ist Valenz mehrstellig und bildet ein
Valenzspektrum, eine Auffassung, die in der deutschen Grammatik in dieser
Form nicht ausgebaut wurde: spectru posibil de valenţe/ spectru combinatoriu potenţial (Valenzpotenz) vs. spectru real de valenţe/ spectru
5 Für Stati (1972:58) ist Valenz die Eigenschaft eine Wortes, in eine syntaktische Beziehung zu einem
anderen Wort zu treten: “La fel ca şi în chimie, valenţele din gramatică sînt nişte calităţi combinatorii,
diferite de la un element la altul. Tot ca valenţele chimice, valenţele sintactice aşează elementele într-o
reţea de relaţii; adesea un anumit cuvînt e legat în acelaşi timp de mai multe cuvinte din propoziţie.
De aceea, între schemele care prezintă structura moleculelor şi schemele de analiză sintactică a propoziţiei există asemănări.” „Microstructura este în sistemul nostru combinaţia sintactică elementară.
Functorul a fost definit ca purtător al unei (unor) funcţii sintactice, funcţie insemnînd însuşire combinatorie, valenţă. Fiecare valenţă se realizează într-o microstructură; ca să aflăm fascicolul de valenţe
al unui functor trebuie să determinăm toate microstructurile opuse în care poate apărea. Rezultă că
analiza functorială impune examenul functorilor în microstructuri. (...) Ceea ce satisface o valenţă este
un functor. (...) O clasă de microstructuri este o mulţime de microstructuri în raport de echivalenţă
funcţională. (...) Numărul maxim de termeni ai unei macrostructuri este egal cu numărul de valenţe
ale centrului.“ (Stati 1967:106)
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combinatoriu real (Valenzaktualisierung). Die Kriterien zur Wortklassifikation aufgrund ihrer Valenz betreffen die Kombinationsmöglichkeiten nach
der Art der Beziehung (relaţie de coordonare/ subordonare/ predicativă/
apoziţională), Funktion im Syntagma (regent/ subordonat/ subiect/ predicat/ termen explicat/ apoziţie), Wortart und Valenzrealisierung durch ein/
mehrere Wörter (FVG= syntaktische, lexikalische Einheiten).
ŞERBAN (1974) betrachtet in Anlehnung an Tesnière den Satz als syntaktische
Grundeinheit: „Propoziţia este unitatea sintactică fundamentală aptă să exprime o comunicare completă (structură complexă de structuri subordonate,
sumă a conexiunilor realizate între termenii constituenţi)“. Die zwei Gruppen
von Satzkonstituenten sind: obligatorische/fakultative nukleare Konstituenten in der Tiefenstruktur (termeni fundamentali, esenţiali sau nucleari (TN): Ssubiectul, P- predicatul, 01- obiectul direct, 02- obiectul indirect, K- complementul de identificare sau al calităţii, Ag- circumstanţialul de agent, Sv- sociativ)
und fakultative Determinantien (determinanţi facultativi adnominali, adverbiali, adnominali-adverbiali), die je nach der Verbvalenz für die Bildung einer
minimalen Aussage obligatorisch sind oder nicht (Determination = Unterordnung). şerban präzisiert hinsichtlich der syntaktischen Funktion, dass die
Form vom Inhalt bestimmt wird („conţinutul dictează forma şi nu invers“).
Die Valenz ist eine syntaktisch-semantische Erscheinung, ebenso die Obligativität; das Semantische ist ausschlaggebend für die Bestimmung der Notwendigkeit von Elementen, doch Stati und şerban unterscheiden nicht zwischen E und A. Das Prädikat ist Zentrum des Satzes, bildet mit jedem nuklearen Element eine binäre Gruppe (Konfiguration), deren Glieder untereinander interdependent sind. Die anderen Satzkonstituenten stehen in verschiedenen Beziehungen zueinander, fakultative Determinantien können ihrerseits weitere Elemente selegieren. Stemmata sind semantisch und morphologisch begründete dependenzielle interdependenzielle Beziehungsnetze.
Die Verben sind avalent (Plouă), monovalent (Soarele străluceşte), bivalent
(Actorii mulţumesc publicului), trivalent (El zice mamei un secret) und tetravalent (Unii medici prescriu injecţii contra unor boli ca medicament), entsprechende SBP sind z.B. P, S+P, S+P+O (O: O1, O2, Sv, Ag, K), S+P+O1+ O2+K. Die
Verben ändern ihre Valenz durch Steigerung oder Reduzierung der Leerstellenzahl („Semantica şi comportarea gramaticală a verbului sînt in funcţie de
context, unitatea referenţială pentru aceasta fiind propoziţia“, şerban 1974:66).
Ein Verb kann zwei Ergänzungen gleicher Art haben, die Erklärung dafür steht
in der semantischen anaphorischen Konnexion zwischen O2 und O1, deren
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Der Valenzbegriff in der rumänischen Linguistik. Eine kontrastive Darstellung deutsch-rumänisch
strukturellen Unabhängigkeit voneinander und der Konnexionsrealisierung
im Satz durch das Prädikat (Profesorul mă ascultă lecţia, Publicul ascultă
conferinţa mea- zweiwertig, Publicul îmi ascultă conferinţa- dreiwertig).6
GUŢU-ROMALO (1973) unterscheidet wie Tesnière syntaktisch avalente (plouă, ninge), monovalente (Copilul aleargă, cade, rîde, doarme), bivalente
(Copilul citeşte o carte, Copilul depinde de părinţi, Îmi place cartea, Mă doare
capul) und trivalente Verben (Profesorul dă copilului o carte, Profesorul învaţă pe copil lecţia), die weiterhin morphosyntaktisch untergliedert werden,
z.B. N+V+D, N+V+Ac, N+V+N. Die Ursachen für die Valenzvarianten eines
Wortes sind z.B. syntaktische Fehler aufgrund mangelhafter Sprachbeherrschung und Interferenz mit einer Fremdsprache, Wortbildung, Zusammensetzung, Nominalisierung, FVG, Phraseologismen und stilistische Varietät (El ma fulgerat cu privirea). Strukturelle Beziehungen sind: die Interdependenz/ bilaterale Dependenz (zwischen Subjekt und Prädikat als Aussagenukleus), Subordination/ unilaterale Dependenz, doppelte Dependenz/Subordination
(e.p.s.), Non- oder Independenz/ Koordination.
PANĂ-DINDELEGAN (1974, 1999, 2003) betrachtet die Dependenz und Konstituenz in Anlehnung an Hjelmslev als komplementär. Die Dominanz- und
Nachbarschaftsbeziehungen betreffen die Relationen zwischen Symbolen
und sind tiefenstrukturell angelegt: zwischen dem „dominierenden” Knoten
(GN- grup nominal) und den “dominierten” Kategorien (Artikel, Nomen) als
Teile des Konstituts und zwischen den dominierten Kategorien. Der Satz ist
eine komplexe Struktur mit folgenden syntagmatischen Beziehungen
(„recţiune, acord, aderenţă“): Dependenţă reciprocă/ interdependenţă/ solidaritate:“A presupune pe B şi B presupune pe A“; Dependenţă unilaterală/
selecţie: „A presupune pe B nu şi invers“; Relaţie facultativă/ constelaţie/ îmbinare: „A şi B sînt compatibili, dar A nu cere în mod necesar pe B şi B nu
cere în mod necesar pe A“. Beschrieben werden sowohl die Beziehungen zwischen Verb und Dependentien („interdependenţă“ zwischen Verb und
„subiect/obiect direct/atributiv de bază/ obiect prepoziţional/ reflexiv“, „depen6 “Preferăm termenul de valenţă în accepţiunea lui Lucien Tesnière, deoarece evită ambiguitatea în
ce priveşte tranzitivitatea şi intranzitivitatea verbelor şi totodată reflectă cu claritate posibilităţile combinatorii minimale, dar suficiente, ale verbului predicat, în vederea constituirii unei propoziţii invariante. Termenii nucleari care satisfac valenţele verbului actualizat corespund, în mare măsură, cu actanţii lingvistului francez, pentru care însă vom păstra denumirile consacrate /in gramatica românească/. [...] Propoziţia ca o totalitate bine închegată… înglobează toate relaţiile sintactice posibile între
constituenţii ei şi, prin aceasta, devine regentul unic sau supraregentul.“ (şerban 1974:153)
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denţă unilaterală“ zwischen Verb und tilgbarem „obiect direct/ indirect/ secundar/ prepoziţional/ atributiv transformat“) als auch zwischen den Dependentien untereinander („dependenţă unilaterală“ zwischen obiect secundar - obiect
direct, atributiv - alt nominal subiect/ obiect direct/ indirect, „relaţii facultative“
zwischen obiect direct - indirect, nominal în acuzativ-subiect, nominal în dativatributiv). Daneben gibt es gegenseitige Inkompatibilitäten, z.B. im Rumänischen verbindet sich kein Verb mit dem Genitiv. Die Elemente in der Umgebung des Verbs sind „determinanţi necesari exprimaţi sau neexprimati/ virtuali/ trăsătură latentă a verbului“ (Ergänzungen) und „determinanţi facultativi, d.h. Gcirc dominat de „P“, care nu este selectat de verb, nefiind deci necesar pentru integritatea sintactică şi semantică a enunţului“ (Angaben). Sie
werden ausgedrückt durch Substantive im reinen/ präpositionalen Kasus, Adverbien, VP, Konjunktional- und Relativsätze. Ein Aktant kann verschiedene Rollen haben, eine Rolle verschiedene Positionen einnehmen (dieselben semantischen
Merkmale/Rollen wie im Deutschen, z.B. +anim, -uman, agent, pacient, experimentator: şedinţa începe - sub/Patiens, Ei încep şedinţa- ob dir/ Patiens).7
Die Grundstruktur des Satzes wird sowohl funktional als auch kategorial beschrieben: Im ersten Schritt werden die funktionalen Symbole generiert
(Prädikat, Subjekt, direktes, indirektes, präpositionales Objekt, Attributiv,
Circumstant2 als Teile der Prädikatsgruppe Gpred), dann treten die Kategorialsymbole auf (V-verb, GN-grup nominal, Gadj-grup adjectival, Av-Adverb)
mit den Elementen, die sie verknüpfen (N, A(±pe), D, Prep, morfemele predicaţiei MP). Der Satz besteht nicht aus NP (GN) und VP (GV) sondern aus
einem „grup predicativ“/GPred und „grup circumstanţial“/GCirc (Nachbarschaftsbeziehungen zum Prädikat obligatorisch, zum Rest wahlweise fakultativ). Gpred übt eine prädikative Funktion aus und ist von obligatorischen Ergänzungen umgeben, während GV funktionsneutral ist, unabhängig von der
prädikativen Funktion auftritt und nicht nur von obligatorischen Ergänzungen
umgeben ist; ihre Konstituenten sind Determinanten der Verbs ungeachtet
7 Je nach den inhärenten Merkmalen verbindet sich das Verb mit Nomina (Aktanten, Argumente)
und bestimmt aufgrund des eigenen akantiellen Rahmens (Argumentenstruktur) die Zahl und semantischen Rollen der regierten Aktanten (Agens, Patiens, Experimentator, Ziel, Quelle, Lokativ).
Syntaktisch wird den Nomina eine hierarchische Stellung und Funktion als Subjekt (äußeres Argument), direktes, indirektes und präpositionales Objekt (interne Argumente) zugewiesen. Aktantielle
Schemata gelten als universell, syntaktisch, sprachspezifisch und von Synonym zu Synonym verschieden. Die Rektionsunterschiede sind nicht semantisch bestimmt, nicht vorhersahgbar und ausschließlich Gegenstand der syntaktischen Regeln einer Sprache zu einem bestimmten Entwicklungszeitpunkt. (vgl. Pană-Dindelegan 1999, Stănescu 2006:1242)
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Der Valenzbegriff in der rumänischen Linguistik. Eine kontrastive Darstellung deutsch-rumänisch
der Art und des Kohäsionsgrades der Beziehung zu diesem. Kongruenz, Konjunktion, Relativelemente (Konnexionselemente) werden erst über Transformationen erzeugt. Die Eliminierung von Konstituenten beeinflusst die syntaktisch-semantische Integrität der Aussage, im Unterschied zum tilgbaren
Gcirc1. Die rumänische Sprache gehört zu den pro-drop-Sprachen, die es erlauben, das Subjekt nicht auszudrücken. SBP („inventarul structurilor de bază
în termenii funcţiilor“) sind:
categorii semantico-gramaticale, a căror ocurenţă, în structura de bază, este
legată nemijlocit de prezenţa altor constituenţi ai grupului…Trăsătura lor
comună constă în ocurenţa obligatorie nu numai cu predicatul, ci şi cu alt,
iar în cazul reflexivului şi cu alţi doi determinanţi….. GV→Predicat
∩[(subiect) ∩ (Impers)] ∩ [[[(obdir) ∩ (pas)] ∩ (Refl)] ∩ (obsec)]∩ [(Obind)
∩ (REfl)] ∩ (Atributiv) ∩ (G Prep) ∩ (Gcirc) ∩ G Circ. (PANĂ- DINDELEGAN
1974:180)
Bei transitiven Verben (tranzitive directe, indirecte, mono-, bitranzitive) werden verschiedene Transitivitätsgrade unterschieden: starke und schwache
Transitivität („Unul din obiecte care admite ambele teste de tranzitivitate probează un grad înalt de tranzitivitate, în timp ce al doilea obiect care nu admite
nici unul din teste se află la limita de jos a tranzitivităţii”, vgl. PANĂ-DINDELEGAN 2003). Transitive ein-/ zweiwertige Verben weisen syntaktisch direkte
Transitivität auf (verb tranzitiv folosit absolut: obiect direct lexicalizat in
context sau nelexicalizat; verbe monovalente: subiect neexprimat (mă plouă);
bivalente: obiect direct, subiect; bivante impersonale: obiect direct, circumstanţial de loc (Mă apasă la stomac, mă doare în piept). Intransitiv sind Verben und adjektivische Partizipien, die nicht den Akkusativ regieren, sich aber
mit dem Patiens verbinden („Pacientul este obiectul tranzitivităţii slabe, Beneficiarul al tranzitivităţii forte, gemeinsame Eigenschaft mit transitiven Verben:
frunze căzute, temperatură scăzută, carte citită); der Übergang zur Intransitivität ist graduell, z.B. a ajuta pe cineva/ cuiva, a spera ceva/ la ceva, a şi-o aminti/a-şi aminti de. Starke Transitivität haben Agentivverben, Infinitive, PartiziZGR 2 (44) / 2013
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pien I (gerunzii), schwache Transitivität nicht-agentive Verben (prädikative
Lesart), minimale Transitivität solche die keinen Transitivitätstest bestehen
(obiect secundar, supin, postverbale Nominalisierungen, das Adjektiv „dator“).8
MATEI (2001:88) untersucht die syntaktischen Kategorien (Mikro- und Makrostrukturen) und Funktionen im Satz und Satzgefüge (plan propoziţional şi
frastic): subiect, predicat, nume predicativ, atribut, apoziţie, complement (necircumstanţial şi circumstanţial), eps, adresarea; propoziţii principale, secundare, eliptice, intercalate etc., subordonate rezultate din expansiunea (predicativizarea) părţilor de propoziţie: subiectivă, predicativă, atributivă, apozitivă,
completive (directe, indirecte, de agent), circumstanţiale (loc, mod, timp, instrumentale, sociative, cauză, scop, concesive, consecutive, condiţionale, relaţie, excepţie, opoziţionale, cumulative), circumstanţiale corespondente, predicativă suplimentară. Die Koordination weist keine Dependenz auf (nondependentă, pluridimensională/expansiune plurimembră). Die Subordination
kennzeichnet sich durch Junktion (Präposition/ PP), Flexion, Kongruenz, Adherenz (VP, AdjP, AdvP) und Rektion („impunerea de către termenul regent a
unor caracteristici sau categorii gramaticale termenului subordonat”) bzw. auf
Satzgefügeebene durch Konjunktionen/ Konjunktionalphrasen, einfache/ zusammengesetzte Relativpronomen und -adjektive, relative, pronominale, indefinite Adverbien/ AdvP, indefinite Pronomen, Adjektive. Das Subjekt steht
in Interdependenz- und Kongruenzrelation zum Prädikat. Komplexe Prädikate
sind mono- (Guţu-Romalo, Iordan, Robu, Coteanu) und bifunktional (GA,
Cluj). Laut Draşoveanu (1997) stehen Subjekt und Prädikat in einer Dependenzrelation: das Subjekt / Regens bestimmt die Person und Numerus des
Prädikats, das adjektivische Prädikativ das Genus des Subjekts. Er benutzt fol8 Transitivitätstests: 1. starke Transitivität: Akkusativrektion mit möglichem Korrelat (doppelter
Akk), Passivierung (a citi, a iubi); 2. schwache Transitivität: im Übergangsbereich ist die Akkusativrektion und das Korrelat möglich, die Passivierung nicht; auf der unteren Stufe der Transitivität ist
die Akkusativrektion möglich, das Korrelat und die Passivierung aber nicht, z.B. Besitz-, Modalverben, Verben für physische/ psychische Zustände (O am pe bunica la mine; Vreau casa, nu livada; Pe
mine mă doare spatele/ mă miră situaţia), lokative Verben (Întreaga informaţie o cuprinde/ conţine rezumatul), relationale Verben der Äquivalenz (Noutatea o constituie/reprezintă interpretarea,
Pe mine curajul m-a costat viaţa), bitransitive Verben (obiect direct şi secundar: a anunţa, învăţa,
ruga pe cineva ceva, a trece pe cineva strada), Verben, die je nach Gebrauch alle, keine oder nur teilweise die Transitivitätsproben bestehen (Caut menajeră- Îl caut pe Ion; prädikative vs. individuelle
Lesart: obiect direct vs. e.p.s./ complement als calităţii). Infinitive, Partizipien I können beide Transitivitätsproben bestehen, Partizipien II, Supine nur teilweise, z.B. Termin/Mi-e greu/Se apucă de citit
cartea. (Pană-Dindelegan 2003:107)
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Der Valenzbegriff in der rumänischen Linguistik. Eine kontrastive Darstellung deutsch-rumänisch
gende Prädikatbezeichnungen: predicat desinenţial (verbales Prädikat), predicat intonaţional (adressative Intonation der 2. Person), propredicat (Infinitiv,
Partizip I, sekundäres Prädikat bei Diaconescu 1989). Das Prädikativ wird
ebenfalls unterschiedlich benannt: e.p.s., predicativ suplimentar (GA), adjunct
verbal derivat (Draşoveanu), nume predicativ secundar (Diaconescu), nume
predicativ circumstanţial (Rădulescu), complement predicativ (Irimia), subordonat cu dublu regent, complement al calităţii usw.
In der AKADEMIE-GRAMMATIK (GA 22005) ist eine wesentliche Neuerung die
Einbeziehung der theoretischen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte, v.a. der
strukturalen (Dependenz, Nondependenz/ Koordination, Äquivalenz/Apposition) und funktional-diskursiven. Manche syntaktischen Funktionen wurden
ausdifferenziert und interpretiert (compl. secundar vs. direct, compl. prepozitional vs. indirect, compl. posesiv vs. atribut und compl. indirect, „comparativul
ca tip de complement obtinut din reorganizari sintactice, şi nu ca tip de circumstanţial, recunoaşterea unui complement predicativ al obiectului separat de predicativul suplimentar“). Das Prädikat ist einfach oder komplex, letzteres wird
syntaktisch, semantisch und pragmatisch beschrieben. Die (modalen) Adverbialbestimmungen wurden nach Position hierarchisiert („distingerea între circumstanţialul de mod propriu-zis şi specia lui, de modalitate, şi, în general, între
manifestările sintactice ale circumstanţialelor şi cele metadiscursive ale unora
dintre ele (vezi circumstanţialul de relaţie, cauză, scop, concesiv, condiţional)”,
GA 2005/II:11). Die Dependenz ist eine binäre Vorkommensrelation:
(...) asociere binară, corelând un termen privilegiat (regentul) - a cărui omisiune perturbă sau chiar anulează organizarea enuţului - cu un termen dependent (subordonat), de regulă omisibil fără se se altereze caracterul de
enunţ al construcţiei. (...) Totalitatea relaţiilor de dependenţă (obligatorii) la care
un termen poate participa concomitent cu statut de regent reprezintă matricea
lui sintactică (enunţ ca grup unitar, substructură sintactică). (GA 2005/I:20-35).
Die Dependenz ist bilateral (Interdependenz, z.B. Subjekt-Prädikat) oder unilateral (Regens-Adjunkt, ein oder zwei Regentien, z.B. nume predicativ/complement secundar+compl. direct: Casa este mare, Îl învaţă poezia, să scrie;
auch in Konstruktionen mit predicativ suplimentar, circ. opoziţional, cumulativ,
sociativ, de excepţie). Sie wird auf Satzebene durch Kongruenz, Rektion, Junktion und Wortstellung realisiert, auf Satzgefügeebene durch Konjunktionen
und Relativpronomen/ adverbien.9 Während die strukturale Perspektive die
9 „Relaţia de dependenţă sau de subordonare reprezintă relaţia fundamentală în funcţie de care se
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Beziehungen zwischen Regens und Dependens bzw. zwischen Dependentien
beschreibt, berücksichtigt die funktional-syntaktische Perspektive auch die paradigmatischen Relationen, die Funktionen verschiedener Regentien (E, Kasus und thematische Rollen des Adjektivs, Verbs, Adverbs, der Interjektion)
und die Merkmale verschiedener, auch kontextuellen Funktionen („principiul
universal al „unicităţii”, potrivit căruia nu pot apărea două compliniri de aceeaşi natură în acelaşi domeniu sintactic). Verben, Adjektive und Adverbien
üben Kasusrektion aus, Substantive regieren aufgrund der Kongruenz (acord)
das Adjektiv bzw. aufgrund der Kasusrektion weitere Substantive, Pronomen
im Genitiv, Dativ, Präpositionen in anderen Kasus. Subjekt und Prädikat stehen in Interdependenz („dependenţă bilaterală prin prezenţa unei influenţe
reciproce: dinspre verb asupra nominalului- atribuirea cazului nominativ, dinspre nominal asupra verbului sub forma restricţiilor privind numărul şi
persoana”). Phrasen (centru+adjuncţi) sind semantisch-syntaktisch verbal
oder nominal (GV, GN, Gadj, Gadv, Gprep, Ginterj, z.B. răspunsul colegului tău,
apă bună de băut), PP sind Teil anderer Phrasen. Das Verb ist Nukleus der semantisch-syntaktischen Grundstruktur des Satzes und syntaktischer Kern einer VP (verb personal/impersonal, copulativ/ noncopulativ, atributiv (a numi,
desemna, boteza), reflexiv/nonreflexiv); semantisch bezeichnet es Zustände,
Ereignisse, Handlungen, pragmatisch kennzeichnet es sich durch Tempus,
Modus, Person, Genus.
Sub aspect sintactic şi semantico-sintactic verbul în calitate de centru al GV
îşi atrage în funcţie de trăsăturile lui semantico-sintactice inerente (matriciale), actanţii (argumentele), reprezentaţi prin nominale şi echivalentele lor
sintactice: forme verbale nepersonale şi propoziţii, cărora le atribuie funcţii
organizează informaţia care se comunică. Se caracterizează prin existenţa unui termen obligatoriu
exprimat şi neomisibil (denumit regent, a cărui absenţă determină dezorganizarea enunţului) şi a
unui termen dependent, care, de regulă, poate fi omis. Absenţa termenului dependent anulează relatia de dependenţă, dar nu dezorganizează enunţul privit ca unitate sintactică (compară: Văd o
floare frumoasă./ Cade o floare; Vine la Bucuresti./ Vine). În cazul anumitor verbe, complinirile
sunt obligatorii: Locuieşte la Bucureşti/*Locuieşte; El angajează colaboratori/ *El angajează.”
(2005/II:16). „Relaţiile actanţiale sunt relaţii obligatorii, fiind determinate de conţinutul conceptual-semantic al verbului. Ele sunt relaţii de tip necircumstanţial, angajând poziţia subiectului şi a
complementelor direct, indirect, secundar şi prepozitional, şi se realizează, în mod curent, prin nominalele din poziţii necircumstanţiale” (2005/I: 333). „Complementele sunt determinate de restricţiile sintactice ale centrului, circumstanţialele de relaţiile sintactico-semantice faţă de centru,
atributul reprezintă nu o funcţie, ci o poziţie sintactică, reunind orice alt component al grupului nominal în afara centrului de grup, atributele sunt individualizante, categorizante, de cuantificare,
apreciative, posesive, uneori exprimând şi relaţii circumstanţiale.” (GA 2005/II:8)
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Der Valenzbegriff in der rumänischen Linguistik. Eine kontrastive Darstellung deutsch-rumänisch
semantice (roluri tematice: agent, pacient, experimentator, beneficiar, sursă,
ţintă, locativ) şi le impune restricţii de formă (caz, prepoziţie, conjuncţie,
topică). (GA 2005/I:325)
Die Verbergänzungen („compliniri cuprinse în matricea semantico-sintactică
a verbului, cărora verbul le impune rolul tematic şi restrictia de formă (caz,
prepoziţie)”) werden in drei Gruppen klassifiziert: complemente necircumstanţiale şi subiect, predicative (nume predicativ, complement predicativ al
obiectului), circumstanţiale (determinări obligatorii). Die Obligatheit kann
syntaktisch-semantisch (obligatorische E) oder rein syntaktisch sein (obligatorische oder fakultative E), bezogen auf die syntaktischen Varianten und auf
die Homonymie. Die Verbergänzungen sind: direktes/ indirektes/ präpositionales Objekt, realisiert durch persönliche Verben (a, de) oder als NS (direkte/ indirekte Rede). Nach der syntaktischen Obligatheit werden folgende
Valenzklassen unterschieden: verbe zerovalente (ninge, plouă, se înserează),
monovalente (Copilul aleargă, plânge; Se apropie iarna; Se întâmplă un accident), bivalente (Ion citeşte cărţi, Îi pare rău de şcoală, Mă uimeşte indiferenţa, Îmi convine situaţia), trivalente (Profesorul mă învaţă, întreabă,
anunţă ceva/ îmi împrumută, trimite, oferă, recomandă o carte), tetravalente
(mit pS). Obligatorische Adverbial- und Prädikativergänzungen sind z.B. Ion
locuieşte în Bucureşti, Procedează corect, Ceasul valorează mult, şedinţa durează mult, Ion este student/ devine/ se face profesor, Ei l-au botezat/ numit
Ion/ uns episcop (vgl. GA 2005/I:336). Der Übergang von Transitivität zu Intransitivität ist graduell (syntaktisch und semantisch): tranzitivitate forte şi
slabă. Die syntaktischen Konstruktionen können passiv und unpersönlich,
reflexiv und reziprok, kausativ-faktitiv, komparativ, mit Prädikativ, Relativund Konjunktionalsätzen sein (2005/II:198ff.). NP haben ein Substantiv/
Pronomen als Kern, die Ergänzungen sind: Substantiv im G, D, Pronomen
und Numeral im G, D, Adjektiv (rein, pronominal, participial, gerundial), PP,
Partizip I, Gerundivverben, Adverbien, NS; semantische Funktionen sind Individualisierung, Quantifizierung, Modifizierung, Qualifizerung u.a.
4. Deutsch-rumänischer Vergleich und Ausblick
Bei einer kontrastiven Beschreibung des Deutschen und Rumänischen stößt
man zunächst auf die Unterschiede in der Terminologie. Im Rumänischen
gibt es Begriffsanpassungsversuche wie auch solche einer adäquaten Beschreibung der Dependenz- bzw. Valenzverhältnisse (z.B. der Vergleich der
SBP im Rumänischen und Deutschen bei Binder 1978, die Beschreibung des
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„predicat verbal/ nominal“ bzw. „predicat verbal simplu/compus“ bei Stănescu 1980 und ihre syntaktisch- semantische Valenzauffassung, der Versuch einer Überprüfung der Übertragungsmöglichkeit von Engels E/ AKlassen auf das Rumänische bei Steinke 1978 und Popa 1979). Die Ergänzungen („compliniri“) sind:
- Esub/ Subiect/ complinire în nominativ/CN, z.B. El a ajuns acasă (subiect
gramatical), Merg la şcoală (subiect inclus), Când are timp, merge la film (subiect
subînţeles), Sună (subiect nedeterminat); das logische Subjekt ist „complement de
agent“ (Elevul este ascultat de profesor) oder „complement indirect“ (Îmi trebuie
bani); Eakk/complinire în acuzativ/ CA (Văd maşina; Te văd pe tine), Edat/
complinire în dativ/ CD, Eprp/ complinire prepoziţională/ cprep (Matei explică totul bătrânului/ la bătrân), sekundäre Eakk/ complinire secundară în
acuzativ/ CA 2 (Profesorul mă ascultă lecţia), complinire circumstanţială şi cantitativă (timp, loc, direcţie, mod, cauză, z.B. El învaţă noaptea; Vine de la Bucureşti;
El adună spicele mănunchi; El învaţă lecţia două ore; El mănâncă puţin; El aleargă 10
km; El cântăreşte 10 kg; şedinţa durează două ore), complinire nominală/Cnom şi
adjectivală/ Cadj (El este leneş - CadjN, El este student- CnomN, Noi îl numim prostCadjA, Ei îmi spun Ion- CnomD/ prost- CadjD, Ei consideră energia nucleară un pericolCnomA), complinire verbativă (El mă pârăşte că fur; El consideră că am greşit). Alle
E-Klassen können durch einen Relativsatz aktualisiert werden, der Infinitiv steht für
Esub, Enom (A explica un fenomen înseamnă a-l lega de cauzele lui), Eakk (Nimeni nu
învaţă a înota fără să intre în apă), Eprp (M-a îndemnat a face o încercare). (vgl.
STĂNESCU 1980:140).
-subiect (exprimat (simplu, multiplu, dublu exprimat): Ion aleargă, La examen va reuşi
sau Ion, sau Gheorghe, Profesorul este şi el om; neexprimat (inclus, subînţeles, nedeterminat): Ajungând la facultate s-a pornit ploaia, Ion se pune pe plâns, Scrie în ziare; predicat (semantic, sintactic, al enunţării, simplu vs. complex, locuţional, încorporat), nume
predicativ (identificator: este fericit, apreciativ, calificativ: este blond şi răsfăţat, răbdător şi înţelegător, locativ: este bucureştean; qualifikative komparierbare, seltener klassifikative Adjektive), compl. predicativ al obiectului (a boteza, alege, angaja, desemna,
unge, numi, zice, chema, denumi, intitula, a lua drept), predicativ suplimentar
(calificativ/apreciativ, integrator/categorizant, de identificare, posesiv, partitiv, circumst.
de loc, timp, cauză, concesie, rezultat: o simt supărată, l-a facut prost, pisoiul a murit
sfâşiat de un câine, a trăit bolnavă de diabet încă douăzeci de ani bzw. rezultativ: mă
lasă pustiit, veştejit şi amorţit, descriptiv: a plecat, enervată la culme de prezenţa lui),
complemente: direct (mă felicită), secundar (m-a rugat, întrebat ceva), indirect (Ion îţi
trimite nişte cărţi), prepoziţional (Mă gândesc la Ion), de agent (Rolul a fost bine interpretat de către X), posesiv (Ion îşi respectă părinţii,ţi s-a auzit vocea, Lui Ion i se bate
ochiul), comparativ (Casa e cea mai ieftină dintre toate), circumstanţiale: timp (Acum
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Der Valenzbegriff in der rumänischen Linguistik. Eine kontrastive Darstellung deutsch-rumänisch
plouă), loc (El pleacă acasă), mod (Dana doarme bine/ probabil), instrumental (Scriu
cu creionul), sociativ (Merge la mare cu prietenii), cantitativ (Cântăreşte enorm/ 200 g),
relaţie (Este as la matematică), cauză (Nu vorbeşte cu mine, pentru că s-a supărat), scop
(Stă în pat ca să se refacă), condiţional (Dacă reuşeşti, bravo ţie!), concesiv (Fotografia
era frumoasă, deşi neclară), consecutiv (Striga, încât te asurzea), opoziţional (Munceşte
în loc să trândăveşti!), cumulativ (În afară de flori, a primit bomboane), de excepţie (Au
citit toţi, afară tine), atribut (discursuri scurte, referiri vagi), apoziţie (A plecat marţi, 6
august, seara târziu). Komparative Konstruktionen: comparaţie calitativă (casa e ca o
ciupercă), cantitativă (casa e mare cât un palat), de egalitate/inegalitate (ca, precum, cât,
decât, cum). Vgl. GA 2005/II:198.
Nicht alle E-Klassen bei Engel liegen im Rumänischen vor, ebenso liegen nicht
alle in rumänischen Grammatiken beschriebenen Kategorien bei Engel vor. 10
Engel bestimmt sie durch Anaphorisierung als Glieder, die mit dem Verb in
syntagmatischer Beziehung treten, sie sind v.a. morphosyntaktische Kategorien, die nur sekundär auf ihre semantischen Folgen hin beschreibbar wären
(Subklassenspezifik sei in erster Linie Kombinierbarkeit mit einer Formkategorie, morpho-syntaktische Erscheinung im KVL). Eine semantische Beschreibung der E-Klassen ist, wenn auch nur begrenzt, bei Pană- Dindelegan zu finden.11 Stănescu (1986) zeigt die Ähnlichkeiten und Unterschiede im SBP und
in der Aktualisierung der Ergänzungen im Rumänischen und Deutschen (aus
dem SM-Register 1975 des IDS- Mannheim), z.B. nur rumänisch: CN-CA-Cmod (El vorbeşte pe toată lumea de rău), CD-Cprep-Cmod (Îmi pare bine
de situaţie), nur Deutsch: Satzmuster mit obligatorischem, nicht anaphori10 Rumänisch: Esub nicht immer aktualisiert (inbegriffene, mitverstandene, unbestimmte Subjekte);
Edat und Eakk diskontinuierlich und mehrgliedrig aktualisiert (pe, la), teils obligatorisch teils fakultativ durch die unbetonte Form eines Personalpronomens aufgenommen (l-am vazut pe...si i-am
spui lui); Verb- 20 E-Klassen (deutsch-rumänisch): Esub, Eakk, 2. Eakk, Edat, Eprp, Evrb, Elok,
Etemp, ErstreckungsE, Ekaus, Emod, Enom, Eadj mit Subjektbezug oder auf die AkkE (Nebenverben
sind: Partizip, Infinitiv, Nebensatzverben; für das Rumänische: Gerundialverben: Ne vede venind,
Subjunktivverben: Trebuie să citească, Supinverben: Termină de scris). Nur deutsch: Egen und
Edir, nur Rumänisch: E nom und Eadj mit bezug auf Edat. Adjektiv: Edat, Eprp, 15 E-Klassen: Eprp,
Esit, Edir, Enom, Evrb, Egrp,k,s, Enrm, Evgp,k,s. Rumänisch: keine Eakk, Egen; Substantiv: 15 Dependenzklassen, unscharfe Abgrenzung von Pertinenzdativ, Eprp, Evrb (subjektive und objektive Genitive als E). Realisierungsformen: vom einfachen Wort bis zu Phrasen mit einem Nicht-Verb als
Kern oder zu VP mit finitem Verb (HPTS, NS) oder mit infinitem Verb (Konstruktionen). (vgl. Stănescu 2006:1243)
11 „Neajunsurile analizei contextuale constau nu în existenţa unor excepţii … ci în imposibilitatea
găsirii criteriilor de predictibilitate a cazurilor, când o opoziţie 'categorială' (sau 'funcţionalăâ) şi una
'selecţională' sunt relevante şi invers, a cazurilor când aceleaşi opoziţii devin semantic nerelevante,
deci se neutralizează.“ (Pană-Dindelegan 1976:217)
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sierbarem „es“ (Es gießt) oder mit Egen. Von den 10 Satzmustern des Deutschen
treffen für das Rumänische zu: 01: NE-AE, 04: NE-PräpE, =14: NE-AE-PräpE,
intransitive FVG, 0: NE, transitive FVG, 06: NE-Edir, 013: NE-AE-DE, 05: NE-Esit.
Die Verbklassifikationen im KVL und bei Pană- Dindelegan stimmen bis zur
strikten Subkategorisierungsebene überein und treffen dieselben Unterscheidungen „valenzgebunden/ weglassbar/frei“, „obligatorisch/fakultativ“. Sie lassen sich syntaktisch-formal verfeinern aufgrund von Beschreibungen der Kategorien, die die einzelnen Funktionen/ E-Klassen aktualisieren, und können
mit Beschreibungen von Dependenzrelationen tieferen Grades (z.B. in NP,
AdjP), von oberflächenstrukturellen Erscheinungen (Topik, Intonation, Erweiterung durch Angaben) oder durch eine Verbsemantik im Sinne Fillmores ergänzt werden. Vergleicht man die dependenztheoretischen Begriffe der KGdr
mit den rumänischen, so nähert sich Pană-Dindelegan am meisten an Engels
Begriffe; Statis Beschreibungen weichen stark von Engels formalisierbarem
Dependenz-/ Valenzbegriff ab. Das deutsch-rumänische VLdr (1983) und die
KGdr (1993) untersuchen die kombinatorische Bedeutung: semantische Valenz in eckigen, morphosyntaktische Valenz in spitzen, Fakultativität in runden Klammern (kategorielle Merkmale - Kleinschrift, relationale - Großschrift). Die Unterschiede zwischen den Sprachen liegen nicht in der aktantiellen Struktur sondern in der syntaktischen Organisierung (unübersehbare
Ähnlichkeiten zur KGdr, die Dependenz und Valenz musste v.a. beim Satz und
NP neu bearbeitet werden).
Zu den Aufgaben der Linguistik zählen die Beschreibung des Deutschen und
Rumänischen als DVG hinsichtlich der Erstellung von systematischen, zunächst selbständigen Grammatiken, die Festlegung der Entsprechungen anhand eines (gleichen) Beschreibungsapparats, das weniger bei Terminologien als bei dem Benannten/ Bezeichneten ansetzt, und die Verwendung bei
abweichenden Fällen der im muttersprachlichen Unterricht üblichen Terminologie. Der Valenzbegriff in der rumänischen Linguistik bedarf einer näheren Untersuchung und Systematisierung, insbesondere hinsichtlich der Erstellung kontrastiver deutsch- rumänischen Valenzwörterbücher, z.B. die
Neubearbeitung und Erweiterung des VLdr und die Erstellung von Nomenund Adjektivvalenzwörterbücher. Nicht zuletzt sind die Untersuchungen und
Beschreibungen der Valenz besonders geeignet für die systematische Darstellung der deutschen und rumänischen Sprachstruktur und ihre didaktische Anwendung beim Fremdsprachenlernen, wobei ein wichtiger Vorteil in der benutzerfreundlichen, lernerorientierten Vermittlung der grammatisch richtigen
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ZGR 2 (44) / 2013
Der Valenzbegriff in der rumänischen Linguistik. Eine kontrastive Darstellung deutsch-rumänisch
Strukturen und in der übertschaubaren, empirisch überprüfbaren kontrastiven
grammatischen und lexikographischen Valenzbeschreibung liegt.
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Abstract:
The valency theory and the dependency grammar are part of the description of the
german language and represent an important evolution phase in the linguistics, with
practical use in the foreign language learning and teaching, in lexicography, computational linguistics and translation. The development of the theory of valency has as
a consequence the description of valency and dependency on various levels (morphosyntactic, logical-semantic, communicative-pragmatic) and the analysis of the valency of different word categories (nouns, adjectives) after the model of verb-valency
(similarities and differences), as well as their description in correspondent valency
dictionaries. The present paper presents the concept of valency and dependency in the
romanian linguistics and compares it with the various approaches and valency theories
in the german linguistics (similarities, differences in concept and description). The
purpose is the practical use of the linguistic theories in contrastive descriptions of the
german and romanian language structures, in contrastive grammars and bilingual
valency dictionaries. An important aspect is also the successful use of the valency theory
and dependecy grammar in the process of foreign language learning and teaching.
Schlüsselwörter: Linguistik, Dependenz, Valenz, Ergänzungen, Angaben, kontrastive Grammatik.
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DAS UNBEKANNTE IN DER ZIELKULTUR.
Zum Transfer kultureller Einheiten in der Translation
Eve Draganovici
1. Einleitung
Zweisprachige Kompetenz setzt nicht obligatorisch bi-kulturelle Kompetenz
voraus, so dass eine Übersetzung äußerst befremdend, unverständlich oder
irritierend ausfallen kann, falls im Texttransfer kulturelle Elemente übersehen oder nicht der zieltextlichen Funktion entsprechend verarbeitet werden.
Deshalb ist in der Ausbildung der Translatoren eine besondere Aufmerksamkeit der Bewusstmachung dieser Komponente im Übersetzungsprozess zu
schenken. Im Übersetzungsunterricht (Theorie und Praxis des Übersetzens)
ist das Thema des Kulturtransfers bei den Studenten nicht nur besonders Interesse weckend, sondern gibt ihnen auch die Möglichkeit, die theoretischen
Kenntnisse einzusetzen, beweist aber gleichzeitig, wie sehr die Ausbildung
bzw. die Entwicklung zu einem Translator ganzheitlich erfolgen muss.
Die Arbeit setzt sich als Ziel verschiedene Einstellungen zum transkulturellen Transfer von kulturellen Einheiten zu untersuchen und gleichzeitig eine
Reihe von Prozeduren vorzustellen, die je nach Fall eingesetzt werden können. Übersetzung wird in der Arbeit so weit gefasst, wie es Gerzymisch-Arbogast vorschlägt, und zwar als multidimensionale Translation, damit werden
sämtliche Textsorten mit einbegriffen. H. Gerzymisch-Arbogast geht davon
aus, dass obwohl die Definitionen1 dessen, was Übersetzen sein soll, unterschiedlich ausfallen, sie doch als Gemeinsamkeit den Transfer haben und definiert die Übersetzung, ohne sie einzugrenzen als:
eine Translation, bei der das in einem Medium 1 verfasste Original (des geäußerten Anliegens des Sprechers/Hörers) über ein Medium 2 oder mehrere
andere Medien in ein anderes Zeichensystem 2 oder mehrere Zeichensysteme übertragen wird. Wesentlich ist dabei, dass ein Anliegen oder Interesse
in geäußerter Form vorliegt, dass der Transfer zweckgebunden erfolgt und
einen Medien- und Zeichensystemwechsel implizieren kann. (GerzymischArbogast 2005:25)
2. Sensibilisierung für das Unbekannte
Das Unbekannte ist das, was im Prozess einer interkulturellen Kommunikation zu Missverständnissen, zu Nichtverstehen führen oder irritierend sein
1 Als Beispiel bringt sie die Definitionen von Catford (1965), Koller (1972), Jakobson (1959)
Nida/Taber (1974) und Reiß/Vermeer (1991).
Eve Draganovici
kann, als befremdend empfunden wird, im Falle einer Translation, vom
Zieltextrezipienten. Der Translator als Kulturmittler hat die Rolle, die Kommunikation reibungslos zu ermöglichen und die Verständigungshindernisse
zu beseitigen, soweit vom Auftraggeber erwünscht oder in dem von ihm erwünschten Maß2.
Das heißt, dass im Übersetzungsunterricht vorerst darauf hingewiesen werden muss, indem gezielt Texte, im weitesten Sinne des Begriffs, als Arbeitsmaterial verwendet, einer Analyse unterworfen werden, ausgehend von
der Textsorte selbst bis hin zu sprachlichen aber auch verhaltensspezifischen, ethnografischen u. a. kulturellen Besonderheiten. Um kulturelle Einheiten identifizieren zu können, was viele erfahrene Übersetzer mehr oder
weniger schon bewusst tun, dafür müssen die Studierenden trainiert werden.
3. Bestimmung kultureller Einheiten im Text
Schon seit den achtziger Jahren wird die Translation als eine Sondersorte
kulturellen Transfers definiert, als eine interkulturelle Handlung (Reiß/Vermeer 1991:13). Die kulturelle Perspektive führt dazu, dass Begriffe neu definiert werden (vgl. Hennecke 2009) und den textexternen Faktoren, der pragmatischen Textdimension besondere Beachtung geschenkt wird, z.B. Katharina Reiß oder Christiane Nord, die für die Ausgangstextanalyse außersprachliche Determinanten bzw. textexterne Faktoren vorschlagen oder die
von Holz-Männttäri aufgestellte Theorie, in der der Übersetzer Experte für
transkulturelle Botschaften (Holz-Mänttäri 1986:354) ist, der für den transkulturellen Transfer des Produktes (Translat), die Adaptation, ausschließlich
die Verantwortung übernimmt, nachdem der Auftraggeber oder der handelnde Experte (der Übersetzer) die Funktion und das Ziel der Übersetzung
festlegt.
Robert Politzer spricht 1966 von „kulturbedingten Übersetzungsproblemen“,
für deren Transfer es keine Möglichkeiten gibt (vgl. Reiss 1971:78) und Otto
Kade verwendet dafür zwei Jahre vorher den Begriff Realie und definiert sie
als „sozial-ökonomische und kulturelle (im weitesten Sinne) Erscheinungen
und Einrichtungen, die einer bestimmten sozial-ökonomischen Ordnung,
bzw. einer bestimmten Kultur eigen sind“ (Kade 1964:99), Reiß hingegen
2 Schon in der Antike ist die Dichotomie von Wort und Sinn Gegenstand von Auseinandersetzung zwischen den Übersetzern.
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ZGR 2 (44) / 2013
Das „Unbekannte“ in der Zielkultur. Zum Transfer „kultureller Einheiten“ in der Translation
nennt sie 1971 ortsbezogene Determinanten. (Reiß 1971:78).
Elisabeth Markstein (1998:288) ergänzt die geläufige Definition3: „Die Realien sind Identitätsträger eines nationalen/ethnischen Gebildes, einer nationalen/ethnischen Kultur - im weitesten Sinne -und werden einem Land, einer Region, einem Erdteil zugeordnet.“ und unternimmt den Versuch ihn
von den Begriffen Termini, Dialektismen, Barbarismen und dem exotischen
Wortschatz abzugrenzen. Denn nicht alles was Unbekannt ist, muss auch
eine kulturelle Gegebenheit sein. Sie zählt den exotischen Wortschatz, d.h.
die Naturalien, „spezielle meteorologische Phänomene Flora und Fauna einer Region“ (Bödeker/Freese 1987:138) nicht zu den Realien und nimmt
eine Einteilung vor: eingebürgerte (keine Übersetzung nötig) und fremd gebliebene (Übersetzung nötig) Realien. Trotz des Versuchs sie zu unterscheiden, weist sie darauf hin, dass gelegentlich die Bestimmung einer Realie
auch von anderen Faktoren abhängt, wie z.B. Textsorte, Funktion des Zieltextes in der Zielkultur oder Zielpublikum.
Christiane Nord versteht unter Realien sowohl Gegenstände als auch Phänomene, „die nur in einer bestimmten Kultur vorkommen und daher für Angehörige anderer Kulturen oft unbekannt oder schwer verständlich sind
[...].”(Nord 2002:233) Es muss noch hinzugefügt werden, dass Koller und
Bödeker/Freese, die letzteren in Anlehnung an Coşeriu, zwar von Realien
sprechen, wobei aber diese nicht übersetzt werden können, sondern nur deren Bezeichnung, und verwenden dafür den Begriff Realienbezeichnung.
Ein weiterer Begriff, der für die Bezeichnung kultureller Einheiten verwendet
wird, ist das Kulturem, den Els Oksaar etabliert hat, und damit das „Verhaltenweisen im Kommunikationsakt, realisiert durch verbale, parasprachliche,
nonverbale und extraverbale Behavioreme“ (Oksaar 1988: 28) beschreibt.
Während das Kulturem die abstrakte Einheit ist, ist das Behaviorem (aus der
Soziologie übernommen) die Realisierung des Kulturems in einem kommunikativen Akt, ein konkretes Verhalten. Es beschreibt das kulturell verschiedene Verhalten von Personen in einzelnen Kulturkreisen, es geht dabei um
konventionalisierte verbale, para- (Melodie, Rhythmus…) und nonverbale
(Mimik, Gestik, Körperbewegung) und extraverbale (Zeit, Raum, Proxemik,
soziale Variablen) Ausdrucksweisen innerhalb kommunikativer Akte.
3 „Element des Alltags, der Geschichte, der Kultur, der Politik u. drgl. eines bestimmten Volkes, Landes, Ortes, die keine Entsprechung bei anderen Völkern, in anderen Ländern, an anderen Orten hat.“ (Markstein 1998:288)
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Eve Draganovici
Vermeer/Witte passen den Begriff der Translationswissenschaft an und bestimmen, dass von einem Kulturem gesprochen werden kann,
wenn sich feststellen lässt, dass ein gesellschaftliches Phänomen im Vergleich zu 'demselben' oder einem unter angebbaren Bedingungen ähnlichen
einer anderen Kultur (!) ein Kulturspezifikum ist (also nur in einer der beiden miteinander verglichenen Kulturen vorkommt) und dort gleichzeitig für
jemanden (!) relevant ist. Ein Kulturem ist nach unserer Definition also ein
Phänomen aus einer Gesellschaft, das von jemandem als relevantes Kulturspezifikum angesehen wird. (Vermeer/Witte 1990: 137)
Das heißt, dass eine Kultur immer aus der Perspektive der eigenen Kultur
wahrgenommen wird, und sowohl Wahrnehmung als auch Interpretation
und Bewertung einer fremden Kultur von der eigenen beeinflusst werden.
Der Translator muss sich dessen bewusst sein, dass nicht alles für ihn Bekannte bzw. Selbstverständliche auch dem Zieltextrezipienten bekannt und
selbstverständlich ist.
Kann ein Phänomen in einer Kultur nicht angetroffen werden, sprechen die
russischen Ethnolinguisten von Lakunen (Lücken). Astrid Ertelt-Vieth setzt
den Terminus „lakuna“ als ein Instrument zur Analyse von Missverständnissen in interkultureller Kommunikation ein und arbeitet ihn weiter aus (Ertelt-Vieth 2003). Sie teilt die Lakunen für Analysezwecke, d. h. künstlich, in
drei große Gruppen ein: mentale Lakunen, Tätigkeitslakunen und gegenstandsbezogene Lakunen. Mentale Lakunen bezeichnen Unterschiede in allen kognitiven und affektiven Zuständen und Modellen. Tätigkeitslakunen
bezeichnen Unterschiede im Denken, Sprechen, Bewegen und anderen Tätigkeiten und Prozessen und die gegenstandsbezogenen Lakunen die Unterschiede in der Gestaltung der gegenständlichen Welt: Die zweite Dimension
der Lakunen bilden die axiologischen, die die kulturspezifischen Deutungen
von Lakunen oder auch von Gemeinsamkeiten bezeichnen.
Igor Panasiuk ergänzt mit der Lakunen-Theorie die Äquivalenz-Theorie, beschreibt das Verhältnis zwischen den beiden Begriffen folgenderweise:
die sich in einer umgekehrt proportionalen Beziehung zueinander befinden:
je größer der semantische Grad einer Äquivalenzrelation zwischen den zu
vergleichenden oder zu übersetzenden lexikalischen Bedeutungen ist, desto
geringer ist die semantische Intensität der Lakune. (Panasiuk 2005:276)
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ZGR 2 (44) / 2013
Das „Unbekannte“ in der Zielkultur. Zum Transfer „kultureller Einheiten“ in der Translation
Besteht eine totale Äquivalenz ist keine Lakune vorhanden, so dass von einer
Eins-zu-eins-Entsprechung gesprochen werden kann, eine partielle Äquivalenz gibt es, wenn eine relative Sprachlakune entsteht und eine Null-Äquivalenz im Falle einer absoluten Sprachlakune4. Damit bietet er eine andere
Herangehensweise an den Ausgangstext, eine Analyse, in der nicht nach
Äquivalenten gesucht wird, sondern auf „die interkulturellen Bedeutungsunterschiede, ihrer adäquaten Interpretation und der anschließenden Aufstellung der Äquivalenzrelationen“ gründet (Panasiuk 2005:278).
Sowohl Realien als auch Behavioreme und Lakunen entstehen nur im Augenblick eines Vergleiches zweier Kultursysteme. Während die Begriffe Realia und Behavioreme sich auf den Ausgangstext bzw. Ausgangskultur beziehen (augsangstextbezogen), werden Lakunen im Zieltext bzw. in der Zielkultur identifiziert (zieltextbezogen).
3.1 Transferphase: Transfermethode und Transferverfahren
Erst nach der Analysephase erfolgt der Transfer. Mit der funktionalen Wende verliert der Ausgangstext an Bedeutung und wird nicht mehr als eine eindeutig festgelegte objektivierbare Größe betrachtet, so dass Translation als
ein Informationsangebot betrachtet wird, ein Informationsangebot in einer
Zielsprache und deren Kultur. Was und wie übersetzt wird, die Übersetzungsmethode5 hängt von der Rezeption ab bzw. von der vom Auftraggeber
(oder Translator) für den Zieltext festgelegte Funktion. Für den Transfer eines Informationsangebotes schlagen Reiß/Vermeer ein „Modell mit mehreren Komplexitätsgraden“ (1991:120f) vor, von denen für die Über-Setzung
der kulturellen Einheiten, die Füllung der Lücken in der ZK auf die ersten
drei hingewiesen werden kann. Im ersten Modell erfolgt ein „(Teil)-Transfer
des kulturellen Hintergrundes“ (Reiß/Vermeer 1991:120), d.h. nicht nur die
verbalen Elemente werden einem Transfer unterzogen, sondern auch die
kulturellen. Im zweiten Modell wird der kulturelle Hintergrund bewahrt oder
eventuell nur teilweise übersetzt und im dritten Modell werden die kulturellen Werte nicht beachtet.
Nach der Festlegung der Übersetzungsmethode erfolgt der Transfer der kleineren Einheiten (angenommen die Textsorte selbst ist nicht eine kulturelle
4 Mehr dazu: Panasiuk 2005:210ff.
5 Weiteres dazu: Schreiber in Hornby, Hönig et al. (1998:151-154)
ZGR 2 (44) / 2013
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Eve Draganovici
Einheit), in diesem Fall, der kulturellen Einheiten. Dafür eignen sich die
Vorschläge der Übersetzungswissenschaftler6, die auf die 1958 von den Vertretern der Stilistique comparée, Vinay und Darbelnet, vorgeschlagenen
Übersetzungsverfahren gründen, unter ihnen Schreiber, der eine erweiterte
Klassifikation aufstellt (1998:220-222). Er geht in seiner Klassifizierung von
einzelnen Bereichen aus und schlägt folgende vor:
a. Lexik: lexikalische Entlehnung, lexikalische Ersetzung, lexikalischer Strukturwechsel
b. Grammatik: Wort-für-Wort-Übersetzung, Permutation, Expansion
vs. Reduktion, Intrakategorialer Wechsel, Transposition, Transformation
c. Semantik: semantische Entlehnung, Modulation, Explikation vs.
Implikation, Mutation
d. Paratexte
Für die Über-setzung der kulturellen Einheiten, d.h. Schließung lexikalischer
Lücken eignen sich die folgenden: lexikalische Entlehnung, Paratexte (kommentierende Übersetzung, Umschreibung, Fußnoten, Vor- und Nachworte)
Im Falle der Umfeldübersetzung, wo den textexternen Invarianten Beachtung geschenkt werden soll, können laut Schreiber die Paratexte eingesetzt
werden und die Adaptation d.h. „Anpassung an die Zielkultur bei situativer
Äquivalenz“ (Schreiber 1998:222). Wenn im Transfer der Textsinn den Vorrang hat, muss zur Adaptation gegriffen werden, zur Anpassung an die Zielkultur, hier kann von einer Übersetzung gesprochen werden, wenn ein minimaler Äquivalenzgrad erfüllt wird, wenn ein Verhältnis zum Ausgangstext
kaum oder überhaupt nicht mehr feststellbar ist:
Der minimale Äquivalenzgrad, der erreicht sein muss, damit man von einer
Übersetzung sprechen kann, liegt dann vor, wenn sich Invarianzforderungen
rekonstruieren lassen, auf denen das Verhältnis von AS- und ZS-Text beruht. (Schreiber 1993:59)
6 Wilss ist bestrebt ein didaktisches Modell für den Übersetzungsunterricht zu entwerfen, das
zur Verbesserung der Übersetzungskompetenz und zur Entwicklung der dafür nötigen Denkschemata beitragen soll. Er schlägt vor, das schemabasierte Verhalten im Übersetzungsunterricht zu üben. Die beiden Verfahrensmöglichkeiten, die vorgeschlagen werden sind: die wörtliche und die nichtwörtliche Übersetzung und er übernimmt ebenfalls die sieben übersetzungsprozeduralen Hauptklassen von der Stylistique comparée.
86
ZGR 2 (44) / 2013
Das „Unbekannte“ in der Zielkultur. Zum Transfer „kultureller Einheiten“ in der Translation
Schreibers Vorschläge können mit denen Katans ergänzt werden, der für die
Übertragung kulturspezifischer Elemente das: „Chunking7“ vorschlägt, wobei
er drei Arten von Chunking unterscheidet (vgl. Katan 2009:157ff.):
a. chunking up: die ausgangskulturspezifische Einheit wird verallgemeinert, d.h. eine hyperonymische Übersetzung erfolgt. (Analogiebildung)
b. chunking down: die ausgangskulturspezifische Einheit wird im
Zieltext mit einem Unterbegriff ersetzt, d.h. hyponymische Übersetzung.
c. chunking sideways: die ausgangskulturspezifische Einheit wird auf
derselben Ebene mit einem der Zielkultur relevanterem Element ersetzt.
In Extremfällen und nur wenn die Information des Zieltextes nicht zu leiden
hat, kann zur Auslassung gegriffen werden.
Die Literatur zu den kulturellen Einheiten bietet das nötige Instrumentarium
zu ihrer Identifizierung, zum Realisieren des kulturellen Transfers wird von
den von der Stylistique comparée vorgeschlagenen Strategien ausgegangen,
die sich auf die sprachlichen Ebenen begrenzen, die aber auch auf visueller
Ebene eingesetzt werden können.
3.2 Verfahren im Einsatz
Im Übersetzungsunterricht werden den Studierenden zur Erleichterung der
Identifizierung der kulturellen Einheiten vorerst Übersetzungen aus dem
Rumänischen zur Analyse vorgelegt (als bekannt vorausgesetzte Texte oder
Autoren) und mit der Übersetzung gewisser Textstellen beauftragt. Die Texte
wurden ohne Schwierigkeiten als Übersetzung erkannt, denn die Zugehörigkeit zu einer fremden Kultur wurde z.B. mittels der lexikalischen Entlehnung, die Direktentlehnung erkannt. Das Verfahren wird im Falle der Toponyme und der Personennamen herangezogen, sehr häufig im Transfer der
Volksliteratur in einen anderen Kultur- und Sprachraum, denn selten wird
eine einbürgernde Übersetzung dieser Texte erwünscht, so dass das Fremde
7 A.G. Miller führt den Begriff 1965 zur Beschreibung von Informationseinheiten ein. Chunks
sind bedeutungshaltige Einheiten, Wissenselemente, die einzelne Elemente zu größeren zusammenfassen.
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Eve Draganovici
in der Zielkultur bewahrt wird. Nur setzen bestimmte Eigennamen entweder
gute ausgangsspezifische Kulturkenntnisse voraus, sie sind an Konnotationen gebunden oder sind Phantasienamen und weder die Übersetzung noch
die Direktübernahme könnte die zu übermittelnde Information in die Zielkultur ohne Hilfsmittel wie erklärende Fußnoten oder definitorische Beschreibung wiedergeben.
Trotzdem entscheiden sich Übersetzer vereinzelt für diese Verfahren, ohne
in den Text einzugreifen, wie z.B. das Übersetzerteam, das Werke von I.L.
Caragiale übersetzt hat Ausgewählte Werke 20028. Hier sind Name und Gestalt eng verbunden und das vom Autor Intendierte wird nur teilweise wiedergegeben. Die Kinderbuchautorin Hedi Hauser versucht in ihrer Übersetzung der Geschichten von Păcală und Tîndală (nach Alexandru Mitru) diese
Hürde zu überwinden, indem sie je nach Fall die Personennamen übersetzet
oder sie als solche übernimmt und mit Fußnoten ergänzt.
Die Namen der beiden Hauptgestalten werden beibehalten, aber nur der eine
Namen wird etymologisch in einer Fußnote erklärt, Păcală „von „a păcăli“
(rum.) = jemanden übertölpeln, übers Ohr hauen” (Mitru 1975:7). Sie verzichtet auf eine Erklärung von Tîndală, obwohl das Wort vermutlich aus dem
Deutschen stammt. „tândálă Om care nu este bun de nici o treabă, care lucrează fără rost sau care își pierde vremea umblând de colo până colo. – Din
tândăli (derivat regresiv).“ und tândălí A-şi pierde vremea umblând de colo
până colo fără rost; a lucra încet, fără spor (şi cu lene). – Din germ. tändelen
„a glumi”, wobei tändeln auf das Frühneudeutsche tanderei, tänderei, tentelei ‘Spielerei, Possen’9 zurückzuführen ist. Beide Gestalten entsprechen Eulenspiegel aus der deutschen Volksliteratur und beide nutzen die figurative
Bedeutung aus und nehmen sie wörtlich, und spielen sowohl Reichen als
auch Armen Streiche, mit denen sie ihre Unzulänglichkeiten bloßstellen.
Eine weitere Gestalt in den Geschichten ist moş Albu: „C-apoi ştia moş Albu
o seamă de vorbe înţelepte şi de glume.“ (Mitru 1975:6) . In der Übersetzung
entscheidet sich die Übersetzerin für Mosch Albu, „Unser Mosch Albu kannte
viele kluge Redensarten und Sprichwörter“ (Mitru 1978:6), eine lexikalische
Entlehnung mit Anpassung an die deutsche Orthographie, ohne jedoch eine
Erklärung des Wortes zu bieten, so wie im Falle mancher Toponyme: Oropsiţi mit Fußnote: von „oropsit“ (rum.) ausgebeutet, verfolgt und Sărăca8 vgl. Draganovici, Mihai (2002:213-217).
9 http://www.dwds.de/?qu=tändeln (Zugriff am 10.02.2011.)
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Das „Unbekannte“ in der Zielkultur. Zum Transfer „kultureller Einheiten“ in der Translation
ni /“sărac“ (rum. = arm). Die konsequente Einfügung von Fußnoten mit Erklärungen könnte zu einer leichteren Rezeption des Zieltextes beitragen.
Ein als Übersetzungsauftrag den Studenten erteilter Text ist der Text
„Faul“10. Für diesen Text lautet der Übersetzungsauftrag: Übersetzt den Text
für die rumänischen Leser, indem die Funktion des Textes unverändert
bleibt, d.h. funktionskonstant. Schon im ersten Abschnitt treffen sie auf eine
kulturelle Einheit: „Faul sein ist wunderschön... das wissen wir spätestens
seit Pippi Langstrumpf. Aber doch nur, wenn damit das Faulenzen gemeint
ist und nicht etwa der faule Kompromiss oder gar der faule Apfel.“ Die Romangestalt war den Studierenden unbekannt, so dass sie eine Verbindung
zwischen faul und der Gestalt nicht herstellen konnten. Erst nach einer kurzen Recherche wurde Ion Creangăs Nică (Amintiri din copilărie) vorgeschlagen „---de pe vremea lui Nică a lui Creangă“ Sie entschieden sich für das Verfahren chunking sideways.
Anschließend wurde der Text „Der Osterhase ist los“11 übersetzt:
Gestärkt durch Osterpinze oder Osterlamm setzt man die Sightseeing-Tour
am besten am nahe gelegenen Ring fort, wo man prachtvolle Bauten wie
Universität, Rathaus oder Burgtheater besichtigen kann.
Dabei ging es hauptsächlich um zwei Begriffe Osterpinze und Osterlamm.
Die Vorschläge für die lexikalischen Lakunen waren entweder eine Analogiebildung, also chunking up: „prăjituri dulci şi sărate” oder die kommentierende Übersetzung: „Osterpinze (prăjitură dulce)” und „Osterlamm (prăjitură
sărată)”
Abschließend kann den Studierenden ein übersetzter multidimensionaler
Text für eine kritische Auseinandersetzung aus übersetzerischer Perspektive
gezeigt werden und hierfür sind standardisierte Werbespots oder Webseiten
besonders gut geeignet. Es können unter anderen Lakunen des kulturellen
Raums bzw. ethnologische Lakunen festgestellt werden. So wird z.B. in einem Katjes Werbespot (2007 im rumänischen Fernsehen ausgestrahlt) dem
kontextuellen Umfeld wenig Beachtung geschenkt. Der Text „Viele baden ja
zum Schönwerden in Milch…“ mit „Multe femei fac băi de înfrumuseţare în
lapte“. Die Studierenden identifizierten die vom Übersetzer übersehene kul10 http://www.dw.de/dw/article/0,,276008,00.html (Zugriff am 06.11.2010.)
11 http://www.wieninternational.at/de/content/der-osterhase-ist-los-de (Zugriff am 14.02.
2011.)
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Eve Draganovici
turelle Lücke im Verhalten und fanden es als befremdend. Es war ihnen
nicht bekannt, dass in Deutschland und Österreich Gesundheitsfarmen
Milchbäder anbieten und bei den Touristen sehr beliebt sind12, diese werden
aber in Rumänien zu dem Zeitpunkt, 2007, noch nicht angeboten13. In diesem Fall könnte nur eine teilweise Auslassung eingesetzt werden.
4. Fazit für den Umgang mit den kulturellen Einheiten
Der Herausforderung, kulturelle Grenzen zu überwinden, müssen sich die
Translatoren als Kulturmittler in ihrem beruflichen Alltag häufig stellen und
sie haben dafür sorgen, ihre Endprodukte dem Übersetzungsauftrag entsprechend zu gestalten. d.h. die kulturellen Elemente erkennen und einem transkulturellen Transfer unterziehen. Somit ist eine zielgerichtete Auseinandersetzung mit dem Umgang dieser in der Ausbildung unerlässlich, da die interkulturelle Kompetenz zu den elementaren translatorischen Kompetenzen
zählt. Die Ausbildung sollte ihnen die Grundlagen für den Umgang mit kulturellen Einheiten schaffen und ihnen das nötige Instrumentarium zu derer
Identifizierung bieten, theoretischen Hintergrund für den effektiven Einsatz
der verschiedenen Verfahren, die ausführlich und mit zahlreichen Beispielen
versehen werden.
Literatur:
1.
Bödeker, Birgit & Katrin Freese (1987): Die Übersetzung von Realienbezeichnungen bei
literarischen Texten: Eine Prototypologie. In: TextconText 2 2/3: 137–165. Heidelberg,
Julius Groos Verlag.
2.
Draganovici, Mihai (2002): D-l Goe… poate deveni Herr Goe… (?) in „Instalaţii pentru
mileniul trei – vol. 2”, Bucureşti, Matrix Rom Verlag 2002, S. 213-217
3.
Ertelt-Vieth, Astrid: How to Analyze and Handle Cultural Gaps in German Everyday Life
(from the Perspective of Exchange Students) Interculture-Online 4/2003 (www.interculture-journal.com/index.php/icj/.../12)
4.
Gerzymisch-Arbogast, Heidrun (2005): Multidimensionale Translation: Ein Blick in die
Zukunft. In: Mayer, F. (Hrsg.): 20 Jahre Transforum: Koordinierung von Praxis und Leh-
12 vgl. URL: www.Germany-tourism.
13 Erst 2009 wurden Anzeigen von 5 Sterne Spas gefunden, die neue Behandlungen und zwar
Milchbäder in Eselsmilch anboten. (vgl. z.B.URL: http://www.superbebe.ro/articol_1820
/spa_de_cinci_stele_in_bucuresti.html.)
90
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Das „Unbekannte“ in der Zielkultur. Zum Transfer „kultureller Einheiten“ in der Translation
re des Dolmetschens und Übersetzens. Olms, Hildesheim, S. 23-30
5.
Hennecke, Angelika (2009): Zum Transfer kulturspezifischer Textbedeutungen. Theoretische und methodische Überlegungen aus einer semiotischen Perspektive. In: Linguistik
online 37, 1/2009. www.linguistik-online.de/37_09/
6.
Holz-Mänttäri, Justa. (1986): Translatorisches Handeln – theoretisch fundierte Berufsprofile“ In: Snell-Hornby, Mary (Hrsg.): Übersetzungswissenschaft – Eine Neuorientierung. Zur Integrierung von Theorie und Praxis. Tübingen, Francke, S. 348-374
7.
Kade, Otto (1964): Ist alles übersetzbar? In: Fremdsprachen 2. S. 84-100.
8.
Markstein, Elisabeth (1998), Realia, In: Snell-Hornby, Mary et al. (Hrsg.): Handbuch
Translation. Tübingen, Stauffenburg Verlag, S.288-291
9.
Mitru, Alexandru (1975): Poveşti despre Păcală şi Tîndală, Bucureşti, Editura Ion Creangă
10. Mitru Alexandru (1976): Geschichte von Păcală und Tândală, Bukarest, Ion Creangă Verlag
11. Nord, Christiane (2002): Fertigkeit Übersetzen. Ein Selbstlernkurs zum Übersetzenlernen und Übersetzenlehren. Editorial Club Universitario, Alicante
12. Oksaar, Els (1988): Kulturemtheorie. Ein Beitrag zur Sprachverwendungsforschung. Göttingen: Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften in Kommission, Verlag Vandenhoeck&Ruprecht.
13. Panasiuk, Igor (2005): Kulturelle Aspekte der Übersetzung. Anwendung des ethnopsycholinguistischen Lakunen-Modells auf die Analyse und Übersetzung literarischer Texte.
In: Semiotik der Kultur/ Semiotics of culture, Band 3, Münster u.a.: LiT Verlag.
14. Reiss, Katharina (1971): Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzungskritik, München,
Max Hueber Verlag.
15. Reiss, K./Vermeer, H. J. (1991): Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie, Tübingen, Niemeyer Verlag
16. Vermeer, Hans J. & Witte, Heidrun (1990): Mögen Sie Zistrosen? Scenes & Frames &
Channels im translatorischen Handeln. TEXTconTEXT. Beiheft 3. Heidelberg, Groos Verlag.
17. Schreiber, Michael (1998): Übersetzungstypen und Übersetzungsverfahren In: SnellHornby, Mary et al. (Hrsg.): Handbuch Translation. Tübingen, Stauffenburg Verlag,
S.151-154
18. Schreiber, Michael (1993): Übersetzung und Bearbeitung. Differenzierung und Abgrenzung des Übersetzungsbegriffs, Gunter Narr Verlag, Tübingen
*****
Abstract: The unknown in the target culture: the transfer of cultural
units in the translation process
Each translation process implies a cultural transfer into the target culture, and if the
translator overlooks a culturally-bound unit or the transfer is not done according to
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Eve Draganovici
the function of the target text, it can be incomprehensible, strange or even annoying.
The aim of this paper is the transcultural transfer of culturally-bound units, their recognition and translation methods and the procedures that can be used. The paper
focuses on how the issue can be used in the translation classes for the future translators, for whom the sensitivity to cultural differences is essential.
Schlüsselwörter: kulturelle Einheiten, Übersetzung, transkultureller Transfer,
Verfahren.
92
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KULTUR UND LITERATUR
„WELTLITERATUR“ UND „CIVILISATION DE L’UNIVERSEL“:
Prolegomena eines deutschen und afrikanischen
Kultursynchretismus.
Amadou oury Ba
Einleitung
Zwei Worte, das eine von dem ehemaligen senegalesischen Präsidenten und
Dichter Senegals, das andere von einem der bekanntesten Vertreter der
deutschen Literatur, passen allzu gut zu einer Reflexion, die die Bemühungen zu einer globalen Gesellschaft begleitet. Auch die deutschsprachige Welt
und Afrika sind Teile dieser globalen Welt, die Dialogisch zueinander auf
verschiedenen Ebenen stehen. Dafür sind die zwei gewählten Persönlichkeiten, nämlich Goethe und Senghor, in unserer Reflexion von großer Relevanz.
Goethe prägte den Begriff Weltliteratur, Senghor den Begriff „civilisation de
l'universel“ auch „Metissage culturel“: Zwei Feststellungen untermauern
meine Darlegung. Die eine stammt von einem der größten Historiker Westafrikas, der Professor Joseph Ki-zerbo, der die Meinung vertretet:
Sonst ist Deutschland auf der historisch-politischen Landkarte eines afrikanischen Schülers, Studenten, oder Gebildeten weithin ein weißer Fleck. […].
Der Rest an Kenntnissen ist mit den Namen Goethe, Marx, Kaiser Wilhelm
und Hitler erschöpft.1
Die zweite Feststellung, die Demzufolge genauso pessimistisch klingt, ist geradezu paradigmatisch für das Afrikabild der Europäer im allgemeinen, bei
denen die Zeit vor den Türen des mittelalterlichen Afrika stehen geblieben zu
sein scheint. In der Tat, kein anderer Kontinent hat weltweit so ein kontroverses Bild wie Afrika. Mit Afrika verbindet man Kriege, Krankheiten und
ökonomischen Rückstand, obwohl das andere Afrika auch existiert, nämlich
das Afrika, in dem Veränderungen, Entwicklungen und Vertrauen in die Zukunft auftreten. Trotzdem ändert dies nur bedingt das bestehende Afrikabild.
Wenn man diese Bilder von Afrika und der schwarzen Welt analysiert, so
findet man die gleichen seit 300 Jahren: der Schwarze als Wilder, als Barbar
und als Urtümlicher. Gewiß, diese Bilder sind verdreht und schief, aber sie
sind die gleichen geblieben.2
1 Joseph Ki-Zerbo: Geschichte Schwarzafrikas. Fischer Verl., Frankfurt/Main 1978, S. 15.
2 Mosquito, entwicklungspolitische Zeitschrift der Schweiz. Nr. 7. Zürich 1998, S. 8.
Amadou oury Ba
Senghor, der Negritude-Dichter, drückte in seiner politischen und dichterischen Tätigkeiten mehrmals seine Position über kulturelle Differenzen aus.
Diese lässt sich verstreut in vielen Werken, Gedichten, philosophischen genauso wie politisch-theoretischen Schriften zurückverfolgen. In unter anderem der Reihe der Werke Liberté I bis 5, lassen sich systematisch alle
(inter)kulturellen Themen, die von den Anfängen der Negritude-Bewegung
in Paris der 1930er bis zu der Zeit während seiner Tätigkeit als Staatspräsident und Dichter Revue passieren.
Bedingt durch die Wirrungen der postkolonialen Zeit und vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges modifizierte er seine Auffassung über Differenzen und kulturellen Synkretismus, die in vielen Konzepten und Redewendungen münden werden. Zwei der bekanntesten Konzepte sind „Civilisation
de l'universel“ und „Métissage cuturel“. beachtlich ist nur, dass diese spätere
Konzeption des kulturellen Synkretismus über Teilhard de Chardin3 hinaus
auch Goethe nachempfunden wurde.
Dieser Beitrag setzt sich also zum Ziel, die deutsche und afrikanische Konzeption und Vertextung von Ähnlichkeiten und Synkretismus anhand Goethes Verständnis eines Gebens und Nehmens und Senghors Konzept der
„Civilisation de l'universel“ zu erörtern. Dieser interkulturelle Ansatz legitimiert zunächst die Verwurzelung in die eigene Kultur und erst dann die Öffnung zu fremden Einflüssen, wie im Folgenden veranschaulicht sein wird.
„Weltliteratur“ eine teleologische Skizze
Kein anderer als Goethe plädierte so stark für den Begriff Weltliteratur, der
über das partikulare hinaus auf Kosmopolitismus und Universalität abzielte.
Gemäß dem Duden, heiße Weltliteratur die „Gesamtheit der hervorragendsten Werke der Nationalliteraturen aller Völker und Zeiten“4. Dies ist paradigmatisch für die Epoche, in der dieser Begriff entstanden ist. Rasch durchgesetzt hat sich dieser Position des späten Goethes auch im Ausland mit dem
in London publizierten Werk von J. T. Shipleys (Dictionary of World Literature) und im „Maksim-Gorkij-Institut für Weltliteratur“ in mehr Bänden
3 Vgl. Léopold Sedar Senghor: Pierre Teilhard de Chardin et la politique africaine. Editions du
Seuil, Paris 1962.
4 Zu Weltliteratur siehe: http://www.duden.de/rechtschreibung/Weltliteratur Online: 17.10.
2012, 8:29.
96
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Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
publiziertes Werk wie Istorija vsemirnoj literatury.5 Ähnlich in London und
in Moskau äußerte sich das benachbarte Frankreich durch Madame de Stäel
auch über dieses vielversprechende Konzept von Weltliteratur. Ihre Position
ist, dass die nationale französische Literatur durch eine allzu dichte Einengung in nationalen Grenzen verarme. Sterilität, Monotonie und mangelnde
Spontaneität seien die Drohungen, denen Frankreich durch die bloße Auseinandersetzung mit heimatlicher Dichtung ausgesetzt sei. 6 Ihr nach, sollte
eine neue Richtung eingeschlagen werden, die durch ausländische Auseinandersetzung mit französischer Literatur eine neue Perspektive und mehr Inspiration bringen würde.
Les nations doivent se servir de guide les unes aux autres, et toutes auraient
tort de se priver des lumières qu'elles peuvent mutuellement se prêter. Il y a
quelque chose de très singulier dans la différence d'un peuple a un autre: le
climat, l'aspect de la nature, la langue, le gouvernement, enfin surtout les
événements de l'histoire, puissance plus extraordinaire encore que toutes les
autres, contribuent a ces diversités, et nul homme, quelque supérieur qu'il
soit, ne peut deviner ce qui se développe naturellement dans l'esprit de celui
qui vit sur un autre sol, et respire un autre air: on se trouvera donc bien en
tout pays d'accueillir les pensées étrangères; car, dans ce genre, l'hospitalité
fait la fortune de celui qui reçoit.7
In den Gesprächen mit Eckermann vor allem am 31. Januar 1827, soll dieser
Begriff in den „Sprach und Denkschatz“ der deutschen eingegangen sein, so
Hans Mayer. Ein anderer Hinweis besagt, daß dieser Begriff zum ersten Male
bei einem im Jahr 1827 gehaltenen Interview in einer Zeitung namens Ueber Kunst und Altertum auftaucht. Seine Konzeption eines Miteinanders der
Literaturen verschiedener Nationen führt zu einer Wechselwirkung, einem
bereichernden Austausch. Demzufolge soll über die heimatliche Dichtung
hinaus der Blick in Richtung fremder Kulturen gefördert werden. Goethe
präzisierte dabei weiterhin den Zweck seines Schaffens, indem er sagte:
5 Hendrik Birus: Goethes Idee der Weltliteratur Eine historische Vergegenwärtigung. In:
Weltliteratur heute. Konzepte und Perspektiven. Hg. v. Manfred Schmeling (Saarbrücker Beiträge zur Vergleichenden Literatur- u. Kulturwissenschaft, Bd. 1), Königshausen & Neumann,
Würzburg 1995, S. 5-28.
6 John C. Blankenagel: Goethe, Madame de Staël and Weltliteratur. In: Modern Language
Notes, Vol. 40, No. 3 (Mar., 1925), pp. 143-148.
7 John C. Blankenagel: Goethe, Madame de Staël and Weltliteratur. 1925, pp. 143-148.
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Ich bezwecke ein Höheres, worauf ich vorläufig hindeuten will. Überall hört
und liest man von dem Vorschreiten des Menschengeschlechtes, von den
weiteren Aussichten der Welt-und Menschen-Verhältnisse. Wie es auch im
Ganzen hiermit beschaffen sein mag, welches zu untersuchen und näher zu
bestimmen nicht meines Amtes ist, will ich doch von meiner Seite meine
Freunde aufmerksam machen, dass ich überzeugt sei, es bilde sich eine allgemeine Weltliteratur, worin uns Deutschen eine ehrenvolle Rolle vorbehalten ist.8
Dieses Zitat verdeutlicht auch, dass trotz der Konstitution einer Weltliteratur, die ein Geben und Nehmen sein wird, das nationale eigene nicht zu unterschätzen sei. Diese Hinwendung auf die eigene Literatur fügt sich in eine
frühere Tendenz in Goethes Schaffen. Dies war eine Periode der Auflehnung
vor allem gegen die Starrheit der Aufklärung aber auch gegen kulturelle Einflüsse aus Frankreich wie es damals üblich war.9 Dieses Festhalten an nationale Eigenschaften wird in vielen Schriften Goethes bemerkbar. Trotz dem
Willen sich neuen Kulturen zu öffnen, lassen sich in seinen Schriften schon
Vorbehalte, was Qualität und Maß guter Dichtung anging, verzeichnen. Sogar in seinen späteren Werken nimmt sich Goethe die alten Griechen zum
Muster und stellt sie als Maßgabe aller guten Dichtung.
Aber auch bei solcher Schätzung des Ausländischen dürfen wir nicht bei etwas Besonderem haften bleiben und dieses für musterhaft ansehen wollen.
Wir müssen nicht denken, das Chinesische wäre es, oder das Serbische, oder
Calderon, oder die Nibelungen; sondern im Bedürfnis von etwas Musterhaftem müssen wir immer zu den alten Griechen zurückgehen, in deren Werken
stets der schöne Mensch dargestellt ist. Alles Übrige müssen wir nur historisch betrachten und das Gute, so weit es gehen will, uns historisch daraus
aneignen.10
8 Nach Michael Böhler: »National-Literatur will jetzt nicht viel sagen; die Epoche der WeltLiteratur ist an der Zeit, und jeder muss jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen.
«Überlegungen zu den kulturtopographischen Raumstrukturen in der Gegenwartsliteratur.
In: in: Zeitschrift für deutschsprachige Kultur und Literaturen, Institute for German Studies,
Seoul National University, 11 (2002), S.178-216.
9 Autoren wie Johann Christoph Gottsched (1700 bis 1766) empfahlen sogar ausdrücklich den
Franzosen nachzuahmen.
10 Hendrik Birus: Goethes Idee der Weltliteratur Eine historische Vergegenwärtigung. Königshausen & Neumann, Würzburg 1995, S.6. Vgl. Auch (FA II 12, 225).
98
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Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
Deswegen ist in dem sich anbahnenden Kosmopolitismus bei Goethe keine
Absage des Nationalen zu lesen, sondern ihre Überholung. Diese Öffnung
sollte zu einer Befruchtung der nationalen Literatur führen, die sich deswegen nicht schämen müsse, ausländische Pfropfen zu erhalten, sondern sich
sogar diese zu Eigen zu machen.11
To be sure, Goethe's discovery of an emerging world literature is not an announcement of the demise of discrete national literatures.12
Auf dichterischer Ebene beansprucht Goethes Werk einen unverkennbaren
Universalismus. Werke wie Westöstlicher Divan (1819), zeugen von der weltweiten brandbreite Goethes Schaffen und seine Neugierde für andere Zivilisationen. Goethe beschäftigte sich mit Literaturen vieler Regionen, vor allem
mit der griechischen Klassik, mit den Literaturen des fernen und nahen Osten, mit Nationalliteraturen der benachbarten Länder genauso wie mit Nachahmung fremder Lyrik (Persien, China) und Übersetzungen religiöser Schriften wie der des alten Testamens und des Korans.13
Vor allem im Westöstlichen Divan entfaltete sich die Neugierde für außereuropäische Kulturen. Goethe beschäftigte sich mit den Kulturen Asiens vor allem die arabischen Kulturen, in denen er Fruchtbare Impulse vermutet. Ermutigt 1814 durch die Lektüre von dem Orientalisten Joseph von HammerPurgstall 1812 ins Deutsche übersetzten Diwan des persischen Dichters Hafis, komponierte Goethe eine Gedichtsammlung, die 12 Gedichte beinhaltet.
Goethes Auffassung während dieser Periode heißt:
Eine jede Literatur ennuyiert sich zuletzt in sich selbst, wenn sie nicht durch
fremde Teilnahme wieder aufgefrischt wird. Welcher Naturforscher erfreut
sich nicht der Wunderdinge, die er durch Spiegelung hervorgebracht
sieht?14.
11 John C. Blankenagel: Goethe, Madame de Staël and Weltliteratur. In: Modern Language
Notes, Vol. 40, No. 3 (Mar., 1925), pp. 143-148.
12 John Pizer: Goethe's "World Literature" Paradigm and Contemporary Cultural Globalization. In: Comparative Literature, Vol. 52, No. 3 (Summer, 2000), pp. 213-227.
13 Hendrik Birus: Goethes Idee der Weltliteratur. Eine historische Vergegenwärtigung. Königshausen & Neumann, Würzburg 1995, S.6.
14 Nach John Pizer: Goethe's "World Literature" Paradigm and Contemporary Cultural Globalization. In: Comparative Literature, Vol. 52, No. 3 (Summer, 2000), pp. 213-227. Vgl. auch
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99
Amadou oury Ba
Ein anderer, nicht zu übersehender Hinweis ist, daß Goethe, einer der prominentesten Schüler Herders, sich durch dessen Konzept „Erkundung fremder Völker von innen“, entgegen der Ideologie des Kolonialismus, sich neuer
Kulturen öffnet.15 Bekannt ist, daß Herder, so Leo Kreuzer, sich in einer Dialektik des lokalen und des globalen befand, in dem er sich mit der Sammlung
fremder Volkslieder Ethnizität und Humanität vermittelt. Herder’s Fragmente der Jahren 1766/67 seien, so Birus, paradigmatisch für die Beschäftigung mit anderen Völkern. Herder lobt dabei die Balladen der Briten, die
Chanson der Troubadouren, die Romanzen der Spanier genauso wie peruanische und amerikanische Lieder. Ähnlich gilt es für die Lieder der Grönländer. So konnte er möglicherweise Goethe beeinflussen, der begeistert sagte:
Die hebräische Dichtkunst, welche er nach seinem Vorgänger Lowth geistreich behandelte, die Volkspoesie, deren Überlieferungen im Elsaß aufzusuchen er uns antrieb, die ältesten Urkunden als Poesie, gaben das Zeugnis,
daß die Dichtkunst überhaupt eine Welt- und Völkergabe sei, nicht ein Privaterbteil einiger feinen gebildeten Männer. 16
Dieses Projekt lässt sich klar in dem vierten Buch dieser Anthologie zurückverfolgen, in dem er Ähnlichkeiten vermittelt:
Wie aber nun diese Völker, die Brüder unserer Menschheit kennen? bloß
von außen, durch Fratzenkupferstiche und Nachrichten, die den Kupferstichen gleichen: oder von innen? als Menschen, die Sprache, Seele, Empfindungen haben? unsre Brüder! „17
Goethe selbst sieht diese Synkretische Bewegung der Kulturen auch im sich
Hineinfühlen, ins sich selbst in den anderen zu projizieren, um mit ihm ganz
zu werden. Zwar sind wir fern von den Theorien von Omi K. Bahbah, von sei(JA 38, 136-37).
15 Leo, Kreuzer: Goethes Westöstlicher Diwan - Projekt eines anderen Orientalismus.
http://www.leokreutzer.de/htm/02_04.htm 22.05.2011. 18:51.
16 Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche [‘Frankfurter Ausgabe’], 40 Bde., hrsg. v. Friedmar Apel, Hendrik Birus [u. a.], Frankfurt/Main 19861999, hier: I. Abteilung, Bd. 14, S. 445
17 Kreuzer: Goethes Westöstlicher Diwan. Projekt eines anderen Orientalismus. http://www.leokreutzer.de/htm/02_04.htm 22.05.2011. 18:51.
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Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
ner bekannten Theorie des dritten Raumes18, in dem sich das eigene und das
fremde prozessual dialogisch stehen, jedenfalls sieht Goethe die Realisierung
dieses Dialogs, im Nachahmen orientalischer Gedichtformen. Dies ist vor
allem im Gedicht Nachbild im Buch Hafis abzulesen:
In deine Reimart hoff' ich mich zu finden,
Das Wiederholen soll mir auch gefallen,
Erst werd' ich Sinn, sodann auch Worte finden;
Zum zweitenmal soll mir kein Klang erschallen,
Er müsste denn besondern Sinn begründen,
Wie du's vermagst begünstigter vor allen. 19
Dennoch wird dieser Weltkulturbegriff bei Goethe politisch angelegt: Man
befand sich damals in einer post-Konflikt-Periode, nämlich den Störungen,
die durch die napoleonischen Kriege entstanden sind. Vor allem der deutsche Nationalismus jener Zeit, der sich in den Jahren 1813 äußerte, eine Zeit
der Befreiungskriege gegen Napoleon, sollte Goethe dazu motiviert haben,
diesen Begriff der Weltliteratur, in dem sich alle Kulturen gegenseitig bereichern werden, zu propagieren. Diesen Standpunkt betonte er 1816 in einem
politisch-programmatisch Gedicht:
Gott sei Dank, dass uns so wohl geschah,
Der Tyrann sitzt auf Helena!
Doch ließ sich nur der eine bannen,
Wir haben jetzo hundert Tyrannen,
Die schmieden, uns gar unbequem,
Ein neues Kontinental-System.
Teutschland soll rein sich isolieren,
Einen Pest-Cordon um die Grenze führen,
Dass nicht einschleiche fort und fort
Kopf, Körper und Schwanz von fremdem Wort.
Wir sollen auf unsern Lorbeern ruhn,
Nichts weiter denken, als was wir tun.20
18 Die Verortung der Kultur / Homi K. Bhabha. Mit einem Vorw. von Elisabeth Bronfen. Dt.
Übers. von Michael Schiffmann und Jürgen Freudl. Stauffenburg-Verl. Tübingen 2004.
19 Zitiert Nach Kreuzer, Projekt eines anderen Orientalismus. http://www.leokreutzer.de/
htm/ 02_04.htm 22.05.2011. 18:51.
20 Hans Mayer: Weltliteratur. Studien und Versuche, Suhrkamp Frankfurt1989, S. 14 ff.
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101
Amadou oury Ba
Civilisation de l’universel
Das Prinzip „civilisation de l'universel „ wird in den späteren Jahren Senghors Schaffens häufiges Thema und ist Teilhard de Chardin entlehnt worden.
Senghor nach, lade der Jesuiten Pfarrer Teihard de Chardin die Afrikaner
dazu, im Dialog der Kulturen ihren Beitrag in der Zivilisation des Universellen zu leisten.21 Die spätere Verwendung des Konzeptes zeugt vom Wandel
Senghors Schriften von einer Negritudetheorie, die sich in einem Ghetto,
nämlich Behauptung und Verteidigung einer schwarz-afrikanischen Kultur
und Zivilisation eingeschlossen hatte, hin zu einem Negritudekonzept, der
sich von anderen Kulturen befruchten lässt. Hauptbeweggrund sollen die
Folgen des zweiten Weltkrieges gewesen sein, die die Welt in einer Situation
voller Chaos und Pessimismus gestürzt hatte, die offenkundig zu existentieller Angst führte. Auch in Frankreich ließ sich, neben den Nachkriegswerken
deutscher Autoren wie Wolfgang Borchert oder Günther Grass, dieser Hoffnungsverlust in die Zukunft in Werken wie L'inspecteur des ruines (1948)
von Elsa Triolet niederschlagen. Der darauffolgende Balanceakt zwischen einer kulturellen Selbstbehauptung afrikanischer Intellektuelle und die Einsicht nun einen neuen Kurs einzuschlagen, lässt Senghor zu einer neuen Auseinandersetzung mit dem Konzept der Negritude wechseln. Demzufolge argumentiert er:
Pour nous, notre souci, depuis les années 1932-1934, notre unique souci a
été de l'assumer, cette Négritude, en la vivant et, l'ayant vécue, d'en approfondir le sens. Pour la présenter, au monde, comme une pierre d'angle dans
l'édification de la Civilisation de l'Universel, qui sera l'œuvre commune de
toutes les races, de toutes les civilisations différentes – ou ne sera pas. C'est
en cela que cette Négritude ouverte est un humanisme. Elle s'est enrichie,
singulièrement des apports de la civilisation Européenne, et elle l'a enrichie.
L'humanisme, en ce XXe siècle de la, convergence panhumaine', ne saurait
consister qu'en ce commerce du cœur et de l'ésprit: en ce, donner et recevoir'. 22
Man kann diese geradezu prozesshafte Transformation, dichterisch auf der
einen Seite und politisch auf der anderen zurückverfolgen. Hier kann man
21 Liberté V. le dialogue des cultures. Editions du Seuil, Paris 1993, S. 12-13.
22 Léopold Sédar Senghor: Liberté 1. Négritude et Humanisme. Editions du Seuil, Paris 1964,
S. 10.
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Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
auf den ersten Blick von Widersprüchen in der Präzisierung des Konzeptes
der „Civilisation de l'universel“ reden. Das Zögern zwischen einer noch zu
behauptenden afrikanischen Zivilisation und die Notwendigkeit sich einer
immer näher rückenden Welt zu öffnen, prägte Senghors Dichtung in den
1970er. Demzufolge sollte eine wahre Zivilisation ein Ergebnis kultureller
Mischung sein, die ähnlich den Zivilisationen im Mittelmeerraum wie Griechenland, Rom oder Ägypten zu einer noch größeren wird.
L’accord conciliant entre la clarté de l’Ouest et la profondeur de l’Est, entre
l’esprit de finesse et l’esprit de géométrie, les lettres et les sciences, la philosophie et les techniques. D’un mot, la fidélité à l’universum.23
Der Neo-Romantismus der Negritude mit der Förderung zur Rückkehr zu
den eigenen Wurzeln, nämlich zu Ur-Afrika erfolgte demzufolge in einem beschränkten Zeitabschnitt, der nach dem Zweiten Weltkrieg stark nachließ.
Dies hat jedoch verschiedene Gründe, die hier nicht zu übersehen sind. In
der Tat, kurz nach dem zweiten Weltkrieg ertönten angesichts der Ruinen
überall ein starker Zivilisationspessimismus aber auch begründete Vorbehalte gegenüber Ideologien, die stark nationalistisch klangen.24 Diese zweite
Phase der Negritude, die auf der Idee eines Dialogs der Kulturen fußt, entsprach dieser Nachkriegszeit und wird in späteren Werken Senghors vernehmlich. Zu Recht sagt Hans Jürgen Heinrichs dazu:
Ausgehend von Césaire, Senghor und Jahn lässt sich die in sich komplexe
und uneinheitliche Bewegung der Négritude bestimmen, auf die Gegenwart
hin verlängert, um so am Ende eine Antwort auf die Frage zu versuchen, ob
es sich hier um eine Wahlverwandtschaft oder ein Missverständnis handelt.
Der Begriff der Négritude hatte, dies gilt es unmissverständlich festzuhalten,
die Funktion eines Schlachtrufes und einer Proklamation. Erst einmal bezeichnet der Begriff die (allerdings zu einem Mythos stilisierte) klassische
Moderne der afrikanischen Literatur in diesem Jahrhundert.25
23 Leopold Sedar Senghor: Liberté III, Négritude et civilisation de l'universel, Editions du
Seuil, Paris, S. 40.
24 Vgl. die Gruppe 47 um Autoren wie Alfred Andersch, Grass, Borchert aber auch Werke von
Theodor Plieviers Stalingrad (1945) oder das Werk die Toten bleiben Jung (1949) von Anna
Seghers, die sich mit dem Thema des Krieges beschäftigen.
25 Hans-Jürgen Heinrich: Frobenius und die Négritude. 1998, S. 121.
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Amadou oury Ba
In seinen dichterischen und politischen Schriften, nämlich die Reihe der Liberté 1 bis 5, vermischen sich philosophische und poetische Reflexionen über
kulturellen Synkretismus. Hier wird die Entwicklung der Positionen Senghors nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich. Dass er dabei oft im deutschsprachigen Raum genauso wie weltweit neue Ideen zur Formulierung seiner Vorstellungen fand, relativiert deutlich Rottlands These26 nach der Senghor
durch seine Frobenius-Rezeption eine Gleichheit aller Kulturen anstrebte.
Man sollte eher das politische Ziel Senghors in den Blick halten. Mit diesem
Versuch, unternahm er sich ausdrücklich gegen das koloniale System literarisch aufzuheben und sich mit ihm kritisch auseinanderzusetzen. Die Senghor-Forschung zeigte darauf hin, dass es hier letztlich um die Ebenbürtigkeit
aller Kulturen geht, die dann synkretisch und synergisch in einem System
des Gebens und Nehmens gleichberechtigt eintreten werden. Diese Dynamik
mündet in einem anderen operativen, durch Senghor geprägten Konzept einer kulturellen Mischung, namens „Metissage culturel“, die er zeitlebens
weiterverwenden wird.
En cette seconde moitié du XXe siècle donc, où s’élabore, avec nous et malgré nous à la fois, la civilisation de l’universel par totalisation et socialisation
de la planète et comme œuvre commune de tous les continents, de toutes les
races, de toutes les nations, l’universitas ne saurait être d’abord, que la compréhension de tous les apports de chaque continent, de chaque race, voire de
chaque nation.27
bestimmend ist hierzu, der bekannte Text „L'accord concilliant“, die Dankesrede, die er anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen
Buchhandels im Jahr 1968 hielt. In dieser Rede, sagte er, die Verleihung dieses Preises sei merkwürdig, in dem Sinne, in dem er als ehemaliger Senegalschütze und Gefangener der deutschen Armee während des zweiten Weltkriegs diesen Preis erhält. Hier gilt es zu betonen, daß während dem Zweiten
Weltkrieg afrikanische Soldaten unter dem Namen „Tirailleurs senegalais“
an der Seite Frankreichs an dem Krieg Teilnahmen.28 Senghor Selber wurde
26 Rottland, Franz: Hamiten, Neger, Négritude. Zur Geschichte einer afrikanistischen Klassifikation. In: Paideuma. Mitteilungen zur Kulturkunde. Zur Geschichte der Afrikaforschung.
(Hg. Frobenius-Institut), Stuttgart 1996.
27 Leopold Sedar Senghor: Liberté III, Négritude et civilisation de l'universel, Editions du
Seuil, Paris 1977, p. 41.
28 Okechukwu Mezu: Léopold Sedar Senghor et la défense et illustration de la civilisation noi-
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Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
als Offiziere der kolonialen Truppe im 23e und 3e Regiment rekrutiert und in
Charité-sur-Loire durch das deutsche Heer inhaftiert. Im engen Kontakt zu
deutschen Soldaten kam er durch seine Gefangenschaft im Front Stalag 230
von Poitiers, wo er gerade noch der Erschießung entkommen könnte.
Dennoch behauptete er, er habe in seinen Gedichten stets Universelle
Zivilisation und Versöhnung der Gegensätze gepriesen. Literarisch wurde
diese Verständigung in vielen Gedichten eingebettet, in prieres de paix heisst
es:
Car comment vivre sinon dans l'autre au fil de l'autre
Comme l'arbre déraciné par la tornade et les réves des iles flottantes
Et pourquoi vivre si l'on ne danse l’Autre.29
Politisch operiert die „Civilisation de l'universel“ auf unterschiedliche Ebene.
Überall in Afrika unternahm es Senghor, historische Brücken zu anderen
Nationen herzustellen. Zitiert können unter anderem die Reden oder Artikel,
die er hier und da gehalten hatte. Der Aufsatz Le Message de Goethe aux négres nouveaux30 ist paradigmatisch für seine Begegnung mit der deutschen
Kultur zu der er sich, nach eigenen Worten, durch die Literatur der Goethezeit besonders angesprochen fühlt.31 Weitere Beiträge in der Reihe der Liberté (1-5) beschäftigen sich mit der Annäherung zwischen den Religionen Islam und Christentum32.
Auf institutioneller Ebene bewegt sich der Konzept „Civilisation de l'universel“ in integrierenden und überregionalen Organisationen wie die afrikanische Union oder Organisationen wie die Frankophonie, über die, Senghor
Folgendes anmerkte:
[…] C’est qu’avant tout, pour nous la francophonie est culture, c’est un mode
de pensée et d’action : une certaine manière de poser les problèmes et d’en
chercher les solutions. Encore une fois, c’est une communauté spirituelle :
re. Marcel Didier, Paris 1968, S. 94.
29 Issa Ndiaye: Poétique de l'accord conciliant chez Leopold Sedar Senghor: les lieux, la formule. Francofonía, número 015. Universidad de Cádiz, Cádiz Espania 2006, S. 157.
30 Liberté 1. Négritude et Humanisme. Editions du Seuil, Paris 1964, S.83.
31 Vgl. Leo Kreuzer: Négritude et Germanité. Nach einem Kongress in Dakar die Frage nach
einer Germanistik in Schwarzafrika. In: Frankfurter Rundschau, 26. Mai 1979, Nr. 121.
32 Liberté 1. Négritude et Humanisme. Editions du Seuil, Paris 1964, S.304-307.
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une noosphère autour de la terre. Bref, la francophonie, c’est, par-delà la
langue, la civilisation française, plus précisément, l’esprit de cette civilisation
c'est à-dire la culture française.33
Bondy bemekte, dass er als Autor der senegalesischen Nationalhymne dieses
Synkretismus einbettete. Bondy sagte: „Von Ihren Dichtungen ist den Senegalesen wohl der Text der Nationalhymne am vertrautesten, wo es heißt: 'Ein
Volk, allen Winden der Welt zugewandt' und auch: 'Der Bantu ist unser Bruder, und
der Araber, und der Weiße'“.34
An der jetzigen Stelle unserer Argumentation über Chardin's Einfluss, der
in der Konzeption eines Gebens und Nehmens mündete, läßt sich ohne
Zweifel sagen, daß folgende Punkte bei Senghor großen Einfluss womöglich
ausgeübt hatten. Chardin's Appel an die Schwarze Welt kann folgendermaßen zusammengefasst werden. Zuerst ist es ein Appel auf die Verwurzelung
in die eigene Kultur (centration sur soi), dann eine Hinwendung zum anderen (decentration sur Autrui) und letztendlich eine Überholung der zweiten
Etappe, die zum Synkretismus führt (La surcentration sur autrui).35 Es fügen
sich Begegnungen mit der Dichtungen und Texten der Sturm und Dränger
und der Romantiker, die rebellisch und patriotisch orientiert waren aber
auch mit Dichtungen der späteren Goethe, der vielmehr eine Miteinander
der Kulturen propagierte. So lassen sich Ursprung und Konzeption der „civilisation de l'universel“ und folglich „Métissage Culturel“ rekonstruieren, die
Senghor, der Politiker, institutionell und politisch zu verankern versuchte.
Deutscher und afrikanischer Kultursynkretismus
Das Miteinander der Kulturen wurde schon von Goethe in der Beschäftigung
mit den asiatischen Kulturen aufgezeigt. Aber vor allem Herders Werk Ideen zu einer Philosophie der Geschichte (1774) und vor allem der Aufsatz
Organisation der afrikanischen Völker im selben Werk lieferte, was Afrika
33 Léopold Sedar Senghor: Liberté III, Négritude et civilisation de l'universel, Editions du
Seuil, Paris 1977, S.80.
34 François Bondy: Laudatio anlässlich des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in
Frankfurt 1968. Online: http://www.boersenverein.de/sixcms/media.php/806/1968_senghor.pdf. 05.08.2011. 23:23.
35 Pierre Teilhard de Chardin: Réflexions sur le bonheur. Inédits et témoignages, Collections
Pierre Teilhard de Chardin, no 2, Les Éditions du Seuil, Paris 1960, 185 pp.
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Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
angeht, Argumente zur Dekonstruktion kolonialer Mythen. Dieser Auseinandersetzung Herders mit fremden Völkern liegt den Wunsch zugrunde, aufzuzeigen, daß Stereotypen wesenhaft eine eigennützige und willkürliche Selbstporträtierung seien.
Billig müssen wir, wenn wir zum Lande der Schwarzen übergehn, unsere
stolzen Vorurteile verleugnen und die Organisation ihres Erdstrichs so unparteiisch betrachten, als ob sie die einzige in der Welt wäre. Mit eben dem
Recht, mit dem wir den Neger für einen verfluchten Sohn Chams und für ein
Ebenbild des Unholds halten, kann er seine grausame Räuber für Albinos
und weiße Satane erklären, die nur aus Schwachheit der Natur so entartet
sind, wie, dem Nordpol nahe, mehrere Tiere in Weiß ausarten.36
Herders Absicht ist in diesem Versuch Vorurteile Abzubauen, in dem er die
Unkenntnis, die Ihnen begünstigt, abschafft. Dabei versucht er ein mosaikartiges Porträt afrikanischer Völker zu machen, die ungeachtet allgemeingültiger Meinung, so verschieden wie die europäischen Nationen und Völker seien. Somit könnte er einen starken Einfluss auf seine Dichterkollegen ausüben. Demzufolge heißt es:
Aber wie arm sind wir überhaupt an geltenden Nachrichten aus diesem
Strich der Erde! Kaum die Küsten des Landes kennen wir, und auch diese oft
nicht weiter, als die europäischen Kanonen reichen. Das Innere von Afrika
hat von neuern Europäern niemand durchreist, wie es doch die arabischen
Karawanen so oft tun; was wir von ihm wissen, sind Sagen aus dem Munde
der Schwarzen oder ziemlich alte Nachrichten einiger glücklichen oder unglücklichen Abenteurer.37
All diese Texte waren Senghor nicht unbekannt, zumal er in französischen
Gymnasien, in denen er seine Schulung weiterverfolgte, stets Texte deutscher Autoren wie Herder oder die Romantiker behandelt wurden. Seine
programmatische Begegnung mit der deutschen Literatur wird erst durch
seine Rezeption der Goethezeit erkennbar. Angeregt durch die Werke Leo
Frobenius fühlt sich Senghor durch die deutschen Philosophen und Roman36 J. G. Herder: Organisation der afrikanischen Völker. In: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Online: http://www.textlog.de/5595.html, 04.08.2011.
37 J. G. Herder: Organisation der afrikanischen Völker. In: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Online: http://www.textlog.de/5595.html. 04.08.2011.
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tiker angesprochen und bestärkt. Das Besingen heimatlicher Lieder, die Erforschung deutscher Märchen vor allem durch die Gebrüder Grimms aber
auch das patriotische Dichten über deutsche Länder und Bräuche fanden bei
den Negritude-Dichtern großen Einklang.
Eine Minderheit unter den europäischen und den nationalistisch selbstbewußten Franzosen, und ebenso eine (wenn auch avantgardistische) Minderheit in der eigenen Kultur, fixierten sich Léopold Sédar Senghor, Léon G.
Damas und Aimé Césaire (der den Begriff der Négritude geprägt hatte) zeitweise auf die Verwandtschaft der ,afrikanischen Seele' mit der ,deutschen
Seele', wie sie ihnen von der Literatur des 18. und des 19. Jahrhunderts vermittelt und von Leo Frobenius’ kulturvergleichenden Studien nahegelegt
worden war. (Später wurden dann andere Denker, wie Sartre oder Teilhard
de Chardin, entscheidender.)38
Diese Erfahrung mit einer Dichtung innerhalb Europas, die entgegen jenem
allgemein herrschenden Rationalismus, vor allem in den Benachbarten Länder, führte die Negritude-Dichter dazu, eine „Seelenverwandtschaft“ mit den
deutschen herzustellen, wie es Ihnen durch Leo Frobenius in seinem Konzept der Kulturmorphologie während seiner Afrika-Ausstellungen in Paris
der 1930er Jahre zum Teil eigennützig39 vermittelt wurde. Leo Frobenius,
Ethnologe und Spezialist für afrikanische Kulturen, vertrat die Meinung,
dass die äthiopische Kultur Afrikas nicht, wie zu seiner Zeit oft behauptet,
belangloser, sondern anders sei und gegenüber der hamitischen Kultur, die
mit den größten Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien gleichgesetzt wurde, sogar vorzuziehen wäre.40 Daher sei es für die Kolonien angebracht, sich den deutschen zu nähern. Die Einflüße auf Senghor und Césaire
waren demzufolge groß, da beide auf der Suche nach einer afrikanischen
Identität waren, zumal diese durch andere Afrikanisten wie Delafosse, Delavignette, Griaule, Monod und Aupiais in ihrer Zivilisationsabkehr bestärkt
38 Hans-Jürgen Heinrich: „Sprich deine eigene Sprache Afrika!“. Reimer, Berlin 1992, S. 60f.
39 Wittmann, Frank: Probleme ethnographischer Lesearten. Eine kritische Untersuchung zur
Bedeutung der Kulturmorphologie von Leo Frobenius innerhalb der Neubegründung einer
Kulturwissenschaft. (Lizenziatsarbeit) Bern 2001. Online: http://www.unibas.ch/afrika/papers/fw.Frobenius.pdf . 06.08.2011, 23:01.
40 Steins, Martin: Die Geburt der Négritude aus dem Geist des Krieges. Aimé Césaires Gedicht Les Pur-Sang und Leo Frobenius. In: Neohelicon. Acta Comparationis Litterarum Universarum. XI.2. Budapest 1984.
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Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
wurden. Diese Suche führt sie zuerst zu den deutschen Sturm und Drängler
und Romantikern (Kulturelle Selbstbehauptung) und für den späteren Senghor zu Teilhard de Chardin und vor allem Zur „Goethezeit“ im klassischen
Sinne (Universalität).
Schlussfolgerung
Dieser Artikel „Civilisation de l'universel“, „Weltliteratur“: Prolegomena
eines deutschen und afrikanischen Kultursynchretismus. setzt sich zum Ziel,
das Verständnis und die operative Umsetzung des Begriffes „Synkretismus“
kulturübergreifend aufzuzeigen. angewendet an zwei weltweit große Denker
führt dieser Begriff auf unterschiedliche Wege letztendlich zu einem gemeinsamen Nenner hin, nämlich zum Begriff „Universalität“. Für den jungen
Goethe war die Verwurzelung in die eigene Kultur wichtig. Der spätere
Goethe ebenfalls zögerte darüber zu weit von der heimatlichen Dichtung zu
wandern, obwohl dies selten erwähnt wird. Muster sollten, wenn dies der
Fall sein sollte, die alten Griechen sein also Europäer, deren Literatur er den
deutschen empfahl. In seinen Aphorismen sagt er:
Möge das Studium der Griechischen und Römischen Literatur immerfort
die Basis der höhern Bildung bleiben. Chinesische, Indische, Ägyptische
Alterthümer sind immer nur Curiositäten; es ist sehr wohlgethan sich und
die Welt damit bekannt zu ma-chen; zu sittlicher und ästhetischer Bildung
aber werden sie uns wenig fruchten. (FA I 13, 175)41
Trotzdem ist der Konzept der Weltliteratur durch ihn geprägt, indem er ihm
eine Interkulturelle Note aber auch über die Länder hinaus, eine weltweite
Bedeutung verlieh. Dabei sieht er die Notwendigkeit sich anderen Kulturen
zu öffnen, ihr Geist mit dem eigenen zu verbinden, um eine synkretische
Kultur zu schaffen, die auf Achtung und Austausch basiert. Für Senghor galt
diese Begegnung, in einer Periode allgemeinen Chaos und Nationalismus, als
eine Herausforderung Afrika in die moderne Welt einzufügen, in dem man
andere Kulturen „assimiliert“.
41 Nach Birus. Goethes Idee der Weltliteratur. Eine historische Vergegenwärtigung. In: Weltliteratur heute. Konzepte und Perspektiven. Hg. v. Manfred Schmeling (Saarbrücker Beiträge
zur Vergleichenden Literatur- u. Kulturwissenschaft, Bd. 1), Königshausen & Neumann,
Würzburg 1995, S. 5-28.
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Die Negritude macht den ganzen Unterschied aus zwischen >assimiler< und
>être assimilé<, wie Sie 1945 schrieben, zwischen selektivem Sich-Aneignen
und restlosem Aufgehen in der anderen Kultur.42
Dieser oft umstrittene Assimilationsbegriff soll hier als eine fruchtbare Begegnung verstanden werden, die zu wahrer kultureller Größe führen soll. Aus
diesem Grund, wird die Meinung vertreten, daß Senghor politische und kulturelle Brücken schlagen wollte, in dem er die Begegnung der Zivilisation des
Westens und denen aus Afrika postulierte.43 Institutionell sollten Organisationen wie Frankophonie aber auch regionale Institutionen (Afrikanische
Union z.B.) diese Öffnung erleichtern, in dem man transkulturelle und transnationale Brücken baut.
Literatur:
1. BLANKENAGEL, John C.: Goethe, Madame de Staël and Weltliteratur. In: Modern Language Notes, Vol. 40, No. 3 (Mar., 1925), pp. 143-148.
2. BIRUS, Hendrik: Goethes Idee der Weltliteratur Eine historische Vergegenwärtigung. In:
Weltliteratur heute. Konzepte und Perspektiven. Hg. v. Manfred Schmeling (Saarbrücker
Beiträge zur Vergleichenden Literatur- u. Kulturwissenschaft, Bd. 1), Königshausen &
Neumann, Würzburg 1995, S. 5-28.
3. BÖHLER, Michael: »National-Literatur will jetzt nicht viel sagen; die Epoche der WeltLiteratur ist an der Zeit, und jeder muss jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen. «Überlegungen zu den kulturtopographischen Raumstrukturen in der Gegenwartsliteratur. In: Zeitschrift für deutschsprachige Kultur und Literaturen, Institute for German
Studies, Seoul National University, 11 (2002), S.178-216.
4. BONDY, François: Laudatio anlässlich des Friedenspreises des deutschen Buchhandels.
In Frankfurt 1968. S.5. Online: http://www.boersenverein.de/sixcms/media.php/806/
1968_senghor.pdf 05.08.2011. 23:23.
5. CHARDIN, Pierre Teilhard de: Réflexions sur le bonheur. Inédits et témoignages, Collections Pierre Teilhard de Chardin, no 2, Les Éditions du Seuil, Paris 1960.
42 François Bondy: Laudatio anlässlich des Friedenspreises des deutschen Buchhandels. In
Frankfurt 1968. S.5. Online: http://www.boersenverein.de/sixcms/media.php/806/1968_
senghor.pdf 05.08.2011. 23:23.
43 Martina Meister: Der afrikanische Lyriker und Staatsmann Lépold Sédar Senghor wird 90.
In: Frankfurter Rundschau, 09. Oktober 1996.
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Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
6. GOETHE, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche
[‘Frankfurter Ausgabe’], 40 Bde., hrsg. v. Friedmar Apel, Hendrik Birus [u. a.], Frankfurt/Main 1986-1999, hier: I. Abteilung, Bd. 14.
7. HEINRICH, Hans-Jürgen: „Sprich deine eigene Sprache Afrika!". Reimer, Berlin 1992.
8. HERDER, J. G.: Organisation der afrikanischen Völker. In: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Online: http://www.textlog.de/5595.html. 04.08.2011.
9. KREUZER, Leo: Goethes Westöstlicher Diwan - Projekt eines anderen Orientalismus.
http://www.leokreutzer.de/htm/02_04.htm 22.05.2011. 18:51.
10. Die Verortung der Kultur / Homi K. Bhabha. Mit einem Vorw. von Elisabeth Bronfen. Dt.
Übers. von Michael Schiffmann und Jürgen Freudl. Stauffenburg-Verl. Tübingen 2004.
11. KREUZER, Leo: Négritude et Germanité. Nach einem Kongress in Dakar die Frage nach
einer Germanistik in Schwarzafrika. In: Frankfurter Rundschau, 26. Mai 1979, Nr. 121.
12. KI-ZERBO, Joseph: Geschichte Schwarzafrikas. Fischer Verl., Frankfurt/Main 1978
13. LÉOPOLD Sédar Senghor: Liberté V. le dialogue des cultures. Editions du Seuil, Paris
1993.
14. LÉOPOLD Sédar Senghor: Liberté 1. Négritude et Humanisme. Editions du Seuil, Paris
1964.
15. SENGHOR, Léopold Sedar: Liberté III, Négritude et civilisation de l'universel, Editions
du Seuil, Paris 1977.
16. MOSQUITO, entwicklungspolitische Zeitschrift der Schweiz. Nr. 7. Zürich 1998.
17. MAYER, Hans: Weltliteratur. Studien und Versuche, Suhrkamp Frankfurt1989.
18. MEISTER, Martina: Der afrikanische Lyriker und Staatsmann Lépold Sédar Senghor
wird 90. In: Frankfurter Rundschau, 09. Oktober 1996.
19. MEZU, Okechukwu: Léopold Sedar Senghor et la défense et illustration de la civilisation
noire. Marcel Didier, Paris 1968.
20. NDIAYE, Issa: Poétique de l'accord conciliant chez Leopold Sedar Senghor : les lieux, la
formule. Francofonía, número 015. Universidad de Cádiz, Cádiz Espania. S.149-162.
2006.
21. PIZER, John: Goethe's "World Literature" Paradigm and Contemporary Cultural Globalization. In: Comparative Literature, Vol. 52, No. 3 (Summer, 2000), pp. 213-227.
22. ROTTLAND, Franz: Hamiten, Neger, Négritude. Zur Geschichte einer afrikanistischen
Klassifikation. In: Paideuma. Mitteilungen zur Kulturkunde. Zur Geschichte der Afrikaforschung. (Hg. Frobenius-Institut), Stuttgart 1996.
23. SENGHOR, Léopold Sedar: Pierre Teilhard de Chardin et la politique africaine. Editions
du Seuil, Paris 1962.
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24. SENGHOR, Léopold Sedar: Liberté 1. Négritude et Humanisme. Editions du Seuil, Paris
1964.
25. STEINS, Martin: Die Geburt der Négritude aus dem Geist des Krieges. Aimé Césaires Gedicht Les Pur-Sang und Leo Frobenius. In: Neohelicon. Acta Comparationis Litterarum
Universarum. XI.2. Budapest 1984.
26. WITTMANN, Frank: Probleme ethnographischer Lesearten. Eine kritische Untersuchung
zur Bedeutung der Kulturmorphologie von Leo Frobenius innerhalb der Neubegründung
einer Kulturwissenschaft. (Lizenziatsarbeit) Bern 2001. Online: http://www.unibas.ch/
afrika/papers/fw.Frobenius.pdf . 06.08.2011, 23:01.
27. Weltliteratur: http://www.duden.de/rechtschreibung/Weltliteratur Online: 17.10.2012,
8:29.
*****
Abstract:
Literature scientists and readers encounter sometimes two concepts, Weltliteratur
and civilisation de l´universel. The first one originates from the German author and
great thinker not to say theorist Johann Wolfgang Goethe. The second became famous through the writing of the Senegalese poet, Leopold sedar Senghor. These two
great philosophical personalities pleaded through their theoretical or political positions for a world of cultural metissage, where differences are going to be the mechanism for Dialog. Goethes aim was to unite the western and the eastern world and
wanted the German to go over national boundaries to unleash national creativity. In
the 1960s the process of decolonisation was accompanied with inevitable intercultural conflicts that needed to be solved. Senghor saw the way in the idea of a universal civilisation that he laid down in various theoretical thinkings (for example the
series from liberte I to liberte 5). The aim of this paper is to reflect this position from
a theoretical and comparative point of view, so that similarities in context and differences in approach became perceptible
Schlüsselwörter: Goethe, Senghor, Weltliteratur, kulturelle Mischung, Afrika,
Kulturtheorien
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DIE DIALEKTIK VON NACHRICHT UND GERÜCHT
in der religiösen Kommunikation – am Beispiel des Diatessaron
Tatians1
Gabriel H. Decuble
I. Das Diatessaron – ein Pseudepigraph? Zu einem Kuriosum der
Kirchengeschichte
Es mag den heutigen Beobachter befremden, dass weder Rhodon – Tatians
Schüler –, noch Irenaeus – Tatians Gegner, und beide zusammen Tatians
Zeitgenossen – ihn als Urheber des Diatessaron nennen, wohingegen beide
das andere genauso bekannte und uns erhaltene Werk Tatians, die Oratio ad
Graecos, erwähnen. Noch befremdender ist die Selbstverständlichkeit, mit
welcher die moderne Wissenschaft jahrzehntelang über die Autorschaft Tatians sprach, ohne die problematische Entstehungsgeschichte dieses Werks
näher hinterfragt zu haben.2 Ob man es wollte oder nicht, hat das textkritische Bemühen um das Diatessaron bisher leider nur die Wirksamkeit eines
Stereotyps gehabt.
Auch hat es bisher niemanden bekümmert, dass die Oratio ad Graecos – obwohl zur genunin altchristlichen Apologetik gehörend – eher durch Auslassungen denn durch Erwähnungen des kerygmatischen Gedankenguts hervorragt: Der Name Jesu erscheint nämlich kein einziges Mal, auch die christliche Gemeinschaft wird nicht als solche angesprochen, sondern verteidigt
werden mit einem generischen Begriff die... „Barbaren“ gegen die scheinbar
überlegenen Griechen. Zwar erwähnt Tatian die Quellen seiner frischen Bekehrung als „barbarische Schriften“, ja er lobt sogar ihre stilistische Armut
als Ausdruck seelischer Reinheit, indes gibt er keinen genauen Titel und keine näheren Hinweise an.3 Auf Jesus selbst wird in der Oratio zwar ab und an
1 Der vorliegende Aufsatz stellt das Ergebnis eines Forschungsstipendiums dar, das durch das
POSDRU-Programm 89/1.5/S/61104 vom 01.03.2011 bis zum 29.02.2012 finanziert wurde.
Besonderer Dank gebührt Prof. Dr. Reinhart Meyer-Kalkus vom Wissenschaftskolleg Berlin,
der die vorliegende Arbeit während meines dreimonatigen Forschungsaufenthalts in Berlin
(Dezember 2011-Februar 2012) betreut hat.
2 Um nur ein Beispiel unter den jüngeren Studien zu geben vgl. Maurice SARTRE, D’Alexandre
à Zénobie Histoire du Levant antique, IVe siècle avant J.-C.-IIIe siècle apres J.-C., Fayard, Paris, 2001. Weil eine Synthese, hält die Arbeit Sartres alle Aussagen der früheren Tatian-Forschung für gewährleistet und macht davon weitgehend Gebrauch, ohne diese auf ihre Gültigkeit hin zu befragen.
3 B. P. PRATTEN, Marcus DODS, Thomas SMITH, The Writings of Tatian and Theophilus, and the
Clementine Recognitions, Anti-Nicene Christian Library 3, Edinburgh 1867, S. 9.
Gabriel H. Decuble
angespielt, indem die hoffnungsbringende Auferstehung durch die Vereinigung mit dem Logos motivisch dargestellt wird, ohne dass die Inkarnation
des Logos wiederum an irgendeiner Stelle besprochen wird. Alles in allem ist
es keine einfache Aufgabe, die Christologie Tatians aus losen Scherben zu rekonstruieren, und vor dem Hintergrund dessen, dass es fast keinerlei Kontiguität zwischen der Oratio und dem Diatessaron gibt, so wie letzteres uns aus
der späten Überlieferung bekannt ist4, lässt sich die gemeinsame Urheberschaft
für die beiden Schriften eher vorsichtig anzweifeln als naiv befürworten.
Diskursanalytisch ließe sich zwar Tatians Abneigung gegen alle Uneinheitlichkeit und Zersplitterung als weltanschauliche Grundeinstellung einstufen
und zugleich, darauf aufbauend, als plausibles Movens für eine ihm bevorstehende Harmonisierung der Evangelien deuten, hadert er doch stets mit
dialektalen Prägungen in verschiedenen Teilen Altgriechenlands.5 Genauso
diskursanalytisch lässt sich aber die Erwähnung mehrerer Quellen als
schriftlicher Beweis für die von ihm vertretene These, Moses sei älter gewesen als alle griechischen Götter, Heroen und Philosophen, nicht anders interpretieren, als dass Tatian sich schon des Wertes bewusst war, den das Vorhandensein mehrerer Zeugnisse für eine und dieselbe Wahrheit darstellt.
Wieso hat er denn als Urheber des Diatessaron gerade die immanente Pluralität der Evangelien so verkennen können? Und aus welchem Grund hat er
das erst als plurale tantum wirksame Evangelium zu einem blaßen singulare
tantum zusammenballen wollen?
Indem Tatian die Gründe seiner Bekehrung zum Monotheismus beschrieb,
nannte er nur Moses und die Propheten als Quellen dieses philosophischen
Weges zur Wahrheit hin. Dies mag auf einen möglichen Zugang zu den
4 Der älteste Textzeuge des Diatessaron ist ein 1933 in Dura-Europos entdeckte Fragment,
das auf das Griechische als ursprüngliche Sprache hinzuweisen schien, obwohl es in Mesopotamien verfasst wurde. Datiert hat es sein Entdecker und Herausgeber Kraeling (Carl H.
KRAELING, A Greek Fragment of Tatian's Diatessaron from Dura, edited with facsimile, transcription and introduction, Studies and Documents 3, London 1935, S. 15) zwischen 254 und
256 n. Chr., wobei er die Urheberschaft Tatians für bare Münze nahm: „If Tatian composed
the Diatessaron about 172, this fragment is less than 80 years removed from the autograph.“
(Ebd.) Als Herausgeber des damals neu entdeckten Fragments wollte Kraeling so mit Sensationellem imponieren, dass er die einfache Mathematik missachtete: „more than 80 years“
hätte er sagen müssen, wollte er mathematisch korrekt verfahren.
5 Der Vollständigkeit halber führe ich hier das ganze Zitat an: „for the way of speaking among
the Dorians is not the same as that of the inhabitants of Attica, nor do the Aeolians speak like
the lonians. And, since such a discrepancy exists where it ought not to be, I am at a loss whom
to call a Greek.” PRATTEN, DODS, SMTIH: 1867 (=Anm. 3), S.6.
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Die Dialektik von Nachricht und Gerücht in der religiösen Kommunikation – Tatians „Diatessaron“
Schriften des Alten Testaments hindeuten, die ihm höchstwahrscheinlich in
der griechischen Übersetzung der Septuaginta vorlagen. Dagegen erbringen
die etwaigen Parallelstellen zu Math. 13:44; Joh. 1:3; 1:5; 4:24; I Kor. 1:14-15;
Röm. 1:20 in der Oratio keinen ausreichenden Beweis dafür, dass Tatian
auch neutestamentliche Schriften in der Hand gehabt hat, solange er dort
weder Jesus noch seine Aposteln noch die Evangelisten nennt.6 Vielleicht beschränkte sich sein Wissen über das Neue Testament zur Zeit der Verfasung
der Oratio auf einige Grundkenntnisse, die er von seinem Lehrer Justin
durch mündlichen Vortrag erhalten hatte. Fest steht nur, dass er aus altgriechischen Autoren (Homer, Aristophan, Heraklit usw.) großzügig zitiert, indessen keine einzige Stelle aus dem Neuen Testament.7
Eusebius (Hist. ek. IV, 24) ist der erste Kirchenhistoriker überhaupt, der das
Diatessaron erwähnt, ohne diese Schrift jemals gelesen zu haben. Darin ist
er also einfach einer ungesicherten (mündlich überlieferten?) Information
gefolgt, die er verheimlicht. Sicherlich ist er darin nicht etwa Rhodon gefolgt,
denn die Zäsur zwischen dem zuverlässigen Zitat aus dem Schüler Tatians, in
dem andere Werke Erwähnung finden, und dem Kommentar zum Diatessaron wird durch ein klares „aber“ und durch die Verschleierung der Quelle
markiert (οὐκ οἰδ᾽ ὅπως.).8 Diese Arbeitsweise kann einen heute kaum noch
verwundern, war Eusebius doch ein sehr umstrittener Historiker bereits zu
seinen Lebzeiten.9
Erhärtet wird die Annahme, Eusebius habe mit ungenauen Daten gearbeitet,
dadurch, dass auch der zweite Kirchenhistoriker, der davon berichtete (Epiphanius, Hær. XLVI. 1, 8-9)10, genauso unpräzise mit dieser aus dem Hörensagen gewonnenen Information umging und das Diatessaron mit dem Hebräerevangelium verwechselte. Erst Theodoret von Cyrrhus (Hær. Fab. I. 20)
scheint das Werk – und zwar eine große Anzahl an Kopien desselben – zu se6 Vgl. ebd., passim.
7 Ebd., S. 9, 12ff.
8 Für alle Hinweise auf und Zitate aus Eusebius vgl. Philipp SCHAFF, Eusebius Pamphilus,
Church History. Life of Constantine. Oration in Praise of Constantine, in: Nicene and Post-Nicene Fathers of the Christian Church, vol. I, T&T Clark, Edinburgh, 1890, S. 209.
9 Dass Eusebius selber durch die Zugehörigkeit zum Arianismus die Kritik vieler Zeitgenossen
hat auslösen können, ist eine Sache. Eine andere Sache ist jedoch, wenn diese Kritik nicht so
sehr die doktrinären Aspekte, sondern die Chronologie Eusebius’ berücksichtigte: Vgl. SCHAFF,
ebd., S. 72.
10 Vgl. William PETERSEN, Tatian's Diatessaron: Its Creation, Dissemination, Significance, and
History in Scholarship, Leiden, Brill, 1994, S. 39.
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hen bekommen zu haben, denn er veranlasste wegen des irreführenden Inhalts dieser Handschriften ihre Einsammlung und Zerstörung innerhalb seiner Diözese.11
Nun, ohne daraus das Hauptmotiv der vorliegenden Arbeit machen zu wollen, möchte ich an dieser Stelle einfach darauf hingewiesen haben, dass die
Urheberschaft Tatians für das Diatessaron fragwürdig genug ist – sie rechtfertigt keineswegs die erstaunliche Selbstsicherheit der Forschung12 –, um
zum Nachdenken darüber zu veranlassen, wie relevant die Dialektik von
Nachricht und Gerücht innerhalb dieses höchst sensiblen Kommunikationsbereichs, der Religion, ist. Die meisten Kirchenhistoriker der ersten Jahrhunderte nach Christus legten keinen so großen Wert auf ihre Quellen und
zeigten darüber hinaus weder philologische Disziplin noch stilistische Feinfühligkeit in ihrer Zitierweise. Insofern haben sie gesicherte Information mit
solcher vermengt, die sie entweder vom Hörensagen besaßen oder auch ganz
ohne einen transparenten Grund einfach erdichteten.
II. Die Dialektik von Nachricht und Gerücht innerhalb der religiösen Kommunikation
In jeder Kommunikationsform, ob alltäglich oder ereignishaft, spielt das Gerücht qua Mitteilung nicht gewährleisteter Information eine nicht zu unterschätzende Rolle: „Das Gerücht ist überall, in welchen gesellschaftlichen Lebenssphären wir uns auch bewegen.“13 Genauso wie die Nachricht, jedoch in
nicht autorisierter Weise, antworten Gerüchte auf jene Neugier, die das Fundament jeglichen epistemologischen Interesses darstellt. Darüber hinaus
sind Gerüchte auf Grund ihres Unterhaltungswertes sogar beliebter als die
Nachrichten. Sie bringen Spannendes ins alltägliche Erlebnis hinein, und
ihre Aktualität ist durchaus konkurrenzfähig mit der Aktualität der Nachrichten. Mehr noch: ihrer Zugänglichkeit zu Folge werden Gerüchte zum Gegenstand des unendlichen Weitererzählens, so dass der Umgang mit ihnen
seit jeher zur Alltagskultur gehört.
Wenn nun die Kommunikationswissenschaften sich den Gerüchten weniger
11 Ebd., S. 41ff.
12 Gegenstand des Disputs war immer lediglich die Originalsprache – ob Griechisch oder Syrisch –, niemals aber wirklich der Urheber. Vgl. PETERSEN, ebd., S. 125f., 148.
13 J. N. KAPFERER, Gerüchte. Das älteste Massenmedium der Welt. Leipzig: Kiepenheuer,
1996, S. 10.
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Die Dialektik von Nachricht und Gerücht in der religiösen Kommunikation – Tatians „Diatessaron“
systematisch und vertrauensvoll widmen, so schwingt in dieser Praxis das
Vorurteil mit, die Gerüchte seien keine genuine Kommunikation. Damit ist
jedoch nichts anderes zur Sprache gebracht als die berufsbedingte Idiosynkrasie von Pressewesen und akkreditierten Medien im allgemeinen gegen
dieses verkannte Phänomen. Will man aber das polare Verhältnis von Nachricht und Gerücht auch im höchst sensiblen Bereich der Religion thematisieren, so läuft ein solches, den Leser befremdendes Unterfangen Gefahr, sich
als ein unbesonnenes abgestempelt werden zu lassen. Dem ist aber schon
von Anfang an entgegenzuhalten, dass selbst die Religion ohne Kommunikation nicht auskommt und insofern auch jederzeit mit der Konkurrenz des
bloßen Gerüchts dort rechnen muss, wo sie die genunine Nachricht erwartet
bzw. erstrebt.
Gibt es aber so etwas wie eine Dialektik von Nachricht und Gerücht innerhalb der religiösen Kommunikation, so muss sie in ihren Grundzügen skizziert werden können. Das würde notwendigerweise eine Fallstudie mit einschließen, denn beides, deduktives wie induktives Denken, kann in der Abwesenheit von Konkretisationsformen des erforschten Phänomens nicht weiterkommen: Entweder läuft es vom Allgemeinen auf ein Konkretes hinaus
oder es geht von diesem aus und gelangt zum Allgemeinen.
An dieser Stelle sei ein Verfahren vorgezogen, das deduktives, durch die hervorragende Leistung anderer Wissenschaftler gewonnenes Gedankengut mit
induktiven, ausgehend von Tatians Diatessaron aufgestellten Beobachtungen verbindet. Jenes trägt zur Thesenbildung bei, diese helfen zur historischen und praxisorientierten Verifizierung der deduktiven Erkenntnisse.
Dementsprechend stellt der vorliegende Aufsatz weder auf kommunikationsnoch auf religionswisenschaftlichem Gebiet eine Pionierarbeit dar, indes
trägt er zur Klärung eines Phänomens bei, das von erstaunlich wenigen, wissenschaftlich fundierten Arbeiten systematisch berücksichtigt wurde. Wird
Religion überhaupt als kommunikative Tätigkeit behandelt, so beschränkt
sich die Sichtweise meistens auf Erscheinungen, die einen auffallenden Kommunikationscharakter aufweisen, nämlich auf Homiletik und Briefwechsel.14
Kommunikation ist aber vom Begriff der Gemeinschaft, in der sie stattfindet,
14 Schenkt man z. B. einer Fachpublikation wie „Journal of Communication and Religion”
Aufmerksamkeit, so geht aus der einfachen Analyse der Inhaltsverzeichnisse über die letzten
Jahrzehnte hinweg (1978-2001) deutlich hervor, dass die meisten Beiträge den Medien Predigt und Brief gewidmet sind. Gelegentlich werden auch Medien nicht-expliziten religiösen
Inhalts wie Film oder Presse herangezogen, doch meistens gehen die Wissenschaftler über
Forschungsmethoden und Erkenntnisnteressen der klassischen Rhetorik nicht hinaus.
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nicht wegzudenken, und weil Religion nur in autonomen Gemeinschaften
einen Sinn hat, ist die Bedingung der Möglichkeit ihres Bestehens die Kommunikation von religiösen Inhalten, ja mit Schleiermacher ließe sich sogar
argumentieren, dass Religion und Kommunikation gleichursprünglich seien.15 So sehr ist jene auf Kommunikation angewiesen, dass diese oftmals als
theophage Kommunion die sprachlichen Grenzen forcierend leiblich wird.
Religionsintern könnte man dann behaupten, die Kommunion sei eine vollkommene Mitteilungsform, das würde jedoch nicht über das konstitutive Paradoxon der Religion hinweg täuschen, dass die Kommunikation über etwas
Transzendentes stets Immanenz hervorbringt.16
Die religiöse Kommunikation unterliegt folglich besonderen Bedingungen,
die sich auf ihre Mitteln und Strategien auswirken. Nicht nur die esoterischen Orientierungen und die mystischen Erlebnisse, die in engeren Kreisen
von Eingeweihten bzw. in vollkommener Abgeschiedenheit erfolgen und somit auf dem Vorwissen der Beteiligten und unter semiotischem Blickwinkel
gesehen auf geheimen Codes beruhen, sondern überhaupt alle religiösen
Phänomene vergegenständlichen auf sprachlichem Niveau etwas, das keinen
innerweltlich erfahrbaren Referenten hat, und arbeiten demnach eher mit
Chiffren als mit normalen semiotischen Codes.
Insofern kann man dem „erfahrungszentrierten” Ansatz nicht beipflichten,
laut dessen die Sprache nur leere Behälter zur Verfügung stellen würde, mittels derer präexistente, subjektiv konstituierte religiöse Inhalte unter Gesprächspartnern einfach nur ausgetauscht werden.17 Ganz im Gegenteil
müsste man die dialektische Auffassung teilen, dass die Sprache zwar auch
durch die Einwirkung der Religion geformt wird, ihrerseits aber auch auf die
religiöse Erfahrung prägend zurückwirkt. Das verhält sich so aus dem
Grund, dass die Sprache selbst präformierte semantische Strukturen enthält,
die sich auf Zeit- oder Raumvorstellungen und implizite auf religiöse Vorstellungen auswirken.18
Hinzu kommt, dass die religiöse Kommunikation nur selten eine mangelfreie
15 Vgl. F. SCHLEIERMACHER, Reden über die Religion. II, S. 88f.
16 Vgl. N. LUHMANN, Die Ausdifferenzierung der Religion, in: Ders., Die Funktion der Religion.
Frankfurt am Main 1977, S. 337.
17 Vgl. z. B. G. LINDBECK, The Nature of Doctrine, Philadelphia 1984, S. 21ff.
18 Einleuchtende Argumente hierfür findet man z.B. bei Peter L. BERGER und Thomas
LUCKMANN, Sociology of Religion and Sociology of Knowledge, In: Sociology and Social Research 47/ 1963, S. 422.
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Die Dialektik von Nachricht und Gerücht in der religiösen Kommunikation – Tatians „Diatessaron“
Mitteilung, anders gesagt ein Erfahrungsaustausch zwischen ebenbürtigen
Gesprächspartnern bedeutet. In der Regel ist das Verhältnis von Sender und
Empfänger in der Religion hierarchisch strukturiert. Die hermeneutische
Mitwirkung des Empfängers ist aber unabdingbar für die religiöse Kommunikation, die das Neue als Vertrautes darstellen will, wobei das religiöse
Neue kulturökonomisch die Enthüllung von Verborgenem und tauschökonomisch die Umwertung von schon Dagewesenem darstellt.19
Während die Theologie tendenziell einen immer abstrakteren Wortschatz
entwickelt, müssen die nicht nur religiöse, sondern auch soziale Funktionen
erfüllenden Kontaktoberflächen der Religion – Liturgie, Predigt, Seelsorge,
Katechese usw. – sich auf ein verständliches Minimum beschränken. Sie fallen damit mit einem Bereich der Kommunikation zusammen, in dem auch
die weitaus zahlreicheren Laien, d.h., lauter potenzielle Dialogpartner, eigene Kompetenzen entwickeln. Die religiöse Massenkommunikation, die intentionalpoetisch Nachrichten in genuiner Form zu bringen bemüht ist, muss
aber mit starker Konkurrenz rechnen: mit dem Gerücht, dem zweck- und
endlosen Palavern, ja mit Falschmeldungen, denn auch diese zielen auf das
Neue ab. Wo immer Massen entstehen – in Tempeln, Kirchen, Synagogen,
Moscheen, aber auch im Freien, bei religiösen Festen – und ein religiöses
Bedürfnis vorhanden ist, manifestiert sich die Dialektik von Nachricht und
Gerücht mit Notwendigkeit.
Beim Versuch, Nachricht und Gerücht medienwissenschaftlich oder soziologisch voneinander zu trennen, scheiterte die bisherige Forschung. Zwar gibt
es neuere verdienstvolle Beiträge20, die sich indes auf keine brauchbare
Definition der anzuwendenden Begriffe einigen konnten. Ja, die Differenz
zwischen Nachricht und Gerücht konnte unter Umständen sogar für irrelevant gehalten werden, und einige Medienphänomenologen nehmen gerne an, die Nachricht würde nichts anderes als ein bewährtes Gerücht darstellen.21 Man darf aber nicht übersehen, dass das Gerücht in der griechisch-römischen Antike zum Gegenstand der religiösen Personifikation geworden ist
– vgl. die Göttin Pheme bei den Griechen bzw. Fama bei den Römern –, und
das legt einigermaßen nahe, welche Funktion dem Gerücht in der religiösen
Kommunikation zugeschrieben wurde und wird.
19 Zu dieser Differenz vgl. Boris GROYS, Über das Neue, Frankfurt am Main 2004, S. 63ff.
20 Vgl. z.B. den Sammelband J. BROKOFF u.a. (Hg.), Die Kommunikation der Gerüchte. Göttingen 2008.
21 Vgl. ebd. den Beitrag von Mattias Mertens, S. 196.
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Dagegen wird die Fakultät der Verbreitung von Gerüchten im Monotheismus
auf Grund einer religionsgeschichtlich durchaus nachvollziehbaren Anonymisierung eben dem Volk zu Teil, keiner bestimmten Person. Das ist insofern
problematisch, als gerade dasselbe Volk als vorzüglicher, wenn auch manchmal sogar widerwilliger Adressat der göttlichen Botschaft gilt. Aus diesem
Spannungsfeld heraus wächst meines Erachtens die Dialektik von Nachricht
und Gerücht, und mein Unterfangen zielt darauf ab, herauszufinden, wie die
Religion diese Dialektik meistert.
Das Verhältnis von religiösem Inhalt und religiöser Kommunikationsform
wurde bisher fast ausschließlich aus soziologischer22 oder kulturgeschichtlicher23 Perspektive berücksichtigt. Ausgehend von den bisherigen Ansätzen
zeichnet sich noch kein besonderes Verhältnis von Nachricht und Gerücht
innerhalb der religiösen Kommunikation aus. Genauso wie in der Alltagssprache werden über Nachrichten Werturteile wie „verlässlich”, „glaubwürdig” u.ä. ausgesprochen, während man hinter dem Gerücht meistens übel gesinnte Manipulanten oder wenigstens unvorsätzliche Sünder erahnt.24
Wie wirkt sich aber dieser Sachverhalt auf die Rezeptionsgeschichte des
Neuen Testaments aus? Das Evangelium qua „gute Nachricht” versucht alle
möglichen Abweichungen vom Kanon zu tilgen, die Entwicklung von
falschen Auslegungstraditionen zu vereiteln (vgl. im Falle des Christentums
die harsche Bekämpfung der Gnosis), und befolgt geradezu journalistische
Regeln, d. h., in diesem Fall die Forderung nach Überprüfung eines Mitteilungsinhalts auf Grund von drei voneinander unabhängigen Quellen (Markus, Matthäus und Lukas, kurz: die Synoptiker).25 So wurde das Gerücht im
22 Vgl. z.B. H. TYRELL u.a. (Hg.), Religion als Kommunikation, Würzburg 1998. Darin vor allem N. LUHMANN, Religion als Kommunikation, S. 135-145.
23 Vgl. z.B. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992.
24 Bezeichnenderweise wird die Blasphemie im Christentum verurteilt als eine der größten
Sünden überhaupt und, genauso wie das Gerücht, meistens mündlich, als peccatum oris, als
Sünde der ungezügelten Sprache definiert. Vgl. z.B. Brian DAVIES (Hrsg.), The De Malo of Thomas Aquinas, Oxford University Press, New York 2001, S. 318.
25 Eigentlich müsste man an dieser Stelle die Frage umformulieren: Ist es nicht etwa der moderne Journalismus, der dem neutestamentlichen Kanon in die Fußspuren tretend das seit alters her bekannte juristische Prinzip des „testis unus, testis nullus” auf seine eigenen Interessen hin zurechtgeschnitten hat? Leider ist die Geschichte des Jornalismus eine noch zu junge
Disziplin und bietet auf diese Frage noch keine befriedigende Antwort. Bezeichnenderweise
erschien aber das erste gedruckte Nachrichtenblatt, das die Bezeichnung einer Zeitung im mo-
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Die Dialektik von Nachricht und Gerücht in der religiösen Kommunikation – Tatians „Diatessaron“
christlichen Kulturkreis als „Falschlehre” gedeutet, ohne dass man es wirklich auch loswerden konnte. Wie epochemachende Gerüchte in Apokrypha
eingearbeitet wurden, ist schon bekannt: Ein lachender oder verheirateter
Jesus, wie im Judasevangelium, mutete der offiziellen Kirche ketzerisch an,
denn allzu menschliche Attribute hätten zum einen das Dogma verletzen und
zum anderen den Glauben darin schwächen können.
Dass nun der Glaube, der ja aus christlicher Perspektive primär in der Gottesliebe, nicht in der Gottesfurcht wurzelt, seine sprachliche und schriftlich
fixierte Form hat, weiß man wiederum aus den Evangelien, den kanonischen: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten“ [Joh.
14,23] Das Zitat vermag zweierlei zu belegen: dass die (christliche) Religion
einerseits sich der Dialektik von Nachricht und Gerücht bewusst ist, dass
man andererseits dieses von jener grundsätzlich je nach spezifischem Medium trennt. So scheint die Nachricht im Grunde in der Schriftlichkeit stets
vorhanden zu sein, während das Gerücht tendenziell in den äußerst volatilen
Dunst der Mündlichkeit aufgeht.
Dass dem aber nicht ganz so ist, zeigt das wechselseitige Verhältnis von Oralität und Literalität in Bezug auf Religion. Die Schrift ermöglichte zwar das
Entstehen der großen introspektiven Religionen (Buddhismus, Judentum,
Christentum, Islam)26, gleichzeitig aber spielt das gesprochene Wort eine
wesentliche Rolle in Zeremonie und Andacht im Falle derselben Religionen.27 Die Kanonisierung von Texten bedeutet die Erstarrung oraler Mitteilungsimnhalte zur festen, die Jahrhunderte überlebenden schriftlichen
Form. So erklärt sich zum Beispiel, aus welchem Grund ein Gebet wie Vaterunser von der heutigen Alltagssprache so abweicht, dass es zu mangelnder Verständlichkeit führt. Die kognitive Qualität einer religiösen Meldung
kann nicht absolut auf das Medium ihrer Verbreitung zurückgeführt werden.
Weder Oralität noch Literalität sind als eindeutiger Träger von genuiner religiöser Nachricht zu bezeichnen, sondern erst der kommunikative Raum, der
aus ihrer Interaktion entsteht.
dernen Sinn verdienen würde, mit dem Titel Relation aller Fuernemmen und gedenckwuerdigen Historien, d.h. als korrelierende Quellensammlung, ab Herbst 1605 in Straßburg, wobei
die „Quellen” so genannte Avisen waren, d.h. einfache Postmeldungen. Vgl. Markus GRILL, Die
Macht der Nachricht, in: „Der Spiegel” vom 26.07.2011.
26 Vgl. W. J. ONG, Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes. Opladen 1987,
S. 106.
27 Ebd. S. 78.
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Phänomenologisch gesehen können die religiösen Texte Erfahrungen ganz
unabhängig davon in sich aufnehmen, dass diese von konkurrentialen Bedeutungsträgern vermittelt werden. So schichten sich Nachricht und Gerücht
im Laufe der Zeit zu einem einheitlichen Text auf. Dabei müsste man von der
These ausgehen, dass nur jene Information als genuine Nachricht geltend
gemacht werden kann, die in zeitlichem Abstand und konsequent wiederholt
einen semasiologischen Mehrwert addieren kann, ohne dass die narrative
Struktur der betreffenden Information modifiziert wird (etwa nach dem
Muster „Christus ist erstanden”, von daher ist ein Descensus ad Inferos, wie
in einigen Apokryphen, widersinnig).
Umgekehrt kann eine Information den Status einer Nachricht nicht beanspruchen, wenn sie z.T. schon in der Synchronie, aber vollends in diachroner
Wiederholung einen onomasiologischen Mehrwert hervorbringt, d. h., sobald man immer mehr Wörter – und zwar keine Synonyme – braucht, um
dasselbe narrative Informationsgerüst wiederzugeben.28 – Das erfolgt im
Sinne der von Rodolphus Agricola beschriebenen inventio dialectica29, die es
ermöglicht, dass ein Diskurs an Hand von so genannten loci durch einfache
Antworten auf einfache Fragen zu Person oder Gegenstand der Rede unendlich erweitert werden kann.
Wenn beispielsweise im Judasevangelium der Satz steht: „Jesus hat
gelacht”30, so kann diese Aussage durchaus ausgeweitet werden, zunächst
einmal durch harmlose Fragen wie: Wieso? Wann? In welchen Umständen?
In wessen Begleitung? usw. Ist das schon einmal zur Sprache gebracht worden, so können sich andere Fragen anhäufen, die gerade den inflationären
Charakter solcher Informationen hervorheben: Wie oft? Wie laut? Der „Teufel“ des Gerüchts reibt sich die Hände: War das wirklich ein gutmütiges Lachen, oder vielmehr ein spöttisches Grinsen?
Nachrichten produzieren Gewissheiten, Gerüchte dagegen steigern nur die
Neugier, obwohl beides ursprünglich, d. h., beim Empfänger, dazu bestimmt
ist, das Wissensbedürfnis zu befriedigen. So kann man davon ausgehen, dass
28 Dies meinte wahrscheinlich Vergil, als er Fama als ein im Gehen wachsendes Monstrum
beschrieb: „Mobilitate videt viresque aquirit eundo;/ Parva metu primo, mox sese atolit in auras/.../ tot linguae, tot idem ora sonant, tot subrigit aures.” (Aeneis 4, 174-177, in: P. Vergili
Maronis Opera, vol. II, ed. by George LONG, London, Withaker & Co., 1863, S. 274).
29 Vgl. Lothar MUNDT, Rudolf Agricola. De inventione dialectica libri tres, Tübingen: Niemeyer, 1992.
30 Vgl. Rodolphe KASSER, Gregor WURST, Marvin MEYER, Francois GODARD: The Gospel of Judas. Second Edition. National Geographic Society, Washington 2008, S. 34.
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Die Dialektik von Nachricht und Gerücht in der religiösen Kommunikation – Tatians „Diatessaron“
die inflationäre Mehrung von Mirakeln und die Addierung von Meriten im
Falle der Heiligengeschichten nichts anderes als ein Produkt von frei kursierenden Gerüchten sind, obwohl diese Mehrung in der Praxis der Beatifikation und Heiligsprechung normiert ist. Dieses Phänomen hat der mittelalterliche Legendendichter Konrad von Würzburg außerordentlich intuitiv beschrieben, als er zwischen offizieller und vertraulicher Information differenzierte: „sin [Alexius’] melde wuohs vil sêre/ beidiu stille und überlût“ (vv.
512-3).31
In einer Nachricht das Gerücht mitzuhören und im Gerücht die keimende
Autorität einer Nachricht walten zu lassen heißt eine dialogische Anthropologie einzuräumen, die es ermöglicht, selbst religionsgeschichtliche „Klassiker” wie das Neue Testament insofern neu zu interpretieren, als man darin
die einander überlappenden Schichten von Information ausmacht.32 Überhaupt sind schriftlose Religionen, die mit einer regen Gerüchteindustrie rechnen müssen, in gewisser Weise flexibler, jedenfalls im Vergleich zu den starren
ritualisierten Liturgien der Buchreligionen. Doch auch diese erheben in der Regel einen Universalitätsanspruch, der sie wiederum veranlasst, sich ihrer Ursprünge zu besinnen. Dafür sorgt das Bedürfnis, die heiligen Schriften immer
wieder in neue Sprachen übersetzen zu lassen oder sprachlich zu erneuern.
Martin Luthers Forderung aus dem Jahre 153033, man müsse „dem einfachen
Volk aufs Maul schauen”, wenn man das Evangelium übersetzt, lässt vermuten, dass die „gute Nachricht” auch aus gerüchteähnlichen Quellen schöpft,
die man als solche wiedergeben muss. Schon der Versuch, die Bibel zu übersetzen und sie dem Volk zugänglich zu machen, bringt die im Bibellatein eingefrorene Dialektik von Nachricht und Gerücht wieder zum Tauen. Denn
selbst das Gerücht hat, wenn keine ontologische, so doch eine phänomenologische Würde: man kann es einhemmen, niemals aber austilgen. Das, was im
31 GEREKE, Paul (Hg.), Konrad von Würzburg. Die Legenden, Bd. II, Halle an der Saale 1926,
S. 72.
32 Um nur ein Beispiel zu geben: in der neutestamentlichen Episode der Versuchung Jesu erwidert dieser dem Teufel wiederholt mit dem Verweis darauf, dass es „geschrieben stehe”,
man solle Gott nicht versuchen usw. [Mat. 4,1-11] Darin kann man im Sinne einer literal-historischen Lektüre gerade die Dialektik von Nachricht und Gerücht wiedererkennen. Einem
sensationellen Flug über Jerusalem, der bestimmt viele Gerüchte in Gang gesetzt hätte, zog
Jesu die bescheidene Einhaltung einer schriftlich fixierten Regel vor. Auch hierin deutet sich
eine medial bedingte Differenz zwischen den beiden Phänomenen an.
33 Martin LUTHER, Sendbrief vom Dolmetschen, in: DERS., Kritische Ausgabe, WA 30, 2, S.
646.
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Jahre 1530 während des Ausbruchs der Reformation so aktuell war, stellte
nur eine rekkurente Erscheinung in der Geschichte des Christentums dar:
Dieses war nämlich von Anfang an in seinem Heranwachsen zur universalen
Religion mit zentrifugalen Tendenzen konfrontiert, die versuchten, seinen
doktrinären Kern mit inflationärer Information anzureichern.
Wenn nun die inflationäre Information religiösen Inhalts kontextbedingt jeweils in Nachricht oder Gerücht zerfällt, so kann das weniger auf die Intention ihrer Auslöser zurückgeführt werden, denn diese ist nicht mehr in ihrer
Echtheit zu rekonstruieren. Das uns Überlieferte besteht ja heute nur noch
aus schriftlichen Aussagen, die mehrfach gefiltert worden sind. Das wissenschaftliche Interesse muss also eher der Pragmatik jener zu berücksichtigenden Texte gelten, welche die wesentlichen Aspekte der Kommunikation innerhalb des frühen Christentums erhellen können. Insofern geht es hier
nicht um das Gerücht in der heutigen Semantik des Wortes, die mit durch
und durch negativen moralischen Konnotationen besetzt ist. Texte wie Beumarchais’ Le barbier de Séville haben entscheidend dazu beigetragen, dass
Gerücht und böser Leumund programmatisch verwechselt wurden, und darin muss man die Gefahr sehen, dass moderner Sprachgebrauch und moderne
Mentalität sich verblendend auf das Verständnis der antiken Kommunikationspraxis auswirken und nach zeitlosen anthropologischen Konstanten
dort nachforscht, wo nur ein historisch bedingtes Phänomen vorliegt.
Dagegen interessiert hier vor allem das Gerücht potentialiter, jenes in
schriftlicher Form keimende Gerücht, zu dessen Prägung der Mensch aus
purer, spontaner und ungestillter Neugier beiträgt, indem er stets dazu tendiert, Neues zum bereits Ausgesagten hinzuzufügen: das Gerücht als „exegetische Sünde” etwa. Diese wurde von einem amerikanischen Journalisten namens William Law Symonds am zutreffendsten beschrieben, als er vom „gedruckten Gerücht” sprach. Tatsächlich nimmt das Gerücht auf subversive
Weise und relativ unschwer die Form der genuinen Nachricht an, denn es
schleicht sich unversehens ins vorzügliche Medium letzterer ein, ihre Eigenschaften vortäuschend:
But the fact which printed Rumor throws through the atmosphere is coupled
not with the beauty of poetry, but with the madness of dissertation. [...] The
primordial germ is not poetical, but dissertational. It tends to no organic
creation, but to any abnormal and multitudinous display of suggestions,
hypotheses, and prophecies. The item is shaped as it passes, not by the hopes
and fears of the soul, but grows by accumulation of the dull details of prose.34
34 SYMONDS, William Law, The Life and Writings of William Law Symonds, Compiled and Edi-
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Die Dialektik von Nachricht und Gerücht in der religiösen Kommunikation – Tatians „Diatessaron“
Es darf nicht verwundern, dass Symonds an dieser Stelle „poetry” und „dissertation” miteinander kontrastiert und als polare Begriffe darzustellen bemüht ist. Seinem Sprachgebrauch ist zu entnehmen, dass poetry einer natürlichen kognitiven Veranlagung des Menschen entspricht, während dissertation eine genauso natürliche, indes keinen seelischen Gewinn einbringende
Neugier umschreibt.
Im Folgenden ist zu überprüfen, ob die zahlreichen zentrifugalen, oft ungebührlich mit dem diffusen Begriff der Gnosis umschriebenen Tendenzen innerhalb des Frühchristentums – d.h. vor dem Ersten Konzil von Nizäa (325),
das durch die so genannten Kanones fürs erste Mal Klarheit und Einheit in
doktrinären Angelegenheiten zu bringen und eine genealogisch fundierte
Autorität der Kirche nachzeichnete35 – nicht etwa eines bewirkt hätten,
nämlich die sinnlose „Bereicherung” der wesentlichen christlichen Nachricht
mit stumpf(sinnig)en prosaischen Details.
III. Der doktrinäre Kern des Christentums als eminente Nachricht
Dass es ein Verhältnis von Kerygma und Mythos gibt, hat vor allem Rudolf
Bultmann hervorzuheben gewusst, und forderte sogleich zur „Entmythologisierung“ des doktrinären Kerns des Christentums auf. Bereits 1921 veröffentlichte Bultmann seine Geschichte der synoptischen Tradition und bot damit
eine gründliche formgeschichtliche Analyse der synoptischen Evangelien.36
Einzelne Quellen zu identifizieren, die Eingang in die Evangelien gefunden
haben, war sein wichtigstes Anliegen. Er vertrat dabei die Ansicht, dass eine
vorliterarische Überlieferungsphase selbst den ältesten uns bekannten Quellen vorangegangen sei, so dass man die Überlieferung nicht als objektiven
historischen Bericht zu betrachten habe, sondern vielmehr darin den Glauben der Urgemeinde erahnen müsse. Stehen selbst die frühesten christlichen
Dokumente im Dienst von Glauben und Kult, so werden sie erst dann richtig
ted by William Winter. Ed. Winter, William. Priv. print. for J. W. Symonds, 1908, S. 34. [Hervorhebung G.H.D.]
35 Ignacio Ortiz de URBINA, Nizäa und Konstantinopel. Geschichte der ökumenischen Konzilien, Bd. 1, Mainz 1964.
36 R. BULTMANN, Die Geschichte der synoptischen Tradition. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1921. (10. Aufl. 1995), passim.
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interpretiert, wenn ihr „Sitz im Leben“ der Urgemeinde berücksichtigt wird.37
Gleichwohl ist das, was Bultmann und seine Anhänger38 Mythos nennen, ein
viel zu diffuser Begriff, der zuweilen auch moralisch konnotiert als „Lüge“39
hingestellt werden, aber genauso gut mit einem Plus an epistemologischer
Stringenz durchaus auch als hinzugedichtete, inflationäre Information beschrieben werden könnte. Weil sein literarpragmatisches Korrelat die konsequente Mündlichkeit als Entstehungs- und Rezeptionsmedium ist, in welchem zwischen Nachricht und Gerücht schwer zu unterscheiden wäre, kann
der Begriff Mythos mit der kommunikationswissenschaftlich zu ergründenden Dialektik von Nachricht und Gerücht ersetzt werden, die es wenigstens
verspricht, die inneren, kreativen Spannungen innerhalb der frühchristlichen Gemeinden klarer zu beleuchten, und insofern keine quantitativ ohnehin unverifizierbare Entmythologisierung40 anstrebt, sondern eine notwendige Klärung der zeitspezifischen religiösen Kommunikation zu Tage fördert.
In der Kommunikation ist nämlich a priori beidem, sowohl der Nachricht als
auch dem Gerücht, aus pragmatischer Sicht Glauben zu schenken.
Was verstand Bultmann unter Entmythologisierung? War da eine Auswahl
der richtigen neutestamentlichen Aussagen und eine Weglassung der
falschen in Sicht? Oder lief diese Kritik in ihrer konsequenten Drastik darauf
hinaus, dass das gesamte Kerygma schließlich als untauglich beseitigt wird?
Rein philologische Verfahren wie Kollation, Synopsis und Harmonisierung
helfen nicht weiter und scheinen auch noch heute, nicht nur zur Zeit Tatians,
unbeliebt zu sein, solange sie dogmatische Inhalte verletzen. Jedenfalls ist
37 DERS., Theologie des Neuen Testaments, 9. Auflage, J.C.B. Mohr Siebeck, Tübingen, 1984,
darin vor allem die grundlegende Differenzierung zwischen der Verkündigung Jesu und dem
Neuen Testament, S. 2ff., die nahe legt, dass die christliche Religion von Anfang an, d. h. schon
mit ihrem Gründer, damit gerechnet hat, dass ihr Schicksal (auch) von der kommunikativen
Kompetenz und der philologischen Akribie seiner eminenten Träger abhängig sein würde.
38 Konsequent, wenn auch nicht ohne Berücksichtigung dessen, was Karl BARTH seinem Kollegen vorzuwerfen hatte, haben Theologen wie KÄSEMANN, FUCHS, KOESTER u.v.a. die Bultmannsche Methode weitergeführt, sie auf verschiedene Relevanzbereiche hin geprüft und variiert.
39 Im französischen oder englischen Sprachgebrauch ist das sogar die erste Bedeutung.
40 Im Folgenden wird sich zeigen, dass selbst der Begriff Mythos zu differenten Auslegungen
veranlasst, so dass man im Falle der „Entmythologisierung” auf keinen quellenanalytisch gesicherten Mythos zurückgreifen kann, den man beseitigen könnte. Vor diesem Hintergrund gleicht
die Aufgabe der Entmythologisierung in etwa der Entfärbung einer nicht bekannten Farbe.
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das Kerygma nicht durch solche Textmanipulationen zu retten. Bultmanns
Schriften und Methode setzten also nur begrenzt philologisch an, hielten jedoch an der Kanonizität der Gesamtheit der neutestamentlichen Texte fest
und fuhren dann mit der rein mentalen Operation der Umdeutung fort. Keineswegs suggerierten sie eine Amputation des Schriftguts nach quellenkritischen Kriterien.
Vielmehr müsste man im Klaren darüber sein, was die Natur des Mythos41
und damit verbunden seine Funktion sind. Es gehört zum gängigen Gebrauch des Wortes anzunehmen, dass Mythen keineswegs ein objektives
Weltbild vermitteln, sondern das ohnehin historisch bedingte Selbstverständnis des Menschen ausdrücken. Für Bultmann und seine Schüler galt
aber, dass man Mythos nicht kosmologisch, sondern anthropologisch oder
besser noch existenzialistisch interpretieren müsse.42 Der Mythos berichtet
über die Mächte, die der Mensch vermittels Welterfahrung dieser Welt zu
Grunde legt. Ebenfalls berichtet er oft ätiologisch über die menschliche Tätigkeit und über das menschliche Leiden. Und selbst wenn die beschriebenen
Geheimmächte als ein transzendentes Fundament der Weltereignisse gedacht sind, so werden sie mit Hinweis auf die reine Immanenz erfasst. So
spricht man z. B. vom Weltbaum oder vom Weltei. Ferner wird im Mythos
die historische Gegenwart mit Rekurs auf einen anzunehmenden Ursprung
beschrieben, so dass ein Diesseits im Jenseits immer abgebildet zu sein
scheint.
Die Form des Mythos verschleiert meistens seine Funktion und erschwert
auf diese Weise seine Interpretation. Jedoch besteht die Bedeutung einer religiösen Schrift nicht in ihrer üppigen Bildlichkeit, sondern in ihrem doktrinären Inhalt. Das Neue Testament selbst veranlasst zu einem solchen Kritizismus auf Grund seiner Inkonsequenzen und Ambiguitäten. Ist Christus
eher als Messia oder als Zweiter Adam zu berücksichtigen? Denn er wird mal
so, mal so dargestellt. Ferner ist die „immaculata conceptio“ widersinnig,
wenn man die Präexistenz Jesu voraussetzt usw. Die Kritik des Mythos 43
41 Unter Mythos wird hier die von der religionsgeschichtlichen Schule popularisierte Bedeutung gemeint (weder also als „Lüge“, noch als Ideologie). Vgl. insbesondere M. ELIADE, Mythos und Wirklichkeit. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 1988.
42 Vgl. Gerhardt KRÜGER, Einsicht und Leidenschaft, S. 17f. und 56f.
43 Wie man die kritische Umdeutung des Mythos betreiben kann vgl. Hans JONAS, Augustin
und das paulinische Freiheitsproblem. Ein philosophischer Beitrag zur Genesis der christlich-
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Gabriel H. Decuble
setzt meistens dort an, wo das Neue Testament solche Ambiguitäten erlaubt,
wenn es z. B. die Bedingtheit des menschlichen Lebens durch kosmische
Mächte mit dem freien Willen alterniert.
Aber es war schon für die liberale Theologie kennzeichnend, dass sie die Mythologie als eine relative und zeitlich begrenzte Erscheinung betrachtete, so
dass sie damit rechnen konnte, diese isoliert zu erfassen und derweise auszugrenzen, dass grundlegende ethische und religiöse Prinzipien daraus gewonnen werden. So meinte z.B. schon Harnack, das Wesen der Verkündigung
Jesu (vgl. vor allem die Gottesreich-Problematik) an historisch verfremdeten
Aussagen durch ein Sich-Versenken in die einheitlich erfasste Geschichte
rekonstruieren zu können44, doch damit tat er nichts anderes, als sich innerhalb der Grenzen einer bereits bei Spinoza dokumentierten Auslegungsmethode zu bewegen, meinte doch dieser, er frage nur nach der Meinung, nicht
aber nach der Wahrheit der Schriften: „De solo enim sensu orationum, non
autem de earum veritate laboramus“.45 Dies bedeutete aber zugleich das Zusammenlegen eines semantischen Fächers, der sich in jahrhundertelang andauernden exegetischen Leistungen entfaltete, die man mit Gadamer auch
Wirkungsgeschichte nennen könnte. Harnack reduzierte dabei das Kerygma
auf einige religiös-ethische Grundsätze, denen er einen universalen, zeitlosen
Wert beimaß, obwohl diese doch wiederum nur innerhalb der menschlichen
Geschichte46 geltend gemacht werden könnten.
Die Religionsgeschichte ihrerseits interessierte sich für die Zulässigkeit der
neutestamentlichen Schriften gegenüber der Mythologie und rückte das religiöse Erlebnis und die implizite Frömmigkeit in den Vordergrund. Somit
wurde der dogmatische Charakter dieser Schriften völlig vernachlässigt. Das
Wesen des Neuen Testaments bestehe, so die Annahme, in dem darin abgebildeten religiösen Leben, und sein Kennzeichen sei die Erfahrung der mystischen Einigung mit Christus, in welchem Gott eine symbolische Form ein-
abendländischen Freiheitsidee, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen,1930 , S. 66-76.
44 A. HARNACK, Das Wesen des Christentums, hrsg. von Claus Dieter Osthövener, Mohr-Siebeck, Tübingen, 2005, S. 39f.
45 Tractatus theologico-politicus, Cap. VII, in: Spinoza opera, hrsg. von C. Gebhardt, Heidelberg 1925 (Unveränderter Nachdruck: Heidelberg: Carl Winter-Verlag, 1972), Bd. III, S. 100.
46 Die evangelische Theologie galt ihm dabei als durchaus „geschichtliche Wissenschaft”, vgl.
ebd., S. 185.
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Die Dialektik von Nachricht und Gerücht in der religiösen Kommunikation – Tatians „Diatessaron“
nimmt.47
Ob die existenzialistische Interpretation die einzige richtige Exegese des
Neuen Testaments darstellt, sei dahin gestellt. Die neutestamentliche
Mythologie ist im Grunde die der jüdischen Apokalyptik und der gnostischen
Mythen der Errettung, beide dualistischer Art. Doch die Bedeutung beider
Typen von Mythologien besteht nicht in ihrer Bildlichkeit, sondern im Verständnis der in ihnen ausgedrückten menschlichen Existenz. Kein Wunder,
dass die Forschung das Zusammenwirken von Mythos und Theologie im Falle des Christentums vor allem an Hand gnostischer Elemente dingfest
machen wollte.48 Denn die Gnosis lieferte dem Christentum das Spekulative
par excellence und sie war zugleich – diesmal aber kommunikationswissenschaftlich gesehen – auch noch jener Antrieb zur permanenten Bereicherung
der Information um Jesus und seine Verkündigung.
Gegen eine solche Tendenz, die drohte, den doktrinären Kern des Christentums zu verfälschen, konnte die Kirche nicht anders reagieren als sich zur
Wehr zu setzen. So gesehen, begann die „Entmythologisierung“ schon in der
frühchristlichen Gemeinde selbst: sie bedeutete die Verwerfung der polytheistischen Mythologien der griechisch-römischen Antike, und davon legt
unter anderen auch Tatians Oratio ad Graecos Zeugnis ab. Bultmann und
seiner Schule ist etwas gelungen, das eigentlich schon am Anfang des Christentums seinen Anlauf nahm: die Entmythologisierung der Welt. Diese wurde damals als eine philologische Pflicht in die Tat umgesetzt, in der Moderne
wurde sie zur philosophischen Freiheit. Jedem steht diese zu, und jedem obliegt jene.
IV. Logos und Gemurmel
Als höchst ökonomische Form der Kommunikation sind Gerüchte wie kein
anderes Medium dazu fähig, Information schnell und wirksam zu befördern:
ihr einziger Nachteil ist ab einem bestimmten Zeitpunkt die Unkontrollierbarkeit. Wenn auch die typische Verbreitungsform des Gerüchts das Mündli47 Vgl. z.B. Ernst TROELTSCH, Die Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu für den Glauben,
J.C.B. Mohr, Tübingen, 1911.
48 Hans JONAS, Gnosis und spätantiker Geist. Bd. 1. Die mythologische Gnosis. Mit einer Einfuhrung zur Geschichte und Methodologie der Forschung, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1934, S. 62f.
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Gabriel H. Decuble
che ist – vgl. Begriffe wie „Hörensagen“, „Mundpropaganda“ usw. –, so können auch viele Schriften ein ausgesprochenes Potenzial als Auslöser von Gerüchten vor allem dann enthalten und entfalten, wenn sie das Resultat entweder der Verschriftlichung mündlicher oder der Verstümmelung schriftlicher Überlieferung sind.
Für das Frühchristentum gilt das in besonderer Weise, denn die vornizänische Zeit bedeutete zugleich auch die Herauskristallisierung des Kanons. Zu
diesem Prozess gehört unter anderem, dass viele konkurrierende Schriften in
den christlichen Gemeinden kursierten, die deutliche oder weniger deutliche
Spuren gnostischen Gedankenguts enthielten und aus diesem Grund beseitigt wurden.
Vertieft man sich in die Lektüre von antiherätischen Schriften, so wird der
Eindruck immer fester, dass diese Jagd nach Verfälschern der authentischen
christlichen Verkündigung oftmals und notwendigerweise zum „Informationskrieg“ entartete, denn viele Hinweise auf Häretiker oder häretische
Schriften sind heute entweder bereits als falsch eingestuft oder wenigstens
mit Recht angezweifelt worden. Das Beispiel Tatians hat meines Erachtens
illustrativen Wert. Ihm anderthalb Jahrhunderte nach seinem Tod das Verfassen des Diatessaron anzukreiden scheint mir ein typisches Besipiel für
diesen nicht immer korrekten Umgang mit Informationen.49
Denn kommunikationswissenschaftlich ist die Religion ganz allgemeinen
ein höchst sensibler Bereich, und als „Religion der Tatsachen“50 entbehrt das
Christentum sowieso jeglichen Versuchs, die bereits autoritativ dargestellten
Tatsachen – den Kern der Doktrin – durch hinzugefügte narrative Szenarien
auszuweiten. Somit bewegt sich das Christentum stets diese unklar sich ziehende Grenze zwischen Nachricht und Gerücht entlang. Wird die „exegetische Sünde“ lediglich in der Interpretation von Schriften mit autoritativem
Wert begangen, so lässt sich noch etwas zur Verteidigung des „Sünders“ sagen. Wird sie aber durch neue Enthüllungen von früher scheinbar unbekannten Tatsachen begangen, so wird sie zur Hauptsünde, denn darin kann man
ein Gerücht vermuten, und Gerüchte, so die Grundannahme, sind gefährlich,
49 Näheres dazu vgl. Gabriel H. DECUBLE, Mixing Up the Holy Word. Tatian’s Magnificent Failure as a Harmonic Evangelist in Terms of Religious Communication, in: Archaeus, XV, fasc.
3, 2011, S. 409-432.
50 Theodor ZAHN, Der Geschichtschreiber und sein Stoff im Neuen Testament, in: Zeitschrift
für kirchliche Wissenschaft und kirchliches Leben, No. 9, 1888, S. 581-96, hier S. 582.
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Die Dialektik von Nachricht und Gerücht in der religiösen Kommunikation – Tatians „Diatessaron“
weil unkontrollierbar.
Die wesentliche Fragestellung in Hinsicht auf das Gerücht hat schon Francis
Bacon formuliert: „What are false fames; and what are true fames; and how
they may be best discerned; how fames may be sown, and raised; how they
may be spread, and multiplied; and how they may be checked, and laid dead.
And other things concerning the nature of fame.“51 Interessant ist, dass Bacon bereit war, unter Umständen dem Gerücht einen Wahrheitsgehalt zuzusprechen, und somit den Informationschrakater desselben anerkannte. Dies
tat er vermutlich vorsichtshalber, denn er sah ein, wie unmerklich ein
Gerücht die Erscheinungsform einer genuinen Nachricht annehmen kann.
Doch schon die neutestamentlichen Schriften wussten um die unheimliche
Kraft des Gerüchts. Allerdings war das gängige Substantiv in den Evangelien
nicht unbedingt negativ konnotiert – φήμη war zunächst einfach als Wissen
um Jesus Taten verstanden52 –, während der böse Leumund Apg 21:21 mit
einem Verb im Passiv κατηχήθησαν („sie wurden berichtet“)53 wiedergegeben
wurde, wobei man darin eine von der Theorie postulierte ternäre Struktur
des Gerüchts schon identifizieren kann: Diese bestehe im vorliegenden Fall
aus einem Betroffenen (Paulus), einem Initiator des Gerüchts (anonym und
kollektiv, hier als „die Juden aus Asien“ angegeben) und dem Publikum (die
Gläubigen unter den Juden).
Nun, Initiator und Publikum fließen leicht ineinander, denn es ist eine
grundlegende Funktion des Publikums, das Gerücht aufzugreifen und es
„verschwörerisch“, oft deformierend, weiterzuerzählen (Apg 21:34ff.). Was
den Betroffenen betrifft: Ist er bereits tot, so gilt – aber begrenzt – der
Spruch „De mortuis nil nisi bene“. Lebt er noch und wird er vom Gerücht
überrascht, so reagiert er alles andere als gelassen und gerät umso schneller
in Erklärungsnot. Genauso auch Paulus, der nur mühsam dem Lynchmord
51 Bacon's Essays: With Annotations by Richard Watley, 4th Edition, Oxford University Press,
Oxford New York, 2000, S. 177.
52 Vgl. die einzigen Stellen, in denen das Wort vorkommt: Mat. 9:26 (καὶ ἐξῆλθεν ἡ φήμη αὕτη
εἰς ὅλην τὴν γῆν ἐκείνην) und Lukas 4:14 (φήμη ἐξῆλθε καθ' ὅλης τῆς περιχώρου περὶ αὐτοῦ),
denen man nicht genau entnehmen kann, wie die Wunder Jesu in den Gebieten um Galiläa
rezipiert wurden.
53 Vgl. Alfred SCHMOLLER, Handkonkordanz zum Griechischen Neuen Testament. Nach dem
Text des Novum Testamentum Graece von Nestle-Aland, neu bearbeitet von Beate Köster, 8.
Auflage, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, 1994, S. 276.
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entkommt, das Volk mit gütigen Worten nicht zu beruhigen vermag und sich
erst retten kann, indem er beteuert, er sei ein römischer Bürger (Apg 22).
Auch war das Neue Testament durchaus vertraut, ohne dies wissenschaftlich
ergründen zu wollen, mit dem Phasenverlauf eines Gerüchts. Gerade die Episode Apg. 21-22 hat mehr als anschaulichen Wert diesbezüglich. Man kann
neben dem kurzen Lebenszyklus des Gerüchts auch eine Ursprungsphase
(oder Inkubationsphase) ausmachen (Geraune, Gemunkel, Mutmaßungen,
Informationsdefizite, Erwartungen, Befürchtungen), während die stete, hier
als wichtigster Bestandteil des Gerüchts54 zu berücksichtigende Nacherzählung es mit immer neuen Details anreichert und so zu einer regelrechten
„Story“ werden lässt. Jedenfalls tendiert das Gerücht schließlich dazu, sich
narrativisch zu entfalten und zugleich jede auktoriale Kompetenz zu verlieren. Publikum und Auslöser fallen in eins und verharren in Anonymität,
obwohl selbst diese Kommunikationsform paradoxerweise von der Autorität
der involvierten Personen abhängt, jedenfalls so, dass das Weitererzählen
lohnt, weil soziales Prestige im Spiel ist. Und soziales Prestige genießt jeder,
der es versteht, interessante Dinge auf interessante Weise zu erzählen.
Gerade im Falle der Religion, die doch Vorhersagung und Vision verbindet,
haben die Informationen ein großes Potenzial zum Gerücht zu werden, denn
sie warnen vor negativen Folgen misslichen oder religiös fehlerhaften Benehmens. „In all diesen Fällen verbreitet sich das Gerücht, denn es würde eine
konkrete oder symbolische Gefahr bedeuten, wenn die Nachricht unbekannt
bliebe, mag diese nun wahr oder falsch sein.“55
Die Grundvoraussetzung dafür, dass ein Gerücht überhaupt entsteht, sind
das Vorhandensein einer kritischen Situation bzw. das aktuelle Erleben von
kritischen Zeiten. Daraus entwickelt sich ein spekulativer Drang, der auf die
Stimmungslage der Gesamtgesellschaft antwortet, so dass schließlich die Anonymisierung von Gerüchtsurheber und -quelle mit seiner Bedingung als
kollektives Medium, seinem immanenten Resonanzboden, zusammenfällt,
unabhängig davon, ob die lancierte Information private, dahinter zu vermutende Interessen befriedigt oder nicht.
Was das Frühchristentum betrifft, verlangte das inkomplette Wissen um den
54 Neubauer macht es deutlich: „Als flüchtige kollektive Ereignisse existieren sie nur im Moment ihrer Kommunikation.“ NEUBAUER, Hans-J., Fama. Eine Geschichte des Gerüchts. Berlin: Berlin Verlag, 1998, S. 13.
55 J. N. KAPFERER, a.a.O., S. 65.
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Die Dialektik von Nachricht und Gerücht in der religiösen Kommunikation – Tatians „Diatessaron“
Gegenstand der Information, begünstigt durch die prekäre Situation der „offiziellen Stellen“, jene extravaganten Ergänzungen der Doktrin mit mythologischen Vorstellungen, welche die verschiedenen gnostischen Orientierungen mit sich brachten. Neugierde für das „Intime“ oder das „Neue“ aus dem
Kreis der Eingeweihten gehörte allenfalls zum Antrieb dieser phantasievollen
Erfindungen, die den Gnostikern so gut bekamen und Iraeneus irreligiös
nennt („irreligiosas sententias“).56 Und in Iraeneus’ Urteil ist der größte
Nachteil dieser falschen Geschichten hervorgehoben: sie bauen den Glauben
ab, anstatt im Glauben zu erbauen. Sie unterhalten unverbindlich, anstatt
verbindlich zusammenzuhalten. Und selbst Nachrichten können unter Umständen als Gerüchte mitgeteilt werden, da sie auf diese Weise leichter und
ohne kritische Stellungnahme aufzunehmen sind57, zumal sie menschliche
Sorgen, Zukunftsängste, Hoffnungen betreffen und damit zusammenhängen,
dass es keine Bestätigung oder Widerlegung von Seiten der offiziellen Stellen
gibt. Ihr Wahrheitsgehalt bleibt aus diesem Grund unangezweifelt. 58 Gerade
in Sachen des Glaubens spielen Gerüchte eine besondere Rolle, weil man
einfach an etwas glauben will, was man hört, und die christliche Botschaft
konnte oftmals, da sie heilsökonomisch so großzügig ist, als Gerücht mitgeteilt werden.
Gerüchte haben andererseits ein schwindelerregendes Erneuerungstempo59,
und man kann in diesem Zusammenhang die legitime Frage aufwerfen, ob
nicht etwa ein schlimmeres Schicksal dem Diatessaron hätte widerfahren
müssen, wenn es nichts anderes als ein bloßes Flickwerk von Gerüchten gewesen war. Hat es erst einmal den Kulminationspunkt seiner Wirksamkeit
erreicht, so hätte es folgerichtig jenen Werteverzehr erleben müssen, der von
der Medienwissenschaft so akkurat beschrieben wird.60 Damit man Erfolg im
Erfinden und Weitererzählen von Gerüchten, aber auch generell in der Kom56 Irenaeus, Adversus haereses, édit. Migne, Paris, 1841, t. V, præf., col. 1119.
57 Horst SCHUH, Das Gerücht. Psychologie des Gerüchts im Krieg, Bernhard & Graefe, München, 1981, S. 58.
58 „Man prüft sie selten und denkt nicht viel darüber nach, sondern man fühlt und bestätigt
und verteidigt sie“, so Gordon W. Allport, Die Natur des Vorurteils. Kiepenheuer & Witsch,
Köln, 1971, S. 38
59 Vgl. Livius’ Bemerkung, dass nichts schneller sei als das Gerücht („Fama nihil est celerius”,
Ab urbe condita, 24,21,5).
60 Vgl. KAPFERER, Jean-N., Gerüchte. Das älteste Massenmedium der Welt. Leipzig: Kiepenheuer, 1996, S. 131f.
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Gabriel H. Decuble
munikation hat, muss man Exklusivität und Autorität besitzen oder wenigstens vortäuschen. Autorität ist aber mit sozialem Image und Prestige verbunden, ohne dass sie unbedingt mit der etablierten sozialen Hierarchie zusammenfällt: „Je mehr das Gerücht […] mit dem öffentlichen Image der betreffenden Person übereinstimmt, desto glaubwürdiger wirkt es.“61
Im Falle Tatians, so wie man ihn aus der Oratio kennt, kann man den Versuch ausmachen, Autorität vorzutäuschen, rühmte er sich doch selber seiner
Belesenheit und Gelehrtheit, damit er die Griechen von der Überlegenheit
des Christentums zwecks Bekehrung überzeugen konnte.
V. Konstitutive Paradoxien der religiösen Kommunikation
Da vor allem die christologischen Debatten in Nizäa das Hauptproblem darstellten, muss man sich fragen, welche Aspekte hätten dazu führen können,
dass das Diatessaron von der Kirche abgelehnt wurde. Indem er versuchte,
die Christologie Tatians genau zu rekonstruieren, befand Peter M. Head,
dass es nur wenige Hinweise darauf gibt, dass Tatian den christologischen
Inhalt der vier Evangelien in seinen Wesenszügen verändert hätte. Das Weglassen der Genealogien und jeglicher Erwähnung der irdischen Abstammung
Jesu verschleiert die Verbindung mit der davidischen Linie, und das fiel
Theodoret sicherlich auf, ist indessen noch kein Beweis für die totale Ablehnung der Menschlichkeit Jesu. Dies veranlasste Head zu behaupten, Tatian
sei fähig gewesen “not only to integrate separate theologies of the four Gospels, but to do it without sacrificing the real humanity of Jesus.”62 Der Verzicht auf die Genealogien in den meisten Textzeugen könnte aber über ein
“subset of Tatian’s encratitic alterations”63 hinaus, wie Head ihn interpretiert, auch noch die Pragmatik des Diatessaron widerspiegeln. Um dies zu
beweisen, ist ein kurzer Exkurs notwendig.
Theodoret von Cyrus gebrauchte wohl einen rhetorischen Kunstgriff, um seine persönlichen Verdienste zu betonen, wenn er anmerkte, er habe mehr als
200 solcher Handschriften (d.h. genauso viele Exemplare vom Diatessaron)
gesammelt und zerstört. Dies beweist, dass es tatsächlich eine harsche Kon61 Ebd., S. 339.
62 Peter M. HEAD, Tatian’s Christology and Its Influence on the Composition of the Diatessaron, Tyndale Bulletin 43 (1992), S. 121- 137, hier S. 135.
63 Ebd.
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Die Dialektik von Nachricht und Gerücht in der religiösen Kommunikation – Tatians „Diatessaron“
kurrenz in den syrischen Gemeinden zwischen dem Evangelium „der Getrennten“ (da-Mepharreshe) und dem Evangelium „der Gemischten“ (daMehallete) gab.64 Warum war denn letzteres von den syrischen Kirchenoberhäuptern als eine so große Gefahr empfunden?
Die Bedingung der Möglichkeit, dass Gerüchte entstehen, wird im Falle des
Diatessaron zur konsequent angewandten Methode, ja zum Verhängnis dieser ihrer Intention nach kaum abwegigen Schrift: die Verkürzung einer
genuinen Nachricht.65 Diesmal geht es ja nicht nur um die inhaltliche Abbreviatur, sondern auch und vor allem um die Verschmelzung differenter, jedoch gleichwertiger Zeugen. Dass die unterschiedlichen „Tatiani“ jeweils unter Entscheidungsdruck gestanden haben, erklärt sich aus dem Bedürfnis
heraus, mit der harmonisierten Version der Evangelien zu missionieren, und
gerade dieser Druck muss dazu geführt haben, am evangelischen Textgut
Weglassungen und Hinzufügungen zu operieren. Im Umgang mit Texten, die
als geoffenbart und heilig gelten, kann das ein höchst unbesonnenes Unterfangen genannt, jedenfalls kann es als bloßes Gerüchtetreiben verworfen
werden.
Die „Hauptsünde“ des Diatessaron besteht also darin, etwas paradigmatisch
– ‚alles in einem’ – dargestellt zu haben, das nur in syntagmatischer Reihenfolge – ‚eins durch vier’ – eine Geltung hätte beanspruchen können. Dabei
stelle man sich die immanente Pluralität der kanonischen Evangelien nur so
vor, dass das eine ohne die anderen wertlos ist. Damit erweckte das Diatessaron den Eindruck, Gerüchte in einer Zeit verbreiten zu wollen, als die
Kirche doch sehr darum bemüht war, alle möglichen Gerüchte (sprich Parallelgeschichten zur offiziellen Lebensgeschichte Jesu, d.h., alle apokryphen
Evangelien) zu beseitigen und einen Kanon endgültig zu fixieren.
Da einerseits das Geheimnis für die Religion unabdingbar ist und anderer64 William L. PETERSEN, “Tatian’s Diatessaron. Its Creation, Dissemination, Significance,
and History in Scholarship”, Leiden/ New York/ Köln 1994, S. 37.
65 STROEBE macht die Möglichkeit zur Gerüchtebildung an sechs psychologischen Mechanismen fest: Kondensation (auf Grund von nicht unbedingt richitigen Analogiebildungen), Ergänzung (früher Gehörtes tritt zur neuen Information hinzu), Erwartungen (allgemeine
Stimmungen fließen ein, vor allem negative), Erinnerungen (an ein folgenschweres Ereignis
in der näheren Vergangenheit), Vorurteile (vorhandene Antipathien werden scheinbar untermauert) und individuelle Assoziationen (die eigene Betroffenheit vom Inhalt der
Information). Vgl. Rainer W. STROEBE, Kommunikation I. Grundlagen. Gerüchte. Schriftliche
Kommunikation. Heidelberg: Sauer Verlag, 2001, S. 62f.
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Gabriel H. Decuble
seits die Gerüchte indiskret wirken, weil diese vielfach zur Vorbereitung bzw.
Einstimmung auf gravierende Ereignisse dienen, ist die Religion von ihnen
in besonderem Maße beeinflusst. Eine effiziente Abwehr gegen die Gerüchte
kann es auf Grund ihrer Unkontrollierbarkeit66 nicht geben, so dass man als
„ofizielle Stelle“ einer Religion notgedrungen dazu tendieren wird, alle Medien auszuschalten, die potenziell zur Gerüchtebildung beitragen könnten.
Nichts anderes hat Theodoret von Cyrrhus im Zuge der nizänischen Beschlüsse mit den Diatessaron-Handschriften in seiner Diözese bestrebt. Dabei ist Tatian möglicherweise ganz und gar unschuldig – wenn die ihm zugeschriebene Autorschaft des Diatessaron sich einmal als falsch erweisen würde – oder jedenfalls unwissentlich – seiner Intention nach war das Diatessaron kein Gerüchtetreiben, doch konnte sein Autor die Wirkungen desselben
nicht ganz antizipieren – den nizäischen Bestrebungen nach doktrinärer Eintracht zum Opfer gefallen, welche die konstitutiven Paradoxien der religiösen Kommunikation aufdecken: Wo immer man nach Einhelligkeit trachtet,
will man diese durch eine Fülle von Zeugnissen belegt wissen.
*****
Zusammenfassung:
Tatians Urheberschaft des Diatessaron ist keineswegs gesichert, und wenn man eine
blühende diatessaronische Tradition im altchristlichen Orient (insberondere in Syrien) im Auge hat, so muss man der Korrektheit halber von mehreren Tatiani im Sinne
einer harmonisierenden Schule sprechen. Im vorliegenden Beitrag wird versucht,
hinter der Geste Eusebius’, der Tatian zum ersten Mal und ohne jegliche Argumente
(„ich weiß nicht wie“) als Urheber des Diatessaron erwähnt, eine genauso gängige
wie zweifelhafte Praxis der religiösen Kommunikation zu dokumentieren, nämlich
das Gerüchtetreiben, das andererseits dem Diatessaron nicht ganz unverdient anhaftet, bietet sich diese Schrift doch selber als Abweichung von der genuinen christlichen Nachricht („Euangelion“) dar.
Keywords: Diatessaron, Tatian, Kommunikation, Nachricht, Gerücht.
66 Schon Ovid wusste: „Das geschwätzige Gerücht fügt gerne Falsches zu Wahrem und wächst
aus Kleinstem durch Lügen ins Große.“ (Ovid, Metamorphosen, IX, 136ff). Kapferer macht
den Grund deutlich, warum ein Dementi niemals sein Ziel erreichen kann: „Ein Dementi ist
keine zugkräftige Nachricht. Darauf hatte man schon gewartet“, KAPFERER, a.a.O. (=Anm. 57),
S. 286.
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ZWISCHEN MASKERADE UND DEMONTAGE.
Zur Literaturgeschichte weiblicher Autorschaft1
Irmela von der Lühe
Die Debatten um den Tod des Autors, die von den berühmten Aufsätzen Roland Barthes (1968) und Michel Foucaults (1969) ausgelöst und in poststrukturalistisch-dekonstruktiven Kontexten radikalisiert wurden, waren zugleich
ein vielstimmiges Plädoyer für autorimmune, textzentrierte und leserorientierte Lektüren; für Lektüren die Sinnpotenziale würden freisetzen können,
die allen irgend nachweisbaren Intentionen des individuellen Autors überlegen wären. Nach meinem Eindruck haben diese Debatten um den Tod des
Autors2 ihre Brisanz und ihre Brillanz nicht zuletzt durch solche Forschungen gewonnen, die sich die Relativierung, Wiederlegung und Neubestimmung der Ausgangsprämissen zum Ziele gesetzt hatten. Unter den zahlreichen von immer neuen Reinheitsgeboten begleiteten literaturwissenschaftlichen Methodenstreits der letzten 30 Jahre (von der Immanenz zur Sozialgeschichte, vom Materialismus über Psychoanalyse, Feminismus und Systemtheorie bis zu Diskursanalyse und Dekonstruktion) hat in meiner Sicht
kaum ein Paradigma unserer Disziplin so von seiner Infragestellung profitiert wie der Begriff des Autors und der Autorschaft. Seine Historizität bzw.
das wissenschaftliche Gebot seiner historisierenden Erforschung hat zu Erkenntnissen und Ergebnissen geführt, aufgrund derer mir die Frage, ob der
Germanistik ihre Gegenstände „abhanden“ gekommen seien, beantwortet
schien, ehe sie denn wirklich gestellt war.3
Natürlich ging und geht es dabei nicht ohne (wissenschafts- und erkenntnistypische) Paradoxien ab: so fiel die lebhafte, theoriegespeiste Debatte um
den Tod des Autors und das Plädoyer für einen (Inter)textualitätsbegriff, der
im Text ein „Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur“ 4 sieht, d.
1 Vortrag auf dem IX. Internationalen Kongress der Germanisten Rumäniens, 4.-7. Juni 2012.
2 Die Debatte ist gut dokumentiert in: Fotis Jannidis u.a. (Hrsg.), Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart 2000; vgl. außerdem Heinrich Detering (Hg.), Autorschaft. Positionen
und Revisionen. Stuttgart/Weimar 2002.
3 Vgl. dazu: Hartmut Böhme, Zur Gegenstandsfrage der Germanistik und Kulturwissenschaft.
In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft, Bd. XLII (1998), S. 476-485. Sowie die mit
diesem Heft eröffnete Diskussionsrunde zur Frage „Kommt der Literaturwissenschaft ihr Gegenstand abhanden?".
4 Janidis /Lauer/ Winko (Anm.1), S. 23 .
Irmela von der Lühe
h. die Autorinstanz in eine Autor-Funktion mit spezifischen Diskurseffekten
überführt, eben diese inzwischen hinlänglich gut dokumentierte Debatte fiel
in eine Zeit intensiver, z. T. identifikatorisch-empathischer Suche nach unbekannten, vergessenen, verdrängten Autorinnen. Die Geschichte weiblicher
Geschichtslosigkeit, die wirkungsmächtige Tradition „imaginierter Weiblichkeit“5 wurde mit ebenso viel wissenschaftlichem wie politisch-moralischem
Engagement erforscht; die Wieder- bzw. Neuentdeckung von Autorinnen wie
Anna Luisa Karsch und Rahel Varnhagen, Sophie von La Roche und Dorothea Schlegel, der Schriftstellerinnen der 48er-Revolution und der Essayistinnen im Umkreis der Ersten Frauenbewegung, von Marieluise Fleißer und
Irmgard Keun, Mela Hartwich und Marlen Haushofer: diese Wieder- und
Neuentdeckungen, die z. T. Editionen und ein radikal revidiertes Verständnis vom Begriff des „Werkes“ bzw. der hohen Literatur zur Folge hatten, all
diese zwischen naiver Entdeckerfreude und forcierter Theoriearbeit changierenden philologischen und theoretischen Anstrengungen wären ohne ein implizites Vertrauen auf die Kategorie des Autors, der Autorin, d. h. die Existenz eines von welch differenten Motiven auch immer geleiteten schreibwilligen Subjekts nicht ausgekommen. Ich scheue mich nicht zu gestehen: Das
war gut so!
Die systematische und philologisch akribische Lektüre und Erforschung von
Werk und Leben einer Autorin wurde in diesem Zusammenhang gleichsam
diskursbestimmend, alle theoretischen Moden und philologischen Innovationen, je aktuellen (geschlechter- und geschichts)politischen Paradigmen
und Debatten wurden an ihr exekutiert. Ingeborg Bachmann ist gemeint, deren einzig vollendeter Roman Malina, aus dem Todesarten-Zyklus als literarische Bestätigung oder als ästhetische Vision, als Beweis oder dichterisches
Analogon für jenen vielbeschworenen Tod des Autors fungierte.6 Vom Verschwinden nicht nur der Frau, sondern des weiblichen Autors, von der gleichermaßen männlichem Fremdverschulden wie weiblicher Selbsttötungsbereitschaft entstammenden Auflösung eines schreibenden Ichs muss bei
Ingeborg Bachmann (nicht erst im Todesarten-Zyklus) wahrlich gesprochen
5 Silvia Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Frankfurt/M. 1979.
ND 2003.
6 Einen Überblick liefern Monika Albrecht / Dirk Göttsche (Hg.) , Bachmann-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart/ Weimar 2002. Vgl. außerdem: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.),
Ingeborg Bachmann. Text + Kritik Sonderband, München: Edition Text und Kritik 1984.
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Zwischen Maskerade und Demontage. Zur Literaturgeschichte weiblicher Autorschaft
werden. Tatsächlich – Hans Höller hat dies in seinen Arbeiten nachhaltig gezeigt7 – ist kaum ein literarisches Œuvre des 20. Jahrhunderts so radikal mit
dem Mythos vom Autor-Genie und dem Trauma weiblicher Autorschaft umgegangen wie dasjenige Ingeborg Bachmanns. Der strukturelle und kulturelle Nicht-Ort weiblicher Autorschaft begegnet in ihrem Werk als Motiv (Requiem für Fanny Goldmann) und als Erzählverfahren, als Thema und als
Kompositionsprinzip, als Gegenstand poetologisch - philosophischer Reflexion und als lyrische Rede.
Auf diesem Hintergrund soll im folgenden ein Vorhaben skizziert werden,
das seinen Ausgangspunkt beim literarischen Selbstauslöschungsprojekt Ingeborg Bachmanns nimmt, das Spuren und Stationen einer Kulturgeschichte
der Mortifikation weiblicher Autorschaft verfolgt;8 nicht aus larmoyanter
oder auftrumpfender, sondern aus einer wissenschaftlichen Position heraus,
die in Traditionen Traditionsbrüche, in Kontinuitäten Diskontinuitäten, in
Prozessen Retardierungen ausmachen möchte.
Ich wähle im folgenden ein exemplarisches Verfahren; freilich sind die Beispiele so gewählt, dass sie thematisch und strukturell, motivisch und theoretisch historische Orte benennen, die natürlich durch Texte und lebensgeschichtliche Konstellationen bestimmt sind. Autorschafts- und Werkkonzepte durchdringen sich dabei naturgemäß, auf Biographisches lässt sich nicht
völlig verzichten und Geschlechterkonstellationen, die im Medium von Liebe
und Freundschaft realisiert bzw. ausagiert werden, bilden die Grundlage.
Mein erstes Beispiel stammt aus der Zeit um 1800, jener „Sattelzeit“ also, die
auch in ästhetischer und geschlechterpolitischer Hinsicht die Verhältnisse
zum Tanzen bringt. Es geht um die Liebes- und Ehegeschichte der Schriftstellerin Sophie Mereau und des Dichters Clemens Brentano 9. Hier trifft man
7 Hans Holler, Ingeborg Bachmann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999 sowie Bernhard Böschenstein und Sigrid Weigel (Hrsg.), Ingeborg Bachmann und Paul Celan - Poetische Korrespondenzen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997.
8 Die entscheidende Anregung verdanke ich der Studie von Marlies Janz , Marmorbilder.
Weiblichkeit und Tod bei Clemens Brentano und Hugo von Hofmannsthal. Königstein/Ts.
1986. Vgl. Außerdem Elisabeth Bronfen, Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik. Würzburg 2004.
9 Dagmar von Gersdorff, Dich zu lieben kann ich nicht verlernen. Das Leben der Sophie Brentano-Mereau. Frankfurt am Main 1984; Julia Ausgärt, Eine romantische Liebe in Briefen. Zur
Liebeskonzeption im Briefwechsel von Sophie Mereau und Clemens Brentano. Würzburg
2006. Wesentliche Anregungen für die folgenden Überlegungen verdanke ich Herta Schwarz,
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auf Autorschafts-, Geschlechter- und Körperkonstellationen, deren sprachlich-argumentative Inszenierung alle Züge eines Meisterwerks trägt, das indes „nur“ in Briefen vorliegt. Auf die Details der schon im sog. Leben romanhaft wirkenden Geschichte soll hier nicht weiter eingegangen werden. Nach
zweieinhalbjähriger Unterbrechung hatten im Jahre 1803 Sophie Mereau,
die in den Augen Schillers inzwischen eine kunstanaloge „Schreibgeschicklichkeit“10 entwickelt hatte, und der acht Jahre jüngere Clemens Brentano
ihre Verbindung brieflich reaktiviert. Das setzte auf seiner Seite eine Rhetorik frei, die zwischen Anbetung und Verunglimpfung, Liebesbeteuerung und
Morddrohung oszillierte. Brentano entwickelte dabei einen Furor, angesichts dessen die lange Tradition der Schmährede auf weibliche Autorschaft
nachgerade harmlos anmutet. Werbung um die Geliebte und Vernichtung
der Schriftstellerin bilden in Brentanos „ästhetischen Gewalttätigkeiten“ 11
eine Einheit, und sie rekurrieren nicht zufällig auf jene phantasmatische
(maskuline) Vorstellung, die im Körper der Frau das eigentliche Kunstwerk
erkennt, dessen planmäßige und verbrecherische Zerstörung erfolge, sofern
die Frau Schriftstellerin zu sein beabsichtige. Als Körperwesen ist sie immer
schon ein (zu bewunderndes, zu liebendes) Werk, ein unübertreffliches Bild
vor dem Auge des Mannes. Als Schriftstellerin verschreibt sie sich notwendig
der Zerstörung dieses Werkes und zwar zu ihrem und des Mannes Schaden;
und als Beleidigung und Brüskierung des männlichen Künstlers und der
Kunst insgesamt. Zwei Textbeispiele müssen genügen:
1. Clemens Brentano an Sophie Mereau, 10. Januar 1803:
So sind Sie denn gänzlich von sich selbst unterjocht, das freie, genialische,
der unendliche Liebreiz in Ihnen, die Misterie Ihres Leibes und Ihrer Seele,
sind regulirt [...] weil Sie so dichten, wie Sie eine Dichterin sich dichtend
denken können [...] Sie haben nicht das erste Reine Bild Ihrer Selbst hervorgebracht, Sie haben die Verstümmelung nur grade so gut, und so schlecht erPoesie und Poesiekritik im Briefwechsel zwischen Sophie Mereau und Clemens Brentano. In:
Anita Runge / Lieselotte Steinbrügge (Hrsg.), Die Frau im Dialog. Studien zu Theorie und Geschichte des Briefs. Stuttgart 1991, S. 33-53.
10 Uta Treder, Sophie Mereau, Montage und Demontage einer Liebe. In: Helga Gallas / Magdalena Heuser (Hrsg.), Untersuchungen zum Roman von Frauen um 1800. München 1990. S.
172-184, hier S. 176.
11 Christa Bürger, Leben Schreiben: Bettina von Arnim. Charlotte von Kalb. Sophie Mereau.
Caroline Schlegel. Johanna Schopenhauer. Rahel Varnhagen. Die Klassik, die Romantik und
der Ort der Frauen. Stuttgart 1990 (ND 2001), S. 50.
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Zwischen Maskerade und Demontage. Zur Literaturgeschichte weiblicher Autorschaft
gänzt, als Sie konnten [...] Aber daß ich ewig vor Sie hintrete, und ängstlich
einigen Zügen des ersten Werks nachspüre, daß mich ein Zug am Nacken, an
der Brust, an der Hüfte rühren, daß ich dem Bilde das Haupt abschlagen,
und das gipserne Gewand vom Schoß reißen möchte, daß mich die schlechte
Restauration empört, und ich mich ewig an dem kleinen Reste des Ächten
begeistern kann, daß ich Sie liebe, wie Sie sind, und Sie hasse, wie Sie sich
hingestellt haben, das erkennen Sie nicht, weil Sie eine schlechte Künstlerin
sind, die über ein herrliches Werk hergefallen ist, über sich selbst.12
2. Sophie Mereau an Clemens Brentano, 20. Januar 1803:
Was Sie mir über die weiblichen Schriftsteller und insbesondere über meine
geringen Versuche sagen, hat mich recht ergriffen, ja erbaut. Gewiß ziemt es
sich eigentlich gar nicht für unser Geschlecht, und nur die außerordentliche
Großmut der Männer hat diesen Unfug so lange gelassen zusehen können.
Ich würde recht zittern wegen einiger Arbeiten, die leider! schon unter der
Presse sind, wenn ich nicht in dem Gedanken an ihre Unbedeutsamkeit und
Unschädlichkeit einigen Trost fände. Aber für die Zukunft werde ich wenigstens mit Versemachen meine Zeit nicht mehr verschwenden, und wenn ich
mich ja genötigt sehen sollte, zu schreiben, nur gute moralische oder Kochbücher zu verfertigen suchen. Und wer weiß, ob Ihr gelehrtes Werk, auf dessen Erscheinung Sie mich gütigst aufmerksam gemacht haben, mich nicht
ganz und gar bestimmt, die Feder auf immer mit der Nadel zu vertauschen.
[...]
Ich hätte Ihnen noch mancherlei zu schreiben, aber ich sehe mit Erstaunen
die enorme Länge dieses Briefs, bitte Sie deshalb um Verzeihung und bin mit
ausgezeichneter Hochachtung
Ihre Dienerin
Sophie Friedericke Mereau geb. Schubert13
Die obsessive Kränkungs- und Zerstörungsrhetorik, die Brentano im Briefwechsel seiner Geliebten und späteren Ehefrau Mereau entgegenschleudert
12 Brentano an Sophie Mereau am 10.01.1803. In: Lebe der Liebe und liebe das Leben. Der
Briefwechsel von Clemens Brentano und Sophie Mereau. Hrsg. v. D. von Gersdorff. Frankfurt/M. 1983. Zitiert nach: Christa Bürger: Leben Schreiben. Die Klassik, die Romantik und
der Ort der Frau. Stuttgart 1990, S. 50.
13 Briefwechsel zwischen Clemens Brentano und Sophie Mereau. Nach den Handschriften
hrsg. v. Heinz Amelung. Potsdam 1939, S. 92-94.
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Irmela von der Lühe
und auf die die so Gescholtene mit obsessiver Spottlust und subversiver
Ignoranz reagierte, hat nicht verhindert und darf auch nicht vergessen lassen, wie nachdrücklich sich der seinerzeit vergleichsweise glücklos agierende
Autor Brentano in seinen Werken an entweder androgynen oder geschlechtertranszendenten Autorschaftskonzepten abgearbeitet hat. Am Godwi, an
Der Sänger sowie an der kanonisch gewordenen Geschichte vom braven
Kasperl und dem schönen Annerl ist dies von der Forschung inzwischen gezeigt worden14 Die Morddrohung im Namen der Liebe, die Brentano gegen
Sophie Mereau gerichtet hat, hat sie wenig beeindruckt, mit ihren literarischen und übersetzerischen Arbeiten hat sie für den gemeinsamen Lebensunterhalt gesorgt;15 als Autorin hatte sie zu Lebzeiten mehr Erfolg und Anerkennung als er. Ein Nachleben hat ihr dies nicht gesichert; als Autorin ist sie
für mehr als 150 Jahre verschwunden, was bekanntlich auf ihren zu Lebzeiten wenig erfolgreichen Ehemann nicht zutrifft.
Für die komplexe Wirkungsmacht, die der Konnex von Autorschafts-, Tradierungs- und Kanonisierungsprozessen zu entfalten vermag, ist die Konstellation zwischen Mereau und Brentano ein herausragendes ,aber wahrlich
nicht das einzige Beispiel. Auch für das offenbar unbewältigbare Bedrohungspotenzial, das in Paarkonstellationen von weiblicher Autorschaft ausgeht, sind Sophie Mereau und Clemens Brentano kein Einzelfall. Auf Robert
und Clara Schumann, Gustav und Alma Mahler und schließlich auf Elias und
Veza Canetti kann man hier verweisen. Die Geschichte verweigerter, zerstörter und verleugneter Autorschaft ist noch nicht geschrieben, es wäre auch insofern eine Literatur- und Kulturgeschichte der Liebe und der großen Passion als Verweigerung und Verzicht, Zerstörung und Entsagung im Namen der
Liebe erfolgen.
Eines von vielen Beispielen aus dem 20. Jahrhundert lieferte Elias Canetti;
als er 1990 der Veröffentlichung des Romans seiner Frau Veza, die 1963 gestorben war, zustimmte und ihr im Nachwort zu dieser Ausgabe ein singuläres Denkmal setzte. Sie, Veza Canetti, die unter dem sinnigen Pseudonym
14 Vgl. u.a. Christine Lubkoll, Männlicher Gesang und weiblicher Text? Das Verwirrspiel der
Autorschaft in Clemens Brentanos 'Der Sänger'. In: Autorschaft. Genus und Genie in der Zeit
um 1800. Hrsg.v. Ina Schabert und Barbara Schaff. Berlin 1994, S. 191-211.
15 Vgl. Katharina von Hammerstein, Sophie Mereau-Brentano. Freiheit - Liebe - Weiblichkeit:
Trikolore sozialer und individueller Selbstbestimmung um 1800. Heidelberg 1994; Britta
Hannemann, Weltliteratur für Bürgertöchter. Die Übersetzerin Sophie Mereau-Brentano.
Göttingen 2005.
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Zwischen Maskerade und Demontage. Zur Literaturgeschichte weiblicher Autorschaft
Veza Magd und Veronika Knecht in den 20er und 30er Jahren publiziert hatte, habe von ihren eigenen Werken nie etwas gehalten, seine Werke immer
höher geschätzt als die ihren.16 Die retrospektive Selbstdiagnose Elias Canettis darf sowohl als unfreiwilliger Kommentar zur Konstellation zwischen Sophie Mereau und Clemens Brentano als auch als singuläres Dokument in der
paargestützten Todesgeschichte weiblicher Autorschaft gelten:
Um der hitzig abgründigen Gespräche willen, die wir führten, nahm sie die
schlechten Gedichte ernst, die ich ihr während einiger Jahre brachte. Sie
wußte es besser und nahm sie doch ernst, so sicher war sie, daß anderes
nachkommen würde. Als es dann kam, erschrak sie, denn es drohte uns zu
zerstören: sie, mich selbst, unsere Liebe, unsere Hoffnung. Um sich nicht
aufzugeben, begann sie selber zu schreiben, und um die Geste des großen
Vorhabens, die ich brauchte, nicht zu gefährden, behandelte sie ihr Eigenes,
als wäre es nichts.17
Aus dem Munde des schreibenden Ehemanns haben wir hier das Zeugnis für
den selbstmortifizierenden Verzicht auf weibliche Autorschaft im Namen der
Liebe.
Ich komme damit zu meinem zweiten Beispiel, das die innerliterarische Mortifikation weiblicher Autorschaft betrifft; allerdings nicht weil nur über die
schöne Leiche der Autorin männliche Kreativität geboren werden könnte,
sondern weil das kompositorische Verfahren, weil das Werk Verrat und Verzicht am Leben verlangt. Die Rede soll kurz sein von Thomas Manns Epochenroman, vom Doktor Faustus (1947). Um verständlich zu machen,
worum es mir geht, muß ich ein wenig ausholen. Im Doktor Faustus spielen
„ dienende Frauen“ und „alternde Mädchen“ eine nicht unerhebliche Rolle.
Man denke an Frau von Tolna, die reiche Gönnerin Adrian Leverkühns, die
unsichtbar hinter dem Rücken des Künstlers bei Verlegern zu dessen Gunsten agiert und die dem menschenscheuen Genie ihren ungarischen Landsitz
mit Park und Dienerschaft zur Verfügung stellt. Sie selbst tritt nie in Erscheinung, bleibt gesichtslos und stumm und verkörpert darin die schlichtweg
ideale Weiblichkeit. Zu den „dienenden Frauen“ gehören außerdem Meta
Nackedey und Kunigunde Rosenstiel; erstere ein „verhuschtes, ewig erröten16 Vgl. Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg), Veza Canetti. Text und Kritik, München 2002.
17 Veza Canetti, Die Gelbe Straße, 2. Auflage, München 1990. (Vorwort von Elias Canetti S. 5.)
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Irmela von der Lühe
des, jeden Augenblick in Scham vergehendes Geschöpf von einigen dreißig
Jahren, das beim Reden und auch beim Zuhören hinter dem Zwicker, den sie
trug, krampfhaft-freundlich mit den Augen blinzelte und dazu kopfnickend
die Nase kraus zog…“; die zweite „tätige Mitinhaberin eines Darmgeschäfts
,will sagen: eines Betriebes zur Herstellung von Wursthüllen“. (S. 455f.)
Bekanntlich hat Thomas Mann in allen drei Frauen, die beiden letztgenannten heißen im Tagebuch gelegentlich auch die „beiden Einfältigen“, reale,
ihm treu ergebene Personen seines persönlichen Freundes und Bekanntenkreises porträtiert: in Frau v. Tolna Agnes E. Meyer, die Frau des reichen
amerikanischen Verlegers Eugene Meyer; in Meta Nackedey die Psychoanalytikerin, Autographensammlerin und Übersetzerin Caroline Newton ;in Kunigunde Rosenstiel die Nürnberger Buchhändlerin Ida Herz. Mit allen drei
„dienenden Frauen“, die im Doktor Faustus ziemlich unverblümt porträtiert
werden, verband Thomas Mann eine enge Beziehung. Tagebücher und Briefwechsel bezeugen in allen Fällen eine enge Verquickung zwischen Literatur
und Leben, romanhaftem, diaristischem und brieflichem Schreiben. All dies
gehört zur viel diskutierten Montagetechnik Thomas Manns, die im Doktor
Faustus besonders stark ausgebildet ist.
Unter den dienenden Frauen im Doktor Faustus gibt es nun freilich eine mit
Sonderstatus. Gemeint ist Jeannette Scheure, die Freundin, „deren Nähe
ihm, (Adrian Leverkühn) immer wohltätig war“ und der er „durch viele Jahre vertrauensvoll zugetan“ blieb (269). Im Salon des Ehepaares Schlaginhaufen, im München der Vorkriegszeit, begegnet Adrian Jeannette Scheuri erstmals. Vom Erzähler erhalten wir folgende Informationen: Sie ist die Tochter
eines bayerischen Verwaltungsbeamten und einer Pariserin, zehn Jahre älter
als Adrian Leverkühn und „Romandichterin“. Ihre Herkunft aus zwei Nationen bringt es mit sich, dass sie „in einem reizend inkorrekten Privatidiom
damenhafte und originelle Gesellschaftsstudien“ schrieb, die – so weiter Serenus Zeitblom – „des psychologischen und musikalischen Reizes nicht entbehrten und unbedingt zur höheren Literatur zählten“ (269). Von ihren Werken nennt der Erzähler indes keines beim genauen Titel, sein zweifelhaftes
Lob nimmt ohnedies niemand recht ernst. Wichtiger sind denn auch Jeannette Scheurls Erscheinung, ihr Charakter und ihre Funktion für Adrian.
Auch dazu die Worte des Erzählers:
Von mondäner Häßlichkeit, mit elegantem Schafsgesicht, darin sich das Bäuerliche mit dem Aristokratischen mischte, ganz ähnlich wie in ihrer Rede das
bayerisch Dialekthafte mit dem Französischen, war sie außerordentlich intelli-
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Zwischen Maskerade und Demontage. Zur Literaturgeschichte weiblicher Autorschaft
gent und zugleich gehüllt in die naiv nachfragende Ahnungslosigkeit des alternden Mädchens. Ihr Geist hatte etwas Flatterhaftes, drollig Konfuses, worüber sie selbst auf herzlichste lachte ...18
Betont wird schließlich ihre außergewöhnliche Musikalität, so dass es u. a.
über die Polyphonie bei Bach und Mozart zwischen ihr und Adrian zu Gesprächen kommt, deren Wortlaut und Argumentationsgang uns allerdings –
im Unterschied zu den langen musiktheoretischen Diskussionen zwischen
Adrian, Zeitblom und Rudi Schwerdfeger – nicht mitgeteilt wird. Jeannette
Scheurl gehört seit der Münchner Zeit zum engeren Kreis um Adrian Leverkühn, sie besucht ihn regelmäßig in Pfeiffering, hat einen deutlich einflussreicheren Status als die übrigen "dienenden Frauen".Zu seinem offen bekundeten, eifersüchtig getönten Leidwesen sieht der Erzähler sie sogar einmal
Hand in Hand mit Adrian in der berühmten Abtsstube sitzen; wiewohl musikalisch und künstlerisch aktiv, also keine kümmerliche Existenz mit dem
„bedürftigen Gemüt armer Seelen“ (455), so die Attribute für die beiden anderen, wiewohl also außerordentlich intelligent und musikalisch, erfahren
wir über Jeannette Scheurls Leben nichts weiter. Sie agiert denn auch weniger als dass sie repräsentiert: eben den Typus der „jüngferlichen Frauen“
(455).
Dass Thomas Mann in allen Fällen freimütig seinen Freundes- und Bekanntenkreis porträtiert hat, wurde für Meta Nackedey, Kunigunde Rosenstiel
und Frau v. Tolna schon erwähnt. Wer sich hinter der Dame von „mondäner
Häßlichkeit“ und dem „eleganten Schafsgesicht“ verbirgt, soll nun auch nicht
länger verheimlicht werden.
In Thomas Manns Tagebuch vom 28. Juli 1920 findet sich folgende Eintragung: „Zum Abendessen Annette Kolb, die mir ziemlich mißfiel. Übrigens
fand sie Klaus mir sehr ähnlich. Sie pries sehr einen französischen Romancier, der Proust o. ä. heißen soll“.19 1920 war die Schriftstellerin und engagierte Pazifistin Annette Kolb alles andere als eine unbekannte Frau. 1870
geboren, entstammte sie tatsächlich einer deutsch-französischen Familie. Im
Salon ihrer Mutter in der Sophienstraße verkehrte die große Welt Münchens,
18 Thomas Mann, Doktor Faustus. In: Große kommentierte Frankfurter Ausgabe (GKFA) Bd.
10.1 ( hrsg. v. Ruprecht Wimmer), Frankfurt 2007, S. 294f. (Zitate im laufenden Text beziehen
sich auf diese Ausgabe.)
19 Thomas Mann, Tagebücher 1918-1921, hrsg. v. Peter de Mendelssohn, Frankfurt/M. 1977,
S. 456.
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u. a. Richard Wagner, Hans v. Bülow und seine Frau Cosima. Nicht zufällig
spielen ihre drei wichtigsten Romane Das Exemplar (1913), Daphne Herbst
(1928) und Die Schaukel (1934) in der untergehenden Adelsgesellschaft der
Jahrhundertwende. Es sind teils impressionistisch-melancholische, teils
spöttisch-realistische Gesellschaftsszenen in der Tradition des 19. Jahrhunderts. Aus retrospektivem Blick und im gelegentlich ironisierten Ton der
Entsagung entsteht ein Epochenbild, das von der Erfahrung des Untergangs,
aber auch von bissiger Kritik an der geistlosen Etikette, am Standesdünkel
und an der Unkultur der europäischen Aristokratie geprägt ist.
Bei seinem Erscheinen 1934 enthielt der Roman Die Schaukel eine Fußnote,
die mit folgenden Sätzen endet: „Wir sind heute in Deutschland eine kleine
Schar von Christen, die sich ihrer Dankesschuld dem Judentum gegenüber
bewußt bleibt.“ Das waren, 1934, zu einem Zeitpunkt, da Thomas Mann sich
zu einer öffentlichen Äußerung gegen die nationalsozialistischen Machthaber
noch nicht hatte durchringen können, kühne Worte. Im Goethe-Jahr, 1932,
hatte Annette Kolb geschrieben, man könne sich Goethe unter den heutigen
Deutschen nur schlecht vorstellen, und gewiss würden die Nazis vor einem
„Goethe verrecke“ nicht zurückschrecken. Leben und Werk dieser originellen
Autorin, die 1941 aus Frankreich nach Amerika floh, nach Kriegsende nach
Europa zurückkehrte, anschließend abwechselnd in Paris und München lebte, das Große Bundesverdienstkreuz und den Orden „Pour le merite“ erhielt
und als 97-Jährige noch eine große Reise nach Israel antrat, können hier
nicht im Einzelnen behandelt werden.20 Wiewohl in ihrer Zeit berühmt und
geehrt, ist sie heute weitgehend vergessen, ihre Werke sind zum überwiegenden Teil nicht mehr lieferbar – man kennt Jeannette Scheurl, aber nicht Annette Kolb. Und aus dem Doktor Faustus kennt man sie als Dienerin und
Muse Adrian Leverkühns, als Musikliebhaberin, die „um Schubert literarisch
bemüht“ war, womit Annette Kolbs 1941 erschienene Schubert-Biographie
gemeint ist. Ein Werk, das Thomas Mann kannte, so wie er auch Annette
Kolbs Biographie über Mozart (1937) und diejenige über Ludwig II und Richard Wagner (1947) gelesen hatte. Es hatte also einen tieferen Sinn, wenn
er im Mai 1943, kurz nach Beginn der Arbeiten am Doktor Faustus an Annette Kolb schrieb, er arbeite an einer „modern(en) Teufelsverschreibungs20 Vgl, Jürgen Schwalm: „Ich mußte es auf meine Weise sagen“. Annette Kolb (1870–1967),
Leben und Werk. Bad Schwartau 2006; Charlotte Marlo Werner: Annette Kolb. Eine literarische Stimme Europas. Königstein/Taunus 2000, Sigrid Bauschinger, „Ich habe etwas zu
sagen.“ Annette Kolb 1870-1967. München 1993.
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Zwischen Maskerade und Demontage. Zur Literaturgeschichte weiblicher Autorschaft
geschichte, nicht ohne Beziehung zur deutschen Traurigkeit, übrigens mit einem Musiker-Helden. Das wäre nun freilich eher Ihre Sache“21.
Thomas Mann und Annette Kolb – so bleibt nachzutragen - kannten sich gut
und lange; Katia Mann war eine Jugendfreundin Annette Kolbs. In München, im Schweizer Exil und auch später in Amerika war „Annettli“ ein häufiger Gast im Hause Mann. Man schätzte sie, amüsierte sich über ihre Vorliebe
für schwarze Hüte mit Schleier, ihren sprunghaften Konversationsstil, ihr
französisch-deutsches Privatidiom. Sie verehrte Thomas Mann und sein
Werk sehr, regelmäßig erhielt sie Widmungsexemplare seiner Bücher und
dankte mit – wie Thomas Mann im Tagebuch notiert, – „verständigen Worten“. Es ist nicht übertrieben, sie als eine enge Freundin der Mann-Familie
zu bezeichnen, alle Beteiligten sahen das so. So konnte es Thomas Mann
nicht überraschen, dass Annette Kolb sich durch das Porträt im Doktor
Faustus verletzt fühlte. Die Korrespondenz, die über den Doktor Faustus
zwischen beiden geführt wurde, ist insgesamt nicht erhalten. Aus einem
Brief vom Mai 1948 ergibt sich aber, dass Annette Kolb vor allem wegen des
Bildes gekränkt war , das Thomas Mann von Annette Kolbs Mutter gezeichnet hatte: „einer gelähmt im Stuhl verharrenden, aber geistig energischen alten Dame, die sich niemals die Mühe gegeben hatte, Deutsch zu lernen: mit
Recht, da ihr im Glücke phraseologischer Konvention auf Schienen laufendes
Französisch geradezu für Geld und Stand aufkam.“22 Im Tagebuch vermerkt
Thomas Mann: „Kümmerliche Zeilen von Annette Kolb, die mir meine ‚Worte’ über ihre Mutter nicht verzeihen kann“.23 Von 1949 bis zu seinem Tode
begegnet der Name Annette Kolbs in den Tagebüchern nicht mehr, eine jahrzehntelange Freundschaft hatte irreparablen Schaden genommen, wovon im
Übrigen auch noch ein Kondolenzbrief Annette Kolbs an Katia Mann zu Thomas Manns Tode im Jahre 1955 Zeugnis ablegt.
Die „unbedenklich, freie Porträtierung“ engster Freunde im Doktor Faustus,
das „Sonderbar Real-Biographische“ des Romans, war Thomas Mann nach
Abschluss der Arbeit noch einmal schwer auf die Seele gefallen. Mehrfach
spricht er 1947 im Tagebuch von den „Opfern des kalten Blicks“, womit Annette Kolb, Hans Reisiger (= Rüdiger Schildknapp), Emil Preetorius (= Six21 Zit. n. Hans Wysling (Hrsg.), Thomas Mann - Selbstkommentare. „Doktor Faustus“ und
„Die Entstehung des Doktor Faustus“. Frankfurt/M. 1992, S. 303.
22 Ebd., S. 294.
23 Thomas Mann, Tagebücher 1946-1948, hrsg. v. Inge Jens, Frankfurt/M. 1989, S. 24.
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Irmela von der Lühe
tus Kridwiß) und Walter Geffcken (= Glattmaler Nottebohm) gemeint sind.
Der „kalte Blick“ des Künstlers Thomas Mann – so die dem Roman direkt
entstammende Metaphorik – wird dem Menschen Thomas Mann allerdings
nicht dauerhaft zum Problem. Für die „Morde“ – so Thomas Mann wörtlich
im Tagebuch – an Hans Reisiger, Annette Kolb und anderen, für den „erregenden Radikalismus“ des Romans habe er selbst, der Mensch und Künstler,
gebüßt.Im Tagebuch vom 18. Juli 1947 heißt es : „Jene ‚Morde’ habe ich mit
der Lungenoperation bezahlt, die mit dem Werk in unzweifelhaftem Zusammenhang stand“.24 Tatsächlich hat Thomas Mann sich mit keinem Werk so
schwer getan wie mit dem Doktor Faustus. Sein „Leiden an Deutschland“
wurde in diesem Fall auch thematisch identisch mit dem Leiden an bzw. unter dem Werk. Die schwere Lungenerkrankung, die 1946 die Arbeit am Roman unterbrochen hatte, wird nun aber – analog zur Romantechnik – gleich
mehrfach determiniert. Sie steht für die Schmerzen und Qualen, die das
Werk verursacht („den schrecklichen Roman und die deutschen
Ärgernisse“25), und sie steht retrospektiv als Sühneleistung für Schmerzen,
„Morde“, die der Roman anderen, engsten Freunden zumutet. Die „Opfer des
kalten Blicks“, Annette Kolb z. B., müssten solche Sühneleistung eigentlich
akzeptieren, das Leben des Autors, seine Krankheit müsste sie für eine Kränkung entschädigen, die aus der Perspektive des Werkes künstlerisches Gebot, aus der Perspektive des Lebens moralisch gesühnt ist.
Unschwer erkennt man, dass Thomas Mann nicht nur Motive des Romans
(Kälte, Krankheit, Selbstopfer, Sühne), sondern dessen Kompositionsgesetze, die Montage biographischen Materials, übernimmt, wenn es beides zu
verteidigen gilt. Die eigene Person und das eigene Leben werden in die
Waagschale geworfen, werden faktisch, argumentativ und metaphorisch so
montiert, dass Kränkung und Kritik, die das Werk auslösen könnten, verstummen müssen. Die dienenden Frauen am Werk Adrian Leverkühns entstammen als Ida Herz, Caroline Newton, Agnes Meyer und Annette Kolb
dem hilfs- und unterwerfungsbereiten weiblichen Freundeskreis Thomas
Mann, durch den Roman werden sie zu „Opfern des kalten Blicks“, und als
eventuell irritierte Leserinnen sollen sie die Kränkung in der Krankheit des
Meisters kompensiert sehen.
Literarische Montage und biographische Konstruktion bestimmen sowohl
24 Ebd., S. 134.
25 Thomas Mann, Die Entstehung des Doktor Faustus. Frankfurt/M. 1984, S. 390.
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Zwischen Maskerade und Demontage. Zur Literaturgeschichte weiblicher Autorschaft
die Komposition des Romans als auch Thomas Manns Versuch, die Rezeption des Romans zu dirigieren und damit das Deutungsmonopol über Werk
und Leben zu behalten. Von einer in intertextuellen Bezügen sich verflüchtigenden Autorschaft kann bei Thomas Mann wahrlich nicht die Rede sein;
stattdessen ließe sich vom Verschwinden weiblicher Autorschaft im männlichen literarischen Text sprechen, dem wiederum die mythisch überhöhte
Omnipräsenz weiblicher Dienstfertigkeit korrespondiert. Aber auch das ist
kein originelles Paradigma, das im Doktor Faustus zudem in ironischer Brechung begegnet.
Annette Kolbs zaghaften Einspruch gegen ihre bzw. die literarisch-biographische Funktionalisierung ihrer Mutter hatte Thomas Mann „kümmerlich“
bzw. „töricht“ genannt. Es wäre gewiss übertrieben, würde man der literarischen Karikatur Annette Kolbs in Thomas Manns Doktor Faustus den Vorwurf machen, sie habe Ruhm und Renommee dieser Autorin zerstört oder
auch nur behindert. Sie hat eine jahrzehntelange Freundschaft zerstört und
eben darin die Macht eines Kunstverständnisses demonstriert, dem das
Werk wichtiger ist als das Leben und das Leben zum Material des Werkes
wird.
Würde man eine Literaturgeschichte verweigerter, verschwiegener, verstummender bzw. zerstörter, ermordeter Autorschaft schreiben, die notwendigerweise beide Geschlechter einschließen müsste, so würde es für männliche
Autorschaft vermutlich um Varianten zum Typus des verkannten Genies, des
zu früh gekommenen Propheten oder des ungeliebten Visionärs gehen. Im
Falle weiblicher Autorschaft hingegen kann man auf eine Vielfalt (fremdund selbst)mortifizierender Strategien treffen, die im Namen der Liebe oder
im Namen der Kunst, im Namen des weiblichen Körpers oder schlicht als
notwendiges Lebensopfer exekutiert werden. Indes erweist sich in beiden
Fällen die eingangs angedeutete wissenschaftliche Produktivität, der nicht
nur geheime Vitalisierungseffekt, den theoriegeleitete Todeserklärungen
auszulösen vermögen.
Um freilich nicht mit einer bloßen Behauptung zu enden, will ich abschließend auf den ästhetisch und literaturpolitisch spektakulären Fall verweisen,
da ein junger deutscher Lektor „Glücksstunden bei der Lektüre (einer) völlig
unbekannte(n) Autor(in)“ erlebte, so dass er ihr Buch verlegte. Die Autorin
erhielt im Jahre 2009 den Nobelpreis für Literatur:
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Genau zwischen der Verlagszeit und der Jurorenzeit, im Frühjahr 1983, verschaffte mir nun eine Unbekannte namens Müller solche Stunden des
Glücks. Ich las ein in Bukarest gedrucktes deutsches Buch, doch es wirkte
mit den altmodisch gesetzten, zerbrechlichen Lettern so fremd und schüchtern wie ein Manuskript… Ein mitreißendes literarisches Meisterstück, das
zugleich einen weißgrauen Fleck auf der Landkarte erschließt… Was Herta
Müller aus der rumäniendeutschen Literatur heraushebt und in die Reihe
der besten deutschsprachigen Autorinnen versetzt, ist nicht allein ihre Fähigkeit, das grauenvolle Landleben der Banatschwaben zu erfassen. Es ist allein ihre erstaunliche Sprachkraft - dichtes, jargonfreies ‚reines’ Deutsch
kommt uns da entgegen, das in ihrer Autorengeneration fast einmalig ist…26
*****
Zusammenfassung: Der von Roland Barthes und Michel Foucault verkündete
"Tod des Autors" wurde zu einem ebenso produktiven wie umstrittenen Paradigma
der Literaturwissenschaft. Fast zeitgleich damit entstand freilich ein ebenso produktives Interesse an der " verborgenen" Autorschaft von Frauen. Der Beitrag zeigt an
ausgewählten Beispielen den Konflikt um weibliche Autorschaft einerseits und Formen der Mortifizierung des Weiblichen im männlichen Text andererseits.
Schlüsselwörter: Der Tod des Autors, die mortifizierte Weiblichkeit, Sophie Mereau, Clemens Brentano, Veza Canetti, Thomas Mann, Annette Kolb.
26 F. C. Delius, Als die Bücher noch geholfen haben. Biografische Skizzen. Reinbek 2012, S.
278.
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PETER ROSEGGER - VOR 170 JAHREN GEBOREN:
„Wenn das, was fertig ist, nur immer auch vollendet wäre.“1
Hans Dama
Über Generationen wurden Peter Roseggers packende Texte in unseren
Deutsch-Lehrbüchern vermittelt, wie etwa Als ich noch der Waldbauernbub
war, Als dem kleinen Maxl das Haus niederbrannte u. a.
Sein Geburtsort bzw. -haus auf dem Alpl, die Waldheimat, wo Peter Rosegger (eigentlich Roßegger) am 31. Juli 1843 als das älteste von sieben Kindern
des Waldbauern Lorenz Roßegger und seiner Ehefrau Maria geboren wurde,
ist inzwischen zu einem regelrechten Besuchermagnet geworden. Um sich
von den vielen Roßeggers in dieser Region zu unterscheiden, änderte er in
seinen anfänglichen Veröffentlichungen seinen Namen, gebrauchte mitunter
auch die Pseudonyme: P. K. für Petri Kettenfeier und Hans Malser.
Die Waldschule in Alpl funktionierte eher schlecht als recht: Schulpflicht gab
es keine, und die meisten Eltern haben ihre Sprösslinge zur Arbeit herangezogen: Das Leben in den Bergen war hart, und die Familie musste ernährt
werden. Da auch Roseggers Vater des Lesens und Schreibens unkundig war,
lernte er viel von seiner Mutter.
Eigentlich sollte Peter Rosegger Priester werden, doch den Eltern fehlte das
Geld für die Ausbildung, und weil er ein schwächliches Kind und als Bauer
und für die Waldarbeiten kaum einsetzbar war, begann er 17-jährig eine
Schneiderlehre bei einem Wanderschneider in Sankt Kathrein am Hauenstein. Auf der Stör zog er mit seinem Meister von Hof zu Hof durch sein erweitertes Heimatgebiet, lernte Land und Leute sowie deren Sitten und Bräuche kennen, die er in seinen späteren Werken eingehend schildert und so
einen wesentlichen volkskundlichen Beitrag leistet.
Nachdem der Redakteur der Grazer Tagespost, Dr. Svoboda, Roseggers literarische Versuche gesehen und sein Talent erkannt hatte, gelangte der
Schneidergeselle durch Svobodas Vermittlung an die Grazer Akademie für
Handel und Industrie. Obwohl Svoboda ihn als „Naturdichter“ bezeichnete,
war Rosegger mit diesem Attribut unglücklich und kämpfte sein Leben lang
gegen dieses an. In der Person des Bierbrauer-Industriellen Johann Peter
1 Aphorismus von Peter Rosegger. (http://www.aphorismen.de/suche?f_autor=3206_Peter+
Rosegger&seite=22)
Hans Dama
Reininghaus fand Peter Rosegger einen bedeutenden Förderer. Nach der
Veröffentlichung seiner Erzählungen im Jahre 1869 verließ Rosegger die
Akademie, denn der steirische Landesausschuss hatte ihm durch ein verliehenes Stipendium Auslandsaufenthalte in der Schweiz, in den Niederlanden
sowie in Deutschland und Italien ermöglicht.
Um 1873 war Rosegger bereits als Schriftsteller bekannt, als ihm der Verleger Gustav Heckenast aus Pest 1876 die Herausgabe seiner Schriften anbot,
was der Schriftsteller dankend angenommen hat. In Graz gründete er 1876
die volkstümliche Monatsschrift Roseggers Heimgarten, Zeitschrift für das
deutsche Haus. Nach Roseggers Tod wurde die Zeitschrift von Josef Friedrich Perkonig weitergeführt.
Kaiser Franz Joseph I. ernannte Peter Rosegger 1876 zum Herrenhausmitglied auf Lebenszeit, was für den Schriftsteller u. a. auch die Freifahrt auf
den kaiserlich-königlichen Staatsbahnen bedeutet hatte. Ein Jahr später und
nach finanziell erfolgreichen Jahren seiner schriftstellerischen Tätigkeit
konnte Rosegger seinen Traum – ein Haus in Krieglach – verwirklichen, für
dessen Errichtung er selber die Entwürfe geschaffen hat und noch im selben
Jahr mit seiner Familie ins neue Heim umgezogen ist.
Nun konnte sich der Schriftsteller einen weiteren Wunsch erfüllen: Er begab
sich auf Lesereise und gelangte so nach München, Karlsruhe, Kassel, Dresden, Weimar, Leipzig, Berlin u. a. Die Eindrücke während dieser Reise schilderte Rosegger in Meine Vorlesereisen. Nachdem ihn die Nachricht vom Ableben seines Verlegers Heckenast erreicht hatte, war der Schriftsteller gezwungen, einen neuen Verleger zu suchen und fand diesen in Wien: Adolf
Hartleben. Doch 1926 kam es zu Differenzen bei Honorarfragen und Editionsproblemen im Zusammenhang mit seinem erfolgreichen Roman Der
Gottsucher, und so wechselte er zum Leipziger Verlagsbuchhändler Ludwig
Staackmann, bei dem auch die meisten Werke Adam Müller-Guttenbrunns
erschienen sind.
Peter Rosegger schreibt an Adam Müller-Guttenbrunn nach Erscheinen des
Romans Die Gloken der Heimat (Graz, 27.11.1910):
[...] Ihre Glocken der Heimat habe ich (trotz Krankheit; Anm. Hans Dama)
lesen können, aber erst im nächsten, noch vor Weihnachten erscheinenden
Heimgartenhefte kann ich meine Meinung darüber sagen. Jetzt will ich
Ihnen nur von Herzen danken, daß Sie dieses Buch geschrieben haben,
dieses bedeutsame Buch, das in der ganzen deutschen Welt einen Schrei des
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„Wenn das, was fertig ist, nur immer auch vollendet wäre.“ Peter Rosegger - vor 170 Jahren geboren
Schmerzes und einen Ruf der Bewunderung auslösen muß... Mich deucht, es
ist kein Buch, es ist eine That und sie müßte den Deutschen im Banat zu gute
kommen... Und auf die Stirn, der Die Glocken der Heimat entsprungen, will
ich einen dankbaren Kuß drücken.2
Der Schriftsteller heiratete 1873 Anna Pichler, die Tochter eines Grazer Hutfabrikanten, am 20. Februar 1874 wurde Sohn Josef geboren und am 4. März
1875 kam die Tochter Anna zur Welt. Paar Tage später starb seine Frau am
16. März 1875. Peter Rosegger heiratete 1879 zum zweiten Mal; mit seiner
zweiten Frau Anna Knaur zeugte er drei Kinder: Sohn Hans Ludwig Rosegger trat in die Fußstapfen des Vaters und wurde ebenfalls Schriftsteller. Die
beiden Töchter Margarete (1883–1948) und Martha (1890–1948) verschieden im selben Nachkriegsjahr 1948.
Leider blieb Peter Rosegger das Ende des Ersten Weltkrieges und der sich
andeutende Zerfall der Doppelmonarchie nicht erspart: Er verstarb am 26.
Juni 1918 in Krieglach im Alter von 74 Jahren. Zu seinem Grabmal auf dem
Friedhof in Krieglach pilgern jährlich viele Verehrer des so beliebten Heimatschriftstellers. Getreu seiner Heimat und den Gepflogenheiten in dieser,
beharrte Rosegger auf einer schlichten Ruhestätte: „Ich möchte das einfachste Grab, wie es jeder Alpler Bauer hat, denn wenn man nach 50 Jahren wissen wird, wer der Rosegger war, genügt dies ohnedies“.
Roseggers umfangreiches Oeuvre wurde/wird von Fachleuten eingehend untersucht.
In chronologischer Reihenfolge wären zu erwähnen: Gedichtbände: Zither
und Hackbrett, 1870; Mein Lied, 1911 (enthält u. a. Ein Freund ging nach
Amerika). Romane: Heidepeters Gabriel, 1882; Der Gottsucher, 1883; Jakob der Letzte, 1888; Peter Mayr. Der Wirt an der Mahr, 1891; Das ewige
Licht, 1897; Erdsegen, 1900; Weltgift, 1901; Inri, 1905; Die Försterbuben,
1907; Die beiden Hänse, 1911. Erzählungen: Geschichten aus Steiermark,
1871; Geschichten aus den Alpen, 1873; Streit und Sieg, 1876; Mann und
Weib. Liebesgeschichten, 1879; Allerhand Leute, 1888; Der Schelm aus den
Alpen, 1890. Durch!, 1897; Als ich noch der Waldbauernbub war, 1902;
Wildlinge, 1906; Lasset uns von Liebe reden, 1909; Der erste Christbaum;
2 Rogl, Ludwig: Aus dem Briefwechsel Adam Müller-Guttenbrunns .In: Südostdeutsche Forschungen / hrsg. im Auftr. d. Instituts zur Erforschung des Deutschen Volkstums im Süden
und Südosten in München. - Leipzig, 1939. - 4.1939 S. 178.
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Der Wald brennt. Autobiographische Werke: Die Schriften des Waldschulmeisters, 1875; Waldheimat, 1877; Mein Weltleben, 1898, 1914; Schriften in Steirischer Mundart, 1907; Gesammelte Werke (40 Bände), 1913–1916.
In Peter Roseggers Werken – einer Mischung von Aufklärung und Romantik –
haben die sozialen Nöte des alpenländischen Bauerntums ihren dichterischen
Niederschlag gefunden, entstammte er doch selbst diesem Stand und lernte
somit bereits als Kind die Probleme und dringenden Fragen seiner Zeit kennen.
Er war vom Gedanken beseelt, eine Verbesserung der zeitlichen Gegebenheiten durch Belehrung herbeizuführen, indem er das steirische Volksleben mit
all seinen sozialen Unzulänglichkeiten schilderte und diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte. Die Schilderungen des Brauchtums,
des Innenlebens sowie der Umwelt seiner steirischen Heimat sind bis heute
unübertroffen. In diesem Zusammenhang müssen seine autobiographischen
Erzählungen (Waldheimat) genannt werden, in denen der Heimatdichter in
gemütvoll-sentimentaler, von Humor durchwachsenen Erzählweise aus der
Sicht eines kleinbäuerlichen Knaben das Leben seiner Älpler in literarischer
Unübertroffenheit festhält und an kommende Generationen weiterreicht.
Der Dichter geht in seinen Erzählungen auch auf das Verhältnis Stadt-Land
ein, wie z. B. in den in Tagebuchform verfassten Die Schriften des Waldschulmeisters, in denen er die Bestrebungen eines Lehrers schildert, die
Schätze der Kultur im Landvolk zu verbreiten.
In der Literaturkritik3 zählen zu Roseggers Hauptwerk vier bedeutende Romane: Die Schriften des Waldschulmeisters (1875), Heidepeters Gabriel
(1882), Der Gottsucher (1883) und Jakob der Letzte (1888). In diesen befasst sich der Verfasser einerseits mit religiösen Fragen, andererseits mit
dem Niedergang des Bauernstandes und dessen Ursachen und zeichnet eine
relativ triste Seite dieser Entwicklung. Peter Rosegger war durch seine Heimatverbundenheit, durch seine Liebe zu seinen Älplern einer, der die breite
Leserschaft schon früh auf das karge Leben der Bergbewohner aufmerksam
und ihre Problematik salonfähig gemacht hat. Wer, wenn nicht er, der aus
bescheidenen Verhältnissen stammend und in eine Umbruchzeit – denken
wir an die wesentlichen Änderungen der beiden ersten Industrierevolutionen
– hinein geboren wurde, kannte wie kein anderer Schriftsteller das Bergvolk,
seine Sitten und Bräuche, an denen es sehr gehangen und das in tiefgläubiger
3 Vgl. Brenner, Emil; Bortenschlager, Wilhelm: Deutsche Literaturgeschichte. 1. Von den Anfängen bis zum Jahr 1945. Wien, Verlag Leithner (Leithners Studienhelfer), 1986, S. 310.
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„Wenn das, was fertig ist, nur immer auch vollendet wäre.“ Peter Rosegger - vor 170 Jahren geboren
Verbundenheit und Religiosität, den Fortschritt zum Teil regelrecht verschlafen
hatte. Doch seine Liebe zu diesen Menschen, seine Heimattreue begleitete ihn
ein Leben lang, und selbst als bereits bekannter Schriftsteller in Graz lebend, zog
es ihn immer wieder in seine Bergwelt – zu seinesgleichen – zurück.
Roseggers erzählerisches Naturtalent und seine häufigen idyllischen Darstellungen des bäuerlichen Alltagslebens, seine Liebe zum Nächsten wie zu allen
Kreaturen seines alpenländischen Milieus, seine religiös-konservative Haltung gegen die Kapitalisierung sowie gegen die städtische Bevormundung
und die zunehmende Sittenlosigkeit in der Gesellschaft gelten als kritische
Betrachtungen der Umbruchzeit im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20.
Jahrhunderts.
Der Mundartdichter Peter Rosegger gehört neben Franz Stelzhamer (180218774), Josef Misson (1803-1875) und dem späteren Hans Loepfer (18671944) zu den bedeutendsten Dialektdichtern Österreichs. Seinem Band Zither und Hackbrett (1869), von Robert Hamerling eingeleitet und in Druck
erschienen, folgt Tannenharz und Fichtennadeln (1869), eine Sammlung
von Liedern, Schwänken, und Geschichten sowie der Vorleseband „Stoansteirisch“ (1885). Roseggers sehnlichster Wunsch war es – gleich Jeremias
Gotthelf –, als Volkserzieher zu agieren, was er in seinen zahlreichen im
Heimgarten erschienenen Aufsätzen zu ethnischen, sozial- und agrarpolitischen sowie national- und sozialökonomischen Themen auch vortrefflich
realisiert hat. Nicht übersehen werden darf, dass Rosegger sich aus seiner
Humanität heraus auch mit der Behandlung der immer akuter werdenden
Arbeiterfrage beschäftigte. Zwar war er mit der Fabrikarbeit nicht vertraut,
wusste aber ob des Stellenwertes der neu entstandenen Arbeiterschicht für
die Gesellschaft Bescheid. Diesbezüglich erwartete er sich von der Kulturgesellschaft eine entsprechende Lösung. Als die Direktion des Grazer Stadttheaters den Beschluss gefasst hatte, die Sondervorstellungen für Arbeiter zu
niedrigen Eintrittspreisen zu ermöglichen, schrieb Rosegger in seiner Zeitschrift Heimgarten: „Wenn die Arbeiter anfangen, an unserer Kunst, an unseren edelsten Idealen teilzunehmen, so ist damit ein neues Verständigungsmittel gefunden und von den Arbeitern eine neue Stufe erstiegen zu dem Gesellschaftsrang, den sie das Recht haben einzunehmen.“ Und so las Rosegger
oft in Arbeiterkreisen aus seinen Werken,
[…] denn wie er seinen Heimgarten in den Dienst des Menschentums sehen
wollte, so verlieh er seiner Überzeugung Ausdruck, daß auch aus den Reihen
der Arbeiter jene Volksgesundung kommen werde, die er als Ideal des neuen
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Jahrhunderts erwartete.4
Roseggers Roman Der Gottsucher (1883) führt den Leser in die Zeit des Absolutismus und Peter Mayr, der Wirt an der Mahr (1893) in die Zeit des Tiroler Freiheitskampfes; beide sind als historische Romane in ihrer dichterischen Wirkung geschlossener als Roseggers Zeitromane.
Der Gottsucher (1883) ist eines der bedeutendsten Werke des Schriftstellers,
in dem eine Begebenheit aus dem Jahr 1493 in Tragöß, bei der der missliebige Pfarrer Melchior Lang von Angehörigen des eigenen Pfarrvolkes ermordet
worden war, behandelt wird. Bereits 1896 erschien die 24. und 1926 die 76.
(!) Auflage, ein seltener Erfolg, den nur wenige Schriftsteller seiner Zeit –
wie z. B. Karl-May-Auflagen – übertreffen. Die Handlung des in zwei Bänden
erschienenen Romans spielt in Trawies (=Tragöß), ein Bergdorf in der steirischen Hochschwab-Region, wo die hörigen Bergbauern wie jedes Jahr zum
Sonnwendfest noch heidnische Bräuche pflegen.
Der gestrenge Pfarrer Pater Franciscus lässt die Bauern durch Landsknechte
vertreiben und zieht mit Gezeter gegen diese heidnischen Gepflogenheiten zu
Felde. Die Bauern beantragen in einer Bittschrift die Versetzung des Pfarrers, was jedoch abgelehnt wird. Nun findet eine Verschwörung statt, in der
40 Männer den Tod des Geistlichen beschließen. Wahnfred, ein Tischler und
religiöser Schwärmer, zieht das Los, die Tat zu vollbringen. Der innere
Kampf – Wahnfred pflegt den kranken Pfarrer, wird jedoch von den Mitstreitern zur Tat gedrängt – des Tischlers wird von Rosegger minutiös geschildert. Wahnfred erschlägt den Geistlichen am Altar und flieht in die Wälder. Das Ansuchen der Bauern um einen neuen Geistlichen wird von den zuständigen Stellen abgelehnt: Man wollte die Preisgabe des Täters, was jedoch
von den Bauern verweigert wird. Diese werden nun zu Rebellen erklärt und
elf von ihnen zur Hinrichtung durch das Schwert ausgelost. Der Tischler
Wahnfred hat in der Hütte eines verstorbenen Einsiedlers in den Bergen Unterschlupf gefunden. Da Tarwies jedoch durch Militär von der Außenwelt
isoliert ist und Not und Verbrechen überhand nehmen, ist Wahnfred um die
Lösung bemüht, die Ordnung in Tarwies wieder herzustellen. Sein Glaube an
4 Schützner, Hubert: Peter Rosegger als Mensch und Dichter, Vortrag am 3. März 1960 im Peter-Rosegger-Bundesheim in Krieglach beim zweiten Seminar für Germanisten an mittleren
kaufmännischen Lehranstalten Österreichs. In: Pochlatko, Herbert (Hrsg.):Der Deutschunterricht an Handelsschulen: Bericht über das Seminar der Germanisten an Mittleren Kaufmännischen Lehranstalten Österreichs in Krieglach vom 29.Februar bis 5.März 1960. [Wien] : Bundesministerium für Unterricht, Nr. 2/1960. S. 98.
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„Wenn das, was fertig ist, nur immer auch vollendet wäre.“ Peter Rosegger - vor 170 Jahren geboren
Gott bestärkt ihn in diesem Vorhaben, und er erfindet eine neue Lehre des
Feuers und des Lichts. Bei Ausbruch der Pest beginnt Wahnfred seine Lehre
zu verkünden und zu verbreiten; er wirkt in der Dorfgemeinde gleichermaßen als Arzt, Freund und Priester. Wahnfred versucht nun seine Landsleute
für den Feuergott zu begeistern, und die Trawieser schwärmen für diesen:
Ein Tempel wird zu Ehren der neuen Gottheit auf der Höhe erbaut. Vom religiösen Wahn (Nomen es Omen!) befallen, geht Wahnfred im unvollendeten
Tempel in den Feurtod. Erlefried, sein Sohn, hat sich vom Vater getrennt
und bricht mit der schönen jungen Sela zu einem neuen Leben auf.
Rosegger vermittelt seiner Leserschaft packende Naturschilderungen
Das Tragössertal, eines der schönsten in den Alpen, ist von drei mächtigen
Bergriesen umschlossen. Der mit Legföhren reich bewachsene Felskegel des
Hochturm; die wüste, in senkrechter Wand abstürzende Pribitz, die ihre
Schuttfelder weit ins Tal hinabgießt; die gewaltige Kuppe der Meßnerin. Zwischen diesen drei Bergen gähnen zwei wilde Schluchten nieder ins idyllische
Hirtental. In einer derselben, aus welcher die Laming kommt, liegt in einem
verkrümmten Fichtenwäldchen der Grüne See. Das Wasser ist kristallklar,
der Grund des Sees besteht aus weißen Steinen – aber das Ganze spielt seltsamerweise ins tiefe Grün. An beiden Seiten des Sees sind mächtige Schutthalden von Felsspalten niedergegangen und im Engtale liegen ungeheure
Wuchten von Steinen und Erdlawinen. Im Hintergrund ragt die Heuwiesenwand und die Griesmauer auf, zwei trotzige Felsblöcke, die an den Wänden
keine rötlichen Bruchflächen haben wie etwa die ewig abrutschende, niederbrechende Pribitzwand, die grau und ehern den Jahrhunderten zu spotten
scheinen.
Noch weiter hinten ragt der Hochturm und die kronenzackige Frauenmauer.
Hoch oben durch die Frauenmauer öffnet sich die merkwürdigste Höhle
Steiermarks, die Frauenmauergrotte. Sie führt von Osten nach Westen durch
den Berg hindurch, ein großartiger Naturtunnel von 430 Klaftern Länge. Von
Tragöß ragt rechts eine Felsschlucht hinein in die Klause. In welchem Bergwinkel hätte seiner Tage nicht ein Klausner gehaust? Ich sehe sie noch kniend in der Höhle vor dem bemoosten Kreuz und zur unbelauschten Stunde
wildern im Wald und auf der Felswand. Manch ein frommer Einsiedler
mochte ein Wehrpflichtiger, Faulenzer oder genau besehen gar ein Wegelagerer gewesen sein; oft auch ein Grübler und Fanatiker oder ein ehrlicher
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Wurzelgräber. Indes lasse ich gerne gelten, dass es wirklich Menschen gibt,
die in der großartigen Wald- und Felseneinsamkeit ihre Seele weiten, ihr
Herz für die Menschheit bewahren und größer, vergeistigter und prophetischer werden als andere Kinder der Erde.
Von der Klause aus geht ein dürftiger Fußsteig die schründigen Hänge des
Schwaben hinan. Besser besteigt man in mehr als siebzig Schlangenwindungen die vom Tale aus uneinnehmbar scheinende Pribitz mit ihren weiten
Almfluren. Möge der Tourist aber nicht zu übermütig vorwärts hüpfen,
plötzlich bricht sich das Plateau in einen mehrere tausend Fuß tiefen Abgrund. An der gegenüber aufragenden Meßnerin bleibt unser Auge hängen.
Dieser Berg hat hoch oben gegen die Kante der Wand hin ein viereckiges
Loch, durch welches man das Firmament schimmern sieht.
„Ja“, sagte mir einmal ein Halter, „es ist kein Spaß, dieses Loch hat der Teufel mit seinen Hörnern gestoßen, wie er mit der Schwaigerin abgefahren ist.“
„Ei, was ihr sagt! So hat er doch einmal eine geholt?“
„Und ob er eine geholt hat! – Weil sie sich ihm verschrieben hat, da oben auf
dem Pribitzboden. Warum? Weil ihr der Böse beim Käsen und Buttern hat
helfen müssen und sie es den Schwaigerinnen auf der Sonnschienalm hat
antun mögen, dass deren Kühe lauter Blut und Wasser haben gemolken.“
„Und hat sie das Zuwege gebracht?“
Wird sie doch leicht Zuwege gebracht haben, wenn sie eine Hexe ist gewesen! Deswegen hat sie sich ja dem Teufel verschrieben, dass sie eine Hexe
hat sein können. Nu, wie die Zeit aus ist und sie der Schwarze darauf hätte
holen sollen, hat sich die Schwaigerin, dass er sie nicht finden und erkennen
möchte, in eine Schnecke verzaubert und ist oben in der hohen Pribitzwand
herumgekrochen.
Aber der Teufel wird eins nicht zu gescheit; wie sie eine Schnecke ist, wird er
ein Geier und fliegt an die Felsenwand. Just will er seinen langen Schnabel
aushacken nach der Schnecke, da kollert diese schnurstracks hinab in den
See und verzaubert sich in eine Forelle. Der Teufel, nicht faul, wird eine Seeschlange, jagt die Forelle ans Ufer. Auf grünem Gras hat sie wieder müssen
die Schwaigerin sein.
Da hat er sie gepackt um die Mitten, ist mit ihr durch die Lüfte gefahren und
gerade der Meßnerinwand zu und mit einem Sauser durch den Berg. So ist
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„Wenn das, was fertig ist, nur immer auch vollendet wäre.“ Peter Rosegger - vor 170 Jahren geboren
das Loch heutigen tags noch zu sehen.“5
Roseggers Hochschwabbesteigung erfolgte 1874 von der Ostseite (von
Aflenz) aus. Diese hatte ihn sehr beeindruckt, so dass er auf dem Gipfel folgendes Gefühl, später für seine Leserschaft festgehalten hat: „Im Anblick solcher Größe ist man still wie die Steine ringsum und das unvergleichliche Bild
zieht ein in das Allerheiligste der Seele. Wir sehen das Leuchten der Karawanken, das Glitzern der Donau und das Morgenglühen des Großglockners.
Die Schilder des dreizackigen Dachstein blinken uns zu; das wilde Heer der
Ennstaler Alpen reckt seine unzähligen Riesen- und Greisenhäupter, mit
Kronen und Diademen geschmückt, heran gegen den Hochschwab, wie Patriarchen der Vorhölle zum Allvater schauen.
Wer wollte all‘ die Berge und Täler mit Namen nennen? Der Pedant. Nicht
wie sie heißen, sondern wie sie sind, das ist auch bei den Bergen die Hauptsache. Vom Hochschwab aus ist die Plastikkarte der Steiermark offen. Ein
Meer von unzähligen Bergkämmen und Spitzen, aber wegen der breiten Vorberge des Hochschwab sieht man kein Tal, keine menschliche Ansiedlung.“6
Zu Peter Roseggers Naturschilderungen ließen sich zumindest in der rumänischen Literatur Parallelen bei seinem Zeitgenossen Calistrat Hogaș (18471917), in dessen Werk Pe drumuri de munte – Amintiri dintr-o călătorie und
Geo Bogzas (1908 -1993) Reportagen (Veneam la vale, Valea Oltului u. a.)
feststellen. Eine eingehende Erforschung bzw. ein Vergleich dieser drei Autoren und deren Gemeinsamkeiten wäre wohl eine interessante Aufgabe für
Komparatisten.
Schattenseiten des erfolgreichen Heimatdichters
Rosegger blieb der Nobelpreis für Literatur 1913 verwehrt. Diesbezüglich
gibt es verschiedene Spekulationen, wie etwa die Einflussnahme von tschechischen Nationalisten auf die Nobelpreis-Entscheidung wegen Roseggers
Förderung deutscher Schulen in gemischtsprachigen Gebieten von Böhmen
und Mähren.
5 Rosegger, Peter; Püttner, Richard: Wanderungen durch Steiermark und Kärnten, KrönerVerlag Stuttgart, 1880. S. 123.
6 Ebd.
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Ein weiterer Grund dürfte auch Roseggers ausweichende Antwort auf die
1893 erfolgte Anfrage des Mainzer Bürgermeisters gewesen sein, der den
Schriftsteller um einen Kommentar über ein geplantes Heine-Denkmal gebeten hatte. Rosegger begründete seine Haltung gegenüber der Stadt Mainz,
dass er Heinrich Heine nicht genügend kenne, um sich dazu äußern zu können, was ihm, Rosegger, als antisemitische Einstellung Heines jüdischer
Herkunft gegenüber gedeutet wurde.
Dass Rosegger während des Ersten Weltkrieges nationalistische und kriegsfreundliche Gedichte und Texte sowie im Neuen Wiener Tagblatt vom
19.09.1914 einen Aufruf zur Zeichnung von Kriegsanleihen verfasst hatte,
wurde dem Dichter ebenfalls angekreidet. Rosegger kritisierte – in zeittypischer Weise – die vermeintlich beherrschende Stellung der Juden im Wirtschafts- und Geistesleben und äußerte ein gewisses Verständnis für das Vorhandensein antisemitischer Strömungen, verurteilte jedoch deren Auftreten,
wie aus einem Brief an seinen Freund Friedrich v. Hausegger hervorgeht:
„Weil der Antisemitismus heute vor allem durch bildungslose, rohe Massen
großer Städte vertreten wird, weil alle feiner gearteten Menschen sich von
dieser wilden Bewegung zurückgescheucht fühlen, darum fürchte ich sehr,
dass sie großes Unheil stiften wird und das macht mich oft traurig. [...] Ja,
eine solche Bewegung hat ihre natürlichen Ursachen, ist also berechtigt, aber
erfreulich oder gar nachahmenswert ist sie nicht. Ich beklage es tief, in einer
solchen Zeit zu leben.“7 Wenn auch Rosegger der Nobelpreis für Literatur
1913 verwehrt wurde, so erfreute er sich trotzdem vielfacher nationaler sowie
internationaler Auszeichnungen und Ehrungen8. Zahlreiche Gedenkstätten
erinnern an Leben und Wirken des Dichters9:
7 Eva Philippoff: Die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Ein politisches Lesebuch (1867–
1918). Presses Univ. de Septentrion, 2002, ISBN: 2-85939-739-6 S. 171f.
8 1876 Ernennung durch Kaiser Franz Joseph I. zum Mitglied des österreichischen Herrenhauses auf Lebenszeit; 1903 Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg; 1907 Ehrenmitgliedschaft der Londoner Royal Society of Literature; 1913 Ehrendoktorwürde der Universität
Wien; 1913 Österreichisches Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft; 1913 Nominierung für
den Nobelpreis für Literatur – ausgezeichnet wurde damit schließlich. Rabindranath Tagore;
1917 Ehrendoktorwürde der Universität Graz; 1918 Franz-Joseph-Orden; Preußischer Kronenorden 2. Klasse; Ehrenbürgerwürde der Stadt Graz; Ehrenbürgerwürde der Marktgemeinde Krieglach; Ehrenbürgerwürde von St. Kathrein am Hauenstein.
9 Krieglach: Roseggers Landhaus/Sterbehaus, Gedenkstätte; Denkmal „Als ich noch der
Waldbauernbub war...“ (von Paul Kassecker, 1937); Grab Peter Roseggers; Alpl: Roseggers
Geburtshaus, Kluppeneggerhof; Waldschule (eröffnet am 28. September 1902); Stoderzinken:
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„Wenn das, was fertig ist, nur immer auch vollendet wäre.“ Peter Rosegger - vor 170 Jahren geboren
Peter Rosegger zählt zu den bedeutendsten und verdienstvollsten steirischen
Persönlichkeiten. Mit seinen Erzählungen und Romanen, aber auch mit seiner zeitkritischen Auseinandersetzung in Fragen des Umweltschutzes, der
Landflucht, der gesunden Ernährung, in Bildungsfragen wie auch im Tourismusbereich hat er seine steirische Geschichte geprägt.
Und doch… „Peter Rosegger steht mit seinem Werk längst draußen vor der
Tür, findet keinen Einlass mehr in große deutsche Verlagshäuser unserer
Tage“ schreibt Christian Teissl am 5. Juli 2013 in der Grazer Kleinen Zeitung10 und vermisst diesbezüglich eine „Klassikerpflege“, d. h. eine „prächtige, historisch-kritische Gesamtausgabe seiner Werke wie etwa bei Nestroy
und schlussfolgert: „Diese Art der Klassikerpflege blieb Rosegger bis zum
heutigen Tag vorenthalten.“11
Literatur:
1.
ALKER, Ernst: Die deutsche Literatur im 19. Jahrhundert (1832-1914). Stuttgart, Kröner,
1969, 948 S.
2.
ANDERLE, Charlotte: Der andere Peter Rosegger. Polemik, Zeitkritik und Vision im Spiegel des Heimgarten 1876–1918. 2. Aufl. Wien, Österr. Agrarverlag, 1986.
3.
ANDERLE, Charlotte: Peter Rosegger: der Dichter, der aus dem Walde kam. Wien, Österreichische Landsmannschaft, 83 S.
4.
BAUR, Uwe; Schöpfer, Gerald; Pail, Gerhard (Hrsg.): „Fremd gemacht“? Der Volksschriftsteller Peter Rosegger. Wien u. a., Böhlau,1988.
5.
BRENNER, Emil; Bortenschlager, Wilhelm: Deutsche Literaturgeschichte 1. Von den Anfängen bis zum Jahr 1945. Wien, Verlag Leithner (Leitners Studienhelfer), 1986, 619 S.
6.
Die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Ein politisches Lesebuch (1867–1918). Presses
Peter-Rosegger-Denkmal von Siegfried Schwab (1968); St. Kathrein am Hauenstein: PeterRosegger-Denkmal; Kapfenberg: Peter-Rosegger-Denkmal; Graz: Peter-Rosegger-Denkmäler
(Roseggergarten, Stadtpark, Augarten); Jägerndorf (Schlesien, Sudetenland, heute Krnov):
Peter-Rosegger-Denkmal; Roseggerhaus einem Schutzhaus oberhalb von Ratten; Bozen: Roseggerpark; Berlin: Roseggerstraße im Stadtteil Neukölln, Wien: Roseggergasse im 16. Bezirk;
Schwertberg: Roseggerstraße im Ortsteil Zirking; Nittendorf: Peter-Rosegger-Straße im Ortsteil Am Bernstein; Amstetten: Peter-Rosegger-Straße; Ybbs an der Donau: Peter RoseggerPromenade; Mürzzuschlag: Roseggergasse; Melk: Roseggerstraße (seit 1911!); Düsseldorf: Roseggerstraße; Salzburg: Roseggerstraße.
10 Christian Teissl in der Grazer Kleinen Zeitung vom 05.07.1013, S. 38.
11 Ebd.
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Hans Dama
Univ. de Septentrion, 2002.
7.
HAFNER, Otfried: Peter Rosegger im Spiegel der Kunst. Graz, Ed. Strahalm, 1984, 103 S.
8.
KAPPSTEIN, Theodor: Peter Rosegger: ein Charakterbild. Stuttgart, Greiner & Pfeiffer.
1904.
9.
KOCH, Franz: Idee und Wirklichkeit. Deutsche Dichtung zwischen Romantik und Naturalismus. 2 Bände, Düsseldorf, 1956.
10. LENDL, Hubert [Hrsg.]: Das grosse [große] Rosegger Hausbuch. München [u. a.]: Staackmann [u. a.],1980, 445 S.
11. MARKETZ, Sabine [Hrsg.]: Peter Rosegger persönlich: Anekdoten von und um den Dichter. Langenwang, Kurz, 1993, 68 S.
12. MARTINI, Fritz: Deutsche Literaturgeschichte. Stuttgart, Kröner, 1968, 697 S.
13. PHILIPPOFF, Eva: Peter Rosegger: Dichter der verlorenen Scholle; eine Biographie. Graz
[u. a.], Styria, 1993, 288 S.
14. POCHLATKO, Herbert; KOWEINDL, Karl; PONGRATZ, Josef: Einführung in die Literatur des deutschen Sprachraums von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Mit besonderer
Berücksichtigung des österreichischen Schrifttums. III. Teil. Wien, Wilhelm Braumüller,
1975, 424 S.
15. POCHLATKO, Herbert (Hrsg.): Der Deutschunterricht an Handelsschulen : Bericht über
das Seminar der Germanisten an Mittleren Kaufmännischen Lehranstalten Österreichs in
Krieglach vom 29.Februar bis 5.März 1960. [Wien] : Bundesministerium für Unterricht,
Nr. 2/1960.
16. REINHARD Farkas (Hrsg.): Rosegger für uns. Zeitloses und Aktuelles aus seiner Zeitschrift Heimgarten. Graz, Verlag für Sammler, 2013.
17. ROSEGGER, P. K.: Rosegger, Peter. Das Volksleben in Steiermark: in Charakter- und Sittenbildern; in zwei Büchern. Wien [u. a.], Hartleben, 1881, 446 S.
18. ROSEGGER, Peter; Püttner, Richard: Wanderungen durch Steiermark und Kärnten,
Kröner-Verlag Stuttgrat, 1880.
19. ROSEGGER, Peter: Hoch vom Dachstein: Geschichten und Schildereien aus Steiermark.
Leipzig, Staackmann, 14. Aufl., 464 S.
20. SCHMIDT-DENGLER, Wendelin, 1942-2008 [Hrsg.]: Verfasserangabe: hrsg. von Wendelin Schmidt-Dengler und Karl Wagner: Peter Rosegger im Kontext. Wien [u. a.], Böhlau, 1999, 246 S., ISBN/ISSN: ISBN 3-205-98841-8.
21. SCHÖPFER, Gerald; Kallen, Wim van der [Ill.]: Peter Rosegger und die Waldheimat.
Graz; Wien [u. a.], Styria, 1993, 62 S.
22. SCHRAPFENEDER, Franz [Hrsg.]: Peter Rosegger 1843-1918: eine Auswahl aus seinen
Schriften. Wien, Tosa-Verlag, 1993, 316 S.
23. SCHÜTZNER, Hubert: Peter Rosegger als Mensch und Dichter. Vortrag am 3. März 1960
162
ZGR 2 (44) / 2013
„Wenn das, was fertig ist, nur immer auch vollendet wäre.“ Peter Rosegger - vor 170 Jahren geboren
im Peter-Rosegger-Bundesheim in Krieglach beim zweiten Seminar für Germanisten an
mittleren kaufmännischen Lehranstalten Österreichs. In: Pochlatko, Herbert (Hrsg.): Der
Deutschunterricht an Handelsschulen: Bericht über das Seminar der Germanisten an
Mittleren Kaufmännischen Lehranstalten Österreichs in Krieglach vom 29.Februar bis 5.
März 1960. [Wien]: Bundesministerium für Unterricht, Nr. 2/1960, 128 S.
24. TSCHULIK, Werner: Die österreichische Dichtung im Rahmen der Weltliteratur. Wien,
Hölder-Pichler-Tempsky/Österreichischer Bundesverlag, 1958, 276 S.
25. WAGNER, Karl: Die literarische Öffentlichkeit der Provinzliteratur. Der Volksschriftsteller Peter Rosegger. (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 36.), Tübingen, Niemeyer, 1991.
26. WAGNER, Karl: Rosegger, Peter. In: Neue Deutsche Biographie (NDB), Band 22, Berlin,
Duncker & Humblot, 2005. (Digitalisiert).
27. WAGNER, Karl; Kaiser, Max; Michler, Werner (Hg.) unter Mitarbeit von Bruck, Oliver
und Zintzen, Christiane: Peter Rosegger - Gustav Heckenast: Briefwechsel 1869-1878.
Rosegger, Peter, 1843-1918; Heckenast, Gustav, 1811-1878. Wien [u. a.], Böhlau, 2003,
739 S.
28. HÖLZL, Wolfgang: „Der Großdeutsche Bekenner“. Nationale und nationalsozialistische
Rosegger-Rezeption. Frankfurt am Main, Peter Lang, 1991, (= Europäische Hochschulschriften; Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; 1236)
29. ZITZENBACHER, Walter: Peter Rosegger. Sein Leben im Roman. 3. Aufl. Graz, Leopold
Stocker Verlag. 1993..
*****
Abstract:
The Austrian poet Peter Rosegger (1843-1918) was born 170 years ago in Styria,
Austria. His Oeuvre includes poems, novels, short stories describing the rural life, as
well as the life of workers in Styria. He was in contact with many poets of his time
such as Adam Müller Gutenbrunn und Prinzessin Pauline Ottilie Luise zu Wied (wife
of King Carol I of Romania), who was known as a poet under the Pseudonym of
Carmen Sylva.
Schlüsselwörter: Kurzgeschichte, Dorfgeschichte, Adam Müller-Guttenbrunn, Carmen Sylva.
ZGR 2 (44) / 2013
163
DER MENSCH UND DAS GELD
in der Novelle Lüschers Frühling der Barbaren
Mohamed Tabassi
Wenn die Leute hören, dass ich Ökonom bin, fragen sie
mich, wie sie ihr Geld anlegen sollen. Ich sage ihnen dann,
dass ich ihnen keinen Rat geben kann und dass mich vielmehr die Menschen interessieren, die kein Geld haben, um
es anzulegen.
Amartya Kumar Sen
Mit keinem anderen Thema ist der Mensch in seinem Alltag so stark konfrontiert wie mit dem Thema des Geldes.1 Aussagen wie „Geld ist Macht“,
„Geld regiert die Welt“ und „Hätte ich Geld, dann sähe mein Leben anders
aus“ werden überall mit einem Kopfnicken bestätigt. Es ließen sich noch viele solcher Aussagen beifügen, die den Einfluss des Geldes auf die Autonomie
des Menschen versinnbildlichen. Tatsächlich hat das Geld Auswirkungen auf
alle Lebensbereiche des Menschen. Das Geld ist deswegen aus den Verhältnissen des allgemeinen Lebens nicht wegzudenken. Weil es ist vielmehr in
der Gesellschaft und der Wirtschaft eine bewegende Kraft ist, beeinflusst das
Geld grundlegend das Lebensgefühl und die Befindlichkeit des Menschen.2
Daher sagt Goethe mit Recht: „Gesunder Mensch ohne Geld ist halb
krank.“3„Für die meisten Menschen wird Geld mit Zufriedenheit, Spaß aber
auch Einfluss assoziiert. Geld spielt eine große Rolle bei der Partnerwahl,
1 Mit dem Begriff des Geldes ist hier der materielle Besitz insgesamt gemeint. Ferner: Mit dem
Phänomen des Geldes haben sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts interessante Bücher auseinandergesetzt. Zu nennen seien hier vor allem: Georg Simmel: Philisophie des Geldes, hrsg. v.
David P. Frisby & Klaus Christian Köhnke, Bd. 6. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1989.
Georg Friedrich Knapp: Staatliche Theorie des Geldes. Bremen: Dogma Verlag 2012. Amartya
Kumar Sen: Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der
Marktwirtschaft. München: dtv 2002. (übersetzt von Christiana Goldmann). Weiter: Literarische Texte, die das Geld und die Finanzkrise thematisieren, sind aber noch nicht viel. Zu nennen seien in diesem Zusammenhang vor allem der Roman Johann Holtrop von Rainald
Goetz, der Roman Das war ich nicht von Kristof Magnusson und der Roman Gesellschaft mit
beschränkter Haftung von Nora Bossong.
2 Vgl. Gisela Bichler: Geld und personale Autonomie als Themen der Philosophie. Bonn 211,
S. 8. http://hss.ulb.uni-bonn.de/2011/2506/2506.pdf.
3 http://www.geldanlage2.de/geld.htm.
Der Mensch und das Geld in der Novelle Lüschers „Frühling der Barbaren“
Geld ermöglicht ein spannendes und interessantes Leben, Geld mach frei.
Doch das Bedürfnis nach Geld hat auch weniger angenehme Eigenschaften,
wie Kriminalität, Korruption oder Drogenhandel. Es verwundert deshalb
nicht, dass gegenüber diesem scheinbar universellen Heilmittel auch Unbehagen dergestalt entgegen gebracht wird, ob Geld tatsächlich Zentrum des
menschlichen Lebens sei und ob Geld wirklich glücklich macht.“4 Von einem
Endzweck, als Mittel zur Deckung von menschlichen Grundbedürfnissen, ist
das Geld zu einem Selbstzweck gewachsen, da es eine Form des subjektiven Begehrens und der Zweckmäßigkeit geworden ist. 5 Dieser Rollenwechsel des Geldes ist ohnehin mit dem herrschenden Mammonismus zu verbinden, der die
absolute Werte des Menschen vernichtet und aus ihm einen Barabar gemacht hat.
Dieses Thema, nämlich der Mammonismus und dessen Einfluss auf den modern zivilisierten Menschen, hat den schweizerischen Schriftsteller Jonas Lüscher dazu inspiriert, die Novelle Frühling der Barbaren zu schreiben. Jonas
Lüscher, der zur Zeit in München lebt und als Doktorand am Lehrstuhl für
Philosophie der ETH Zürich arbeitet, legte mit diesem Werk sein erstes öffentliches Auftreten als Schriftsteller vor. Über sein Erstling sagt Lüscher in
einem Interview:
Die Psychiatrie steht für meine hoffnungsvollen Tage, für meinen Glauben
an die Beständigkeit bestimmter wohlfahrtsstaatlicher Institutionen. In meiner Novelle hat offenbar so etwas wie ein egalitäres Gesundheitssystem den
Zusammenbruch das Finanzsystems überlebt. Preising und sein Gefährte,
obwohl aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten, werden in derselben
Klinik betreut und ihre psychischen Probleme werden erst genommen. Das
ist das positivste Bild, das ich finden konnte. Mehr Hoffnung habe ich nicht.
Aber das ist doch auch schon was.6
Im Mittelpunkt des Geschehens steht Preising, der Inhaber eines ererbten,
desolaten Familienunternehmens. Die Firma wird von dem jungen und talentierten Mitarbeiter Prodanovic gerettet. Prodanovic hat Preising in den
Urlaub nach Tunesien geschickt, um dort Verhandlungsgespräche mit dem
tunesischen Partner Slim Malouch zu führen.
4 Hans-Georg Häusel: Der Umgang mit Geld und Gut in seiner Beziehung zum Alter. München 2001, S.1. http://mediatum.ub.tum.de/doc/603174/603174.pdf.
5 Vgl. Gisela Bichler: Geld und personale Autonomie als Themen der Philosophie. Bonn 211, S.
12. http://hss.ulb.uni-bonn.de/2011/2506/2506.pdf.
6 http://literatourismus.net/2013/02/05/jonas-luscher-fruhling-der-barbaren/.
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165
Mohamed Tabasssi
So sollte Preising also dem Seeländer Nebel in den tunesischen Frühling entkommen. Er tauschte sein Tweedjacket und die burgunderrote Manchesterhose gegen ein eierlikörfarbenes Hahnentrittjacket und eine Chino mit
scharfen Bügelfalten, eine Garderobe, die er unmöglich fand, aber seine
Haushälterin hatte sie ihm herausgelegt [...]. (11)7
Nach seiner Ankunft in Tunis, wo er im Hotel d’Elisha wohnte, fuhr er nach
der Oase Tschub. In dieser Oase leitete die Geschäftsführerin Saida Malouch
im Besitz ihres Vaters ein luxuriöses Hotel. Die Reise in die Wüste war für
Preising ein exotisches Abenteur, von dem er sehr begeistert war.
Die Wüste an sich ist vielleicht die Landschaft, die mir am meisten entspricht. Die Leere, die Weite, die schnurgerade Straße, auf der wir dahinschossen. Sowie wir das hügelige Hinterland hinter uns ließen und vor uns
die ersten Ausläufer der mächtigen Sandwüste liegen hatten, ließ auch ich
alles hinter mir, den Lärm der Stadt, die unablässig schmeichelnden Reden
Slim Malouchs, das immer sorgenvolle Gesicht Prodanovics. (20f.)
Zu den Gästen des Hotels gehörten aber reiche junge Engländer, die auf
Hochzeitsreise in Tunesien waren. Weil sie viel Geld hatten, warfen sie es
hier umsonst. Keiner dachte an das Schlimmste. Völlig überraschend erklärte Großbritannien seinen Staatsbankrott. England ging unter und die britischen Gäste gleich mit. Genau in diesem entscheidenden Moment brach sehr
schnell die Barbarei aus. Aus der Gruppe wurde eine Herde wilder Tiere, die
nur an ihr Vermögen dachten. Jeder vergaß die anderen und überlegte eine
Rettung für sich selbst. Nicht um die heutige Finanzkrise als solche geht es in
der Novelle, sondern um das Verhalten der Menschen in bestimmten kritischen Situationen. Die Wirkungsmacht des Geldes auf die Menschen wird
hier literarisch in einer Geschichte voller unglaublicher Wendungen und
abenteuerlicher Gefahren thematisiert.
I. Barbarei?
Ein langes Motto von dem österreichischen Kulturhistoriker und Soziologen
Franz Borkenau (1900-1957) hat Lüscher für seine Novelle gewählt. Darin
heißt es:
7 Die zwischen den Klammern stehende Zahl ist die Seitenzahl. Es wird nach dieser Auflage
zitiert: Jonas Lüscher: Frühling der Barbaren. Novelle, 2. Auflage, München: C.H.Beck 2013.
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Der Mensch und das Geld in der Novelle Lüschers „Frühling der Barbaren“
Was ist «Barbarei» in der Wirklichkeit? Sie ist nicht das Gleiche wie kulturelle Primitivität, ein Zurückdrehen der Uhr. [...] Sie ist ein Zustand, in dem
viele der Werte der Hochkultur vorhanden sind, aber ohne die gesellschaftliche und moralische Kohärenz, die eine Vorbedingung für die rationale Funktionieren einer Kultur ist. Doch gerade aus diesem Grunde ist «Barbarei»
auch ein schöpferischer Prozess: Wenn der Gesamtzusammenhang einer
Kultur einmal zerbrochen ist, liegt der Weg offen für eine Erneuerung der
Schöpferkraft. Doch unbestreitbar kann dieser Weg durch einen Zusammenbruch des politischen und wirtschaftlichen Lebens, durch Jahrhunderte spiritueller und materieller Verarmung und durch schreckliche Leiden führen.
Unsere eigene besondere Art von Zivilisation und Kultur mag nicht ungebrochen überleben – doch wir können sicher sein, dass die Früchte der Zivilisation und Kultur in irgendeiner Form überleben werden. Es gibt keine historische Grundlage für den Glauben an eine Tabula rasa als Endresultat.
Im Unterschied zu der tradierten Auffassung, die die Barbarei als Grausamkeit und Kulturlosigkeit versteht, stellt Borkenau die These auf, dass Barbarei „viele der [zusammenhangslosen] Werte der Hochkultur“ aufweist. Die
Zusammenhanglosigkeit, der Bruch einer Kultur dient dem schöpferischen
Charakter der Barbarei. Die Kulturtrümmer sind nach Borkenau die Voraussetzung für die Höherentwicklung, „in der sich Hochkulturen zersetzen, ihre
Ausstrahlung auf die anstürmenden jungen Völker aber noch immer ausreicht, um deren Stammesethos zu zerstören.“ 8 Die Vorstufen hochkultureller Errungenschaften und Kulturschöpfungen sind die barbarischen Zeiten,
die primitiven Völker, die anstelle des herrschenden Chaos neue Regeln und
Lebensgesetze schaffen. Dieses die abendländische Kultur prägende Ambiente hebt Borkenau in seinen Thesen hervor, die auf Hoffnung gestimmt sind,
genauso wie die Gesamtperspektive der Novelle Lüschers. Aus der Barbarei
kommt nun der Frühling heraus.
II. Die Rahmenerzählung: Das Geld regiert die Menschen
In der novellistischen Struktur eines literarischen Textes nimmt die Rahmenerzählung eine Sonderstellung ein. Sie dient der Glaubmachung, Vergegenwärtigung der Binnenerzählung und schildert prägnant ihre Entstehung.
Diesen Prämissen ist Lüscher treu geblieben. Schon von der ersten Zeile sei8 Sven Papcke: Wie das Abendland entstand. Borkenau und die „Vorstellung von totaler persönlicher Verantwortung“. In: http://www.zeit.de/1985/15/wie-das-abendland-entstand.
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Mohamed Tabasssi
ner Novelle macht er dem Leser mit seiner Hauptfigur Preising vertraut,
dem liebsten Gefährten des Ich-Erzählers, mit dem er tagtäglich spaziert. Bei
dieser Wanderung möchte Preising dem Ich-Erzähler eine Geschichte erzählen. Es geht dabei keineswegs um eine schlüpfrige Geschichte, sondern um
eine Geschichte, „aus der sich etwas lernen lässt. Eine Geschichte voller unglaublicher Wendungen, abenteurlicher Gefahren und exotischer Versuchungen.“ (7) Eine Geschichte mit einer Lehre wollte Preising erzählen. Abenteuerlich, exotisch soll sie überdies sein. Ob es wirklich noch lehrreiche, abenteuerliche und exotische Geschichten gäbe, die man noch nicht kennt und
wahr nimmt, bleibt dem Zuhörer (Ich-Erzähler) rätselhaft. Dabei geht es um
die Moral, die die Geschichten Preisings von Haus aus versinnbildlichen.
Preising und der Ich-Erzähler spazieren auf dem Gelände einer Psychiatrie.
Dabei erzählt Preising seinem Leidensgenossen /Begleiter (Ich-Erzähler) die
Geschichte seiner Geschäftsreise nach Tunesien.
Ob Preisings Geschichten wahr waren oder nicht, wusste man nie so genau,
aber darum ging es nicht. Preising ging es um die Moral. Er glaubte, dass in
jeder Geschichte, die sich zu erzählen lohne, eine solche stecke. Und meist
waren seine Geschichte Zeugnis seiner eigenen Besonnenheit, auf die er sich
viel einbildete. (15)
Lapidar befindet sich der Leser in der Welt des Geldes und des Kapitals, zu
der die zwei Figuren Preising und Prodanovic gehören. Prodanovic, der brillante bosnische Angestellte Preisings hat den elektronischen Bauteil der
Wolfram-CBC-Schaltung erfunden, „ohne das keine Mobilfunkantenne dieser Welt ihren Dienst verrichten konnte.“ (8) Allein durch diese Erfindung
konnte die von Preising geerbte Kommanditgesellschaft für Fernsehempfang
und Dachantennen von dem drohenden Konkurs gerettet werden. Eine Fernsehantennenfabrik mit fünfunddreißig Angestellten hat Preising von seinem
Vater geerbt. Meterlange, preisgünstige Antennen stellte die Fabrik her. Diese miserable Firma brauchte tatkräftige Entscheidungen, um weiter existieren zu können. Preising, das Gesicht der Firma, das nur Beständigkeit vermitteln konnte, konnte nicht diese Entscheidungen treffen. Der junge Messtechniker Prodanovic hat die Zügel in die Hand genommen und die nötigen
technischen Entwicklungen eingeführt.
Prodanovic war demnach nicht nur dafür verantwortlich, dass Preising mittlerweile vermögender Besitzer, sondern auch Vorstandsvorsitzender einer
Gesellschaft mit tausendfünfhundert Angestellten und Niederlassungen auf
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Der Mensch und das Geld in der Novelle Lüschers „Frühling der Barbaren“
fünf Kontinenten war. Zumindest nach außen hin, denn das operative Geschäft des dynamischen Unternehmens, welches nun den dynamischen Namen Prixxing trug, führte längst Prodanovic, zusammen mit einer Riege entschlussfreudiger Leistungsträger und Wertschöpfer. (9)
Prodanovic besaß in der Firma Prokura. Er sollte Preising in die Ferien geschickt haben. Preising sollte nach Tunesien fliegen, wo am Rande von Sfax
einer ihrer Zulieferbetriebe saß. Preising sollte der Gast von Slim Malouch
sein, dem Besitzer des Ensemblierungsbetriebs. Er war ein umtriebiger
Kaufmann und in unterschiedlichen Branchen tätig. Die Firma Malouchs,
die ihren Hauptumsatz mit Phosphat machte, erlebte Schwierigkeiten hinsichtlich der momentanen schwierigen Situation in Tunesien. Deshalb versuchte Malouch vom Phosphat wegzukommen und im Bereich der Telekommunikation zu investieren. Er suchte auf diesem Weg die Nähe von jedem,
der mit diesem Bereich zu tun hat. In der Telekommunikation sah er die Zukunft und die Rettung seines Familienunternehmens. Was Preising aber genau in Tunesien erlebt hat, war von der Rettung eines tunesischen Unternehmens weit entfernt. Keine exotische, schlüpfrige Geschichte, die sich im tunesischen Frühling spielte, erwartet der Leser, sondern eine Geschichte des
Kapitals, des Handels. Hätte Prodanovic Preising nicht nach Tunesien geschickt, wäre die ganze Geschichte nie geschehen. Der eigentliche Sinn, die
Lehre der Geschichte Preisings blieb dem Ich-Erzähler rätselhaft. Am Ende
der Novelle bleibt die Frage, ob die Geschichte einen Sinn und eine Lehre
hätte, offen:
Und was hatte er damit bewiesen? Mit dieser traurigen Geschichte voller tragischer Zufälle? Einer Geschichte, aus der sich nichts lernen ließ. Preising
war ob seiner eigenen Erzählung ganz betrübt. Alles hing ihm aus dem Gesicht. Die traurige Nase, die trockenen Lippen, die wässrigen Augen. Darauf
konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. «Was hast du damit bewiesen?»,
fragte ich ihn unerbittlich. Ein verborgenes Wissen und Kümmernis über
ebendieses schien in seiner Antwort zu liegen. «Du stellst schon wieder die
falsche Frage», sagte Preising. (125)
III. Die Binnenerzählung: Das Geld sitzt locker
Seine Geschichte hat Preising mit seinem merkwürdigen Erlebnis in dem
Flug nach Tunesien begonnen, der ausgesprochen angenehm war:
Ganz gegen meine Angewohnheit trank ich Alkohol. Die Stewardess hatte
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Mohamed Tabasssi
mich falsch verstanden und brachte statt des gewünschten Safts einen
Scotch, den ich ihr dennoch abnahm, da mich ihre plumpe Gestalt rührte,
die in so hartem Kontrast zu den zahllosen stilisierten Gazellen, die ihre Uniform schmückten, stand. Sie war wirklich nicht hübsch, und die Passagiere,
die sich um ein Erlebnis betrogen fühlten, welches sie mit dem Erwerb eines
Flugscheins glaubten, mitgekauft zu haben, machten es ihr schwer. Es wäre
nicht recht gewesen, nicht jede Chance zu nutzen, freundlich zu ihr zu sein, und
so musste dem ersten ein zweites und dem zweiten ein drittes Glas folgen. (11)
Die oben zitierte Passage ist doppeldeutig. Sie illustriert auf einer Seite die
Höflichkeit des Europäers (Preising) und wie er sich zu einer Frau verhalten
soll. Der Europäer ist so zivilisiert, dass er zu einer Frau nicht nein sagen
kann, wenn sie ihm auch statt eines Saftes einen Scotch anbietet. Auf der anderen Seite ist der Europäer immer noch barbarisch, da er von der Frau nur
ihre Schönheit sieht. Für Preising war die Stewardess nicht hübsch. Mit ihrer
plumpen Gestalt stand sie in Kontrast zu den anderen stilisierten, uniformierten Gazellen. Die Anspielung auf die Stewardess der tunesischen Fluggesellschaft Tunis Air ist hier sehr deutlich, dessen Logo die Gazelle ist. Mit
den Dienstleistungen dieser Gesellschaft sind die Europäer meistens unzufrieden, wobei sie ihre Preise sehr günstig finden.9 Diese Fluggesellschaft
spiegelt das Bild des Landes wieder, in das Preising reist. Dass er schockiert
war, als er auf das Aéroport-Tunis-Carthage landete, ist für einen Europäer
selbstverständlich. „[H]ier stießen Welten aufeinander. Hier war Vorsicht
geboten. Das hier war für ihn ein ganz schwieriger Fall, bei dem es so viel zu
bedenken gab.“ (13f.)
Der für Preising schockierende kulturelle Unterschied wird durch zwei diskutierbaren Beispiel veranschaulicht. Die Haltung Malouchs in Begleitung
seiner ältesten Tochter dem Taxifahrer und seinem Chauffeur gegenüber ist
merkwürdig und für Preising nicht nachvollziehbar. In der Hitze vor dem
Flughafengebäude wedelt Malouch die beiden mit beneidenswerter souveräner Geste hin. Das zweite Beispiel betrifft Moncef Daghfous, den schärfsten
Konkurrenten Malouchs. Daghfous hatte Preising angeboten, die CBC-Schaltungen in seinem Werk zu assemblieren. Der günstige Preis sei durch den
Einsatz der Kinderarbeit zu erklären. Preising war sich davon nicht sicher
und konnte keine Entscheidung treffen. Kinderarbeit sei nicht so einfach,
9 http://www.dooyoo.de/fluglinien/tunisair/Testberichte/, http://www.airline-bewertungen.eu/
airline-Tunisair.html.
170
ZGR 2 (44) / 2013
Der Mensch und das Geld in der Novelle Lüschers „Frühling der Barbaren“
wie man sich vorstellt.
Daghfous hielt Preising darüber hinaus für einen großen Zocker und bietet
ihn seine sechs minderjährige Töchter.
[Preising] habe die Wahl, sie seien alle zu haben und alle im heiratsfähigen
Alter, nur die zweite von links sei bereits vergeben, doch wenn es unbedingt
sein müsse, wäre es möglich, den Verlobten in einen Verkehrsunfall zu verwickeln, so etwas sei aber eine heikle Sache, und überdies stünden die anderen fünf der bereits Versprochenen in nichts nach. Voilà, sagte er in Richtung seiner Töchter, beide Handflächen vorweisend. Voilà, sagte Preising,
weil er sonst nichts zu sagen wusste. (13)
Von diesem Verhalten Daghfous war Preising schockiert. Er war aber „erklärter Kulturrelativist“ (ebd.) und konnte das gut verstehen und damit umgehen. Während Preising innerlich nach einem Ausweg suchte, ohne Daghfous zu beleidigen, kam die Nachricht, dass eines der Phosphatwerke Dagfous’ in Flammen stand. Eine gewaltige Explosion riss Daghfous den Kopf
vom Leib und zerlegte sein Phosphatwerk. Die Töchter von Daghfous fühlten
sich davon gar nicht betroffen, was für Preising unerwartet war:
Als derselbe Hausangestellte die traurige Nachricht überbrachte, rechnete
ich mit einem folkloristischen Trauerritual. Lautes Wehklagen, Haareraufen,
expressives Zerkratzen der vom Schmerz verzerrten Gesichter, Schwächeanfälle und dergleichen mehr. Stattdessen sahen sich die sechs Töchter schweigend an, räumten die Teegläser und die silberne Kanne weg und stellten
mich mit einem angebissenen Baklava in der Hand auf die Straße. (15)
Die Haltungen von Malouch, Daghfous und seine Töchter zeigten den Egoismus und die Kälte der menschlichen Beziehungen in der Welt des Handels,
die keine Moral und Ethik kennt. Seine Geschichte mit Daghfous hat Preising Malouch nicht erzählt. Preising meinte, Malouch braucht nicht unbedingt zu erfahren, dass er schon in Tunis auf Einladung von Daghfous war.
Deshalb spielte er vor, dass er nicht in Tunis war und alles zum ersten Mal
sah. Wäre Preising ein ernsthafter Mensch, hätte er Malouch die Geschichte
mit Daghfous offen erzählt. Er hatte aber sein eigenes Kalkül, wobei die Ehrlichkeit nicht viel zählte.
Preising ist nach Tunesien gekommen, nicht nur um Tourismus zu machen,
wie Malouch und Daghfous verstanden haben, sondern um vernünftige ProZGR 2 (44) / 2013
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Mohamed Tabasssi
jekte mit Partnern zu besprechen. Keine Wunder, dass er sehr ironisch sein
bequemes Hotel und sein Geschäftsessen mit Malouch beschreibt.10 In diesen
Gegenden Nordafrikas kann man nicht von einem wirklichen Handeln reden. Malouch arbeitet auch im Tourismus und besitzt einige Hotels. In der
Oase Tschub besitzt er zum Beispiel ein luxuriöses Hotel, das seine Tochter
Saida leitet. Mit Saida und ihrem Assistenten soll nun Preising in diese Oase
fahren und in dem Hotel Malouchs wohnen. Kurz davor ist es zu dem Gespräch über die prekäre Lage des englischen Finanzsystems gekommen. Darüber heißt es in dieser Passage:
Das Pfund war in den letzten Tagen massiv gefallen. Die Sorge, die englischen Gäste würden künftig ausbleiben, groß. Tatsächlich schien die Lage
besorgniserregend und in jenen Tagen unübersichtlich. Fast täglich wurde
über neue Skandale berichtet. Immer undurchsichtiger wurden die zahllosen
Verstrickungen der englischen Banken untereinander und mit anderen vom
Untergang bedrohten Institutionen. Saida und ihr Mitarbeiter, die beide
sehr kompetent sprachen und etwas von der Sache zu verstehen schienen,
fürchteten das Schlimmste. (20)
Auffallend war die Haltung von Preising der Finanzkrise in England gegenüber. Er fühlte sich von der Finanzkrise in England nicht betroffen, als ob er
kein Businessmann wäre.
Ich selbst hatte vor einigen Tagen beschlossen, dem Ganzen keine Aufmerk10 Vgl. „Im Innern dieser kosmopolitischen Übernachtungspolitique; die in einer Vielzahl von
Magazinen unter der Rubrik «Hideaway» abgebildet war, blieb das Maurische außen vor. Im
Innern verließ man sich auf geschlämmte Wände und Böden aus taubenblauem Gusszement,
die sich mit dunklen Dielen abwechselten, auf denen interessante Sitzgelegenheiten standen.
Die Wände schmückten wenige Darstellungen der Dido aus allen Epochen. Das Landestypische, oder das, was sich der internationale Versteckspielende als landestypisch vorstellte,
tauchte hie und da als kleines ironisches Zitat auf. Ein Fez, der auf dem Nachtkästchen als
Lampenschirm diente, ein paar ornamentale Kacheln, die wie zufällig liegen gelassen im Zementboden eingegossen waren, eine kleine Troddel hier, ein bisschen geschnitztes Holz da.
Und als wiederkehrendes Motiv Ochsenfelle, wie Preising mit der besonderen Freude des Wissenden registrierte.“ (18) Ferner: „[D]as Dinner in Malouchs Haus, köstlich, elegant, exotisch.
Seine Frau, très charmante, überraschend modern. Das Haus, ein Palast, ganz traditionell,
aber viele Fernsehapparate. Alles sehr nett. Aber eben doch ein Geschäftsessen. Wiewohl wir
übers Geschäft kaum sprechen. [...] Genauso wenig wie der Besuch des Souk am nächsten
Morgen, den ich in Begleitung Saidas unternahm. Abenteurlich überwältigend. Die Gerüche.
Aber das ist eine andere Geschichte. Die Farben übrigens aus, überwältigend.“ (19)
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Der Mensch und das Geld in der Novelle Lüschers „Frühling der Barbaren“
samkeit mehr zu schenken. Ich hatte es mir zum Grundsatz gemacht, undurchsichtige Dinge, die kaum zu verstehen waren und die außerhalb meiner
Reichweite lagen, als Anlass zur Sorge auszuschließen, und damit bin ich bis
zum heutigen Tag gut gefahren. (ebd.)
Obwohl Preising, als Geschäftsmann, sich sehr viel für die Welt der Zahlen
interessierte und damit sich intensiv beschäftigte11, wollte er sich mit diesem
akuten Thema nicht auseinandersetzen, was seine Blindheit, Dummheit und
Passivität zeigte. Die Finanzkrise in England wird bestimmt sicherlich die
wirtschaftliche Stabilität der Welt erschüttern. Demgegenüber konnte aber
Preising nichts machen. Er brauchte darüber nicht den Kopf zu zerbrechen.
Auf der Fahrt nach der Oase erlebte er eine außergewöhnliche Begebenheit,
die wiederum seine Passivität zeigte. Ein Reisebus voller Touristen war mitten in der Wüste mit einer Herde Kamele zusammengeprallt. Diesen tragischen Unfall beschreibt Preising sehr detailliert in der folgenden Passage:
Zehn, vielleicht fünfzehn Kamele lagen, teils einzeln, teils zu einem wilden
Haufen aus knochigen Gliedern und erschlafften Höckern um den stehenden
Bus ausgebreitet. Ihre verdrehten Hälse, aus denen jede Kraft gewichen war,
boten einen obszönen Anblick. Eines der Tiere hatte sich buchstäblich um
die eng stehenden doppelten Vorderachsen des Busses gewickelt. Der Hals,
unnatürlich lang gedehnt, hing schlaff über dem heißen Gummi des mächtigen Reifens, die Zunge fiel zwischen den entblößten gelben Zähnen aus dem
Maul, ein Bein ragte steif zwischen Rad und Karosserie in den Himmel, den
schwieligen Fuß in einem spitzen Winkel abgeknickt. Der Leib, eingeklemmt
zwischen den beiden Rädern, hatte dem Druck nicht standgehalten, und die
Eingeweide ergossen sich auf die Straße. (21)12
11 Vgl. „Er hatte einen Bekannten, der ihm regelmäßig Bücher die Rätsel und Wunder der Mathematik schenkte, Fermats letzter Satz, Goldbachs Vermutung, Das Problem eines Handlungsreisenden. Preising las die Bücher, weil er gerne las, sich aber ungern vor vollen Regalen
in Buchhandlungen vor die Wahl gestellt sah und er überdies Leute wie mich mit überraschenden Geschichten aus der Welt der Zahlen verblüffen konnte.“ (18f.)
12 Was Preising hier erzählt, ist reine Übertreibung oder Fiktion, die mit der Realität nichts zu
tun hat. Ein Bus kann niemals fünfzehn Kamele tagsüber auf einmal zerschlagen. Wenn
schon, dann nur ein Kamel und nachts bitte. Kamele sind sehr kluge Tiere, die sehr genau die
Gefahr ahnen und fühlen, besonders wenn sie in Gruppe sind. Lüscher hätte sich besser sehr
gut über die Geheimnisse und Wunder dieses Tiers informieren sollen, bevor er was Ungenaues schreibt. Es kommt nicht von ungefähr, dass Kamele eine besondere Stellung in der arabisch-islamischen Kultur spielen und der Koran über die Wunder dieses Tiers spricht. Ein
Wunder erwähnt Lüscher in dieser Passage: „Kamele haben eine erstaunliche Anzahl an
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Mohamed Tabasssi
Die Touristen sahen dem Menschenauflauf und den leblosen Leiber hilflos
zu. Der Fahrer des Reisebusses beschimpfte den Kameltreiber. Es war laut
und hektisch. Preising nahm die Rolle des Zuschauers ein und wollte sich
nicht einmischen:
In diesen Teilen der Welt, da hat der Disput einen ganz anderen Stellenwert.
Und er funktioniert nach gänzlich anderen Regeln. Versuche niemals, dich
einzumischen. Chancenlos, ich verspreche dir, du wirst immer das Falsche
sagen. Und es hat etwas, ja, ich würde fast sagen, Sportives. Diskussionen
um der Diskussionen willen. Und versuche nie zu sagen, ruhig Blut, regeln
wir das doch ganz unaufgeregt. (23)
Preising wusste nicht, was er machen sollte. Er zog sich in den Wagen zurück
und las die Zeitung Financial Times, dessen einzige Thema die Finanzkrise
in England war. Die englische Regierung würde laut Analysten führender
Zeitungen niemals in der Lage sein, die Einlagen der Bürger zu sichern. Für
eine Abbildung einer Bankfiliale in der Zeitung interessierte sich Preising.
Darin sah er ein Bild des Friedens und der Harmonie der Szenerie mit den
toten Kamelen gegenüber. Preising ist zur Schlussfolgerung gekommen: „Der
Mensch wird zum Tier, wenn es an sein Erspartes geht.“ (24) Das gilt sicherlich für Saida und den Kameltreiber, um den Saida sich nicht kümmerte. Sie
dachte nur an den Bus, der Ibrahim Malouch, dem Cousin Slim Malouch gehörte. Die Touristen seien überdies Gäste aus dem Hotel Malouchs. Andere
Gäste des Hotels warteten gespannt auf ihren gebuchten Kamelritt. Die gestorbenen Kamele seien auf dem Weg dahin gewesen. Wer in den nächsten
Tagen die Kamelritte für die Gäste übernehmen würde, sei es völlig unklar.
Deswegen ist Saida ausgesprochen verärgert. Das Geschäft ihrer Familie
wird dadurch zugrunde gehen. Schlimmer war es aber, dass die Existenz, die
einzige Einkommensquelle der Großfamilie des Kameltreibers bereits auf
einen Schlag zerstört war, complètement ruiné. Als Preising erfahren hat,
dass die Existenz einer tunesischen Familie von ungefähr fünfzehn tausend
Franken abhängig ist, war er außer sich:
Da saß nun dieser Mann vor mir im Staub und weinte um seine Kamele, um
sein Leben, um fünfzehntausend Franken. Fünfzehntausend, das war die
Schweißdrüsen, eine Tatsache, die mich sehr erstaunt hat, denn ich hatte immer angenommen, Kamele seien wie eine Art Sack mit viel Wasser zu befüllen und darauf ausgerichtet, nur
das Nötigste davon zu verlieren.“ (77)
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Der Mensch und das Geld in der Novelle Lüschers „Frühling der Barbaren“
Zahl, die mir Prodanovic einmal stolz am Rande einer Bilanzpresskonferenz
präsentierte. Fünfzehntausend Franken, so viel verdiene ich an der Firma.
Täglich. Nur durch meine Firmenanteile. Ohne mein Geschäftsführergehalt,
ohne meine anderen Beteiligungen, meine Immobilien und was sonst noch
alles Geld abwirft. Fünfzehntausend Franken am Tag, und dieser Mann hier
war ruiniert deswegen. Was hielt mich davon ab auszusteigen, zu ihm hinzugehen und ihm dieses Geld zu geben, damit er sich neue Kamele kaufte? Was
hielt mich davon ab? [...] Würde ich diesen Mann mit meinem Geld nicht
lähmen? Ihm die Möglichkeit rauben, sich selbst aus seinem Elend zu befreien und mir breiter Brust, aus eigener Kraft sich eine Zukunft zu schaffen?
[...] Selbstverständlich hatte ich keine fünfzehntausend Franken im Portemonnaie, und schon gar keine sechsundzwanzigtausend Tunesische Dinar.
Sollte ich ihn bitten, mir seine Kontonummer aufzuschreiben, damit ich ihm
den Betrag überweisen konnte? Aber hatte dieser Mann überhaupt ein Bankkonto? Oder sollte ich einfach mit ihm zum nächsten Kamelmarkt fahren und
ihm dreizehn neue Kamelmarkt mit Kreditkarte bezahlen können? (26ff.)
Die Trauer und der Schmerz des Kameltreibers hatten Besitz von Preising ergriffen, dass er sich außerstande fühlte und dabei behilflich sein wollte. Preising hätte genug Geld, um die Lebensgrundlage einer Familie zu retten. Er
fand aber Gründe dafür, nicht zu handeln und passiv zu bleiben.13 Was hielt
Preising aber davon ab, diesem armen Mann zu helfen? Ist das die These von
Prodanovic, der gegen jedes Hilfsprojekt ist?14
Preising ist ein Geschäftsmann und er ist da keine Ausnahme. Ein Geschäftsmann würde sein Geld nie umsonst geben. Er denkt in erster Linie an Gegenleistung und an Gewinn. Gefühle und Mitleid spielen in der Welt des Handels natürlich keine Rolle. Zwar hatte das Schicksal des armen Mannes ihn
innerlich sehr bewegt, konnte er aber dafür nichts tun, wenn er das gerne
hätte. Das Ringen Preisings dauerte nicht lange und wurde von Saida unterbrochen, die den Befehl zur Weiterfahrt erteilte.
Mitten in der ausgedehnten Dattelplantagen der Oase Tschub erlebte Prei13 Vgl. http://literatourismus.net/2013/02/05/jonas-luscher-fruhling-der-barbaren/.
14 Vgl. „Und dann erinnerte ich mich an die Charity-Ausschusssitzungen, die Prodanovic leitete, bei denen wir jedes Jahr ein Prozent unseres Gewinns für Hilfsprojekte und Kulturförderung verteilen. Prodanovic weigerte sich Jahr für Jahr, auch nur einen Franken nach Afrika
fließen zu lassen. Dieser Kontinent ertrinkt in unserer Fürsorge. Afrika ist wie gelähmt durch
die Hilfsgelder. Dieser Kontinent muss an seinen eigenen Stiefelhaken aus dem Sumpf ziehen.“ (27)
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Mohamed Tabasssi
sing in seinem neuen Resort einen angenehmen Urlaub. Die Gäste waren
mehrheitlich Engländer, die trotz ihrer nicht homogenen Zusammensetzung
zu einer großen Gruppe von sechzig oder siebzig Personen gehörten. Schnell
lernte Preising die englische Lehrerin Pippa Greyling kennen, mit der er vor
allem über Literatur sprach. Marc, der Sohn von Pippa, hatte beschlossen,
seine Hochzeit mit Kelly in einem tunesischen Oasenresort zu feiern. Zu diesem Zweck hatte er siebzig Freunde und Familienmitglieder nach Tunesien
einfliegen lassen. Preising stießt auf eine kleine Gruppe von ihnen, die er
ausführlicher mit diesen Worten beschreibt:
Junge Leute in ihren späten Zwanzigern und frühen Dreißigern. Laut und
selbstsicher. Schlank und durchtrainiert. Die Männer trugen sandfarbene
Chinos, Polohemdem und Mokassins, die Frauen Tanktops und enge Shorts,
aus denen braun gebrannte, seidige Beine ragten. Manikürte zarte Füße
steckten in Flipflops. Wer sich ins Wasser wagte, trug eine jener Badehosen,
wie man sie von Fotos kannte [...]. Selbst nahezu nackt wirkten sie wie in
Uniform. Preising stieß auf dem ganzen Areal auf kleine Grüppchen von ihnen. Sie standen Witze reißend an einer der Bars, sie verschwanden, sich ungestüm küssend und sich die Hände gegenseitig unter die Bünde ihrer engen
Shorts steckend, in ihren klimatisierten Zelten, sie erteilten dem Personal
selbstsicher Anweisungen, sie wanderten fluchend durch die Palmenhaine
auf der Suche nach besserem Empfang für ihre Blackberrys, denn ihre Gehälter rechtfertigten, dass man von ihnen verlangten konnte, immer und
überall erreichbar zu sein. Preising war sowieso erstaunt, dass in diesen Tagen der Londoner Finanzplatz fünfzig junge Talente entbehren konnte. Aber
vielleicht, dachte er, war ohnehin nichts mehr zu retten, und so hatten sie
sich hierher selbst gerettet. (33f.)
Mit einer Zweihundertfünfzigtausend-Pfund-Hochzeit in einem tunesischen
Luxusort waren die Eltern Kellys und Pipa unzufrieden. Die Eltern Kellys
hatten die Hochzeit schlecht verkraftet und hielten sich in ihrem klimatisierten Zelt auf. Pipa erinnert sich dabei an ihre ältere verstorbene Tochter Laura, die kaum zum Mitkommen bewegen können hätte. „Laura mochte wohl
keine warmen Länder, und sie mochte keine großen Gesellschaften, eigentlich auch keine kleinen. Sie machte sich nicht viel aus Gesellschaft. [...] Und
Laura, so sagte Pippa, hatte für die Berufswahl ihres Bruders nicht das geringste Verständnis. Sie mochte keine Leute, die sich zu viel mit Geld abgaben.“ (37) Pippa und Laura waren gegen den Beruf von Mark. Sie wussten
sehr genau, dass die Welt des Geldes, der Zahlen keine Gefühle, keine Wärme kennt. Deshalb konnten sie sich mit dieser Welt und mit den Geschäfts-
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Der Mensch und das Geld in der Novelle Lüschers „Frühling der Barbaren“
leuten nicht identifizieren. Ein Pendant zu diesen Leuten, der Gruppe der
Eingeladenen stellte ferner der Bruder Kellys Willy dar. Seiner Schwester
und seinem neuen Schwager verdankte er diesen Luxus, den er selbst seiner
Familie nie bieten könnte. Er fühlte sich in einer anderen fremden Welt. Gerade deswegen fand er die jungen Leute hier affig.
Kellys Bruder Willy, mit seiner von der tunesischen Sonne geröteten Brust,
hatte sich nach ein paar erfolglosen Fraternisierungsversuchen mit den Cityboys in einen großen gelben Schwimmring zurückgezogen [...]. Different
world, dachte er. Even a different planet. Planet der Affen. Er fand sie affig,
die jungen Leute am anderen Ende des Pools. The young ones, nannte er sie
für sich. Obschon sie doch alle in seinem Alter waren. Aber was wussten sie
schon von der richtigen Welt. Er hatte drei Kinder zu versorgen. Und er
mochte seine Badehosen mit den Tattoomotiven. (34f.)
Die jungen Leute freuten sich sehr darüber, zu einer englischen Hochzeit in
einem tunesischen Wüstenort eingeladen zu werden. Bei solcher Hochzeiten,
wo das Geld die allergrößte Rolle spielte, war das Abendessen anders als bürgerlich. Wunderbar angerichtete Speisen aus aller Welt. Nur Delikatessen.
(81) Die Bourgeoisie sitzt locker, geizt nicht und zeigt ausgelassene Sorglosigkeit.15 Niemand ahnt aber, dass jenseits der Oase England bankrott geht.
Während eine englische Hochzeit in der tunesischen Wüste gefeiert wird,
ging England unter.
IV. Der Höhepunkt der Novelle: Die Krise des Kapitals
Um fünf nach neun, Londoner Zeit, wurde der Handel eingestellt. […] Zu
diesem Zeitpunkt überstieg die Rechnung für die Hochzeit, die sie in Tunesischen Dinar zu bezahlen hatten, gerade den Wert ihres Londoner Reihenhauses in Pfund Sterling, das noch zu achtzig Prozent der Bank gehörte, einer Bank, deren Anwälte gerade Insolvenz anmeldeten und eine E-Mail an
die Mitarbeiter aufsetzten, in der sie ihnen vorschlugen, doch heute zur Arbeit einen Pappkarton mitzubringen. […] So, wie es im Moment aussah, waren alle von englischen Banken ausgegebenen Kreditkarten gesperrt, vermutlich war aber sowieso der ganze internationale Zahlungsverkehr am Zusammenbrechen. (89ff.)
Genau zu diesem sehr kritischen Zeitpunkt schliefen Preising und andere
Gäste in ihrem Beduinenzelt, wobei Saida auf den Beinen war und das Hotel
15 Vgl. http://www.zeit.de/kultur/literatur/2013-04/Jonas-Luescher-Fruehling-der-Barbaren.
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auf Vordermann brachte. Saida errechnete die Summe der Hochzeitsfeier inklusive aller Übernachtungen für die zweiundsiebzig Gäste und kam dazu,
die Summe konnte nicht von dem Ehepaar gedeckt werden. Alle Kreditkarten waren sowieso gesperrt. Schnell hatte sie die Frühstücksvorbereitungen
eingestellt und alles bis auf einen Korb Fladenbrot und eine Schale Humus
vom Buffet geräumt. „[S]tatt der überbordenden Fruchtkörbe, der Krüge mit
den frischen Säften, den gekühlten Platten mit französischem Käse, Roastbeef und spanischem Schinken, den Etageren mit Patisserie und den Brettern mit in weiße Servietten gewickelten Baguettes, standen nur ein Korb
Fladenbrot, eine Schüssel Kichererbsenpaste und ein paar Thermoskannen
Kaffee auf der langen Tafel [...].“ (94)
Indessen hatte die Nachricht herumgesprochen. Die jungen Leute waren
sehr aufgeregt. Nachrichten wurden von aktuellen Tageszeitungen und vom
Internet gegenseitig gelesen und kommentiert. Man begann sich über das
karge Frühstück mit dem Personal zu streiten. Andere Zeiten brachen nun
an. Mit dieser Situation gingen die Leute sehr unterschiedlich um. Es fehlte
dabei der atmosphärische Zusammenhalt, der aus den jungen Leuten ein
vollständiges Ganzes macht.16 Sie waren innerhalb von Minuten nicht nur arbeitslos, auch ihr Vermögen war vernichtet. Aus der Heimat kamen nur die
Nachrichten ihrer Kündigungen.
Die Kündigungen waren die letzten Nachrichten, die es aus der Heimat in
die Wüste schafften. Kurz darauf versagten die Telefone ihren Dienst, denn
die Verantwortlichen der tunesischen Telefongesellschaft hatten beschlossen, dass das Roaminggeschäft mit den englischen Telekommunikationsfirmen angesichts der neuesten Entwicklungen zu risikoreich sei. Der Zusammenbruch der Kommunikationskanäle löste in den eben arbeitslos Gewordenen die unterschiedlichsten Empfindungen aus. Während es einigen die
Tränen in die Augen trieb und bei anderen zu haltlosem, hysterischem Lachen oder ebenso haltlosem, unflätigem Fluchen führte, konnte man zwischen den schmalen Schulterblättern einer mageren Dunkelhaarigen ein leises Erschaudern erkennen, welches unter anderen Umständen zu beobachten man eventuell für reizvoll befunden hätte, ein Erschaudern, ausgelöst
von der Vorstellung, man habe es im Sand, draußen in der Wüste, bei lebendigem Leib begraben. (101)
Was geschieht, wenn man plötzlich in Sekunden alles verliert? Man verliert
16 Vgl. http://www.literatur-blog.at/2013/09/jonas-luescher-fruehling-der-barbaren/.
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Der Mensch und das Geld in der Novelle Lüschers „Frühling der Barbaren“
den Verstand und wird zu einem Tier, das alles Mögliches machen wird, um
weiter existieren zu können. Kultur und Zivilisation werden zu einer Fassade, die Solidarität zu einem Gerücht. Machtverhältnisse kehren sich um,
Brutalität herrscht überall vor. Dass die Hochzeitgäste sich dieses Chaos hinsichtlich in gewissenlose Mörder verwandelten, war es zu erwarten:
Quicky, der von den Freundinnen mit bösen Blicken bedacht wurde, foutierte sich darum, hob dafür zu einer längeren Rede an, die in etwa darauf hinauslief, dass nun große Zeiten anbrechen würden, denn eins wisse er mit Sicherheit, die Zeichen stünden auf Krieg, das sei unausweichlich, und wenn
es so weit sei, dann müsse man sich eben wieder unter Waffen stellen, notfalls mit den Truppen Ihrer Majestät, aber lieber noch für eine private Sicherheitsfirma, und sie sollten sich alle keine Sorgen machen, denn er kenne
ja ihre Qualitäten, und er sei bereit, mit ihnen in den Krieg zu ziehen, mit jedem Einzelnen von ihnen. Wenn es die Umstände verlangen, dann tausche
man eben den Handelssaal gegen die Gassen von Basra, die Ölfelder von AlQurna oder seinetwegen auch gegen die Wälder Flanderns und die Straßen
Berlins. Einmal ein Team, immer ein Team, mit diesem Schlachtruf schloss
er und hob seine Bierflasche in die Höhe. Nicht wenige hoben nun ihrerseits
die Flaschen und echoten seinen Ruf, aber es schien mir, als täten sie es eher
belustigt, so hoffe ich zumindest.“ (102f.)
Sehr deutlich schildert die zitierte Passage den entscheidenden Moment, „in
dem alle Hüllen und Fassaden fallen und das Tier im Menschen erkennbar
wird.“17 Dieser Moment bildet den Höhepunkt der Novelle, der spät, erst im
letzten Drittel des Textes kommt. Alles, was davor erzählt wird, dient der Beschreibung der Protagonisten. Für den eigentlichen Höhepunkt der Novelle
bleibt nur wenig Raum, in dem die vollständige Zertrümmerung aller moralischen, ethischen und kulturellen Grenzen dargestellt wird. Die Membran
zwischen der Zivilisation und der Barbarei ist sehr dünn und leicht abreißbar. Ein Ereignis reicht, um die aufrecht erhaltene Kultur und Normen des
Menschen zu erschüttern. Die thematisierte völlige Kulturlosigkeit und die in
Sekundenschnelle ausbrechende Barbarei stellen eine deutliche Kritik an
dem irrationalen, tierischen Verhalten des Menschen in bestimmten Situationen, das von der Macht des Geldes und des Egoismus stark beeinflusst ist.
Von dieser Krise war Preising nicht überrascht. Er griff nicht ein und übernahm dabei keine Verantwortung. Er nahm am Leben nur als Betrachter teil.
Ständig zog er weg und tat nichts.
17 http://buzzaldrins.wordpress.com/2013/08/02/fruhling-der-barbaren-jonas-luscher/.
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Ich kann wirklich nicht behaupten, dass ich sonderlich überrascht war, ich
hatte es schon immer gewusst, dass es eines Tages so kommen würde, vielleicht nicht so schnell, nicht praktisch über Nacht, aber dass es letzten Endes
nur eine Frage der Zeit war, das war mir schon lange klar. (95)
Auf ähnlich resignierender Weise verhielt sich Pippa der heiklen Situation
gegenüber:
Pippa nahm die schlechte Nachricht resigniert zur Kenntnis und bemerkte,
dass sie das haben kommen sehen. Sie war sich nicht sicher, ob sich deswegen die Welt auf eine bedeutsame Art und Weise ändern würde, ob deswegen Dinge wie zum Beispiel das Rezitieren eines Gedichtes wieder an Bedeutung gewinnen würden, und sie weigerte sich, ihren Mann bei seinem
schwierigen Gang, die Frischvermählten von ihrem Ruin und der drohenden
Arbeitslosigkeit zu unterrichten, zu begleiten; ihr Platz sei in diesem Moment genau hier, unter der unbarmherzig brennenden Sonne Afrikas, hier
werde sie bleiben, sie habe sich über bestimmte Dinge Klarheit zu verschaffen, Dinge, die mit Kursverlusten und Märkten nichts, aber auch gar nichts
zu tun hätten. (93f.)
Pippa würde gerne der Welt der Finanz entfliehen und unter der Sonne Afrikas bleiben. Sie suchte die Befreiung von der scheinbar modernen Gesellschaft. Die Krise war für sie eine Chance zu einem Neuanfang, den sie woanders als England suchte. Preising würde dahingegen so schnell wie möglich
nach Hause kommen. Rückfluge konnten aber nicht gebucht werden. Wegen
unbezahlter Rechnung seien die Fluggesellschaften bereits gegroundet. Saida
versuchte ihm dabei zu helfen. Sie wusste aber nicht genau wie, denn in Tunesien brach ein zweiter arabischer Frühling aus. Sehr schnell hatten sich die
Nachrichtenlage verschlechtert, dass auch in Tunesien Dinge in Bewegung
geraten seien, deren Konsequenzen man nicht abschätzen könnte. Eine Proklamation wurde im Fernsehen verlesen. Daraus kam es heraus,
dass eine ungewöhnliche Allianz aus abtrünnigen Muslimbrüdern und marxistisch-leninistischer Front des 14. Januar die Gunst der Stunde, also die
Krise des Kapitals, genutzt hatte, um dem arabischen Frühling zu einer zweiten Blüte zu verhelfen. Doch diesmal sei man entschlossen, die Sache zu
Ende zu führen, mit eisernem Besen zu kehren und die ganzen Geldsäcke,
die Günstlinge und Nutznießer des alten Regimes, die den Umsturz unbeschadet überstanden hatten, ja, die im demokratischen Tunesien sogar noch
besser dastünde, weil sie die Pfründe des Gestürzten unter sich aufgeteilt
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Der Mensch und das Geld in der Novelle Lüschers „Frühling der Barbaren“
hatten, endgültig zu beseitigen und ihr Vermögen wieder dem rechtmäßigen
Besitzer, dem tunesischen Volk nämlich zuzuführen. (110f.)
Tunesien Ben Alis war vorbei. Die mächtigen und reichen Familienclans
zählten ihre letzten Tage. Auf dem Fernseher war zu sehen, wie das tunesische Volk durch eine dekorierte Villa dieser Familien flanierte. (122) Zu diesen Familien gehörte aber die Familie Malouchs. Slim Malouch war verhaftet. Mit einem Interpol-Haftbefehl suchte man in Frankreich nach seinem
Sohn. Die Sicherheitsbehörden haben die Tochter Malouchs Saida festgesetzt. Die Familie Malouchs, wie viele andere tunesischen Familien, hatte alles verloren. Mit diesem negativen, zerstörerischen Bild des Verlustes endet
die Novelle, die keine Hoffnung auf die Welt des Kapitals zeigt. In jener
schnell veränderlichen Welt spielen die Geschäftsleute mit dem Feuer. Sie
sollen sich retten, bevor sie von diesem Feuer gebrannt werden.
Als das Feuer, vom warmen Wüstenwind genährt, auf die umliegenden Palmen übergriff und die Meute unter dem Regen der glühenden Palmwedelgerippe auseinanderstob, ergriffen auch Pippa und Preising die Flucht, doch
der tobende Brand versperrte ihnen den Weg zum Ausgang, und durch
Rauch und Flammen hindurch suchten sie nach einem Fluchtweg, sich bald
im dichten Qualm aus den Augen verlierend. Panisch rufende Engländer
rannten um die brennenden Stämme. Über ihren Köpfen zerbarsten in der
Hitze des Feuers, knallend wie Pistolenschüsse, die Dattelkerne. Die Zelte
loderten kurz auf und fielen wie abgeschlossene Vögel auf das kostbare Mobiliar. Preising rannte, einen großen Bogen schlagend, in Richtung Hauptgebäude, den Namen seiner Gefährtin rufend. Hinter ihm stand bereits die
halbe Oase in Flammen. (118f.)
Die Geschichte Preisings mündete letztendlich in einer Katastrophe. Ganz lakonisch wurde der Kampf um das Leben und die Existenz entbrennen. Deutliche barbarische Riten traten dabei vor. Das ‘jeder gegen jeden’ brach sehr
schnell auf. Demgegenüber steht die moderne zivilisierte Welt machtlos.
Preising blieb nur den harmlosen Satz zu sagen: „Es gebe keinen Grund, sich
unzivilisiert zu verhalten.“ (107) Er glaubte immer noch an den zivilisierten
Menschen, der durch seinen Geist das Barbarische in ihm immer bewältigen
kann. Zwar ist das Geld wichtig im Leben des Menschen, soll aber dem Menschen nicht den Geist nehmen, sonst wird er kein Mensch mehr sein. Deshalb wäre diese Geschichte zu vergessen und an den zivilisierten Menschen
zu glauben. „Es war ihm, als habe er dieses Bild schon einmal gesehen, in einem anderen Zusammenhang, unter anderen Vorzeichen, aber er konnte
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sich nicht erinnern, und diese unerklärliche Überlagerung machte es möglich, dass Preising schon eine Viertelstunde später, als man ihn vor der
Schweizer Botschaft aus dem Wagen ließ, sich nicht mehr sicher sein konnte,
ob er tatsächlich all dies erlebt hatte.“ (125)
V. Die Selbstentfremdung unter der Geldherrschaft
Und die Kraft lag im Geld, in den ungeheueren Summen, mit denen sie tagtäglich hantierten, und in den obszönen Gehältern, die sie bezogen. Wie
konnte etwas, das so große Auswirkung auf die Gesellschaft hatte, als Spiel
abgetan werden? [...] Wo das Geld ist, ist Wahrheit. (64)
Die zitierten Äußerungen illustrieren in vieler Hinsicht die Macht des Geldes
und seine Auswirkung auf das gesellschaftliche Leben. Ein altes englische
Kinderlied sagt überdies, dass am Ende des Regenbogens ein Schatz warte.
(ebd.) Daran glauben die Kinder fest und wollen durch das Geld die Wahrheit haben, was ihre Geld- und Besitzsucht erklärt. Diese Einstellungen zum
Geld, die den Menschen von seiner Kindheit an prägen, unterscheiden sich
von einem Menschen zum anderen. Daher verhalten sich die Menschen anders mit dem Thema des Geldes, was die Figuren Lüschers in der Novelle illustrieren. Für sie geht die Selbstverwirklichung keineswegs durch das Geld,
sondern durch die Seele und den Geist. Gerade deswegen fühlen sie sich unter der Macht des Geldes entfremdet. Ein klares Beispiel hierfür verkörpern
die beiden Figuren Preising und Pippa, die eine andere Einstellung zum Geld
als die vorherrschende scheinen zu haben.
Was Preising anging, verhielt sich die Sache etwas anders. Wenn Geld Wahrheit war, dann hatte er jede Menge Wahrheit auf seiner Seite. Was die Finanzkraft abging, so hätte die Deutungshoheit darüber, was als Spiel und
was als Ernst betrachtet werden soll, bei ihm liegen müssen. Weshalb also
ließ sich Preising vom Selbstbewusstsein der anwesenden Derivathändler
und strukturierten Produktentwicklerinnen derart einschüchtern. Ganz einfach, dachte ich und hob eine Handvoll Kieselsteine auf, weil Preising nicht
mit Geld umgehen konnte. Nicht etwa, dass es ihm durch die Finger rann,
dass er es verprasste, nein, im Gegenteil, er gab kaum etwas davon aus, und
gerade deshalb war sein Umgang mit Geld verantwortungslos. Er fürchtete
sich vor Geld, so, wie er sich vor allen Werkzeugen fürchtete. (65f.)
Es ist kaum vorstellbar, dass ein Mensch, wie Preising, ein erfolgreicher Geschäftsmann sein konnte. Preising hatte Angst von Geld und Geschäft. Ur-
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Der Mensch und das Geld in der Novelle Lüschers „Frühling der Barbaren“
sprünglich war er an einer privaten Pariser Gesangschule. Er musste Betriebswirtschaft studieren und das Unternehmen seines Vaters weiter führen, obwohl Geld nicht sein Antrieb sei. Für ihn sei das Geld nur ein Mittel
zum Zweck, das neue Möglichkeiten eröffnen würde. „Dass Geld nicht für
sich selbst steht, lag in der Natur der Sache, das war die Idee dahinter.“ (67)
Keineswegs gehört er zu denjenigen, die durch die Anziehung des Geldes alles riskieren, was sie zu Menschen macht.
Eine Geleichgesinnte fand Preisning in Pippa, mit der er schnell befreundet
war. „[D]er Umstand, dass sie sich beide nicht aus freien Stücken für das
Thousand and One Night entschieden hatten“,(33) verband Pippa und Preising. Die beiden waren mehr oder weniger dazu gezwungen, nach Tunesien
zu kommen und bei der Hochzeit zu sein. Ihr Interesse für die Literatur
brach sie näher zu einander. Kein Wunder, dass Preising und Pippa Mahmoud Messadis Die Genese des Vergessens lasen, das „das wichtigste Werk
der modernen tunesischen, ja vielleicht sogar der modernen arabischen Literatur“ (32) sei.18 Die Beschäftigung mit der geistigen Literatur Messadis reflektierte ohnehin „tiefe Einblicke in die arabische Literatur“, die vor allem
Pippa besaß:
Pippa lenkte das Thema wieder auf die Literatur, sie besaß faszinierend tiefe
Einblicke in die arabische Literatur. Ich hörte ihr gefesselt zu, wie sie von
der oralen Tradition, von Mohamed Coulri und wie sie alle hießen und von
Paul Bowles in Tanger erzählte, der die Geschichten einiger dieser Autoren
auf Tonband aufgezeichnet und aufgeschrieben hatte und dabei Haschischmarmelade aus einem Topf naschte. Und bald schon tranken wir wie alte Bekannte aus einem gemeinsamen Glas, denn ich hatte er versäumt, mir ein eigenes mitzubringen. (40)
Für die Hochzeit ihres Sohnes hatte Pippa das Gedicht The Axe Handle des
unbekannten, obskuren amerikanischen Dichters Gary Snyder gewählt. Ihr
war aber nicht sicher, ob ihr Sohn die Botschaft der Verse verstehen wird, da
er mit der Welt der Literatur analog zu den anderen eingeladenen Geschäfts18 Lüscher zeigt hier, dass er sich gut über die moderne tunesische Literatur informiert hat.
Im Vergleich zu den beiden anderen Werken Messadis Und es sprach Abu Hurairata ... und
Der Staudamm ist Die Genese des Vergessens aber im tunesisch-arabischen Raum nicht sehr
bekannt. In seinem Schreiben ist es Messadi gelungen, „die orientalisch-arabische Seele samt
ihrer Größe und ihren Widersprüchen künstlerisch-entlarvend darzustellen.“ In: http://www.hamouda.de/autorenmi.html.
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leute nichts anzufangen hatte. Deswegen fürchtete Pippa, sich damit lächerlich zu machen. Sehr nüchtern wird in der folgenden Szene das Rezitieren
des Gedichts geschildert, das als die Begegnung zwischen der Welt der Literatur (Kunst) und der Welt des Geldes (Zahlen) zu verstehen ist.
In derart gelöster Stimmung, selbstsicher, vom Alkohol angewärmt und
noch Preisings aufmunternde Worte im Ohr, hatte Pippa dem Bandleader
ein Zeichen gemacht und zielstrebig die Bühne erklommen. Sie hatte sich
ans Mikrofon gestellt und in aller Ruhe das Verstummen der letzten Gespräche abgewartet, bevor sie mit fester Stimme, ohne auf das handgeschriebene
Blatt in ihrer Linken zu blicken, zu rezitieren begann. Sofort bekam sie die
ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Publikums. Wie junge Hunde, die auf einen
saftigen Knochen spekulieren, wie Gläubige, die die weisen Worte von den
Lippen des Predigers tranken, blickten sie zu ihr hoch. Pippa schrieb es der
Kraft der Poesie zu, weil sie nicht wusste, dass diese jungen Leute genau darauf konditioniert waren, selbstsicheren Leuten zu lauschen, die etwas zu verkünden hatten. Bankdirektoren, die die Gewinnziele bekannt gaben, Teamleitern, die die Tageslosung beschworen, Investmentgurus, die mit Headsets
ausgestattet Erfolgsrezepte ins Auditorium warfen, Professoren, die ihnen
mathematische Modelle erklärten, Unternehmensberatern, die neue Strategien anpriesen, Personal Trainers, die Durchhalteparolen und Tipps zur
geistigen und körperlichen Fitness von sich gaben. (83f.)
Pippa hatte sich große Mühe gegeben, um das Gedicht auswendig zu lernen
und vorzutragen. Sie wollte das gerne machen, weil Gedichte sehr selten rezitiert seien. Dagegen muss man unbeirrt ankämpfen. „Die Poesie und ihr öffentlicher Vortrag seien unverzichtbar, jener mache uns Menschen erst zu
wahren Menschen.“ (63) Die Anwesenden waren von der Wichtigkeit der
Poesie in unserem Leben nicht bewusst. Ihr wahres Wesen hatten sie durch
ihre ständige Beschäftigung mit Zahlen verloren. Aus ihnen entstehen nur
Karikaturen, die ihr Spiel ernst nehmen und gut verkaufen. Gerade deswegen war Pippa traurig, die „sich nun unversehens im Herbst ihres Lebens
wiederfand.“ (ebd.) Das Zitieren des Gedichts brach ihr aber die Blüte ihrer
Jugend. Pippas Auftritt hatte sich gut angelassen.
Pippa brachte es hinter sich. Zeile für Zeile, Wort für Wort, und hastete von
der Bühne unter dem erlösenden Applaus, der sie traf wie Peitschenhiebe.
Peitschenhiebe, die sie verdient hatte, für das Begehen der Sünde, sich seiner selbst nicht sicher zu sein und die Hochzeitsgesellschaft diesem Anblick
auszusetzen. (86)
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Einen frenetischen Beifall löste den Vortrag Pippas aus. Preising hatte sich
das Gedicht so gefühlt, dass er Pippa mit geschlossenen Augen eine Ewigkeit
lauschen hätte. Dadurch kehrte er von weit her wieder zu sich zurück. Genau
dieses ‘Sich-selber-wieder-finden’ und das ‘Zu-sich-wieder-kehren’ hatten
Preising und den anderen Anwesenden in ihrem Geschäftsleben gefehlt. Den
eigenen Geist brauchen diese Geschäftsleute von den Zahlen zu befreien und
in eine andere Welt zu schicken, die Welt des feinen Intellekts. In dieser Welt
des freien Geistes befanden sich Pippa und ihr Mann Sanford, der den langweiligen Alltag durch abenteuerliche Exkursionen in Tunesien unterbrechen
wollte. Sowohl die fiktionale Welt der Literatur, als auch die endlose Weite
und die Leere der Wüste dienen der Selbstforschung und der Auseinandersetzung mit sich selbst. Wie wichtig ist die Selbstforschung für die weitere
Entwicklung und die Sozialisation des Menschen ist, wird in dem Innenleben
der Protagonisten Lüschers illustriert. Durch die Darstellung dieser vorrangig primären Sozialisationsprozesse ist Lüscher gelungen, das Wissen um
den modernen Menschen zu erweitern und seine psychischen Grundlage neu
zu bestimmen.
****
Primärliteratur:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
BOSSONG, Nora: Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Roman. München:Hanser 2012.
GOETZ, Rainald: Johann Holtrop. Roman. Berlin: Suhrkamp 2012.
LÜSCHER, Jonas: Frühling der Barbaren. Novelle. München: Beck 2013.
MAGNUSSON, Kristof: Das war ich nicht. Roman.München: Kunstmann 2010.
MESSADI, Mahmoud: Die Genese des Vergessens. Leipzig: Hamouda 2008.
DERS.: Der Staudamm. Leipzig: Hamouda 2007.
DERS.: Und es sprach Abu Hurairata. Leipzig: Hamouda 2009.
Sekundärliteratur:
1.
2.
3.
4.
BICHLER, Gisela: Geld und personale Autonomie als Themen der Philosophie.
Dissertation. Bonn 2011. In: http://hss.ulb.uni-bonn.de/2011/2506/2506.pdf
HÄUSEL, Hans-Georg: Der Umgang mit Geld und Gut in seiner Beziehung zum Alter.
Dissertation. München 2001.In: http://mediatum.ub.tum.de/doc/603174/603174.pdf
KNAPP, Georg Friedrich: Staatliche Theorie des Geldes. Bremen: Dogma Verlag 2012.
KUMAR Sen, Amartya: Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und
Solidarität in der Marktwirtschaft. München: dtv 2002. (übersetzt von Christiana
Goldmann)
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Mohamed Tabasssi
5.
SIMMEL, Georg: Philisophie des Geldes, hrsg. v. David P. Frisby & Klaus Christian Köhnke, Bd. 6. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1989.
6.
PAPCKE, Sven: Wie das Abendland entstand. Borkenau und die „Vorstellung von totaler
persönlicher Verantwortung“. In: http://www.zeit.de/1985/15/wie-das-abendland-entstand
7.
http://www.geldanlage2.de/geld.htm
8.
http://literatourismus.net/2013/02/05/jonas-luscher-fruhling-der-barbaren/
9.
http://www.dooyoo.de/fluglinien/tunisair/Testberichte/
10. http://www.airline-bewertungen.eu/airline-Tunisair.html
11. http://www.literatur-blog.at/2013/09/jonas-luescher-fruehling-der-barbaren/
12. http://buzzaldrins.wordpress.com/2013/08/02/fruhling-der-barbaren-jonas-luscher/
13. http://www.hamouda.de/autorenmi.html
Schlüsselwörter: Barbarei, Geld, Finanzkrise, Tunesien, England, Wüste
Abstract:
The diverse and successive crises that the world witnesses have represented an impetus for several writers to tackle the issue of money and its impact on man who has
become a slave for materialistic interests. In his first book Frühling der Barbaren,
the Swiss writer Jonas Lüscher succeeded in approaching the matter and stressing
the barberic aspect that marks the way man presently deals with the other which we
aim to investigate in our article that covers the issue of man and money after stressing the positive side oft he concept of barbarism as dealt with by the Austrian sociologist Franz Borkenau.The article based on the plot of the story and its major characters explains the impact of money and business on the daily life of man through
the description of the wedding of a famous British businessman in a luxurous hotel
in the Tunisian oasis in the presence of a good number of businessmen including the
major character. All of a sudden, the wedding turned into total chaos and the guests
into animals only concerned with their self interests as soon as they heard about the
economic crisis in Britain. Such a crisis might bring about a second revolution in
Tunisia and the imprisonment of major businessmen. It also revealed the fragility
that marks human ties and the influence of money on human nature. It is a must to
rid the power of money and come back to the ideals and values that characterizes the
mankind.
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MICHAEL HANEKES EIS(HOCKEY)MOTIV
in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von
Elfriede Jelineks Die Klavierspielerin
Björn Hayer
Mehrfach verwies die bisherige Forschung zu Elfriede Jelineks Skandalroman „Die Klavierspielerin“ auf die metaphorische Dimension von Kälte und
Eis hin. Rekurrierende auf Franz Schuberts und Wilhelm Müllers romantischen Liederzyklus „Die Winterreise“ repräsentiert das lebensfeindliche
Winterrain, in dem sich der das Lyrische Ich gedanklich und physisch bis an
die Grenzen des Subjektstatus verliert, die Chiffre für die Isolation und Aporie, der sich die Protagonistin Erika in Jelineks Prosastück ausgesetzt fühlt.
Spätestens nach Michael Hanekes Verfilmung des Stoffes kommt mit dem
Medienwechsel noch eine weitere Deutungsfolie hinzu. Dass der Regisseur in
seiner gleichnamigen Adaption der Jelinek’schen Romanvorlage Schuberts
„Winterreise“ als Subtext der filmischen Narration unterlegt, ist mehrfach in
der Forschung bestätigt. Insbesondere Von Hoff identifiziert die bereits in
Jelineks Text angelegten Verweise auf das Stück des romantischen Komponisten als zweite „Kunstfolie“, die „fast zum eigentlichen Handlungsstrang
stilisiert“1 wird. Obgleich die Adaption in der Forschung bisher vor allem mit
Hinblick auf die gewaltsame Aneignung durch die Kameraführung Hanekes
untersucht worden ist, wurde bislang jedoch der Eismotivik, die zitativ im
doppelten Sinne auf Jelinek wie auch Wilhelm Müller referiert, innerhalb
des Films kaum Beachtung geschenkt. Dabei wird die Anspielung sowohl
akustisch wie auch bildlich in der Narration des Films entfaltet. Es lohnt daher Hanekes motivische Transformation etwas genauer in den Blick zu nehmen. Die Winter-Chiffre soll daher an zwei Szene exemplarisch verdeutlicht
werden, um so auch neue Impulse für Hanekes Form der audiovisuellen
Übertragung insgesamt zu gewinnen. Zunächst soll aber ein skizzenhafter
Blick auf Erikas Situation innerhalb des Romans geworfen werden, damit im
Lichte dessen der interpretative Zugriff des Regisseurs plausibilisiert wird.
Erikas Alltag – der beklemmende Eispalast
Die Klavierlehrerin am Wiener Konservatorium Erika Kohut führt ihr Leben
innerhalb eines erdrückenden Kokons. Eingebunden zwischen dem tyrannischen Diktat der Mutter – ihrerseits „Inquisitor und Erschießungskomman1 Von Hoff, Textualität und Visualität, S. 194.
Björn Heyer
do in einer Person“2 – und der „Musik, dieser Blutsaugerin“3, erscheint die
gescheiterte Pianistin als eine Wanderfigur durch unwirtliches Gebiet. Im
Zuge der Fremdbestimmung kann sie „kein unabhängiges Selbst entwickeln“4 und kapselt sich in ihrer Alleinstellung zunehmend ab: „SIE fühlt
sich von allem ausgeschlossen, weil sie von allem ausgeschlossen wird“ 5. In
Anlehnung an Wilhelm Müllers und Franz Schuberts Zyklen „Die Winterreise“, die der Roman intertextuell einarbeitet, wird Erika durch den
vereinsamten Vagabunden aus der romantischen Textvorlage präfiguriert.
Beispielgebend sind dafür vor allem die zahlreichen Attribute wie ihre „Wanderausrüstung“, ihre „Wanderschuhe“6 oder die direkte Referenz auf ein
Grammophon, das eben „Schuberts traurigste[n] Liedzyklus“7 spielt.
Beiden Figuren ist dabei ihre Verlassenheit und Entfremdung gegenüber
dem gesellschaftlichen Zusammenhang gemein. Die Winterlandschaft der 24
Gedichte fungiert dabei im Roman der Nobelpreisträgerin als Chiffre für eine
lebensfeindliche Topographie. So hebt sie in „Die Klavierspielerin“ mehrfach
auf die beklemmende Umgebung Erikas ab. Von „Eiseskälte“8 und einer
„Winterlandschaft […], die kein Schloß zur Rettung aufbäumt“ 9, ist die Rede.
Dass der Subtext von Winter und Vereisung nur schwerlich ein Überleben
zulässt und sich wie ein Sarkophag um Erika wölbt, offenbart sich vor allem
in der übertragenen Kälte, welche von Erikas Mutter ausgeht. Nachvollziehbar führt das Dasein der Klavierlehrerin in die Aporie, weil sie seit Kindestagen in das mütterliche Korsett gespannt ist. Gleichzeitig nimmt das öffentliche Milieu keinen Anteil an Erikas Auflösungsprozess. Sie bleibt ignorant,
auch Erika findet sich in biedermeierliche Privatheit ein. In der Wettermetaphorik verbildlicht sich zugleich ihr Widerstand gegen eine Gesellschaft, der
sie nur Verachtung zu attestieren weiß: „Sie stemmt sich ganz gegen den
Sturm“10, eine Masse, von der sie sich zu segregieren bestrebt ist. Im Widerspruch dazu steht Erikas Interesse an der Sexualität als Massenprodukt, dem
2 Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 5.
3 Ebd., S. 99.
4 Janz, Elfriede Jelinek, S. 74.
5 Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 39.
6 Ebd. S. 240 f.
7 Ebd., S. 169.
8 ebd., S. 58.
9 Ebd., S. 106.
10 Ebd.
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Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
sie sich aufgrund ihrer sexuellen Fehldeterminierung durch die Mutter, welche Erika wie einen Ersatzehemann behandelt, zuwendet. Insbesondere ihre
Besuche der Peepshows in den Praterauen, aber ebenso die nächtliche Observation eines Liebespaares gewährleisten ihr einen visuellen Zugang zu Sexualität. Entgegen einer innerlichen Auseinandersetzung mit ihrer Geschlechtlichkeit „erlebt [Erika] ihre Körperlichkeit von Außen: Ihre Haut, ihr
Fleisch verschließen sich wie ein Reißverschluss“11. Was sie erfährt, konsumiert sie dabei beispielsweise in der Beobachtung durch den männlichen
Blick, der ihrer verloren gegangenen, blind gewordenen Vaterfigur entledigt
ist bzw. jene sogar gänzlich ersetzt12. Indem sie damit erneut einem Rollenmuster nachstrebt und die Funktion von Augen wahrnimmt, die Informationen an das Gehirn weiterleiten, betritt Erika wiederum den Raum des Dazwischenseins13. Besucht Erika die Peep-Shows, wo sie nackte Frauen sehen
kann, vermeint sie darin einen Spiegel14 ihrer Weiblichkeit zu sehen, welche
jedoch nach wie vor defizitär bleibt. Denn obgleich sie sich ihrer Weiblichkeit
bewusst zu werden sucht, verharrt sie in ihrem entfremdet männlichen Rollenschema des lustvollen Voyeuristen. „Im Schauen realisiert sie die phallische Position und vergewissert sich der ´Weiblichkeit` als ´Kastriertheit`“ 15,
da der Blick des Mannes ohnehin auf den „Mangel“ 16 gerichtet ist. Gleiches
wird an der nächtlichen Beobachtung des Paares sichtbar, als der Mann die
Frau zunehmend als Instrument zur Befriedigung des eigenen Geschlechtstriebs reduziert. Dass die Frau damit zum Produkt handwerklicher Bearbeitung verkommt, was sich im Übrigen sprachlich ebenfalls in den vielfältigen
Handwerksmetaphern zeigt, wird weiterhin in den von Erika konsumierten
Pornofilmen vermittelt. „Im Billigporno ist [...] die Gier unverhüllter, mit
welcher der Mann in den Frauenkörper hineinfährt“17. Die Ausflüchte in die
Welt des Voyeurs können die Körperfremde demnach nicht überwinden. Erika erfährt Weiblichkeit einzig als Objektivation der männlichen Perspektive,
wodurch sie sich selbst als materielles, gefühlsloses Objekt begreift18.
11 Sándorfi, Raumkonstellationen, S. 22.
12 Vgl. Janz, Elfriede Jelinek, S. 72.
13 Vgl. Sándorfi, Raumkonstellationen, S. 22.
14 Vgl. Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 53.
15 Janz, Elfriede Jelinek, S. 76.
16 Vgl. Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 54.
17 Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 103.
18 Vgl. Arteel, „Ich schlage sozusagen mit der Axt drein“, S. 104.
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Kompensativ erscheint die euphemistische Konzentration auf die mütterliche Zuschreibung als „Einzelpersönlichkeit“19, als Individualistin.
Während Erikas Mutter stets um die Herhauskristallisation des verhinderten, aber alleinstehenden Genies bemüht ist, vergeht sie buchstäblich in
Schuberts mehrfach im Roman benannten melancholischen Verdämmern.
Einzig in der Figur Walter Klemmers, einen ihrer ehrgeizigen Schüler, sucht
Sie eine vergebliche Annäherung, welche jedoch zuletzt in einen brutalen
Machtkampf umschlägt.
Im filmischen Reich der Kälte: Michael Hanekes Transformation
der Eismetaphorik
Beide Szenen, die im Zentrum der Analyse stehen, sind unmittelbar mit der
Präsenz ihre besagten Schülers Walter Klemmers verbunden, auf dessen
nachdrückliche Avancen Erika zunächst ablehnend reagiert. Im film besetzt
ihn Hanekt mit den Männlichkeitsattributen des Sports und körperlicher Ertüchtigung. Die Rede ist vom Eishockey, das Haneke als charakeristisches
Passepartout dem männlichen Protagonisten zuweist und sich in dieser Zuweisung über die Romanvorlage hinwegsetzt respektive diese zu komplettieren sucht. Erstmalig tritt das Motiv nach Klemmers Klavierstunde bei Erika
auf. Nachdem sie das Institut verlässt, folgt sie Klemmer dezent und begibt
sich gleichsam in den für sie unsicheren Raum der Öffentlichkeit.
Die darauf folgenden Einstellungen sind bezeichnend für Hanekes Interpretation seiner tragischen Antiheldin und bislang von der Forschung kaum
hinterfragt worden. Durch ein Fenster gefilmt wird eine romantische Sehnsucht projiziert. Zu sehen sind auf der Eisfläche eines Stadions zwei Eiskunstläuferinnen, deren tänzerische Bewegungen eine harmonische Choreographie widerspiegeln. Ferner wird darin die Vision einer gelingenden Zweisamkeit aufgerufen, die aufgrund der unwägbaren Eisfläche zugleich als fragil und gefährdet bezeichnet werden muss. Denn die liebliche Fügung hält
nicht lange. Während die Kamera in der frontalen Einstellung zu erstarren
scheint, betreten die Eishockeyspieler, darunter ebenso Walter Klemmer, das
Feld. Das Frauenduett wird rau zerschlagen, als die Sportler ihr Spiel beginnen. Haneke ruft in dieser Szene traditionelle Stereotypen des Eissports auf:
Brutalität und harte Bandagen sind mit der „Männerdomäne“ Eishockey
verknüpft. Der Auftritt der Männergruppe hat auf die grazile Formation der
Tänzerinnen einen zerschlagenden Effekt. Der im Sport avisierte Phallozen19 Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 124.
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Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
trismus grenzt das Weibliche als Marginalie aus. Es wird eine Gesetzmäßigkeit postuliert, die Frauen „vorwiegend als Objekte betrachtet und ihnen keinen Raum zur Entfaltung individueller Seinsformen gestattet“20.
Was bedeutet dies nun für die filmische Interpretation der literarischen Vorlage? Die Antwort ist mehrdeutig. Zuvorderst ist die Perspektivierung von
entscheidender Relevanz, die sich erst am Ende der kurzen Szene auflöst. So
gilt der starre Blick jenem Erikas, die durch die Gitterstäbe als Außenseiterin
ihre typische Beobachterrolle einnimmt. Gleichzeitig wird in der Halbtotalen
die Protagonistin als Gefangene präsentiert, die jenseits des Feldes hinter
Gitterstäben die Handlungen verfolgt. Somit stellt der maskulin erzeugt
Bruch der harmonischen, femininen Zweisamkeit Erikas scheiternde Sehnsucht nach wahrer Liebe aus. Sie kann nicht partizipieren, sie bleibt als dezentrierte Wanderfigur außenvor. Unterdessen wird sowohl eine Aussage
über Klemmer wie auch über das gesellschaftliche Milieu getroffen. Wohingegen der Student bislang als charmanter Sympathicus in Erscheinung getreten ist, gibt das Eishockeymotiv Aufschluss über seine dunkle Seite, deren
Ventilwirkung sich zuletzt in Erikas Vergewaltigung manifestiert. In ironischer Metaphorik demaskiert Jelinek Klemmer als brutalen Triebtäter: „Mit
Getrampel bricht der Mann durch das Gebüsch und in frei daliegende Wiesen“21. Dabei bedient sich die Autorin vor allem der semantischen Felder des
Handwerks- sowie des Sportsvokabular, dessen Verschränkung mit der Typologie des Männlichen an archaische Urzeiten erinnert. „Ein Werkszeug
wird geschwungen“ in dem „allgemeinen Liebeswettkampf“22. „Wiederhergestellt werden alte Zustände“23, in denen ein dichotomes „Geschlechterverhältnis als Machtverhältnis“24 zwischen dem dominanten Mann und der
schwachen Frau arrangiert ist. Der Sportler findet Gefallen an seiner Tat, die
er als körperliche Ertüchtigung auffasst. Gleichzeitig hebt die Autorin im
Bildnis des Sports auf eine faschistische Kampfideologie ab, die sie – wie
schon in anderen ihrer Texte25 – mit dem Mythos des männlichen
Kampfgeistes vermengt. „Die Situation sagt Klemmer plötzlich zu, er macht
gewohnte Muskelübungen“26. Was hier in der Überlagerung verschiedener
20 Solibakke, Österreichische Gedächtnismodelle, S. 91.
21 Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 256.
22 Ebd., S. 257.
23 Ebd.
24 Janz, Elfriede Jelinek, S. 77.
25 Vgl. Klettenhammer, „Das Nichts , das die Natur auch ist“, S. 333.
26 Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 258.
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Bedeutungsfelder angedeutet wird, visualisiert Haneke proleptisch in der filmischen Eishockeymotivik. Es verbildlicht eben jenen rüden Wettkampfsgeist, dessen loderndes Feuer dem Jüngling latent innewohnt: „In seinen
Eingeweiden ein schwebender Ballon von Gewalt“27. Erikas Blick hingegen
erstarrt und scheint ebenso präfiguriert wie Klemmers untergründiger Gewaltmorast. Er ist der aktive Phallus, welcher in seiner Übermacht die ohnmächtige Erika übermannen wird. Haneke stellt somit Blick- und Motivkonstellationen her, welche die schließliche Katastrophe bereits vorwegnehmen.
Dessen ungeachtet ist die Szene jedoch nicht nur beispielgebend für die Beziehung der Protagonisten, die aus dem Paradox herrührt, dass Erika „zugleich die ´befehlende` Mutter [gegenüber Klemmer] und das ´gehorchende` Kind [...] ´Sklavin` und ´Herrin`, ´Mann` und ´Frau`“ sein möchte.
Vielmehr bringt die Begegnung auch Jelineks Auffassung von der modernen
Gesellschaft in sich. Mehrfach wies die Forschung in der Vergangenheit auf
ihre Palimsestbildung hin. Der Sport wird zumeist mit den Paradigma des
Konkurrenzstrebens in Wirtschaft, Politik und Geschlechterverhältnis assoziiert. Auffällig mutet die erste Eishockeyszene auch insofern an, als dass der
Regisseur auch eine genderbezogene Konfrontation ausspielt. Zwei Mädchen
stehen einer massiv auftretenden Männerformation entgegen. Darin wird
das Bild einer patriarchalen Ordnung aufgerufen. Frauen sind im Verständnishorizont dieser „binäre[n] Logik“28 dem Mann untergeordnet und verkommen in Jelineks literarischer Konzeption zur hüllenartigen Staffage. Diese Gender-Inflationierung des Weiblichen setzt Haneke in den bedeutungslosen Eistänzerinnen vollends in Szene.. Protestlos verlassen die beiden mit
der Eroberung der Fläche durch die Eishockemannschaft das Feld und zeigen nebenbei noch gar eine naive Bereitschaft, sich auf Klemmers lapidaren
Avancen und Shakereien einzulassen. Sie sind wie Spielfiguren, die frei verschoben werden und kaum zu erkennen scheinen, dass ihr Bezug zum männlichen Gegenüber in ein sportliches Konfrontationsmuster eingebettet ist.
Nicht Liebe, Fürsorglichkeit oder Respekt bestimmen die Begegnungen
zwischen Frau und Mann. Unlängst ist diese Traumvorstellung einem Kampf
zwischen den Geschlechtern gewichen, worin dem Mann der Triumph und
die Gebärde des Siegers zukommen soll. Ihm gehört das (Eis-)feld, allein und
ausschließlich.
Die Aussage bekräftigt der Regisseur auch noch in einer zweiten Szene. Erneut setzt diese mit einer statischen Totalen ein, die diesmal unmittelbar
27 Ebd., S. 259.
28 Lücke, Jelineks ästhetisches Verfahren und das Theater der Dekonstruktion, S. 63.
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Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
hinter dem Tornetz des Eishockeyfeldes postiert ist. Es liegt nahe, die Einstellung auch als Erikas Blick zu verstehen, deren Standpunkt während des
ausgehenden Trainings jedoch diesmal nicht außerhalb der Szenerie situiert
ist, sondern direkt im Stadion. Die Beobachtung scheint insofern relevant,
als dass die Protagonistin hier aus der Außenseiterrolle in die Sphäre der
„Männerdomäne“ eindringt. Sie wandelt damit zwischen dem weiblichen
Kosmos im Abseits einerseits und dem maskulinen Machtraum andererseits.
Nachdem die vorangegangene Szene mit Erikas gescheiteten Versuch ausklingt, in den Schambereich der Mutter einzudringen und dadurch in eine
pränatale Schutzzone zu gelangen29, ist sie nun den Gefahren des durch das
Eishockeymotiv bildlich brutalisierten Männlichkeitsraums frei ausgesetzt.
Ihre dortige Anwesenheit konstatiert, dass sie ihre fremdbestimmte Rolle als
Phallus, die sie in der Konstellation als Ersatzehegattte der Mutter bezieht,
weiterhin einnimmt. Im Buch heißt es schon zu Beginn, Erika sei der „vielgestalige[r] Besitz“30 der Mutter. Und da der in der Psychiatrie verstorbene
„Vater den Stab an seine Tochter [abtrat]“31, wird sie fortan zur materialisierten Rolle des männlichen Glieds in der Mutter-Tochter Symbiose gezwungen. Bezogen auf die zu analysierende Szene zeigt sich, dass die Klavierlehrerin nach wie vor Opfer einer geschlechtlichen Unbestimmtheit zu sein
scheint. Indem Erika nahezu alle Lebenssphären, einschließlich des vormaligen Ehebetts, teilt, ist sie „fitted with his [des Vaters] phallus“ 32. Die Schieflage im Geschlechtsbewusstsein vollzieht sich insbesondere aus der Diskrepanz zwischen einem verhinderten, unterdrückten weiblichen Bewusstsein
Erikas und der zugeschriebenen Funktion als maskulines Beziehungsglied.
Jener Phallozentrismus fungiert sogar als „Symbol des Subjektseins“33. Wie
ein leeres Blatt wird Tochter Kohut von der Mutter beschrieben.
Nachdem ihr somit eine weibliche Identität versagt bleibt, ist ihr Vorstoß in
das männerdominierte Sportareal in der Adaption als geradezu waghalsiger
Versuch der Selbstkonstituierung zu verstehen. Dennoch gelingt es ihr nicht,
sich aus dem Korsett ihrer Zwänge loszusagen. Ihr Blick, der in der Totalen
durch das Netz begrenzt wird, ist jener einer Gefangenen. Zwar steht Erika
an der Türschwelle, gleichwohl vermittelt die starre Perspektivierung das
Gefühl von Beklemmung und Immobilität. Als das Spiel – zugunsten des
29 Vgl. Janz, Elfriede Jelinek, S. 78.
30 Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 7.
31 Ebd., S. 5.
32 Ebd., S. 259.
33 Janz, Elfriede Jelinek, S. 77.
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Teams von Klemmer – zuende ist, geht die Lehrerin auf ihren Schüler zu.
Ihre Anwesenheit zunächst ignorierend, begibt sich Klemmer in die Männerumkleide. Auch diese zweite Schwelle wird sodann von Erika überschritten,
wodurch sie weitaus tiefer in das maskuline Interieur vordringt und Klemmer darum bittet, mit ihr reden zu können. Unterdessen treten weitere Spieler, die auf der Türschwelle im Seitenprofil zu sehen ist, an Erika vorbeigehende in die Umkleide ein. Bezeichnend wirkt dabei, dass diese geradezu unwirklich größer als die Protagonistin erscheinen, die Kamera kadriert fast
ausschließlich deren Torsi, nicht einmal mehr ihre Köpfe sind sichtbar. Indem Haneke die Differenz in den Größenverhältnissen ausstellt, visualisiert
und verfestigt er die patriarchale Omnipotenz des Mannes gegenüber der
Frau. Die als phallisch markierte Erika34 wird sich – so die filmische Suggestion – in der Kampfarena der Männer nicht behaupten können. Offenbar ist
sich die gebrochene Pianistin ihrer unbeholfenen Lage im Klaren und fordert
Klemmer aufgrund dessen dazu auf, den Ort zu wechseln. Sie flieht vor dem
Ausgesetztsein der männlichen Übermacht, versucht mit ihrem Schüler auf
ein sicheres Terrain auszuweichen.
Die Kontrolle mag sie augenscheinlich nicht aufgeben zu wollen. Denn mit
aufgesetzter Selbstsicherheit geht sie beinah lehrerhaft voran. Im angrenzenden Raum gibt Erika sodann ihre Contenance völlig preis. Während Haneke
die beiden konfrontativ einander gegenüberstellt, sieht der Zuschauer over
the shoulder des erhöhten Klemmers, wie Erika ihre Schutzhülle fallen lässt
und um Vergebung für ihren Brief an ihn bettelt. Nichts steht so sehr in Kontrast, wie die Topographie zur Person. Die Antiheldin betritt das maskulinisierte Territorium, den gefährlichen Grund des Eises, mimt zuerst Stärke
und bezieht zuletzt eine Rolle in der weiblichen Unterwerfung. Die Szene ist
von daher als konzeptionell bedeutend einzustufen, weil sie Erika in ihrer
geschlechtsspezifischen Volatilität offenbart. Der Rest an Innerlichkeit tritt
in ihrem Flehen gegenüber Klemmer nach Außen, die Würde der Person
wird aufgegeben. Diese Ausstellung des Leidens manifestiert sich vor allem
in der Kameraführung – bzw. perspektive. Sie fokussiert anfangs ausschließlich Erika, bis sie sich gar vor Klemmer niederkniet und versucht ihn zu befriedigen – ein leeres Ritual, das den Schüler gnädig stimmen soll und zugleich der Konstituierung der eigenen, lediglich von pornographischer Verblendungserfahrung gezeichneten Weiblichkeit dienen soll. Das Unterfangen kann aber nicht glücken. Denn Erikas Bild von Feminität basiert allein
auf Fremdbilder, in diesem Fall dem Fremdbild der Weiblichkeitsverständnisses männlicher Wunschprojektion, die sich in der Anpassung an repressi34 Vgl. ebd., S. 71.
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Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
ve Konstituenten bemisst. Da die Antiheldin selbst nur noch als entleerte
Hülle und allein äußeres Konstrukt von Weiblichkeit35 in Erscheinung tritt,
scheitert schlussendlich ein intrinsisches Gewahrwerden der eigenen Identität.
Die Reaktion des Schüler bleibt derweil völlig unbeeindruckt und abweisend.
Auch die durch die Kamera erzeugte Unbildhaftigkeit, ja beinahe Negation
Klemmers untereicht diesen Eindruck beim Zuschauer. Erika solle aufstehen, denn schließlich könne jemand hereinkommen. Somit ist auch Klemmers Verhalten wenig von Emotionalität oder Mitgefühl geprägt. Im Gegenteil: Hanekes Arrangement konturiert ihn als reinen Körper, weswegen er
schließlich auch auf Erikas sexuelle Offerten eingeht. Indem sie bestrebt ist,
ihn manuell zu befriedigen, sucht sie sich an ihr aus den Videokabinen gewonnenem Bild von der gefälligen Nymphe zu assimilieren. Wie Jelinek lässt
ebenso Haneke die Leiber aufeinanderklatschen. Nachdem Klemmer nicht
kann und Erika plump zu Boden wirft, ereignet sich ein widerwärtiger Liebeskampf. Küsse gleichen Verschlingungen, eine Ästhetik des Ekels wird unprätensiös und gewaltsam entworfen. Erika leidet, gibt sich aber hin. Klemmer zwingt sie zum oralen Verkehr, unlängst ist auch Das Refugium des Nebenraumes zum lebensfeindlichen Terrain generiert. Gezwängt zwischen
Klemmer und die Regale, ist die Klavierlehrerin in die Aporie gelangt. Ihr Erbrechen versteht sich lediglich als letztes Glied einer Kette zahlreicher Entäußerlichungen. Erika entleert den Rest ihrer innerlichen Wüste. Übrig
bleibt nur die fratzenhafte Maskerade, die es zugleich wieder reinzuwaschen
gilt. „Ich bin wieder sauber, wie ein Baby. Innen so wie außen“, sagt sie
abschließend zu Klemmer. Jelineks Flächenästhetik wird hier in Erikas
Übertünchungsakt in aller Beklemmung verbildlicht36. Zwischen der ihr und
dem Schüler fußt ein Graben, dem der trennende Fensterrahmen, vor dem
sie nun im Seitenprofil einander gegenüberstehen, als ein adäquates
Gleichnis dient.
Erikas letzte Umarmungen zeichnen ihr vergebliches Bestreben aus, ihren
„Liebsten“ zu besitzen, sich seiner irgendwie gewahr zu werden. Klemmer
durchbricht die Vision karg. Rüde attribuiert er die unbeholfene Tochter Kohut mit einem Vokabular des Ekels. Während er sie mit krasser Anwiderung
bestraft, bricht sie unterdessen zusammen. Hilflos will sie sich aus dem Gefängnis männlicher Patriarchalität befreien und stürzt aus der Tür hinaus.
35 Vgl. Szczepaniak, Dekonstruktion des Mythos in ausgewählten Prosawerken von Elfriede
Jelinek, S. 115.
36 Vgl. Brunner, Die Mythenzertrümmerung der Elfriede Jelinek, S. 62.
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Vor ihr auf der Eisfläche ist in einer Eistänzerinnen – wohlbemerkt diesmal
vor der Eishalle der Spieler – nur noch der ferne Traum einer harmonischen
Existenzweise zu erahnen. Aber auch für dieses weibliche Terrain ist Erika
nicht geschaffen. Das Eis wird zum Topos von Gefahr und Fragilität. Die
Protagonistin kann nur unsicheren Schrittes darüber gehen. Den rechten
Gang vermag sie in dieser Welt nicht zu finden.
Michael Hanekes mulitdimensionale Eiscodierung
Haneke kodiert die Eismetaphorik Wilhelm Müllers, die bereits Jelinek in ihren Roman aufgenommen hat, mehrfach: Zunächst fungiert die Eisfläche im
Film ähnlich wie im romantischen Prätext als Chiffre einer bedrohlichen Topographie. Die Eisfläche steht ganz im Zeichen des Jelinek’schen Naturbildes, das mit dem Element von Fremde und Bedrohung einhergeht 37. Die Eisfläche lässt auf einen fragilen Grund schließen, ein Areal, auf dem die Sehnsucht nach einer sicheren Verortung fehlschlagen muss. Gleichwohl tritt
auch eine Differenz zutage: Während für den Wanderer in der Müller’schen
Winterreise die „unzivilisierte[r] Natur“38 zugleich als Seelenlandschaft39
ausgezeichnet wird, welcher der Ausziehende seine Projektionen einschreibt,
ist Hanekes Eismotiv in zweierlei Hinsicht unterschiedlich: erstens entspringt sie nicht Erikas Imagination, zumal sie selbst als entleerte Figur
kaum imstande ist, einen eigenständigen Gedankenraum zu schaffen.
Zweitens ist Hanekes Eisfläche gänzlich das Resultat technischer Potenz. Es
zeigt sich dem Zuschauer in den besagten beiden Szenen eben keine
ursprüngliche Naturlandschaft, sondern ein artifiziell arrangiertes Territorium, das in Jelineks Werken zumeist nur das Bild einer synthetisch erzeugten, posthistorischen Natur widerspiegelt40. Schon aufgrund dessen kann auf
diesem Gelände kein wahres Leben fußen. Im Roman heißt es bis zuletzt:
„Erika ist vollkommen allein“41. Dies gilt bildgebend für ihren Abgang in der
zweiten Szene im Eisstadion.
Hanekes Winter-Adaption rührt noch an einem zweiten Code, der dessen
Gefährlichkeit gegenüber der Hauptperson noch verstärkt: So ist die Eisfläche in der Verfilmung primär mir männlicher Brutalität assoziiert. Das Eishockey wird als Sport der harten Bandagen in Szene gesetzt. Dass eine Frau
37 Vgl. Gál, Die Wege und Irrwege der Sprache, S. 181.
38 Wollny, Ortstermin: Lindenbaum, S. 103.
39 Vgl. Wittkop, Polyphonie und Kohärenz, S. 157.
40 Vgl. Wagner, Österreich – eine S(t)imulation, S. 134.
41 Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 252.
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Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
an jenem Ort patriarchaler Gebärden keinen sicheren Standpunkt erhalten
kann, offenbart nicht nur der durchbrochene Tanz der beiden Mädchen, sondern vor allem Erikas eigene Flucht. Was für alle Schicksale von Jelineks
Frauenfiguren zum Tragen kommt, schlägt sich ebenfalls in der Verfilmung
nieder: „Den Frauen in Jelineks Romanwelt ist ein elendes Dasein beschert:
sie sind keine Subjekte“42 und Opfer einer männlichen Machtkonzentrik. Erikas Blicke entsprechen in den beiden Eishockeyszenen daher denen einer
Exilantin. Da sie sich letztlich in der phallozentrisierten Domäne nicht behaupten kann, bleibt ihr nur noch übrig, sich aus jener Zone zurückzuziehen.
Aber was danach kommt, ist nicht weniger schrecklich. Denn auch aus einer
möglicherweise konventionalisierten Rolle als Frau vermag sie keine Identität zu stiften. Die harmonisch-grazilen Pirouetten der Eiskunstläuferin repräsentieren für sie lediglich das Andere, das Ungreifbare, das gegen Ende
der zweiten Szene nur noch vage für den Zuschauer zu erkennen ist. Von diesem leichfüßigen Gang kann sie nur träumen, wie Jelinek es selbst in ihrem
Roman allegorisch entfaltet. Trachtet Erikas Sehnsucht nach Sinn und Bedeutung, verflachen „die Erhebungen […] zu spiegelnden Eisflächen“. In dem
Vorstellungshorizont imaginiert sich die Protagonistin als „Eiskunstläuferin
in ihrem kurzen Kleidchen und den weißen Schlittschuhen“ 43. Die Hoffnung,
eine melodische Einheit aus Musik und Natur in sich selbst zu inkorporieren,
scheitert jedoch schon in der Idee. Denn
das unbegleitete Flirren der Stahlkufen wird immer mehr zum metallischtödlichem Schaben […] Sie holt heftig Schwung, die Läuferin, und wird von
einer riesigen Faust in sich selbst komprimiert […] Der Bewegungsapparat
der Eisläuferin fräst sich in den diamantharten Spiegel[…] ein heulendes
Sägen ertönt, doch unzerstörbar das Eis.44
In dieser Bewegungslinie hinterlässt die Tänzerin nur minimale Spuren. Vorgeführt wird ein für Jelineks Leidensfiguren typischer Traum aus „Suchebewegungen und Selbstbehauptungsbemühungen“45. Das Eis, „eine Materie,
die konserviert und nicht nachgibt“46, steht ihrem Ausdruck entgegen und
zeigt sich als verhärteter Grund. Wohingegen Erikas Projektion auf die Behauptung im dreidimensionalen Raum ausgerichtet ist, bleibt die Fläche un42 Szczepaniak, „Es war ein Unfall“ oder die „Unachtsamkeit der Wand“, S. 207.
43 Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 104.
44 Ebd., S. 105.
45 Lux, Theaterverweigerer an der Burg, S. 154.
46 Hoffmann, Die Bande der Liebe, S. 61.
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197
Björn Heyer
veränderlich und zeugt damit von Jelineks „Ästhetik der Verflachung“47, die
Wünsche und Hoffnungen nur noch als sich dauerhaft entleerende Phantasmagorien kennzeichnet48 – Es sind keine Innenanschauungen mehr, nur
Ausstülpungen medialer Sekundärbilder. So verbeugt sich Erika, wie in einer
Liveaufzeichnung, am Ende ihrer Wunschvorstellung eines sich frei in der
Natur ausbreitenden Selbst vor einem anonymen Publikum und tritt ab. Die
Ganzheitlichkeit von Mensch und Natur, welche in Jelineks Werke mit der
Zertrümmerung durch die Sport- und Freizeitindustrie konfrontiert wird,
deutet sich als Sinnbild der Perfektion von Schönheit und Maß an. Wie sich
an der auszughaften Passage exemplifizieren lässt, gibt es für Hanekes Eisbzw. Eishockeymotiv ein verwandtes Vorbild, welches die Autorin im Gedankenstrom Erikas präfiguriert. In der Adaption führt der Regisseur diese
Traumsequenz in all ihrer Radikalität zuende. Er stellt der Imagination ihre
drastische Realisierung gegenüber. Das Märchen wird in Text und Film jeweils gebrochen. Bei Haneke durch einen harten Schnitt, bei Jelinek durch
einen Sprung in die Gefangenschaft – zurück eben in die „Giftgasatmosphäre
possesiver Mutterliebe“49: „Kaffeefrech sitzt die Mutter in der Wohnküche
und träufelt ihre Befehle herum“50.
Literatur:
Primärliteratur:
1.
JELINEK, Elfriede: Die Klavierspielerin. Reinbek: Rowohlt 1983.
Sekundärliteratur:
1.
ANNUSS, Evelyn: Flache Figuren – Kollektive Körper. In: Lob der Oberfläche. Zum Werk
von Elfriede Jelinek. Hg. v. Thomas Eder und Juliane Vogel. München: Fink 2010, S. 49-70.
2.
ARTEEL, Inge: „Ich schlage sozusagen mit der Axt drein“. Stilistische, wirkungsästhetische und thematische Betrachtungen zu Elfriede Jelineks Roman Die Klavierspielerin.
Gent: Studia Germanica Gandensia 1991, S. 87-104.
3.
BRUNNER, Maria E.: Die Mythenzertrümmerung der Elfriede Jelinek. Neuried: Ars Una 1997.
4.
BURGER, Rudolf: Der böse Blick der Elfriede Jelinek. In: Gegen den schönen Schein. Hg.
47 Annuß, Flache Figuren – Kollektive Körper, S. 50..
48 Vgl. Vogel, „Ich möchte seicht sein.“, S. 15.
49 Burger, Der böse Blick der Elfriede Jelinek, S. 24.
50 Ebd., S. 105.
198
ZGR 2 (44) / 2013
Hanekes Eis(hockey)motiv in seiner gleichnamigen Literaturverfilmung von Jelineks „Die Klavierspielerin“
v. Christa Gürtler. 2. Aufl. Frankfurt: Verlag Neue Kritik 2005, S. 17-29.
5.
GÁL, Szilvia: Die Wege und Irrwege der Sprache. Elfriede Jelineks mythendestruierende
und ideologiekritische Verfahrensweise. In: Brüchige Welten. Von Doderer bis Kehlmann.
Einzelinterpretationen. Hg. v. Attila Bombitz. Wien: Praesens Verlag 2009, S. 179-193.
6.
HOFF, Dagmar von: Textualität und Visualität. Elfriede Jelineks Roman und Michael
Hanekes gleichnamiger Film Die Klavierspielerin. In: Media encounters and media theories. Hg. v. Jürgen E. Müller. Münster: Nodus 2008, S. 187-201.
7.
HOFFMANN, Yasmin: Die Bande der Liebe. Anatomie einer Passion in der Prosa von Elfriede Jelinek. In: Ritual. Macht. Blasphemie. Hg. v. Pia Janke. Wien: Praesens Verlag
2010, S. 52-63.
8.
JANZ, Marlies: Efriede Jelinek. Stuttgart: J. B. Metzler Verlag 1995.
9.
KLETTENHAMMER, Sieglinde: „Das Nichts , das die Natur auch ist“. Zur Destruktion
des Mythos ‚Natur’ in Elfriede Jelineks Die Kinder der Toten. In: Literatur und Ökologie.
Hg. v. Axel Goodbody. Amsterdam: Rodopi 1998, S. 317-338.
10. LÜCKE, Bärbel: Elfriede Jelineks ästhetisches Verfahren und das Theater der Dekonstruktion. Von Bambiland/Babel über Parsifal (Laß o Welt o Schreck laß nach) (für Christoph Schlingensiefs Area 7) zum Königinnendrama Ulrike Maria Stuart. In: Elfriede Jelinek: „Ich will kein Theater“. Mediale Überschreitungen. Hg. v. Pia Janke. Wien: Praesens
Verlag 2007, S. 61-85.
11. LUX, Joachim: „Theaterverweigerer“ an der Burg. Schleef – Stemann – Schlingensief –
Häusermann. In: Elfriede Jelinek: „Ich will kein Theater“. Mediale Überschreitungen.
Hg. v. Pia Janke. Wien: Praesens Verlag 2007, S. 152-177.
12. SÁNDORFI, Edina: Raumkonstellationen und Identitätswechsel oder das Mythische
zweiter Potenz. Die Verortung des Mythos in der österreichischen Literatur. In: Brüchige
Welten. Von Doderer bis Kehlmann. Einzelinterpretationen. Hg. v. Attila Bombitz. Wien:
JATEPress Szeged – Praesens Verlag 2009 (Österreich-Studien Szeged; Bd. 4), S. 22-24.
13. SOLIBAKKE, Karl Ivan: Österreichische Gedächtnismodelle: Erinnern und Vergessen bei
Bachmann, Bernhard und Jelinek. In: Elfriede Jelinek: Tradition, Politik und Zitat. Ergebnisse der Internationalen Elfriede Jelinek-Tagung 13. Juni 2006 in Tromso. Hg. v. Sabine Müller und Catherine Theodorsen. Wien: Praesens Verlag 2008, S. 89-108.
14. SZCZEPANIAK, Monika: Dekonstruktion des Mythos in ausgewählten Prosawerken von
Elfriede Jelinek. Frankfurt: Peter Lang Verlag 1998.
15. SZCZEPANIAK, Monika: „Es war ein Unfall“ oder die „Unachtsamkeit der Wand“. Elfriede Jelineks „Todesarten“. In: Elfriede Jelinek: Tradition, Politik und Zitat. Ergebnisse der
Internationalen Elfriede Jelinek-Tagung 13. Juni 2006 in Tromso. Hg. v. Sabine Müller
und Catherine Theodorsen. Wien: Praesens Verlag 2008, S. 203-227.
16. VOGEL, Juliane: „Ich möchte seicht sein.“ Flächenkonzepte in Texten Elfriede Jelineks.
In: Lob der Oberfläche. Zum Werk von Elfriede Jelinek. Hg. v. Thomas Eder und Juliane
Vogel. München: Fink 2010, S. 9-18.
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199
Björn Heyer
17. WAGNER, Karl: Österreich – eine S(t)imulation. Zu Elfriede Jelineks Österreich-Kritik.
In: verLOCKERUNGEN. Österreichische Avantgarde im 20. Jahrhundert. Studien zu
Walter Serner, Theodor Kramer, H.C. Artmann, Konrad Bayer, Peter Handke und Elfriede Jelinek. Ergebnisse eines Symposiums. Stanford Mai 1991. Hg. v. Wendelin Schmidt
Dengler. Wien: Verlag Edition Praesens 1994, S. 129-141.
18. WITTKOP, Christiane: Polyphonie und Kohärenz: Wilhelm Müllers Gedichtzyklus „Die
Winterreise“. Stuttgart, Weimar: J.B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung 1994.
19. WOLLNY, Ute: Ortstermin: Lindenbaum. Spurensicherung zu Text und Zeichen, Noten
und Nöten der „Winterreise“ von Wilhelm Müller. In: Formstrukturen und Sinnstrukturen in der Kunst. Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin 40
(1991), S. 101-106.
***
Astract:
Michael Hanekes motive of ice hockey in his filming adaption of Elfriede
Jelinek's "The Piano Teacher"
After already Elfriede Jelineks „The Piano Teacher“ is underlaid with the romantic
poem cycle “winter journey” of William Müller and Franz Schubert, Michael Haneke
creates in its film version of the literary original a palimpsest of mentioned text foils.
In particular the imagery of ice and winter, which Müller projects as cipher for an inhospitable modern trend into the departure of its lonely wanderer, serves both Jelinek and the Austrian director as a background for social cold weather, morbidity and
losingness. This concerns above all the position of the woman that reduces the Nobel
Prize winner in more caricaturistic to sometimes tragic way within a patriarchal regime to an object status. For associating stereotyped sex pictures, Haneke selects the
– so far in the research hardly treated – motive of ice hockey. Both woman and man
become therein cliche antagonists whose relationship emerges as a bare dear fight.
Schlüsselwörter/ Keywörter: Michael Hanekes Eis(hockey)motiv in "Die
Klavierspielerin" / The motive of Ice (hockey) in "The Piano Teacher" of Michael
Haneke.
200
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LEIDENSCHAFTEN
in den Gedichten von Emily Dickinson
Andrei Nae
Die amerikanische Dichterin Emily Dickinson ist die Autorin eines Werks,
dessen Hauptmerkmal die Ambiguität ist und dem viele Bedeutungen entspringen. An dieser Stelle werde ich mich damit beschäftigen, ihre Gedichte
unter Bezugnahme auf die Leidenschaften des Augustinus zu deuten. Zuerst
werde ich versuchen, die Leidenschaften des Augustinus zu erläutern und
dabei die von ihnen in der Theologie der Reformation gespielte Rolle zu untersuchen. Dann soll die Verbindung zwischen dem Puritanismus des 19.
Jahrhunderts und der europäischen Reformation deutlich gemacht werden.
Der nächste Schritt besteht in der Analyse des Gedichts „Because I Could not
Stop for Death –„
Um die Leidenschaften bei Augustinus zu verstehen, muss man sich auf Aristoteles und dessen Verständnis der Seele beziehen. Die Seele besteht nach
Aristoteles aus drei Teilen, die in einer Hierarchie geordnet sind. Der erste
und niedrigste Teil ist das Vegetative, das für die Funktionen des Körpers
wie Wachstum, Ernährung und Reproduktion verantwortlich ist. Dieser Teil
ist typisch für Pflanzen. Der nächste Teil heißt der sensitive Teil, dessen Rolle darin besteht, das menschliche Wesen in die physische Welt anzupassen.
Er verschont die Impulse, die von den Sinnen vermittelt werden. Dieser Teil
befindet sich in Tieren, die auch den niedrigeren Teil einbetten, nämlich das
Vegetative.1 Der höchste Teil der Seele ist die Vernunft, die das Göttliche im
Menschen sei. Sie bestehe aus zwei Teilen, dem Intellekt, der passiv, und
dem Willen, der aktiv ist. Anhand seiner Vernunft ist der Mensch das Glied
in The Great Chain of Being, das das Irdische mit dem Göttlichen verbindet.
Menschen besitzen sowohl die Vernunft als auch die anderen zwei niedrigeren Teile der Seele.2
Augustinus übernahm dieses Schema von der Seele und benützte es dazu,
um seine Theorie der Leidenschaften zu bilden. Bei Augustinus sind die Leidenschaften Bewegungen der sensitiven Seele die normaler Weise von der
Vernunft kontrolliert werden sollen. Diese Leidenschaften sind Reaktionen
auf äußere Impulse, durch die das menschliche Wesen in seiner Umgebung
leben kann. Zorn, Angst oder Traurigkeit sind Beispiele für Leidenschaften,
die auch bei Tieren wahrgenommen werden können. Was bei den Leiden1 Aristoteles: De Anima. New York: Oxford University Press, 2002, S. 434a6-435b1
2 Dixon, Thomas: From Passions to Emotions – The Creation of Secular Psychological Category. New York: Cambridge University Press, 2003, S. 30.
Andrei Nae
schaften problematisch ist, ist der Umstand, dass der Mensch nach dem Sündenfall die Kontrolle der Vernunft über die Leidenschaften verloren hat, was
bedeutet, dass die Leidenschaften nicht nur den Intellekt stören, sondern
auch den Willen überwältigen. Da sein Wille zu schwach geworden ist, um
sich den Leidenschaften zu widersetzen, braucht der Mensch die Hilfe Gottes, damit er wieder seine Leidenschaften beherrschen kann.3
Augustinus ist eine Gestalt, die sowohl von der Scholastik als auch von der
Reformation als einflussreich bezeichnet wurde. Viele Ideen von Theologen
der Reformation wurden auf der Grundlage aufgebaut, die von Augustinus
geschaffen wurde. Bei Johannes Calvin zum Beispiel ist die Theorie von Augustinus die Grundlage seiner Prädestination. Die zwei Hauptideen, die diesen Glauben belegen, sind einmal die Tatsache, dass man ohnehin sündigt,
egal was man täte4, und die Tatsache, dass der Wille zu schwach ist, um sich
den Leidenschaften zu widersetzen.
Wenn man Augustinus’ Theologie und jene Calvins nebeneinander stellt,
kann man bemerken, dass die Ideen des Augustinus bei Calvin in einer
übertriebenen Form anzutreffen sind. Wie schon erwähnt, waren bei Augustinus nicht alle Leidenschaften bösartig, sondern es gab auch Leidenschaften, die nicht auf das Göttliche hin orientiert waren, sondern auf das Irdische
und auf den Menschen. Die bösartigen Leidenschaften waren aber keine Laster, solange der Wille ihnen widerstand. Nur wenn der Wille sie akzeptiert
werde und sich dieser manifestiert, könnte man von Lastern sprechen.5
Bei Calvin galten alle Leidenschaften als Sünden, was folglich bedeutete,
dass der Mensch sich nicht überwinden könnte, um nicht zu sündigen. Dieser Glaube wurde auch davon verstärkt, dass der Wille laut Augustinus zu
schwach war, als dass er die Leidenschaften kontrollieren könnte. Infolgedessen
glaubte Calvin auch daran, dass der Mensch seiner Natur nicht entgehen könne.
Wegen seiner Schwachheit prädestiniert Gott den Menschen so, dass Gott noch
vor ihrer Geburt beschließt, wer reingewaschen werden wird oder nicht.
Für die Puritaner in Amerika war die von Calvin postulierte Prädestination
3 Ebd., S. 60.
4 Saarien, Risto: Weakness of Will in Renaissance and Reformation Thought. New York: Oxford University Press, 2011, S. 133.
5 Knuuttila, Simo: Emotions in Ancient and Medieval Philosophy. New York: Oxford University Press. 2004 S. 169.
202
ZGR 2 (44) / 2013
Leidenschaften in den Gedichten von Emily Dickinson
ein Hauptproblem, das puritanische Theologen zu lösen versucht haben. Um
festzustellen, wer dazu prädestiniert wurde, in den Himmel zu gehen oder
nicht, hat Jonathan Edwards im 18. Jahrhundert eine Theorie entwickelt, dass
dieses Problem lösen sollte. Jonathan Edwards behauptete nämlich, ein Zeichen dafür entdeckt zu haben, wer reingewaschen werden würde, nämlich die
Präsenz von göttlichen Emotionen.6 Göttliche Emotionen bedeuten nichts Anderes als das, was für Augustinus die guten Leidenschaften waren. Edwards besteht also darauf, dass man sicher sein kann, dass derjenige, der reingewaschen
werden wird, fähig ist, seinen bösen Leidenschaften zu widerstehen.
Die Gedichte Emily Dickinsons beschäftigen sich mit dem Problem des Reinwaschens. In dem Gedicht „Because I Could not Stop for Death –„ handelt es
sich von einem Fall, in dem die Angst vor dem Tod von der Vernunft kontrolliert wird. Jetzt folgt eine Schritt-für-Schritt-Analyse, um die Ideen des
Augustinus und der Reformation zu orten und hervorzuheben. Ich werde
mich dabei auf die von mir angefertigte Übersetzung beziehen.
„Because I could not stop for Death—
He kindly stopped for me—
The Carriage held but just Ourselves—
And Immortality.“
Da ich den Tod nicht anhalten konnte —
hielt er höfflich für mich an —
Die Kutsche nur von uns angeführt—
Und Unsterblichkeit.
Die erste Strophe beginnt mit einem Chiasmus, der die Identität des lyrischen Ichs zum Vorschein bringt. Die Entgegenstellung des Todes und des
Ichs impliziert, dass das lyrische Ich weiblich ist. Dieser Aspekt kann nur im
Englischen relevant sein, weil im Englischen „death“ Neutrum ist, und trotzdem wird nicht das Pronomen „it“, sondern „he“ benützt, was bedeutet, dass
das lyrische Ich auf ihre weibliche Identität besteht. Die zweite Implikation
des Chiasmus ist, dass es vom Anfang an um den idealen Fall geht, in dem
die Leidenschaften von der Vernunft beherrscht werden. In der Reformation
glaubte man, dass der Mensch ein Mikrokosmos sei, mit anderen Worten
6 Talbot, Mark R. Godly Emotions (Religious Affections). In: Hg. Piper, John and Taylor, Justin. A God-Entranced Vision of All Things – The Legacy of Jonathan Edwards. Wheaton, Illinois: Crossway Books, 2004S. 232.
ZGR 2 (44) / 2013
203
Andrei Nae
dass die Struktur seiner Seele sich auch in der Natur befindet. So war das
Männliche mit der Vernunft assoziiert, und das Weibliche mit den Leidenschaften.7 Eine andere wichtige Assoziation ist die zwischen dem Aktivsein
und dem Tod und dem Passivsein und dem weiblichen lyrischen Ich, denn
bei Augustinus waren die Leidenschaften passiv. Das suggeriert, dass der
Tod eigentlich nicht die ganze Vernunft vertritt, sondern nur den Willen,
weil er der aktive Teil der Vernunft ist.
Dass Unsterblichkeit mit impliziert sei, spielt auch eine wichtige Rolle, weil
das andeutet, dass das lyrische Ich sicher ist, dass es reingewaschen werden
wird, dass es also zu den Prädestinierten gehört.
„We slowly drove - He knew no haste,
And I had put away
My labor and my leisure too,
For His Civility -“
Wir fuhren langsam - ohne Rast,
Und ich hatte
Meine Anstrengung und Freude auch,
Wegen seiner Höflichkeit verworfen
In der zweiten Strophe geht es um die Haltung des lyrischen Ichs im Bezug
auf den Tod. Anstatt Angst vor ihm zu haben, bleibt das lyrische Ich entspannt. Diese Haltung wird von der Atmosphäre des Gedichtes suggeriert.
Die Beiden fahren langsam, und es scheint als würde das lyrische Ich lieber
neben dem Tod sein, anstatt zu leben. Die Anstrengung und Freude sind
Metonymien für das Leben, und die Höflichkeit des Todes leitet uns noch
einmal zu derselben Idee der Freude am Sterben. Die Ursache dieser Freude
ist die Tatsache, dass der Tod hier nicht als endloser Zustand betrachtet
wird, sondern als ein Tor zur Unsterblichkeit, was, wie schon erwähnt, ein
Zeichen dafür ist, dass das lyrische Ich sicher ist, dass es reingewaschen werden wird.
„We passed the School, where Children strove
At recess - in the ring 7 Harrison, Peter: Reading the Passions in: Hg. Stephen Gaukroger. The Soft Underbelly of
Reason: The Passions in the Seventeenth Century. London: Routledge, 1998 S. 51.
204
ZGR 2 (44) / 2013
Leidenschaften in den Gedichten von Emily Dickinson
We passed the Fields of Gazing Grain We passed the Setting Sun -“
Wir fuhren an der Schule vorbei, wo die Kinder kämpften
In der Pause – im Ring –
auf dem Feld mit reifem Korn –
Wir fuhren zur untergehenden Sonne –
In dieser Strophe geht es um eine von den Stoikern empfohlene Therapie gegen die Leidenschaften. Um sie zu verstehen, müssen wir zuerst erklären,
was die Leidenschaften für die Stoiker waren. Die Stoiker glaubten, dass Leidenschaften Fehleinschätzungen seien. Infolgedessen müsse man sie durch
seinen Intellekt kontrollieren. Die Leidenschaft, die hier behandelt werden
muss, ist die Angst vor dem Tod. Laut den Stoikern sollte man sich vor dem
Tod nicht fürchten, denn mit jeder Änderung seines Wesens erlebt der
Mensch einen neuen Tod, den Tod des vorher gewesenen Menschen. Solange
man den Tod bereits nicht nur einmal in seinem Leben erlitten hat, sollte
man sich vor einem anderen, weiteren Tod nicht fürchten. Der wiederholte
Tod wird im Gedicht anhand der Metonymien suggeriert. Die Schule, das
Feld mit dem reifen Korn und die untergehende Sonne sind Metonymien, die
von der Kindheit, vom Erwachsenalter zum fortgeschrittenen Alter führen.
Diese drei wichtigen Etappen eines Lebens implizieren auch Tode, die von
dem lyrischen Ich erlebt wurden.
Diese Therapie gegen die Angst führt aber zu einem anderen Problem, nämlich zum Aspekt des gespaltenen Ichs. Um es zu lösen, meinten die Stoiker,
müsste man mit Hilfe seines Gedächtnisses die vorherigen Ich-Hypostasen
miteinander verflechten.8 Dieser Aspekt ist auch im Gedicht präsent, denn
das lyrische Ich erinnert sich an seine vergangenen Ichs, während es mit
dem Tod die Kutsche fährt.
Die Frage, die uns hier beschäftigt, lautet, inwiefern Emily Dickinson von
den Stoikern beeinflusst wurde und wie man die zwei Einflussvektoren versöhnen könnte? Am Anfang haben wir festgestellt, dass der Tod eigentlich
der Wille war, was bedeutet, dass das lyrische Ich die Leidenschaften, und
den Intellekt zusammenführt. Im Gegensatz zu den Stoikern, spielte der Wil8 Sorabji, Richard. Emotion and Peace Of Mind - From Stoic Agitation To Christian Temptation - The Gifford Lectures. New York: Oxford University Press, 2000 S. 244-245.
ZGR 2 (44) / 2013
205
Andrei Nae
le bei Augustinus eine wichtige Rolle, die bei den Stoikern nicht existierte.
Da für die Stoiker die Leidenschaften nur Fehleinschätzung waren, brauchte
man den Intellekt, um sie zu beherrschen. Im Gedicht ist der Intellekt kein
Hindernis für den Willen, umso mehr als dieser auch bei den Reformisten
eine wichtige Rolle spielt, wenn man einer Leidenschaft begegnete. Der Unterschied zwischen der Rolle des Intellekts und jener des Willens besteht
darin, dass der erste eine evaluative Rolle, während der zweite eine aktive
Rolle spielt. Beide liege nicht in der einen und derselben Person beisammen,
denn die Puritaner glaubten, dass der Wille des Menschen so schwach sei,
dass man seinen eignen Willen ablehnen müsste, um dem Willen Gottes zu
folgen.
Der Grund, warum man nicht nur den Willen, sondern auch den Intellekt
brauche, um die Leidenschaften zu beherrschen, kann man im Werk Augustinus finden. Augustinus behauptete, die Leidenschaften seien nicht nur
Fehleinschätzung, sondern auch Bewegungen der sensitiven Seele. Es war
nicht genug, dass der Intellekt realisiert, diese seien schlecht. Man brauchte
auch seinen Willen, um sie sich nicht manifestieren zu lassen. Infolgedessen
kann man behaupten, dass der Intellekt der Punkt ist, wo sich das Verständnis der Stoiker mit jenem von Augustinus überlappen.
Or rather—He passed Us—
The Dews drew quivering and chill—
For only Gossamer, my Gown—
My Tippet—only Tulle—
Eher sie - an uns vorbei –
Der Tau zog sich zitternd und kalt –
Denn bloß Spinnfäden war mein Kleid –
Mein Schultertuch – nur Tüll
Diese Strophe präsentiert die Vorbereitung auf den Tod, die anhand dreier
Elemente geschieht. Zuerst kann man die Idee der wachsenden Passivität in
der ersten Zeile entdecken. Die letzte Zeile der vorherigen Strophe und die
erste der aktuellen bilden einen Chiasmus, in dem die Rollen ausgetauscht
werden. Zuerst sind der Tod und das Ich aktiv, indem sie an der Sonne vorbeifahren, während in der nächsten Zeile die Sonne an den beiden vorbeifährt, was bereits suggeriert, dass sie ihr Ziel erreicht haben. Der zitternde
Tau suggeriert die Kälte, das auch ein Symbol für den kommenden Tod ist.
206
ZGR 2 (44) / 2013
Leidenschaften in den Gedichten von Emily Dickinson
Letztlich gibt es den neuen Anzug des Ichs, das jetzt fast nackt ist. Dieses
Präludium des Todes wird in der nächsten Strophe fortgesetzt:
We paused before a House that seemed
A Swelling of the Ground—
The Roof was scarcely visible—
The Cornice—in the Ground—
Wir hielten vor einem Haus das schien
Eine Verdickung der Erde zu sein –
Das Dach konnte man kaum sehen –
Der Sims – begraben –
Der Inhalt dieser Strophe ist eigentlich nichts anders als die Beschreibung
des Grabes. Es wird hier mit einem Haus verglichen, was seine Grausamkeit
vermindert. Das ist auch ein Merkmal der Haltung des Ichs im Hinblick auf
den Tod, denn für das Ich ist das Grab eine neue Wohnung, also etwas
Freundliches, Lebensförderndes. Interessant ist aber die nächste Strophe im
Kontext des ganzen Gedichts:
Since then—'tis centuries— and yet
Feels shorter than the Day
I first surmised the Horses' Heads
Were toward Eternity—
Seit dann – Jahrhunderte sind vergangen – und trotzdem
Fühlt es sich kürzer als der Tag
An dem ich vermutete die Köpfe der Pferde
Gingen in Richtung Ewigkeit
In dieser letzten Strophe ist das Ich schon tot. Die Frage, die beantwortet
werden muss, lautet: was ist mit dem Begräbnis passiert? Warum fehlt es?
Die Antwort kann man in einem anderen Gedicht entdecken, nämlich im „I
felt a Funeral, in my Brain“. Die Hauptidee des Gedichts besteht darin, dass
puritanische Begräbnisse durch ihre Sinnlichkeit und Traurigkeit die Leidenschaften in der Seele wecken. Deswegen fehlt das Begräbnis in „Because I
could not Stop for Death“, zumal es die Atmosphäre stört. Anstatt die Leidenschaften zu beruhigen, verstärkt es diese.
ZGR 2 (44) / 2013
207
Andrei Nae
Literatur:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
ARISTOTELES: De Anima. New York: Oxford University Press, 2002, S. 434a6-435b1
DIXON, Thomas. From Passions to Emotions – The Creation of Secular Psychological
Category. New York: Cambridge University Press, 2003. S.30, 60
DICKINSON, Emily. The Complete Poems of Emily Dickinson. Hg. Johnson, Thomas H.
Boston and Toronto: Little, Brown and Company, 1960. S. 350
HARRISON, Peter. “Reading the Passions”. The Soft Underbelly of Reason: The Passions
in the Seventeenth Century. Hg. Stephen Gaukroger. London: Routledge, 1998. S. 51
KNUUTTILA, Simo. Emotions in Ancient and Medieval Philosophy. New York: Oxford
University Press. 2004. S. 169
SAARIEN, Risto. Weakness of Will in Renaissance and Reformation Thought. New York:
Oxford University Press, 2011. S. 133
SORABJI, Richard. Emotion and Peace Of Mind - From Stoic Agitation To Christian
Temptation - The Gifford Lectures. New York: Oxford University Press, 2000. S. 244-245
TALBOT, Mark R. “Godly Emotions (Religious Affections)”. A God-Entranced Vision of
All Things – The Legacy of Jonathan Edwards. Hg. Piper, John and Taylor, Justin.
Wheaton, Illinois: Crossway Books, 2004. S. 232
*****
Abstract:
The present article deals with a topic that to a certain extent seems to have
been eschewed by Emily Dickinson scholars, namely that of the influence European theology has had on the religious poetry written in America. In the
light of these influences, works, which may seem highly cryptic, gain a new
understanding that eventually provides solutions to what might have been
regarded as unsolvable conundrums. In my article I seek to give an account
of why in a poetry that describes with minute attention each step of a funeral
precisely the funeral is missing. In order to achieve this goal I shall shed light
upon how St. Augustine’s understanding of the passions influenced Emily
Dickinson through Calvin and explain that in fact the apparently illogic decision to leave out the event around which the poem was constructed is a sign
of conceptual consistency.
Schlüsselwörter: Augustinus, Johannes Calvin, Leidenschaften, Begräbnis, Theologie, Emily Dickinson.
208
ZGR 2 (44) / 2013
HYBRIDITÄT UND SPRACHE.
„Heimat“ in Herta Müllers Reisende auf einem Bein
Alexa Stoicescu
“…ich sitze auf der Betonbank eine von fünf vor
dem Frisiersalon die erste ist töricht die zweite
großäugig die dritte hinterlistig die vierte und die
fünfte das bin ich”1
Vorliegender Vortrag analysiert den in 1989 veröffentlichten Roman Reisende auf einem Bein von Herta Müller, den die die Schriftstellerin in (West)
Deutschland als erstes Werk veröffentlichte und der demzufolge die Auswanderung, die letzten Eindrücke aus dem Heimatland, bzw. die ersten Eindrücke im Gastland zum Hauptthema hat. Wie im Falle der meisten Werke
Herta Müllers ist auch hier eine Zusammenfassung des Inhalts umständlich.
Obwohl der Roman chronologisch erzählt wird, wird das Lesen durch Müllers gebrochenen Stil, durch Pausen zum Nachdenken und durch ausführliche Beobachtungen oder Träume erschwert. Der Text stellt außer den bereits
erwähnten Themen, die eine zwar evidente, jedoch täuschende Identifikation
der Protagonistin Irene mit der Schriftstellerin selbst zuwege bringt2, auch
Fragen über unterschiedliche Begriffe, unter anderen über die Heimat, die
kulturelle Identität, Grenze und Sprache, Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit.
Diesen Fragen nähere ich mich an und stelle einen Dialog über interkulturelle Identität und philosophische Begriffen her. Die Methode, die ich verwende, gehört zu großen Bereich der Cultural Studies. Ich wende dabei verschiedene Theorien und Begriffe an. Wir greifen im vorliegenden Vortrag auf das
Identitätskonzept Stuart Halls und auf Martin Heideggers Verhältnis zwischen dem Seienden und dem Nichts, beziehungsweise auf die Begriffe „Heimat“ und „Grenze“ zurück. Meine Forschungsfrage lautet demnach: Wie
könnte man die Begriffe „Identität“ und „Heimat“ in Müllers Erzählwerk
Reisende auf einem Bein orten und definieren? Die grundlegende Frage lautet dabei, welche Rolle kulturwissenschaftliche und philosophische Theorien
bei der Interpretation eines literarischen Werkes spielen können?
1 Herta Müller: Die blassen Herren mit den Mokkatassen. Carl Hausen Verlag, München
2005.
2 Müller nennt ihre Werke autofiktionall. Sie meint damit, dass ihre Romans sich auf die
Wirklichkeit beziehen, jedoch nicht damit verwechselt werden dürfen.
Alexa Stoicescu
Laut Brigid Haines nimmt der Roman Reisende auf einem Bein einen besonderen Platz im Gesamtwerk Herta Müllers ein. Zum Unterschied zu anderen
Texten der Autorin, deren Handlung sich in Rumänien abspielt, ist das Geschehen dieses Werkes in Westberlin angesiedelt und bezieht sich sowohl auf
Rumänien als auch auf Deutschland, lässt sich aber vor allem auf Erfahrungen im neuen Land ein3. Der Roman erzählt die Geschichte von Irene, einer fünfunddreißigjährigen Frau, die aus „dem anderen Land“ auswandert.
Dieses „andere Land“ wird von einem Diktator beherrscht und von einem
allgegenwärtigen Gefühl von Angst dominiert. Beide Länder bleiben im Buch
anonym. Obwohl unter den zwei Ländern Rumänien beziehungsweise
Deutschland vermutet werden können, soll hier diese Identifikation nicht
vorgenommen werden, um die von der Autorin gewünschte Ambiguität beizubehalten, zumal später auf den Begriff der „Grenze“ eingegangen werden
soll. Vor ihrer Auswanderung begegnet sie dem Deutschen Franz, mit dem
sie ein Verhältnis anfängt und der ihre einzige Kontaktperson im „anderen
Land“ ist. Nach einer fremdartigen Flugreise kommt Irene in einer kalten
und feindlichen Stadt an, die die Erinnerung an den Krieg und an die mit
ihm verbundene Gewalt mit sich trägt. Die Gewalt ist überall anwesend, sowohl in der Vergangenheit, als auch in der Gegenwart4. Ihre Fremdheit begegnet in der neuen Stadt einer anderen Fremdheit. Sie wird zuerst in einem
Übersiedlerheim untergebracht, aber kurz darauf wird für sie eine Wohnung
gefunden. In diesem ganzen Geschehen wirkt sie argwöhnisch, unfreundlich
und undankbar den Sacharbeitern gegenüber. Sie will nicht als Dissidentin
bezeichnet werden und vertraut niemandem.
Die Stimmung bleibt im ganzen Buch kühl und unangenehm. Sie stellt sich
durch mangelnde Kommunikation zwischen den Menschen ein und wird
durch die Kälte und die ständige Zugluft gesteigert. Irene fühlt sich nicht zu
Hause, aber sie hat auch kein Heimweh5 (vgl. RB, 55). Sie lebt vor sich hin,
passiv, sie beobachtet und analysiert ihre Umgebung, aber sie zeigt kein besonderes Interesse. Sie wird von einer Gleichgültigkeit und einer Einsamkeit
3 Vgl. Brigid Haines: Herta Müller. Reisende auf einem Bein (1989) In: Haines, Brigid și Margret Littler. Contemporary Women’s Writing in German. Changing the Subject. Oxford University Press, Oxford 2004. S. 100.
4 Irene schaut sich lange das Bild eines erschossenen Politikers an. Es geht um Uwe Barschel,
der vergiftet in seiner Genfer Hotelzimmer angetroffen wurde.
5 Zitiert wird aus Herta Müller: Reisende auf einem Bein. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
2010. Weiter als RB angegeben.
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Hybridität und Sprache. 'Heimat' in Herta Müllers „Reisende auf einem Bein“
charakterisiert, die für den Reisenden auf einem Bein kennzeichnend ist. Das
sind „Reisende auf einem Bein und auf dem anderen Verlorene“ (RB, 98).
Irene interagiert im Laufe des Romans mit verschiedenen Figuren, die meistens Männer sind: Stefan, ein Freund von Franz, Thomas, ein Homosexueller, ein polnischer Arbeiter, über den Irene oft fantasiert, und ein Bettler.
Das allgemeine Thema liegt aber weniger in der Handlung der Personen, als
vielmehr in der Art, in der sie charakterisiert, sowie im harten Stil, in dem sie
beschrieben werden. Die Gestalten sind bei Herta Müller nur Fragmente,
Bruchstücke, Teile. Ihre objektive, robuste, strenge und reservierte Schreibweise macht die Identifikation mit den Personen oder mit der Umgebung unmöglich. Haines beschreibt Müllers Stil folgendermaßen:
The laconic third-person narrative voice refuses to provide an interpretative
framework, and reproduces in short, open-ended sentences, which are often
not integrated into paragraphs, surface snapshots of what Irene sees and
does.6
Müller schreibt “poetische Prosa“7, eine Art Prosa, die sich für das Detail interessiert, für den Teil und nicht für das Ganze. Herta Müllers Werke sind
keine unterhaltende Lektüre, sondern eine Literatur, die den Leser konfrontiert.
|Hybridität|
Bereits der Titel dieses Romans gibt an, dass es möglich ist, Fragen zum
Identitätsproblem zu stellen. Die Figuren in diesem Buch scheinen keine stabile Identität zu haben und fragen sich, wie sie sind oder warum sie nicht
mehr ihrem ehemaligen Seinszustand gleichen. Stuart Halls Theorie scheint
äußerst geeignet, um diese Problematik besser zu verstehen.
Stuart Hall ist ein in Jamaika geborener britischer Soziologe, der das Konzept „Hybridität“ benutzt, um eine bestimmte Form von Identität zu beschreiben. Die Hybridität ist für ein Individuum bezeichnend, das gleichzeitig in verschiedenen Kulturen lebt und somit eine neue hybride Identität entwickelt. Heutzutage leben durch die Globalisierung viel mehr Menschen in
einer multikulturellen Gesellschaft, sprechen gleichzeitig mehrere Sprachen,
6 Haines, a.a.O., S. 103.
7 Vgl. Ebd. S. 99.
ZGR 2 (44) / 2013
211
Alexa Stoicescu
gehören zugleich verschiedenen Diskursen und teilen andere Bedeutungssysteme. Die Identität dieser Personen ändert sich folglich. Hall sieht die Identität als eine fragmentierte, sich immer verändernde Identität.8
Um Halls Identitätskonzept zu verstehen, muss zunächst seine Auseinandersetzung mit dem Begriff „Bedeutung“ erklärt werden. Es geht dabei um dynamisches, fließendes Konzept, das sich ununterbrochen ändert und immer
wieder neu definiert werden muss. „Meanings shift and are always open to
interpretation”9, meint Hall. Die Bedeutung steht in einem engen Zusammenhang mit dem Spiel von Ähnlichkeit und Differenz:
[…] similarities and differences, continuities and new elements, marked by
ruptures and always crosscut by difference. Its meanings are the result of a
constant, ongoing process of cultural negotiation which is constantly shifting
and changing its contours.10
Hall führt hier noch einen relevanten Begriff ein, nämlich seine Interpretation von der Diaspora, die er versteht „by a conception of ‘identity’ which lives
with and through, not despite difference; by hybridity.”11 Die Diaspora lebt
durch diese Differenz und begrüßt ihr eigenes Anders-Sein. Das in einer Diaspora lebende Individuum gehört nicht einer einzigen Welt an. Es hat gelernt
„to negotiate and translate between cultures, and […] have learned to live
with, and indeed to speak from, difference.”12 Das Individuum definiert sich
demnach in einem ständigen Wechselspiel, im Verhältnis zu dem Anderen:
“Nur wenn es einen Anderen gibt, kannst du wissen, wer du bist.” 13 Die Grenze zwischen Ich und dem Anderen ist aber keine stabile Linie, sondern ein
fließender Versuch, diese Grenze zu erläutern, der jedoch nie vollständig
vollbracht werden kann. Der kontinuierliche Charakter dieser Dynamik weist
darauf hin, dass man besser von Identitäten im Plural sprechen sollte, bezie8 Vgl. Stuart Hall. New Cultures for Old? In: Oakes, Timothy și Patricia L. Price (Hrsg.) The
Cultural Geography Reader. Routledge, New York 2008, S. 265.
9 Ebd., S. 266.
10 Ebd., S. 269.
11 Stuart Hall: Cultural Identity and Diaspora. In: Rutherford, J. (Hrsg.) Identity, community, culture, difference. Lawrence and Wishart, London 1990. S. 235.
12 Stuart Hall: New Cultures for Old?, a.a.O., S. 273.
13 Stuart Hall: Ethnizität: Identität und Differenz. In: Engelman, Jan (Hrsg.): Die kleinen
Unterschiede. Der Cultural Studies-Reader. Campus-Verlag, Frankfurt 1999. S. 93.
212
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Hybridität und Sprache. 'Heimat' in Herta Müllers „Reisende auf einem Bein“
hungsweise davon, dass eine Person gleichzeitig verschiedene Identitäten
haben kann.
Hall versteht also die hybride Identität als kennzeichnend für die Individuen,
die gelernt haben, in einer multikulturellen Umgebung zu leben, die zwischen den verschiedenen Identitäten, Diskursen und Kulturen pendeln können und die Fähigkeit besitzen, sich ständig neu zu definieren.
Obwohl Hall diese Identität aus einem postkolonialen Kontext herausarbeitet, kann dieser Begriff meiner Meinung nach auch im Falle der interkulturellen Schriftsteller verwendet werden, die immer zwischen verschiedenen
Identitäten hin- und her wechseln müssen. Auch Brigid Haines identifiziert
diese hybride Identität in Müllers Roman, aber nennt sie „nomadic subject“,
nach dem Konzept von Rosi Braidotti, welches trotz der vielen Gemeinsamkeiten mit Halls Begriff auch einen wichtigen Unterschied enthält. Der Nomade ist vollkommen entwurzelt und hat seine neue Identität oder den Mangel an einer Identität schon akzeptiert, während sich das Individuum mit einer „Diaspora-Identität“ weiterhin auf der Suche nach seiner Identität befindet und seine neuen Wurzeln zu finden versucht.
Irene befindet sich in Reisende auf einem Bein auch auf einer derartigen
Identitätssuche. Sie gehört gleichzeitig verschiedenen Kulturbereichen an:
der rumänischen, der banat-schwäbischen und der deutschen. Sie wohnte in
Rumänien, wo sie der schwäbischen Minderheit oder Diaspora angehörte,
und ist nach Deutschland ausgewandert, wo sie einer neuen Diaspora zugeordnet wird. Der Roman beschreibt, wie sie zwischen diesen verschiedenen
Kulturen und Identitäten lebt und sie zu definieren versucht. Irene spricht
mehrere Sprachen, hat mehrere „Heimaten“ und scheint die Fähigkeit zu besitzen, Alter Egos zu haben.
Diese Mehrfachidentität wird meistens durch das Schauen in einen Spiegel
oder durch das Betrachten eines Fotos erreicht. Während Psychoanalytiker
wie Jacques Lacan das Schauen in den Spiegel als das erste Stadium in der
Identitätsstiftung eines Individuums deuten, spielt diese Möglichkeit in Müllers Roman die entgegengesetzte Rolle. Irene merkt in diesen Fällen, dass es
auch eine andere Irene gibt. Das „Aha-Erlebnis“, von dem Lacan spricht,
kommt in Reisende auf einem Bein nicht vor. Um das zu illustrieren, möchte
ich verschiedene Textbeispiele anführen. Kurz vor ihrer Abreise nach Westberlin, nimmt Irene Passfotos, auf denen sie „eine bekannte Person“ sieht,
„doch nicht wie sich selbst. […] Eine fremde Person hatte sich eingeschlichen
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213
Alexa Stoicescu
in Irenes Gesicht“ (RB, 18). Mit der Näherung ihrer Auswanderung erscheint
die „andere Irene“ – „Irene hatte den Pass mit dem Foto der anderen Irene
in der Handtasche durch die Stadt getragen“ (Ebd.). Als sie in Deutschland
ankommt, wird sie abgeholt und begrüßt mit den Wörtern: „Du bist Irene.
Die Beschreibung trifft nicht zu.“ (RB, 25). In Deutschland ist die andere
Irene aus dem Flugzeug ausgestiegen, aber sie hat auch dort keine stabile
Identität. Nach einiger Zeit versucht sie wieder Fotos in einem Automaten zu
machen, aber sie wird erneut enttäuscht:
Und wie in dem anderen Land, wie auf den Passfotos, war auch auf diesen
Fotos eine fremde Person. | Auch auf den Fotos des Automaten war die andere Irene. (RB, 54)
Sowohl in Rumänien als auch in Deutschland leidet Irene unter dieser doppelten, hybriden Identität. In Rumänien war sie schwäbisch, also fremd, in
Deutschland ist sie Asylantin oder Osteuropäerin, also auch fremd. Das Gefühl wird als eine Tatsache vorgestellt, die nicht zu verleugnen ist, die positiven, aber auch negativen Gefühle aufkommen lässt. Die Ambivalenz gegenüber der hybriden Identität ist überall anzutreffen. Zum einen hat Irene ihr
Ziel erreicht, nämlich das Land des Diktators zu verlassen, aber zum anderen
meint sie auch im neuen Land, den Diktator zu sehen. Sie freut sich nicht,
wenn sie die Aufenthaltsgenehmigung bekommt, sie kann keinen echten Beziehungen anknüpfen, sie irrt durch die Stadt und findet sich umgeben von
Kälte. Sie stolpert ohne Grund, sie kann nur Teile der Menschen sehen – die
Frau mit dem Koffer, die Frau mit dem Lilienstrauß, die Frau im Pelz, die
Frau mit dem Hut (vgl. RB, 33 f). Und sie weiß nicht wohin: „Und kein
Grund drängte Irene zum Bleiben. Und keiner zum Gehn“ (RB, 40). Es gibt
keine genaue Grenze mehr zwischen Gehen und Bleiben. Die Grenze ist, so
wie Hall sie auch beschreibt, fließend und beweglich.
Der Roman erkennt auch im nationalen Sinn keine stabile Grenze. Nationale
Identitäten werden durch einen bestimmten geografischen Raum definiert.
In Reisende auf einem Bein wird diese Identifikation vor allem durch die
Ambiguität zwischen den zwei Ländern verhindert. „Das andere Land“ steht
für beide Länder, was bedeutet, dass die Grenze zwischen den beiden keine
genaue ist. Am Anfang des Romans schaut Irene die Soldaten an: sie „gehörten der Grenze des anderen Landes, wie die Soldaten der Grenze des anderen
Landes gehörten“ (RB, 8). Sie gehören dieser Grenze, die sich außerdem an
der Küste befand. Das Ende des Landes ist wie das Wasser, das zuschlug und
214
ZGR 2 (44) / 2013
Hybridität und Sprache. 'Heimat' in Herta Müllers „Reisende auf einem Bein“
wegfloss (vgl. RB, 7). Wenn man diese Grenze mit Halls Theorie betrachtet,
kann man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass sie einen fließenden und
provisorischen Charakter aufweist. Da die Grenze und die Identität nichts
Festes darstellen, müssen sie definiert werden, mit ‚Bedeutung’ gefüllt. Mit
Hilfe von Stuart Halls Theorie habe ich gezeigt, dass dieser Roman zur interkulturellen Literaturgeschichte gehört. Im Folgenden versuche ich mithilfe
von Heiddeggers „Heimat“-Begriff eine mögliche Erläuterung dieses Konzeptes zu bieten und zu zeigen, dass das Werk von Herta Müller einer bestimmten philosophischen Tradition verpflichtet ist.
|Heimat|
Haines erklärt die in diesem Roman beschriebenen Erfahrungen durch das
Trauma, woran Irene seit ihrer Auswanderung leidet. Die Wissenschaftlerin
ordnet das Werk von Herta Müller in einer Reihe von Werken von Überlebenden des zweiten Weltkrieges ein.14 Obwohl das Traumakonzept sehr
brauchbar ist, insbesondere um Müllers Überzeugung zu illustrieren, dass es
keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Faschismus und dem Kommunismus gibt, habe ich mich hier entschieden, eher die Begriffe Heimat
bzw. Heimatlosigkeit zu benutzen, weil diese in der Dichotomie heimisch fremd eine vorteilhaftere Rolle spielen und weil Irenes innere Zerrüttung
schon vor ihrer Emigration eintrat15. Ich zeige weiter, dass die Heimatlosigkeit, an der Irene in Reisende auf einem Bein leidet, mithilfe der Philosophie
Martin Heideggers besser verstanden werden kann, wodurch die Dimension
der Romanfiguren gesprengt und dem allgemeinen Mensch- und Weltbild
Herta Müllers näher gerückt werden kann.
Bevor ich mich mit Heideggers Philosophie auseinandersetze, gebe ich eine
kurze Darstellung von dem, was ich Heimatlosigkeit in Reisende auf einem
Bein genannt habe. Es geht dabei um einen Mangel an Heimatsgefühl, um
eine Entwurzelung, um eine existenzielle Leere oder um den Wunsch nach
dem Nichts, dem Abgrund, um ein Bewusstsein von der Sinnlosigkeit des Lebens. Irenes Leben steht im Zeichen eines Schildes, das sie in „dem anderen
Land“ gefunden hatte. Auf dem Schild „fiel ein Mann mit dem Kopf nach un14 Vgl. Haines, a.a.O., S. 104 ff.
15 Der Literaturwissenschaftler Cosmin Dragoste teilt auch die Meinung, dass die Verfremdung Irenes eher ein innerliches Prozess ist (Vgl. Cosmin Dragoste: Herta Müller – Metamorfozele terorii. Aius, Craiova 2007, S. 123).
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215
Alexa Stoicescu
ten. Auf dem Schild stand: Gefahr ins Leere zu stürzen. […] Irene hatte die
Warnung auf ihr Leben bezogen. Und auf das Leben aller, die sie kannte“
(RB, 90). Eine mögliche Erklärung für diese Leere sind das Leben im Kommunismus und die Angst vor den Verhören der Securitate, jedoch verschwindet diese Gefahr des Schildes auch in Deutschland nicht. Die Leere ist vielleicht im „anderen Land“ entstanden aber das „andere Land“ ist ein relativer
Begriff, wie ich bereits weiter oben gezeigt habe. Irene trägt in sich ein Gefühl des Abschieds sowohl am Anfang des Romans als auch am Ende. Der
letzte Satz des Buches, der auch eher im Textinnern vorkommt, lautet: „Irene
weigerte sich, an Abschied zu denken“ (RB, 176). Es kann nicht die Rede von
einem physischen Abschied der Autorin sein, da sie schon lange aus dem
„anderen Land“ ausgewandert war. Das Gefühl des Abschieds ist immer anwesend und wird sie immer begleiten. Sie kennt keine Gründe zum Gehen
oder zum Bleiben, ihre Tage sind „hell und leer“ (RB, 9), sie lebt immer auf
den Abend zu, sie wird eine „Zauderin“ genannt, sie ist nur halb am Leben:
Der Koffer stand lange geschlossen im Flur, als wäre Irene nur halb am Leben. Sie konnte nicht denken, nicht gehen. Ob sie sprechen konnte, sie versuchte es. Ob das gesprochen war, sie wusste es nicht. (RB, 41)
Sie weigert sich, sich heimisch zu fühlen, sich eine neue Heimat zu wählen,
wahrscheinlich weil das nach der Entwurzelung überhaupt nicht mehr möglich ist. Auf der Wand in ihrer leeren Wohnung hängt sie eine Collage auf,
ein kohärentes Bild ist unmöglich. Der Bettler sagt ihr später im Laufe des
Romans: „Dein Bild ist leer, Irene. Nicht nur leer. Auch tot“ (RB, 156). Irene
hat Interesse nur für das Leiden, für die Gewalt, für marginalisierte Menschen. Franz wirft Irene vor, dass jedes Mal, wenn sie Blätter sieht, nur an
Gräber denkt (vgl. RB, 92). Irenes Welt ist kalt.
Ein Graffiti auf einer Wand, dessen Hauch die Menschen spüren, wenn sie
vorbeilaufen, enthält den Text: „KALTES LAND KALTE HERZEN“ (RB, 97).
Für Irene gibt es keine höhere Bedeutung, die Sachen sind so wie sie sind.
Sie sagt Franz: „Das eine ist mein Bild, das andere ist dein Bild […] Dazwischen gibt es nichts“ (RB, 92). Irene weiß, dass es zwischen ihr und einer anderen Person, aber auch zwischen den Anderen keine Gefühle geben kann.
Sie sieht nur Kälte und Leere um sie herum. Die einzige menschliche Wärme,
die sie fühlt, kommt aus dem Fotoautomaten in der neuen Stadt: „Irene
wusste, dass im Gehäuse des Automaten ein Mann stand. Denn das Foto war
warm. Es war Körperwärme“ (RB, 53f). Aber diese Wärme ist eine Täuschung. Sie kann keine Geborgenheit zu Mitmenschen fühlen und kann sich
216
ZGR 2 (44) / 2013
Hybridität und Sprache. 'Heimat' in Herta Müllers „Reisende auf einem Bein“
nirgendswo heimisch fühlen, sie hat aber auch kein Heimweh. Sie denkt oft
an ihr Heimatland, aber sie vermisst es nicht. Ihr Ortswechsel führte sie in
die Heimatlosigkeit. Aber wo und wann hat eigentlich dieser Ortswechsel
stattgefunden? Auf dieser Frage komme ich später noch zurück.
Die Entwurzelung hat bei Herta Müller außer politischen auch metaphysische Gründe, die ich anhand von einigen Begriffen aus Heideggers16 umfangreichem Werk erläutern möchte. Zum einen schimmert in Herta Müllers
Menschbild Heideggers eigenes Menschbild durch. Für den Philosophen
muss das Sein eigentlich die Bezeichnung „Dasein“ tragen, da der Mensch in
der Welt lebt und eine bestimmte Geschichte, eine genaue Zeit erlebt. Das
Dasein wird in einen bestimmten Kontext dieser Welt geworfen, aber es
bringt auch die restliche Welt mit sich, die Welt als Ganzes. Jedoch kann das
Dasein seine eigene Geburt nicht wählen und darunter leidet es, aber es kann
und muss seinen eigenen Weg finden. In ihm liegen vielfache Möglichkeiten
verborgen, und Heidegger meint darum, dass das Dasein die Summe seiner
Möglichkeiten ist. Der Mensch könne entscheiden, ob er sein oder nicht sein
möchte.
Dennoch bedeutet das nicht, dass das Dasein sein Leben enden darf, sondern
dass es entscheiden muss, wie es leben will. Der Philosoph macht den Unterschied zwischen Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, nämlich zwischen den
zwei Möglichkeiten, das Dasein zu wählen. Die meisten Menschen haben,
laut Heidegger, ein uneigentliches Leben und ahmen andere nach. Auf der
anderen Seite bedeutet „das eigentliche Leben“ dem eigenen Dasein treu zu
sein, selbst Entscheidungen zu treffen und dafür verantwortlich zu sein. Das
eigentliche Dasein denkt nach und stellt sich philosophische Fragen. Aber
der Mensch hat beschränkte Möglichkeiten, da er in die Welt hineingeworfen
wurde. Als Analogie zu Herta Müllers Figuren bedeutet dies, dass Irene nicht
wählen konnte, nicht im Kommunismus, sondern in einen anderen Kontext
hineingeboren zu werden., sie kann jedoch entscheiden, auf welcher Art und
Weise sie mit ihrem Dasein leben will. Der Denker ist eine besondere Kategorie des Daseins. Er ist ein eigentliches Dasein und besitzt die Fähigkeit, die
Welt anders als das alltägliche Dasein zu sehen und zu verstehen.
Zum anderen muss hier Heideggers Interpretation von Nietzsches Nihilis16 Es gibt keine Entschuldigung für Heideggers Kollaboration zur Zeit des Nationalsozialismus. Ich bespreche aber die Begriffe Nihilismus, Heimat und Dasein in ihrer apolitischen
Ausprägung, so wie Heidegger es auch zu tun versuchte.
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Alexa Stoicescu
mus näher erklärt werden, der letztendlich zum Begriff Heimat führt. Das eigentliche Dasein denkt auch über das Nichts nach, oder mit Heideggers Worten: „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“ 17 Die Frage
nach dem Nichts führt den Philosophen zu einer Auseinandersetzung mit
Nietzsches Nihilismus. Nietzsche nannte den Nihilismus “der unheimlichste
aller Gäste” – “Der Nihilismus steht vor der Tür: woher kommt uns dieser
unheimlichste aller Gäste?”18 Der Nihilismus ist ein Gast, der hereingelassen
werden muss, aber ein unheimlicher Gast. Für Nietzsche tritt der Nihilismus
dann ein, wenn man einen Verlust der Werte feststellt, wann „die obersten
Werte sich entwerten. Es fehlt das Ziel; es fehlt die Antwort auf das
<Warum>?“19 Die obersten Werte sind für Nietzsche in der christlichen Moral verkörpert, die Jahrzehnte lang das Heilmittel gegen den Nihilismus war,
die aber jetzt gescheitert ist.
Für Heidegger hat aber der Nihilismus nichts mit Werten zu tun, sondern es
geht ihm um eine metaphysische Frage nach dem Nichts, was eigentlich
gleichzeitig die Frage nach dem Sein bedeutet. Während für Nietzsche der
Nihilismus als eine Entwertung verstanden werden muss, sieht Heidegger
diesen Prinzip als eine Entwurzelung, als eine Vergessenheit des Seins. Wer
aber nach dem Nichts fragt, verkörpert laut Heidegger keinen Nihilisten,
sondern ein eigentliches Dasein. Der Nihilist verleugnet den Unterschied
zwischen Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit und lebt nur, indem er Anderen folgt.
Weil das Dasein unmittelbar in dieser Welt lebt, leidet er an Heimatlosigkeit,
wenn er sich selbst außer Acht lässt. Es ist aber nicht einfach, eine Heimat zu
finden. Heidegger versteht Heimat nicht in einem nationalen Sinn. Weiter
oben erwähnte ich den privilegierten Platz des Denkers, der sich philosophische Fragen stellen kann und so ein eigentliches Leben führt. Dem Dichter
ist auch eine derartig bevorzugte Stellung zuzuweisen. Sowohl der Denker als
auch der Dichter können sich Fragen über das Nichts stellen. Der Dichter
aber beschreibt nicht. Das Schreiben über das Nichts ist keine unvermittelte
Tätigkeit. Der Dichter treibt eher ein „Hinzeigen“ zum Nichts und in diesem
„Hinzeigen“ kann der Dichter eine Heimat finden. Shane Weller beschreibt
in seinem Buch Literature, Philosophy, Nihilism: The Uncanniest of Guests
17 Martin Heidegger: Einführung in die Metaphysik. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1953, S. 1.
18 Friedrich Nietzsche: Der Wille zur Macht. Versuch einer Umwertung aller Werte. Alfred
Kröner Verlag, Stuttgart 1996, S. 7.
19 Ebd., S. 10.
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Hybridität und Sprache. 'Heimat' in Herta Müllers „Reisende auf einem Bein“
(2008), wie dieser Prozess vor sich geht:
[…] in Heidegger’s thinking of poetry as that which counters ‘real nihilism’
the emphasis falls first upon an experience of the border (Grenze) and then
upon a confrontation (Auseinandersetzung) with the foreign (das Fremde)
that requires passage beyond the borders of that which is one’s own (das Eigene) in the interest of founding of a homeland (Heimat) for an ‘historical
people’.“20
Nietzsche war der Meinung, dass der Nihilismus überwunden werden muss
und dass die Zeit gekommen war, um neue Werte zu schöpfen. Heidegger
aber spricht von einer Auseinandersetzung mit dem Nihilismus, von einer
Erfahrung an der Grenze des Nichts, von einer Beschreibung dieser Grenze,
aber nicht von Überwindung, von keinem Schritt nach vorn, von keiner
Überschreitung, sondern von einer Rückkehr zum Wesen des Seins, bzw. von
einer kritischen Beobachtung dieser Grenze. Nur in der Dichtung, und Heidegger spricht dabei vor allem über das Werk Hölderlins, könne der „geschichtliche Mensch“ eine Heimat finden. Im Schreiben erlebt der Dichter
seine Heimat, sein Zu-Hause-Ankommen, sein Heimischwerden.
Ich sehe in der Figur Irenes ein Beispiel für ein derartiges eigentliches Dasein. Ihre mehrfache Identität und ihre Weigerung, eine neue Heimat zu akzeptieren, kann als ihre Eigentümlichkeit, dem Dasein Möglichkeiten offen
zu halten, interpretiert werden. Sie hätte wählen können und eine Chance
aufs Glück haben, sie tut dies aber nicht. An mehreren Stellen im Roman erklärt Irene, dass sie nicht an schöne Sachen denken will (vgl. RB, 17). Sie findet das Nachahmen, also das uneigentliche Leben, viel schwieriger, wie das
folgende Zitat zeigt: „Das Nachahmen war schwerer als das Erfinden“ (RB,
26). Sie erfindet ihr Leben und lebt authentisch – im Sinne Heideggers. Ihre
Umgebung muss auch erfunden werden: „Das war ein Zusammenhang zwischen Irene und der Stadt. Doch, er war mühsam, der Zusammenhang, oft
zwischen Stadt und Schädel so verstreut, dass Irene ihn erfinden musste”
(RB, 166). Irene ist in der Großstadt Berlin eine Beobachterin, sie schaut,
aber moralisiert nicht. Sie zieht keine Schlussfolgerungen, sie äußert keine
Meinung. In ihrer verfremdeten Art und Weise nimmt sie ihre Umgebung
wahr. Sie wählt, stets provisorisch zu leben, und ist ständig in der U-Bahn,
20 Shane Weller: Literature, Philosophy, Nihilism: The Uncanniest of Guests. Palgrave Macmillan, Basingstoke 2008, S. 50.
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Alexa Stoicescu
im Zug, im Flugzeug, um nie an einem Ort bleiben zu müssen.
Haines bespricht Müllers Stil und benutzt den Ausdruck „der fremde Blick“,
der sich, nach Meinung der Wissenschaftlerin, infolge ihres Traumas entwickelte.21 Allerdings behauptet Müller selbst, dass sie bereits in Rumänien mit
anderen Augen zu sehen vermochte. In der Essaysammlung Der König verneigt sich und tötet (2009), spricht die Autorin über den Einfluss der rumänischen Sprache: „Fast jeder Satz war ein anderer Blick. Das Rumänische sah
die Welt so anders an, wie seine Worte anders waren.“22 Es stellt sich also
heraus, dass ihr „fremder Blick“ schon in Rumänien am Werk war und ihrer
mehrfachen linguistischen Hybridität zuzuschreiben ist. Für Herta Müller
geschieht die Auseinandersetzung mit dem Fremden durch die Sprache. Die
Schriftstellerin benutzt eine ungewöhnliche Mischung des Rumänischen,
Schwäbischen und Hochdeutschen, die auf den Leser eine verfremdende
Wirkung ausübt. Sie übersetzt rumänische Lieder ins Deutsche, formt ihre
Bedeutung dadurch stark um und erfindet neue Wörter, wie „Herztier“,
„Atemschaukel“, „Mundhimmel“. Ihr Weltbild wird durch die Sprache gebildet. Diese Idee kann auch in Reisende auf einem Bein gefunden werden. Irene vergleicht immer das Deutsche, das sie in der neuen Stadt hört, mit dem
Rumänischen. An einer Stelle wirft Thomas ihr das vor: „Ja, dort spricht
man eine andere Sprache. Wieso vergleichst du immer. Es ist doch nicht deine Muttersprache“ (RB, 110). Doch das Konzept der Muttersprache, ebenso
wie jenes der Heimat, ist schwierig zu definieren.
In ihren Essays schreibt Müller: “Heimat ist das, was gesprochen wird.” 23 In
diesem Zitat kommen die Theorien Halls und Heideggers zum Vorschein.
Die Heimat und die Identität trägt man mit sich, sie ist nicht an einem geografischen Ort gebunden. Herta Müller gibt auch eine Definition ihrer Heimat als die Sprache, die sie benutzt. Die Sprache reist zusammen mit den
„Reisenden“ und darum kann „Heimat“ überall bestehen. In Reisende auf einem Bein befindet sich „Heimat“ in der Struktur der Sprache, auf der Satzebene, in den unzähligen Wortspielen. Genauso wie Irene es abweist, um ihr
neues Zuhause zu akzeptieren, so weigert sie sich, eine deutliche Bedeutung
der Wörter anzunehmen. Stefan wirft ihr vor: „Du bist akribisch, du hängst
dich an jedes Wort. Wieso hängst du dich an jedes Wort“ (RB, 158). Sie
21 Vgl. Haines, a.a.O., S. 104f.
22 Herta Müller: Der König verneigt sich und tötet. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009.
S. 25.
23 Ebd., 30f.
220
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Hybridität und Sprache. 'Heimat' in Herta Müllers „Reisende auf einem Bein“
assoziiert ständig und will die geläufige Bedeutung nicht akzeptieren. Ein
Sachbearbeiter vom Ausländeramt fragt Irene ob sie Heimweh habe, was sie
verneinte. Er formulierte darauf um und fragte, ob sie oft zurückdenke, worauf sie ja sagt. Sie meint dann aber, dass es zwei unterschiedliche Sachen seien (vgl. RB, 55). Sie habe kein Heimweh, weil sie ihre Heimat mit sich trage.
***
Vorliegender Beitrag schöpft die anvisierte Thematik sicherlich nicht aus. Interessante Fragen nach der Gender-Problematik könnten noch gestellt werden ebenso wie nach den erotischen Beziehungen Irenes zu Franz, Stefan
und Thomas. Weitere Themen könnten noch besprochen werden - so etwa
Irenes Angst vor Kindern, das Interesse Irenes für Schuhe und vieles andere
mehr.
Versucht wurde zu zeigen, dass die Philosophie als Mittel benutzt werden
kann, um die Literatur besser zu verstehen, und dass sich beide gegenseitig
beeinflussen. Heideggers Überzeugung, dass sowohl das Philosophieren als
auch das literarische Schreiben das Außerordentliche be- und hinterfragt
und uns wesentlich dazu verhilft, die Welt zu verstehen, soll als zwingende
Schlussfolgerung unserer Untersuchung gelten.
Literatur:
1.
Critchley, Simon: Very little...almost nothing. Death, Philosophy, Literature. Routledge,
London/New York 1997.
2.
Dragoste, Cosmin: Herta Müller – Metamorfozele terorii. Aius, Craiova 2007.
3.
Haines, Brigid: Herta Müller. Reisende auf einem Bein (1989) In: Haines, Brigid și
Margret Littler. Contemporary Women’s Writing in German. Changing the Subject. Oxford University Press, Oxford 2004. S. 99-117.
4.
Hall, Stuart: Cultural Identity and Diaspora. In: Rutherford, J. (Hrsg.) Identity, community, culture, difference. Lawrence and Wishart, London 1990. S. 222-237.
5.
Hall, Stuart: Ethnizität: Identität und Differenz. In: Engelman, Jan (Hrsg.): Die kleinen
Unterschiede. Der Cultural Studies-Reader. Campus-Verlag, Frankfurt 1999. S. 83-98.
6.
Hall, Stuart: New Cultures for Old? In: Oakes, Timothy și Patricia L. Price (Hrsg.) The
Cultural Geography Reader. Routledge, New York 2008. S. 265-274.
7.
Heidegger, Martin: Einführung in die Metaphysik. Max Niemeyer Verlag, Tübingen
1953.
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221
Alexa Stoicescu
8.
Müller, Herta: Die blassen Herren mit den Mokkatassen. Carl Hausen Verlag, München
2005.
9.
Müller, Herta: Der König verneigt sich und tötet. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
2009.
10. Müller, Herta: Reisende auf einem Bein. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010.
11. Nietzsche, Friedrich: Der Wille zur Macht. Versuch einer Umwertung aller Werte. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1996.
12. Weller, Shane: Literature, Philosophy, Nihilism: The Uncanniest of Guests. Palgrave
Macmillan, Basingstoke 2008.
13. Woodward, Kath: Understanding Identity. Arnold Publishers, London 2002.
*****
Abstract:
This article engages in a search of the concept of ‘Heimat’, i.e. home or homeland, in
Herta Müllers 1989 novel Reisende auf einem Bein (translated as Travelling on one
leg, 1998). The novel recounts the story of Irene, a young Romanian girl, shortly before and after her emigration into ‘the other land’. The essay proposes a dialog and a
negotiation between the primary text and, firstly, Stuart Halls theory on cultural
identity and border, as well as, secondly, the notion ‘Heimat’ and Martin Heidegger’s
‘authentic Dasein’, and puts forward ‘hybridity’ and ‘language’ as key concepts when
dealing with ‘Heimat’ in Herta Müllers work. Irene has a counterpart, ‘the other Irene’ and shows throughout the novel a hybrid identity. The border between the I and
the other is not a fixed one, but a fluidity that challenges also the national borders of
the ‘homeland’, ultimately destroying the traditional concept of ‘Heimat’. Irene
seems to be defines by a homelessness that is not only territorial, but also existential.
She feels emptiness and coldness and no Heimweh. This lack of (need for) Heimat
represents for Heidegger a search towards the nothing and simultaneously the only
authentic way to define Dasein and to live. By refusing a fixed identity and a stable
homeland, Irene engages paradoxically in a true and authentic pursuit of Heimat.
Finally, the conclusion proposes another definition of Heimat in the realm of the
literary writing, with additional emphasis on the specific language that Herta Müller
uses.
Schlüsselwörter: Herta Müller, Reisende, Identität, Heimat, Grenze, Sprache,
Hall, Eigentlichkeit, Dasein, Heidegger, Nihilismus, Nietzsche.
222
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ZU DEN ANFÄNGEN DER SCHULE
bei den Siebenbürger Sachsen
Petra Antonia Sârb
1 Gründung der Schule. Welche Rolle und welchen Einfluss hatte
die Kirche?
Das Dasein unserer Nationalität knüpft sich, vielleicht wie bei keinem anderen Volk in der Welt, so
nahe an die Kirche und Schule.
(Stefan Ludwig Roth)
1.1 Das Eigenrecht von Gemeinde und Schule in der vorreformatorischen Zeit
In der vorreformatorischen Zeit gab es schon längst ein enges Verhältnis zwischen der Kirche und der Schule. Das war eigentlich eine entscheidende Bedingung bei den Siebenbürger Sachsen und deren Entwicklung des Schulwesens und der Erziehung.
Die damalige Kirche brauchte Mitwirkende für die Gottesdienste, und es
wurden erstens Kinder in dem entsprechenden Alter unterwiesen, zweitens
war eine Ausbildung für geistliche Sorgen nötig. Folglich können wir die Entstehung der Schulen nachvollziehen, die zum geistlichen Dienst vorbereiten,
die aber die Ausgebildeten auch zur Übernahme von öffentlichen Ämtern in
der Gemeinde, beispielsweise Notar, Schreiber, einstellen.
Nun kann man sagen, dass sich die Schule in sehr engen Verhältnissen mit
der Kirche befand, dass sie eigentlich wegen der Kirche gegründet wurde.
Desgleichen muss man aber die Doppelstellung der Schule in der vorreformatorischen Zeit in Betracht ziehen:
 die Schule wurde von der Gemeinde gegründet, wobei der „Rector“
(Schulmeister) wie der Pfarrer, von der Gemeinde gewählt, aber auch
entlohnt wurde;
 desgleichen befindet sich aber die Schule unter der Leitung des Pfarrers (also der Kirche); er muss zum Beispiel bei der Wahl des „Rectors“ zustimmen.
Auch im Kontext der Doppelstellung der Schule waren die Aufgaben des
„Rectors“ angegeben. Er soll gottesdienstliche Handlungen vornehmen, genießt aber desgleichen die Vorteile der Zugehörigkeit zum geistlichen Stand:
zahlt keinen Zehnten, keine Steuern und muss desgleichen keinen Kriegsdienst leisten. Jetzt könnte man aber hinzufügen, dass eben wegen dieser
Petra Antonia Sârb
Doppelstellung, die sächsische Schule weder eine reine Gemeinde- noch eine
Kirchenschule war, sondern beides zugleich.
Nicht vergessen muss man aber die Tatsache, dass jede Gemeinde eine Kirche hatte, was das Zusammenleben zwischen Menschen und Kirche widerspiegelte, wie auch deren Abhängigkeit von einander. Als Beginn des 16.
Jahrhunderts, wegen der politischen und kirchlichen Selbständigkeit „wohl
fast jede Gemeinde ihre Schule“1 hatte, könnte man behaupten, dass die Kirche fast Monopol über die Schule besaß.
1.2 Die Reformation. Nationale Verantwortung für die Schule?
Die Reformation, die 1517 in Deutschland durch Martin Luther begonnen
hat, repräsentiert eine Änderung in der christlichen Kirche und dadurch
auch in der Schulordnung bei den Siebenbürger Sachsen.
Ein erstes Argument ist die Neuordnung vom kirchlichen Leben und dem
Schulwesen, die gegründet wurde. Alles wurde verallgemeinert und ausgestattet, wobei die Grundlagen dafür, die Schriften und das Wirken des Humanisten, Ratsherren und späteren Stadtpfarrers Johannes Honterus waren.
Obwohl die Rolle der Gemeinde dieselbe wie in der vorreformatorischen Zeit
war, durften durch die Reformation alle Kinder in die Schule gehen, wobei
unter anderen auch den ärmeren dieses ermöglicht wurde. Schon sehen wir
also, größere Interesse und Verantwortung für die Erziehung. Allein die Tatsache, dass die Pfarrer darauf sorgen, dass nur taugliche Schulmeister unterrichten, und, dass begabte Schüler, später, auf Kosten der Gemeinde höhere
Staatsschulen besuchen können, spricht dafür. Nach Honterus, war das Ziel
des Schulbesuchs, die Jugend „zu gemeinem nutz“ und zur Erhaltung vom
„Gottesdienst und christlich ordnungen ... in freyen künsten und christlicher
leer2“ zu unterweisen.
Später bemühte sich die geistliche Obrigkeit um die Neubelebung des Schulwesens, sodass folglich am Land sächsische Volksschulen und in der Stadt
1 Teutsch, Friedrich, Geschichte der evangelischen Kirche, Bd. 1, Hermannstadt 1921, S. 141, zit.
nach: Köber, Berthold: Kirche und Schule bei den Siebenbürger Sachsen, in: König, Walter (Hg.):
Beiträge zur siebenbürgischen Schulgeschichte, Köln, Weimar, Wien 1996, S. 71-89, hier S. 76.
2 Zit. nach: Nussbächer, Gernot: Die Schulreform des Honterus und die Ausstrahlung der
Honterus-Schule im 16. Jahrhundert, in: König, Walter (Hg.): Beiträge zur siebenbürgischen
Schulgeschichte, Köln, Weimar, Wien 1996, S. 141-169, hier S. 141.
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Zu den Anfängen der Schule bei den Siebenbürger Sachsen
höhere Schulen entstanden. Das trug fröhlicher Weise zur Hebung des Bildungsstandes des ganzen Volkes, was im Nachhinein zur Teilnahme der Siebenbürger Sachsen bei deutschen Universitäten führte.
1.3 Österreichische Herrschaft bis zum 20 Jahrhundert. Schule
zwischen geistlichem und politischem Einfluss
Bis zum 17. Jh. gab es dasselbe Verhältnis zwischen Kirche und Schule, es ist
aber in geschichtlichen Quellen bekannt, dass sich dieses im 18. Jh. ändert.
Die Kirche beginnt nämlich immer mehr Verantwortung für die Schule zu
tragen und das, wegen der kirchlichen Persönlichkeit und dem katholischen
Druck. Das führte zu einer noch festeren Beziehung zwischen den Beiden, bis
das Konsistorium die siebenbürgisch sächsische Schule ganz in Verantwortlichkeit nahm, sodass es die Rede über kirchliche Schulen war, was bis 1948
dauerte, als die Kommunisten die Herrschaft übernahmen. In den Schulen
wurde man atheistisch, glauben- und kirchenfeindlich erzogen. Das war also
der Moment, als die Schule entstaatlicht wurde und ein abrupter Riss der
Schule von der Kirche entstand. Eine Folge dessen und auch der kommunistischen Herrschaft in Rumänien, war der Niedergang der Siebenbürgen Sachsen.
Als Schlussfolgerung könnte man folgendes in Betracht nehmen: die Schule
bei den Siebenbürger Sachsen bildete sich durch mehrere Etappen, wobei
jede von ihnen zu einem vollständigeren Schulwesen führte. Die Schule war
und ist also die Trägerin der sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, geistigen
und geistlichen Entwicklung der Siebenbürger Sachsen.
2. Schulordnung. Bildung oder Erziehung?
Die Ordination ist im Geiste der Reformationszeit gehalten,
doch keine einfache Nachbildung einer bestimmten Schuleinrichtung. Es ist ein Ausfluss der umfassenden Bildung
des Honterus...3
2.1. Der Reformator und Schulmann
Im 16. Jahrhundert fand die Reformation statt, die in Sieben-bürgen stark
3 Friedrich Teutsch über die Schulordnung von Honterus, zit. nach: : König, Walter: Johannes
Honterus und seine Schule, in: Killyen, Hansgeorg von; Kuchar, Werner (Hg.): Die Honterusschule zu Kronstadt, München 1998, S. 9-14, hier S. 11.
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Petra Antonia Sârb
vom Humanismus geprägt wurde, und mit ihr nahm die Schule der Siebenbürger Sachsen einen großen Aufschwung. Der Reformator Johannes Honterus, für Siebenbürgen „Luther und Melanchton in einer Person“ 4, gab dazu
den entscheidenden Anstoß.
1533 kam Honterus nach Kronstadt zurück. Nach seinen Studien und seinem
Wirken im Ausland: bei der Universität in Wien erhielt er den Titel eines
Magisters der Freien Künste und war an den Universitäten in Regensburg
und Wittenberg und als Hochschullehrer an der Krakauer Universität tätig,
schrieb lateinische Werke, die auch veröffentlicht wurden, druckte zwei
Sternkarten und seine berühmte Siebenbürgen-Karte.
Ihm blieben, bis zu seinem frühen Tod (1549), nur 16 Jahre des Wirkens in
seiner Vaterstadt, wo er sich um die Förderung der Jugend und um den Ausbau und um die Reform der Schule kümmerte. In seinem Reformationsbüchlein (1542) war „Von Aufrichten der Schulen“ ein Kernstück. Die Kirchenordnung erhielt damit die Grundzüge einer Schulordnung und bildete den Ausgangspunkt für die besondere Entwicklung des Schulwesens der Siebenbürger Sachsen in den folgenden Jahrhunderten.
2.2. Die „Constitutio Scholae Coronensis“
1541 gilt als Gründungsjahr für die „Schola Coronensis“, wobei ein Jahr später Honterus seine Schulordnung – die „Constitutio Scholae Coronensis“verfasste. Diese regelte den gesamten Schulbetrieb, machte die Kronstädter
Schulanstalt zur ersten humanistischen Schule Südosteuropas und wurde
zum Vorbild für andere siebenbürgisch-sächsischen Stadtschulen.
Die Schulordnung war vom humanistischen Geist geprägt und beinhaltete
drei Teile:
I.
Die Kronstädter Studienordnung („Ordinatio Studii Coronensis“)
II.
Die Schulgesetze („Leges Scholasticae“)
III.
Die Ordnung ... des Magistrats der Kronstädter Schule („Ordo
Magistratum constituendi...“)
Alles endete wie üblich mit einer Schwurformel.
Die Studienordnung befasste sich unter anderen mit den Bestimmungen der
4 Ebd.
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Zu den Anfängen der Schule bei den Siebenbürger Sachsen
Lehrpersonen (Lehrer), ihren Aufgaben und ihrer Anstellung. Darüber hinaus, beinhaltete sie auch Bestimmungen der Studienfächer, des Stundenplans bzw. der Ordnung des Tagesablaufs der Schüler. Wie bekannt gegeben
wird, war das damalige Fächerspektrum umfassender als das zuvor, daher
eine höhere Bildung der Schüler. Es umfasste, lateinische und griechische
Dialektik und Grammatik, auch Rhetorik, Geographie, Mathematik, Verslehre und Musik. Aber allein die Tatsache, dass die Anwesenheit im Unterricht
verpflichtend war und, dass wer gefehlt hatte oder sonstige Begünstigungen
hatte zum kirchlichen Dienst verpflichtet war, spricht für eine bessere Erziehung.
Die Schulordnung enthält aber unter anderen auch Elemente des Schullebens wie Ausflüge, Theaterspiel und andere gemeinsame Veranstaltungen,
was folglich das Interesse der Lehrkräfte für die Schüler zeigt.
Die Schulgesetze enthalten in 34 Punkten einen Katalog strafbaren Handlungen, d.h. Verbote, bei deren Übertretung oft „der Rohrstock...der Strafe
Werkzeug sein“ sollte. In der deutschen Fassung heißt es in der Einleitung:
„Ihr kommt hierher, um Ehrbarkeit und Sitte, dazu die freien Künste zu erlernen. Tut willig nun, was guten Menschen ziehmet, damit die Schläge nicht
vonnöten seien.“ Also war das Verhalten und Benehmen der Schülerin sehr
in Acht genommen und es wurde viel Wert darauf gelegt.
Die Ordnung des Magistrats war eigentlich der ausführlichste Teil der
Schulordnung, welcher die Regelung der autonomen enthielt, in der die
Schüler durch selbst gewählte Beamte, ihre Angelegenheiten in Selbstverantwortung regeln und dadurch für ihre späteren Aufgaben im gesellschaftlichen Leben vorbereitet werden sollten.
Am Schluss der Schulordnung, ein für die weitere Bildung der Schüler sprechendes Argument, hieß es:
Da habt ihr nun ..., die ganze Ordnung, mit der ihr alles, was ihr zu tun habt,
erfolgreich ausführen könnt; überlegt euch jetzt sorgfältig, daß ihr nicht immer Kinder bleibt, und denkt deshalb, solange ihr noch Zeit habt, daran,
euch für den weiteren Lebensweg und für das Alter zu rüsten!5
Die „Constitutio“ des Honterus blieb Jahrhunderte gültig, und durch die von
5 König, Walter: Johannes Honterus und seine Schule, in: Killyen, Hansgeorg von; Kuchar,
Werner (Hg.): Die Honterusschule zu Kronstadt, München 1998, S. 9-14, hier S. 12
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ihm gegründete Druckerei (der zweiten in Siebenbürgen) und der wertvollen
Bücherei die der Schule zur Verfügung stand, wurde die Honterusschule eine
gesamtsiebenbürgische Bildungsstätte. Wenn dazu noch erwähnt wird, dass
es philosophische Vorlesungen und auch Unterricht in Jurisprudenz und
Medizin gab, gewinnt man den Eindruck, dass der Unterricht ein „halbakademisches Niveau“ hatte.
Als Schlussfolgerung, kann festgestellt werden, dass im 16 Jahrhundert sehr
viel Wert, sowohl auf die hervorragende Bildung, als auch auf die gute Erziehung der Schüler, gelegt wurde. Und der große Verdienst des Honterus als
Schulmann, neben der Schul-Ordnung, ist die Tatsache, dass er in Kronstadt
damit „ein hochentwickeltes Unterrichtswesen akademischer Art, das den
berühmten Humanistenschule zu Nürnberg, Straßburg, Münster usw. Ebenbürtig zur Seite gestellt werden darf.“6 geschaffen hat.
3. Die Siebenbürger Sachsen und die deutschen Universitäten
Welch ein Bildungsdrang musste in den Herzen leben, wenn
der junge Mann die Gefahren und Schwierigkeiten der Fahrt
und die Kosten des Studiums auf sich nahm.7
Die ersten deutschen Universitäten erscheinen in Prag, Wien, dann Heidelberg, wobei die Universität in Wien die erste war, bei der Siebenbürger Sachsen studierten.
Die Studenten lebten in Internate und hatten eine strenge Einteilung des Tages für das Studium. Die älteren Studenten durften beim Gottesdienst mithelfen und dadurch auch Geld verdienen.
Schon im 14. und 15. Jahrhundert sind die Siebenbürger Sachsen aus kleinen
Gemeinden nach Deutschland und Österreich studieren gegangen. Weiter,
wird es bekannt gegeben, dass zwischen 1377 und 1530 bei der deutschen
Universität in Wien 1014 Sachsen studiert haben, wobei 174 aus Kronstadt,
6 Karl Kurt Klein, zitiert nach: König, Walter: Johannes Honterus und seine Schule, in:
Killyen, Hansgeorg von; Kuchar, Werner (Hg.): Die Honterusschule zu Kronstadt, München
1998, S. 9-14, hier S. 14.
7 Teutsch, Friedrich, „Die Sachsen und die deutschen Universitäten“ in: „Bilder aus der Kulturgeschichte der Siebenbürger Sachsen“, Bd. I, Verlag Kraft und Drotleff A. G., Hermannstadt 1928, S. 246.
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Zu den Anfängen der Schule bei den Siebenbürger Sachsen
173 aus Hermannstadt, 57 aus Schäßburg. Ein guter Teil der Studenten erhielten akademische Grade und hielten folglich Vorlesungen an den Universitäten.
Durch die Reformation vertieften sich unsere Beziehungen zu den deutschen
Universitäten, weil das Ziel vieler Studenten die evangelischen Hochschulen
waren, da viele Theologie studierten. Wittenberg wurde die am meisten besuchte Universität von den Siebenbürger Sachsen wobei es nachher, kaum
noch eine Hochschule in Deutschland gab die nicht von einem Sachsen besucht wurde. Auch zu erwähnen ist die Tatsache, dass ohne dem Zusammenhang mit Wittenberg, unsere geistige Entwicklung im 16. Jh., was bis zum 18.
Jh. dauerte, gescheitert wäre.
Im 16. Jh. wurden Luther und Melanchton oft um Rat gefragt, aber auch sehr
oft für ihre Taten gelobt. Sie unterstützten die Studenten und viele wurden
von den Beiden für wichtige Posten oder mehrere Studienjahre, für spätere
gute Resultate, empfohlen: „er lernt fleißig die Lehre der Kirche Gottes und
übt sich in den Sprachen und in der Philosophie.“8
Später, im 17. Jh., wurde es immer schwerer im Ausland zu studieren, da allein der Weg ein Hindernis war. Es geschah oft, dass wenn man nach Hause
wollte, von Räuber aufgehalten und geplündert wurde. Andrerseits blieben
viele länger an den Universitäten und studierten bis zu 6 Jahre, wobei wegen
dem 30jährigen Krieg Studenten auf dem Heimweg blieben und sich wegen
Geldmangel eine Arbeitsstelle suchen mussten.
Das 17. Jahrhundert war aber auch das, als der Universitätsbesuch freigestellt wurde und ein Jahrhundert später setzte man Prüfungen ein damit nur
„taugliche Subjekte“9 zur Universität gelangen. Auch im 18. Jh., war Halle
die Universität die fast jeder in Deutschland besuchte: „Wer in Deutschland
war und Halle nicht besucht hatte, wurde dem Mann verglichen, der im Rom
gewesen und den Papst nicht gesehen hatte.“10 Viele Studenten wurden hier
auch bekannt, hielten Vorlesungen, wurden Universitätslehrer, hörten Schillers Vorlesungen und bewunderten Goethe in Weimar. Das führte zu einem
großen Einfluss von Hallen in unseren Schulen.
Siebenbürgen sah also den Universitätsbesuch als ein unschätzbares Gut,
8 Teutsch, Friedrich, „Die Sachsen und die deutschen Universitäten“, a.a.O, S. 248.
9 Ebd., S 253.
10 Ebd.
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was zur guten Entwicklung des Landes bis in die Gegenwart, geführt hat.
Auch die Tatsache, dass die Studenten nicht ohne Rat nach Deutschland studieren geschickt wurden, spricht dafür. Sie sollten auf dem Weg aufpassen,
Vorlesungen hören, wichtige Bücher lesen, für das Land beten und auch am
Heimweg manches mitbringen, (zum Beispiel verlangt der Vater seinem
Sohn: roten und schwarzen Samt, Frauenrock, ein englisches Tuch für einen
Dolman, Damast, etliche Zobelfelle.), also brachten die Studenten auch die
Mode mit, welche sich hier dann mit Geschwindigkeit ausbreitete.
Im 18. und 19. Jh. wurde wegen politischen Gründe und Verhältnisse der Besuch der deutschen Universitäten verboten, was bis 1848 dauerte, als wieder
jene Freigabe erfolgte.
Zum Schluss muss man auch den Dank für unser Eintreten bei den deutschen Universitäten, an verschiedene Persönlichkeiten äußern: Professor
Schlötzer in seinem Werk „Kritische Sammlungen zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen“ (1795-1797, Göttingen), der über unser Volk erzählte
und über uns rühmte; andere Ehrenernennungen für Persönlichkeiten wie
Bischof Binder, G. D. Teutsch, Franz Obert u.a., die von den Universitäten
aus Jena, Berlin, Leipzig, Heidelberg, Wien, Breslau, mit Doktorarbeiten
oder Ehrendoktortitel kamen.
Als Schlussfolgerung kann man hinzufügen, dass ohne den Besuch an den
deutschen Universitäten, unser wissenschaftliches und geistliches Leben und
Dasein nicht möglich gewesen wäre. Übrigens, sind es die Studenten, die damals den Mut und den Willen hatten, so weit Weg zu reisen, auch des Lobes
Wert. Sie spiegeln unsere Beziehung mit der Vergangenheit wieder. „Sie haben für uns in entscheidenden Fragen den höchsten Gerichtshof gebildet, der
uns half, den Weg zur Wahrheit zu finden.“11
Meiner Meinung nach ist es ziemlich schwer, über zwei verschiedene Perioden der Entwicklung des Schulwesens zu berichten. Genauer: über die Vergangenheit und über die Gegenwart.
Ich denke, dass beide Zeitabschnitte miteinander verknüpft sind, weil es die
Gegenwart ohne die Vergangenheit, nicht so gegeben hätte. Außerdem spielt
das frühere Schulsystem in der Bildung und Erziehung der Menschheit, eine
sehr große Rolle.
11 Ebd., S 261.
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Zu den Anfängen der Schule bei den Siebenbürger Sachsen
Wenn wir genauer zurück schauen, merken wir, dass die Schule mit der Kirche begonnen hat, wobei die Kirche fast Monopol besaß. Heute gibt es fast in
jedem Land, staatliche und private Schulen, sodass jeder der will zur Schule
gehen kann. Es gab also im Laufe der Zeit mehrere Etappen in denen sich die
Schule gebildet hat, die folglich auch zu ihren heutigen Stand geführt haben.
Bildung oder Erziehung? Es ist wahr, dass früher viel Wert auf die gute und
strenge Erziehung der Schüler gelegt wurde, was auch aus den Schulordnungen bekannt gegeben wird, aber es gab viele Fächer die eine Zukunft den
Schüler versicherten, was also für eine gute Bildung spricht. Heute existieren
viele Fächer der Art nicht mehr, aber dazu andere die der Gegenwart angepasst wurden. Deutschland hat auch eine sehr große Rolle für unser Schulsystem gespielt, allein dadurch, dass sehr viele Siebenbürger Sachsen dort
studiert haben, und viele von ihnen, bedeutende Persönlichkeiten in Siebenbürgen waren. Außerdem hat unser Schulwesen im Laufe der Geschichte
Ideen und Formen aus Deutschland übernommen.
Folglich sollten wir uns von den negativen Aspekte der Gegenwart nicht so
stark beeinflussen lassen, und aus den Ereignissen der Geschichte lernen,
um so viel wie möglich zum Guten zu verändern.
Literatur:
1.
KÖNIG, Walter: „Beiträge zur siebenbürgischen Schulgeschichte“, Verlag: Böhlau, Köln
Weimar Wien, 1996
2.
Roth, Stefan Ludwig: „Tradition und Fortschritt, Schriften und Berichte“, Verlag: Gesellschaft für Pädagogik e. V.,1991
3.
TEUTSCH, Friedrich: „Bilder aus der Kulturgeschichte der Siebenbürger Sachsen“, Bd. I,
unter Wirkung von: R. Breibrecher, G. A. Schuller, Richard Schuller,A. Schullerus, O.
Wittstock, Verlag: Krafft u. Dortleff, A. G. Hermannstadt, 1928
4.
„Die Honterusschule zu Kronstadt“, bearb. von Hansgeorg v. Killyen und Werner Kuchar,
Verlag: Neue Kronstädter Zeitung, München, 1998
***
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Petra Antonia Sârb
Abstract:
The German school in Transylvania was always important. The Saxonians who lived
there had in almost every village an own school. They also sent students abroad.
Hundreds of students are known between the 14th and the 16th century, who studied
in Vienna, Prague or Heidelberg. It was the 16th century when Johannes Honterus
built the first humanistic school in Transylvania, which became well known in Europe. And all these, thanks to the well written law system that represented the basis
and the beginning of the independent school system in Transylvania.
Schlüsselwörter/Keywords: Siebenbürger Sachsen, Bildung, Kirche, Reformation, Johannes Honterus, Schulordnung, Universität
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RUMÄNISCHE
KULTUR- UND LITERATURINTERFERENZEN
DIN ISTORIA ÎNVĂŢĂMÂNTULUI SECUNDAR DE STAT ÎN
BUCOVINA HABSBURGICĂ.
Gimnaziul Superior de Stat din Coţmani (1904-1918)
Ligia-Maria Fodor
Ţinuturile reunite ale Cernăuţiului şi Sucevei au devenit în anul 1775 parte
integrantă a monarhiei austriece, constituindu-se într-o nouă provincie denumită Bucovina. După aproape un secol de administraţie militară şi galiţiană, Bucovina a obţinut în anul 1861 statutul de ducat autonom în cadrul
imperiului, acesta reprezentând totodată începutul unei perioade de dezvoltare politică, culturală şi economică.
Prezentarea demersurilor de înfiinţare a unui gimnaziu de stat la Coţmani, a
modului de organizare şi funcţionare a acestuia şi a activităţilor circumscrise
procesului de învăţământ în perioada 1904-1918 constituie puncte de referinţă ale prezentului studiu.
Gimnaziul a fost forma de învăţământ secundar care avea în componenţă opt
clase cu două cursuri: inferior şi superior, fiecare cu câte patru clase. Scopul
gimnaziului era să asigure băieţilor o formare generală superioară prin utilizarea esenţială a limbilor clasice şi a literaturii acestora şi prin aceasta să-i
pregătească totodată pentru studiile universitare. Fetele se puteau înscrie la
cursurile gimnaziale numai în calitate de cursante private. În programa şcolară valabilă pentru gimnaziu era prevăzut un număr considerabil de ore
pentru disciplinele limba latină, limba greacă şi limba germană. Admiterea la
gimnaziu se realiza în urma susţinerii unui examen la următoarele discipline:
religie, limba germană şi matematică. Finalizarea cursurilor gimnaziale presupunea susţinerea examenului de maturitate, care le permitea absolvenţilor
înmatricularea în calitate de cursanţi ordinari la universitate1.
Această problematică a fost tratată restrâns în istoriografie, fiind limitată la
simpla menţiune a existenţei acestui gimnaziu şi la enumerarea numelui a o
parte dintre cadrele didactice care au activat la acest institut2.
1 Ligia-Maria Fodor, Cadrul normativ privind modul de organizare şi funcţionare a şcolilor
secundare în Bucovina habsburgică, în „Analele Universităţii din Craiova. Istorie”, anul XVI,
nr. 2 (20), 2011, p. 94-96.
2 Erich Prokopowitsch, Die Entwicklung des Schulwesens in der Bukowina, în „Buchenland.
Hundertfünfzig Jahre Deutschtum in der Bukowina“, herausgegeben von Franz Lang, Band
16, Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerks. Reihe B. Wissenschaftliche Arbeiten, München, Verlag des Südostdeutschen Kulturwerks, 1961, p. 309; Rudolf Wagner, Das
multinationale österreichische Schulwesen in der Bukowina, Band II. Mittel-Berufs- und
Ligia-Maria Fodor
Demersurile iniţiale de înfiinţare a unui gimnaziu real rutean de stat la Coţmani se regăsesc în acţiunea comună a comunităţilor din cadrul districtului
Coţmani, care au înaintat în acest sens, în anul 1876, o petiţie Parlamentului
de la Viena. În anul 1878 a fost elaborată o nouă petiţie semnată de către reprezentanţii a 34 de comune ale districtului Coţmani, în care solicitau înfiinţarea unui gimnaziu în localitatea Coţmani, care urma să fie finanţat fie de
către stat, fie de către Fondul Religionar Greco-Oriental. Această solicitare a
fost respinsă, deoarece atât situaţia financiară a statutului, cât şi cea a Fondului Religionar nu permitea întreţinerea unui nou gimnaziu3. La 23 septembrie 1880 au fost înaintate Consiliului Şcolar al Ţării petiţia comunităţilor
din cadrul districtului Coţmani şi cererea Asociaţiei politice „Ruska Rada” de
înfiinţare a unui gimnaziu inferior la Coţmani. În urma unor dezbateri, Consiliul Şcolar a înaintat, la 22 martie 1882, Ministerului Cultelor şi Instrucţiunii raportul în care solicita aprobarea pentru înfiinţarea gimnaziului. Conform rapoartelor Consiliului Şcolar al Ţării nr. 557 şi 712 din 12 şi 30 aprilie
1882, urmau să fie iniţiate dezbateri cu reprezentanţii comunităţilor solicitante în vederea asigurării localului şcolar şi a fondurilor necesare. Aceste
dezbateri nu au avut succesul scontat, întrucât reprezentanţii comunităţii
Coţmani hotărâseră să pună la dispoziţie, în mod gratuit, numai un teren cu
o suprafaţă de 800 de stânjeni, pe care urma să fie construit localul şcolar,
iar reprezentanţii comunităţilor Sipeniţ şi Valava erau dispuşi să contribuie
cu o sumă de 31 florini 50 crăiţari, respectiv 200 florini pe an. Această sumă
era insuficientă, deoarece pentru construcţia unui local era necesară o sumă
de cel puţin 30.000 florini. Consiliul Şcolar al Ţării a considerat ca fiind inoportună înfiinţarea unui gimnaziu la Coţmani, având în vedere faptul că solicitarea comunităţii din Vijniţa (care se află la 70 km de Cernăuţi) de înfiinţare a unui gimnaziu a fost respinsă, în timp ce oraşul Coţmani se află la o distanţă de 27 km de Cernăuţi. Pentru că nu existau suficiente resurse financiare necesare pentru construirea localului şcolar şi acoperirea cheltuielilor
de întreţinere a institutului, ministrul Cultelor şi Instrucţiunii, baronul Sigmund Conrad de Eybesfeld a propus în raportul întocmit la 7 mai 1882 respingerea cererilor comunităţilor districtului Coţmani şi a Asociaţiei „Rada
Hochschulwesen, München, Verlag „Der Südostdeutsche”, 1986, p. 99; Constantin Ungureanu, Bucovina în perioada stăpânirii austriece 1774-1918. Aspecte etnodemografice şi confesionale, Chişinău, Editura „Civitas”, 2003, p. 220.
3 Serviciul Arhive Naţionale Istorice Centrale, Bucureşti, fond Guvernământul CezaroCrăiesc al Bucovinei. Ministerul Cultelor şi Instrucţiunii, mapa LI, dosar nr.11, f. 5.
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Din istoria învăţământului secundar de stat în Bucovina habsburgică. Gimnaziul din Coţmani
Ruska” de înfiinţare a gimnaziului4. Prin rezoluţia imperială din 13 mai 1882
a fost respinsă cererea de înfiinţare a gimnaziului, fiind invocate motive financiare şi distanţa mică faţă de Cernăuţi5.
Asociaţia Ruteană „Ruska Rada” a înaintat ministerului la 4 aprilie 1886 un
nou memoriu de înfiinţare a unui gimnaziu inferior în localitate, invocând
drept argumente numărul mare de ruteni în comparaţie cu restul populaţiei
(din numărul total de 568.453 locuitori, 239.690 erau ruteni, 190.005 români şi 108.820 germani), districtul Coţmani având numărul cel mai mare
de locuitori, respectiv 72.6266. În urma raportului Consiliului Şcolar al Ţării
nr. 715 din 13 mai 1886, prin care a fost propusă ministrului dr. Paul Gautsch
de Frankenthurn înfiinţarea unui gimnaziu inferior la Coţmani, dar şi a
altuia la Cernăuţi, a fost respinsă prin ordinul ministerial nr. 9307 din 9
august 1887 înfiinţarea unui gimnaziu la Coţmani, Văşcăuţi sau Cernăuţi 7. Cu
prilejul verificării situaţiei şcolilor secundare, în anul 1887, nu a fost luată în
calcul înfiinţarea de noi gimnazii la Coţmani sau Văşcăuţi şi nici deschiderea
Gimnaziului de Stat II din Cenăuţi8. La petiţia locuitorilor din districtele Coţmani şi Zastavna de înfiinţare a unui gimnaziu rutean la Coţmani, Consiliul
Şcolar al Ţării a propus ministerului la 4 martie 1891 deschiderea succesivă
de clase paralele cu limba de predare ruteană pentru cele patru clase inferioare de la Gimnaziul Superior de Stat din Cernăuţi. Prin ordinul ministerial
nr. 4891 din 1 martie 1894 a fost dispusă extinderea şcolii primare din Coţmani, eventual înfiinţarea unei şcoli cetăţeneşti şi demararea acţiunilor pentru înfiinţarea de clase paralele cu limba ruteană la clasele inferioare de la
Gimnaziul de Stat din Cernăuţi9.
Mai multe comunităţi din Bucovina au adresat Dietei, în anul 1893, o nouă
petiţie de înfiinţare a unui gimnaziu la Coţmani10.
Înfiinţarea, prin hotărârea imperială nr. 25519 din 25 octombrie 1895, a
Gimnaziului Inferior de Stat din Cernăuţi cu limbile de predare germană şi
4 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 5-8.
5 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 8; mapa LVII, dosar nr. 1, f. 2.
6 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 19-25.
7 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 35-40.
8 Loc. cit., mapa LVII, dosar nr. 1, f. 2.
9 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 52-55.
10 Loc. cit., mapa LVII, dosar nr. 1, f. 3.
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Ligia-Maria Fodor
ruteană, începând cu anul şcolar 1896/1897, a constituit un nou motiv pentru autorităţi de a respinge solicitările repetate din perioada 1899-1903 ale
comunităţii din Coţmani de deschidere a unui gimnaziu11. Prin ordinul ministerial nr. 5265 din 2 martie 1899 a fost respinsă solicitarea de înfiinţare a
unui gimnaziu rutean în Bucovina din motive financiare, întrucât erau prevăzute fonduri pentru înfiinţarea Gimnaziului Inferior la Siret şi pentru construirea unui nou local şcolar pentru Gimnaziului Inferior Rutean din
Cernăuţi, pentru că se avea în vedere transformarea acestuia în gimnaziu superior12. În urma petiţiilor din martie 1899 a mai multor comunităţi din cadrul districtului Coţmani13, Dieta Bucovinei a hotărât în şedinţa din 23 aprilie
1899 că era stringent necesară deschiderea unui gimnaziu cu limba de predare ruteană în partea de nord vest a provinciei 14. Deputatul dr. Wolczynski a
contestat în şedinţa Dietei din 21 aprilie 1899 necesitatea înfiinţării unui
gimnaziu rutean în Bucovina, invocând cheltuielile mari necesare pentru
înfiinţarea Gimnaziului Inferior la Siret şi pentru construirea unui nou local
şcolar pentru Gimnaziul Inferior din Cernăuţi15. În anul 1901 mai multe
comunităţi din districtul Coţmani au adresat petiţii de înfiinţare a unui
gimnaziu rutean la Coţmani16. Dacă în anul 1899, Consiliul Şcolar al Ţării
susţinuse înfiinţarea unui gimnaziu la Coţmani, întrucât la Vijniţa populaţia
majoritară era germană17, în anul 1902 acesta a susţinut înfiinţarea unui gimnaziu la Vijniţa, deoarece Coţmaniul era situat la o distanţă de doar 23 de km
faţă de Cernăuţi şi deschiderea unui gimnaziu în această localitate putea
afecta existenţa claselor rutene de la Cernăuţi prin scăderea numărului elevilor18. Prin raportul nr. 2716 din 4 aprilie 1904, Consiliul Şcolar al Ţării a
propus ministerului înfiinţarea, începând cu anul şcolar 1904/1905, a unui
gimnaziu ruteano-german la Coţmani, cheltuielile pentru iluminat, încălzire,
curăţenie şi întreţinere a clădirii urmând a fi suportate de către stat, întrucât
cheltuielile de întreţinere a şcolii de băieţi şi a şcolii de fete însumau circa
1268 coroane anual, ceea ce făcea dificilă acoperirea altor cheltuieli de către
11 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f.64-92, 105; mapa LVII, dosar nr. 1, f. 3.
12 Loc. cit., mapa LVII, dosar nr. 1, f. 3-4.
13 Loc. cit., mapa LVII, dosar nr. 1, f. 85-174.
14 Loc. cit., mapa LVII, dosar nr. 1, f. 10.
15 Loc. cit., mapa LVII, dosar nr. 1, f. 37.
16 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 189-222.
17 Loc. cit., mapa LVII, dosar nr. 1, f. 6-8.
18 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 80-81, 89-92.
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Din istoria învăţământului secundar de stat în Bucovina habsburgică. Gimnaziul din Coţmani
comunitatea locală19.
În raportul nr. 30537 ex 1902 din 17 ianuarie 190320, ministrul dr. Wilhelm
cavaler de Hartel aducea la cunoştinţă împăratului solicitările comunităţilor
din Coţmani şi Vijniţa de înfiinţare a unui gimnaziu, rivalitatea existentă între cele două comunităţi faţă de stabilirea locului de înfiinţare a unui gimnaziu ruteano-german, precum şi punctele de vedere diferite ale Consiliului
Şcolar al Ţării din ultimii ani asupra acestei chestiuni. Prin ordinul ministerial nr. 11.081 din 22 decembrie 1903 a fost comunicată Consiliului Şcolar al
Ţării intenţia de a fi înfiinţat un gimnaziu inferior ruteano-german la Coţmani începând cu anul şcolar 1904/1905, urmând a fi deschisă clasa I şi treptat
celelalte clase în funcţie de frecvenţa elevilor, cu condiţia contribuţiei comunităţii21. Angajamentul comunităţii din Coţmani asumat prin declaraţia din
21 iunie 1904, aprobată de Comisia Ţării la 8 iulie 1904 prevedea: asigurarea
provizorie a localului şcolar, construirea unui nou local şcolar până cel târziu
la sfârşitul lunii august a anului 1907, scutirea de taxe a clădirii în care avea
să se desfăşoare activitatea gimnaziului şi care era dată spre folosinţă gratuită statului, menţinerea în bună funcţionare a localului şcolar, achitarea
cheltuielilor aferente pentru iluminat, încălzire, curăţenie şi întreţinere22.
Noul local şcolar avea să cuprindă: 12 săli de curs, o sală pentru exhortă împreună cu o nişă pentru altar, o sală de desen, un cabinet de fizică, un cabinet pentru ştiinţele naturii, un cabinet de geografie, un cabinet de arheologie,
o sală pentru biblioteca profesorilor şi cea a elevilor, cabinetul directorului şi
o anticameră, câte o încăpere de gimnastică şi un vestiar pentru îmbrăcăminte, locuinţele directorului şi ale omului de serviciu, o pivniţă şi un teren
de sport23.
În baza raportului ministrului cultelor şi instrucţiunii, dr. Wilhelm cavaler de
Hartel, nr. 25341 din 17 iulie 190424 a fost aprobată prin rezoluţia imperială
din 6 august 1904 înfiinţarea unui gimnaziu de stat cu limbile de predare
germană şi ruteană la Coţmani, începând cu anul şcolar 1904/1905. Comunitatea locală era obligată să respecte obligaţiile asumate prin declaraţia din 21
19 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 138-141.
20 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 124-131.
21 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 164.
22 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 164-165.
23 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 1, f. 26-27.
24 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 161-168.
ZGR 2 (44) / 2013
239
Ligia-Maria Fodor
iunie 1904, ministerul prevăzând în bugetul din 1904 suma de 8200 coroane
pentru achiziţionarea de mobilier şi materiale didactice, iar pentru anul 1905
suma de 16.947 coroane25. În raportul ministrului se preciza că era necesară
înfiinţarea acestui institut, întrucât „şcolile secundare existente pentru populaţia ruteană din Bucovina erau puţine în comparaţie cu cele ale germanilor
şi românilor. Germanii aveau la dispoziţie cele două gimnazii de stat din
Cernăuţi, gimnaziile din Rădăuţi şi Siret, precum şi clasele de bază de la
Gimnaziul Greco-Oriental din Suceava. Românii puteau studia la clasele
paralele româno-germane de la Gimnaziul de Stat I din Cernăuţi şi la clasele
paralele româneşti de la Gimnaziul Greco-Oriental din Suceava. Rutenii
puteau frecventa numai clasele paralele germano-rutene de la Gimnaziul de
Stat II din Cernăuţi” 26 şi astfel „ar fi fost îndeplinită o dorinţă stringentă a
populaţiei rutene, îngrădită de mulţi ani27.
Cheltuielile mari ale comunităţii pentru construirea unui nou local şcolar
pentru gimnaziu şi pentru şcoala de fete de şase clase, a unei case parohiale
greco-orientale, a unei locuinţe pentru preotul auxiliar şi plata chiriei pentru
localul gimnaziului au făcut dificilă plata salariului omului de serviciu şi a
cheltuielilor pentru încălzirea, iluminatul şi întreţinerea gimnaziului. În
acest sens, comunitatea a adresat ministerului la 22 noiembrie 1904 o cerere
prin care a solicitat preluarea de către stat a cheltuielilor pentru încălzirea,
iluminatul şi întreţinerea gimnaziului. Consiliul Şcolar al Ţării a propus ministerului în raportul nr. 1650 din 30 aprilie 1905 preluarea acestor cheltuieli
de către stat, însă solicitarea a fost respinsă prin ordinul ministerial nr.
17374 din 13 iunie 190528.
În şedinţa Comisiei locale din 2 aprilie 1905 s-a hotărât ca Fondul Religionar
Greco-Oriental să preia cheltuielile de construire şi întreţinere a noului local
şcolar, întrucât elevii care frecventau gimnaziul erau de confesiune grecoorientală, iar Gimnaziul din Suceava şi Şcoala Reală Greco-Orientală erau finanţate de Fondul Religionar, deşi maximu, 50% dintre elevi erau de confesiune greco-orientală29. La 25 iunie 1905, Consistoriul Greco-Oriental a respins solicitarea comunităţii. Ca urmare, având în vedere refuzul consistoriu25 Loc. cit., mapa LI, dosar nr.11, f. 164-165.
26 Loc. cit., mapa LI, dosar nr.11, f. 161-162.
27 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 166.
28 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 1, f. 1-3.
29 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 1, f. 25-33.
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Din istoria învăţământului secundar de stat în Bucovina habsburgică. Gimnaziul din Coţmani
lui şi cheltuielile mari ale comunităţii, Consiliul Şcolar al Ţării a solicitat ministerului prin raportul nr. 9360 din 29 noiembrie 1905, ca statul să preia
cheltuielile de construire şi întreţinere ale noului local şcolar care însumau
aproximativ 300.000 coroane, propunând ca variantă contractarea de la
Banca Naţională a unui împrumut pentru o perioadă de 25 ani şi chiar construirea unui local mai mic corespunzător pentru un gimnaziu inferior, care ar
fi presupus alocarea unei sume de 275.000 coroane pentru construcţie şi mobilier30.
În perioada 1906-1914, reprezentanţii Consiliului local au făcut demersuri
repetate pentru ca statul să preia cheltuielile de construcţie a localului şcolar,
însă fără soluţionarea în sensul dorit de către comunitate31.
Prin ordinul ministerial nr. 44769/05 din 28 aprilie 1906 a fost aprobată
scutirea comunităţii de obligaţia achitării începând cu 1 ianuarie 1907 a cheltuielilor pentru încălzirea, iluminatul şi întreţinerea gimnaziului, nefiind
aprobată preluarea de către stat sau de Fondul Religionar a cheltuielilor de
construcţie a noului local şcolar; totodată, a fost acordată o subvenţie de
20.000 coroane anual pentru perioada 1907-1911. Prin ordinul ministerial
nr. 43328/07 din 20 august 1908 a fost aprobată acordarea unei noi subvenţii de 100.000 coroane care urma să fie eşalonată pe durata a cinci ani în
perioada 1912-1916. Întrucât cheltuielile de construcţie erau estimate la
suma de 299.194 coroane, comunitatea din Coţmani a solicitat ministerului
în anul 1913 ca şi restul sumei să fie suportată de stat, întrucât nu avea fondurile necesare. Prin ordinul ministerial nr. 49791 din 13 noiembrie 1913 a
fost respinsă această solicitare deoarece o subvenţie de construcţie mai mare
de 200.000 coroane nu a mai fost acordată unei singure comunităţi32. Demersurile comunităţii de acordare a finanţării au continuat şi în anul 1914,
însă fără niciun rezultat favorabil33.
În cadrul gimnaziului a fost înfiinţată, începând cu anul şcolar 1905/1906,
prin ordinul ministerial nr. 15933 din 27 iunie 1905, o clasă pregătitoare cu
scopul de a fi îmbunătăţite cunoştinţele de limba germană ale elevilor de etnie ruteană care aveau să se înscrie la examenul de admitere la acest institut.
În programa şcolară erau prevăzute următoarele discipline obligatorii: reli30 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 1, f. 19-22.
31 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 1, f. 48-142.
32 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 1, f. 135-138.
33 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 1, f. 143-166.
ZGR 2 (44) / 2013
241
Ligia-Maria Fodor
gie, limba germană, limba ruteană, matematică, geografie, ştiinţele naturii şi
caligrafie34.
Consiliul Şcolar al Ţării a înaintat ministerului raportul nr. 3785 din 18 aprilie 1907 în care a propus extinderea gimnaziului inferior într-unul superior
începând cu 1 septembrie 1908, întrucât s-a asigurat numărul necesar de elevi şi în cursul anului urma să fie finalizată construcţia localului şcolar 35.
Prin ordinul ministerial nr. 16374 din 20 august 1908 a fost aprobată
deschiderea succesivă a claselor superioare începând cu 1 septembrie 190836.
Activitatea gimnaziului s-a desfăşurat în primii ani în două clădiri închiriate
care au fost reamenajate conform normelor igienico-sanitare37. În baza
proiectului, întocmit în anul 1907 şi aprobat prin ordinul ministerial nr.
3256 din 21 noiembrie 1909, după o perioadă de doi ani de discuţii asupra
poziţionării faţadei principale38, a fost construit un local şcolar propriu gimnaziului sub coordonarea inginerului Friedrich Schunn39. Acesta a fost deschis în toamna anului 1911, având în componenţă: 13 săli de curs, o încăpere
pentru predarea religiei, o sală de exhorte, o sală de desen, o sală de gimnastică şi anexe, 6 cabinete şcolare şi biblioteca40. Întreţinerea localului şi
curăţenia curţii interioare a fost asigurată de către personal de serviciu angajat definitiv, precum şi de personal auxiliar angajat temporar, în special în
perioada iernii, când era necesară asigurarea încălzirii încăperilor41.
Programa şcolară a fost întocmită în conformitate cu planurile de învăţământ valabile pentru gimnazii aprobate în anii 1884 şi 1909. La acest
gimnaziu au fost utilizate două limbi de predare, şi anume: limba ruteană
pentru disciplinele religie, limba latină, matematică şi limba ruteană, şi limba germană pentru celelalte discipline42. În anul 1910, corpul didactic a solicitat ministerului ca limba ruteană să fie introdusă ca limbă de predare pen34 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 171-174.
35 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 186-187.
36 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 180.
37 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 7, f. 5-8; mapa LIII, dosar nr. 4, f. 1.
38 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr. 4, f. 15-21.
39 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr. 4, f. 29-30.
40 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 7, f. 16.
41 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 7, f. 1-24.
42 Loc. cit., mapa LI, dosar nr. 11, f. 166.
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Din istoria învăţământului secundar de stat în Bucovina habsburgică. Gimnaziul din Coţmani
tru toate disciplinele şi o suplimentare a orelor de limba germană. Această
solicitare a fost respinsă prin ordinul ministerial nr. 42667 din 14 mai 191343.
Programa şcolară a gimnaziului a cuprins câteva excepţii de la planul de învăţământ oficial, constând în predarea ca discipline facultative a următoarelor obiecte de studiu: caligrafia şi gimnastica44. Gimnastica a fost introdusă
începând cu anul şcolar 1911/1912 ca disciplină obligatorie, când a fost finalizată construcţia sălii de gimnastică45.
În ceea ce priveşte religia, aceasta a fost predată pentru elevii de confesiune
greco-orientală şi greco-catolică, romano-catolică şi mozaică; prin ordinul
ministerial nr. 42782 din 25 ianuarie 1905 a fost reglementată utilizarea limbii de predare a religiei, stabilindu-se ca limba ruteană să fie folosită pentru
predarea religiilor greco-orientală, greco-catolică, limba polonă pentru religia romano-catolică şi limba germană pentru religia romano-catolică şi religia mozaică46. Disciplinele religia romano-catolică şi mozaică au fost predate
de către personalul didactic al gimnaziului începând cu anul şcolar
1906/1907, întrucât până atunci nu era constituit numărul minim necesar de
20 elevi, conform prevederilor articolului 4 al Legii nr. 86 din 28 iunie 1872;
pentru evaluarea elevilor la această disciplină era necesară prezentarea unor
certificate semestriale de la preot47. Populaţia de confesiune romano-catolică
a făcut demersuri pentru studierea disciplinei religia la acest gimnaziu. În
acest context a fost publicat în „Gazeta Polska” nr. 23 din 19 martie 1905
articolul „Neverosimil şi totuşi adevărat”, în care era criticată poziţia ministerului de a nu permite elevilor să studieze disciplina religia romano-catolică
la şcoală48. Numărul mare de elevi de confesiune greco-orientală (1912/1913360 elevi greco-orientali) şi greco-catolică (1912/1913 - 183 elevi) a permis
constituirea de exhorte49. Prin ordinul ministerial nr. 48731 din 19 decembrie
1913 s-a prevăzut înfiinţarea unei exhorte pentru elevii mozaici începând cu
anul 1914/1915, dacă se suplimenta bugetul, în caz contrar începând cu anul
43 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr.2, f. 27-36.
44 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 3, f. 7; mapa LIII, dosar nr. 2, f. 1, 9, 21-26; mapa LIII, dosar
nr. 6, f. 23, 40, 97.
45 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr.2, f. 10-11, 14-19.
46 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr.1, f. 3-8.
47 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr.1, f. 3.
48 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr.1, f. 14.
49 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr.2, f. 52-58, 66, 70.
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Ligia-Maria Fodor
şcolar 1915/1916. Această hotărâre a fost luată la solicitarea comunităţii cultului israelit din Coţmani, care preciza că existau 36 elevi israeliţi, iar pentru
elevii romano-catolici care erau în număr de numai 26 elevi exista o exhortă,
considerând că cele 8 ore de religie prevăzute în programa şcolară nu erau
suficiente50.
Ca discipline facultative au fost studiate limba franceză şi stenografia51, desenul până în anul şcolar 1909/191052, limba engleză, muzica, muzică bisericească greco-catolică53, muzica religioasă greco-orientală54 şi gimnastica
până în anul şcolar 1911/191255.
În anul şcolar 1913/1914 a fost introdusă de probă predarea disciplinei limba
greacă în limba ruteană la clasa a III-a, prin ordinul ministerial nr. 34307
din 29 iulie 191356. În anul şcolar 1915/1916, predarea disciplinei limba greacă în limba ruteană la clasa a III-a şi a IV-a a fost aprobată prin ordinul ministerial nr. 6115 din 27 martie 1916, întrucât în anul şcolar 1914/1915 activitatea şcolară fusese întreruptă din cauza războiului şi elevii nu mai aveau cunoştinţele necesare de limba germană57.
Conducerea gimnaziului a fost asigurată în primii ani de funcţionare de către
profesorul Sergius Szpoynarowski. Întrucât prin ordinul ministerial nr.
28693 din 10 august 1904 a fost aprobată sistematizarea unui post de director şi a unuia de profesor titular şi nu a mai fost timpul necesar pentru organizarea concursului pentru postul de director, Consiliul Şcolar al Ţării a propus ministerului pentru această funcţie următoarele persoane: Julian Kobylanski şi Sergius Szpoynarowski58. Având în vedere solicitarea preşedintelui
Bucovinei, Konrd prinţ de Hohenlohe-Schillingsfürst, în care se preciza că
50 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr.2, f. 81-82.
51 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr.6, f. 23, 40.
52 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr.2, f. 9.
53 Dr. Agenor Artymowicz, Урядова часть, în „Звидомлене Дирекциї Ц. К. Держ. Гімназиї в Кицманї за шкільний рік 1913/1914”, 1914, p. 68 (în continuare se va cita Звидомлене
Дирекциї Ц. К. Держ. Гімназиї в Кицманї за шкільний рік, 1913/1914).
54 A.N., fond Guvernământul Cezaro-Crăiesc al Bucovinei. Ministerul Cultelor şi Instrucţiunii, mapa LIII, dosar nr.2, f. 78.
55 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr.2, f. 10-11, 14-19.
56 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr.2, f. 39-40.
57 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr.2, f. 42-43.
58 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 2, f. 1.
244
ZGR 2 (44) / 2013
Din istoria învăţământului secundar de stat în Bucovina habsburgică. Gimnaziul din Coţmani
inspectorul general şcolar şi alţi specialişti nu erau de acord cu numirea în
această funcţie a profesorului Kobylanski59, ministrul Cultelor şi Instrucţiunii
a dispus prin ordinul nr. 30030 din 31 august 1904 ca profesorul Sergius
Szpoynarowski să fie numit provizoriu, începând cu 1 septembrie 1904, la
conducerea gimnaziului60.
În baza raportului ministrului dr. Wilhelm cavaler de Hartel nr. 36983 din 12
decembrie 1904, aprobat de împărat la 27 decembrie 1904, Szpoynarowski a
fost numit definitiv în funcţia de director al Gimnaziului din Coţmani, fiind
evidenţiate calităţile didactice şi manageriale ale acestuia dovedite în perioada interimatului. Un argument solid în favoarea acestuia a fost faptul că nu
era implicat în politică61. Szpoynarowski, născut la Dracineţ, la 5 iulie 1858,
de confesiune greco-orientală a obţinut la 4 martie 1895 calificarea pentru
învăţământul secundar la disciplinele limba ruteană, ca disciplină principală
şi limbile latină şi greacă, ca discipline secundare. Activitatea didactică a început-o în anul 1889, ca suplinitor la Gimnaziul Superior de Stat din
Cernăuţi. În anul 1895 a fost numit profesor titular, iar în anul 1900 s-a
transferat la Gimnaziul de Stat II din Cernăuţi. S-a remarcat din punct de vedere literar prin elaborarea unui manual şcolar de limba ruteană pentru şcolile secundare 62.
Ca urmare a decesului directorului Szpoynarowski la 25 septembrie 190963 şi
în baza raportului ministrului Karl conte de Stürgkh din 20 ianuarie 1910,
aprobat de împărat la 1 februarie 1910, dr. Agenor Artymowicz, profesor la
Gimnaziul de Stat I din Cernăuţi, a fost numit în funcţia de director al Gimnaziului din Coţmani, fiind evidenţiate calităţile umane, didactice şi manageriale ale acestuia64. Deşi în raportul Consiliului Şcolar al Ţării din 5 ianuarie
1910 se preciza că profesorul dr. Agenor Artymowicz nu avea cunoştinţe foarte bune de limba ruteană, ceea ce ar fi putut constitui un impediment pentru
o bună comunicare, fiind propus pentru această funcţie profesorul Theofil
Brendzan de la Şcoala Reală Greco-Orientală, ministerul a decis desemnarea
profesorului Artymowicz, precizând că acesta nu a avut dificultăţi la susţine59 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 2, f. 8.
60 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 2, f. 1-7.
61 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 2, f. 23-27.
62 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 2, f. 2, 24-25.
63 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 2, f. 44.
64 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 2, f. 61-64.
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Ligia-Maria Fodor
rea examenului pentru limba ruteană, ca limbă de predare65. Născut în anul
1879, acesta a obţinut la 8 noiembrie 1901 calificarea ca învăţător pentru şcolile secundare pentru limbile greacă şi latină, ca discipline principale şi limba
germană, ca disciplină secundară. În anul 1901 s-a angajat ca suplinitor, în
iunie 1902 fiind numit profesor titular la Gimnaziul de Stat I din Cernăuţi.
Acesta a fost preocupat de pregătirea profesională, participând la conferinţe
(în anul 1908 a prezentat comunicarea „Legea în natură şi limbă” („Das Gesetz in Natur und Sprache”), publicând studii în anuarul gimnaziului şi în revistele locale, dar şi în cele imperiale (în anul 1909 a publicat în „Wiener Studien” un studiu referitor la limba latină), iar în anul 1907 a obţinut titlul de
doctor în „Filosofie”66.
Existenţa la începutul anului şcolar 1911/1912 a unui număr de 14 clase l-a
determinat pe directorul gimnaziului să solicite în anul 1911 înfiinţarea unui
post de director administrativ, întrucât acesta nu reuşea să facă faţă problemelor67. Prin ordinul Ministerului Cultelor şi Instrucţiunii nr. 13464 din 30
octombrie 1912 a fost aprobată angajarea, începând cu anul şcolar 1912/1913,
a unei persoane pentru îndeplinirea atribuţiilor administrative ale institutului, întrucât erau şapte clase paralele şi era un număr mai mare de suplinitori
în comparaţie cu personalul didactic titular, care trebuiau să fie verificaţi68.
Directorul Artymowicz a deţinut această funcţie până în anul 1914, când a
fost destituit69.
Personalul didactic al gimnaziului a fost format în mare parte din suplinitori,
întrucât Ministerul Cultelor şi Instrucţiunii nu a aprobat toate propunerile
Consiliului Şcolar al Ţării pentru titularizare, considerând că persoanele recomandate nu erau suficient pregătite70. Prin ordinul ministerial nr. 20290
din 12 iunie 1906 au fost sistematizate începând cu 1 septembrie 1907 două
65 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 2, f. 50-52, 61-62.
66 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 2, f. 50-52, 61-62; Dr. Agenor Artymowicz, Metrische Untersuchungen zu Ovids Metamorphosen, în „Звидомлене Дирекциї Ц. К. Держ. Гімназиї в
Кицманї за шкільний рік 1913/1914”, 1914, p. 3-64.
67 A.N., fond Guvernământul Cezaro-Crăiesc al Bucovinei. Ministerul Cultelor şi Instrucţiunii, mapa LII, dosar nr. 2, f. 79.
68 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 2, f. 82-84.
69 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 2, f. 78.
70 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 3, f. 1-123; mapa LII, dosar nr. 4, f. 1-126; mapa LII, dosar nr.
5, f. 1-96; mapa LII, dosar nr. 6, f. 1-85.
246
ZGR 2 (44) / 2013
Din istoria învăţământului secundar de stat în Bucovina habsburgică. Gimnaziul din Coţmani
posturi de profesori de religie pentru confesiunile greco-catolică şi grecoorientală datorită numărului mare de elevi71.
O situaţie specială a constiuit-o cazul profesorului Johann Pryjma, care fusese transferat în anul 1905 de la Gimnaziul de Stat din Brzeźany (Galiţia) din
motive disciplinare, pentru că jignise şi lovise nişte elevi. Şi la Gimnaziul din
Coţmani, acesta a dat dovadă de o atitudine neprofesională manifestată prin
intoleranţă faţă de elevii care nu erau de etnie ruteană. În consecinţă, Consiliul Şcolar al Ţării a solicitat prin raportul nr. 5091 din 31 octombrie 1906 ca
profesorul Johann Pryjma să fie transferat la o altă şcoală secundară72.
Pentru încurajarea frecventării institutului au fost acordate elevilor de către
diverse fundaţii şi persoane fizice ajutoare băneşti, burse, manuale şcolare,
îmbrăcăminte şi medicamente73. În vederea înlesnirii studiului au fost deschise două internate în care au fost cazaţi elevii de confesiune grecoorientală şi greco-catolică, la iniţiativa Internatului elevilor ruteni „Ruska
Bursa” şi a Comitetului Internatului elevilor ruteni greco-orientali „Ruskaja
pravoslavnaia Bursa” din Coţmani74. Elevii care proveneau din familii cu situaţie financiară precară, dar care obţineau rezultate şcolare bune, au beneficiat de scutirea parţială sau totală a taxei de şcolarizare.
Elevii au beneficiat de asistenţa medicală gratuită începând cu anul şcolar
1907/1908 din partea medicului şcolar dr. Hermann Tittinger75.
La acest gimnaziu au fost semnalate şi unele cazuri de indisciplină; astfel, în
anul şcolar 1907/1908 şase elevi ai institutului au spart geamurile locuinţelor
unor directori de şcoli şi profesori76.
Încă din primii ani de funcţionare s-a observat interesul populaţiei pentru a-şi
trimite copiii la acest gimnaziu reflectat de numărul mare de elevi, ceea ce a
determinat limitarea locurilor pentru elevii privaţi77. Dacă în anul şcolar
1904/1905 au fost înscrişi 105 de elevi, în anul şcolar 1913/1914 erau înscrişi
71 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 3, f. 57, dosar nr. 6, f. 97.
72 Loc. cit., mapa LII, dosar nr. 3, f. 32-56, 87-89.
73 Звидомлене Дирекциї Ц. К. Держ. Гімназиї в Кицманї за шкільний рік,
1913/1914, p. 86.
74 A.N., fond Guvernământul Cezaro-Crăiesc al Bucovinei. Ministerul Cultelor şi Instrucţiunii, mapa LIII, dosar nr. 5, f. 1- 23.
75 Loc. cit., mapa XXXII, dosar nr. 1, f. 79.
76 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr. 3, f. 7-8.
ZGR 2 (44) / 2013
247
Ligia-Maria Fodor
499 elevi78. La acest gimnaziu au studiat elevi de etnie ruteană (aproximativ
85%), germană (aproximativ 10%), polonă (aproximativ 5%) şi de confesiune
greco-orientală (aproximativ 50%), greco-catolică (aproximativ 47%), romano-catolică (aproximativ 2%) şi mozaică (aproximativ 1%)79.
La sfârşitul anului şcolar 1913/1914 a fost organizată prima sesiune a examenului de maturitate, la care s-au înscris 9 candidaţi, fiind declaraţi admişi 3
absolvenţi (o cotă de promovabilitate de aproximativ 33%)80.
În timpul Primului Război Mondial, activitatea şcolară a fost suspendată
temporar. La solicitarea Consiliului Şcolar al Ţării din 3 aprilie 1916, ministerul a aprobat prin ordinul nr. 10768 din 15 mai 1916 reînceperea cursurilor la
clasa pregătitoare şi la cele patru clase inferioare, precum şi desemnarea provizorie a profesorului de la Şcoala Reală Superioară Greco-Orientală din
Cernăuţi, Theofil Brendzan, la conducerea institutului81. În anul şcolar
1917/1918, activitatea gimnaziului s-a desfăşurat în localul şcolii de fete,
deoarece clădirea gimnaziului a fost transformată în spital82.
Concluzionând se poate afirma că demersurile întreprinse de către comunităţile rutene din cadrul disctrictului Coţmani de înfiinţare a unui gimnaziu
s-au concretizat doar parţial, în anul 1904, prin deschiderea unui gimnaziu
bilingv germano-rutean. Deşi a fost gândit ca un institut destinat pregătirii
elevilor de etnie ruteană, Gimnaziul Superior de Stat din Coţmani a contribuit la formarea şi emanciparea tinerilor ruteni şi implicit la dezvoltarea învăţământului, la promovarea spiritului de toleranţă şi a dialogului intercultural între populaţiile de diverse etnii şi confesiuni existente în ducatul Bucovinei, întrucât acest institut a fost frecventat de către elevi de etnie ruteană,
77 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr.3, f. 9-38.
78 Loc. cit., mapa XXX, dosar nr. 14, f. 1-3, mapa LII, dosar nr. 7, f. 1; mapa LIII, dosar nr. 6,
f. 90; Звидомлене Дирекциї Ц. К. Держ. Гімназиї в Кицманї за шкільний рік, 1913/1914,
p. 103-105.
79 A.N., fond Guvernământul Cezaro-Crăiesc al Bucovinei. Ministerul Cultelor şi Instrucţiunii, mapa LII, dosar nr. 7, f. 1; mapa LIII, dosar nr. 6, f. 90; Звидомлене Дирекциї Ц. К.
Держ. Гімназиї в Кицманї за шкільний рік, 1913/1914, p. 103-105.
80 Звидомлене Дирекциї Ц. К. Держ. Гімназиї в Кицманї за шкільний рік, 1913/1914, p.
80.
81 A.N., fond Guvernământul Cezaro-Crăiesc al Bucovinei. Ministerul Cultelor şi Instrucţiunii, mapa LI, dosar nr. 11, f. 224-225.
82 Loc. cit., mapa LIII, dosar nr. 4, f. 60.
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ZGR 2 (44) / 2013
Din istoria învăţământului secundar de stat în Bucovina habsburgică. Gimnaziul din Coţmani
germană şi polonă şi de confesiune greco-orientală, greco-catolică, romanocatolică şi mozaică.
Bibliografie:
1.
Serviciul Arhive Naţionale Istorice Centrale, Bucureşti, fond Guvernământul
Cezaro-Crăiesc al Bucovinei. Ministerul Cultelor şi Instrucţiunii, mapele XXX,
XXXII, LI-LIII, LVII
2.
Dr. Artymowicz, Agenor, Metrische Untersuchungen zu Ovids Metamorphosen, în
„Звидомлене Дирекциї Ц. К. Держ. Гімназиї в Кицманї за шкільний рік 1913/
1914”, 1914, p. 3-64
3.
Fodor, Ligia-Maria, Cadrul normativ privind modul de organizare şi funcţionare a
şcolilor secundare în Bucovina habsburgică, în „Analele Universităţii din Craiova.
Istorie”, anul XVI, nr. 2 (20), 2011, p. 93-107
4.
Prokopowitsch, Erich, Die Entwicklung des Schulwesens in der Bukowina, în „Buchenland. Hundertfünfzig Jahre Deutschtum in der Bukowina“, herausgegeben von
Franz Lang, Band 16, Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerks. Reihe B.
Wissenschaftliche Arbeiten, München, Verlag des Südostdeutschen Kulturwerks,
1961, p. 269-319
Ungureanu, Constantin, Bucovina în perioada stăpânirii austriece 1774-1918.
Aspecte etnodemografice şi confesionale, Chişinău, Editura „Civitas”, 2003
Wagner, Rudolf, Das multinationale österreichische Schulwesen in der Bukowina,
Band II. Mittel-Berufs-und Hochschulwesen, München, Verlag „Der Südostdeutsche”, 1986
Звидомлене Дирекциї Ц. К. Держ. Гімназиї в Кицманї за шкільний рік 1913/
1914, 1914
5.
6.
7.
***
Abstract
The Study „Aspects from the state secondary education history in the Habsburg Bucovina. Superior State Gymnasium in Coţmani” (1904-1918) describes the actions of
the Ruthenian community in the district of Coţmani in establishing a state gymnasium, the curriculum, the opening of preparatory classes with German as teaching language and the conversion of the inferior gymnasium into a superior one. In the same
time the study presents aspects regarding the school buildings, the activity of the
school directors and the teaching personnel, the actions initiated by the school authorities, legal entities and individuals, to help students in order to promote the education. There is also given information on the school attendance from ethnic and re-
ZGR 2 (44) / 2013
249
Ligia-Maria Fodor
ligious point of view, the rate of graduation at maturity exam and cases of school indiscipline.
The Superior State Gymnasium in Coţmani contributed to the education and emancipation of the young Ruthenians and in this way to the development of the education and the support of tolerance and intercultural dialog between different ethnic and
confessional groups in the Duchy of Bukovina, as this institute was attended by Ruthenian, German and Polish students of Eastern Greek, Greek Catholic, Roman Catholic and Jewish confession.
Schlüsselwörter: Sekudarschule, Gymnasium, Kotzmann, Bukowina
Anexa nr. 1
PROGRAMA ŞCOLARĂ – DISCIPLINE OBLIGATORII83
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I
II
III
IV
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VI
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VIII
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24
12
9
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16
10
248
83 Loc. cit., mapa LII, dosar nr.2, f.1, 9, 21-26; dosar nr. 3, f.7; dosar nr.6, f.23, 40, 97.
* Gimnastica a fost introdusă ca disciplină obligatorie începând cu anul şcolar 1911/1912 din
cauza lipsei unei săli de gimnastică.
250
ZGR 2 (44) / 2013
LUCIAN BLAGA ÎN SPAŢIUL LINGVISTIC ŞI CULTURAL GERMAN.
Un studiu comparat al traducerilor de poezie
Melania Ilea
I. Lucian Blaga în spaţiul lingvistic şi cultural german
Impulsul care a contribuit decisiv la alegerea acestei teme izvorăşte din ideea
răspândită în ţara noastră conform căreia poezia lui Lucian Blaga ar fi necunoscută în spaţiul lingvistic şi cultural german. Studiul prezent nu urmăreşte
în mod necesar demonstrarea contrariului, ci mai curând punerea în evidenţă a eforturilor întreprinse din anul 1922 până în anul 2012 inclusiv, de al introduce pe marele poet român în circuitul literar german.
Incontestabil este faptul că cea mai răspândită modalitate de intermediere a
unui text într-o altă limbă este traducerea. Ea reprezintă, totodată, „cea mai
importantă formă de contact, receptare, schimb şi influenţă culturală între
două popoare cu limbi diferite” şi generează „bazele unei Weltliteratur, în
sensul definiţiei date de Johann Wolfgang Goethe, conform căreia literatura
este un bun comun al întregii umanităţi”1.
Deşi se ştie că poetul Lucian Blaga a pătruns prea puţin în spaţiul lingvistic şi
cultural german, ne permitem să afirmăm încă de la început că s-a tradus
mult în limba germană din poezia sa. Totodată, ne îngăduim să susţinem că
numărul destul de mare de traduceri existente din poezia blagiană, atestă, în
cel mai limpede mod, interesul manifestat faţă de marele poet român, în decursul vremii.
Volumul de poezii antume Lucian Blaga. Opere 12 cuprinde 243 de texte publicate de poet. Din acest total s-au tradus 195 (48 au rămas netraduse).
Cifra suficient de mare ne îndeamnă să descoperim cine sunt cei care au avut
încrederea că versurile blagiene merită citite în rândul vorbitorilor de limbă
germană. Până în momentul actual am aflat de existenţa a nu mai puţin de
12 traducători, înrădăcinaţi atât în cultura germană, cât şi în cea română. La
stabilirea acestui număr, cantitatea de poezii traduse nu a reprezentat un cri1 Cătălin Constantinescu, Ioan C. Lihaciu, Ana-Maria Ștefan Dicţionar de literatură comparată, Iași, ed. Universităţii „Alexandru Ioan Cuza”, 2007, p. 216. Afinitatea selectivă cu clasicul
german se va dovedi pregnant atunci când Blaga traducea integral „Faust” de Goethe. La performanţa translatorică a lui Blaga face referiri George Guţu în studiul său O nouă versiune a
lui "Faust" de Goethe in româneşte, în: Limbile moderne în şcoală (Bucureşti), 1, 1986, p. 4961.
2 Lucian Blaga, Opere 1. Poezii antume, ed. ctritică și stud. introductiv de George Gană, București, ed. Minerva, 1982, p. LXXVII.
Melania Ilea
teriu. Astfel, am inclus atât autorul unei singure transpuneri, cât şi pe cel
care este semnatarul a peste 200 de tălmăciri.
Volumul de poezii postume Lucian Blaga. Opere 23 conţine texte, considerate
de critică, mai puţin reprezentative, fapt ce ar putea explica imboldul mai
slab al tălmăcitorilor în popularizarea transfrontalieră. Aşadar, din totalul de
246 de poezii postume, 78 dispun de una sau mai multe variante în limba
germană [168 rămânând netraduse].
În acest context, numărul total al traducerilor întreprinse din poezia lui Blaga dobândeşte o însemnătate sporită, împreună cu numărul variantelor disponibile ale fiecărei poezii luate individual. Existenţa mai multor versiuni din
una şi aceeaşi poezie atestă posibilitatea efectuării unui studiu comparat al
acestora. În vederea exemplificării, amintim de cele opt versiuni germane ale
poeziei Gorunul, de cele şapte variante ale poeziei Linişte sau de cele şase
traduceri ale piesei lirice Eu nu strivesc corola de minuni a lumii. În această
ordine de idei merită să punem în evidenţă faptul că marea majoritate a poeziilor traduse cunoaşte două sau trei versiuni. Inclusiv ediţia de texte postume, mult mai puţin traduse, dispune de poezii care cunosc patru variante,
aşa cum este cazul poeziilor Atotştiutoarele şi Cântecul spicelor4.
Eugen Klar deschide lista traducătorilor poeziei lui Lucian Blaga. Acest intelectual din cercurile germane cernăuţene este, cu foarte mare probabilitate,
autorul celei dintâi traduceri din poezia lui Blaga. Este vorba aici de poezia:
Ich entblättere nicht die Blumenkron' der Weltenwunder [Eu nu strivesc corola de minuni a lumii]. Cea dintâi versiune într-o limbă străină, mai exact în
limba germană, a cunoscut lumina tiparului la data de 21 mai 1922, în
numărul 2, al revistei Die Brücke.
În cel de-al doilea număr al Analelor Bucovinei din anul 1995, Dimitrie Vatamaniuc dedică un articol revistei cernăuţene Die Brücke, a cărei însemnătatea este de netăgăduit, întrucât găzduise publicarea primelor traduceri din
poeziile lui Blaga. Argumentul care ne îndeamnă să-l considerăm pe Eugen
Klar autorul celei dintâi traduceri din Blaga publicate vreodată este prezentarea sa introductivă – la care face referire Vatamaniuc – situată înaintea celebrei traduceri. În publicaţia amintită, Eugen Klar scoate în evidenţă originalitatea poeziei lui Blaga, numindu-l „tânărul poet român” şi subliniază în3 Lucian Blaga, Opere 2. Poezii postume, ed. ctritică și stud. introductiv de George Gană, București, ed. Minerva, 1984.
4 Informaţiile prezentate sunt rezultatele inventarierilor întreprinse cu prilejul acestui studiu.
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ZGR 2 (44) / 2013
Lucian Blaga în spaţiul lingvistic şi cultural german
crederea pe care o aveau intelectualii cernăuţeni într-o carieră strălucită a
poetului, considerându-l încă de la începutul activităţii sale una din marile
personalităţi ale literaturii universale:
Der junge Lucian Blaga ist die Hoffnung der zeitgenössischen Lyrik. Er ist
schwer wie Dehmel und metrisch frei wie Whitman. Dabei ist diese scheinbare formale Leichtfertigkeit im innersten Grunde eine strenge rhythmische
Gebündenheit5.
Mai mult de-atât, în acelaşi număr al revistei apare versiunea germană a
poeziei Das Echo [Ecourile], aceasta purtând semnătura lui Eugen Klar. A
treia poezie tradusă, Ruhe [Linişte], aparţine de asemenea lui Eugen Klar, ea
fiind publicată – conform celor afirmate de Vatamaniuc – la data de 3 iunie
1922 în numărul 4, al revistei Die Brücke, în locul poeziei Der Stalagtit [Stalactita], anunţată în numărul 3, din 28 mai 1922.
Contribuţia Bucovinei nu este doar aceea de a-l introduce pe Blaga în circuitul literar universal, ci demnă de menţionat, în acest context, este importanţa
ziarului cernăuţean Glasul Bucovinei în afirmarea lui Lucian Blaga, în
desprinderea sa de provincie şi în includerea sa în literatura română6. Vatamaniuc subliniază „generozitatea ieşită din comun”7 cu care Bucovina îmbrăţişa poezia lui Blaga, într-o conjunctură în care viaţa politică predomina
asupra celei culturale şi remarcă mândria colaboratorilor acestui ziar de a-l
avea în sânul lor pe tânărul poet. Considerabil este şi faptul că în Glasul Bucovinei s-au publicat mai multe capodopere ale lui Blaga încă înaintea tipăririi lor în volum la Sibiu şi Bucureşti, în anul 1919, ceea ce a susţinut impunerea sa în presa vremii.
În ordinea succesiunii în timp a apariţiei traducerilor de poezie, Vasile Gherasim ocupă cel de-al doilea loc. Cu toate că este traducătorul unei singure
poezii, considerăm că merită a fi integrat în studiul nostru, întrucât orice
contribuţie la introducerea poetului Blaga în circuitul literaturii universale
îndreptăţeşte la preţuirea acestui efort. Poezia Ich erriet die Sünde, die über
meinem Haus lastet [Am înţeles păcatul care apasă asupra casei mele] a
5 Vatamaniuc Dimitrie „Die Brücke. Punte de legătură între cultura română și cea germană” în
Analele Bucovinei, nr. 2(4) [iulie-decembrie] anul II, 1995, p. 294. (Citat preluat din revista
Die Brücke, nr. 2, 21 mai 1922).
6 Ibidem, p. 249.
7 Ibidem, p. 247.
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253
Melania Ilea
apărut în aprilie 1927 în publicaţia bucovineană, „Cernowitzer Allgemeine
Zeitung”8.
Anul 1932 întâmpină la editura Genius, din Timişoara, prima ieşire de sub tipar a unei antologii de lirică românească în limba germană, intitulată Rumänische Dichter: Eine Anthologie zeitgenössischer Lyrik, în care Blaga este
prezent cu un număr total de nouă poezii. Zoltán Franyó, traducătorul şi editorul antologiei amintite, a contribuit semnificativ, în calitate de publicist,
poet şi traducător, la răspândirea literaturii maghiare şi române în spaţiul
german.
În anul 1969 se publică în antologia intitulată Rumänische Lyrik. Eine Auswahl übersetzt und herausgegeben von Zoltán Franyó, tipărită la editura
Bergland din Viena, alte cinci poezii blagiene în traducerea lui Franyó, însoţite, de asemenea, de câte o variantă revăzută a trei poezii traduse, publicate deja, în prima antologie.
La editura Kriterion din Bucureşti s-a tipărit în anul 1987 o antologie de poezii traduse de Franyó din literatura română şi universală, intitulată Mich
reut es nicht ... Nachdichtungen aus der rumänischen und Weltliteratur.
Lucian Blaga este reprezentat în antologia amintită prin poezia Inschrift [Inscripţie], aceasta fiind cea de-a 15-ea poezie blagiană tradusă de Franyó.
Spaţiul de cultură german, întâmpină în anul 1960 antologia Panorama moderner Lyrik. Gedichte des 20. Jahrhunderts in Übersetzungen apărută la
editura Sigbert Mohn din Gütersloh. În prefaţa culegerii care cuprinde aproximativ o mie de poezii traduse din lirica europeană şi nord-americană, editorul Rudolf Hartung subliniază că impulsul care a condus la elaborarea antologiei, a luat naştere din dorinţa de a înlesni accesul cititorului german la
imensa bogăţie a poeziei moderne occidentale. Editorul afirmă că selecţia şi
gruparea tematică a poeziilor nu se sprijină nicidecum pe intenţia de a orienta cititorul, consolidând anumite concepţii legate de poezii, prin scoaterea în
evidenţă a structurii liricii secolului XX sau prin sublinierea caracterului
naţional al poeziilor. Principiul care a stat la baza selecţiei se sprijină pe ideea lansării unei invitaţii fiecărui iubitor de poezie, în vederea întreprinderii
unei expediţii literare. Conform afirmaţiilor sale, calitatea traducerilor a reprezentat şi ea, la rândul său, un criteriu de alegere. În acest context, s-a urmărit ca antologia să îndemne cititorul la comparaţii, orientându-i privirile
asupra similitudinilor şi a contrastelor şi să permită – conform lui Hartung –
8 Ibidem, p. 249.
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ZGR 2 (44) / 2013
Lucian Blaga în spaţiul lingvistic şi cultural german
detectarea multitudinii liniilor melodice a diverselor ţări9, cititorul având
libertatea să parcurgă culegerea de lucrări alese, asemenea unei plimbări în
sălile unei expoziţii de artă10.
Obiectivele expuse sunt realmente în opoziţie cu intenţiile antologiilor
apărute cu aproximaţie în aceeaşi perioadă, însă în RDG. În studiul său dedicat receptării literaturii române între anii 1945 şi 1989, Olărescu constată că
factorul principal care a condus la producerea unei antologii de texte literare
a fost în exclusivitate unul politic, întrucât prin aceasta nu se urmărea informarea cititorului cu privire la alte literaturi, oferindu-i-se mici probe literare,
ci ele trebuiau să transmită prin intermediul selecţiei textelor, precum şi a
introducerii sau a bibliografiei, indicaţii despre societatatea, sarcinile şi
obiectivele socialiste. Olărescu expune un citat dintr-un articol din anul 1959
pentru a întări în mod desluşit cele afirmate în legătură cu sarcina unei antologii de texte literare:
Trebuie ca noul cititor să găsească mai uşor opera… nu trebuie să neglijeze
raţiunea critică... Iubirea faţă de artă şi conştiinţa socială, luate laolaltă, reprezintă educaţia la care ne referim11.
Autoarea subliniază că în intervalul de timp vizat, în RDG a apărut un număr
suficient de mare de opere semnate de scriitori români, reprezentanţi ai diferitelor generaţii şi curente. Însă cărţile vizau scopul întăririi clişeelor existente în RDG, vizavi de România, întrucât, conform lui Olărescu, prin traducerea operelor literare s-a realizat transferul acelor Weltbilder româneşti, aflate în opoziţie cu imaginile obiective despre lume. Potrivit autoarei, operele
au fost „instrumentalizate pentru a reprezenta anumite teorii literar-politice.
Programaticii traductologice i s-a atribuit o oarecare putere, traducându-se
multe romane din pur interes politic pentru a accentua asemănările între
două ţări socialiste înfrăţite”, fapt ce a provocat pagube literaturii române şi
a perturbat recepţia corespunzătoare a acesteia12. „Pagubele” amintite con9 Rudolf Hartung, „Vorwort”, în: Panorama moderner Lyrik: Gedichte des 20. Jahrhunderts
in Übersetzungen, Gütersloh, ed. Sigbert Mohn, 1960, p. 9.
10 Ibidem, p. 8.
11 Daniela Olărescu, Die Rezeption der rumänischen Literatur in Deutschland zwischen 1945
und 1989, Frankfurt am Main, Peter Lang, 2008, p. 161 (citat preluat din Auer, Annemarie:
Antholgie und Anthologisten în „Neue Deutsche Literatur” 7 (1959) 2, p. 122 – traducera îmi
aparţine).
12 Daniela Olărescu, op. cit., p. 162.
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stau, în viziunea lui Virgil Mihăilescu (principalul fondator al Bibliotecii
Române din Freiburg im Breisgau), în
minimalizarea fenomenului românesc în Europa de Vest ... privirea tendenţioasă a problemelor noastre vitale (datorită calculelor politice ale anumitor cercuri neprietene hrănite sistematic şi insidios de duşmanii dintotdeauna ai poporului român)13.
În legătură cu antologia Panorama moderner Lyrik. Gedichte des 20. Jahrhunderts in Übersetzungen, o importanţă deosebită o are includerea unei
poezii de Lucian Blaga. Însemnătatea este cu atât mai mare, cu cât această
decizie luată de editura din Germania (de Vest) a reprezentat realmente un
„compromis”, întrucât în decursul acelor ani, Lucian Blaga (la fel ca Ion Pillat) nu a fost încă „reabilitat”14. În plus, ţinând cont de criteriul legat de calitatea traducerilor, aflat, după afirmaţiile editorilor, la baza elaborării antologiei, traducătorul Georg Drozdowski capătă o însemnătate profundă.
Prezenţa în antologie a lui Lucian Blaga, încă în viaţă la acea dată, prin poezia Oraş vechi [Alte Stadt] în traducerea lui Georg Drozdowski este remarcabilă. Drozdowski, unul din cei mai însemnaţi traducători ai versurilor blagiene, a selectat şi tradus poeziile lui Lucian Blaga, integrându-le în cel dintâi
volum de traduceri în limba germană. Antologia bilingvă de poezii selectate
din opera poetului se intitulează Mareele sufletului [Gezeiten der Seele], ea
fiind editată în anul 1963, de Biblioteca şi Institutul Român din Freiburg im
Breisgau, instituţie existentă şi în zilele noastre.
Ctitoria Culturală Românească de la Freiburg im Breisgau a fost fondată la
data de 1 mai 1949, din iniţiativa unui grup de români stabiliţi în Germania,
din „nostalgia după ţara părăsită, în epoca nefastă a stalinismului instalat în
cultură, şi dintr-un complex de gânduri şi sentimente specifice doar omului
dezrădăcinat”15. Scopul urmărit era, pe de o parte apărarea valorilor şi tradiţiilor culturale româneşti, iar pe de altă parte informarea corectă asupra
problemelor româneşti16. Olărescu subliniază că în contextul în care obiectivul prim al instituţiei îl reprezenta îngrijirea şi răspândirea literaturii române fără constrângeri politice, apariţia versurilor lui Lucian Blaga tocmai la
13 Vasile Voia, Comparatism și germanisctică, București, Ideea Europeană, 2008, p. 212.
14 Ibidem, p. 179.
15 Vasile Voia, op. cit., p. 212.
16 Ibidem, p. 212.
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Lucian Blaga în spaţiul lingvistic şi cultural german
această editură, nu denotă doar o concordanţa între poet şi viziunea literară
a colaboratorilor săi români aflaţi în exil, ci şi între atitudinile lor politice,
întrucât opera lui Blaga fusese interzisă de comunişti până în 196517.
Demn de menţionat este meritul domnului profesor universitar Vasile Voia
în includerea traducerilor lui Georg Drozdowski în circuitul literar românesc
– acestea fiind necunoscute cititorului român – precum şi în contribuţia sa la
păstrarea vie a interesului faţă de prezenţa marelui poet român al sec. XX în
afara graniţelor ţării, în spaţiul lingvistic şi cultural german, prin reeditarea
volumului antologic Mareele sufletului [Gezeiten der Seele], în anul 2003, şi
publicarea acestuia la editura Dacia din Cluj-Napoca.
Georg Drozdowski face parte din grupul de poeţi cernăuţeni de expresie germană din perioada interbelică, stabilit după război în Austria [Klagenfurt].
Acesta „este considerat de critică în general drept un caz tipic de interculturalitate creatoare”18, întrucât şi-a asumat rolul de intermediar între limbile şi
culturile care conglomerau plaiurile sale natale. Scriitor, jurnalist, actor, poet
şi nu în ultimul rând traducător pasionat, acest suflet al „ţării fagilor” se remarcă printr-un limbaj individual. În ceea ce priveşte limba poeţilor cercului
cernăuţean, germanistul de prestigiu, profesorul universitar George Guţu,
sesizează o sensibilitate aparte, manifestată deosebit de clar în eforturile
translatologice. În acest sens, traducerile lui Drozdowski sunt considerate a fi
expresia bogăţiei etnice a Bucovinei, ţinut în care străduinţele pe plan translatologic culminează faţă de cele din Translivania sau Banat, ele având germenele în sentimentul izolării şi în aspiraţia spre recunoaştere în vest19. În
legătură cu limba şi literatura germană din Bucovina, Erich Beck reliefează
succesul nemaipomenit al poeţilor şi scriitorilor din acest ţinut, un fenomen
realmente curios, precum îl numeşte autorul, tocmai datorită numărului mai
mic de 200.000 de locuitori de etine germană înregistraţi la izbucnirea celui
de-al doilea Război Mondial. Cu toate acestea, poeţii şi scriitori cu limbă maternă germană de pe aceste meleaguri au reuşit să influenţeze în mare măsură literatura germană de după război20.
17 Daniela Olărescu, op. cit., p.179.
18 Ibidem, p. 13.
19 Ibidem, p. 13, citat preluat din George Guţu, „Georg von Drozdowskis interkulturell-poetische Leistung”, (în): Schriftsteller zwischen (zwei) Sprachen und Kulturen. Internationales
Symposium Veszprém und Budapest 6.-8. November 1995. Ed. Antal Mádl și Peter Motzan,
Verlag Südostdeutsches Kulturwerk, München 1999, p. 202.
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Anul 1967 îmbogăţeşte repertoriul liric german al lui Blaga cu un nou florilegiu, semnat Oskar Pastior. Lucian Blaga. Ausgewählte Gedichte este o antologie doar în limba germană, dedicată în totalitate poemelor blagiene. Importanţa remarcabilă a volumului constă în faptul că este primul de acest
gen, publicat în România, la Editura Tineretului – Jugendverlag din Bucureşti, în colecţia Die schönsten Gedichte. Totodată, reprezintă în momentul
apariţiei, precum şi pentru următorii 13 ani, cea mai cuprinzătoare publicaţie
de traduceri germane din Blaga, înglobând 100 de poeme din volumele poetului.
Peste şapte ani, în 1974, cunoaşte lumina tiparului colecţia Cele mai frumoase poezii ediţie bilingvă de versuri Lucian Blaga, Poeme, la editura Albatros,
din Bucureşti. De această dată, cuvântul înainte, tabelul cronologic şi traducerile îi aparţin lui Wolf von Aichelburg, aproape necunoscut publicului
românesc, precum afirma Ştefan Augustin Doinaş în anul 1997, în cartea sa
Poeţi străini. Potrivit lui Ion Acsan, Wolf von Aichelburg şi-a propus realizarea primei ediţii bilingve „nepremeditate”21 din poeziile marelui poet român,
prin îngemănarea sumarului ediţiei în limba română Cele mai frumoase
poezii: Lucian Blaga, Versuri şi a ediţiei în limba germană în traducerea lui
Pastior.
Tămlăcirile lui Aichelburg din lirica lui Blaga au cunoscut în anul 1998 o
nouă ediţie, unilingvă de această dată, intitulată Lucian Blaga: Der wunderbare Samen tipărită la editura Universal Dalsi din Bucureşti, cu sprijinul Ministerului Culturii din România. Cuvântul înainte îi aparţine lui Aichelburg,
numărul poemelor fiind identic cu cel al ediţiei anterioare – 43. În plus, traduceri ale lui Aichelburg au fost preluate de mai multe antologii. Astfel, în
antologia în limba germană Rumänische Gedichte von Tudor Arghezi, Lucian Blaga, Ion Barbu apărută la editura Horst Erdmann, din Tübingen şi Basel, sunt incluse, alături de operele altor traducători, 10 poeme transpuse în
limba germană de Aichelburg. Anul 1995, centenarul naşterii poetului, a fost
unul prolific din punct de vedere al publicaţiilor, întrucât s-a tipărit o culegere de poezii atât în Germania, cât şi în România. Prin urmare, în anul amintit, culegerea de poeme în limba germană Am Abgrund aller Fernen. Sechs
rumänische Lyriker des 20. Jahrhunderts a cunoscut lumina tiparului la
20 Erich Beck, „Deutsche Sprache und Literatur in der Bukovina”, în Interferenţe culturale
româno-germane, Iași, Contribuţii Ieșene de Germanistică IV, 1986, p. 189.
21 Ion Acsan, „Cuvânt înainte”, în Lucian Blaga. Tristete metafizică ed. bilingvă românogermană, București, Grai și suflet – Cultura naţională, 1995, p. 26.
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editura Südostdeutsches Kulturwerk din München, traducerile din Tudor Arghezi, George Bacovia, Ion Pillat, Ion Barbu, Lucian Blaga, Mihai Beniuc, selecţia acestora şi ilustraţiile aparţinând în totalitate lui Aichelburg, postfaţa
bio-bibliografică fiind semnată de Peter Motzan. Prezenţa lui Lucian Blaga
este atestată prin 14 poezii.
Aproape simultan se publică la editura „Grai şi suflet – Cultura naţională”
Departamentul Informaţiilor Publice al Guvernului României din Bucureşti,
volumul bilingv Lucian Blaga. Triste metafizică, Aichelburg, autorul prefaţei
şi al tabelului cronologic, fiind prezent – alături de alţi traducători ai lui Blaga precum Drozdowski, Franyó, Herrfurth, Pastior – cu 29 de poezii traduse.
În anul 1998 iese de sub tipar o antologie autohtonă în limba germană cu
cele mai frumoase şi reprezentative poezii ale literaturii române din cursul
unui secol de lirică. La baza selecţiei poeziilor se află dorinţa de a atesta continuitatea poeziei româneşti, prin înglobarea mai multor generaţii de poeţi.
În acest florilegiu Rumänische Dichter: Anthologie editat de Matei Albastru
şi Virginia Carianopol şi tipărit la România Press din Bucureşti, Lucian Blaga
îşi face prezenţa cu 6 poeme, dintre care două în traducerea lui Aichelburg.
În urma revizuirii şi a completării antologiei, aceasta a urmat să fie republicată, pentru a putea legitima afirmaţia conform căreia ar fi cea mai completă
şi reprezentativă selecţie de poeme româneşti tipărită vreodată. Aceasta a
apărut în anul 2001 la aceeaşi editură, sub titlul Antologia lirică Orfeu. Rumänische Dichter. Von Eminescu bis zur Gegenwart. Lyrikanthologie, editor fiind Matei Albastru. În ceea ce priveşte poemele lui Blaga, nu au parvenit
schimbări faţă de ediţia anterioară.
Dieter Roth este traducătorul a două poezii ale lui Lucian Blaga, la fel ca
Anca Curticăpeanu.
În anul 1980 se publică cea mai cuprinzătoare ediţie bilingvă de poezii intitulată Lucian Blaga. Gedichte, introducerea aparţinând lui George Gană iar
prefaţa şi traducerea lui Ruth Herrfurth. Antologia cuprinde un total de 223
poezii traduse, selecţia aparţinând lui Gheorghe Miletineanu22. În viziunea
lui Herrfurth – aşa cum rezultă din nota traducătoarei [Vorbemerkung] din
ediţia amintită, elaborată la Kleinmachnow, Germania în septembrie 1978 –
nu există o altă modalitate de a prezenta măreţia unui poet peste graniţele
ţării, decât prin intermediul traducerilor. Însă potrivit celor afirmate de
22 Ruth Herrfurth, „Vorbemerkung”, în Lucian Blaga. Gedichte. ed. bilingvă româno-germană, trad. Ruth Herrfurth, București, ed. Minerva, 1989, p. 45.
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Herrfurth, devotamentul traducătorului faţă de poetul pe care îl transpune
este pus la încercare, întrucât se ştie de la bun început că nu poate fi îndeplinită cerinţa de a reda fidel atât cuvântul, cât şi întreaga amploare expresivă şi
sonoră a poetului. Pentru Herrfurth, traducerea poetului Lucian Blaga reprezintă „o încercare de apropiere, care nu exclude nicidecum posibilitatea altor
variante”, procesul de traducere presupunând traversarea unei întregi varietăţi de dificultăţi ivite în punerea în acord a conţinutului şi a formei poeziei23.
Un loc aparte ocupă în bogata noastră listă, Rudolf Hollinger, poet, scriitor,
traducător şi profesor de limbă germană, originar din Banat, Timişoara şi
stabilit ulterior în oraşul Langenau din Germania. Considerăm un caz fericit
faptul că ne-au parvenit patru poezii traduse în germană de Rudolf Hollinger
din versurile lui Lucian Blaga, întrucât acestea nu au cunoscut niciodată lumina tiparului24.
Poet, scriitor, traducător şi nu în ultimul rând fost romanist la Institutul de
Romanistică al Facultăţii din Viena, Hans Dama, originar din Banat este un
mediator ferm între ţara sa natală şi ţara sa gazdă, fiind numit de Hans Gehl
un veşnic pribeag între culturi25. La rândul său, traducător al liricii blagiene,
a publicat un număr de 15 traduceri [majoritatea din poeziile postume –
niciuna din cilcul Poemele luminii] în Meridian Blaga 3, volum apărut în
anul 2003 la Casa Cărţii de Ştiinţă, din Cluj-Napoca. Pentru tălmăcirile
amintite, Hans Dama a obţinut premiul pentru traducere, sub egida celui deal 23-lea (XXIII) Festival Lucian Blaga din România.
Cea mai recentă iniţiativă de introducere a marelui poet, Lucian Blaga, în circuitul internaţional constă în publicarea anuală, la editura Ars Longa din
Iaşi, a unei selecţii din volumele sale [în ordinea apriţiei lor în epocă] în
ediţii multilingve: română, franceză, italiană, engleză şi germană. Traducerile în limba germană au fost realizate în colaborare, de conferenţiar Anneliese
Poruciuc de la catedra de germanistică din Suceava şi profesorul univ. Adrian Poruciuc, precum şi de Andrea Bargan. În cazul de faţă, la fel ca şi în cele
anterioare, traducătorii amintiţi sunt mediatori echitabili ai culturii române
în spaţiul lingvistic german, întucât îndeplinesc condiţia esenţială, şi anume
23 Ibidem, p. 45.
24 Informaţie confirmată de Hans Dama în corespondenţa electronică.
25 Hans Gehl, Tübingen, URL: http://www.philologica-jassyensia.ro/upload/
IV_1_RECEN-ZII.pdf, consultat la 20.08.2012.
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Lucian Blaga în spaţiul lingvistic şi cultural german
aceea a înrădăcinării adânci în ambele culturi.
II. Un studiu comparat al traducerilor de poezie
Înainte de a întreprinde o analiză comparată a traducerilor existente din poezia lui Lucian Blaga, considerăm indispensabilă stabilirea unui cadru teoretic, în baza căruia să decurgă studiul nostru. În centrul soluţiei adoptate de
noi se află metafora. Angajamentul nostru este de a realiza o legătură între
metaforă şi traducere, în aşa fel încât să cuprindem atât elemente de ordin
obiectiv, cât şi elemente de ordin subiectiv. Motivul pentru care ne concentrăm asupra metaforei rezidă în afirmaţia lui Lakoff şi Johnson, conform
cărora „metafora uneşte în mod inedit raţiunea şi imaginaţia”26. În viziunea
autorilor, raţiunea se sprijină pe categorizare (ocultarea sau evidenţierea
unor anumite aspecte ale unui concept) iar la baza imaginaţiei se află percepţia unui tip de fenomen din unghiul unui alt tip de fenomen sau, cu alte
cuvinte, gândirea metaforică. Aşadar, metafora înfăţişează „raţionalitatea bazată pe imaginaţie”. Conform autorilor amintiţi, categoriile dezvoltate în
viaţa zilnică au un considerabil caracter metaforic iar raţiunea cotidiană implică derivaţii şi concluzii metaforice, astfel încât, nu este greşită reliefarea
legăturii dintre raţiune şi imaginaţie. În aceeaşi ordine de idei, analizând
înţelegerea metaforei poetice, autorii amintiţi subliniază că produsele imaginaţiei poetice sunt, la rândul lor, raţional structurate27.
Analiza comparată a traducerilor nu poate fi călăuzită doar de subiectivism,
întrucât acest lucru ar însemna privirea tuturor variantelor uneia şi aceleiaşi
poezii disponibile, spre exemplu, în limba germană, exclusiv din unghiul individualităţii şi al unicităţii lor, neputând fi aplicat niciun reper de evaluare
obiectivă. Singurul beneficiu de pe urma subiectivităţii, pe care se sprijină în
toată amploarea ei hermeneutica, se nuanţează în relaţie cu chestiunea retraducerii operelor literare. Având în vedere multitudinea de variante germane ale poeziilor lui Lucian Blaga, menţionăm că fiecare „produce trezirea şi
nemijlocirea” textului „într-o nemijlocire nouă”28. Hermeneutica ne ajută să
26 George Lakoff și Mark Johnson, Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von
Sprachbildern, ed.1, Heidelberg, editura Carl-Auer-Systeme, 1998, p. 220.
27 Ibidem p. 221.
28 Hans-Georg Gadamer, „Limba ca mediu al experienţei hermeneutice”, în Adevăr și Metodă, trad. G. Cercel, L. Dumintru, G. Kohn, C. Petcana, București, Teora, p. 298.
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găsim un posibil răspuns la chestiunea re-traducerii unei anumite opere.
Pornind de la sinergia dintre înţelegere şi interpretare, de la premisa conform căreia în traducere ar fi expus rezultatul interpretării, precum şi de la
îngemănarea înţelegerii şi a subiectivităţii, concluzionăm că fiecare variantă
este individuală şi că actul (re)traducerii este unul productiv, deoarece nu
există o tălmăcire corectă în sine, fiecare variantă contribuind, în felul său, la
apropierea de original şi la actualizarea acestuia într-un anumit spaţiu lingvistic şi cultural. Privită din unghiul hermeneutic, fiecare dublură reprezintă o
nouă operă de artă, în care se manifestă desluşit creativitatea translatoricească. Dacă nu este greşit să socotim înţelegerea un proces hermeneutic,
nici (re)traducerea nu poate fi omisă din acest proces care contribuie la „mobilizarea, modificarea şi îmbogăţirea cunoştinţelor” – sau de ce nu, a versiunilor – „anterioare”29.
Văzută din unghiul obiectivismului, problema analizei comparate a traducerilor presupune acea perspectivă absolută şi obiectivă care implică existenţa
unei singure traduceri corecte, acceptate ca echivalent absolut al textului sursă. Trasând semnul egalităţii între conceptul traducere şi cel de adevăr, am
putea spune că atât traducerea, cât şi adevărul se află într-o strânsă legătură
cu înţelegerea. Cert este însă că o perspectivă absolută care să contribuie la
acumularea adevărului obiectiv şi absolut despre lume este inexistentă. Desigur, acest lucru nu implică lipsa adevărului, ci presupune că adevărul este relaţionat, în primul rând, de sistemul conceptual, bine ancorat în experienţa
individuală şi colectivă, pe care reprezentanţii unei culturi o capătă în baza
polemicii continue cu ceilalţi şi cu mediul fizic şi cultural. Aşadar, adevărul
[şi de ce nu – traducerea] este supus unei măsurători permanente a acestor
experienţe30.
Lakoff şi Johnson propun o abordarea bazată pe experienţă drept punte de
legătură între subiectivism şi obiectivism. În această ordine de idei, conceptul de intersubiectivitate capătă însemnătate din ce în ce mai sporită.
Intersubiectivitatea este conceptul care adună laolaltă elementele subiective
ale textului literar – original sau în traducere – reprezentând un ajutor în
constituirea obiectivităţii. Textul literar se clădeşte pe intersubiectivitate, in29 Radegundis Stolze, „Das hermeneutische Denken”, în Übersetzungstheorien. Eine Einführung, Tübingen, Narr, 2001, p. 234.
30 George Lakoff și Mark Johnson, Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von
Sprachbildern, op. cit, p. 221.
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variant din conglomeratul subiectiv-estetic, indispensabil din procesul de integrare a operei în sfera literaturii ţintă. Caracterul comunicativ al traducerii
literare (dialog) presupune intersubiectivitate. Conform celor susţinute de
Hans Georg Gadamer, traducerea este un „dublu dialog” – traducătorul fiind
atât receptor, cât şi autor secund. Prin intersubiectivitate se înţelege mecanismul mental care guvernează forma şi conţinutul expresiei, permiţând interacţiunea reciprocă dintre experienţa individuală şi cea comună. După cum
remarcă Bozena Tokarz, fenomenul intersubiectivităţii are un rol deosebit de
important în interpretarea traducerii literare, precum şi în stabilirea nivelului de traductibilitate sau intraductibilitate al unei opere literare31. Din punct
de vedere lingvistic, intersubiectivitatea se manifestă la nivelul înţelesului.
Tokarz subliniază că procesele de categorizare şi conceptualizare depind în
mare măsură de intersubiectivitate, ele depăşind limba pentru a cuprinde un
context larg inteligibil şi pentru a pătrunde în cultura vorbitorului şi în modul său de interpretare a lumii. Pornind de la ideea conform căreia limba reflectă perspectiva unei anumite comunităţi, schema perceptivă, critică şi
strategică a acesteia, Tokarz subliniază caracterul modelator al limbii, activ
nu doar la nivelul societăţii, dar şi la nivelul individului, influenţându-i gândirea. Atingând problema specificităţii gândirii în limbă, în contextul conceptualizării sentimentelor şi a senzaţiilor, autorul amintit face trimitere la cognitivism.
Lakoff, Johnson, Turner etc. contribuie decisiv la desprinderea metaforei din
cadrul tradiţional tropic, repoziţionând-o într-un loc bine meritat. Acest lucru se sprijină pe anihilarea concepţiei conform căreia metafora ar exista
doar în texte poetice. Autorii afirmă vehement că această teză nu mai este acceptabilă, întrucât limba în sine este în mod vital metaforică. Aşadar, metafora se transformă dintr-un artificiu artistic într-un necesar indispensabil şi
onmiprezent, ea devenind un instrument
atât de obişnuit încât îl folosim inconştient şi automat, cu atât de puţin efort
încât abia observăm. Este omniprezentă: metafora ne inundă gândirea, indiferent ce părere avem despre ea. Este accesibilă pentru oricine: din copilărie
dobândim în mod automat măiestria metaforelor de zi cu zi. Este convenţională: metafora este o parte integrantă a gândirii şi a limbajului nostru cotidian. Este de neînlocuit: metafora ne permite să ne înţelegem pe noi înşine
31 Bozena Torkaz, „Intersubjectivity and Intertextuality in Literary Translation”, în Forum,
vol. 1, Studies in Comparative Literature and Translation, ed. Piotr Fast / Waclaw Osandik,
Katowice, Edmonton, 1998, p. 74.
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şi lumea înconjurătoare...32.
În mod concomitent, autorii destramă ideea conform căreia limbajul poetic
ar fi superior celui uzual, dezminţind această distincţie. În viziunea celor
amintiţi, limbajul poetic nu se poate deosebi de cel uzual, întrucât ambele au
la dispoziţie aceleaşi instrumente. Faptul că textele poetice dispun de o varietate mult mai mare de metafore, metonimii etc. nu se datorează unei diferenţe la nivel de limbaj, ci pur şi simplu „talentului, îndemânării artistice şi
iscusinţei utilizării instrumentarului existent al limbii”33. În viziunea lui Lakoff şi Turner poetul extinde şi compune metaforele în moduri inedite. Cu
toate acestea, autorul textului poetic, nu plăsmuieşte metaforele convenţionale pe care se sprijină poezia, întrucât ele sunt date, fiind răspândite prin
tradiţie în cultura şi în gândirea fiecărei persoane34, poetul dispune mai
curând de darul extinderii sau al compunerii metaforelor înrădăcinate în sistemul conceptual al culturii. În acest sens, în cadrul analizei noastre de traduceri, ne vom focaliza pe anumite metafore din poezia lui Lucian Blaga, în
spatele cărora poate fi identificată o metaforă convenţională. Urmează apoi
să analizăm traducerea acestor metafore în fiecare variantă disponibilă, verificând acele cuvinte cheie, care, în textul sursă, realizează trimiterea la metafora convenţională. Punctul de reper în analiza comparată îl constituie congruenţa sau incongruenţa la nivelul limbajului figurat între textul sursă şi
textele ţintă.
În centrul analizei noastre comparate a traducerilor din lirica lui Lucian Blaga se află următorul vers din poezia Linişte: „Atâta linişte-i în jur de-mi pare
că aud / cum se izbesc de geamuri razele de lună”.
Îndemnul lui Lakoff şi Turner este de a ne regla atenţia asupra modului în
care diferite metafore convenţionale pot fi combinate pentru a produce efecte ingenioase şi complexe. La prima vedere, versul citat nu pare a fi încărcat
îndeosebi cu metafore. Însă izbitura audibilă a razelor de lună este neîndoielnic un procedeu figurat de exprimare a unei imagini create de poet pentru a
accentua în chip imaginar-antitetic intensitatea liniştii. Luată în ansamblu,
imaginea poate fi înţeleasă inconştient şi automat, fără a implica un efort
32 George Lakoff și Mark Turner, More than Cool Reason. A Field Guide to Poetic Metaphor,
Chicago, University of Chicago Press, 1989, p. Xi, (traducerea M.I.).
33 Ibidem, p. xi.
34 Ibidem, p. 8.
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Lucian Blaga în spaţiul lingvistic şi cultural german
deosebit din partea cititorului35.
Cu toate acestea, de îndată ce privim cu atenţie la versul citat, observăm
complexitatea afiliaţiilor semantice care contribuie la fiinţarea acestuia.
Avem în vedere, pe de o parte izbitura iar pe de altă parte razele de lună.
Cum se pot izbi razele lunii de geam? Cum poate provoca izbitura a ceva ce
nu produce defel zgomote, o succesiune de sunete audibile? Cum putem înţelege ceea ce percepem de obicei prin văz [lumina lunii], prin intermediul auzului [rezultatul sonor al izbiturii razelor lunii]? Aceste lucruri se petrec în
gândirea noastră prin intermediul unor metafore convenţionale, precum metafora conform căreia, perceperea impresiilor din lumea exterioară cu ajutorul unor organe specifice înseamnă a cunoaşte: PERCEPEREA ESTE CUNOAŞTERE. Prin intermediul acestei figuri de stil se realizează transpunerea
metaforică a datelor unui simţ în limbajul unui alt simţ, ceea ce poate fi asociat cu tehnica literară cunoscută sub denumirea de sinestezie.
Însă metafora convenţională amintită nu este singura prezentă în versul nostru, întrucât ea răspunde doar la cea de-a treia întrebare pe care am formulat-o. Primele două întrebări îşi găsesc răspunsul în metafora convenţională
FORMA ESTE MIŞCARE. Felul în care se înfăptuie acest lucru necesită câteva explicaţii.
Cu toţii ştim că razele sunt nişte linii drepte după care se propagă lumina.
Când vorbim de raze, ne gândim implicit la o mişcare lineară dintr-un punct
în altul. Cu toate că razele nu sunt în mod expres vizibile, le concepem sub
forma unor linii aflate în mişcare. Această idee se bazează, conform lui Lakoff şi Turner, pe modul general de a înţelege metaforic forme statice în termenii unei mişcări care trasează această formă. Prin urmare, concepem luna
ca sursa ce generează razele îndreptate spre geam. În metafora FORMA
ESTE MIŞCARE domeniul ţintă FORMĂ este înţeles în termenii domeniului
sursă MIŞCARE. Aşadar, percepem forma în termenii acelei mişcări care trasează forma.
Potrivit autorilor, metafora transformă o schemă statică în una dinamică:
forma statică [razele de lună] este înţeleasă în termenii unei mişcări dinamice [se izbesc]. Desigur, precum subliniază Lakoff, metafora este înrădăcinată
în experienţă, similar ca desenul realizat pe o coală de hârtie, care, odată ce
creionul este ridicat, încetează a mai fi doar un ansamblu de linii, devenind o
35 Ibidem, pp. 141-143.
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formă cu o anumită semnificaţie.
Legătura cu această metaforă este realizată prin cuvântul izbesc. Importanţa
verbului amintit, în contextul nostru, rezultă şi din ideea de mişcare pe care
o generează. Razele lunii sau liniile drepte şi paralele par să se mişte de sus
în jos, căzând oarecum perpendicular pe suprafaţa geamului, obiect care
opreşte mişcarea continuă. Odată oprite brusc, razele se izbesc şi provoacă
un zgomot specific. Acest lucru ne duce cu gândul la existenţa obligatorie a
unui impuls sau a unei forţe ce propulsează razele şi care este pricinuitorul
impactului. Fiecare rază sau linie reprezintă o mişcare metaforică, reliefată
prin forţa sa de impact pe suprafaţa sticlei.
În traducerea lui Eugen Klar, din 1922, versul capătă următoarea formă: „So
viele Ruhe ist um mich, dass es mir scheint, als hört' ich / wie an die Scheiben leise pocht der Strahl des Monds”. Prin pochen şi Strahl des Monds traducătorul realizează trimiterea la metafora convenţională. Totuşi, în acest
caz, este necesară o mică remarcă. Prin includerea adverbului leise, inexistent în original, Klar tulbură imaginea poetică, în contextul în care intenţia
lui Blaga nu este sublinierea nivelului de silenţiozitate al izbiturilor, ci accentuarea liniştii din jur, realizată, în mod paradox, prin referirea sugestivă la
sunetul provocat de razele lunii. În plus, sesizabilă este inconcordanţă la nivel gramatical: viele Ruhe în loc de viel Ruhe.
O traducere adecvată, din punct de vedere al imaginilor poetice, este cea
semnată de Drozdowski: „So viel der Stille rings: Mir ist, ich hör', / die Mondenstrahlen an die Scheibe schlagen!”. Verbul schlagen este un substituent
potrivit al românescului a se izbi, asigurând trimiterea la metafora conceptuală amintită. În ceea ce priveşte substantivul compus Mondenstrahlen, observăm că această formă nu este uzuală, folosindu-se mai degrabă Mondesstrahlen.
Pastior optează pentru „Es ist so still um mich, es ist, als ob der Mond, / ans
Fenster fallend, es zum Klingen brächte.” Remarcăm în această variantă lipsa
unui pilon semantic de mare importanţă în construcţia imaginii poetice, şi
anume a razelor. În condiţiile de faţă, legătura cu metafora convenţională
este sfărâmată, întrucât razele, sub forma liniilor drepte, ce generează o mişcare, nu există. În versurile oferite de Pastior, luna însăşi pare să cadă de
geam în locul razelor, provocând un tingănit. Zgomotul specific exprimat
prin klingen este, de asemenea, adăugat de traducător, atâta timp cât Blaga
accentuează impactul generat de o anumită forţă, care implică, desigur, un
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Lucian Blaga în spaţiul lingvistic şi cultural german
zgomot însă nu semnalează tipul acestuia [klingen]. Prin urmare, în acest exemplu se remarcă o alterare profundă a imaginii poetice.
Wolf von Aichelburg ne pune la dispoziţie următoarea soluţie: „So tiefe Stille
ist um mich. Mir ist's als hört ich / des Mondes Strahlen an die Scheiben
klingen.” Acesta reia de asemenea termenul klingen, utilizat de traducătorul
anterior, denaturând imaginea poetică, întrucât în acest caz, razele nu se izbesc, ci sună. Ceea ce se omite prin întrebuinţarea termenului a suna este
trimiterea la forţa care generează mişcarea razelor şi, implicit, impactul lor.
Cu toate că sunetul are realmente o importanţă în contextul nostru, acesta
trebuie înţeles ca rezultat al unei acţiuni generate de o forţă [se izbesc]. Contrar lui Pastior, Aichelburg nu omite termenul raze, substituindu-l prin
Strahlen, ceea ce oferă versului mai multă omogenitate semantică decât în
exemplul anterior.
Anca Curticăpeanu întrebuinţează în varianta sa: „Es ist so still um mich, daß
es mir scheint, als hört' ich / die Mondesstrahlen, auf die Scheiben prallend,
klingen”, atât termenul klingen, cât şi prallen. Ceea ce observăm în cazul
prezent este, pe de o parte, substituirea corectă a termenului a se izbi prin
prallen, îndeplinindu-se, din acest punct de vedere, echivalenţa semantică
iar pe de altă parte, completarea versiunii germane cu un termen superfluu
klingen, absent în versurile semnate de Blaga.
Herrfurth traduce rândul de poezie prin „Die Stille ist so groß ringsum, daß
ich zu hören glaub, / wie sich des Mondes Strahlen an den Scheiben stoßen.”
Opţiunile sale sunt adecvate în împrejurarea în care se realizează trimiterea
la metafora convenţională FORMA ESTE MIŞCARE, în care traiectoria razelor de lună aflate în mişcare punctează forma. Verbul an etwas stoßen, corespondentul lui a se izbi, este esenţial din acest punct de vedere. Cu toate că,
din perspectiva imaginilor create de poet, traducerea este una reuşită, trebuie să ne oprim asupra unei incorectitudini gramaticale, născute din plasarea
substantivului într-un caz nepotrivit. Este evident că verbul nemţesc an etwas stoßen impune cazul acuzativ, astfel încât substantivul în acuzativ plural
ar trebui să fie: an die Scheiben.
Cea din urmă variantă, semnată de Poruciuc, „Es ist so still ringsherum; mir
scheint als höre ich, / wie die Mondstrahlen ans Fenster hämmern”, înglobează o opţiune nu foarte reuşită în ceea ce priveşte cuvântul cheie a se izbi.
Acel hämmern oferă indicii cu privire la tipul de zgomot prezent, pe când
Blaga, nu precizează acest lucru. Izbitura nu este echivalentul ciocănitului
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Melania Ilea
(hämmern), la fel cum nu este nici echivalentul clopoţitului (klingeln) – cum
a fost cazul în exemplele anterioare. Optând pentru verbul amintit, traducătoarea fisurează uşor integritatea semantică a imaginii poetice şi trimiterea la metafora convenţională amintită.
Conchidem că exemplele noastre nu sunt suficiente pentru a crea o imagine
globală privind competenţa traducătorilor. Prin ele nu se poate urmări evaluarea obiectivă a traducerilor, şi implicit, nu se pot trage concluzii generale
cu privire la traducători. Exemplele oferite reprezintă, cel mult, o invitaţie la
o degustare translatorică.
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2.
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noua versiune a lui "Faust" de Goethe în româneşte. In: "Die Sprache ist das Haus des
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ZGR 2 (44) / 2013
Lucian Blaga în spaţiul lingvistic şi cultural german
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CENZII.pdf, consultat la 20.08.2012
Abstract
The great Romanian poet Lucian Blaga seems to have never become intensely known
in the German Linguistic and Cultural Space, even though a great number of translators showed their interest in the cross-border popularization of his poetry. From the
total of 243 anthumous poems, 195 were translated into German, some of the most
famous ones, having up to 8 german versions. This prooves that the premise for a
comparative translation study is given. Due to the fact that every single German version reflects the individuality of its translator, we do not emphasize here the translational competence. Our intention lies instead in an invitation to a translational tasting, guided by the conventional metaphor. Our goal ist to establish a connection
between the field of translation and the cognitive linguistic theory of metaphor while
identifying conventional metaphors in the source text and analysing the way those
metaphors are beeing kept in the target texts, under the condition that poetic metaphors are extentions of general and ordinary metaphorical conceptions.
Schlüsselwörter: Lucian Blaga, Lyrikübersetzung, Übersetzer, konventionelle
Metapher, vergleichende Studie.
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CULTURĂ-AGRICULTURĂ – INTERREFERENŢIALITĂŢI
ESENŢIALE
pentru schimbarea paradigmei de la intensiv la durabil
Maria Niculiu-Arsene
Teoriile evoluţiei culturale au suferit în ultima jumătate de secol transformări importante ce privesc evoluţia omenirii ca întreg, diversele societăţi
fiind în diferite stadii ale dezvoltării sociale. Mai mult decât atât, evoluţia
culturilor nu mai este privită ca un fenomen uniliniar – culturile pot evolua
în paralel urmând modele diferite. Toate aceste teorii evidenţiază importanţa
extraordinară a descoperirii tehnicilor de prelucrare a pământului asupra tuturor culturilor mondiale. Pornind de la aceste elemente, vom propune câteva punţi necesare şi posibile de legatură între structurile societăţii urbane
postindustriale şi valorile ori modelele comunităţilor rural-agricole.
Aşa cum am menţionat anterior, majoritatea antropologilor de astăzi resping
teoriile secolului al XIX-lea, ce susţineau evoluţia uniliniară a culturilor. Relaţia dintre cultură şi mediul în care aceasta se dezvoltă explică diferitele
aspecte ale culturii. Abordarea majorităţii cercetătorilor examinează culturile
ca sisteme emergente şi se ridică întrebarea dacă fenomenul cultural care a
devenit în era informaticii atât de complex, nu ar trebui să includă şi sfera
politică şi economică.
La început a fost sămânţa: Revoluţia Neolitică
Sămânţa a existat înaintea apariţiei primelor semne ale culturii şi desigur
înaintea apariţiei agriculturii. În timp ce primele semne de artă umană au
apărut, conform unor recente descoperiri1, în jurul anului 32.400 î.C (picturile murale din peştera Chauvet, Franţa), agricultura a marcat evoluţia umană cu peste 12.000 de ani în urmă, prin Revoluţia Neolitică care a transformat comunităţile nomade de vânători-culegători în comunităţi agricole sedentare. Vere Gordon Childe a fost arheologul şi filologul care a consacrat în
anii 1920 termenul “Revoluţia Neolitică” pentru a descrie prima serie de revoluţii agricole din istorie. Termenul “revoluţie” relevă extraordinara semnificaţie şi schimbările induse în societăţile umane primitive de descoperirea
tehnicilor agricole. Aceste schimbări radicale au transformat comunităţile
mobile de vânători-culegători în aşezăminte agricole fixe. Descoperirile
1 *** Die grosse Chronik-Weltgeschickte, ediţie îngrijită de Görich K. şi Körner H. Universitatea „Ludwig Maximilian“, München, Wissen Media Verlag, 2008 (trad. rom. Alexandru-Ionuţ
Mihăilescu, Cronica ilustrată a omenirii, Bucureşti, Editura Litera, 2011, 16 volume), vol. 1:
Începuturile omului şi culturile timpurii, p. 106.
Cultură-agricultură – interreferenţialităţi esenţiale pentru schimbarea paradigmei de la intensiv la durabil
arheologice plasează primele forme de domesticire a plantelor în jurul anului
10.000 î.C. în zona denumită “Semiluna fertilă”, areal situat în climat mediteraneean şi beneficiind de un potenţial biologic avantajos pentru cultivarea
primelor cereale, linii parentale esenţiale ale principalelor culturi cerealiere
de astăzi. Specii de grâu sălbatic ca emmer (Triticum dicoccoides) şi einkorn
(Triticum boeoticum) precum şi orzul au fost atunci domesticite. Dar această
“cultural domination” 2 a omului asupra plantelor nu este o relaţie unilaterală
ci de la bun început un proces de feed-back. Nu numai plantele au fost supuse transformărilor prin cultivare ci şi oamenii au trebuit să se adapteze împreună cu plantele. Prin rotaţia culturilor, irigaţii şi depozitarea surplusului
de recoltă, s-au creat premizele pentru dezvoltarea comunităţilor umane mai
mari şi mai complexe, caracterizate prin diviziunea muncii. Putem spune că
au apărut astfel primele elemente a ceea ce numim cultură: structurile ierarhice administrative, scrisul, obiectele de artă. Trebuie totuşi menţionat că
arta în comunitătile humanoide este mult mai veche decat agricultura-vezi
referinţa anterioară la descoperirile din grota Chauvet din Franţa, decorată
de oamenii din Aurignacian, cca. 32.400 î.C.
Energia plantelor şi dominarea lor culturală
Leslie White (1900-1975) a fost antropologul american căruia îi datorăm
contribuţii importante la teoriile evoluţiei socioculturale şi în special la neoevoluţionism. În cartea sa – The Evolution of Culture: The Development of
Civilization to the Fall of Rome3, White lansează o teorie explicativă pentru
istoria omenirii. Conform lui White, cel mai important factor este tehnologia.
Consumul de energie este măsura dezvoltării unei societăţi care este astfel
dependentă de tehnologii: “Social systems are determined by technological
systems”4. Iniţial, omul şi-a folosit energia muşchilor, apoi energia animalelor domesticite şi în al treilea rând, energia plantelor pe care le-a domesticit.
În al patrulea rând, omul utilizează energia resurselor naturale: cărbune, petrol etc. Apoi, omul foloseşte energia nucleară. White utilizează de asemenea
termenul de dominaţie culturală asupra plantelor, prin procesul cultivării
lor, “cultural domination”.
2 Leslie A. White, The Evolution of Culture: The Development of Civilization to the Fall of
Rome, New York, McGraw-Hill Book Company, Inc., 1959, p. 19.
3 White, op. cit.
4 White, op. cit., p. 20.
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271
Maria Niculiu-Arsene
A fost Europa/Eurasia privilegiată?
Un alt aspect al conexiunii cultură-agricultură este legătura dintre factorii de
mediu şi geografici şi caracteristicile evoluţiei culturale. În Guns, Germs,
and Steel. The fates of human societies5, Jared Diamond argumentează că în
special în ultimii 13.000 de ani, dezvoltarea culturii eurasiatice a fost favorizată de un cumul de caracteristici geografice, climatice şi de mediu. Avantajul timpuriu câştigat de Eurasia s-ar fi datorat existenţei unui număr crescut
de plante şi animale disponibile pentru a fi domesticite (ovăz, grâu, leguminoasele uscate, inul şi animale precum capra, oaia şi vitele), număr suficient de ridicat pentru a rezista principiului “Anna Karennina”6. Există în Eurasia 13 specii de animale mari domesticite, dintr-un total de 148 de “candidate”. După Diamond, ritmurile diferite de dezvoltare înregistrate în ultimele
milenii între Europa şi Asia ar putea fi explicate prin geografia Europei care a
favorizat “balcanizarea” (state-naţiuni mici, apropiate, mărginite prin graniţe
naturale ca munţii sau râurile). Această trăsătură ar fi condus la limitarea
consecinţelor erorilor de guvernare şi ar fi determinat procese relativ rapide
de redresare sau reconfigurare ale sistemelor. Prin opoziţie, în imperiile extinse şi izolate ale Asiei, erori similare de guvernare ar fi provocat consecinţe
cu mult mai greu de corectat. Diamond oferă aici exemplul Chinei în care, în
1432, un nou împarat al dinastiei Ming a interzis construirea de nave oceanice,
într-o perioadă în care China deţinea supremaţia mondială în călătoriile oceanice.
Antropologul american Julian Steward (1902–1972) a creat teoria evoluţiei
“multiliniare” şi a dezvoltat “conceptul şi metoda” ecologiei culturale, jucând
un rol foarte important în teoria schimbării culturale. În cartea sa Theory of
Culture Change: The Methodology of Multilinear Evolution7 – Steward a
dezvoltat teoria evoluţiei "multiliniare", care, spre deosebire de sistemul
“uniliniar” al lui White, nuanţează modalităţile diferite de evoluţie a culturi5 Jared Diamond, Guns, Germs, and Steel. The Fates of Human Societies, New York, W.W.Norton&Company, Inc., 1997 (trad. rom. Ştefancu Mircea şi Fleşeru Teodor, Viruşi, arme şi
oţel: soarta societăţilor umane, Bucureşti, Allfa)
6 “Principiul Anna Karennina” descrie acţiunea în care existenţa unei anumite deficienţe conduce la eşecul acesteia. Ca urmare, succesul unei acţiuni (care evoluează conform acestui principiu) depinde de absenţa oricărei deficienţe de tipul descris. Numele provine din romanul
Anna Karenina al scriitorului Lev Tolstoi, care începe astfel: “Toate familiile fericite se aseamănă între ele; fiecare familie nefericită este nefericită în felul ei.”
7 Julian H. Steward, Theory of Culture Change: The Methodology of Multilinear Evolution,
ed. a VII-a, Illinois, University of Illinois Press, 1972.
272
ZGR 2 (44) / 2013
Cultură-agricultură – interreferenţialităţi esenţiale pentru schimbarea paradigmei de la intensiv la durabil
lor care sunt dependente atât de resurse şi de adaptarea la ele, cât şi de evoluţia în timp a acestui binom: structuri culturale – mediul înconjurător. Astfel, culturile nu se schimbă urmând un anumit model logic. Este prin urmare
firesc ca ele să parcurgă etape diferite în succesiuni diferite şi urmând direcţii diferite – "multilinear evolution".
Steward credea că se pot crea teorii analizând culturi comune tipice unei
anumite regiuni şi nu întreaga evoluţie a umanităţii. Factorii decisivi care astfel
pot influenţa dezvoltarea unei anumite culturi fiind, după Steward, într-adevăr
tehnologia şi economia dar şi alţii secundari, ca sistemele politice, religia şi
ideologiile. Toate acestea conduc la caracteristica “multiliniară” a teoriei sale.
Sociologul american Talcott Parsons a dezvoltat în anii 1950 “teoria acţiunii”8,
caracterizată ca o încercare de a rămâne în domeniul stiinţific, recunoscând
totodată o anumită dimensiune subiectivă (“subjective dimension”) a acţiunilor
umane. Talcott menţionează de asemenea şi importanţa motivaţiei actelor
umane. După Talcott, evoluţia este împărţită în patru subprocese:

diviziunea, care creează subsisteme funcţionale pentru orice sistem
principal;

adaptarea sistemelor principale evoluează spre versiuni mai eficiente;

includerea unor elemente iniţial neincluse în sistem;

generalizarea valorilor, necesară în sistemele foarte complexe.
Talcott exemplifică aceste patru subprocese prin cele patru stadii ale evoluţiei:

stadiul primitiv sau culegătorii;

agricultura arhaică;

stadiul clasic sau "istoric", teoriile formalizate despre realitate;

culturile moderne.
Nature versus Nurture sau cum agricultura ne modifică genele
Doch weil, was ein Professor spricht,
Nicht gleich zu allen dringet,
So übt N a t u r die Mutterpflicht
Und sorgt, daß nie die Kette bricht
Tot ce savanţii-n cărţi aştern
Nu află fiecare.
N a t u r a-n simţul ei matern
Păzeşte lanţul cel etern,
8 Talcott Parsons, Societies: Evolutionary and Comparative Perspectives, Englewood Cliffs,
Prentice Hall, 1966, p. 26.
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Maria Niculiu-Arsene
Und daß der Reif nie springet.
Einstweilen, bis den Bau der Welt
Philosophie zusammenhält,
Erhält s i e das Getriebe
Durch Hunger und durch Liebe
Să fie pururi tare.
Cât timp filozofia nu-i
Suportul universului
A vieţii cârmuire
E-n foame şi-n iubire.
Friedrich Schiller: Die Weltweisen
(1795)
Friedrich Schiller: Înţelepţii
lumii. Trad. I. Cassian-Mătăsaru9
În anii 1980, a câştigat teren teoria conform căreia evoluţia umană este rezultatul unei combinaţii dintre evoluţia genetică şi evoluţia culturală – aşanumita “Dual inheritance theory” – DIT10, sau “gene-culture coevolution”.
Această teorie se bazează pe trei mari concepte:
1. Cultura se poate adapta
Capacitatea umană de a depozita şi transmite cultura rezidă din mecanismele psihologice care au evoluat genetic. Implicit, evoluţia înseamnă învăţare
socială.
2. Cultura evoluează
Procesele de învăţare socială nasc evoluţia culturală. Trăsăturile culturale
sunt transmise pe alte căi decât cele genetice şi au astfel un impact diferit
asupra maselor de oameni. Acest impact poate explica variaţiile comportamentale umane.
3. Genele şi cultura evoluează împreună
Cultura influenţează mediul social şi psihic în care selecţia genetică operează.
Un exemplu deseori citat este influenţa schimbărilor alimentare produse de
trecerea la statutul de agricultor şi crescător de animale cu lapte asupra genelor umane. Astfel, la omul modern gena care produce digestia lactozei s-a
menţinut şi după depăsirea vârstei de sugar. Studii recente11 au arătat că civilizaţia umană a avut un ritm accelerat de schimbări genetice în ultimii
9 Iosif Cassian-Mătăsaru (1896-1981), poet şi traducător (Victor Hugo, Edgar Allan Poe, poezie clasică germană - Friedrich Schiller, Heinrich Heine).
10 DIT (Dual inheritance theory) sau Teoria co-evoluţiei gene-cultură, dezvoltată în anii
1970-1980, explică formarea comportamentul uman ca produsul interacţiunii a două procese
evolutive: evoluţia genetică şi evoluţia culturală.
11 Clare R. Holden şi Ruth Mace, “Phylogenetic analysis of the evolution of lactose digestion in
adults”, Human Biology 69, 1997, p. 605-628.
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ZGR 2 (44) / 2013
Cultură-agricultură – interreferenţialităţi esenţiale pentru schimbarea paradigmei de la intensiv la durabil
10.000 de ani – momentul descoperirii practicilor agricole.
Un alt exemplu este scăderea naturală a natalităţii în zonele industrializate12, 13.
Se presupune că în aceste zone, prestigiul indivizilor creşte dacă familia
respectivă are un număr redus de copii, iar această familie are şanse sporite
să devină un model cultural.
Paradisul pierdut
În timp ce Tzu-Gung călătorea pe la nord de râul Han, văzu un bătrân muncind în grădina de legume. Omul săpase un şanţ ca să-şi ude legumele. Aducea apă coborând cu greu într-un puţ şi ridicând apoi în braţe vasul cu apă
pe care îl varsa în sanţ. Efortul era mare iar rezultatele foarte modeste. TzuGung spuse "Există un mod prin care poţi uda 100 de sanţuri într-o singura
zi şi cu mult mai puţin efort. Vrei să-ţi spun cum?". Grădinarul se opri, se
uită la el şi zise, "Şi care ar fi acest mod?" Tzu-Gung răspunse, "Iei o bârnă
de lemn, grea în spate şi usoară în faţă. Agăţi găleata de ea şi poţi în felul
ăsta să aduci atât de repede apă că umpli şanţul imediat. Se numeşte
cumpănă!" Furia se citi deodată pe chipul bătrânului şi acesta răspunse, "Lam auzit pe Maestru spunând că cine foloseşte maşinării îşi face munca întocmai ca o maşinărie. Cine îşi face munca ca o maşinărie capătă inimă de
maşinărie, iar cine are o inimă de maşinărie în piept îşi pierde nevinovăţia.
Cine şi-a pierdut nevinovăţia devine nesigur şi sufletul lui se chinuie. Nesiguranţa într-un suflet chinuit nu se potriveşte cu cinstea. Ştiu despre acest
mod dar mi-e ruşine să-l folosesc. 14
În epoca post-industrială, agricultura a fost smulsă din arborele ei genealogic-cultura şi implantată în economie. Agricultura la scară industrială, aşa
cum este ea practicată astăzi, se dovedeşte incapabilă să susţină dezvoltarea
durabilă. Practicile intensive ale agriculturii de tip industrial pot sărăci terenuri arabile bogate în mai puţin de 50 de ani15. Abandonarea completă a
practicilor tradiţionale agricole în favoarea produselor chimice conduce la
12 Robert Boyd, Culture and the Evolutionary Process, Chicago, University of Chicago Press,
1985, p. 199-202.
13 Peter J. Richerson si Robert Boyd, Not By Genes Alone: How Culture Transformed Human Evolution, Chicago, University of Chicago Press, 2005, p. 169-182.
14 Chuang-Tzu citat de Heisenberg, in: Werner Heisenberg, Das Naturbild der heutigen Physik”, in: „Max-Planck Gesellschaft Jahrbuch“, 32-54, 1953 (trad. engl. Pomerans Arnold, The
Physicist’s Conception of Nature, New York, Harcourt, Brace and Company, 1958, p. 20).
15 Mihai Berca, Agrotehnica. Transformarea modernă a agriculturii, Bucureşti, Ceres, 2011,
p. 231.
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275
Maria Niculiu-Arsene
dispariţia unui bogat tezaur de cunoştinţe şi prin ignorarea efectelor pe termen lung, la ruperea relaţiei cu natura şi cu ciclurile ei. Considerăm că este
momentul ca agricultura să se întoarcă în cultură pentru a coopera la schimbarea paradigmei: de la intensiv la durabil, de la agresiune la armonie cu natura, catre “perpetual sound enrichment of diverse Cultures”16.
“Nu e mult să nu se termine şi puţin să nu-ţi ajungă”17
Din toate aceste teorii rezultă impactul covârşitor pe care descoperirea agriculturii şi utilizarea resurselor pămantului le-au avut în dezvoltarea culturală
a societăţilor. Aceste efecte ale determinismului ambiental, “environmental
determinism”, sunt însă astăzi nivelate de mijloacele de comunicare şi transport. Importanţa factorilor care au dus la creşterea puterii unor societăţi,
creştere bazată pe amplasarea avantajoasă a resurselor şi exploatarea acestora, se diminuează în era informatizării prin comprimarea distanţelor şi fenomenul de globalizare. Iată de ce în “satul global” 18 trebuie schimbată atitudinea faţa de sursele de hrană şi faţa de agricultură şi aduse tehnica şi tehnologiile să conlucreze pentru găsirea unor modalităţi durabile de practicare a agriculturii şi de asigurare a unui echilibru necesar pentru evoluţia culturii globale.
Una dintre punţile posibile este adoptarea în societăţile postindustriale complexe a sistemelor de administrare “aplatizate” – tipice societăţilor rurale. În
prezent – în majoritatea statelor moderne – sistemele sociale sunt construite
în model piramidal, încurajând o complicată pătură birocratică în care deciziile sunt delegate către vârful ierarhiei iar aplicarea lor este greoaie. În comunităţile rurale funcţionează şi astăzi o reţea densă de relaţii personale bazate în foarte mare măsură pe legături de rudenie sau contactul direct faţă în
faţă. Normele respectate sunt de obicei nescrise iar membrii comunităţii sunt
legaţi între ei prin reţele de interdependenţă reciprocă ce cuprind toate
aspectele vieţii, de la muncă şi familie la distracţii comune. Spre deosebire de
relaţiile urbane care au mai curând o natura “contractuală”19, în micile comu16 Hiwaki, op. cit., p. 246.
17 Proverb românesc.
18 Marshall McLuhan, The Gutenberg Galaxy: the making of typographic man, ed. a XV-a,
Toronto, University of Toronto Press, 2011, p. 25.
19 Francis Fukuyama, The Great Disruption. Human Nature and the Reconstitution of Social
Order, Profile Books Ltd., 1999 (trad. rom. Liana V. Alecu, Marea ruptură. Natura umană şi
refacerea ordinii sociale, Bucureşti, Humanitas, 2011, p. 18).
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Cultură-agricultură – interreferenţialităţi esenţiale pentru schimbarea paradigmei de la intensiv la durabil
nităţi rurale, aspectele morale sunt reflectări ale unor credinţe, cutume sau
obiceiuri străvechi şi prevalează asupra legilor autorităţii administrative.
Persoanele influente – aşa-numiţii formatori de opinie – devin cei care demonstrează că pot exploata optim resursele şi obţine rezultate bune pe perioade îndelungate de timp. Este astfel apreciată o relaţie de benefică reciprocitate cu natura şi calităţi precum hărnicia, cumpătarea, deschiderea la nou şi
răbdarea. Acţiunile acestor formatori de opinie sunt urmărite şi repetate de
membrii comunitătii în absenţa unor factori exteriori formali.
O altă punte între comunitatea urbană-industrializată şi cea rurală-agricolă
poate fi construită prin ridicarea nivelului cultural al comunităţilor rurale-agricole, adică ridicarea nivelului constiinţei astfel încât descoperirile ştiintei
şi geneticii să fie folosite conştient (etic şi durabil) în agricultură. Reînvierea
tradiţiilor satului românesc ar putea constitui un punct de plecare pentru
această apropiere căci agricultura rămâne relaţia perenă între om şi natură,
iar noi:
[...] am fost proiectaţi de Tatăl-Dumnezeu să ne desăvârşim prin educaţia oferită de Mama-Natură. Suntem astfel influenţaţi pozitiv de remarcabila determinare a conducătorului masculin şi de fermecătoarea administrare a Doamnei Cancelar. Încercăm să înţelegem într-un mod constructiv Calea, Adevărul şi Viaţa prin Arte, Ştiinţă şi Inginerie. Trebuie să controlăm uniunea
triadelor prin Credinţă, Conştiinţă şi Inteligenţă. Cei trei muşchetari au întotdeauna nevoie de cel de al patrulea - Filozofia: Avem nevoie de conştienţă
pentru a ne reîntoarce inteligent la credinţă; credinţa izvorăşte din intuiţia inspirată controlată de imaginaţie20.
Trebuie să începem, altminteri nu este nicio grabă. Aşa cum concluzionează
Hiwaki:
[...] we cannot expect any alternative politico-economic environment forever,
unless we humans decide now to steadily pursue the alternative value systems
and ways of life through the paradigm shift, perpetually enriching the diverse
Cultures across the world and giving rise to the strong countervailing power
against the lopsided Market that caters mostly to the Big Market.21
20 Maria Niculiu şi Tudor Niculiu, “Culture–Agriculture Alliance as Part of the ‘New Enlightenment’”, IIAS-International Institute for Advanced Studies in Systems Research and Cybernetics, Sustainable Development and Global Community, 2012, p. 15.
21 Hiwaki, op. cit., p. 247.
ZGR 2 (44) / 2013
277
Maria Niculiu-Arsene
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***
Culture-Agriculture – Essential Interreferentialities
for the Paradigm Change: from Intensive to Sustainable
In the context of globalization, increase of world population and depletion of natural
resources, food problem requires changing the approach from local answers to global changes, from unilateral solution to holistic responses. In this “plugged world”,
local crises may rapidly become global. We are forced to accept the paradigm shift:
from intensive to extensive, from temporary to sustainable solutions, from competition to harmony. Having to face so many challenges, science as the tool of truth and
engineering and arts as expressions of good and beauty, must mutually catalyse to
build a new type of thinking, centred on enhancing the human power of comprehension. This cannot be achieved without conscience, regardless of the definition we
choose for it: “universal moral sense” or “welcoming of the Other”.
In our opinion, only through Culture, as the sum of personal and collective experiences, knowledge, wisdom, customs, linguistic aspects among others, can we conceive raising the human awareness, liberating man from temporal constraints and placing human acts sub specie aeternitatis. We define “Culture” as “the holistic societyspecific culture” in fact the multitude of cultures in their diversity, acting as both cohesion and harmonisation elements, and the society immune system that adopts all
the adequate influences and rejects the unsuitable ones.
Schlüsselwörter: Kultur, Agrikultur, nachhaltige Entwicklung, Paradigmawechsel, Gewissen.
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RECEPTAREA CULTURII GERMANE PRIN INTERMEDIUL
traducerilor publicate în gazetele sibiene „Tribuna“ şi
„Telegraful Român” în cea de-a doua jumătate a secolului al XIX-lea
Carmen Popa
Convieţuirea românilor cu saşii în vechiul burg sibian vreme de opt secole,
dar şi formarea majorităţii cărturarilor transilvăneni în marile centre universitare germane, au dus la crearea unui climat spiritual-cultural specific, cu
implicaţii politice, sociale şi economice, dar şi religioase, a cărui constantă
rămâne diversitatea. Sibiul a fost şi rămâne un loc al interferenţelor culturale
generate de diferenţa de limbă, tradiţie şi confesiune a celor două naţii conlocuitoare. Această experienţă multiculturală este oglindită foarte bine în
presa locală, care a concentrat asupra ei atenţia contemporanilor, dar continuă să prezinte interes şi pentru cercetătorii actuali, de vreme ce a reprezentat punctul de întâlnire a celor două culturi. Publicist şi profesor al universităţii din Göttingen Aug. Lud. Schlözer anticipa deja din 1765 importanţa
ziarelor în promovarea culturii notând: „Ziare! – Scriu acest cuvânt având un
sentiment de veneraţie. Ziarele sunt unele dintre cele mai importante mijloace de cultură prin intermediul cărora noi, europenii, am devenit europeni. Umanitatea nu a putut profita de ziare până când nu s-a ajuns la alte două
mari descoperiri – tiparul şi poşta – ... Îngust la minte este cel care nu citeşte
ziare!”1
Sibiul secolului al XIX-lea beneficia de o viaţă culturală bine dezvoltată. Publicistica devine principalul mediator de cultură care grupează în jurul ei întreaga intelectualitate românească dornică de schimbare şi de emancipare
naţională. Influenţa germană s-a manifestat cu predilecţie în Transilvania,
dar şi în unele cercuri de intelectuali din celelalte provincii româneşti, dintre
care cea mai importantă este gruparea din jurul Junimii.(de formaţie germană erau: T. Maiorescu, P. Carp, M. Eminescu, Iacob Negruzzi, Al. Xenopol, Al. Philippide, Samson Bodnărescu etc.). Junimismul a fost receptat în
Transilvania şi susţinut de către grupul de cărturari (Ilarion Puşcariu, Eugen
Brote, Daniil Popovici Barcianu, Dimitrie Comşa) care au întemeiat în 1876
suplimetul literar al „Telegrafului Român“ intitulat Foişoara „Telegrafului
1 Apud Sigerus, Emil, Vom alten Hermannstadt, Heilbronn: Johannis Reeg Verlag, 2003, p.
36, în original: „Zeitungen! – Mit einem Gefühl von Ehrfurcht schreibe ich dieses Wort
nieder. Zeitungen sind eines der großen Kulturmittel, durch die wir Europäer – Europäer
geworden sind. Die Menschheit konnte nicht eher zum Genuß derselben gelangen, als bis zwei
andere wichtige Erfindungen – Druckerei und Postwesen – vorausgegangen waren... Stumpf
ist der Mensch, der keine Zeitung liest!” (trad. C.P.)
Receptarea culturii germane prin intermediul traducerilor în „Tribuna“ şi „Telegraful Român”
Român“ şi ulterior de „Tribuna“ (1884), prin intermediul lui Ioan Slavici. Sibiul se afla, şi până la receptarea junimismului, sub influenţa culturii germane locale, fiind un oraş întemeiat de saşii veniţi aici în perioada 1141-1161 ce
au pus bazele aşezării numite Hermannsdorf.
Decalajul firesc al începutului presei româneşti faţă de cea germană, explicabil prin contextul politic al Transilvaniei sfârşitului de secol XIX, se reflectă
şi în decalajul de aproape un secol înregistrat între apariţia primului ziar sibian german – „Theatral Wochenblatt” (1778) – şi a primului periodic românesc din Sibiu, „Telegraful Român“ (1853). Această dezvoltare mai precoce a
presei germane motivează şi existenţa a 12 tipuri de publicaţii germane – raportată la momentul apariţiei celor două gazete de referinţă – faţă de cele 9
tipuri de ziare româneşti. Publicistica germană este foarte mult axată pe segmentul cercetării istoriografice şi al ştiinţelor şi prezintă în plus faţă de publicistica românească următoarele tipuri de ziare: cele adresate agricultorilor
sau familiei, reviste istorice, de ştiinţe naturale, ziarul financiar şi chiar şi un
ziar al poliţiei. Publicistica românească este mai bine reprezentată în zona
politicului şi a culturii, punctele cheie ale evoluţiei societăţii româneşti de la
acea dată. Cu toate greutăţile întâmpinate în accederea pe piaţa presei şi în
încercările de a-şi menţine locul ocupat, presa românească reuşeşte să elimine destul de rapid decalajul iniţial aflându-se nu cu mult în urma presei germane.
În acest peisaj germanofil considerăm oportună cercetarea receptării culturii
germane prin intermediul celor mai reprezentative gazete ale vremii: „Telegraful Român“, gazetă politică, industrială, comercială şi literară (de la
1853– 1919 când a devenit organ strict bisericesc) – primul periodic, nu numai sibian, ci şi transilvănean, care s-a bucurat de o deosebită longevitate şi
faimă în epocă şi ziarul „Tribuna“, „cotidian politic şi literar” (1884-1903),
primul cotidian ardelean, precum şi suplimentele lor literare „Foişoara Telegrafului Român“ (1876-1877) şi „Tribuna literară“ (1900-1902).
În momentul apariţiei „Telegrafului Român“ şi ulterior a cotidianului „Tribuna“ literatura română era în plin proces de formare urmărind parcursul
fenomenului literar din străinătate, preluând şi adaptând modele, proces în
care o importanţă deosebită a revenit traducerilor, ce au îndeplinit rolul de
transmiţător al culturilor străine, de punţi de legătură între secole, timpuri şi
oameni. Traducerile au contribuit la şlefuirea şi îmbogăţirea limbii române,
cultura românească a cunoscut noi dimensiuni, prin preluarea unor idei şi
deschiderea spre noi perspective oferite de cultura sursă, orizontul cititorului
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281
Carmen Popa
s-a lărgit automat. Traducătorii au beneficiat şi ei enorm de pe urma actului
traducerii, fiind nevoiţi a stăpâni foarte bine limba sursă, a cunoaşte bine
cultura ţării autorului din care va traduce, a găsi noi moduri de exprimare a
unei idei, pentru a o face accesibilă cititorului român, fără însă a se îndepărta
prea mult de textul original, conferind astfel o expresivitate deosebită limbii
române. De cele mai multe ori traducătorul era el însuşi scriitor găsind astfel
o sursă de inspiraţie, noi motive literare provenind din alte culturi, ce îi vor
servi în actul propriei creaţii. Chiar dacă scriitorii importanţi ai culturii
germane au fost uneori neglijaţi sau lucrările alese nu au fost cele mai
reprezentative, chiar dacă aceste prime traduceri nu au fost cele mai reuşite,
constatăm totuşi că această modalitate de receptare a fost foarte prolifică şi
totodată binevenită în perioada respectivă.
Analizând comparativ cele două publicaţii constatăm că „Tribuna“ cuprinde
un grupaj bine reprezentat de lucrări aparţinând culturii germane, depăşind
cu mult, în acest sens, „Telegraful Român“. Receptarea culturii germane s-a
realizat mai ales prin intermediul traducerilor unor lucrări din literatura germană, dar şi prin cronicile de teatru, articole critice şi recenzii, literatură
geografică şi impresii de călătorie, schiţe biografice şi articole omagiale sau
comemorative. Atât spaţiul larg dedicat traducerilor în coloanele celor două
publicaţii, cât şi numărul relativ mare al acestora comparativ cu celelalte căi
de receptare justifică alegerea temei propuse şi a trecerii în revistă a rezultatelor cercetării în cele ce urmează.
O primă traducere din opera lui Schiller (1759-1805) apare în anul 1881 când
„Telegraful Român“ publică balada Der Handschuh [Mănuşa] transpusă în
limba română de către Mihai Eminescu. Redactorul ziarului semnalează apariţia la Lipsca (Leipzig) a unui
fasciculu nou (V) din Schalk-Bibliothek, cuprinzând: „Der Hanschuh. Von
Friedrich von Schiller. Eine polyglotte Zusammenstellung von Fr. Thiel. Mit
24 Original-Illustrationen von W. Wellner”. În cărticica aceasta aflăm de traducerile în 12 limbi încă. (...) Pe noi ne interesează cu deosebire atenţiunea
progresivă a străinetăţii faţă cu limba română: din prefaţa editorului vedem adecă, cum dl. Eminescu a fost anume recercat prin mijlocirea consulului german Grisebach din Bucuresci, a traduce balada lui Schiller în limba
română pentru ediţia poliglotă de faţă. Apoi ne bucurăm că dl. Eminescu nea dat o traducţie, care se poate presenta fără cea mai mică sfieală lungă ori şi
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Receptarea culturii germane prin intermediul traducerilor în „Tribuna“ şi „Telegraful Român”
care din celelalte 11 traduceri, toate fiind de autori eminenţi.2
Tot din opera lui Schiller „Telegraful Român” publică în trei numere consecutive din 1887 traducerea scenei lirice Ovaţiunea muselor semnată de Georgiu Joandrea. Foarte interesant este faptul că în „Tribuna” nu apare nici o
traducere din opera lui Schiller, în schimb regăsim în „Tribuna literară” din
1902 traducerea realizată de către Iulian Devale a unei singure poezii intitulate Lumină şi căldură.
Receptarea lui Goethe (1749-1832) prin intermediul presei se realizează în
Sibiu relativ târziu – pentru prima dată în 1890 – şi oarecum unilateral, în
sensul că doar „Tribuna“ dă importanţa cuvenită scriitorului german. Însemnătatea deosebită, impactul enorm pe care romanul epistolar Suferinţele tinerului Werther l-a avut asupra publicului din întreaga lume l-au determinat
pe Andreiu Balteş, redactorul din perioada 1890-1892, să publice în foileton
în foiţa „Tribunei“, traducerea semnată de Mugur a acestui roman, ocupând
astfel rubrica rezervată literaturii pe parcursul a 34 de numere în 1890 şi situându-se pe locul întâi, ca frecvenţă a apariţiei, între operele traduse din
limba germană, ce au apărut în această publicaţie.3 „Tribuna literară” rezervă
şi ea un spaţiu foarte larg creaţiei lirice a lui Goethe publicând 21 de poezii
(Cristina; Îndepărtatei; Cel iubit e aproape; Martie; Orfanistul; Năzuroasa;
Convertita; Poesii; Floarea rugului; Un nou Amadis; Aflata; Noapte frumoasă; Fericire şi vis; Iunie; Aprilie; Poesii. Amor nou, vieaţă nouă; Alesei;
În lacrămi aflu mângăere; Lângă râu; Regele din Thule; Pescarul. Toate
aceste poezii sunt traduse de Iulian Devale şi au apărut în acelaşi an (1902).4
În mod curios, în ciuda importanţei deosebite şi a recunoaşterii în întreaga
lume a creaţiei goetheene, „Telegraful Român“ nu va publica până în 1902
nici o lucrare a marelui scriitor. Teodor V. Păcăţian, redactorul responsabil
din acea perioadă, alege să publice o poezie izolată intitulată Pescarul, a cărei
traducere este semnată de Maria Cioban.
O primă traducere a unei lucrări iscălite de H. Kleist (1777-1811) va fi publi2 „Telegraful român”, anul XXIX, 1881, nr. 128.
3 „Tribuna“, 1890, nr. 128 până la nr. 151 (inclusiv); nr. 157 până la nr. 163 (inclusiv); nr. 167
până la nr. 169 (inclusiv). Pentru detalii vezi indice „Tribuna“ de la Anexe.
4 „Tribuna literară“, 1902: nr. 137, nr. 142, nr. 145, nr. 160, nr. 165 (două titluri); nr. 174 (două
titluri); nr. 179 (trei titluri); nr. 184, nr. 189 (două titluri); nr. 193, nr. 202, nr. 206, nr. 211
(pentru lămuriri vezi Anexe).
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Carmen Popa
cată abia în 1890, când „Telegraful Român“ inserează traducerea povestirii
Cerşetoarea din Locarno, semnată de Iunior, şi retipărită şase ani mai târziu
în paginile „Tribunei“, dar sub o altă semnătură (şi anume cea a lui A. C. Liuba).
Receptarea creaţiei lui Heine (1779-1856) se realizează doar prin intermediul
„Tribunei“ şi a suplimentului său, „Tribuna literară“, „Telegraful“ nepublicând nicio lucrare din opera lui Heine. În „Tribuna literară” apar 12 poezii,
toate intitulate Cântece, dintre care 10 în traducerea lui Iulian Devale, celelalte două fiind traduse de Elena din Ardeal, respectiv de Const. Nutzescu.
Tot în această publicaţie mai apare încă o poezie sub titlul Traducere din
Heine de Octavian. Rubrica ziarului „Tribuna“ destinată literaturii cuprinde
5 poezii de Heine traduse de către cel ce se ascunde în spatele iniţialelor Al. I.
H., dar şi Pelerinagiul la Kevlaar tradusă de Maria Cunţanu. Traducerii lucrării Idei. Cartea Le Grand (1826), iscălită de M. Aegea, i se rezervă un
spaţiu relativ mare ocupând 17 numere ale foiţei „Tribunei“ din anul 1896.
Wilhelm Hauff (1802-1827, fondatorul romanului istoric) este receptat de
către cititorii „Telegrafului Român“ prin publicarea în anul 1878 a traducerii
nuvelei Cerşetoarea de pe Ponts des Arts (publicată în 25 de numere ale ziarului, semnată de cel ce se ascunde în spatele iniţialei B.) Cititorii „Tribunei“
din anul 1889, vor face şi ei cunoştiinţă cu aceeaşi nuvelă, însă în altă traducere, cea a lui Mugur. Ca şi în „Telegraful“ nuvela ocupă şi aici un spaţiu destul de larg din desfăşurarea ziarului apărând în 12 numere consecutive în
anul 1889, şi în încă 7 numere din anul următor. „Tribuna“ publică în anul
1887 încă o povestire a aceluiaşi autor intitulată Fabula ca almanah tradusă
de Mrap.
C. Th. Körner (1791-1813) apare în paginile „Telegrafului Român“ din anul
1891 ca şi autor al lucrării dramatice Iosif Heydrich sau Fidelitate germană
(5 numere consecutive ale gazetei) în traducerea lui I.G. Oltean. În anul 1911
paginile „Telegrafului“ vor găzdui farsa Guvernanta (tradusă de Z. H.), iar în
1917 povestirea Eroul în versiunea tradusă şi adaptată de Sebastian Stanca.
„Tribuna“ publică, tot din repertoriul dramatic al autorului, piesele Hedviga
şi Guvernanta, dintre care ultima apare şi în „Telegraful“, dar în altă traducere ( tradusă de Z.).
Receptarea lui G. E. Lessing (1729-1781) începe în anul 1889 doar prin intermediul „Tribunei“. Redactorul responsabil Septimiu Albini dedică un spaţiu
impresionant lucrării de estetică literară Laokoon sau Despre marginile picturii şi poeziei. Cu explicări în treacăt despre felurite puncte din istoria
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Receptarea culturii germane prin intermediul traducerilor în „Tribuna“ şi „Telegraful Român”
artei antice ce ocupă foiţa literară a ziarului 32 de numere consecutive. Traducerea acestui vast material este realizată de către Lucreţia Suciu.
Scriitorul austriac F. Grillparzer este receptat doar prin intermediul „Telegrafului Român“ din anul 1907 unde apare, în 9 numere consecutive, una
dintre nuvelele sale, de factură romantică, intitulată Mânăstirea de la Sendomir ( în traducerea semnată de db.)
Atât „Telegraful Român“ cât şi „Tribuna“ publică câte o piesă a dramaturgului A. Kotzebue. „Telegraful Român“ din 1907 publică farsa Nepotul răsfăţat
în traducerea lui Ioan Şt. Şuluţu, iar „Tribuna“ din 1890 piesa Isbucnirea desperării tradusă de Ioan Russu Abrudeanul.
Desigur că publicaţiile sibiene îi vor recepta şi pe unii reprezentanţi minori ai
literaturii germane, ceea ce dovedeşte interesul deosebit care exista în epocă
pentru cultura germană, dar şi orientarea publicului spre o literatură mai accesibilă. Această receptare este de mai mici proporţii însă se regăseşte în paginile „Telegrafului Român“ prin traducerea autorilor: R. Baumbach – povestirea Fermecul Crăciunului tradusă de I.Pop Reteganul; W. G. Horn – povestirea Trei dile şi doue cântări tradusă de Grigoriu Maniţiu; A. L. Kielland
– Mlaştina de turbă şi nuvela O maimuţă, ambele semnate de acelaşi traducător Yff., şi nuvela Dispoziţiune de bal, a cărei traducere este semnată de
Lulus; Ioh. Mayerhoffer – poezia Cântec de leagăn tradusă de Rinaldo; Fritz
Möhrlin – Oglinda plugarilor şi Un servitor bătrân traduse şi adaptate de I.
C.; Carol Oppel – Din timpuri vechi, traducere semnată de Yff.; C. Pichler –
naraţiunea Porumbii tradusă de I.Oltean; K. Thaler –studiul Arta de a se înscena pe sine însuşi tradus de Alban Cornilă; F. Schiffkorn – Din ţara
urşilor, traducere nesemnată; Schröder – Bucurie şi înţelepciune. Un dialog,
traducere semnată de O. Popea; Fr. Streissler – Jurnalismul, traducere
nesemnată. Există de asemenea şi trei lucrări ale unor autori anonimi:
nuvela Fire argintii tradusă de Victoria Goga; povestirea Iubire nemijlocită
tradusă de li-li; Salon în Lydia, naraţiune din limba germană semnată de
Abandonat.
În aceeaşi serie a autorilor obscuri descoperim în paginile „Tribunei“ lucrări
traduse din lucrările lui: H. Carsten – Princesa fermecată tradusă de P. Dulfu; L. Fulda – Între patru ochi, comedie într-un act tradusă de Hel.; Grindt –
Dama de companie în traducerea Petronellei Cornea; G. Hartwig – Secretul
ei, nuvelă tradusă de Lucreţia Popescu; W. Heimburg – Şi pe pământ pace!,
nuvelă tradusă de Letiţia Roşca; P. Heyse – La Rabbiata, nuvelă a cărei traZGR 2 (44) / 2013
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Carmen Popa
ducere apare nesemnată; A. Lippold – Din graţia regelui – novelă istorică
din timpul domniei regelui August-cel-tare tradusă de Salo; Ferd. Schmidt –
Doi copii, adaptare de Ioan Moţa; T. Winkler – Frumuseţea femeilor tradusă
de Ioan Russu Abrudeanul. Aflăm şi în paginile „Tribunei“ 4 lucrări germane
anonime: Aluna. O hazlie întâmplare pădureaţă tradusă de Nicolae Corcheşiu; Soldatul norocos şi nenorocos tradusă de Alex. C. Tălăşescu; Violina
dracului. Povestire tradusă de Titu L. Vuculescu; Egoistul din principiu în
traducerea lui Alex. C. Tălăşescu.
Dacă e să stabilim un clasament, pe criterii strict cantitative, în ceea ce priveşte locul ocupat de traduceri în desfăşurarea cotidianului „Tribuna“, constatăm că romanul epistolar al lui Goethe Suferinţele tânărului Werther reţine atenţia cititorilor „Tribunei“ mai mult de o lună de zile fiind publicat în 34
de numere ale ziarului, dintre care primele 24 consecutive. Putem afirma, de
asemenea, că nici un alt ziar sibian nu a mai publicat acest roman, nici chiar
„Telegraful Român“, care se bucură de cea mai mare longevitate. Pe locul doi
se află traducerea semnată de Lucreţia Suciu a operei lui G. E. Lessing Laocoon… (vezi mai sus), iar pe locul trei al acestui clasament se situează traducerea realizată de Mugur a nuvelei Cerşetoarea de pe Ponts des Arts de W.
Hauff publicată în 19 numere ale „Tribunei“ din 1889/1890. În baza aceluiaşi
criteriu urmează traducerea din H. Heine Idei. Cartea Le Grand iscălită de
M. Aegea în 17 numere din anul 1896, restul traducerilor neocupând un
spaţiu semnificativ în desfăşurarea ziarului.
Analizând în mod analog traducerile din „Telegraful Român“ remarcăm cu
surprindere că un autor obscur cum este Fritz Möhrlin este prezent în paginile ziarului cu două lucrări diferite, dintre care una – Oglinda plugarilor –
se întinde pe parcursul a 35 de numere din 1890, fiind cea mai vastă operă
publicată. Această alegere ar putea fi explicată prin caracterul ei popular şi
automat atragerea unui segment larg din publicul cititor. Următoarea lucrare
care impresionează prin spaţiul larg ocupat în cadrul părţii literare a gazetei
este traducerea din W. Hauff – Cerşetoarea de pe Ponts des Arts – semnată
de B. ce apare în 26 de numere ale anului1878. Se pare că această nuvelă a
avut un impact deosebit asupra publicului vremii respective căci o regăsim,
la o distanţă de un deceniu, în altă traducere semnată de Mugur şi în paginile
„Tribunei“ (19 numere). Lista poate fi continuată cu traducerea nuvelei lui F.
Grillparzer – Mânăstirea de la Sendomir – ce apare în 9 numere consecutive
din anul 1907.
Spre deosebire de „Tribuna“, care acordă un spaţiu relativ redus secţiunii li-
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Receptarea culturii germane prin intermediul traducerilor în „Tribuna“ şi „Telegraful Român”
terare şi anume o jumătate de pagină de ziar intitulată „Foiţa Tribuna literară” publică exclusiv lucrări literare. În ceea ce priveşte literatura germană, regăsită în acest supliment literar al „Tribunei“, constatăm că predomină traducerile, în majoritatea lor din lirica lui Johann Wolfgang von Goethe, 21 de titluri, şi Heinrich Heine, 13 titluri. De asemenea apare, în traducere, o poezie de Friedrich von Schiller, o nuvelă de Anton Ohorn, o epigramă
de Gotthold Ephraim Lessing şi un studiu biografic despre Fr. Nietzsche. În
ceea ce priveşte traducătorii întâlnim constant numele lui Iulian Devale, care
a reprodus atât lirica lui Goethe cât şi pe cea a lui Heine şi Schiller. Nuvela
lui A. Ohorn A şti o inimă fidelă a fost tradusă de Ioan Pop Reteganul, iar
una din poeziile lui Heine îl are ca traducător pe cel ce se ascunde sub pseudonimul Octavian.
În suplimentul literar „Foişoara Telegrafului Român“, apărut vreme de doi
ani (1876-1877), întâlnim doar o singură lucrare semnată de un autor german obscur I. G. Engel – Visul lui Galilei.5
Analizând statistic traducerile şi traducătorii prezenţi în gazetele cercetate
putem constata că s-au produs nenumărate erori de receptare, prin omisiunea sau numărul redus al unor autori importanţi în favoarea altora, să le
spunem, mai comerciali. Cu toate neajunsurile ei receptarea literaturii germane prin intermediul traducerilor a fost cel mai semnificativ mod de informare a publicului cititor asupra evoluţiei culturii germane, dar şi a celei universale, contribuind la educarea şi la formarea gustului pentru literatură a
tuturor categoriilor de cititori. Presa, ca mijloc de receptare, demonstrează
încă o dată existenţa relaţiei de interculturalitate dintre cele două popoare,
român şi german, care au coexistat, s-au influenţat reciproc şi continuă să
convieţuiască în acest spaţiu de peste opt secole.
Literatur:
1.
2.
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4.
Constantinescu, Pimen: Publicaţii periodice româneşti ale Sibiului de azi; Schiţă bibliografică, Sibiu, 1934
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Dunăreanu, Elena, Presa românească sibiană (1851 – 1968), Sibiu: Biblioteca Astra,
1969
5 „Foişoara Telegrafului Român“, 1876, nr. 20.
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Carmen Popa
5.
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Micu, Dumitru: Introducere la Presa literară românească. Articole program de ziare şi
reviste (1789 – 1948), vol. I, Bucureşti: Ed. pentru literatură, 1968
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Reviste:
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Receptarea culturii germane prin intermediul traducerilor în „Tribuna“ şi „Telegraful Român”
1.
2.
3.
„Telegraful Român”: 1870 – 1900
„Tribuna”: 1884 – 1903
„Tribuna literară”: 1900-1902
***
The reception of German culture through the translations published in
the periodicals from Sibiu, „Tribuna“ şi „Telegraful Român“, in the second half of the 19th century
The multicultural background of Sibiu at the end of the 19th century is very well reflected in the local press. The German influence was very important in this period so
that a study that analyzes in this respect the two major periodicals of the time – „Telegraful Român“ and „Tribuna“ – is certainly welcome. The Romanian literature was
at its starting point at the time of foundation of „Telegraful Român“ and later of „Tribuna“, so that it followed the steps that other European literatures made earlier. This
study reveals that the translations were the major way of recepting foreign cultures.
A large number of translations from German authors published in the periodicals
mentioned above lead to a great influence on the reading public in the way of enlarging its education and forming a literary taste.
Keywords: multicultural background, Sibiu, local press, German influence, translations.
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SFÂRŞITUL LUMII
în poezia modernă expresionistă de avangardă
Alexandru Ronay
Motivul Apocalipsei este o reprezentare largă în literatura universală, prezent în numeroase scrieri religioase şi seculare prin patru constelaţii frecvente1. Una dintre acestea este reprezentarea decăderii umane şi sociale, structural imaginată încă din Biblie prin venirea Domnului în iureşul lumii ajunsă
depravată, pe care ar urma s-o certe cu văpăi de foc (Isaia, 66:15). O altă
constelaţie este declanşarea catastrofei mondiale prin trimiterea foametei,
ciumei şi sabiei împotriva omului (Iezechiel, 5:11,17). A treia constelaţie se
referă la negarea civilizaţiei umane prin pogorârea duhului cu chip de fiară
căruia ar urma să i se închine omenirea ca să nu fie distrusă (Apocalipsa,
13:15). Cea de a patra constelaţie privitoare la motivul sfârşitului lumii redă
în numeroase scrieri publicate de-a lungul vremii venirea pe lume a unei noi
ordini universale: „şi noapte nu va mai fi; şi nu au trebuinţă de lumina lămpii
sau de lumina soarelui, pentru că Domnul Dumnezeu le va fi lor lumină şi
vor împărăţi în vecii vecilor” (Apocalipsa, 22:5). Viziunile apocaliptice sunt
formulate şi în creaţia lui Hesiod, în care, înaintea extincţiei universale, s-ar
prefigura vârsta de aramă, acel metal cu sclipiri roşiatice de foc, semnul incendiului total. Simbolul focului devine permanent căutat de poeţi în creaţiile lor, stoicii, de pildă, dezvoltând închipuirea înaintaşilor până la situaţia limită, când viaţa în sine va fi pârjolită de incendiul final. Şi în cântecele religioase medievale din nordul Europei este anunţat pârjolul universal şi moartea zeilor. Prin separarea omului de armonia originară, care însemna relaţia
ideală între el, societate, animale şi Dumnezeu, este anunţată decăderea morală
a individului sfârşitul lumii şi supremaţia forţelor răului, distrugerea lumii prin
judecata de apoi. Numai atunci ar pogorî Dumnezeu, ar mântui omul, îl va
rechema la viaţă cu o nouă înfăţişare. Dumnezeul atotstăpânitor al începutului
şi al sfârşitului este motivul vehiculat permanent în creaţia literară universală a
tuturor timpurilor, amintind printre alţii pe John Milton (Paradisul Pierdut,
1667) şi în literatura modernă pe Eugen Ionesco (Rinocerii, 1960).
În expresionismul german de la începutul secolului trecut sfârşitul lumii
rămâne metaforă2, limitată doar la distrugerea mitului oraşului. Secularizarea apocalipsei de către literaţi semnifică în primul rând că discursul expre1 Horst S. Daemrich / Ingrid G. Daemrich: Themen und Motive in der Literatur, 2. Auflage,
Franke Verlag, Tübingen und Basel 1995, pp. 49-52.
2 Albert Soergel: Dichtung und Dichter der Zeit. Im Banne des Expressionismus, R. Voigtländer Verlag, Leipzig 1926, pp. 306-343.
Sfârşitul lumii în poezia modernă expresionistă de avangardă
sionist implică în ideea omului nou şi a noii vieţi ce apar după distrugerea
oraşului3 aspecte ale tradiţiei clasice idealiste, mijlocite prin pietismul secolului al XVIII-lea. Dacă pietismul a însemnat în Germania pe de o parte reacţia la situaţia catastrofală după Războiul de 30 de ani, pe de alta întărirea
protestantismului, acest protest va lua cu timpul în spaţiul literaturii nu atât
forma acţiunii sociale şi politice, ci mult mai mult forma retragerii din lume,
interiorizarea, exacerbarea eu-lui individului. Johann Albert Bengel (16871752), Kaspar Lavater (1741-1801) sau Gottfried Krumacher (1774-1837) sunt
modele nu numai pentru Revoluţia franceză ci şi un imbold pentru pretenţiile revoluţionare ale expresioniştilor aplecaţi spre patosul de renaştere şi înnoire a omului universal. A unui activist moral, aşa cum cerea şi Kurt Hiller
în 1909 în faţa studenţilor berlinezi adunaţi la „Clubul Nou” 4, a activistului
care va schimba lumea din interiorul lui însuşi prin materializarea propriului
eu dar în acelaşi timp prin personificarea realităţii în sine, a realităţii devastatoare şi de nimic folositoare omenirii. În 1911 apare în ziarul „Democratul”
poezia Sfârşitul lumii de Jakob van Hoddis, publicată apoi de Kurt Pinthus
în antologia celebră Menschheitsdämmerung pe prima pagină5, ca model exemplar a ceea ce se numeşte expresionism. Două strofe cu o schemă de rimă
simplă şi iambi de cinci măsuri. Ceea ce e nou în ea, nu este în schimb forma
exterioară, ci noutatea în structura imaginii, atât în caracterul fiecărei imagini în parte cât şi în relaţiile dintre ele. Ordinea burgheză osificată în sine a
realităţii imediate este distrusă ironic într-un şir de imagini ale catastrofei
universale. Fără legătură între ele, asemenea spoturi subtile şi explozive întro mişcare spontan brawniană devin model pentru întreaga poezie de factură
expresionistă ca model modern de descătuşare de limbajul şi formele poeziei
vechi6. Sfârşitul lumii se evidenţiază la nivel stilistic şi decurge de aici un discurs liric structurat pe extincţia gândirii coerente dar şi pe aceea a raporturilor spaţial-situative. Simultaneitatea imaginilor disparate înseamnă la Hoddis concretizarea formală a lipsei de orientare în lumea burgheză de atunci,
înseamnă extincţia timpului prezent, distrugerea în ideea apocalipsei univer-
3 Silvio Vietta / Hans-Georg Kemper: Expressionismus, Wilhelm Fink Verlag, München 1975, p. 30.
4 Albert Soergel: op. cit., p. 366-369.
5 Menschheitsdämmerung (Hrsg. von Kurt Pinthus), Rowohlt Verlag, Berlin 1955, p. 39.
6 Helmuth Kiesel, Geschichte der literarischen Moderne, C.H.Beck Verlag 2004, p. 9 urm.
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Alexandru Ronay
sale7. Fireşte, fenomenul disocierii eu-lui prezent8 ca problematică a expresionismului se simte prezent în climatul spiritual încă de la sfârşitul secolului
al XIX-lea, modificat radical de gândirea lui Nietzsche şi de atitudinea critică
generală îndreptată spre conceptul de realitate impus de naturalişti. Nihilismul lui Nietzsche, ideea lui despre supraom, despre voinţa ca putere, filosofia lui asupra vieţii şi artei ca ultimă formă a metafizicii influenţează profund
cultura timpului şi se apropia mult de problematica din miezul discuţiilor
arzătoare ale literaţilor, prezente în revistele de avangardă, în cercurile boemilor9 de la cumpăna secolului al XX-lea. Nimic nu era pa atunci mai viu
decât ascuţirea inteligenţei în a descoperi cele mai subtile imagini despre
decăderea iminentă a civilizaţiei wilhelmiene, despre apocalipsa universală,
pe scurt plutea în aer Nietzsche, cum relata la un moment dat şi Ernst Blass
despre discuţiile celor strânşi în jurul literaţilor din Cafeneaua Vestului din
Berlin sau Gottfried Benn în volumul lui de eseuri publicat în 1959. Punctul
central de origine nietzscheană a acestor discuţii era mereu despre categoriile de scop, unitate, fiinţă, pe care omul le-a investit în istorie şi acum le distruge10, ca să se vadă în faţa unei lumi pustiite de valoare – de altfel aceasta
fiind sensul subtil al motivului sfârşitului lumii în toată poezia expresionistă
germană de la începutul secolului trecut.
Imaginile poetice pertinente sunt, în acest sens, lumea văzută ca împietrită,
fără putinţă de refacere. Din pământul pârjolit, a cărui inimă este de aur, aşa
cum şi Nietzsche prevestea, se va ivi acel om mai bun şi mai rău. Descoperirea inimii devine pentru expresionişti mijloc de reflectare a esenţei universale, salvarea arhetipului şi însufleţirea lui, înseamnă coborârea în elementul
originar prin stingerea lumii wilhlemiene. Hasenclever scria de pildă: „În
ochii lui care simte dimineaţa/ Noaptea pierde haosul veşmintului/Muza dispare nălucă şi tremură la gândul lui/Se-nalţă pământul împlinindu-se din
nou”11. Sau van Hoddis în Oraşul mărturisea: „Să fie neant, să sufăr, să dispar/sub vântul rău şi lacom al cetăţii?/ doar am sfărâmat pustia zi a vieţii!/
Călătorii apuse – cu victorii de scrum. Îmi cântă jalea în zadar înaltul flaut,
7 Expressionismus. Manifeste und Dokumente zur deutschen literatur 1910-1920, Hrsg. Von
Thomas Anz, Michael Stark. J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1982, p. 644.
8 Thomas Anz: Literatur des Expressionismus, Metzler Verlag Stuttgart / Weimar 2002, p. 11.
9 Albert Soerge: op. cit., p. 360-364.
10 Thomas Anz: op. cit. p. 44.
11 Menschheitsdämmerung, op. cit., p. 215.
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ZGR 2 (44) / 2013
Sfârşitul lumii în poezia modernă expresionistă de avangardă
sufletul viorii...”12. Neant, vânt, scrum, metafore ale împietririi, determină
prin opoziţia lor starea tensională, tipică expresionismului. Apocalipsa fuzionează cu viaţa, o însufleţeşte. Tărâmul de dincolo este pur, adică poezie în
sine, cum de altfel şi Heym sugera în Ophelia: „Ultimul soare/ce străluceşte
în întuneric/se afundă în creierul ei. De ce a murit?De ce atât de singură purtată de apă încolăcită în ferigi şi iarbă”13. Domeniul morţii contrastează cu
tărâmul prezentului, înfăţişat demonic. „Veni-va odată ziua! Aici cu strigătul
mâniei/Dumnezeu ca odinioară revoltat sfâşie crusta viermănoasă./ În orizonturi de cioburi înoată un rechin gras/Din botul hulpav se preling resturi
de cadavre sângerânde”, amintea Alfred Wolfenstein. Cadavre şi Dumnezeu,
vise şi sânge sunt în opoziţie în cadrul acestui discurs expresionist. Linia dintre real şi imaginar se şterge, visul devine realitate iar viaţa – o moarte respingătoare. August Stramm are de asemenea în Apus o viziune răsturnată
asupra vieţii şi a morţii: „Lumină ajunsă întuneric/Întuneric împotrivit luminii/Întindere distrugând întinderile/Cioburi mărunţite înecate în singurătate/Suflet dansând/şi/se agită şi se agită/se cutremură în toate/tu!/Membrele
mele se caută/membrele mele se dezmiardă/membrele mele/se agită cad se
îneacă/în/imensitate tu!”14.
De asemenea şi iarna, ceaţa, zăpada, frigul, noaptea funcţionează în motivul
sfârşitului lumii, adică a aceleia interioare. Disocierea eu-lui poetic evidenţiată prin accentuarea acestor elemente este redată programatic şi la van
Hoddis în Tristitia ante: „Cad fulgi de nea. Şi nopţile îmi sunt/Sonore foarte,
limpezi, nemişcate./Azi, bântuind primejdiile toate,/Potrivnice îmi sunt ca-al
iernii vânt./Urăsc dogoarea marilor oraşe”15. La Else Lasker-Schüller ceaţa
învăluie viaţa, făcând-o opacă privirilor. Ea înlesneşte întâlnirile sufletelor
moarte care vor stăpâni pământul. Chiar şi îndrăgostiţii din poezia lui Ernst
Stadler Ora închiderii sunt învăluiţi de ceaţă şi nu se ştie pe care tărâm, al
vieţii ori al morţii şi nu se ştie în ce lume îmbătrânesc, pentru că viaţa şi moartea lor se topesc în beznă.
Motivul apocalipsei în expresionism este cel mai bine evidenţiat în imaginea
oraşului nou, împietrit, depersonalizat de istorie şi de mişcarea sufletului
trecătorilor. Nu e poet care să nu-şi fi imaginat în acest fel oraşul mare industrial al vremii. Georg Heym scria de pildă într-unul din manifestele lui
12 Ibidem, p. 46.
13 Expressionismus. Lyrik (Hrsg. Martin Reso), Aufbau Verlag, Berlin /Weimar 1969, p. 45.
14 Menschheitsdämmerung, op. cit. p. 144.
15 Ibidem, p. 53.
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293
Alexandru Ronay
expresioniste: „Este boala noastră să trăim în sfârşitul unei zile universale,
într-o seară care devine atât de sufocantă încât de abia poate fi îndurată,
aducând cu ea ceaţa descompunerii”16. Şi Gotfried Benn îşi închipuia la rândul lui în poezia Tren expres sau Ivan Goll în Coliba de cenuşă că inima
oraşului aparţine unui demon atotdistrugător de care trebuie să ne eliberăm,
deşi în faţa acestei grozăvii natura umană devine impasibilă. Ca şi van Hoddis poeţii expresionişti vor crede că întreg cosmosul, compus din elemente pe
vremuri vii, va fi absorbit nemilos de cataclism. Gomora este destinul oraşului. Însăşi oglinzile din casele oamenilor sunt sparte, scria van Hoddis, semn
că lumea sinelui reflectată în ele piere inevitabil, piere în confruntarea şocantă cu schimbările sociale din marile oraşe. Viziunile lui Georg Heym din
poezia Demonul oraşului însufleţesc viziunile citadine atotstăpânitoare asupra omenirii cu demoni a căror putere vitală are calitatea de a încolţi frica şi
de aduce un suflu de beţie interioară continuă: „Umerii oraşelor trosnesc. Şi
plesneşte/Un acoperiş ce-l spală focul./Ei stau crăcănaţi pe coama lui/Şi ţipă
ca pisicile spre firmament”17. Desigur, dincolo de toată această agresivitate a
morţii, a urâtului (ca simptome a ceea ce este interesant la nivelul lectorului
modern), care ar bântui oraşele sub chipul demonilor se simte astăzi pe deplin – şi aceasta aduce poezia expresionistă în actualitate – aplecarea vie a
poetului spre fantezie18. Atitudinea expresionistă se remarcă aşadar prin intensitatea imaginii poetice, rezultat al dicotomiei dintre monotonia stilizată
şi ingenioasa combinaţie de cuvinte aparent cu semnificaţii reduse; în acest
fel, expresia exagerată capătă o tentă dramatică fără precedent. Expresionismul devenind perceput în timpurile noastre ca un strigăt sfâşietor care nu se
aude niciodată de greaua linişte a cosmosului fără sfârşit.
Şi scriitorii români după primul Război Mondial receptează creator din expresionismul german motivul apocalipsei. Cu toate acestea nu se poate afirma pe deplin ca Lucian Blaga, Vasile Voiculescu, Adrian Maniu, Alexandru
Philippide, Aron Cotruş, care publicau pe atunci în Gândirea din Cluj sau
Felix Aderca, Ion Călugăru şi B. Fundoianu, colaboratori la revista Contimporanul din Bucureşti, sunt poeţi cu adevărat expresionişti, cum de multe ori
se încearcă să se demonstreze de criticii ori cercetătorii români, în special
prin cercetarea lui Crohmălniceanu asupra fenomenului de ”pseudomorfoză”
ca pertinent în răspândirea expresionismului în literatura universală 19. Ex16 Expressionismus. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1910-1920, op. cit., p. 204.
17 Menschheitsdämmerung, op. cit., p. 42.
18 Helmuth Kiesel, op. cit., p. 143.
19 Ov. S. Crohmălniceanu, Literatura română şi expresionismul, Ed. Eminescu Bucureşti
1967, p. 46-50.
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Sfârşitul lumii în poezia modernă expresionistă de avangardă
presionismul rămâne un fenomen literar al modernismului european în al
doilea deceniu al secolului trecut dar numai în cadrele limbii germane, cum
de altfel Thomas Anz20 ori Silvio Vietta şi Hans-Georg Kemper 21, voci dintre
cele mai autorizate ale criticii şi istoriei literare prezente în cercetarea fenomenului expresionismului, afirmă prin contribuţiile lor pertinente.
Sfârşitul lumii are în literatura noastră semnificaţii diferite. Nu neapărat ar
însemna acesta extincţia subiectului poetic datorită forţelor distrugătoare ale
realităţii imediate din marile oraşe industrializate – şi mă limitez în acest
scurt demers critic asupra expresionismului în general numai la unul dintre
cei mai aplecaţi asupra mişcării literare pornită în Germania, adică la Lucian
Blaga22. Sfârşitul este pentru Blaga, ca şi pentru alţii, relativ. Pe de o parte
moartea este salvarea în natură, o „stingere blândă a exaltării dionisiace”, „o
trecere într-o stare larvară”. Poetul este mai mult interesat să „releve categoriile abisale”, „să potenţeze misterul vieţii” producând o criză în obiectul ei
misterios. Esenţele ultime, arhetipul, ar ieşi atunci la lumină prin cuvânt23.
În Gorunul Blaga se exprimă explicit în acest sens: „Poate că din trunchiul
tău îmi vor ciopli/nu peste mult sicriul/şi liniştea/ce voi gusta-o între scândurile lui/ o simt pe semne de acum”24. Pe de altă parte, poetul în Noi şi
pământul îşi imaginează cetatea cotropită de demoni, de foc şi de sânge, de
vânt şi nămeţi de zăpadă. Apocalipsa este totală, dar direcţionată spre natură, spre Paradis (Paradis în destrămare) şi nu spre eul poetic ce se materializează la expresionişti în lucrurile imediate ce stau la îndemâna orăşenilor. Escatologia este o zi ca oricare alta ce se petrece în mijlocul naturii:
„Omule, ziua de apoi/e ca oricare altă zi./Omule, ţi-aş spune mai mult,/dar
e-n zadar,-/şi în afară de aceea stelele răsar/şi-mi fac semn să tac”25.
Apocalipsa este motivul literar prin care poezia expresionistă intuieşte pieirea universală a marilor oraşe prin escaladarea focului, asociat cu sângele, şi
a cenuşii, asociată cu piatra. Mai exact, motivul prezent în toată literatura
universală devine funcţional şi creator la expresionişti germani, semn distinctiv în cadrul programatic al literaturii moderne şi de avangardă.
20 Tomas Anz, op. cit., p. 11.
21 Silvio Vietta / Hans-Georg Kemper, op. cit., p. 29.
22 Lucian Blaga, Filosofia stilului, Ed. Cultura Naţională, Bucureşti 1924, pp. 67 urm.
23 Lucian Blaga, Trilogia culturii, Ed. pentru Literatură Universală Bucureşti 1969, pp. 337-341.
24 Lucian Blaga, Poezii, Ed. pentru Literatură Universală Bucureşti 1967, p. 7.
25 Lucian Blaga, ibidem, p. 103.
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295
Alexandru Ronay
Bibliografie:
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3.
4.
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Thomas Anz / Michael Stark, J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1982
7. Helmuth Kiesel: Geschichte der literarischen Moderne, C.H. Beck Verlag, 2004
8. Menschheitsdämmerung, Hrsg. Kurt Pinthus, Rowohlt Verlag, Berlin 1955
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11. Sivio Vietta / Hans-Georg Kemper: Expressionismus, Wilhelm Fink Verlag, München 1975
***
Abstract
The study "The end of the world in the modern expressionist avant-garde poetry" refers to one of the frequent used motives by the German expressionists, that contributed in a relevant way to the change of poetical paradigm at the beginning of the
twentieth century, i.e. the universal apocalypse. The author examines a series of
metaphors that are relevant for the exemplification of the motive in the frame of
poetical discourse, that implies the idea that a new human and a new life will emerge
after the city and the social climate of the Wilhelm age will disappear. We can remark from our study the phenomenon of the ego dissociation as essential for the
German poetry, as well as the programmatic expression of the image intensity at a
stylistic level as a result of the dichotomy between the stylized monotony and the ingenious word combination only seemingly poor in meaning. In the study is also presented a comparison between the German expressionism and the work of expressionist position of Lucian Blaga in which the motive of universal extinction frequently
appears. In making this comparison, the author emphasizes that dead means a redemption in the nature in the poetry of Blaga, meaningfully different from the German poets position.
Schlüsselwörter: Apocalypse, Wilhelminische Ära, deutsche Lyrik, Expressionismus,
Lucian Blaga.
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TEMA LAGĂRULUI LA A.I. SOLJENIŢÂN ŞI HERTA MÜLLER
Antoaneta Olteanu
Tema lagărului, în literatură, nu este, în pofida interesului pe care îl stârneşte, foarte bine reprezentată, şi nu e vorba numai de literaturile din care
provin cărţile selectate. Mai degrabă facturile memorialistică şi cea documentară sunt cele care completează acest vid, lucru perfect explicabil, dacă
avem în vedere interesul cititorului pentru fapte, pentru datele reale, pentru
întâmplări veridice. Textele beletristice care abordează tema se deosebesc şi
ele prin veridicitate: sursele de inspiraţie erau mult prea numeroase pentru
ca scriitorii să apeleze la pura fantezie.
În cele ce urmează vom încerca să facem o analiză contrastivă a celor două
romane care au adus celebritatea celor doi scriitori menţionaţi în titlu, şi
anume O zi din viaţa lui Ivan Denisovici de Aleksandr Isaievici Soljeniţân1, şi
Leagănul respiraţiei de Herta Müller2. Lectura, mult mai nouă, a ultimului
roman propus spre analiză ne-a şi determinat să facem această comparaţie,
în condiţiile în care, pentru foarte mulţi, romanul lui Soljeniţân, alături de
Arhipelagul Gulag, îl făceau pe acesta să fie un maestru incontestabil în prezentarea vieţii de lagăr. Însă romanul Hertei Müller m-a făcut să-mi schimb
opinia.
Condiţiile apariţiei cărţilor
Înainte de a trece la analiza propriu-zisă, trebuie menţionate câteva consideraţii generale legate de condiţiile apariţiei celor două romane, condiţii care
fac, dintr-un anumit punct de vedere, imposibilă orice comparaţie. Şi totuşi...
Un prim element în comun pe care îl au în comun cărţile este veridicitatea
întâmplărilor prezentate, lucru perfect natural, dacă ne gândim că ambele
romane se bazează pe experienţe personale. A.I. Soljeniţân (1918-2008) este
arestat, în februarie 1945, arestat pentru atitudine critică la adresa lui Stalin
(în corespondenţa lui Soljeniţân cu un prieten, în 1944-1945, cenzura a descoperit „remarci nerespectuoase la adresa lui Stalin”; uneori se mai face referire şi la manuscrisul poemului narativ Prusskie noci, precum şi la alte
scrieri ale sale, găsite de anchetatori printre documentele personale), fiind
condamnat la opt ani de lagăr. Pregătirea de matematician i-a mai uşurat şederea în lagăr, timp de patru ani fiind detaşat la un grup de cercetări ştiinţifi1 Traducere de Nina Grigorescu, Humanitas, Bucureşti, 2008.
2 Traducere de Alexandru Al. Şahighian, Humanitas, Bucureşti, 2010.
Antoaneta Olteanu
ce al Ministerul de Interne (la Marfino; situaţia a fost descrisă în romanul
Primul cerc). Perioada din lagărul special din Kazahstan, de la Ekibastuz,
pentru condamnaţi politic, a fost descrisă de Soljeniţân în povestirea O zi din
viaţa lui Ivan Denisovici, unde a contractat tumoarea care s-a manifestat
mai târziu (a se vedea, în acest sens, romanul Pavilionul canceroşilor, care
descrie tratamentul scriitorului de la clinica din Taşkent, din 1954-1955). A
fost eliberat în 1953. Până în 1956 s-a aflat sub incidenţa condamnării la exil
pe viaţă, în sudul Kazahstanului. În timpul „Dezgheţului” lui Hruşciov a fost
reabilitat. S-a stabilit la Riazan în 1957, unde a fost profesor de matematică şi
fizică. Tot aici şi-a început şi activitatea literară.
În 1962, în revista „Novâi mir”, a fost publicat romanul O zi din viaţa lui
Ivan Denisovici (scris în 1959), un moment de cotitură în evoluţia literaturii şi societăţii ruse, Soljeniţân deschizînd practic calea literaturii ce descria viaţa din
lagărele staliniste (scriitorul chiar a fost nominalizat pentru Premiul
„Lenin”). În aceeaşi revistă au mai fost publicate, în 1963, Gospodăria Matrionei, Întâmplare din gara Krecetovka, Dlia pol’zy dela. Între 1963 şi 1966
el a reuşit să mai publice numai patru povestiri (la cele de mai sus se adaugă
şi Zahar Kalita, 1966). După 1966 i s-a luat dreptul de publicare pentru
mulţi ani (au fost interzise piesele lui Soljeniţân, romanul Primul cerc). În
mai 1967, la cel de-al patrulea congres al scriitorilor din URSS, Soljeniţân a
dat citire unei scrisori, semnată de alţi optzeci şi patru confraţi, prin care cerea abolirea cenzurii, reabilitarea mai multor scriitori ucişi în timpul epurărilor şi înapoierea documentelor personale confiscate de KGB în 1965. În 1968
au apărut în Occident romanele Primul cerc şi Pavilionul canceroşilor. În
1979 a primit în Franţa Premiul pentru cea mai bună carte străină (Primul
cerc, Pavilionul canceroşilor). În 1970 a primit Premiul Nobel pentru literatură. Nu vrea însă să plece din ţară, temându-se să nu piardă cetăţenia şi posibilitatea de a activa în continuare în Rusia. În acest timp însă situaţia lui se
înrăutăţeşte. Poziţia lui categorică, refuzul oricărui compromis ideologic
atrag după sine excluderea din Uniunea Scriitorilor (noiembrie 1969), în
timp ce în presă se declanşează campania de hărţuire a lui. Această situaţie îl
face să accepte publicarea la Paris a volumului Avgust cetârnadţatogo, în
1971, primul tom din marea epopee Krasnoe koleso. În 1973 a apărut tot la
Paris primul volum din Arhipelag GULAG. În acelaşi an el a trimis o scrisoare publică adresată conducătorilor Uniunii Sovietice, acuzaţi de modul în
care guvernează ţara. În 1974 a fost expulzat în Elveţia, la Zürich, iar din
1976 a locuit în SUA (Vermont). În 1976 a primit Freedom’s Foundation
Award din partea Stanford University. În 1994 s-a întors în Rusia.
298
ZGR 2 (44) / 2013
Tema lagărului la A.I. Soljeniţân şi Herta Müller
De partea cealaltă, Herta Müller, născută în 1953, nu avea cum să cunoască
personal condiţiile de lagăr pe propria piele. Totuşi mai multe persoane deportate din rândul etnicilor germani au fost folosite ca modele pentru personajele create în romanul care i-a adus celebritatea. Cel care şi-a adus o mare
contribuţie la structura ideatică, dar şi la apariţia unor scene memorabile
(„îngerul foamei”, „lopata de inimă”...) şi a unui personaj principal veridic
(Leo Auberg) a fost poetul Oskar Pastior (1927-2006), cel care a demarat cu
scriitoarea proiectul unui roman din viaţa deportaţilor germani în lagărele
sovietice. De asemenea, după spusele scriitoarei care, după moartea lui Oskar Pastior, a continuat, în manieră proprie, proiectul început, mama acesteia, tânără pe atunci3, a fost cel de-al doilea personaj important care furnizează amintiri memorabile („e tot mereu aceeaşi zăpadă”, „trădarea zăpezii”,
fiind personificată de personajul Trudi Pelikan). Câteva explicaţii referitoare la
geneza romanului se găsesc în volumul de eseuri publicat recent la editura
Humanitas, Mereu aceeaşi nea şi mereu acelaşi neică (Bucureşti, 2011: eseurile
Mereu aceeaşi nea şi mereu acelaşi neică, Aplicaţia străzilor subţiri, Porumbui galben, nu e timp). Şi totuşi, au trecut 47 de ani de la apariţia romanului lui
Soljeniţân, ani în care despre lagăr s-au mai scris multe pagini, cu toate acestea
romanul scriitoarei Herta Müller reuşeşte să-şi impresioneze cititorii.
Interesant mai este şi faptul că în 1970, la mulţi ani de la publicarea romanului – primul axat pe tema vieţii lagărului, apărut chiar în centrul totalitarismului, la Moscova, profitând pe perioada de „dezgheţ” – şi Soljeniţân a primit premiul Nobel; la rândul ei, Herta Müller a primit această recunoaştere
în anul 2009, la câteva luni de la publicarea romanului în discuţie.
Descrierea vieţii de lagăr
Titlul iniţial romanului lui Soljeniţân, Şcea-854. Odin den’ odnogo zeka
(Şcea-854. O zi din viaţa unui puşcăriaş), reflecta o mai clară trimitere la
sursa de inspiraţiei a textului propus de Soljeniţân revistei „Novâi mir”. Romanul a fost concepută de scriitor în perioada în care era închis în lagărul de
la Ekibastuz, în iarna 1950-1951, dar a fost definitivat mai târziu, în 1959, în
Riazan, după eliberare. Soarta romanului, trimis la redacţie în 1961, a fost
decisă, la intervenţiile redactorului şef de atunci, Aleksandr Tvardovski, toc3 Ordinul sovietic de deportare se referea la bărbaţii cu vârsta între 17 şi 45 de ani şi femeile
între 18 şi 30 de ani, fiind exceptate persoanele inapte de muncă, femeile gravide şi cele cu copii sub un an.
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299
Antoaneta Olteanu
mai de Nikita Hruşciov, care, în şedinţa Biroului Politic din octombrie 1962,
a avizat publicarea lui4.
Personajul Ivan Denisovici Şuhov l-a avut ca prototip pe un soldat din batalionul comandat de Soljeniţân în timpul războiului cu Germania, dar care niciodată n-a fost închis, la care s-a adăugat experienţa personală a autorului,
care, printre altele, a fost şi el într-un lagăr special, de deţinuţi politici, unde
a lucrat ca pietrar. Ceilalţi eroi, evident, sunt personaje modelate după oameni cunoscuţi în lagăr, prezentaţi cu biografiile lor reale. Ca în orice altă scriere consacrată vieţii din lagăr, există pagini consacrate condiţiilor de trai, episoade insistente consacrată problemei alimentare în lagăr (alimentaţie insuficientă, foamete, comportament inumane provocate de foame ş.a.), condiţiile de muncă, relaţiile dintre deţinuţi şi relaţiile cu supraveghetorii. Un alt loc
comun îl reprezintă imaginea/ imaginaţia diluată a deţinuţilor referitoare la
viaţa de după eliberare, considerată adesea drept un lucru imposibil şi/ sau
oricum extrem de neliniştitor pentru (fostul) condamnat.
Romanul se remarcă printr-o mare doză de sinceritate prin care este apreciat
sistemul sovietic inuman (nu numai cel stalinist) şi printr-o forţă artistică
deosebită (limbajul autentic, popular, precizia conturării caracterelor, concentrarea acţiunii). Este prezentată experienţa unui om simplu, un ţăran, închis în gulagul siberian în urma unei condamnări nedrepte pentru crime politice (a fost acuzat de trădare de patrie). Caracterul puternic, curat, al unui
om simplu, de la ţară, al eroului nostru, îl face ca şi în condiţiile vieţii din
lagăr, care avea ca unică deviză supravieţuirea, să nu renunţe la valorile morale autentice şi să se bucure până şi de cele mai însemnate momente, în clipele de răgaz sau atunci când munceşte. Nu se întreabă de ce atâţi oameni,
buni şi diferiţi, sunt închişi, de ce au apărut lagărele, cine l-a închis. Tocmai
de aceea criticii au văzut în acest personaj reprezentarea simbolică a întregului popor rus, capabil să îndure suferinţe nemaivăzute, privaţiuni, umilinţe
din partea sistemului totalitar şi totuşi, în pofida acestei situaţii, să reziste în
acest „al zecelea cerc al iadului” şi să-şi păstreze până la capăt bunătatea manifestată faţă de semeni, omenia, dispreţul faţă de slăbiciunile omeneşti şi
neacceptarea viciilor morale şi să nu intre în competiţia dată între condamnaţi pentru a obţine condiţii mai bune de viaţă în lagăr.
Şuhov adoarme pe deplin mulţumit. Astăzi a avut o zi cu multe noroace: nu
4 În perioada noilor represalii, toate exemplarele acestei povestiri au fost scoase din biblioteci
şi distruse. În Rusia povestirea a fost retipărită abia din 1990.
300
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Tema lagărului la A.I. Soljeniţân şi Herta Müller
l-a trimis la carceră, echipa a scăpat de Soţgorodok, la prânz a ciupit o porţie
de caşa în plus, şeful de echipă a adus-o bine din condei cu normele, de zidit a
zidit cu spor, pânza de fierăstrău nu i-au găsit-o la percheziţie, a dobândit câte
ceva de la Cezar, şi-a cumpărat tutun. Şi n-a căzut bolnav la pat, a scăpat.
A trecut o zi fără necazuri, aproape fericită (Soljeniţân, p. 160).
Personajele Hertei Müller sunt tot oameni obişnuiţi, unii dintre ei chiar ţărani, precum eroul scriitorului rus, dar, în cea mai mare parte orăşeni. Diferenţele dintre aceştia se atenuează însă într-o anumită măsură. Şi totuşi, chiar ca oameni simpli, sunt purtătorii unei civilizaţii care îi face să se comporte, şi în condiţii de lagăr, cu o anumită ţinută, etichetă. O explicaţie a acestei
experienţe oarecum luminoase credem că vine din caracterul omogen al coloniilor. Spre deosebire de lagărele sovietice în care erau închişi cetăţeni sovietici – deţinuţii erau, în principal politici, dar printre ei erau prezenţi, deloc
întâmplător, şi cei de drept comun, pentru o mai bună umilire a celor închişi
–, la scriitoarea germană vorbim de o mare familie, concetăţeni, chiar rude
forţare să-şi ducă viaţa în condiţii precare, cu acelaşi mister referitor la motivele deportării şi ale recluziunii (se vorbeşte în principal de vina colectivă
de a fi german şi, deci, duşman din principiu al Uniunii Sovietice şi colaboratori nazişti, potenţiali spioni îndreptaţi împotriva acesteia de către Germania
fascistă. Paradoxul este că întâmplările descrise în Leagănul respiraţiei se
referă la deportări care au loc chiar în anul 1945, din ianuarie începând, pe
finalul războiului cu Germania hitleristă! Ca să nu mai spunem că etnicii
Germani din România nu erau, în totalitate, în legături foarte apropiate cu
patria-mamă!). de aici seninătatea deosebită şi poate, de ce nu, şi tragismul
micilor întâmplări cotidiene care îi face pe ceilalţi concetăţeni să-şi aprecieze
şi mai mult clipele vieţii.
Un fragment interesant mi se pare cel care descriere peregrinarea deportaţilor:
Am călătorit în vagonul de vite atâtea zile şi nopţi în şir, încât ni se părea că
fuseserăm dintotdeauna acolo înăuntru. Nu mai ştiu nici cât de mult am
mers tot aşa. Eu socoteam că a călători mult în timp înseamnă să călătoreşti
foarte departe. Cât timp călătorim, nu ni se poate întâmpla nimic. cât timp
călătorim totu-i bine (Müller, p. 14).
Aşa cum menţionam, şi aici găsim acele scene specifice scrierilor de lagăr.
Herta Müller, în opinia noastră, prin jocurile lexicale şi metaforele dezvoltate
reuşeşte să creeze o tensiune mai puternică la lectură. Şi descrierile neutre
stilistic, şi cele puternic conotate oferă detalii importante despre cotidianul
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Antoaneta Olteanu
lagărului, însă cele care impresionează puternic sunt paginile metaforelor
extinde. Unul dintre aceste episoade, emblematice, îl reprezintă cel al
trădării zăpezii.
Trudi Pelikan mirosea a piersici calde, chiar şi din gură, chiar şi-ntr-a treia şi
a patra zi în vagonul de vite. Şedea în mantoul ei ca o doamnă într-un tramvai aflată-n drumul spre birou şi-mi povestea cum se pitise timp de patru
zile într-o gaură în pământ din grădina vecină, în spatele şurii. Dar apoi a
căzut zăpada, fiecare pas făcut între casă, şură şi groapă rămânea vizibil.
Mama ei nu-i mai putea duce într-ascuns mâncarea. Urmele i se citeau peste
tot în grădină. Zăpada o denunţa, a trebuit de bunăvoie să-şi păsăsească ascunzătoarea – de bunăvoie silită de zăpadă. Asta nu-i voi ierta zăpezii niciodată, i-a spus ea. Zăpada proaspăt căzută n-o poţi falsifica, nu poţi aranja zăpada în aşa fel încât să pară neatinsă. Pământul, da, poţi să-l aranjezi, a spus
ea, şi nisipul, ba chiar şi iarba, dacă-ţi dai osteneala. Iar apa se-aranjează de
la sine fiindcă-nghite totul şi pe dată s-a şi închis la loc după ce-a înghiţit.
Iar aerul e totdeauna gata aranjat dinainte, fiindcă nici nu-l poţi vedea. Totul
pe lume în afara zăpezii a tăcut chitic, a spus Trudi Pelikan. Şi a mai spus că
zăpada mare poartă vina principală. Că a căzut, ce-i drept, peste oraş ca şi
cum ar şti unde e, ca şi cum ar fi la ea acasă. Dar că pe dată s-a şi pus în slujba ruşilor. Sunt aici pentru că m-a trădat zăpada, mi-a spus Trudi Pelikan
(Müller, p. 15).
În cele de urmează ne vom concentra pe un motiv expresiv din cele două romane, şi anume acela al foamei şi al crizei alimentare în lagăr. Motivul foamei în lagăr este, poate, cel mai amintit. Realitatea foamei crunte, mai ales
spre primăvară, când resursele alimentare se terminau şi proasta gestionare
administrativă ieşea la lumină este un leitmotiv al acestui tip de literatură.
Foamea e greu de descris: fiind o realitate omniprezentă, nu se poate să nu
fie pomenită, obsesiv. De la încercări de definire a foamei cronice la ospăţuri
imaginare cu care îşi alinau pântecele gol deţinuţii, toate aceste imagini contribuie la realizarea unei imagini veridice a lagărului văzut din interior, nu
atât cu pedepsele fizice la care erau supuşi deţinuţii din partea administraţiei
lagărelor, ci cu pedepsele „fizice” la care erau supuşi de foamea cronică. Erau
momente când nimeni nu se putea gândi decât la mâncare, momente în care
foamea îi domina pe oamenii incapabili să lupte cu ea. Iată în acest sens un
fragment din Leagănul respiraţiei:
Ce se poate spune despre foamea cronică? Oare se poate spune că există o
foame care te-mbolnăveşte de foame? Care i se adaugă încă mai flămândă
foamei pe care deja o ai în tine? Foamea tot mereu înnoită care creşte
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Tema lagărului la A.I. Soljeniţân şi Herta Müller
nesătulă şi ţi se strecoară în vechea, eterna foame cu greu ţinută în frâu? Ce
mai cauţi în astă lume, când nu mai eşti în stare să spui nimic altceva despre
tine decât că ţi-e foame? Cerul gurii ţi-e mai mare decât capul, e o boltă,
înaltă şi cu luarea-aminte ciulită până-n vârf de creier. Când nu mai suporţi
foamea, cerul gurii ţi se-ncordează, de parcă îndărătul feţei ai avea o blană
proaspătă de iepure întinsă la uscat (Müller, p.21-22)5.
La foamea care era inevitabilă din cauza raţiilor insuficiente se mai adăuga o potenţare a acesteia din cauza „crizei” alimentare sezoniere, care făcea ca mâncarea de
bază – supă, fiertură – să fie mai mult o apă chioară cu o singură calitate, că e fierbinte:
Îşi scoase căciula de pe scăfârlia rasă – oricât de frig era, nu-şi putea îngădui
să mănânce cu căciula pe cap – după care vârî lingura în strachină şi amestecă zeama lungă ca să-şi dea seama dintr-o ochire ce-a nimerit acolo. De
fata asta – cam aşa şi-aşa – nu i-au turnat nici chiar de la începutul cazanului, dar nici de la fund (...).
Singura parte bunei a ciorbei e că e fierbinte, numai că de data asta se răcise
de tot. Totuşi Şuhov o sorbea la fel de încet, concentrat. La masă, aici, nu se
cade să te grăbeşti, chiar de-ar lua casa foc. P.18 Lăsând la o parte somnul,
în lagăr un deţinut nu trăieşte pentru el decât zece minute la masa de
dimineaţă şi cinci minute la prânz şi cină.
Zi de zi ciorba era aceeaşi, depindea de leguma cu care era aprovizionat
lagărul pentru iarnă. Anul trecut aduseseră la depozitul lagărului doar morcovi în saramură, aşa că din septembrie până-n iunie au ţinut-o cu zeamă de
morcovi. Iar acum, au trecut la varză degerată. Cea mai săţioasă lună pentru
lagăr era de obicei iunie: orice legumă stocată se isprăveşte şi atunci e înlocuită cu crupe. Cea mai grea perioadă e iulie: se turnau la cazan doar urzici.
Din plevuşca din ciorbă nimereau în lingură mai mult oscioare. Carnea răsfi5 A se vedea şi mărturia preotului Ignat Bernard Fischer, acum preşedinte al Asociaţiei foştilor
deportaţi din România în URSS: „Cel mai greu a fost cu mâncarea. Dacă eşti acum flămând, te
gândeşti că la amiază mănânci şi te saturi. Şi dacă nu se poate la amiază, te saturi seara. Dar
dacă nu mănânci niciodată destul!... Aceasta a fost cel mai greu de îndurat. Cu fiecare zi, slăbeai (...).Dar mai rea decât frigul a fost foamea. Ne-am adaptat. Ce puteam face altceva? Singura speranţă era să pot supravieţui. Dacă aici ne-am lăsat carnea, ziceam, măcar cu oasele să
ne întoarcem acasă. Căutam orice «gaură» de unde-am fi putut lua o gură de mâncare. Mergeam la ruşi cu lemne, cu cărbuni, ca să primim o bucată de pâine. Cel care n-a îndrăznit să facă
asta acolo a murit”, în „Adevărul.ro”, 6 aprilie 2012, Drama nemţilor din România în URSS,
http://www.adevarul.ro/actualitate/social/Drama_nemtilor_deportati_din_Romania_in_URSS 0_
676732703.html.
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Antoaneta Olteanu
rată se mărunţise şi se topise în zeamă – doar de cap şi de coadă se mai ţinea
câte un pic aninată; pe plasa scheletului firav de peştişor nu rămânea nici
urmă de solz sau de carne. Şuhov tot mai morfolea cu dinţii, sugea oasele şi
scuipa pe masă. Din orice peşte mânca de obicei tot – şi branhiile, şi coada,
şi ochii îi înghiţea – dacă se mai ţineau la locul lor în orbite; când, de răsfierţi ce erau, cădeau în zeama lungă şi pluteau acolo – ochi rotunzi de peşte
– nu-i lua în gură. Ceilalţi râdeau de el.
Astăzi Şuhov a făcut economie: nemaitrecând pe la baracă, nu-şi luase tainul
şi acum mânca fără pâine. Pâinea o poţi mesteca şi mai târziu, goală – e şi
mai săţios.
Felul al doilea era caşă din sorg. Se răcise şi se preschimbase într-un turtoi.
Şuhov rupea din el fărâmă cu fărâmă. Sorgul nu-i gustos el nici fierbinte,
darmite rece, şi nici nu te satură – iarbă goală, doar că-i galben de zici că-i
mei. Le-a dat prin minte să-l fiarbă, în loc de mei sau de alte crupe – cică de
la chinezi le-a venit ideea. P.19 Câte trei sute de grame de caşă şi cu asta basta. De faptul că era caşă cu numele, cine se mai sinchisea? (Soljeniţân, p.17-19).
Oda lobodei, cuprinsă în a doua povestire din roman, Loboda, extinde cumva
registrul foamei. Episodul trimite la foamete nu neapărat în condiţiile de
lagăr – deşi aici e vorba de deţinuţii care, trimişi la munca câmpului, pot recrea scene ce au avut loc, în diverse momente, în alte locuri din din spaţiul
sovietic, cu precădere – a se vedea în acest sens romanul Panta rhei al lui
Vasili Grossman, consacrat, printre altele, foametei din Ucraina, în care
avem scene cutremurătoare consacrate măiestriei ţăranilor de a găsi plante
comestibile cu care să-şi mai uşureze foamea.
După muncă, pe drumul de întoarcere la baracă, intram în bălăriile de pe
haldele de deşuri, culegând ierburi până ce umpleam toată perna. Încă din
martie femeile de la sat descoperiseră că buruia cu frunzele crestate se numeşte LOBODĂ. Care primăvara se mânca şi acasă, la fel ca şi spanacul sălbatic, şi că la noi i se spunea MELDEKRAUT. Mai culegeam şi o iarbă cu frunze
penate, era mărar sălbatic. Dar trebuia neapărat să ai sare. Sarea ţi-o procuri
prin troc de la bazat. Era cenuşie şi zgrunţuroasă ca prundişul, trebuia s-o mai
zdroşeşti. Sarea făcea o avere. Aveam două reţete pentru lobodă:
Frunzele de lobodă, după ce le-ai sărat, fireşte, le poţi mânca şi crude, ca salata de fetică. Rupi mărunt mărarul sălbatic şi-l presari deasupra. Sau fierbi
în apă sărată cotoarele întregi. Pescuite cu lingura din oală au un gust nemaipomenit de sfeclă-creaţă. Iar fiertura o bei alături, fie ca pe o zeamă străvezie, fie ca pe ceai verde.
Primăvara loboda e fragedă, planta întreagă înaltă doar de-un deget şi argin-
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Tema lagărului la A.I. Soljeniţân şi Herta Müller
tiu-verzuie. La început de vară ţi-ajunge până la genunchi, iar frunzele încep
să facă degete. Fiecare frunză poate arăta altfel, ca o altfel de mănuşă, jos de
tot are totdeauna un deget gros. Aşa argintiu-verzui, loboda-i o plantă răcoroasă, o mâncare de primăvară. Vara trebuia să ai grijă, căci loboda creşte la
iuţeală, tulpina se rămureşte bogat, se întăreşte şi devine lemnoasă. Are gust
amar ca pământul argilos. Planta-ţi ajunge până la şold, în jurul tulpinii centrale groase se formează o tufă răsfirată. În miez de vară frunzele şi tulpinile
se colorează, începând cu un roz care se schimbă în roşu-sângeriu şi mai târziu într-un roş albastru, pentru ca toamna să se întunece, ajungând până la
un indigo mohorât. În jurul tuturor vârfurilor de rămurele se formează panicule din biluţe ca la urzici. Numai că lobodei nu-i atârnă paniculele, ci stau
pieziş în sus. Se colorează şi ele trecând de la roz la indigo.
Ciudat: când loboda începe să se coloreze şi e de mult necomestibilă, abia
atunci devine cu adevărat frumoasă. Apărată de frumuseţea ei, ea rămâne
atunci neatinsă la margine de drum (...). N-am ştiut niciodată dacă n-ar trebui să-i reproşăm lobodei amare că nu mai poate fi mâncată, fiindcă a devenit lemnoasă şi te refuză (...). De la început de toamnă, când venea primul ger,
loboda se-mpodobea zi de zi tot mai mult, până ce degera. Avea nişte culori de-o
frumuseţe otrăvită care-ţi înţepau globul ochiului (Müller, p. 20-22).
În primul rând, pentru a începe comentarea fragmentului de mai sus, mă îndoiesc că a mai scris cineva o odă de asemenea fel închinată lobodei! O
plantă banală, cunoscută şi folosită rafinat mai ales la supă sau în salată,
ajunge să fie aliment de bază în perioada ei de apogeu, în lipsă de alte vegetale mai consistente. Concentrarea pe ciclurile de creştere ale plantei şi, odată
cu înaintarea în vârstă, toxicitatea ei sunt o dovadă a unei disperări mute a
celui ce o admiră şi care nu o poate consuma. Nu e o descriere de grădinar,
de cultivator, ci de om deprins cu nevoile. Nu o dată oamenii au consumat
din greşeală şi plante necomestibile, de aici experienţa cu care sunt făcute comentariile: pline de detalii, contribuind la crearea unor imagini vizuale de
excepţie, paginile consacrate lobodei sunt pline de dramatism, conturând, şi
ele, chinurile psihologice la care erau supuşi deţinuţii. Şocul alimentar îl făcea
pe om să se concentreze exclusiv pe un element care i-ar putea atenua cât de cât
simţurile care, la rândul lor, îl făceau să „vadă monstruos”, augmentând realitatea în direcţia dorită şi întorcând privirea naratorului de la celelalte elemente
de viaţă. Mi se pare exemplificator în acest mâncatul fumului:
Când n-aveam nimic de gătit, lăsam fumul să-mi şerpuiască prin gură. Îmi
trăgeam limba îndărăt şi mestecam în gol. Mâncam salivă cu fum de seară şi
mă gândeam la cârnaţi fripţi. Când n-aveam nimic de gătit, treceam prin
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Antoaneta Olteanu
apropierea oalelor, prefăcându-mă că, înainte de culcare, vreau să mă spăl
pe dinţi la fântână. Dar înainte de a-mi vârî periuţa de dinţi în gură, mâncam de două ori. Cu foamea ochilor mâncam focul galben, iar cu foamea din
cerul gurii, fumul (Müller, p. 28).
Extrem de semnificative sunt şi fragmentele prin care deţinutul înfometat
provoca foamea la luptă. E vorba de o anihilare a senzaţiei de foame prin
amintiri reale sau prin generarea unei realităţi ce cuprinde, invariabil, un ospăţ
pantagruelic, într-un timp nedefinit, în vis sau eventual la întoarcerea acasă:
Se-nserează. Se-ntorc cu toţii de la lucru. Şi se suie toţi în foame. Când un
flămând se uită la alţi flămânzi, foamea e o ramă de pat. Dar e o iluzie: după
cum simt la mine însumi, foamea suie ea în noi. Pentru foame noi suntem
rama. Cu toţii mâncăm cu ochii închişi. Hrănind toată noaptea foamea din
noi. O îngrăşăm săltând-o pe lopată.
Mănânc un somn scurt, apoi mă trezesc şi mai mănânc şi următorul somn
scurt. Un vis e ca şi celălalt, stau la masă şi mănânc. În vis există milostivirea
obsesiei de-a mânca, şi milostivirea asta-i un chin. Mănânc supă de carne cu
tăiţei, şi pâine, şi ardei umpluţi şi pâine, tort-buturugă. Apoi mă trezesc, mă
uit la lumina de serviciu galbenă, mioapă, a barăcii, adorm la loc şi mănânc
supă de gulii şi pâine, iepure marinat şi pâine, îngheţată de căpşuni într-o
cupă de argint. După care tăiţei cu nucă şi cornuleţe cu gem. Şi apoi varză
clujeană şi pâine, tort cu rom. Apoi cap de porc fiert cu hrean şi pâine. La
sfârşit mi-ar mai fi plăcut să mănânc pulpă de căprioară şi pâine, şi un
compot de caise, dar difuzorul începe să urle, întrerupând masa – s-a făcut
ziuă. Somnu-i cât aţa de subţire cu cât mănânc mai mult, iar foamea nu
osteneşte niciodată (Müller, p. 87).
Şi după eliberarea din lagăr spectrul foamei a continuat să-i urmărească pe
foştii deţinuţi:
Nu există cuvinte potrivite pentru flămânzire. Încă şi azi mai simt nevoia săi arăt foamei că i-am scăpat din gheare. De când nu mai sunt nevoit să flămânzesc, mă hrănesc literalmente cu viaţa însăşi. Atunci când mănânc, sunt
zăvorât în gustul mâncării. De la întoarcerea mea din lagăr, de şaizeci de ani
încoace, continui să mănânc împotriva morţii prin înfometare (Müller, p. 22).
Una din versiunile care circulau în lagăr despre întoarcerea acasă era că
atunci când vom ajunge în sfârşit acolo, vom fi trecut toţi de floarea vârstei.
Şi că vom păţi la fel ca prizonierii de război după primul război mondial: că
reîntoarcerea va dura decenii. Şiştvaniov va ordona să ne prezentăm la cea
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Tema lagărului la A.I. Soljeniţân şi Herta Müller
mai scurtă, ultimă strigare a apelului, şi va decreta: Prin aceasta declar
lagărul desfiinţat. Luaţi-o din loc!
Şi fiecare va merge pe socoteala lui tot mai departe spre est, în direcţia
opusă, fiindcă spre vest toate drumurile sunt închise. Peste Urali, străbătând
de-a curmezişul întreaga Siberie, Alaska, America, şi-apoi peste Gibraltar şi
Marea Mediterană. Din este, trecând prin vest, vom ajunge după douăzeci şi
cinci de ani acasă, presupunând că acest „acasă” va mai fi atunci tot al
nostru, dacă nu-i va aparţine deja Rusiei. (p. 249)
Sau celelalte versiuni: că nu vom mai pleca nicicum, fiindcă ne vor ţine aici
până ce lagărul se va transforma în sat fără turnuri de pază, iar noi tot nu
vom fi ajunşi ruşi sau ucraineni, ci locuitori prin obişnuinţă. Sau că va trebui
să rămânem aici până când nici noi nu vom mai vrea să plecăm, fiindcă vom
fi convinşi că nimeni nu se mai aşteaptă acasă, că acolo locuiesc de mult alţii,
fiindcă ai noştri au fost izgoniţi cu toţii cine ştie unde, şi chiar ei înşişi nu
mai au nici un acasă al lor. O altă versiune spune că, până la urmă, vom vrea
să rămânem aici, fiindcă nu vom mai şti cum s-o scoatem la capăt cu acasă,
şi nici acel acasă, cu noi.
Când de-o veşnicie n-ai mai auzit nimic de lumea de acasă, te-ntrebi dacă în
general mai vrei să te întorci şi ce ţi-ai mai putea dori acolo. În lagăr de
scuteau de osteneala să-ţi mai doreşti ceva. Nu trebuia şi nici nu voiai să
decizi nimic. Voiai, ce-i drept, să ajungi acasă, dar te mărgineai la amintirea
spre înapoi, şi nu te-ncumetai la dorul spre înainte. Îţi închipuiai că
amintirea-i deja dor. Şi cum să mai faci vrei deosebire când în cap ţi se
învârte mereu unul şi acelaşi lucru, şi până într-atât te-au lipsit de lume,
încât nici nu-ţi mai lipseşte? (p. 250)
Particularităţi stilistice
La nivel structural, există o diferenţă evidentă între cele două romane. Aşa
cum spune titlul, Soljeniţân prezintă o zi din viaţa unui puşcăriaş, cu bunele
şi cu relele ei. evident, sunt şi câteva trimiteri la evenimente cu alte repere
cronologice, dar structura romanului este destul de precisă în acest sens. În
romanul Hertei Müller naraţiunea este prezentată într-o ordine cronologică,
însă cuprinde episoade variate dintr-o mare perioadă de detenţie, neprezentate de regulă strict cronologic. E vorba de memoria selectivă a naratorului,
care selectează spre dezbatere episoade care i-au marcat şederea în lagăr.
Maniera tradiţionalistă, realistă a lui Soljeniţân nu se mai regăseşte aici. La
Herta Müller avem de-a face cu un text cu puternică încărcătură metaforică,
lucru, de altfel, vizibil şi la nivel stilistic. Soljeninân era un mare stilist în priZGR 2 (44) / 2013
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Antoaneta Olteanu
vinţa selecţiei lexicale, a unor termeni elevaţi, cu valenţe literare profunde,
fără însă să pună un accent deosebit pe figurile de stil. Scriitoarea română de
expresie germană însă creează, prin textele sale, un fel de poeme în proză. De
aici şi o atenţie deosebită acordată titlurilor – de volum, de capitole ş.a. –,
dar şi expresiilor extrem de plastice întâlnite la tot pasul mai ales în acest roman. În eseul citat mai sus, Porumbu-i galben, nu e timp, avem un credo la
fel de plastic referitor la viaţa independentă şi inteligentă a cuvintelor ce
creează metaforele şi fac textul viu şi plastic, memorabil pentru cititor:
De câte ori începi să pui pe hârtie ceva se dovedeşte că lucrurile trăite nu-s
nici bune, nici rele. Ele trebuie în aşa fel preparate în discuţia lăuntrică, încât să le găseşti cuvinte care eventual pot fi luate în calcul. Iar la rândul lor
acestea ţi-arată abia în alcătuirea frazei dacă se supun intenţiei frazei. Discuţia pe care o porţi cu lucrurile concrete trebuie ca, însumând şi împărţind,
s-o poţi ambala în cuvinte. Cuvintele dictează ce trebuie să se-ntâmple, mergi pe urma sonorităţii lor, a unei matematici precise, până în punctul unde
metafora ia prin surprindere faptele concrete. Cuvintele inventate îşi trag respiraţia: nu ştii ce-ţi îngăduie, şi ce nu, deci încerci. Ele se reped să-nhaţe ce
le trebuie. Iar ce nu îngăduie, refuză. Nimic nu le este indiferent. Cuvintele
au auzul bun, flerul le face să fie inteligente. E mai multă inteligenţă în ele
decât în tot ce-ai reuşit să pui cap la cap din discuţia cu lucrurile concrete ale
vieţii. Cuvintele au nevoie de alternanţă şi se slujesc de legarea lor în concret
pentru a se elibera. În discuţia cu lucrurile concrete, conţinutul lor cotidian e
asmuţit împotriva ta însuţi. Zgândări normalitatea, o faci să-şi piardă
cumpătul. Pe drumul spre ascuţirea expresivă, normalul se ridică deasupra.
Şi, când se aşează la loc, trebuie să i se supună voinţei suprarealului (Müller,
p.144-145).
Fără îndoială, prezentul studiu nu-şi propune să epuizeze posibilele comparaţii între cele două lucrări. Ecourile temei lagărului nu s-au stins în conştiinţa contemporanilor şi nu au cum s-o facă: mai sunt încă multe de spus, în
maniere diferite, pentru a arăta că nu trebuie să trecem aşa de uşor peste
multe din grozăviile secolului al XX-lea, unul dintre cele mai crude din istorie.
***
Abstract
The papers discusses the Gulag experience in two well-known novels – Aleksander
Solzhenitsyn’s, One Day in the Life of Ivan Denisovich, and Herta Müller’s, The
Hunger Angel. Of, course, there are other interesting texts in world literature on
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Tema lagărului la A.I. Soljeniţân şi Herta Müller
concentration camps, but the writings mentioned above could be considered an example of a kind. Written in different periods of time and also in different political
conditions, the novels discuss various personal experiences of the people who experienced the Gulag reality. From bare reality and realistic manner of description to
poetic presentation and interpretation of facts, the books looks alike, but also are
very different in artistic manner of depicting the events. Both of them, as well as the
other writings in this respect had a huge impact on generations of people: no matter
we heard for the first time or for several times about the Gulag crimes, each time
reading such a testimony will raise in the reader positive emotions for the victims
and deportees.
Cuvinte cheie: gulag, deportare, memorialistică, Soljeniţân, Hertha Müller
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BUCHBESPRECHUNGEN
SORIN GADEANU: Graphematik und „Phonetologie“. Eine Schrift- und
Lautlehre des Deutschen / Grafematică şi „fonetologie“. Ştiinţa scrierii
şi a sunetelor limbii germane, synoptisch-zweisprachige Ausgabe /
ediţie sinoptic-bilingvă. Editura Fundaţiei România de Mâine, Bucureşti, 2009. ISBN: 978-973-163-341-1, 36,50 RON, 320 p.
Die Graphematik und „Phonetologie“. Eine Schrift- und Lautlehre des Deutschen / Grafematică şi „fonetologie“. Ştiinţa scrierii şi a sunetelor limbii germane,
synoptisch-zweisprachige Ausgabe / ediţie sinoptic-bilingvă, bündelt zwei Bücher
in einem Band. Freilich weist diese synoptische Strukturierung der Arbeit sowohl
Vor- als auch Nachteile auf.
Zum einen reduziert sie das zu vermittelnde Material auf die Hälfte. Zum anderen
bietet Gadeanus ungewöhnliches Layout den Lesenden mit Vorkenntnissen des
Deutschen eine optimale Gegenüberstellung des gängigen phonetisch-phonologischen Wortschatzes im Deutschen und im Rumänischen. Auch erleichtert die synoptische Strukturierung die Arbeit mit und am Buch wesentlich, insbesondere für Lernende. Der deutschen Variante, die auf den jeweiligen rechten Seite platziert ist und
den Basistext des Bandes ausmacht, stehen die jeweils linken Seiten gegenüber, die
ihr rumänisches Spiegelbild beherbergen, das dem rumänischsprachigen Lesenden
den ständigen und umständlichen Griff zum Wörterbuch erspart. Die rumänische
Textvariante ist zwar nicht auf eine Interlinearversion reduziert, jedoch verzichtet
sie stellenweise auf ihre stilistische Autonomie zugunsten der Funktion als lexikalisches Auxiliarium des deutschen Basistextes.
Ihr Zweck ist es, dem rumänischsprachigen Leser, ob mit geringen oder fortgeschrittenen Deutschkenntnissen, den leserfreundlichen, wörterbuchfreien und unmittelbaren Zugang zu den theoretischen und praktischen Fragestellungen der deutschen
Phonetik und Phonologie im deutschen Text des Bandes zu ermöglichen.
Gadeanus Graphematik und „Phonetologie“ nimmt sich vor, die Reihe der mittlerweile vergriffenen Standardlehrwerke zur Phonetik und Phonologie des Deutschen
für Rumänischsprachige fortzusetzen. Ihr Autor geht dabei allerdings auch einige
Risiken ein. Erstens hinterfragt er die kanonische Taxonomie der zwei Teildisziplinen, zweitens setzt er auf eine ungewohnte synoptisch-zweisprachige Strukturierung
des Bandes und drittens stellt er diesem ein ausführliches 80seitiges Kapitel zur
Graphematik voran, deren extensive Präsenz in einem Band, der sich mit der Phonetik und der Phonologie beschäftigt, zunächst gewöhnungsbedürftig erscheint. Jedoch entpuppt sich die Graphematik bei näherer Betrachtung und Überlegung als
durchaus willkommener Bestandteil der Arbeit, denn sie füllt eine Wissenslücke für
den Lernenden auf, die freilich streng bolognacurricular gesehen nicht erforderlich
ist, dafür aber im germanistischen Alltag und im Sinne eines humboldtschen Bildungsideals der Universität umso notwendiger erscheint.
Diese Wiedereinführung der Graphematik in den akademischen Kanon, trotz bolognacurricularer Sparzwänge, bleibt also ein Verdienst der Arbeit. Zudem kann dieser
Abschnitt als ein praktisches Handbuch von Historikern und Archivaren verwendet
Buchbesprechungen
werden, die an Druck-, beziehungsweise Handschriften arbeiten, die vor 1941 entstanden sind.
Zum einen ermöglicht also das Kapitel zur Graphematik einen wohl durchdachten
und schrittweise strukturierten Übergang von der Orthographie zur Phonetik und
zur Phonologie, also vom Schrift- zum Lautbild, zum anderen bietet es dem Leser
eine diachronische Übersicht der Schriftarten des Deutschen, was ja zur Grundausbildung eines Germanisten gehört. Das Kapitel ist reichlich mit exemplarischen Abbildungen versehen: Ausschnitte aus dem Hildebrandslied (S. 42f.) und aus der Gutenberg-Bibel (S. 34f.) stehen neben exemplarischen computergenerierten Texten in
kalligraphischer Kanzleischrift (S. 38f.), in kalligraphischer Koch-Druckfraktur (S.
36f.), in Kurrent-Handschrift (S. 48f.) und in Sütterlinschrift (S. 52f.). So wird dem
Leser eine diachronische, illustrierte Entwicklungsgeschichte der Schreib- und
Druckschriften im deutschen Sprachraum, bis zur Antiqua, geboten.
Im zweiten Abschnitt des Kapitels findet, in Antiqua, der besagte graduelle Übergang von der Graphematik zur Phonetik und Phonologie statt. Zunächst wird dem
Leser eine Beschreibung des orthographischen Alphabetes des Deutschen und seiner
orthoepischen Entsprechungen geboten. Darauf folgt eine ausführliche kontrastive
Darstellung der Laute des Deutschen und des Rumänischen (S. 70-85). Dieser vorangestellt ist das aktualisierte IPA-Alphabet.
Das darauffolgende Kapitel, Die Phonetik (S. 116-165), befasst sich hauptsächlich mit
Fragen der artikulatorischen Phonetik. Darin werden verschiedene Herangehensweisen an das Aufgabengebiet der Phonetik beschrieben. Bereits dadurch offenbart
der Autor indirekt seine Absicht, an späterer Stelle den taxonomischen Relativismus
in der Phonetik und der Phonologie zu hinterfragen.
Doch vorerst wird in dem hier gebotenen Grundriss ein kontrastiver Fokus auf jene
Fragestellungen gesetzt, die für rumänischsprachige Deutschlernende relevant sind.
Das darauffolgende artikulatorische Propädeutikum zum Deutschen mit Beispielen
und exemplarischen Beschreibungen von möglichen Fehlerquellen leitet das dritte
Kapitel des Bandes, Die Phonologie (S. 166-185), ein. Auch hier werden, neben den
Grundbegriffen der strukturalistische Phonologie, mehrere Definitionen der Phonologie vor- und gegenübergestellt, um dem Leser die Vielfalt der Definitionsmöglichkeiten vorzuführen. Gadeanu bespricht diese ausführlich im Hinblick auf die Dichotomie zwischen der Phonetik und der Phonologie, wohl als erneute Vorbereitung des
Lesenden auf den vom Autor vorgeschlagenen Oberbegriff für die zwei Teildisziplinen und zugleich als Übergang zu dem recht knappen, aber umso brisanten vierten
Kapitel des Bandes, Ein Plädoyer für die „Phonetologie“ als Oberbegriff für die
Phonetik und die Phonologie (S. 186-193).
An dieser Stelle relativiert Gadeanu erneut die vorhin besprochene phonetisch-phonologische Dichotomie, der er kritisch gegenübersteht, und entwickelt eine neue taxonomische Perspektive, in welcher er die Phonetik und die Phonologie unter dem
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Buchbesprechungen
Überbegriff „Phonetologie”1 zusammenfasst.
Dafür nimmt er sich in diesem Kapitel weitere ausgewählte Definitionen der Phonetik und der Phonologie vor, welche den inneren Zusammenhang der zwei Teildisziplinen hervorheben und entwickelt davon ausgehend eine integrative Theorie, mit
der deklarierten Absicht, die „terminologische Verwirrung” im „Spannungsfeld zwischen Phonetik und Phonologie” (S. 188f.) aufzuheben, deren Ursachen er in einem
historisch gewachsenen terminologischen Pluralismus verortet.
Um diesen terminologischen Pluralismus entgegenzuwirken, schlägt Gadeanu eine
neue Taxonomie vor: Er führt den alternativen Terminus „Metaphonetik” für die
Phonologie ein. Anschließend übernimmt er den bereits im Titel seines Bandes genannten Begriff der „Phonetologie” und entwickelt diesen zu einem Oberbegriff für
die beiden Teildisziplinen. Gadeanus Vorschlag eines neuen taxonomischen Konstrukts liest sich klar und wohlbegründet, seine Relevanz für die Phonetik und Phonologie wird im Text ofensichtlich, die vorgeschlagene Vereinfachung klingt logisch
und überzeugend.
Jedoch hätte eine detailliertere Ausführung der „Phonetologie”, über die vorgelegte
programmatische Kurzbeschreibung hinaus, dem Band gut getan. Auch markiert Gadeanu die Phonetologie im Diskurs seines Fließtextes stets als „Phonetologie”, wohl
um seinen neuen taxonomischen Vorschlag eher als Versuchsballon denn als apodiktische These darzustellen.
Das fünfte Kapitel, Die suprasegmentale Phonetologie (S. 194-229), behandelt im
ersten Abschnitt den Ton, den Akzent, die Intonation, die Pausen und den Rhythmus, wobei mitunter auf regionale Unterschiede in der Festlegung des Akzents eingegangen wird. Darauf folgt eine Beschreibung der Silbenarchitektur im Deutschen,
der eine diachrone Ausführung zur Entwicklung des Silbenbegriffs vorangeht. Abschließend bespricht dieses Kapitel die Sonoritätsklassen nach Eduard Sievers (S.
222f.) und die metrische Organisation der Sprechakte.
Die zwei weiteren Kapitel des Bandes, Der deutsche Konsonantismus: Rhythmus
und Reim (S. 230-253) sowie Der deutsche Vokalismus in phonologischen Oppositionen (S. 254-286) enthalten Aussprache- und Transkriptionsübungen, die gezielt
auf die Fehlertypologie der rumänischsprachigen Deutschlernenden ausgerichtet
sind. Bemerkenswert ist eine ausführliche Liste von Zungenbrechern, die hier zugleich als Leseübung in jeweils drei der bekanntesten Druck- und Schreibweisen angeboten werden, welche bereits im Kapitel zur Graphematik vorliegen, nämlich in
1 CHARLES JAMES NICE BAILEY / KARL MAROLDT (21988): Grundzüge der englischen
Phonetologie: Allgemeine Systematik. 2. vollständig neu bearbeitete Auflage mit zahlreichen
Ergänzungen nach Vorschlägen von Charles-James N. Bailey (Arbeitspapiere zur Linguistik
Bd. 16 / Working papers in linguistics, vol. 16). Berlin: Technische Universität: Universitätsbibliothek, Abteilung Publikationen.
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Buchbesprechungen
kalligraphischer Koch-Druckfraktur, in Schwabacher Schrift sowie in Sütterlinschrift. Vielleicht hätte die Voranstellung der jeweiligen Zungenbrecher in der gängigen Antiqua-Standardschreibung den Leser nicht zwingend zur Auseinandersetzung
mit diesen Schriftarten genötigt. Andererseits ist eben dieser auferlegte Zwang die
ideale Übungsmethode zur Festigung der philologisch unabdingbaren Kenntnisse
über die gängigsten Schriftarten, die in deutschsprachigen Drucken und Manuskripten vor 1941 laufend anzutreffen waren.
Die Arbeit zeichnet sich durch eine Bibliographie deutsch- und englischsprachiger
Titel (S. 287-301) aus, die den neuesten Stand der Forschung widerspiegeln und
lässt diesbezüglich keine Wünsche offen. Die gute Mischung aus kanonischen Werken, lernrelevanten Titeln und neuesten Arbeiten bietet dem Lesenden sowohl eine
weiterführende Lektüre zur Vertiefung der Kenntnisse, als auch eine verlässliche Informationsquelle zum neuesten Stand der Forschung. Auch der Abschnitt Internetquellen (S. 302) kann, insbesondere für die Graphematik und für die Anwendung
der IPA-Schrift, als weiterführende Bibliographie verwendet werden. Darauf folgt
ein Copyright-Abschnitt (S. 303-304), der die Verlagsrechte Dritter zu den 64 Abbildungen, Schemata und Graphiken des Bandes nennt. Diese werden abschließend in
einem Abbildungsverzeichnis aufgelistet.
Ein Sachregister, insbesondere angesischts der synoptisch-zweisprachigen Struktur
des Bandes, wäre an dieser Stelle höchst willkommen gewesen. Bis auf vereinzelte
Auslegungen der Sütterlinschrift in der S-Schreibung, die in den Zungenbrechern
vorkommen und bis auf die bereits besprochene zu knappe Gestaltung des Plädoyers für die „Phonetologie”, ist an der vorliegende Arbeit nichts auszusetzen.
Diese Abhandlung füllt zweifelsohne eine Marktlücke in der rumänischen Germanistik. Abgesehen davon, dass die in Rumänien erschienenen Phonetikabhandlungen
zum Deutschen aus dem 60er2 und 70er3 Jahren stammen, sind diese längst vergriffen und schwer zugänglich. Im Unterschied zu den möglichen Alternativen, nämlich
zu den Phonetiken am deutschen Buchmarkt, ist die vorliegende Graphematik und
„Phonetologie” auf die spezifischen Bedürfnisse der rumänischsprachigen Deutschlernenden ausgerichtet und kommt durch ihren synoptisch-zweisprachigen Aufbau
insbesondere den Studienanfängern entgegen. Sie kann als wirksames Mittel verwendet werden, um wieder den Deutschunterricht in den ersten Semestern des Germanistikstudiums verstärkt in deutscher Sprache abzuhalten.
Kinga Gall
2 GERTRUD G.[REGOR] CHIRIŢĂ (1979): Phonetik und Phonologie des Deutschen.
[Bucureşti]: Centrul de multiplicare al universităţii din Bucureşti.
3 BRUNO COLBERT (1963): Limba germană contemporană. Vol. I. Fonetica. Ministerul Învăţămîntului. Universitatea Bucureşti. Facultatea de Filologie. Bucureşti: Editura Didactică şi
Pedagogică.
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AUTORINNEN UND AUTOREN DES BANDES
Autorinnen und Autoren des Bandes
1. Ba Amadou Oury – Lektor, Departement für Germanische
Landeskunde und Sprachen, Universität Dakar (Senegal)
2. Codarcea Emilia – Doz. Dr., Universität Babeş-Boliay, Cluj-Napoca /
Klausenburg
3. Dama Hans – Doz. Dr., Institut für Romanistik, Universität Wien,
Schriftsteller, Übersetzer, Publizist
4. Decuble Gabriel H. – Doz. Dr., Institut für Germanistik, Universität
Bukarest
5. Draganovici Eve – Doz. Dr., Institut für Germanistik, Universität
Bukarest
6. Fodor Ligia-Maria – Rumänisches Staatsarchiv, Bukarest
7. Gall Kinga – Lekt. Dr., West-Universität Timişoara/Temeswar
8. Guţu George – Prof. Dr., Institut für Germanistik, Universität
Bukarest
9. Hayer Björn – Lekt., Dr., Universität Koblenz - Landau
10. Ilea Melania – Doktorandin, Universität Babeş-Boliay, Cluj-Napoca /
Klausenburg
11. Nae Andrei – MA, Institut für Germanistik, Universität Bukarest
12. Niculiu-Arsene Maria – Drd., Institut für Germanistik, Universität
Bukarest
13. Olteanu Antoaneta – Prof. Dr., Institut für Germanistik, Universität
Bukarest
14. Popa Carmen – Assist. Dr., Universität Lucian Blaga,
Sibiu/Hermannstadt
15. Ronay Alexandru – Doz. Dr., Universität Politehnica, Bukarest
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Autorinnen und Autoren des Bandes
16. Sârb Petra Antonia – BA-Studierende, Institut für Germanistik,
Universität Bukarest
17. Schares Thomas – DAAD-Lekt. Dr., Institut für Germanistik,
Universität Bukarest
18. Stickel Gerhard – Prof. Dr., ehemals Direktor des Instituts für
Deutsche Sprache (IdS), Mannheim
19. Stoicescu Alexa – Assist. Doktorandin, Institut für Germanistik,
Universität Bukarest
20. Tabassi Mohamed – Doz. Dr., Departement für Deutsche Sprache,
Universität Gabès/Tunesien
21. Von der Lühe Irmela – Prof. Dr., Institut für Germanistik, Freie
Universität Berlin
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