3/2004

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3/2004
ethik
–report
IBE
Nr. 3 / März/April 2004
Informationen und Rezensionen
zu ethischen Themen aus
Tagespresse, Fachzeitschriften,
Gremien und von Fachtagungen
Editorial
•
Schwerpunkte der Ausgabe
und neuer Vorstand und neue
Geschäftsführung des IBE
Presse- und Literaturspiegel
herausgegeben
vom Institut für Bildung und Ethik
der Pädagogischen Hochschule
Weingarten
Leibnizstraße 3
88250 Weingarten
Tel.: 0751/5018377
e-mail: ibe@ph-weingarten.de
•
Reaktionen auf die
Klonexperimente in Korea
Rezension
•
Stefan Heiner, Enzo Gruber
(Hrsg.): Bildstörungen.
Kranke und Behinderte im
Spielfilm. Frankfurt a. M. 2003
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Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
die März/Aprilausgabe des Ethikreports enthält zwei inhaltliche Schwerpunkte.
Im Mittelpunkt der Zeitschriftenübersicht steht das spektakuläre Klonexperiment des
südkoreanischen Biomediziners Hwang Woo Suk. Ihm und seinem Team ist es
erstmals gelungen, aus geklonten menschlichen Embryos Stammzellen zu
gewinnen. Wir präsentieren dazu ausgewählte Reaktionen aus der Presse, die die
unterschiedlichen bio-, forschungs- und interkulturell-ethischen und deren
biopolitische Implikationen beleuchtet.
Die Buchempfehlung dieses Monats wendet sich einem Randthema im doppelten
Sinn zu. Es geht in dem Sammelband von Stefan Heiner um Kranke und Menschen
mit Behinderungen und deren Präsenz in Spielfilmen. Dieser Band aus dem
medizinkritischen Mabuseverlag enthält wertvolle Anregungen durch
Selbstzeugnisse der Betroffenen und durch die Filmemacher selbst. Sehr hilfreich für
Menschen in Lehrberufen: Es befindet sich in diesem Buch eine Sammlung von
Spielfilmen, in denen Kranke und behinderte Menschen eine besondere Rolle
spielen.
Im Vorstand des Instituts für Bildung und Ethik (IBE) gibt es personelle
Veränderungen: Zum 1. April 2004 wurde Prof. Siegbert Peetz vom Vorstand zum
neuen Geschäftsführenden Direktor des IBE ernannt. Zu seinem Stellvertreter wurde
Prof. Bruno Schmid, bisheriger Geschäftsführender Direktor, gewählt, der damit Prof.
Prim nachfolgt. Prof. Prim und Prof. Brucker scheiden auf eigenen Wunsch aus dem
Vorstand aus. Für sie wurden die Pädagogin Prof. Elisabeth Schlemmer und der
Biologe Prof. Kalusche neu in den Vorstand gewählt.
Wir danken den ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern und dem ehemaligen
Geschäftsführer und seinem Stellvertreter für ihre rege Unterstützung der Redaktion
des Ethikreportes und wünschen dem neu zusammengesetzten Vorstand eine gute
Zusammenarbeit sowie der neuen Geschäftsführung eine gute Hand bei der
Bewältigung der künftigen Aufgaben zur Weiterentwicklung des IBE.
Für die Redaktion:
Hans-Martin Brüll und Siegbert Peetz
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Liebe Leserin, lieber Leser,
Presse- und Literaturspiegel
Reaktionen auf Klonexperimente in Südkorea
Der Spiegel: Durchbruch beim Klonen. Das Experiment, das die Welt verändern
wird. In: Spiegel online vom 12.02.04
Joachim Müller-Jung: Urknall der „Klontherapie“. In: Frankfurter Allgemeine
Zeitung vom 13.02.04
Andreas Sentker: Klon des Erfolgs. Stammzellen aus Korea, Chimären aus
China: Asiens Biotechniker wollen an die Weltspitze. In: Die Zeit vom 19.02.04,
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Josef Gebhard und Ernst Mauritz: Klon-Embryos und die Ethik. In: Kurier vom
14.02.04, 24
Helmut Herles: Plädoyer für adulte Stammzellen. In: Bonner Generalanzeiger
vom 14.02.04, 2
Christiana Berndt: Begeisterung und Entsetzen. In: Süddeutsche Zeitung vom
14.02.04, 5
Holger Wormer: Menschliche Embryos geklont: Experimente in Korea rufen
Gegner wie Befürworter auf den Plan. „Unser Ziel ist es nicht, Babys zu klonen.
In: Süddeutsche Zeitung vom 14.02.04, 5
Karl-Heinz Karisch: Der entfesselte Klon. In: Frankfurter Rundschau, 3
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Die Bischöfe von Württemberg: Gemeinsame Presserklärung zum Klonen von
Menschen. In: Diözese Rottenburg-Stuttgart (drs)-online vom 13.02.04
Hans Schöler: Heraus aus der Sackgasse der Biopolitik. In: Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 03.03.04
Uwe Justus Wenzel: Freiheit als Fessel. In: Neue Zürcher Zeitung vom 20.03.04
Die Fülle der Pressereaktionen macht deutlich: In Südkorea muss dem Bioforscher
Hwang Woo Suk offenbar etwas Besonderes gelungen sein. Von einem „Urknall der
Klontherapie“ (FAZ) und von einem „Experiment, das die Welt verändern wird“ (Der
Spiegel) und vom „entfesselten Klon“ (Frankfurter Rundschau) ist die Rede.
Das Experiment
Die
Wissenschaftsredaktion
des
Spiegel
beschreibt
nüchtern,
was
die
Wissenschaftlern der Seoul National University wirklich zustande gebracht haben:
„16 Frauen in Südkorea wurden insgesamt 242 Eizellen entnommen. Jede Frau
spendete außerdem einige Zellen ihrer Eierstöcke. Wie beim therapeutischen Klonen
von Tieren entkernen die Forscher die Eizellen und pflanzen ihnen Kerne der
Eistockzellen ein. Mit Hilfe von Chemikalien wurde dann die Zellteilung beschleunigt,
so dass die Wissenschaftler 30 Blastozysten erhielten – fünf Tage alte Embryos, die
aus 100 bis 200 Zellen bestehen. Bis zum Blastozysten-Stadium hatten es geklonte
menschliche Embryos noch nie geschafft. Den Blastozysten entnahmen die
koreanischen Mediziner dann Stammzellen, die denselben biogenetischen Code
aufweisen wie die Spenderin. Die Zellen begannen in Reagenzgläsern und nach der
Übertragung auf Mäuse mit der Bildung von Muskel- und Knochengewebe, berichten
die Forscher. Sie entdeckten auch Nervenzellen. Woo sagte, jetzt wolle das Team
untersuchen, wie die Zellen angeregt werden können, spezielle Gewebearten zu
bilden….Die Zellen sollen so programmiert werden, dass sie verschiedene
Gewebearten wie Herzmuskeln oder Nerven bilden… Dieses aus dem Erbgut eines
Patienten gezüchtete Gewebe hat den Vorteil, dass es nicht vom Immunsystem
abgestoßen wird.“ (Spiegel) Mit den Experimenten in Korea ist laut Rudolf Jaenisch
vom Whitehead Institute in Massachusetts der lang erwartete Beweis gelungen, dass
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therapeutisches Klonen auch beim Menschen möglich sei. Die südkoreanischen
Forscher
betonten
auf
einer
Pressekonferenz,
dass
es
ihnen
bei
ihren
Klonexperimenten ausschließlich um „therapeutisches Klonen und nicht um die
Herstellung von Klonbabys ginge.“(Spiegel)
Die Reaktionen
Genau diese Möglichkeit des therapeutischen Klonen löste heftige Reaktionen
zwischen „Begeisterung und Entsetzen“ (Süddeutsche Zeitung) aus. Auf einhellige
Ablehnung stießen die Experimente und deren Aussichten auf therapeutische Erfolge
bei den katholischen und evangelischen Bischöfen in Deutschland. Sie monierten
das Fehlen eindeutiger Regelungen gegen Klonexperimente und sahen wegen der
Grauzone zwischen „therapeutischem“ und „re-produktivem“ Klonen „Tür und Tor für
das angeblich nicht gewollte „reproduktive Klonen“ geöffnet“. Die Gründe der
Bischöfe gegen das Klonen: „Die aus den Eizellen entstehenden Embryonen
(müssen d.V.) zur Gewinnung von Stammzellen getötet werden. Durch das Klonen
wird der Mensch zum Produkt der Technik. Beim Klonen handelt es sich um die
Instrumentalisierung von Menschen. Menschliches Leben darf aber niemals zum
Verbrauchsgut werden.“ Forschungsfreiheit und mögliche Gesundheitsinteressen
müssen hinter dem Lebensrecht des Embryos zurückstehen. Die Bischöfe fordern
die Bundesregierung auf, nach der mehrheitlichen Ablehnung des deutschen
Bundestages sich „energisch für eine klare Regelung der weltweiten Ächtung
jeglichen Klonens einzusetzen.“ (Presseerklärung der Bischöfe)
Wissenschaftler und Politiker reagierten mit Ausnahme der FDP einhellig mit
Ablehnung und warnten vor falschen Hoffnungen und machten auf ethische Grenzen
aufmerksam. Stellvertretend für die Mehrheitsmeinung im Bundestag bringt diese
Auffassung Maria Böhmer, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU,
zum Ausdruck: „Das Klonverbot behält seine Gültigkeit. Wir wollen mit aller Kraft
Menschen mit derzeit unheilbaren Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer helfen,
aber nicht um den Preis, dass Menschenleben geopfert wird. Der Mensch ist nicht
verfügbar und darf nicht zum Ersatzteillager verkommen.“ (Bonner Generalanzeiger).
Ein Ausweg aus dem Dilemma zwischen Forschungsfreiheit und Lebensrecht bietet
sich nach Rene Röspel (SPD) mit der Forschung mit adulten Stammzellen an.
Verhaltener fallen die Reaktionen der Biowissenschaftler aus. Der Biomediziner
Hans Schöler, Direktor des Max-Planck-Institutes für Molekulare Biomedizin,
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beantwortet die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, ob mit den südkoreanischen
Embryoexperimenten das reproduktive Klonen in greifbare Nähe gerückt ist; mit:
„Theoretisch ja, praktisch nein“ (FAZ vom 03.03.04). Um Menschen zu klonen,
müssten eine Fülle von toten Embryonen und Föten in Kauf genommen werden. Um
diese aber am Leben zu halten, müsste die „Kloneffizienz“ erhöht werden. Dazu
müsste die richtige Entwicklung einer Blastozyste gewährleistet sein. Bestimmte
Proteine müssten dazu in einer definierten Menge zum richtigen Zeitpunkt in den
richtigen Zellen des Embryos gebildet werden. Die Passgenauigkeit von Genprofilen
steht zudem in Frage. Ebenso ist eine klare Vorhersage, ob die Gene nach
Einsetzen in den Uterus sich auch wirklich - wie gewünscht - entwickeln, nicht
möglich. Offenkundig muss, wie das Dollyexperiment zeigt, mit einer hohen
Krankheits- und Morbiditätsrate vor, während und nach der Geburt des menschlichen
Klons gerechnet werden. Diese nur begrenzte Auswahl von möglichen Hürden zum
menschlichen Klon wird aber nach Schöler die Biotechniker nicht vor weiteren
Experimenten
abhalten
können.
Im
Gegenteil:
Allein
schon
die
starken
wirtschaftlichen Interessen der privaten Investoren, die offenkundig anonym bleiben
wollen (Die Zeit), und die finanziellen Möglichkeiten der Patienten „machen es nicht
mehr undenkbar, dass man einige wenige Frauen dazu überredet, ihnen schließlich
Blastozysten implantiert und darauf hofft, dass sich die Blastozysten zu Föten
weiterentwickeln. Selbst wenn die Föten nicht bis zur Geburt überlebensfähig sein
sollten, die Hoffnung könnte weiter bestehen – zum Beispiel darin, dass man die
fötalen Zellen und Organe nutzbar macht.“ (FAZ 03.03.04.) Auch Schöler sieht die
Gefahr, dass mit diesen Föten Missbrauch getrieben werden kann. Er plädiert gegen
diesen Missbrauch für ein Verbot der Implementierung von geklonten Embryonen in
den Uterus einer Frau.
Der Vorsitzende des Nationalen Ethikrates, Spiros Simitis, sprach sich im
Zusammenhang mit dem Klonen für eine Begriffsklärung aus. Man solle künftig nicht
mehr von „therapeutischem Klonen“ sondern von „Forschungsklonen“ sprechen.
Damit könne man den überzogenen Erwartungen und den Heilungsbedürfnissen, die
durch die Klonexperimente in der Gesellschaft erzeugt würden, entgegentreten
(Süddeutsche Zeitung).
Demgegenüber betonen die südkoreanischen Forscher: „Unser Ziel ist es nicht,
Babys zu klonen.“(Süddeutsche Zeitung). Sie sehen ihre jetzige Forschungspraxis
als moralisch gerechtfertigt an. Ihre Beweggründe sind Verantwortung und
moralische Verpflichtung denjenigen gegenüber, die an heute noch unheilbaren
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Krankheiten
litten.
Demgegenüber
sprach
der
Präsident
der
Deutschen
Forschungsgemeinschaft und selbst Genetiker, Ernst-Ludwig Winnacker, von einem
Irrweg und einem Strohfeuer, „das wenig mit Wissenschaft, noch weniger mit
Therapien, viel mehr aber mit der menschlichen Sucht zu tun hat, der Erste zu sein,
koste es, was es wolle“ (FAZ, zitiert nach Neue Zürcher Zeitung). Auf der Suche
nach möglichen Motiven für das menschliche Klonen stößt Uwe Justus Wenzel auf
eine psychologische Analyse. Danach „färbt“ der Umgang mit totipotenten
(alleskönnenden) Zellen auf die Forscher ab: „Diese Allmacht überträgt sich: Wer
über Alleskönner verfügen könnte, wäre selbst ein allmächtiger Alleskönner.“(NZZ) In
diesem Über-die-Lebensbedingungen-verfügen-Wollen liegt, so zitiert Wenzel Hubert
Markl, den Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, in einer Replik an Kritiker der
Biotechnik die grundlegende kulturbedingte Entscheidungsfreiheit des Menschen.
Sie entspricht – so Merkl - dem Menschen mehr als der Biologismus der
Biotechnikgegener,
die
„willenlose
Hinnahme
jedes
Zufallsunglücks“
als
hochmoralisch zu bewerten. Demnach wären die Bioingenieure, so fragt Wenzel
kritisch,
die
„Freiheitskämpfer
mit
höherem
Auftrag,
die
Speerspitze
der
menschlichen Gattung.“ Wenzel hält beide – Biotechnologie und Bioethik für
Gefangene der Dispositionsmacht. Die einen wollen über soviel wie möglich
verfügen. Die anderen halten sich für so frei, die entfesselte Verfügungsmacht
beliebig
zu
beschneiden.
Beide
wären
mithin
Zwillinge
des
säkularen
Freiheitsstrebens, das sich als eine höhere Form von Unfreiheit entpuppt.(NZZ)
Andreas Zetker (Die Zeit) macht in der Bioforschungsszene Korea und China einen
unbändigen Erfolgswillen aus. In allen anwendungsbezogenen Forschungsfeldern
wird mit hohem staatlichem Aufwand geforscht. Der Max-Plank-Forscher Ulrich
Bahmen bringt die Forschungspolitik der Tigerstaaten auf den Begriff. Sie ist
aggressiv, effizient und zielorientiert. Ole Döring, Philosoph und Sinologe an der
Ruhruniversität Bochum, fragt: „Was macht ein Stammzellforscher aus dem Westen,
wenn er ein neues Experiment plant? Er schreibt Anträge und muss sich vor
Ethikkommissionen verteidigen, Gutachten abwarten. In China verliert man weniger
Zeit – dort forscht man einfach.“ Weil man wirtschaftlichen, auch exportierbaren
Erfolg in der Biomedizin erwartet, sieht man in China keinen Regulierungsbedarf.
Auch so – durch die Abwesenheit einer bioethischen Debatte - erklärt sich der
schnelle Klonerfolg in einem „Land der grenzenlosen Embryonennutzung“.
Es wird höchste Zeit für interkulturelle und internationale Übereinkünfte zur
Zulässigkeit des Klonens.
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Rezension
Stefan Heiner, Enzo Gruber (Hrsg.): Bildstörungen. Kranke und Behinderte im
Spielfilm. Frankfurt a. M. 2003. Mabuse-Verlag. 18.90 €
Der Sammelband „Bildstörungen“ ist in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnliches
Buch. Es handelt von der Präsenz von Kranken und Behinderten in Spielfilmen. Mehr
als ein Dutzend Filmschaffende, Theaterwissenschaftler, Filmkritiker, Schauspieler,
Fotografen, behinderte und nichtbehinderte AutorInnen beleuchten die Leitthematik
aus unterschiedlichen Perspektiven. Das Buch bedient zugleich filmerisch-fachliche,
sozialwissenschaftliche, medizinische und besonders in der Frage der Normativität
auch ethische Interessen.
Mit der Präsenz von Kranken und Behinderten in Filmen wird meist ein bestimmter
Rollentypus festgelegt. Dies geschieht – so die Herausgeber – viel nachdrücklicher
als in Rollenzuweisungen durch die medizinische Wissenschaft. Ziel des Buches ist
es, einige höchst persönliche Leitlinien für den Kinobesuch herauszufiltern. In einem
ersten Teil werden Filme und die Filmgeschichte zum Thema bearbeitet. In einem
zweiten Teil geht es um die Beiträge von Akteuren aus Regie, Fotografie und
Schauspielkunst. Für den interessierten Filmkonsumenten und den pädagogisch
ambitionierten Zuschauer (z.B. Lehrer, Erwachsenenbildner, Fortbildner) befindet
sich am Schluss des Bandes ein umfangreiches Register mit Titeln, Regisseuren und
Kurzbeschreibungen der Handlungen. Es ließe sich gut zur Unterrichtsvorbereitung
nutzen.
Außergewöhnlich an diesem Buch ist auch die Vielfalt der Autoren, deren sachlichkritische Bestandsaufnahme und deren satirische Sichtweise. Besonders
eindrücklich schildern Menschen mit Behinderungen, wie z.B. der Schauspieler Peter
Radtke, das Filmgeschäft aus ihrer Sicht. Er legt z.B. Wert auf Rollen, die ihn nicht
notwendig zum Behinderten machen. Er tritt daher „nur zu meinen Bedingungen“ ein
Engagement an. Krankheit und Behinderung wird im Gegensatz zur Haltung Radtkes
meist von Drehbuchautoren und Regisseuren funktional eingesetzt. Mal geht es
handlungsstrategisch um eine Figur, die zwar präsent ist, deren Gedächtnis aber
aussetzt. So geschehen in „Während du schliefst…“ von Turteltaub oder (neuestes
Beispiel) in „Good bye Lenin“. In anderen Fällen wird Krankheit zur Katarsisfunktion
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der Handlung benötigt. Auch Schicksalsprüfungen werden mit Krankheit zusätzlich
dramatisiert. Eine sehr freundliche, wenn nicht gar liebliche Darstellung von
Menschen mit Behinderung wie in „Rain man“ (einem Film mit einem jungen Mann
mit autistischen Störungen) oder „Bobby“ (einem Film mit einem Jungen mit DownSyndrom) bedienen das Kindchenschema im Zuschauer. Oft werden aber auch
andere Stereotype bedient. Krankheit dient dann der zusätzlichen Dämonisierung
von sowieso schon „bösen“ Charakteren. Dem „Bitterbösen“ entspricht andererseits
die Figur des herzensguten Psychopathen wie dem Buckligen im „Glöckner von
Notre Dame“.
Überhaupt lebt der Film wie die Realität meist von einer klaren Unterscheidung von
normal und nicht-normal, krank und gesund, behindert und nicht behindert. In Filmen
wird meist entlang dieser Grenzen produziert. Das medizinische Modell des „Abnormen“ herrscht vor. Die soziale Definition von Behindert sein als „Anders sein“ wird
erst anfanghaft aufgegriffen. Filme leben von der „Zwei-Lager-Mentalität“ und
modellieren daraus ihre Figuren als Kranke oder behinderte Menschen. BehindertSein wird nicht als normal angesehen. Dagegen definiert Peter Radtke Normalität
jenseits der üblichen Grenzziehungen „als etwas, woran man sich gewöhnt hat.“ (16)
Der Traum vom „Wir sind doch alle gleich“ wird in einigen Filmen zerstört. Dort bleibt
der Behindere behindert und geht aus Verzweiflung über diesen Unterschied zu den
anderen Nicht-behinderten zugrunde.
Um Respekt vor der Daseinsweise des jeweiligen Anderen wirbt der Fotograf Fritz
Hase, der sich der Problematik der „richtigen“ Bildauswahl von Behindertenporträts
handelt. Der Kameramann Deike van Goor thematisiert die Frage der
Kamerastrategie beim Filmen mit Gehörlosen.
Aus den insgesamt niveauvollen Beiträgen sticht ein Beitrag zu einem Schulprojekt
besonders hervor. Im Projekt OBJEKTIV wird Schulen von der Nürnberger Firma
„abm“ (arbeitsgemeinschaft behinderung und medien) ein Veranstaltungskonzept
angeboten, das sich um ein differenzierteres Bild vom Leben Behinderter bei
Schülern und in den Medien bemüht. Schülern wird ein Film zum Thema „Wie wir
leben“ vorgeführt. Anschließend sprechen Schüler mit einem behinderten Moderator,
der auf alle Fragen, die sich aus dem Film ergeben haben, antwortet. Der Film ist
dabei gemeinsame Gesprächsgrundlage und Kristallationspunkt für alle
Anwesenden. Mit diesem Projekt wird nochmals die Grundintention des Buches
unterstrichen: Es geht um die kritische Sicht auf die in Filmen gezeigten Menschen
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mit Behinderungen, deren Rolle in der Gesellschaft und die Ermöglichung des
Zugangs zu ihnen über das Alltagsmedium Film.
Dieses Buch hat viele Leser verdient.
Hans-Martin Brüll