Ein Sufi Beitrag zur Entwicklung einer globalen ethischen Kultur
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Ein Sufi Beitrag zur Entwicklung einer globalen ethischen Kultur
Ein Sufi Beitrag zur Entwicklung einer globalen ethischen Kultur 14 Visionen 09/2010 Internet, Telekommunikation und die Globalisierung der Wirtschaft haben die Welt zu einem globalen Dorf schrumpfen lassen, doch gerade dieses Zusammenrücken stellt eine große Herausforderung für die Völker und Religionsgemeinschaften dar. Vor 100 Jahren brach Hazrat Inayat Khan mit der Sufi Botschaft von der Einheit der Menschheit nach Europa auf, und dieser Botschaft ist der von ihm gegründete Sufi Orden in all seinen Ablegern bis heute verpflichtet. Pir Zia, heutiges Ordensoberhaupt und Enkel des Gründers, erinnert in dieser Ansprache an die Verantwortung des Menschen für die menschliche Gemeinschaft. GELEBTE SPIRITUALITÄT In Wirklichkeit kommt die Botschaft von einer Quelle, und das ist Gott, und unter welchem Namen auch immer die Weisen diese Botschaft brachten, es war nicht ihre Botschaft, sondern die Botschaft Gottes. (Hazrat Inayat Khan) „W o befinde ich mich bei meiner Reise auf dem spirituellen Pfad? Wo bin ich gewesen? Wo stehe ich jetzt? Und ich welche Richtung bewege ich mich gerade?“ Dies sind meines Erachtens lebenswichtige Fragen. Dabei ist das Fragen selbst vielleicht wichtiger als jede mögliche Antwort. Die Frage lebendig zu erhalten, immer weiter zu forschen, Zeuge zu sein, das ist von entscheidender Bedeutung für uns alle. VERSÄUMNISSE UND FEHLER Diese Fragen sind nicht nur für uns als Individuen, sondern auch als Kollektiv wichtig. Unsere Spezies muss sich fragen: „Wo sind wir gewesen, wie weit sind wir gekommen, und wo befinden wir uns nun? Wie ist die Situation auf der Erde? Und was ist der Pfad, der voran führt?“ Wenn wir diese Fragen nicht stellen, treiben wir unbewusst und wahllos dahin. Ja, immer noch erreicht uns Gnade. Aber wir haben die Gelegenheit verpasst, bewusst und zielgerichtet am Schicksal des Planeten mitzuwirken. Und gibt es irgendeinen anderen Grund, wieso wir uns überhaupt inkarniert haben? Haben wir uns etwa inkarniert, um eine Sammlung netter Dinge anzulegen, uns zu amüsieren, unsere Zeit herumzubringen? Nein, wir kamen mit einer treibenden Kraft, die uns aus den Scharen der Engel in die Verkörperung warf, weil sich die Gelegenheit bot, hierhin herabzusteigen in das Neuland von Gottes Selbst-Enthüllung, um auf dem Wellenkamm der göttlichen Selbst-Entdeckung dabei zu sein und teilzunehmen am Erwachen des Stoffes der Erde selbst. Wo befinden wir uns auf unserem spirituellen Pfad als Spezies? Wenn wir uns in der heutigen Welt umschauen, dann sehen wir vieles, was nicht stimmt. Als Nation befinden wir uns nun seit Jahren im Kriegszustand. Und wir haben uns tief verschuldet. Allmählich erkennen wir die Folgen davon, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben und aus dem Gleichgewicht geraten sind. Wir stehen bei anderen Nationen in der Schuld. Wir stehen bei anderen Spezies in der Schuld. Wir stehen sogar bei zukünftigen Generationen in der Schuld. Die ganze Erde ist von einem Fieber ergriffen, die Temperatur steigt. Die Folgen unseres übertriebenen Konsumierens, unseres unersättlichen Hungers plündern den Planeten aus, und wir leben in Angst und Sorge im Schatten von Massenvernichtungsmitteln, von Waffen, die das Potenzial haben, die ganze menschliche Rasse, ja sogar das ganze Lebenssystem auf Erden zu zerstören. GRUND ZUR HOFFNUNG Nun gibt es aber inmitten all dieser Vorzeichen für Gefahr auch Anzeichen von Hoffnung. Wir sind weit gekommen: Bürgerrechte, Demokratie, eine egalitäre Gesellschaft, in der jeder Mensch respektiert und vor dem Gesetz als gleich anerkannt wird; eine Welt, in der wir Kulturen entdecken, die so verschieden von unserer eigenen sind und doch in ihrer Tiefe dieselben essentiellen Wahrheiten der menschlichen Erfahrung tragen und uns in dem Bewusstsein eint, dass die Menschheit ein einziges Lebensfeld darstellt. Wir sind vereint aus der planetarischen Perspektive, symbolisiert durch das Bild des Planeten Erde vom Weltraum her, ein Bild, das wahrhaftig den Mythos unserer Zeit repräsentiert. Es gibt enorme Möglichkeiten, ungeheuren Segen und Chancen mitten unter uns, und es gibt ein Erwachen. So störrisch und rigide die Mächte der alten Ordnung auch sind – die Mächte der Zwietracht, der Konkurrenz und der rücksichtslosen Ausbeutung der Erde –, die Kraft dieser Mächte verblasst gegenüber der Kreativität, der Inspiration, der Leidenschaft, die aufzusteigen beginnen. Und sie steigen auf als Antwort auf einen Schrei, als Antwort auf die tiefe Verzweiflung, die das Symptom unserer Vergesslichkeit, unserer Zersplitterung, unserer Entfremdung ist. Es ist, als ob die anima mundi selbst aufschreit. DIE EINE QUELLE DER FÜHRUNG Und dies ist der Schrei, den jeder Prophet gehört hat. Die geschaffene Welt ist aus liebender Güte geboren, und wenn ihre tieferen Strömungen aufgewühlt werden, dann kann sie nicht anders als zur Antwort darauf göttliches Mitgefühl freizusetzen, Führung aus dem tiefsten Innern der Wirklichkeit aufsteigen zu lassen. Der Prophet wird zum Kanal dieser Qualität des Seins, und er muss sie in Worte und Formen übersetzen, welche die Menschen hören und um die sie sich versammeln können. Es ist das Vermächtnis der Propheten, das unsere größte Erbschaft ausmacht, aber allzu oft haben wir uns an die äußere Form eines solchen Vermächtnisses geklammert, haben ein Götzenbild daraus gemacht und waren stolz auf unsere Zugehörigkeit zu einer Stammesidentität, zu einer religiösen Ideologie. Und dadurch ist uns die ganze Bedeutung des prophetischen Vermächtnisses entgangen. Das prophetische Vermächtnis entstammt ein und derselben Herkunftslinie, die den Globus umspannt. Sie kann nicht auseinander gerissen und gespalten werden. Dies zu tun ist eine Tragödie. Und es ist so überwältigend, in einer Zeit zu leben, da wir die Erde als eine einzige sehen können, da wir Zugang zum Erbe all der von Gott offenbarten Traditionen der Welt haben, da wir die Einheit dieser Traditionen wahrnehmen und erkennen, dass dieselbe göttliche Führung, welche jede prophetische Botschaft erfüllte, uns auch heute zur Verfügung steht und dies die Quelle ist, die wir brauchen. Die Probleme, die wir geschaffen haben, können nicht mittels der Mentalität gelöst werden, die eben diese Probleme schuf. Wir müssen eine tiefere, weitere und vollere Quelle der Führung ausschachten, welche Visionen / 15 Die Erde ist nur ein Land, und alle Menschen sind seine Bürger. (Baha’u’llah) die profundesten heiligen Visionen der gesamten Erfahrung aus der Evolution der Menschheit sammelt, synthetisiert und integriert. DIE REALITÄT MITGESTALTEN Es gab einen visionären Heiligen des zwölften Jahrhunderts, einen Sufi namens Shihab-al-Din Yahya Suhrawardi, welcher die Dringlichkeit, die Notwendigkeit dieses Impulses, die Ströme der Weisheit zu vereinen, verspürte. Er bezog Inspiration aus Ägypten, Griechenland und Persien, und er war tief inspiriert von der Offenbarung der islamischen Botschaft, des Koran. Er schrieb diese Worte im Vorwort zu seinem Hauptwerk, dem Hikmat-al-Ishrak (Die Weisheit der Erleuchtung): „In jeder suchenden Seele gibt es einen Teil, sei er klein oder groß, vom Licht Gottes. Jeder, der sich bemüht, besitzt Intuition, sei sie vollkommen oder unvollkommen. Das Wissen endete nicht mit einem einzigen Volk, so dass die Himmelspforten nach ihm geschlossen und dem Rest der Welt die Möglichkeit verweigert worden wäre, mehr davon zu erlangen. Vielmehr ‘knausert der Spender von Wissen, der am hellen Horizont steht, nicht mit dem Unsichtbaren’ (Koran 81:23-24). Das allerübelste Zeitalter ist dasjenige, in dem der Teppich des Strebens eingerollt, die Bewegung des Denkens gestört, die Tür der Offenbarungen verriegelt und der Pfad der Visionen blockiert worden ist.“ Suhrawardi zitiert hier einen Vers aus dem Koran: „Gott knausert nicht mit dem Unsichtbaren.“ Das sollte unser Leitspruch sein. Führung ist im Überfluss vorhanden, wie sehr auch immer wir als 16 Visionen / Individuum und als Gesellschaft in die Irre gegangen sein mögen. Der Weg voran existiert. Die einzig wirkliche Gefahr für uns besteht dann, wenn wir den Teppich des Strebens einrollen, wenn wir die Bewegung des Denkens blockieren, die Tür der Offenbarungen schließen, den Pfad der Visionen beenden sollten. Das ist die Gefahr. Die göttliche Vision ist großzügig. Unaufhörlich gravieren wir unsere Signatur in die Tafel der Natur ein. Was ist diese Signatur? Was ist unsere Vision des Guten, des Möglichen, an der unser Leben mitwirkt, eine Rolle spielt und in die Realität einbringt? Stellen Sie sich das Privileg und die Verantwortung vor, die darin liegt, dass wir mit einem Willen ausgestattet die Macht haben, die Realität zu ändern. Dieses ganze verrückte Experiment des irdischen Lebens ist nicht etwas, bei dem wir lediglich die unbeteiligten Zuschauer sind. Die Richtung, die es nimmt, hängt ab von meinem, Ihrem, unserem Willen. Und die Gelegenheit ist nicht eine endlos gegebene; wir haben eine Anzahl von Tagen zur Verfügung. Wenn wir diese Erde verlassen, welches Vermächtnis wünschen wir zu hinterlassen? Für was für einen Planeten möchten wir uns eingesetzt haben? EIN HAUS DER WEISHEIT BAUEN Es gab Zeiten in der Menschheitsgeschichte, in denen diese Fragen gestellt wurden und Menschen zusammengekommen sind, um über die einengende Konditionierung ihrer unmittelbaren Erfahrung hinaus zu gehen und ein Höchstmaß der gesamten Skala der Lebenserfahrung auf Erden zu erfassen suchten – Momente, in GELEBTE SPIRITUALITÄT Pir Zia, Oberhaupt des Internationalen Sufi Ordens ANZEIGE denen Menschen sich versammelten, um den Inbegriff menschlichen Wissens und menschlicher Erfahrung zusammenzufassen. Zu manchen Zeiten nahm dies die Gestalt eines Hauses der Weisheit an. In Bagdad sammelten die Bayt al-Hikma in der Bemühung, die Quintessenz menschlicher Erfahrung zusammenzufassen, mathematische Kenntnisse (wobei sie die Algebra entwickelten), die Weisheit des antiken Mesopotamien und Einsichten aus so weit entfernten Gebieten wie Hindustan. In Alexandria hat man ähnliche Anstrengungen unternommen, und in Fatehpur Sikri ebenfalls. Heute nun befinden wir uns hier in dem Land, das ein Mikrokosmos der Welt ist, ein Schmelztiegel unzähliger Kulturen. Allzu oft jedoch lassen wir uns lediglich umhertreiben, wobei wir zufällige Einzelheiten beobachten, aber das große Bild übersehen. Milliarden von Dollars werden für aggressive militärische Strategien aufgewendet, und dabei warten all der Einfallsreichtum und die ganze Kreativität darauf, aktiviert und in den Dienst an einer positiven Zukunft des Planeten gestellt zu werden. Welche wertvollen kulturellen und spirituellen Ressourcen könnten angesichts der Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, aufgeboten werden? Als kleinen Beitrag zu diesem großen Unterfangen haben einige Freunde und ich begonnen, ein Haus der Weisheit zu gestalten. Wir gebrauchen den Namen Seven Pillars (Sieben Säulen), der auf Sophia, die Herrin der Weisheit, hindeutet, die im Buch der Sprüche redet und sagt: „Ich habe mein Haus erbaut. Ich habe meine Sieben Säulen errichtet. Ich habe das Mahl bereitet.“ (Spr. 9.1) Es ist eine Einladung von Seiten der Weisheit, in Dialog und gemeinsamer Arbeit zusammenzukommen, die Herausforderungen und die Chancen in unserem individuellen und kollektiven Leben zu betrachten und die Antworten zu suchen, die aus dem Herzen der menschlichen Erfahrung kommen. Übersetzung: Kaivan Plesken Pir Zia Inayat-Khan ist das spirituelle Oberhaupt des Internationalen Sufi Ordens, einer überkonfessionellen Gemeinschaft, die auf das visionäre Vermächtnis seines Großvaters Hazrat Inayat Khan zurückgeht. Er promovierte in Religionswissenschaften an der Duke University, Durham NC, und ist Mitglied der Lindisfarne Association. Kontakt: Internationaler Sufi Orden Deutschland e.V. Geschäftsstelle: Monika Lange, Hähnenkamp 2, D-23617 Stockelsdorf Tel. 04506-188 260, Mo / Mi / Fr 9-12 h und Mo 19-21 h E-Mail: sekretariat@sufiorden.de, Internet: www.sufiorden.de VERANSTALTUNG h-Moll-Messe von J.S. Bach als Friedensfeier mit Vertretern der verschiedenen Religionen Sonntag, 12.9.2010, 15.00 h Konzert in Frankfurt/Main, Dreikönigskirche Leitung: Ophiel M. van Leer 1/4 Anzeige 1/1 Dachverband 9. KONGRESS Geistiges Heilen e.V. Geistiges Heilen Prof. Dr. med. W. van Laack Cornelis Slot Bernard Jakoby Graziella Schmidt „Im Kreislauf von Leben und Tod“ 1.–3. Oktober 2010 in Rotenburg a.d. Fulda Programm, Infos und Kartenvorverkauf : WEBTIPP www.sevenpillarshouse.org DGH-Geschäftsstelle · Steigerweg 55 · 69115 Heidelberg Tel. 06221/16 96 06 · info@dgh-ev.de · www.dgh-ev.de Visionen / 17