31 cm Sprenggranate 4861 (Teil 1)
Transcription
31 cm Sprenggranate 4861 (Teil 1)
31 cm Sprenggranate 4861 (Teil 1) 31 cm Sprgr 4681, 31 cm Peenemünder Pfeilgeschoss (PPG) von Detlev Paul Foto 1 KMBD Sachsen Anhalt; 31 cm Sprgr 4861 im Bestand des Technischen Polizeiamtes Sachsen Anhalt, Hottendorf, Aufnahme nach Bergung 0. Vorbemerkung Das vorstehende Foto wurde dem Verfasser im Jahr 2009 bekannt. Aufgrund des charakteristischen Aussehens und der Größe vermutete der Verfasser, dass es sich bei dem Fundstück um eine 31 cm Sprgr 4861 handeln könnte. Die gute kollegiale Zusammenarbeit des Kampfmittelräumdienstes (KMRD) NRW und des Kampfmittelbeseitigungsdienstes (KMBD) Sachsen Anhalt ermöglichte eine Begutachtung der 31 cm Sprgr 4861 in Hottendorf am 14.3.2012 Foto 2 V. Lessmann; Detlev Paul neben der 31 cm Sprgr 4861 (ohne Treibring) 1. Einleitung Vor dem 2. Weltkrieg wurden im Dritten Reich unterkaliberige und flügel-stabilisierte Langgeschosse für die Artillerie entwickelt. Es handelte sich hierbei um sogenannte RöchlingGranaten (RöGr), die durch Wickellamellen stabilisiert und für große Eindringtiefen in Stahl, Beton, Fels und Erdreich konstruiert waren. Im Verlauf des Krieges versuchte man, diese Konstruktion auch für eine Reichweitensteigerung zu nutzen, insbesondere in Verbindung mit dem Waffensystem HDP (Hochdruckpumpe). Parallel zu dieser firmeneigenen Munitionsentwicklung arbeitete das Waffenprüfamt des Heeres (WaPrüfA) unabhängig an mehreren eigenen Entwürfen. Diese sind unter der Bezeichnung PPG (Peenemünder Pfeilgeschoss) bekannt, da sie maßgeblich in Peenemünde -in dem dortigen Windkanalexperimentell entwickelt wurden. Drei unterschiedliche Konstruktionen führten zu den erforderlichen Geschoss- und Flugstabilitäten: 1. Geschoss mit Verschiebeleitwerk, 2. Treibzapfengeschoss , 3. Treibflossengeschoss. Es wurden bei Geschossgewichten, die ähnlich denen von Drallgeschossen waren, Reichweitensteigerungen von + 50% erzielt. Eine 4. Konstruktion führte zu der -in diesem Bericht- beschriebenen 31 cm Sprgr 4861. Mit dem Treibringgeschoss wurde eine andere Art der Druckübertragung gewählt, die kleine Geschossgewichte ermöglichten und dadurch konnte eine höhere vo erreicht werden. Mit einem Geschossgewicht von etwa 60% des vergleichbaren Drallgeschosses konnte man die Reichweite verdoppeln. Hierzu führt der mit der Entwicklung beauftragte Dr. Henry Poltz aus: „ Bei den sogenannten Treibringgeschossen ist der Verbrennungsraum nicht durch einen Treibspiegel, sondern durch den sehr breit und stabil ausgebildeten und mit einem Führungsband versehen Zentrierring abgeschlossen. Der hintere Geschossteil mit den Flossen befindet sich also im Verbrennungsraum. Das Geschossende nimmt daher nur mit seinem Querschnitt entsprechenden Druckkraftanteil auf, die restliche Druckkraft wurde vom Treibring auf das Geschoss übertragen. Und zwar wird der hinter dem Treibring befindliche mittlere Teil des Geschosses vom Treibring gezogen, der vor ihm befindliche Vorderteilgeschoben. So kann das Maximum der Materialbeanspruchung günstigstenfalls auf 1/3 des Wertes bei Anwendung eines Treibspiegels vermindert werden. Auch der hier verwendete Treibring ist dreiteilig und zerlegt sich nach Verlassen des Rohres. Die hintere Zentrierung erfolgt durch die kräftigen Leitwerkflossen.“ Nachdem man die Konstruktion als brauchbar eingestuft hatte, wurde parallel an einer Entwicklung als Munition für Fernwaffen beim Heer (Reichweitensteigerung, besonders für Eisenbahngeschütz K5) und als Flugabwehrmunition (hohe vo, geringere Flugzeit und damit höhere Trefferwahrscheinlichkeit) bei der Luftwaffe gearbeitet. Die Flak-PPG Entwicklung wurde maßgeblich von der Firma Rheinmetall bearbeitet. Die firmeninterne Bezeichnung war UKP für Unterkaliber-Pfeilgeschoss. Bereits im Jahr 1941 war die Firma Rheinmetall beauftragt worden, die Produktionsmöglichkeiten für 5 cm PPG (für Pak) und auch für 18 cm PPG (für K5) zu prüfen und sicherzustellen. Bis zum Ende des Krieges waren noch die unterschiedlichsten PPG Konstruktionen für andere Artilleriewaffen, z.B. 80 cm Dora Eisenbahngeschütz und 24 cm K3 Geschütz in Planung. 2. Unterschiede Treibspiegel- und Treibringgeschosse 2.1 2.1.1 Nachfolgend einige technische Angaben, Zeichnung und Fotos von Treibspiegelgeschossen 17 cm Treibspiegelgeschoss für K5 Geschossgewicht im Rohr 275 kg Geschossgewicht im Flug 250 kg Gewicht der Treibspiegelteile 25 kg Mündungsgeschwindigkeit 1.135 m/Sek Max. Schussweite 90 km Endgeschwindigkeit im Ziel 850 m/Sek 2.1.2 17 cm PPG Treibspiegel Zeichnung 1 Zeichnung 2 2.1.3 Quelle: Waffentechnisches Taschenbuch Quelle: WTS, Bestand Rheinmetall 18 cm PPG Treibspiegel Foto 3; Quelle: Bericht von R. Hermann, Entwicklung flügelstabilisierter Geschosse zum Zwecke der Leistungssteigerung 2.2 Nachfolgend einige technische Angaben, Zeichnung und Fotos von Treibringgeschossen. 2.2.1 Bekannte Fotos von Treibringgeschossen Foto 4; nicht identifiziert, da Abmessungen nicht bekannt Quelle: Deutsche Artilleriewaffen im Zweiten Weltkrieg, Ian Hogg Foto 5; Geschoss mit gebündeltem Stangen-Treibladungspulver um die hintere Geschosshülle gebunden Foto 6; Leitwerk mit vorstehenden Weicheisenkämmen, Geschossende mit eingeschraubter Leuchtspurhülse Nr.13 Foto 7; dreiteiliger Treibring mit Weicheisenführung zur Abdichtung Foto 5-7: 4,5 cm PPG für 10,5 cm Flak Quelle: BAMA, Bestand RH 8 Foto 8; PPG für 10,5 cm Flak, Unterkaliber nicht bekannt, vermutlich 4,5/ 10,5 cm, mit beiliegendem Treibringsegment Quelle: CIOS, Bericht XXVIII-2 Zeichnung 3; 4,5/ 10,5 cm PPG Quelle: Rheinmetall, Bericht 18.12.1944 Im weiteren Bericht wird nur noch das Treibring-PPG für die K5 glatt (Sprgr 4861) behandelt. 2.2.2 Vergleichstabelle über normale Sprgr für K5 und PPG (Treibring) 31/15 PPG 31/12 PPG 28 cm Gr 42 Kaliber Geschosslänge Ladegewicht Fluggewicht Gewicht der abfliegenden Teile Gewicht der SprLd Gewicht der TreibLd Gebrauchsgasdruck zulässige vo bisher erreicht größte Schussweite bisher erreicht 280 1275 4,55 255 255 310 2600 9,3 279 250 310 2000 7,1 165 125 mm mm Kal Lg kg kg keine 30 182 3200 1120 29 26 210 3200 1100 60 90 40 10 270 3200 1500 1400 150 130 kg kg kg bar m/Sek m/Sek km km 2.2.3 Technische Daten der Einsatzmunition Quelle: HDv 119/629, Schusstafel K5 glatt mit Sprgr 4861, vom September 1944 Geschoss: Zünder: 31 cm Sprgr 4861 AZ KM 6 AZ BM 7 Ladegewicht: 147,0 kg Fluggewicht: 112,0 kg Treibring: dreiteilig, durch Verbindungsschrauben zusammen gehalten, sitzt mit Gewinde auf dem Geschosskörper. Er ist vor dem Laden solange zu drehen, bis gleich viele Gewindegänge vor und hinter dem Treibring zu erkennen sind und der rote Markenstrich noch oben zeigt. Das Geschoss ist senkrecht über eine Flosse so anzusetzen, dass der rote Strich nach oben zeigt. Zum Zentrieren des Geschosses im Rohr sind die Heckflossen am Ende mit Weicheisenkämmen versehen. Geschossende mit Ersatzstück für Lichtspurhülse Nr. 5. Insgesamt stehen 6 Geschossarten zur Verfügung: 1 Ring Durchmesser 316/310 2 3 Ring Durchmesser 320/312 4 5 Ring Durchmesser 324/314 6 Ring Durchmesser Ring Durchmesser Ring Durchmesser 318/311 322/313 326/315 Die Angabe der Geschossart ist mit weißer Farbe auf dem Geschosskörper neben der Geschossgewichtsangabe aufschabloniert. Das Geschoss ist mit einem kräftigen Druck anzusetzen. Zünder AZ KM 6 und AZ BM 7 ohne Verzögerung. Kartuschhülsen mit Zündschraube C/12 K St und Zündstrahlverstärker. Treibladungspulver für die Sprgr 486, in kg Bezeichnung Hauptkartusche Vorkartuschen 1 2 NzMan NP (1,5-1,5) 0,18 0,18 0,18 Digl RP -G5(675/800 12,7 / 5,6) ca. 60 Digl RP -G5(820.12,7 / 5,6) 60 60 Digl RP -G5(1030.12,7 / 5,6) kumuliertes Gewicht: 60,18 120,36 180,54 Anfangs vo: Mündungswucht: Gasdruck: 1.420 15.107 t 3.200 3 0,18 65 245,72 kg m/ Sek bar roter Strich Zeichnung 4; nach Vorlage HDv 119/629 Quelle: J.C. Wijnstok, German Railway Gun Leopold Nach der der Vorschr. beiliegenden Zeichnung hat die 31 cm Sprgr 4861 folgende Maße: Länge: 2,00 m Geschossdurchmesser: 120 mm Außendurchmesser Treibring: 316 mm Durchmesser Leitwerk (Flossen): 322 mm Anmerkung: Die Weicheisenkämme stehen seitlich je 3 mm über. 3. Versuchsberichte über Schießen mit PPG (Treibring) aus K5 glattes Rohr - Mit Rohr Nr. 21 7 Schuss bis 12.7.1944 12 Schuss bis 13.7.1944, gesamt 19 Siehe hierzu Anlage 3, Beschussergebnisse - Mit Rohr Nr. 39 38 Schuss bis 19.5.1944, Bericht liegt nicht vor 19 Schuss bis 15.7.1944, gesamt 57 Siehe hierzu Anlage 3, Beschussergebnisse liegen teilweise vor. Geschoss-Sorte 1 vorgesehen für die Massenfertigung. Geschoss-Sorte 1 und 2, vordere Geschosshülle konisch Zeichnung 5 Quelle: BAMA, Bestand RH 8 Geschoss-Sorte 1 und 2 mit Treibring angesetzt Zeichnung 6 Quelle: BAMA, Bestand RH 8 Geschoss-Sorte 3, vordere Geschosshülle zylindrisch Zeichnung 7 Quelle: BAMA, Bestand RH 8 Geschoss-Sorte 3 mit Flossen angesetzt vergrößerter Verbrennungsraum 900-1000 Zeichnung 8 Quelle: BAMA, Bestand RH 8 - Versuchsbericht über Schießen mit Einsatzmunition (vorgesehen für Massenfertigung) 5 mit Pelerinendichtung 5 mit Hahnenkammdichtung dient gleichzeitig der endgültigen Ermittlung der Treibladung und Aufstellung der Schusstafel (nach 15.7.1944, Bericht liegt nicht vor) Weitere 5 Schuss werden im Nahbeschuss getestet, zwecks Überprüfung der Haltbarkeit der Geschosshülle, Funktionsprüfung der Sprengladung, Zündladung und Zünder. „Eine Pulverentwicklung kann aus Mangel an Versuchsrohren nicht durchgeführt werden. Es ist unbekannt, welche vo Steigerung bei gleichbleibendem Gasdruck, durch Wahl der günstigsten Pulversorte zu erreichen ist.“ - In Rügenwalde am 14. und 16.11.1944 Gerät: K5 glattes Rohr Nr. 3 (unbeschossenes Rohr) Geschosse: V. Geschosskörper wie bei Nullserie Stahlmarke TS 70 N von Fa. Röchling. Versehen mit niedrigeren Flossen (Durchmesser über Flossen 240 mm) und einem abwerfbarem Stern zur Führung des Geschosses im Rohre. Sternausführung 1. Zeichnung Ausführung V Zeichnung 9 Quelle: BAMA, Bestand RH 8 VI. Geschoss und Flossenform wie unter V, Körper Material der Witkowitzer Fertigung mit Sternen am Geschossende. Sternausführung 2. Zeichnung Ausführung VI Zeichnung 10 Quelle: BAMA, Bestand RH 8 Versuchsergebnisse: Am 14.11.1944 wurden 1 Schuss der Ausführung V und 3 Schuss der Ausführung VI aus 350 m Entfernung auf eine Pappscheibe von 4 x 4 m2 abgegeben, mit Anfangsgeschwindigkeiten von 1.200-1.400 m/ Sek. Nur der letzte Schuss traf die Scheibe. Der Scheibenbeschuss wurde daraufhin abgebrochen. Am 14. und 16.11.1944 wurden 7 Schuss der Ausführung V und 4 Schuss der Ausführung VI in Rügenwalde und in Schlakow verschossen. Von den 11 Schuss war ein Kurzschuss unter 30 km Entfernung und ein Schuss, der 15 km zu kurz einschlug. „Beide Geschosssorten, insbesondere aber VI zeigen große Breitenstreuungen. Dem Beschussverhalten nach erwies sich die Geschosssorte V insgesamt als etwas günstiger als Sorte VI, soweit bei der geringen Schusszahl überhaupt eine Aussage gemacht werden kann.“ Zeichnung Treibring für die Ausführungen V und VI Zeichnung 11; Treibring, Weicheisenführung nicht dargestellt Quelle: BAMA, Bestand RH 8 Bei dem Besuch des Munitionszwischenlagers Planken wurde ein PPG fotografiert, das ein Durchmesser über die Flossen von 24 cm aufweist. Die Flossenflächen, im unteren, parallel verlaufenden Bereich, waren glatt, d.h. es waren keine Spuren von Weicheisenkämmen oder Anzeichen für die Befestigung einer Pelerinendichtung vorhanden. Es könnte sich hierbei um ein PPG der o.a. Versuchsreihe mit Sternenführung handeln. Foto 9 V. Lessmann; Leitwerk - Bodenansicht Foto 10 V. Lessmann; Leitwerk - Draufsicht Foto 11 D. Paul; - 31 cm PPG mit 24 cm Leitwerk Planung für die weiteren Versuche im Dezember: Erprobung von 30 Geschossen, 20 mit Sternen, ähnlich Ausführung V und 10, ähnlich Ausführung VI, aber mit verbesserter Haltbarkeit, Die Flossen sämtlicher Geschosse werden unter einem Anstellwinkel von 10 40‘ angeschweißt, um die Streuung zu verbessern. Die Druckkammern an den Treibringen-Segmenten werden fortgelassen. Der Beschuss wird mit Rohr Nr. 39 durchgeführt. Siehe hierzu Anlage 4, Sternkonstruktionen; Bericht liegt nicht vor. 4. Übersicht über die beteiligten Konstrukteure und Firmen, nur Auszug Person Poltz, Henry, Dr. Ing Düskow, OTL Mutschmann, Major Bleißner, FlObStabsing. Zimmermann, Major Pelikan Schinagl, Ing. Kettler, Ing. Gessner, OIng. Trotz, Dipl.-Ing. Frefel, Ing. Sachs, von, OTL Oichocki, Hptm Laug, OLt Schneider, Lt Stephan, Ing. Firma/ Dienststelle WAPrüf 1/IV/2c WaPrüf (BuM) 1, Versuchsleiter WaPrüf (BuM) 1 OKL, Chef TLR, Flak E1 AHA, In 4 Betriebsleiter, Hessische Industriewerke GmbH Wetzlar und Lahn Witkowitzer Bergbau- u. Eisenhüttenges. Fa. Niedersachsen AG W.V.A. W.V.A. W.V.A. WaPrüf 4 WaPrüf 4 WaPrüf (BuM) 1 WaPrüf (BuM) 1 WaPrüf (BuM) 1 Anmerkung des Verfassers: Wie aus den vorher aufgeführten Besprechungsprotokollen und Aktenvermerken ersichtlich, wurden die Munition oder Munitionsteile bei unterschiedlichen Firmen hergestellt. Diese Munition unterschied sich maßlich (nur geringfügig), materialmäßig und verarbeitungsmäßig voneinander. Dies war beabsichtigt, um durch Versuchsschießen festzustellen, welche Munition geschoss- und flugstabiler war. Irreführend ist, dass auch die Fa Röchling PPG-Geschosse produziert hat, obwohl sie mit der PPG Entwicklung nichts zu tun hatte. In der Literatur führt das immer zu Verwechselungen zwischen den ursprünglichen RöGr und den anderen unterkaliberigen und flügelstabilisierten Geschossen.