Mediale Formen zwischen Intermedialität und
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Mediale Formen zwischen Intermedialität und
Rainer Leschke: Mediale Formen zwischen Intermedialität und Vernetzung 2007 R. Leschke: Mediale Formen zwischen Intermedialität und Vernetzung 2 Dass Interferenzen von Medien oder ihre Vernetzung im Mediensystem von erheblicher Bedeutung sind, dass der Content durch die diversen Medien und Distributionskanäle nomadisiert und in äußerst verschiedenen Medienzuständen vorliegt, ist mittlerweile Alltag und funktioniert mit beeindruckender Leichtigkeit. Ähnliches gilt für Interfacekonventionen, die ziemlich problemlos zwischen Medientechnik, Mediensteuerung und Medieninhalten zirkulieren. Dabei ist dieses fraglose Funktionieren eigentlich alles andere als selbstverständlich, sondern durchaus erklärungsbedürftig. Das, was man gegenwärtig als Vernetzung und Netzkultur diskutiert, wird vor allem als ein Zusammenhang von Handlungen bzw. Akteuren gedacht. So geht es – etwa bei Castells - um die Bezüge von Subjekten und allenfalls noch darum, dass – wie etwa bei Latour - in solchen Konnexen Objekte gelegentlich auch Subjektqualität erlangen können. Das ist ebenso zutreffend wie bekannt. So ist etwa die Idee, dass das Subjekt und das Objekt ihre Positionen tauschen können, nichts anderes als eine der Unterstellungen dialektischen Denkens. Dabei sind die Bezüge zwischen Akteuren, wenn es um Handlungen in Netzstrukturen geht, zweifellos bedeutsam und eine soziologische Perspektive insofern durchaus angebracht. Anders wird es jedoch, wenn man all die Zusammenhänge zu analysieren versucht, die man sehen und hören kann, also jene Routinen des Austausches, die sich zwischen den Medien und ihren Interfaces abspielen. Es geht dann um die Beziehungen zwischen Medienprodukten, Darstellungskonventionen und den Ritualen der Mediennutzung und nicht um die sozialen Beziehungen zwischen Akteuren. Sobald der Akteur vom medialen Objekt aus dem Fokus gedrängt wird, werden medienanalytische Fragen über die Verhältnisse zwischen Medienangeboten gestellt und d.h., es wird der Zusammenhang von Medienästhetik und Vernetzung diskutiert. Dann jedoch ist man darauf angewiesen Material, Formen, Strukturen und Techniken zu untersuchen, die dazugehörigen Aktionen hingegen – also Produktion und Rezeption – werden bis auf eine Art Ästhetik der medialen Performanz zurückgedrängt und bleiben daher eher sekundär. Wenn also Medien unter den Konditionen ihrer ästhetischen Vernetzung zunächst einmal unabhängig von Akteuren analysiert werden sollen, dann bedeutet das, dass der Zusammenhang des Mediensystems auf der Materialebene thematisiert wird. Die Subjektästhetik und die normativen Ästhetiken ignorieren solche in der Regel nicht werkkonstitutiven Zusammenhänge zumeist. Demgegenüber hat die Medienwissenschaft bislang zumindest ein Modell entwickelt, das uns in die Lage versetzen soll, solche Bezüge zu denken: nämlich das Konzept der Intermedialität. Nun zirkuliert dieses Konzept der Intermedialität ja in zwei recht unterschiedlichen Spielarten, die aber beide etwas mit der sozialen und kulturellen Integration von Medien zu tun haben. Der erste Modus von Intermedialität, die so genannte primäre Intermedialität, stellt den Versuch dar, die Leistung eines neuen Mediums über einen Vergleich mit den jeweils sozio-kulturell vorhandenen Medien zu bestimmen und seine kulturelle Rolle festzulegen. R. Leschke: Mediale Formen zwischen Intermedialität und Vernetzung 3 Intermedialität tritt immer dann auf, wenn neue Medien auftauchen und sie ist damit im Prinzip so alt wie die Medien selbst. Auf jeden Fall aber ist sie älter als die organisierte Medienwissenschaft. Denn letztlich ist jegliche systematische Reaktion auf ein historisch neues Medium1 intermedial organisiert: Das gilt für die Debatte um das Medium Schrift, die prohibitiven Gelüste in der Diskussion um das Massenmedium Buch und die Kämpfe der Kinoreformer sowie die medienpädagogischen Anfechtungen des Fernsehens der 50er Jahre bis zu den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um Computerspiele; alle diese Debatten operieren mit einem Medienvergleich und dem Abklären intermedialer Differenzen. Die primäre Intermedialität versucht damit, die Verhältnisse zu klären, die die unterschiedlichen Medien innerhalb eines Mediensystems zueinander eingehen. Sie bestimmt dabei die Strukturen des neuen Mediums aus dem Vergleich und sie entfaltet dabei durchaus eine prägende Kraft. So geht etwa das Theorem der Interaktivität auf einem solchen intermedialen Vergleich von Licklider und Taylor zurück und der hat zweifellos nachhaltige Folgen gezeitigt. Die primäre Intermedialität legt also quasi das sozio-kulturelle Label von neuen Medien fest und sie bestimmt ihre Rolle im Konzert der Medien. Zugleich entwirft sie den Bezug des neuen Mediums zu seinem sozialen Träger. Da diese kulturelle Codierung und Positionierung des neuen Mediums in der Regel seinen gesamten Lebenszyklus prägen, ist die Bedeutung dieses Vorgangs kaum zu unterschätzen. 1 Dabei stellt die primäre Intermedialität streng genommen nicht einmal die erste Phase der historischen Emergenz von Medien dar, vielmehr handelt es sich bei dieser nur um die erste Phase der kulturellen Integration von Medien. Dieser geht eine von Technologie dominierte Phase voraus, in der das Medium eine Art technologischer Autopoiesis durchmacht. Man hat es hierbei mit einem kulturellen Zumutungen gegenüber weitgehend autonomen Feld technologischer Selbstreferentialität und Funktionalität zu tun. Die Technik bleibt der Ort suisuffizienter Beschäftigung von jenen Ingenieuren, die Friedrich Kittler so schätzt. Aus dieser Phase tritt die Technologie spätestens dann heraus, wenn sie im Zuge kultureller Integration zunächst zum Medium und dann zum Massenmedium wird: Die Kaufleute und Redakteure übernehmen das Terrain von den Ingenieuren. Die Technologie, die als solche zunächst einmal kulturell leer oder reine Funktionalität war, bekommt nunmehr einen Inhalt verpasst. Die technische Möglichkeit avanciert zum Medium und dieses Medium hat als Massenmedium und kulturelles Datum einen vollständig anderen Status und eine ebenso andere Logik denn als technisches Artefakt. Es wird dann nicht mehr von einer technischen Elite1 determiniert, sondern bekommt es mit sehr verschiedenen sozialen Trägern, nämlich den sozialen Schichten mit kultureller Definitionsmacht und denen, die für die Kosten aufkommen, also dem Publikum, zu tun. Um diese Zielgruppen und um die an sie gerichteten kulturellen Repertoires und nicht um das technische Artefakt ist es der primären Intermedialität zu tun. Medien sind insofern immer mit sozialen Trägerschichten so eng verzahnt, dass die Karriere von Medien die ihrer sozialen Träger quasi mitnimmt. Für die technische Dimension gilt zunächst, dass die technologische Kompetenz, die stets von Medien aufgerufen wird, historisch sinkt, d.h., aus der Profession, die immerhin eine gesellschaftliche Elite von Medientechnikern konstituiert, wird eine kulturelle Kompetenz, eine mediale Grundqualifikation, die allenfalls noch über die Zugehörigkeit zur Gesellschaft überhaupt entscheidet. Medientechniken werden von daher historisch generalisiert und trivialisiert, so dass sich die Basis einer medientechnisch konstituierten nicht konsolidiert, sondern erodiert. Medientechnische Eliten haben also in der Regel historisch eine vergleichsweise kurze Konjunktur. Das gilt nicht so sehr für die an die Definitionsmacht über das Repertoire gebundenen Eliten: Diese behalten ihren sozialen Status zumindest solange, solange das Medium gesellschaftliches Leitmedium bleibt. Sobald allerdings neue Medien auftauchen, die selbst das Zeug dazu haben, wenn nicht zum Leitmedium zu werden, so doch einen erklecklichen Anteil an der gesellschaftlichen Mediennutzung für sich zu beanspruchen, ist die Definitionsmacht der kulturellen Elite bedroht, weil ihr medientechnologisches Monopol erodiert und auch andere soziale Träger im medialen Spiel kultureller Reproduktion mitzuspielen drohen. Der apokalyptische Gestus der Reaktion auf solche neuen Mitspieler ist insofern Ausdruck der medientechnisch gestützten Bedrohung der kulturellen Definitionsmacht. Es handelt sich daher in der Phase primärer Intermedialität um das Aushandeln territorialer Ansprüche in medialen Repertoires. R. Leschke: Mediale Formen zwischen Intermedialität und Vernetzung 4 Die primäre Intermedialität entwickelt in diesem Zusammenhang das Profil des neuen Mediums aus dem Kontrast zu den anderen sozio-kulturell verfügbaren Medien. Dabei ist der Kontrast nichts anderes als die Negation von Vernetzung und Interferenzen. Zugleich richtet sich die primäre Intermedialität immer auf das Medium an sich und nicht auf seine Erzeugnisse. Sie operiert insofern bemerkenswert generalistisch: Es geht um die Schrift, das Buch, den Film oder den Computer als Medium und nicht weniger. Mit den zunehmenden Erfahrungen mit dem neuen Medium verliert sich dann dieser forsche Generalismus jedoch zumeist wieder, denn die Wirklichkeit der Medien erzwingt letztlich eine Auseinandersetzung mit den Details medialer Repertoires und die befinden sich unterhalb generalistischer Medienvergleiche. So taucht am Ende dieser Konzentration auf die letzten Ausdifferenzierungen medialer Repertoires und auf die ästhetischen Strukturen medienbasierter Kultur das Phänomen intermedialer Reflexion erneut auf, nun jedoch mit der Intention, auch noch die letzten Nischen des Mediensystems klären zu wollen. Die sekundäre Intermedialität, die sich vor allem am Verhältnis von Literatur und Film erprobt hat, analysiert die unterschiedlichen medialen Verweise und Interferenzen auf der Ebene des singulären Werks. Intermedialität wird damit als wesentlicher Teil einer ästhetisch-kompositorischen Lösung begriffen, die, wenn überhaupt, dann nur äußerst vermittelt etwas mit dem Mediensystem an sich zu tun hat. Das Mediensystem ist vielmehr bloße Bedingung der Möglichkeit von intermedialen Verweisen und nicht mehr. Es geht um die Interpretation von Werken, wobei deren spezifische intermediale Organisation den Kern der jeweiligen Sinnhypothese bildet. Mit diesem Interpretationsinteresse und der Konzentration auf das singuläre mediale Werk scheint – im Gegensatz zur primären Intermedialität - der Zugriff auf das Mediensystem selbst verloren gegangen zu sein. Die Anstrengung, das Ganze von Medien und Mediensystemen denken zu wollen, tritt damit hinter dem Interesse am Werk zurück. Beide Intermedialitätsdiskurse nehmen eine dezidierte Perspektive ein: Sie sind entweder relativ abstrakt und an einem bloßen Medienvergleich orientiert oder aber sie sind vergleichsweise konkret und werkzentriert. Beide Perspektiven finden nicht nur nicht zueinander, sondern sie verfehlen die ästhetische oder materiale Vernetzung des Mediensystems, indem sie entweder den Unterschied der Medien hervorheben oder aber das Mediensystem überhaupt ignorieren. Die Diskurse der Intermedialität klammern damit das medienwissenschaftliche und ästhetische Problem, das sich gegenwärtig stellt, vielleicht ein, sie bestimmen und erklären es jedoch nicht. Die primäre Intermedialität schert sich nicht um die intermedialen Verweise in den jeweiligen Medienprodukten und die sekundäre verliert in ihrer Sorge um das ästhetische Werk das Mediensystem nahezu gänzlich aus dem Blick. Das Urteil über die Vernetzungen und Verknüpfungen im Mediensystem fällt in der primären Intermedialität strukturell negativ aus. Es geht um das Profil eines neuen Mediums im Kontrast zu allen relevanten anderen Medien. Vernetzung kann aus dieser Perspektive ausschließlich negativ gedacht werden. In R. Leschke: Mediale Formen zwischen Intermedialität und Vernetzung 5 der sekundären Intermedialität bleibt es demgegenüber bei Aussagen auf der Werkebene und d.h., bei Aussagen, die allenfalls so etwas wie einen Anfangsverdacht über Zusammenhänge in Mediensystemen begründen können. Es gibt für die sekundäre Intermedialität auch gar keinen Anlass, sich mit dem Mediensystem zu befassen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die forcierte Versenkung in die Details von Einzelwerken bleibt prinzipiell eben auch nur diesen verpflichtet und nichts drängt die Reflexion von den Fährnissen des Werks zum Mediensystem. Ohnehin ist, solange die Serie intermedialer Einzeluntersuchungen noch komplettiert zu werden vermag, solange also noch genug zu tun ist, kein Bedarf an Veränderung der Perspektive und generalistischen Anstrengungen. Insofern ist das Instrumentarium, was von der Medienwissenschaft gegenwärtig bereitgestellt wird, kaum geeignet die Vernetzungsstrukturen auf der Ebene des Materials des Mediensystems zu erklären. Allerdings tummeln sich in dem Feld, was von den beiden Intermedialitätstypen umrissen wird, einige Erscheinungen, die gegenwärtig offenbar im Mediensystem eine gewisse Auffälligkeit erlangt haben. Es wird in Computerspielen erzählt und Filme werden nach Spiellogiken organisiert, die Ästhetik und Sprache der Marvel Comics2 taucht nahezu überall im Mediensystem wieder auf und kaum minder allgegenwärtig sind die Menuesteuerungen und Interfacelogiken interaktiver Medien, die genauso zuverlässig narrative Kausalität stiften, wie sie Produkte ins rechte Licht rücken. Dass ein Medium mit seinen Formen quasi allein bliebe, ist praktisch nicht mehr denkbar. Vielmehr zirkulieren solche medialen Formen wie etwa Spielformen, narrative Formen, die Organisationsformen von Hypertexten und persuasiver Kommunikation durchs Mediensystem und durch die Medien. Dabei ist es weitgehend gleich, wo sie herkommen und welche ontologische Qualität ihnen jemals zugeschrieben worden ist. Es sind also diese medialen Formen, die das Netz zwischen den Medien auf der Ebene ihrer Produkte schaffen. Es handelt sich bei diesen inflationär das Mediensystem durchziehenden Phänomenen um Strukturen, die stets mehr als ein einzelnes Werk betreffen und damit quasi aus dem Zuständigkeitsbereich der sekundären Intermedialität herausfallen. Sie betreffen andererseits die Medien auch nur als Bedingungen der Möglichkeit, so dass sie an der vergleichenden Suche nach ontologischen Profilen der primären Intermedialität nicht interessiert sind. Sie liegen also perfekt dazwischen: ebenso zwischen den Medien wie zwischen den Modi der Intermedialität. Sie sind auch gar nicht werkmäßig entstanden, sondern quasi wild. Sie sind Bankerte des Systems der Massenmedien, und es gehört von je her zum guten Ton, dass dem wenigstens ästhetisch nicht allzu viel zuzutrauen ist (vgl. Groys 1999, 106). Die sich in diesem Feld tummelnden und zwischen den Medien zirkulierenden medialen Formen haben 2 Verfilmte Marvel Comics: „1998: Blade, 2000: X-Men, 2002: Spider-Man, 2002: Blade II, 2003: X-Men 2, 2003: Hulk, 2003: Daredevil, 2004: The Punisher (Film), 2004: Blade:Trinity (Film), 2004: Spider-Man 2, 2005: Elektra, 2005: Fantastic Four, 2006: X-Men: Der letzte Widerstand, 2007: Ghost Rider, 2007: Spider-Man 3, 2007: Fantastic Four 2, 2008: Hulk 2, 2008: Iron Man“ http://de.wikipedia.org/wiki/Marvel_Comics R. Leschke: Mediale Formen zwischen Intermedialität und Vernetzung 6 mittlerweile eine bemerkenswerte Eigenständigkeit erlangt und nicht nur eine eigene Dynamik, sondern auch einen eigenen Rezeptionsstil gestiftet. Mediale Formen haben zwar immer irgendein Ursprungsmedium, aber sie haben sich von diesem, wenn sie zwischen Medien ausgetauscht werden, längst emanzipiert. Sie liegen quer zu allen Medien und sie funktionieren auch nur so und darin liegt dann eben auch ihr spezifischer Reiz, der gegenwärtig einen Gutteil der Attraktivität des Mediensystems ausmacht. Sie können als Form nur existieren, wenn sie mehr als einen Gegenstand bevölkern und d.h., sie sind immer viele und damit sind sie so richtig nach dem Geschmack der Massenmedien, die das Singuläre nur tolerieren, solange sie es ausstellen, die aber selbst niemals singulär sein dürfen. Nun hat man den massenattraktiven Medien durchaus nicht immer zu Unrecht einen formalästhetischen Konservatismus nachgesagt, so dass ästhetische und formale Innovationen, die quasi mitten im Mediensystem emergieren, zunächst einmal misstrauisch machen. Doch für die formästhetischen Innovationen gab es durchaus gute Gründe, und d.h. im Mediensystem: Es gab ökonomische Gründe3. Wenn man das einmal für den privilegierten Gegenstand der Intermedialitätsdebatten, den Film, expliziert, so sind die 90er Jahre und der Beginn unseres Jahrzehnts durch eine eminente Steigerung der Nachfrage nach Material und das gleichzeitige Sich-Erschöpfen der narrativen Phantasie gekennzeichnet. Die verfügbaren Genres sind ausgereizt, die Zahl der Plotvariationen ist begrenzt und die narratologischen Varianzen sind auch so ziemlich durchdekliniert. Die meisten Geschichten sind erzählt und das Publikum kennt sie, hat Zeit und fängt an sich zu langweilen. Der Rhythmus der kontrollierten Varianz, nach dem die Reproduktion des Materials im Mediensystem organisiert ist, beginnt aus dem Takt zu geraten. Medienprodukte müssen nämlich gleichzeitig relativ konservative Erwartungen unterstützen und Innovation ausstellen, um damit Unterscheidbarkeit sicherzustellen. Die Varianz zwingt zur Veränderung, die relativ unflexible Erwartungslage drängt demgegenüber auf Stabilität, so dass man es im Mediensystem mit einer nahezu klassischen Double Bind Situation zu tun hat, in der man eigentlich immer nur verlieren kann. Aufgrund der strukturellen Bedingungen des Mediensystems wird nun also plötzlich nach Varianz und nicht mehr nur nach Standardisierung gesucht. Die Vermeidung von Redundanz und die Erhaltung der Aufmerksamkeit soll dabei zugleich unter Bedingungen geschehen, denen jeder folgen kann. Und das funktioniert nur dadurch, dass man zur Erzeugung von Unterschieden auf die hinlänglich bekannten Formen anderer Medien zurückgreift und sie in neue mediale Umgebungen einbettet. Die Formen sind 3 Der ebenso enge wie konstitutive Zusammenhang zwischen Ökonomie und Mediensystem ist von Simmel (vgl. Simmel 1896) über Sombart (vgl. Sombart 1908) und die Frankfurter Schule (Horkheimer / Adorno 1944) bis zu Groys (Groys 1999) und Winkler (Winkler 2004) analysiert worden und als einer der zentralen Bestimmungsgründe des Mediensystems anerkannt. Daraus Folgen für den Begriff der medialen Form im Sinne einer Engführung von Wertform und ästhetischer bzw. medialer Form (vgl. Winkler 2004, 147ff.) zu ziehen, erscheint jedoch für eine Analyse der medialen Form nur bedingt erhellend, da die Formprinzipien sich in beiden Fällen doch erheblich unterscheiden, handelt es sich doch um einen nomologischen Zusammenhang auf der einen Seite und eine keineswegs nomologische Ästhetik auf der anderen. R. Leschke: Mediale Formen zwischen Intermedialität und Vernetzung 7 so fremd und bekannt zugleich. Und dann ist es auch keine Überraschung mehr, wenn das massenattraktive Kino anfängt, nonlinear zu erzählen: Es operiert außergewöhnlich experimentierlustig mit all dem, was es an dramaturgischen und narratologischen Verboten und Geboten so gibt, und das Publikum, dem man ähnlich wenig zugetraut hatte wie den Medien, die sie konsumieren, zieht augenscheinlich erstaunlich offen mit. Wir können narratologische und konstruktive Veränderungen im massenattraktiven Erzählen beobachten und sie finden ein Publikum. Die Medien waren also aufgrund erschöpfter Repertoires und hochgefahrener Standardisierung quasi dazu gezwungen intermediale Phantasie zu entwickeln. Die Anleihen bei anderen Medien helfen somit der formästhetischen Entwicklung eines Mediums auf die Sprünge. Der Film bedient sich nicht mehr nur wie gewohnt bei der Literatur, sondern eben auch beim Spiel, beim Comic, bei der Kunst. Das ist an sich noch nichts Außergewöhnliches, sind doch solche Importe und ein solcher wechselseitiger Austausch im Kunstsystem gute Tradition. Ungewöhnlich ist hingegen die Form des Austausches: Es werden keine Plots, keine Bilder, keine Materialien importiert, sondern es werden Formen übernommen: Es tauchen dann eben Spielformen im Film auf und die Spiele werden narrativiert. Der Transfer von Formen sorgt zugleich dafür, dass es nicht mehr bei Einzelfällen bleibt und die Massenhaftigkeit des Transfers ist die Ursache dafür, dass zugleich etwas für den Zusammenhang von Medien getan wird und Medien sich quasi implizit vernetzen. Wir haben es also mit Formen zu tun, die in spezifischen medialen Umgebungen entstehen und dann in andere Medien transferiert werden. Beispiele: Den hier aufgeführten medialen Formen ist zunächst einmal gemeinsam, dass es sich nicht um Zitate oder Materialbestände handelt, die wechselseitig ineinander kopiert würden. Vielmehr hat man es bei medialen Formen mit Strukturen zu tun, die durch die Medien wandern und die im Verlaufe dieses Nomadisierens durch die Medien sich durchaus verändern, akkomodieren und adaptieren können. Mediale Formen sind nicht identisch, aber dennoch sicher wiedererkennbar. Mediale Formen sind daher R. Leschke: Mediale Formen zwischen Intermedialität und Vernetzung 8 der Form nach stabil, in Hinsicht auf die Oberfläche hingegen sind sie außerordentlich anpassungsfähig. Wenn mediale Formen also durch die Medien wandern, dann stellen sie zugleich als eine Art collateraler Effekt recht flexible Verbindungen zwischen diesen Medien her. Dabei sorgt die Anpassung der medialen Form an die neue mediale Umgebung dafür, dass es nicht zu unkontrollierten Abstoßungsreaktionen und damit zu kontraproduktiven Effekten kommt. Mediale Formen generieren insofern Verbindungen zwischen Medien, ohne die Medien selbst zu vereinheitlichen. Wenn daher die Form der Organisation von Hypertextelementen, das Portal, in die Narration übertragen wird, dann wird das Medium Film eben noch längst nicht interaktiv, sondern die Form des narrativen Portals bleibt wesentlich und zuallererst Narration. Die mediale Form wird von der neuen Umgebung daher neu kontextualisiert und funktionalisiert, d.h., sie wird mit neuen Anschlüssen versehen und funktional eingepasst. Wenn also ein Portal in die Narrationen eingebaut wird, dann werden auf einmal Alternativen erzählbar, die bis dahin in Erzählungen nicht darstellbar waren. Und damit das funktioniert, damit also das Erzählen seine Möglichkeiten erweitern kann, muss die mediale Form eine eigene Plausibilität besitzen und diese Plausibilität erhalten sie von ihren angestammten medialen Umgebungen. Was ein Portal ist und wie es funktioniert, weiß jeder. Ebenso signalisieren bestimmte Raumtypen wie Flughäfen, Bahnhöfe, Plätze und Arenen bestimmte Handlungspotentiale und eignen sich daher zur Inszenierung von Portalen. Und Ähnliches gilt für das Panoptikum bzw. die Darstellungskonventionen und die Raumkonstruktionen von Theater, Film und Computerspiel. Wenn solche Formen wiederum in Narrationen eingebaut werden, dann ermöglichen sie einen zwanglosen Übergang zwischen Handlungssträngen und bieten damit eine andere Form der Montage. Zugleich lassen sich solche Formen problemlos mit Bedeutung4 aufladen, und diese Bedeutungsaufladung kann durchaus unterschiedlich ausfallen. So kann etwa im Fall des panoptischen Blicks auf der einen Seite eine Kontinuität von der Gefängnisarchitektur Jeremy Benthams bis hin zu Big Brother (Tholen 2002, 147 ff.) behauptet werden und auf der anderen Seite kann man genauso gut bei der Intimität von Theaterräumen und Puppenstuben ankoppeln oder aber die Form schlicht zur Montage nutzen. Mediale Formen sind insofern in den durch ihre Formqualität vorgegebenen Grenzen, die dem Strukturzusammenhang der Form entsprechen, durchaus bedeutungsoffen und nicht zuletzt das ist eine der Ursachen ihrer außerordentlichen Flexibilität. Zugleich verfügen mediale Formen als Formen über eine eigene Logik und Plausibilität, die ihr Funktionieren in neuen medialen Umgebungen determiniert. Sie sind daher immer ästhetische Form und Kohärenz zugleich. Es zirkulieren also nicht nur Darstellungskonventionen und Bildsprachen durch das Mediensystem, sondern ebenso - quasi im Huckepackverfahren - Selbstverständlichkeiten, Logiken und Kohärenzen. 4 So hat Christoph Tholen im Anschluss an Foucault eine außerordentlich differenzierte Diskursanalyse des panoptischen Blicks geliefert (vgl. Tholen 2002, 147 ff. u. Foucault 1975, 251) R. Leschke: Mediale Formen zwischen Intermedialität und Vernetzung 9 Man geht, wenn man mit diesen Formen arbeitet, über die passive Verfransung der Künste hinaus. Die Formen werden solcherart reflexiv und damit zugleich ästhetisch dynamisch. Und man vermittelt zugleich zwischen einer Ästhetik wie der Seels, die nur dem Objekt traut, und der Dantos, die stattdessen auf den institutionellen Gebrauch setzt, ist doch die Form nichts weniger als Objekt und Institution zugleich, auch wenn sie zum Unikum nicht taugt. Nun funktionieren diese medialen Formen offensichtlich hauptsächlich im Verborgenen. Sie werden benutzt, ohne dass man um sie wüsste, und sie funktionieren, ohne dass sie gelernt würden. Wir haben es also mit einer, wie Wolfgang Welsch das nennen würde, transversalen Verknüpfung des Mediensystems zu tun, die nicht geplant, also quasi wild entstanden ist und die dennoch ziemlich zuverlässig funktioniert. Dabei wird nicht ein Medienprodukt mit einem anderen Medium vernetzt, es gibt auch keine diffuse Bezugnahme auf ein anderes Medium, sondern die transversale Vernetzung setzt unterhalb des Mediums, eben bei seinen Formen, an und schafft damit ein Geflecht unabhängig von den Einheiten der Medien. Dennoch werden auf diesem Weg recht stabile Verbindungen zwischen unterschiedlichen Medien geschaffen, die zugleich über hohe Freiheitsgrade verfügen. Diese Freiheitsgrade weisen dabei eine spezifische ästhetische Qualität auf: Es geht beim Umgang mit den medialen Formen weniger um Bedeutungskonstruktion und Sinnermöglichung als um ästhetische Kontextualisierung und den gelungenen Einsatz von Formen. Es geht um den Entwurf von Formideen und diese substituieren tendenziell die Konstruktionen von Bedeutungsoffenheit und Polyvalenz des Kunstsystems. Die Formidee markiert dabei einen bestimmten Typ von Kontextualisierung und Einbettung einer medialen Form in eine neue mediale Umgebung. Sie wird damit auch zum Gegenstand der rezeptiven Begutachtung und löst wenigstens tendenziell die Sinnsetzung ab. Walter Benjamins Idee eines zerstreuten Examinators, die angesichts der Strategien des Hollywood Kinos zumindest ein wenig verfrüht gewesen zu sein scheint, erlebt unter den gegenwärtigen Konditionen des Mediensystems eine Art Wiedergeburt, allerdings ist der Examinator nicht zerstreut, sondern ästhetisch hellwach. Das Stiften von Kohärenzen, das sich in der Regel mit den Grenzen des ästhetischen Objekts zufrieden gibt, wird abgelöst durch die Formanalyse, die immer schon auf den Vergleich mit anderen Medien aus ist, die mit anderen Worten intermedial verfasst ist. Die Analyse medialer Formen nimmt Intermedialität nicht bloß zum Anlass einer Interpretationshypothese, die über eine vergleichsweise hohe Trefferquote allein deshalb verfügt, weil Medien mittlerweile einen erklecklichen Teil unserer Umwelt ausmachen und sie demnach in den Medien einfach vorkommen müssen, sondern die Analyse medialer Formen ist selbst intermedial organisiert. Das Nomadisieren von Formen durchs Mediensystem ist dabei keineswegs neu. Neu ist, dass das Phänomen den Massenmarkt erreicht hat und damit allgegenwärtig geworden ist, und neu ist vor allem der reflexive, d.h. der selbst formsetzende und ein Medienprodukt vollständig determinierende Einsatz R. Leschke: Mediale Formen zwischen Intermedialität und Vernetzung 10 solcher medialen Formen. Wenn mediale Formen solcherart reflexiv und konstruktiv zugleich benutzt werden, dann hat man es im Prinzip mit einer formästhetischen Reflexion des Mediensystems zu tun: In seinen gekonnten Formen denkt5 daher das Mediensystem unaufgefordert über sich selbst nach6, ohne das an die große Glocke zu hängen. Und auch die testenden Rezipienten reagieren angesichts solcher Formideen ästhetisch und nicht mehr mittels bloßer Identifikation, die an den normativen Standards des Contents klebt. Die transversale Ästhetik, deren Material in den Vernetzungen des Mediensystems aufscheint, verschaltet daher auf dem Wege wilder Reflexion unter einem ästhetischen Imperativ zugleich Kunst, Alltag, Massenmedialität und Technik. 5 6 Diese vom Material evozierte Reflexivität, die durchaus auch vermieden werden kann, was jedoch zumeist zu einer Ausgrenzung des betreffenden Medienprodukts führen wird, lässt sich im Prinzip über Rudolf Arnheims auf die Gestaltpsychologie zurückgehende These von dem „Isomorphismus“ (Arnheim 1954, 453) der ästhetischen Wahrnehmung erklären. Die systematisch reflexive Struktur des Materials verlangt quasi nach Reflexion und damit nach Theorie. Damit wird Dantos Hypothese über die Notwendigkeit von Theorie und Interpretation im Prinzip vom Mediensystem selbst aufgehoben: „In gewisser Weise besteht hier kein Unterschied zum Schlagwort in der Wissenschaftstheorie, wonach es keine Beobachtungen ohne Theorien gibt, ebenso gibt es in der Philosophie der Kunst keine Wertschätzung ohne Interpretation.“ (Danto 1981, 176) Dantos Interpretationsbegriff wäre zudem entschieden zu erweitern, die testende Examination müsste zumindest hinzugefügt werden. Interessant ist, dass von Seiten einer nicht medienorientierten Ästhetik das Vertrauen, das ins Material gesetzt wird, dadurch, dass es quasi von der Theorie in Ruhe gelassen würde, extrem begrenzt ist. Im Übrigen unterscheidet sich diese Haltung auch nicht groß von der der Medientheorie, wo es einzig Umberto Eco (vgl. Eco 1964) ist, der dem Mediensystem die Entwicklung eigener ästhetischer Formen zutraut. R. Leschke: Mediale Formen zwischen Intermedialität und Vernetzung Literaturverzeichnis: Arnheim, Rudolf (1954): Castells, Manuel (2001): Danto, Arthur C. (1981): Eco, Umberto (1964): Foucault, Michel (1975): Groys, Boris (1999): Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W. (1944): Luhmann, Niklas (1996): Simmel, Georg (1896): Sombart, Werner (1908): Tholen, Tholen (2002): Winkler, Hartmut (2004): 11 Kunst und Sehen. Neufassung. Berlin u. New York 1978. The Internet Galaxy. Reflections on the Internet, Business, and Society. Oxford 2001. Die Verklärung des Gewöhnlichen. Eine Philosophie der Kunst. Frankfurt a. M. 1991. Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur. 9.-11. Tsd., Frankfurt a. M. 1989. Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a.M. 1977. Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie. 3. Aufl., Frankfurt a. M. 2004. Kulturindustrie. In: dieselben: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. 56.60. Tsd. Frankfurt a. M. 1980, S. 108-150. Die Realität der Massenmedien. 2., erw. Aufl., Opladen 1996. Soziologische Ästhetik. In: derselbe: Soziologische Ästhetik. Darmstadt 1998, S. 77-92. Kunstgewerbe und Kultur. In: Die Kultur. Hrsg. v. Cornelius Gurlitt. 26 u.27. Bd., Berlin 1908. Die Zäsur der Medien. Kulturphilosophische Konturen. Frankfurt a.M. 2002. Diskursökonomie. Versuch über die innere Ökonomie der Medien. Frankfurt a.M. 2004.