Andrea Emmel, Frankfurt hr2-kultur
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Andrea Emmel, Frankfurt hr2-kultur
Andrea Emmel, Frankfurt hr2-kultur - Zuspruch am Morgen am Montag, 27.07.15 Sommer-Liste „Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit, an deines Gottes Gaben“ so lautet der Anfang eines Kirchenliedes von Paul Gerhard. Schon vor über 350 Jahren hat der evangelische Theologe und Lieddichter Paul Gerhard das Sommer-Lied mit seinen 15 Strophen geschrieben. Die Stimmung des Liedes passt auch heute noch. Geh aus mein Herz – dieses Lied beschreibt nämlich die vielen Möglichkeiten und Sinneseindrücke eines Sommers: Blumen blühen überall, die Weizenfelder leuchten goldgelb in der Mittagssonne, Vögel zwitschern, Bienen summen, überall riecht es wunderbar; und im Wald spenden die Bäume wohltuenden Schatten, rauscht der Wind durch die Blätter. Der Sommer ist der pure Luxus für alle Sinne. Wer jetzt in der Stube hocken bleibt, ist selbst schuld, findet auch der Dichter Paul Gerhard. Deshalb beginnt sein Lied auch mit der Aufforderung: Geh aus mein Herz. Geh raus und lass dir diese Freude nicht entgehen. Dieses alte Kirchenlied passt ganz gut zu einem Trend, der mir in der letzten Zeit immer häufiger begegnet: Junge Menschen schreiben eine summer-bucket-list. Übersetzt heißt das: Sommer-Korb-Liste. Eine bucket-list ist also sozusagen ein Eimer oder ein Korb voller Dinge, die man erleben oder erledigen will. Aus dem Vollen schöpfen. Da stehen dann so Dinge drauf wie: Einmal unterm Sternenhimmel schlafen. Kraulen lernen. Den Sonnenaufgang anschauen. Und eine Bergtour machen. Viele junge Leute teilen ihre Sommer-Liste übers Internet und berichten sich dann gegenseitig, was sie davon alles schon geschafft haben. Mein erster Gedanke dazu war: Schon wieder so ein Stress, abhaken und fertig. Aber je mehr ich darüber nachdenke, kann ich so einer Sommer- Liste auch positive Seiten abgewinnen. Weil ich nämlich beim Schreiben der Liste ins Träumen komme. Und mir schöne Ziele stecke. Weil ich mich frage: Was würde ich diesen Sommer gerne machen? Ich möchte weniger Zeit vor dem Computer verbringen. Mich mehr bewegen. Im See schwimmen und sehen, wie die Sonne auf dem Wasser glitzert. Brombeeren ernten und Marmelade selbst kochen. Mit dem Fahrrad von der Arbeit nach Hause fahren. Dabei durch die Weinberge fahren, und die Schwalben beobachten. Genau das tun, was Paul Gerhard in seinem Lied beschrieben hat: Gottes gute Gaben finden. Wenn ich spüre, wie wundervoll Gottes Schöpfung ist. Wenn ich rieche und schmecke, welche Schätze die Natur für mich bereithält. Wenn ich merke: Ich bin beschenkt. Ich glaube, ich möchte auch eine Sommer-bucket-Liste aufschreiben. Ohne jeden Leistungsdruck. Eher als positive Ermunterung: Geh aus, mein Herz, lebe! Wie man Planung und Gelassenheit zusammenbringen kann, dazu hat der frühere Papst Johannes der 23. eine ganz weise Regel aufgestellt. Er schreibt: „Nur für heute werde ich ein genaues Programm aufstellen. Vielleicht halte ich mich nicht genau daran, aber ich werde es aufsetzen. Und ich werde mich vor zwei Übeln hüten: vor der Hetze und vor der Unentschlossenheit.“ Zum Nachhören als Podcast http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?rubrik=22644