Impulse 2014 - VolkswagenStiftung

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Impulse 2014 - VolkswagenStiftung
Impulse
Das Wissenschaftsmagazin der VolkswagenStiftung
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Forschung braucht Risiko –
über Wagnisse in der Wissenschaft
Forschung braucht Risiko –
über Wagnisse in der Wissenschaft
Impulse 02_2014 3
Editorial
„Wissenschaft braucht Risiko“
„Wissenschaft und Risiko“: Das ist ein weites
Feld. Risiko spielt auf ganz unterschiedlichen
Ebenen in der und für die Wissenschaft eine
Rolle. So setzen sich Forscherinnen und Forscher
einerseits mit Risiken auseinander, die unsere
Lebenswelt bedrohen. Wissenschaftler sind
andererseits manchmal selbst bereit, erhebliche
Risiken einzugehen – beispielsweise, wenn sie
neue Wirkstoffe, Geräte oder Diagnoseverfahren
am eigenen Körper ausprobieren; die Medizingeschichte kennt etliche spektakuläre Fälle. Sie
gehen ein Risiko auch dann ein, wenn sie sich
für ihre Forschung unerschrocken gefährlichen
oder extremen Bedingungen aussetzen: etwa in
Ländern aktiv sind, die eine freie Wissenschaft
nicht zulassen.
Ebenso spricht die Gesellschaft – oft ganz diffus
– manchen Technologien großes Gefahrenpotenzial zu; vielfach zu Unrecht mangels besseren Wissens. Dabei leben wir in einer Gesellschaft, die gar nicht anders kann, als sich auf
Risiken einzulassen. Wissenschaft selbst ist aber
auch dann riskant, wenn sie ihrerseits Gefahren
heraufbeschwört. Und immer auch trägt Wissenschaft das Risiko in sich, zu scheitern.
In einigen Forschungsfeldern ist letztgenanntes
Risiko besonders groß – zum Beispiel in der Teilchenphysik. Gemeinsam mit der VolkswagenStiftung geht Professor Dr. Matthias Schott dieses Risiko ein. Der „Lichtenberg-Professor“ sucht
nach der Erklärung für etwas, das uns beinahe
so selbstverständlich erscheint wie das Atmen:
die Masse. In seinem Gespräch über risikoreiche
Forschung und risikobereite Wissenschaftsförderer setzt er einen markanten Akzent für das
Thema dieser Impulse-Ausgabe.
Auch die anderen skizzierten Facetten bilden
sich in stiftungsgeförderten Projekten ab. So
begegnen Sie in diesem Heft Forscherinnen und
Forschern, die zeigen, dass unabhängige Wissenschaft nicht nur kluge Köpfe braucht, sondern
manchmal eine gehörige Portion Furchtlosigkeit,
Mut oder eben – Leidenschaft. Sie treffen sie im
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arabischen Raum, wo sie sich unter schwierigsten
Bedingungen mit den dortigen zivilgesellschaftlichen Prozessen befassen, die seit Anfang 2011
gleichsam Anlass und Motor der Umbruchsituationen in Nordafrika und im Nahen Osten sind.
Nicht minder spannend ist die Arbeit jener
Forscherteams, die zur besseren Abschätzung
von Risiken neue Methoden und Modelle entwickeln. Sie analysieren Extremereignisse:
heftige Hurrikane, riesige Monsterwellen, zerstörerische Erdbeben – aber auch ausufernde
Algenblüten, Stromausfälle ganzer Städte oder
Börsencrashs. Diese Phänomene, allesamt extreme Abweichungen von der Norm, entfalten ein
weltweites Bedrohungspotenzial. In der Regel
treten sie völlig unvorhergesehen auf, oft mit
katastrophalen Folgen.
Noch einmal anders gewendet begegnet uns
Risiko als Folge der Globalisierung. Menschen
und Waren reisen heute in rasantem Tempo
um die Welt – allerdings immer mal wieder mit
ungewollten Begleitern. Seuchen beispielsweise
breiten sich auf diese Weise zunehmend rascher
aus. Sofort denken wir alle an die lebensbedrohende Lungenkrankheit SARS. Forscher aus
Deutschland und den USA haben jetzt Gesetzmäßigkeiten für solche Ausbreitungswellen
entdeckt. Globale Risiken besser abschätzen
und sie zu begrenzen, lautet hier das Ziel.
Ein weiterer Blick gilt mit den „Peter Paul EwaldFellowships“ jungen Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern, die sich am Beginn ihrer
Karriere mit Themen beschäftigen, bei denen
Scheitern wahrscheinlicher ist als Gelingen.
Stellt sich jedoch Erfolg ein, ist der Nutzen für
Wissenschaft und Gesellschaft oft enorm. Ein
letztes Beispiel verdeutlicht, dass sich ein Gefahrenpotenzial häufig minimieren lässt, sobald
man Risiken im Detail kennt. So hilft moderne
Technik, Verkehrsunfälle zu vermeiden – klar!
Doch welche Systeme sind letztlich wirklich besser geeignet als andere, um mehr Sicherheit zu
gewährleisten? Auch daran wird geforscht.
All das zeigt: Das Investieren in „riskante Wissenschaft“ lohnt – gleich welches Gesicht das
Risiko uns und jenen anbietet, die es aushalten
müssen. Die Geschichten aus der Wissenschaft
in diesem Heft verdeutlichen aber auch, dass
solche Forschung Unterstützung und Unterstützer braucht. Es dürfte unbestritten sein, dass
der deutschen Wissenschaft bislang mangels
geeigneter Förderangebote und Finanzierungsmöglichkeiten so manch gute Idee, aus der
sich wiederum weitere attraktive Forschungsaspekte oder größere Projekte hätten ergeben
können, verloren ging. Und mit den Ideen kommen zuweilen auch die klugen Köpfe dahinter
abhanden, denn die suchen ihr Forscherglück
schnell woanders, gern im Ausland.
Vielleicht plakativer noch als all die skizzierten
Projekte stehen aktuell zwölf Wissenschaftler
und eine Wissenschaftlerin mit ihren Ideen für
das Thema „Risiko“. Sie sind jene „Wilde 13“, die
die Stiftung in der ersten Runde ihrer neuen
Förderinitiative „Experiment!“ ausgewählt hat.
Dieses Angebot ermöglicht über eine Anschubfinanzierung von bis zu 100.000 Euro die erste
Erkundung neuer und unkonventioneller,
gewagter Forschungsideen in den Natur-, Ingenieur- und Lebenswissenschaften jenseits hierzulande üblicher Förderverfahren. Die Akteure
hätten anderswo angesichts einer zum Beispiel
unorthodoxen Herangehensweise oder eines
allzu frühen Projektstadiums kaum eine Chance
gehabt, ihre Vorhaben umzusetzen. Es gibt derzeit kein annähernd vergleichbares Angebot
in der deutschen Forschungsförderlandschaft.
Und so stellt dieses Stiftungsengagement eine
einzigartige Gelegenheit dar.
Dabei steht nicht im Vordergrund, ob das Projekt
am Ende erfolgreich ist oder womöglich scheitert. Wenn also eine Idee sich doch als Irrweg
entpuppt? – Macht nichts! Die Forscher lernen
aus ihren Fehlern, auch darum geht es schließlich in der Initiative. Zudem ist es untrennbarer Bestandteil von Wissenschaft, von jedem
missglückten Experiment ebenso zu profitieren.
Wilhelm Krull,
Generalsekretär der
VolkswagenStiftung
Die 13 „Experimentler“ präsentieren ihre Projekte Mitte Juli 2014 in Hannover beim „Forum
Experiment!“ im Tagungsschloss Herrenhausen
der Öffentlichkeit. Eines stand schon zuvor fest:
Mit über 700 Bewerbungen zum ersten Stichtag
hat die Initiative zweifelsohne einen Nerv der
Community getroffen; sie schließt offenkundig eine Lücke. Das ist vermutlich nicht zuletzt
Ausdruck dafür, dass Forschungsförderung in
Deutschland in den allermeisten Fällen eher
eine Belohnung für nachweislich Geleistetes ist
als für Leistung, die noch kommen wird – eher
ein Reward- als ein Award-System.
Unterdessen erfährt die Stiftung sogar aus dem
Ausland viel positive Resonanz zu „Experiment!“.
– „So etwas hätten wir hier auch gerne“, ist der
Tenor zahlreicher E-Mails und Anrufe. Wir sind
jedenfalls sehr gespannt, welche Überraschungen „unsere Experimentler“ bereithalten – auch
die kommenden. Die zweite Auswahlrunde läuft;
650 Bewerbungen zeigen: Das Interesse ist ungebrochen groß.
Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen
Ihr
Impulse 02_2014 5
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Die Perspektiven des „Arabischen Frühlings“
Seit 2011 blickt die Welt wie gebannt auf die
Konflikte in Arabien. Steht die Region am
Scheideweg? Für Forschung in solch aufgeheizter Atmosphäre braucht es mutige Wissenschaftler – so wie Marie-Christine Heinze.
Diagnose per Kaugummi – ein „Experiment!“
Dr. Christian Herzmann ist Tuberkulose-Bakterien auf der Spur – mit Kaugummi! Seine Idee:
Warum damit nicht die Krankheitserreger nachweisen? Ein solches Diagnoseverfahren könnte
in großem Stil gerade in Entwicklungsländern
zum Einsatz kommen.
Wissenschaft und Risiko
Forschung an der Grenze des Wissens und
des Vorstellbaren: Dort hält sich der Physiker Matthias Schott auf. Ein Gespräch mit
einem, der ausgezogen ist, das große Ganze
zu erklären – und der dabei das Risiko nicht
scheut, zu scheitern.
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Erkundung des Extremen
Sie sind selten, doch treten sie auf, sind die Auswirkungen zumeist verheerend: Megakatastrophen richten enorme Schäden an. Forscher wie
Professor Norbert Hoffmann von der Technischen
Universität Hamburg-Harburg arbeiten daran,
dass sich solche Extremereignisse besser abschätzen lassen. Er beschäftigt sich mit Monsterwellen.
6
26
Inhalt
08
Ein Experiment!
Eine neue Initiative der
Stiftung gibt kreativen
Forscherinnen und Forschern Rückenwind.
10
Von Knochensynthese
bis Kaugummidiagnostik
Die 13 in der ersten
Runde der Initiative
„Experiment!“ erfolgreichen Personen und
Projekte im Porträt.
26
„Das Risiko zu scheitern
habe ich im Blick …“
Welches Wagnis man
als Wissenschaftler
mit seiner Forschung
eingeht? Ein Gespräch
mit Lichtenberg-Professor Matthias Schott.
38
Unterwegs in Arabien
Arbeiten unter Hochspannung: wenn Forschung lebensgefährlich wird
48
Extremereignisse
Monsterwellen, Erdbeben, Tsunamis, Sintfluten: zu Gast bei Expertenteams, die extreme
Abweichungen von der
Norm erforschen
60
Gefährliche Globetrotter
Ob Seuchen, Pflanzen
oder Tiere: Bioinvasion
wird zur weltweiten
Bedrohung. Forscher
haben Gesetzmäßigkeiten für die Ausbreitungswege gefunden.
70
70
Atome filmen in Echtzeit
Pro Sekunde zehntausende Aufnahmen
aus dem Nanokosmos
machen – die jungen
Peter Paul Ewald-Fellows zeigen, wie's geht.
82
Der Tanz des Wassers
Forscher können jetzt
Moleküle in Bewegung
beobachten. Plötzlich
wird klar, welch eine
besondere Flüssigkeit
gerade Wasser ist.
90
Sicherheit hat Vorfahrt
Moderne Technik hilft,
Verkehrsunfälle zu
vermeiden. Doch wie
berücksichtigt man den
„Risikofaktor Mensch“?
Wenn Atome stillhalten
Chemische Reaktionen filmen in Echtzeit;
atomare Strukturen von Biomolekülen, Viren
und Zellen aufklären: Die Stiftung unterstützt
junge Wissenschaftler bei der Umsetzung
solcher Projekte – darunter auch Katharina
Kubicek. Ein Besuch in Stanford, USA.
22
Spektrum
Nachrichten aus der
Wissenschaftsförderung
96
Forum
Stiftungsengagement an
der Schnittstelle Wissenschaft und Gesellschaft
98
Veranstaltungen
102
Publikationen
104
Die Stiftung im Netz
105
Die Stiftung in Kürze
107
Impressum
Impulse 02_2014 7
Ein Experiment!
– und noch zwölf weitere. Viel
Rückenwind für kreative Forscher
„Wir haben da schon mal was vorbereitet …“ Wer diesen Satz aus
der Fernsehsendung „Wissen macht Ah!“ kennt, weiß, was kommt:
ein famoses Experiment! Auf famose Experimente im eigentlichen
und im übertragenen Sinne zielt seit 2013 ein neues Angebot der
VolkswagenStiftung, das es bis dato in der deutschen Forschungslandschaft nicht gegeben hat – die Initiative „Experiment!“. Sie
ermöglicht über eine Anschubfinanzierung von bis zu 100.000 Euro
die erste Erkundung neuer und unkonventioneller, gewagter Forschungsideen in den Natur-, Ingenieur- und Lebenswissenschaften.
Pro Jahr werden bis zu 15 Projekte gefördert, jeweils 18 Monate lang.
Dass dieses Angebot ohne Zweifel eine einzigartige Gelegenheit darstellt, zeigte der laute Widerhall mit über 700 Förderanträgen in der
ersten Runde. 13 Ideen setzten sich letztlich durch. Die Bandbreite an
Bewerberinnen und Bewerbern reichte „vom 29-jährigen frisch Promovierten bis zum gut 60-jährigen Professor“, sagt Dr. Ulrike Bischler. Die Physikerin ist eine der „Experiment!“-Koordinatoren; sie traf
mit ihren Kollegen eine erste Vorauswahl unter den eingereichten
Projekten. Für sie steht ein Ergebnis von „Experiment!“ bereits fest:
„Wir haben zweifelsohne einen Nerv in der Community getroffen!“
Dr. Oliver Grewe, der mit ihr gemeinsam die Initiative koordiniert,
pflichtet bei: „Der große Ansturm hat uns überrascht, aber natürlich
erfreut.“ „Experiment!“ aus Stiftungssicht soweit also gelungen –
obschon ein Wermutstropfen natürlich gleich hinterherfließt bei
einer Auswahl von eben „nur“ gut einem Dutzend Geförderter pro
Jahr bei 704 Bewerbungen zumindest zum Auftakt.
Der Wettbewerb selbst verläuft schnell und unbürokratisch: Innerhalb von drei Monaten bekommen die Ideengeber eine Zu- oder
Absage und damit weit schneller, als das ansonsten in der Forschungsförderlandschaft zumeist üblich ist. Bewerben können sich
Nachwuchswissenschaftler ebenso wie etablierte Professoren von
Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Eine Vorstellung von Erfolg – oder vielleicht auch Misserfolg – erhält
man am 11. Juli 2014 im Schloss Herrenhausen in Hannover beim
„Forum Experiment!“. Dort stellen alle 13 in der ersten Wettbewerbsrunde erfolgreichen Wissenschaftler ihre Ideen und Projekte
vor. Einen kurzen Eindruck bieten bereits die folgenden Seiten.
Die zweite Auswahlrunde von „Experiment!“ (Stichtag war im Mai
2014) läuft bereits. Dritter Stichtag im Wettbewerb wird voraussichtlich der 1. September 2015 sein. Wer nun noch mehr wissen
will: www.volkswagenstiftung.de/experiment.
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Mareike Knoke / Christian Jung
Das „Knochenaufbau-Experiment“ von Professorin
Sidney Omelon (wird auf der nächsten Seite erklärt).
Impulse 02_2014 9
Ein harter Knochen
Professorin Sidney Omelon, Max-Planck-Institut für
Kolloid- und Grenzflächenforschung, Potsdam-Golm
Knochen unterliegen einem dauernden Umbau. So kann sich
unser Körpergerüst zum einen anpassen an die Belastungen,
denen wir ausgesetzt sind oder uns aussetzen – man denke etwa
daran, wie relativ schnell und zielgenau sich durch ständigen
leichten Druck Zähne im Kiefer verschieben lassen. Andererseits
ist die Fähigkeit zum Knochenumbau notwendig für die Reparatur kleiner Risse infolge von Verletzungen. Im Wesentlichen sind
zwei Zelltypen für den Knochenstoffwechsel verantwortlich:
Die Osteoklasten tragen defektes Knochengewebe in rund drei
Wochen ab; anschließend füllen die Osteoblasten diese Stelle in
etwa drei Monaten mit neuem Knochengewebe auf und aus.
Man kann die Statik von Knochen mit der von Stahlbeton vergleichen. Ein Teil der Bausteine, die den Knochen als Ganzes ausmachen, ist druckbeständig, während andere wie etwa eingebaute
Kollagenfasern die auftretenden Zugkräfte abfangen. Dieses Bild
hilft auch zu verstehen, warum Knochenabbau und Knochenaufbau eine untrennbare funktionelle Einheit darstellen. Durch
die mechanische Belastung treten im Knochen dauernd Mikrorisse auf. Dort sind die Kollagen-(„Stahl-“)Fasern gerissen. Eine
Reparatur kann an dieser Stelle nur erfolgen, wenn neue, intakte
Fasern mit ausreichender Verankerung diesseits und jenseits des
ursprünglichen Risses eingebaut („einbetoniert“) werden können. Ein reines Mineralisieren („Vergipsen“) des Risses würde die
ursprüngliche Belastbarkeit nicht wiederherstellen.
„Das Phänomen als Ganzes ist noch nicht so weit verstanden, dass
sich Knochen problemlos nachbauen ließen“, umreißt Professorin
Sidney Omelon die Intention ihres „Experiments“. Über den Vorgang
der Mineralisation weiß man, dass Osteoblasten Ca2+ und Phosphat
aufnehmen und diese Minerale auch gezielt abzugeben vermögen.
Exakt lokalisiert, können die Zellen eine „Übersättigung“ herbeiführen; in der Folge bildet sich die neue Grundsubstanz – nanometerkleine Calciumphosphat-Partikel. Die zentrale, unverstandene Rolle
bei der Knochenmineralisation spielt ein während des gesamten
Prozesses äußerst aktives Enzym: die alkalische Phosphatase. Sie ist
an der Außenseite der Osteoblasten-Zellmembran verankert und
stellt die benötigten Phosphat-Ionen zur Verfügung; vermutlich,
indem sie diese aus organischen Molekülen abspaltet.
„Die große unbeantwortete Frage in der Knochenbiologie ist eine scheinbar einfache: Wie mineralisieren Knochen? Wie also schaffen es diese kleinen Zellen, unser
hartes Skelett zu bauen und durch Reparatur zu erhalten?“ Danach fragt Professorin Sidney Omelon, die auf
der Suche nach einer Antwort dafür eigens von Kanada
ins Brandenburgische, nach Potsdam, gereist ist.
Sidney Omelon will nun den Prozess rund um die alkalische Phosphatase und damit die Knochenmineralisation aufklären. Ziel ist
ein synthetisches Knochenmaterial, das in Funktionalität und
Haltbarkeit dem Original möglichst nahe kommt. Dem Prototyp
soll dann ebenso zügig der Schritt in den klinischen Einsatz folgen.
Christian Jung
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Impulse 02_2014 11
Revolution mit dem Replikator
Dr.-Ing. Philipp Imgrund, FHI für Fertigungstechnik und
Angewandte Materialforschung, Bremen
Werden 3D-Drucker bald zu Standardgeräten in der industriellen
Massenproduktion, in Privathaushalten gar – ähnlich gebräuchlich
womöglich wie Fernseher oder Kühlschrank? 3D-Drucker sind in
der industriellen Fertigung schon länger im Einsatz – etwa zur
Entwicklung von Prototypen im Flugzeug- und Autobau. „Das Problem ist jedoch bislang, dass immer nur eine begrenzte Zahl von
Werkstücken gleichzeitig produziert werden kann“, sagt Philipp
Imgrund, stellvertretender Leiter Pulvertechnologie am Fraunhofer Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung in Bremen. „Mithilfe der Stiftung arbeiten wir nun an der
Entwicklung einer neuen, hocheffektiven Fertigungsmöglichkeit.”
3D-Drucker stellen Objekte her, indem sie Schicht für Schicht
Material hinzufügen. Sie bedienen sich einer digitalen Vorlage und
verwenden als Material Plastik, Metall oder Keramik. Was dem
Segment derzeit besonders viel Interesse beschert, sind die Verheißungen der Branche, dass der Einsatz für Massenfertigungsprozesse enormes wirtschaftliches Potenzial verspricht. Und so zielt auch
das Engagement des Bremer Werkstoffingenieurs mittelfristig
darauf, eine fortlaufende Massenproduktion kundenspezifischer
Kunststoffteile und -produkte zu ermöglichen. Konkret fließen die
Mittel der Stiftung unter anderem in die Entwicklung eines Geräts,
an dem eine neue Produktionstechnik getestet werden kann.
Imgrund ist optimistisch: „Ich denke, nach Ablauf der Förderung
können wir uns dann nach einem Industriepartner umschauen.“
Projektmitarbeiter Dr. Juan Isaza am Herzstück der Anlage für die sogenannte generative Fertigungstechnologie.
Der rotierende Zylinder bewegt sich durch ein Becken
mit chemischer Print-Flüssigkeit und nimmt Schicht für
Schicht des zu druckenden Gegenstands auf. Der Zylinder ist danach für weitere 3D-Drucke wiederverwendbar.
Für ihn war gerade die schnelle Förderung ein Grund, sich bei der
VolkswagenStiftung zu bewerben. Vermutlich sei der deutschen
Ingenieurwissenschaft in der Vergangenheit mangels entsprechender Finanzierungsmodalitäten manch gute Idee verloren gegangen,
aus der sich wiederum weitere attraktive Forschungsaspekte oder
größere Projekte hätten ergeben können, meinen Imgrund und
Fachkollegen. Es sei daher mehr als geboten, dass gerade in Deutschland wieder Forschungsideen unterstützt werden, die etabliertes
Wissen grundlegend herausfordern, die unkonventionelle Hypothesen, Methoden oder Technologien etablieren wollen oder ganz neue
Forschungsrichtungen in den Blick nehmen. Dies fordert zum Beispiel auch der Dachverband der Ingenieurwissenschaften und Informatik an Universitäten „4ING“. Er hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft ermuntert, die Initiative der Stiftung aufzugreifen und
eine Förderlinie auf den Weg zu bringen, die vom Volumen her eine
Unterstützung von weit mehr Projekten zulassen würde. Unterdessen ist Philipp Imgrund gedanklich schon bei Folgeprojekten. Eines
könnte der Einsatz von Keramik- oder Metallpolymerlösungen für
die Massenfertigung vieler neuer Materialien und Werkstoffe sein.
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Mareike Knoke / Christian Jung
Impulse 02_2014 13
Diagnose per Kaugummi
Dr. Christian Herzmann, Leibniz-Forschungszentrum Borstel
bei Lübeck
Die Lungenkrankheit Tuberkulose ist in Entwicklungsländern nach
wie vor eine der häufigsten Todesursachen, auch in einigen Ländern
Europas steigt die Zahl der Betroffenen wieder – zum Teil deutlich.
Schleichend, aber unübersehbar ist sie in den vergangenen Jahrzehnten somit erneut zu einer globalen Bedrohung für die Gesundheit der Menschen geworden; in der Statistik der tödlichen Erkrankungen belegt sie inzwischen wieder einen Spitzenplatz. Allein im
Jahr 2012 erkrankten weltweit um die zehn Millionen Menschen
daran. Fast ein Fünftel von ihnen starb an der Infektion, die in 80
Prozent der Fälle vom Mycobacterium tuberculosis verursacht wird.
Dr. Christian Herzmann vom Forschungszentrum Borstel bei
Lübeck ist Tuberkulose-Erregern auf der Spur – mit Kaugummi!
Eigentlich kaut man Kaugummis ja wegen ihres Geschmacks oder
weil sie die Zähne reinigen sollen. Doch der Mediziner ist davon
überzeugt, dass solch ein Kaubatzen noch viel mehr kann, dass
ungeahntes Potenzial in ihm steckt, wenn man ihn entsprechend
präpariert und verändert. Seine Idee: Warum nicht einen Kaugummi entwickeln, an dem sich die Tuberkulose-Bakterien nachweisen lassen, nachdem der Proband darauf herumgekaut hat? Der
Gedanke klingt so bizarr wie bestechend und vor allem – es wäre
ganz einfach in der Umsetzung und Handhabung, wenn’s klappt.
„Was mein Team und ich gerade versuchen, muss man
zweifelsohne riskant nennen – eben weil das Ergebnis
so unsicher ist“, sagt Dr. Christian Herzmann, hier mit
den Projektmitarbeitern Dr. Norbert Reiling (links) und
Dr. Sven Müller-Loennies (rechts) vor dem Haupthaus
des Leibniz-Forschungszentrums Borstel bei Lübeck.
Die Fotos Mitte und unten zeigen die Testkaugummis
in unterschiedlichen Verarbeitungsstufen.
Solch ein Kaugummi könnte in großem Stil gerade in Entwicklungsländern zum Einsatz kommen, überall dort, wo schlechte
Infrastruktur aufwendige Verfahren für den Nachweis einer Infektion oft unmöglich macht. „Man lässt die Probanden einfach eine
bestimmte Zeit lang kauen. Anschließend werden die Kaugummis
im Labor auf das Bakterium untersucht“, erläutert der Forscher
sein Vorhaben. Auf diese Weise könnte es gelingen, rechtzeitig zu
erkennen, wer an Lungentuberkulose erkrankt ist.
Wie aber entwickelt man einen Kaugummi so weiter, dass Tuberkulose-Bakterien an der Masse „haften“ bleiben und sich nachweisen lassen? „Ansätze aus der Lebensmittelforschung sind hier
wegweisend und könnten uns auf die richtige Spur bringen“, sagt
Herzmann. Mehr verrät er nicht. Der Tuberkulose-Experte ist zwar
in der Wissenschaftscommunity kein unbeschriebenes Blatt mehr
– dennoch: „Die Chancen meines Teams auf eine konventionelle
Förderung wären gleich null gewesen“, sagt er, der sein Projekt
mit viel Optimismus vorantreibt. Ob es nun ein grandioser Erfolg
wird und die medizinische Diagnostik bereichert oder ob es ebenso grandios scheitert, das soll sich bereits im Laufe dieses Jahres
zeigen. Damit ist das Projekt ein Paradebeispiel für die noch junge
Stiftungsinitiative „Experiment!“.
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Mareike Knoke
Impulse 02_2014 15
Wieder kräftig zubeißen können
Professor Dr.-Ing. Rainer Telle, Rheinisch-Westfälisch
Technische Hochschule (RWTH) Aachen
Bei den derzeit zumeist genutzten Implantaten für Zähne und
Knochen handelt es sich in der Regel um Keramiken aus Calciumphosphat. Sie haben den Nachteil, sehr bruchanfällig zu sein.
Professor Dr.-Ing. Rainer Telle, Lehrstuhlinhaber für Keramik und
Feuerfeste Werkstoffe an der Rheinisch-Westfälischen Technischen
Hochschule Aachen, sucht nach einem alternativen Werkstoffkonzept. Was ihm vorschwebt, ist ein Werkstoff aus flexiblen
Keramikelementen, der sich je nach Bedarf zurechtbiegen ließe.
Inspiriert hat ihn die Struktur von Sandstein. „Wenn wir es schaffen, keramische Elemente von ähnlicher Beschaffenheit synthetisch und über große 3D-Drucker herzustellen, sind wir einen
bedeutenden Schritt weiter“, sagt der Werkstoffforscher. Anwendungsmöglichkeiten gäbe es viele: etwa in der Medizintechnik
oder der Automobilherstellung. Dennoch ist der Ausgang seines
Vorhabens ungewiss, das Risiko zu scheitern gegeben.
Selbst wenn gerade Ingenieuren viele Quellen für Forschungsgelder
zur Verfügung stehen und sie sich zum Beispiel um Fördermittel bei
Bundesministerien, der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder
auch der Allianz Industrieforschung bemühen können: Für jene,
die wie Rainer Telle solche Ideen entwickeln und erproben wollen,
macht das die Lage nicht einfacher. Auch auf einen Ingenieur wartet nicht immer das Schlaraffenland: „Bewirbt man sich um Mittel
etwa beim Bundesforschungs- oder Wirtschaftsministerium, muss
man bereits möglichst einen ausführlichen Verwertungsplan
mit Anwendungslösungen und Projektpartnern vorweisen.“ Wer
jedoch Neues ausprobieren wolle, mit dem er durchaus scheitern
könne, wer mit seinen Ideen zwischen den üblichen Denkschemata liege, der falle schnell durchs Förderraster, moniert Telle. Und so
habe er es kaum glauben können, als er – die Idee bereits im Kopf
– von der „Experiment!“-Initiative erfahren habe.
„Der Wandel vom Rohstoff zum Werkstoff hat mich
schon immer fasziniert – auch im Blick zurück“, sagt der
gelernte Mineraloge Professor Rainer Telle. Da überrascht
es nicht, dass durch seine Arbeit inzwischen auch in der
archäologischen Forschung Verfahren aus den modernen
Ingenieurwissenschaften zum Einsatz kommen.
Wenngleich Telle sich zumeist mit Hochleistungskeramiken
beschäftigt, pflegt der Ingenieur neben der anwendungsorientierten Entwicklungsarbeit auch archäologische Forschung. Seine Passion führte ihn zurück bis zu den ersten Verhüttungsprozessen der
Menschheit ins dritte vorchristliche Jahrtausend. Welche Materialien wurden damals verwendet? Was wurde aus ihnen gefertigt?
Bei welchen Temperaturen wurden die Gerätschaften gebrannt,
und wie lange haben sie gehalten? „Die Beantwortung dieser
Fragen gibt Aufschluss über die gezielte frühzeitliche Rohstoffverwendung und den Produktionsprozess“, erläutert Telle. So zeigten
seine Forschungen, dass die Entwicklung feuerfester Materialien
weitaus zielgerichteter erfolgte als bis dato angenommen.
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Mareike Knoke / Christian Jung
Impulse 02_2014 17
In die Knochen gefahren
Professor Andreas Zimmer, Universitätsklinikum Bonn
Depressionen belasten nicht nur die Psyche, sondern gehen auch
an die Knochensubstanz. Seit einigen Jahren gibt es Hinweise, dass
Depressionen insbesondere bei Frauen eine Osteoporose begünstigen. Untersuchungen zeigen, dass depressive Frauen über eine
geringere Knochendichte verfügen als gleichaltrige psychisch
Unbelastete. Der relative Schwund entspricht Größenordnungen,
die man von anderen Risikofaktoren für Osteoporose kennt – darunter Rauchen, kalziumarme Ernährung und Bewegungsmangel.
Wenngleich sich Studien zufolge der Knochenschwund depressiver
Frauen als solcher belegen lässt, ließ sich bislang keine enge Verknüpfung finden zwischen dem Grad des Knochenschwunds und
der Schwere der Depression oder der Zahl der depressiven Phasen.
Es zeigten sich aber Veränderungen im Immunsystem der Probandinnen: Jene hatten einen erhöhten Wert entzündungsanregender
Stoffe im Blut, darunter Interleukin-6; das Protein ist bekannt
dafür, Knochenschwund zu fördern.
Professor Dr. Andreas Zimmers „Experiment“ wendet nun die Perspektive. Seine Hypothese: Ist es vielleicht genau andersrum? – Könnten nicht Knochenkrankheiten ihrerseits Verursacher von Depressionen sein? Und zwar nicht, weil die Betroffenen an den damit
einhergehenden Schmerzen, Beschwerden und Beeinträchtigungen
leiden, sondern weil es zu Störungen in den Signalketten zwischen
Knochen und Nervensystem bis hinauf ins Gehirn kommt? „Für
unsere These gibt es zahlreiche Anhaltspunkte“, erklärt der Leiter des
Instituts für Molekulare Psychiatrie am Universitätsklinikum Bonn.
Sein „Experiment“ – er nutzt dazu zwei „Mausmodelle“ – hat er als
internationales Kooperationsvorhaben aufgestellt; mit im Boot
ist noch sein israelischer Kollege Professor Dr. Itai Bab von der
Hebrew University in Jerusalem. „Wir wissen inzwischen, dass jene
Nervenfasern, die die Knochen durchdringen, nicht nur für die
Schmerzwahrnehmung verantwortlich sind, sondern auch eine
Rolle spielen beim Knochenaufbau und -umbau.“ Bestätigen sich
die Vermutungen, könnte dies zu ganz neuen Ansätzen in der Therapie depressiver Störungen bei Osteoporose-Patienten führen.
Professor Dr. Andreas Zimmer baut bei seinem „Experiment“ auf breitem Wissen und reichlich Forschung
zu der Funktion von Signalstoffen bei psychiatrischen
Erkrankungen und Alterungsprozessen des Gehirns
auf. So hat er sich lange mit der Frage beschäftigt, wie
bestimmte Signalstoffe im Gehirn Reaktionen beeinflussen, die sich etwa bei Stress oder als Folge einer
Bedrohung beobachten lassen. Seine Erkenntnisse
könnten helfen, Angststörungen besser zu behandeln.
So wie dieser Antrag stammten zwei Drittel der Wettbewerbsbeiträge
der ersten Runde zu „Experiment!“ von Forscherinnen und Forschern
an Universitäten. „Für die meist unterfinanzierten Universitäten ist
diese Initiative Gold wert: Es ist wichtig, dass Risikoforschung auch an
den Hochschulen stattfindet, damit sie Ideenmotoren bleiben“, sagt
Zimmer. Er lobt das Stiftungsengagement als vorbildlich, überfällig
und einzigartig und will andere ermutigen, es mit einer unkonventionellen Idee doch auch einmal bei der Stiftung zu versuchen.
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Christian Jung
Impulse 02_2014 19
Noch mehr Ideen
Die weiteren acht im Wettbewerb
erfolgreichen „Experimente!“
MED. PSYCHOLOGIE
MEDIZIN
MEDIZIN
ENTWICKLUNGSBIOLOGIE
Prof. Niels Birbaumer
Prof. Bernd Moosmann
Prof.
Niels Birbaumer
Prof. Joachim
Hauber (mit
Dr. Julian Schulze zur Wiesch)
Dr. Takashi Hiiragi
Für alle 13 geförderten Projektideen in der Initiative „Experiment!“
gilt: Die Akteure hätten anderswo angesichts ihrer zum Beispiel unorthodoxen Herangehensweise oder des sehr frühen Projektstadiums
kaum eine Chance gehabt, die Vorhaben umzusetzen. Doch auch bei
der Stiftung hatten sie hohe Hürden zu überwinden: die der Qualität
natürlich, aber auch die beeindruckende Zahl an Mitbewerbern.
Nicht zuletzt ob der großen Nachfrage heißt es deshalb umso mehr:
überzeugen können auf der einen Seite, genau hinschauen auf der
anderen. Die andere, das ist die international besetzte Jury. Von zentraler Bedeutung ist für sie die kurze, schlüssige Projektskizze, die
nicht länger als drei Seiten sein soll. „Das Innovative und Visionäre des
Forschungsansatzes muss überzeugend herausgearbeitet und auf den
Punkt gebracht sein“, sagt Stiftungsmitarbeiterin Dr. Ulrike Bischler
und betont: „Wir fördern nicht Personen, sondern Ideen.“ Entsprechend ist die Begutachtung anonym angelegt; sie stellt sicher, dass
der Fokus der Jury strikt auf der Bewertung der Idee liegt.
Normalerweise können die Erkunder neuer Ideen kaum auf staatliche Förderung hoffen. „Die Gutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft etwa wollen in einem Antrag zum Beispiel sehen,
auf welchen Vorergebnissen diese Forschung aufbaut. Doch das ist
schwierig, wenn ein Wissenschaftler völliges Neuland betritt“, sagt
Ko-Koordinator Dr. Oliver Grewe. „Experiment!“ setzt unterdessen
in vielerlei Hinsicht die Schwelle für Interessierte so niedrig wie
möglich: Wer sich bewirbt, muss, anders als zumeist üblich, keinen
Zeit- oder Finanzplan vorlegen, auch sonst erforderliche Vorarbeiten
entfallen. „Die Mittel können unbürokratisch und flexibel innerhalb
des Projekts verwendet werden – sei es für Personal, Geräte oder
Reisekosten“, erklärt Grewe. „Wir erleichtern den Forschern die
Beantragung und Verwaltung der Mittel so weit wie möglich; so
bleibt ihnen viel ihrer wertvollen Forschungszeit.“
Dabei steht nicht im Vordergrund, ob das Projekt am Ende erfolgreich
ist oder aber scheitert. „Wissenschaft lernt aus ihren Fehlern – auch
darum geht es in der Initiative“, betont Bischler. „Denn auch gescheiterte Versuche bringen oft neue, wichtige Erkenntnisse.“ Und wenn
sich eine Projektidee innerhalb der „Experiment!“-Förderzeit doch
erfolgversprechend entwickelt – wie geht es dann weiter? „Auf dieser
Grundlage haben die Wissenschaftler sicherlich bessere Chancen
als zuvor, im Rahmen der üblichen Programme verschiedener Forschungsförderer ihre Anschluss- oder Vertiefungsarbeiten unterstützt
zu bekommen“, sagt Bischler.
Christian Jung
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Universität Tübingen
Universitätsklinikum Mainz
Wie wir den Zustand unseres Gehirns,
unseres Bewusstseins verändern
können? – Die Kombination von Hirnbildgebung (Echtzeit-funktioneller
Magnetresonanztomographie) und
Neurofeedback-Methoden macht’s
möglich. Kann jeder lernen, z. B. seinen Blutfluss bewusst zu regulieren?
Ziel ist es, biochemische Prozesse
neurodegenerativer Erkrankungen
besser zu verstehen – Gegenstand
des „Experiments“, das auf die Alzheimer-Erkrankung fokussiert, ist
der NMDA-Rezeptor-Antagonist. Der
Rezeptor selbst ist ein Kanal für
Ionentransport in der Zellmembran.
PHYSIOLOGIE
Prof. Karl Kunzelmann
Universität Regensburg
Die meisten in den Körperzellen ablaufenden (biochemischen) Prozesse
benötigen Wasser, das durch Zellmembranen und -wände seinen Weg
findet. Ein Experiment soll zeigen, warum die Regulierung des Zellvolumens,
des zellulären Wasserhaushalts, wohl
anders abläuft als bislang gedacht.
Universität:
Tübingen
Heinrich-Pette-Institut + UniversiProjekt:
Kontemplative
Betätsklinikum Hamburg-Eppendorf
wusstseinszustände durch
Auf dem Weg zu einem
neuartigen
Selbstregulation
erlangen
zellulären
Reparatursystem
– oder:
ohne jahrelanges Training
EMBL Heidelberg
„Mikro-Chirurgie“ auf der Ebene des
Genoms. Wie kann die Heilung genetisch bedingter Krankheiten mithilfe
von Virus-RNA erfolgen?
Die mechanischen Kräfte, die in einer
Zelle wirken, spielen bereits bei der
Embryonalentwicklung eine wichtige
Rolle: Welche Bedeutung haben sie
als Signalgeber für die Symmetriebrechung im sich entwickelnden
Säugetierembryo? Warum also sitzt
etwa das Herz (fast immer) links?
EXPERIMENTALPHYSIK
BIOPHYSIK
PFLANZENBIOCHEMIE
Prof. Matthias Weiss
Prof.Carsten
Karl Kunzelmann
Prof.
Beta
Universität Bayreuth
Die Komplexität der Transportprozesse
in einer Zelle und die Vielfalt molekularer Interaktionen sind enorm. Wie
funktioniert die Selbstorganisation
(bei der Bildung) der darin entscheidend eingebundenen Organellen, den
zentralen Bausteinen der Körperzellen?
– Entwicklung eines Modellsystems
Universität Potsdam
Universität: Regensburg
Projekt: Experiment
zum„Mikro„Mikro-Trucks“
transportieren
Frachten“:
Lassen
sich
polarisierte des
Verständnis
der
Regulation
Zellen als Transporter für kleinste
zellulären Wasserhaushalts
Lasten nutzen, zudem in einem weitgehend eigenständigen sich selbst
organisierenden Prozess? – Der
Schleimpilz Dictyostelium als Versuchsvehikel für gerichteten Transport
Prof. Ludger Wessjohann
Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie, Halle
Ziel ist die Entwicklung eines „Werkzeugkastens“, der Chemiebausteine
für dreidimensionale Nanomoleküle enthält: ein synthesechemisch
anspruchsvoller Designansatz für
molekulare Architekturen – etwa zur
Entwicklung von Medikamenten?
Impulse 02_2014 21
Spektrum
Nachrichten aus der
Wissenschaftsförderung
der VolkswagenStiftung
Gebrochener Glanz:
Ausstellung über römische Großbronzen eröffnet
Eine Forschergruppe hat fast 5.000 Großbronzenfragmente von 132 Fundplätzen untersucht. Viele Exponate sowie die überraschenden Forschungserkenntnisse sind noch bis
zum 20. Juli 2014 im LVR-LandesMuseum Bonn zu sehen und anschließend in Aalen.
Vor rund zweitausend Jahren schmückten überlebensgroße bronzene Statuen römische Kastelle
und Siedlungen nahe dem Limes. Heute sind
davon häufig nur noch Bruchstücke vorhanden,
viele davon schlummerten bislang in den Museumsmagazinen.
Bereits mehr als vier Jahre hat ein Forscherteam
um Dr. Martin Kemkes vom Archäologischen
Landesmuseum Baden-Württemberg die einst in
künstlerischer Feinarbeit gefertigten Großbronzenfragmente untersucht. Es befasste sich mit
solchen Bruchstücken, die bei den Grabungen in
den Militäranlagen und Siedlungen entlang des
Limes zwar oft gefunden wurden, bei der wissenschaftlichen Auswertung bislang jedoch keine allzu große Rolle spielten. „Bei der archäologischen,
naturwissenschaftlichen und experimentellen
Untersuchung haben wir unzählige interessante
Dinge erfahren“, berichtet Kemkes.
Durch eine äußerst umfangreiche Sammlung
und Aufbereitung der Datenbestände konnte das
Forscherteam zum Beispiel belegen, dass die Verbreitung der imposanten, teils sogar vergoldeten
Bronzefiguren vor allem in den ländlichen Gebieten abseits von Köln, Trier oder Mainz deutlich
höher war als bisher angenommen. Auch wurden
die Statuen zur Kaiserzeit nicht ausschließlich in
Italien produziert und anschließend in die nördlichen Gebiete gebracht, sondern auch in den
Gegenden um den Limes hergestellt.
22
Interessant auch die Erkenntnis, dass der Großteil
der Metalle bereits während der Römerzeit und
im folgenden Umbruch durch die Germanen wieder eingeschmolzen wurde. Auch die mutwillige
Zerstörung mancher Kaiserstatuen durch die
römischen Soldaten selbst lässt sich an einigen
Objekten durch Einschusslöcher römischer Katapultspitzen nachweisen. „Das war bisher so nicht
bekannt“, erklärt Kemkes. Darüber hinaus ließ
sich erstmals innerhalb des Projekts der komplexe
Herstellungsprozess beim Bronzeguss erforschen
und nachstellen. All das wird in der Ausstellung
„Gebrochener Glanz – Römische Großbronzen am
UNESCO-Welterbe Limes“ anschaulich präsentiert,
die noch bis zum 20. Juli 2014 im LVR-LandesMuseum Bonn zu sehen ist. Anschließend wird sie
vom 14. August 2014 bis zum 22. Februar 2015 im
Limesmuseum Aalen sowie danach im Museum
Het Valkhof in Nijmegen gastieren.
Die VolkswagenStiftung hat die Wissenschaftler
mit rund 519.500 Euro unterstützt. „Ohne die Förderinitiative ‚Forschung in Museen‘ gäbe es dieses
Projekt sicher nicht. Wir wären nie dazu in der
Lage gewesen, solch ein großes Kooperationsvorhaben in dieser Weise anzugehen“, erklärt Kemkes. Für Forschung und Ausstellung liehen sich
die Wissenschaftler die Fundstücke von rund 70
Museen in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Frankreich, der Schweiz und Österreich aus. Die Ergebnisse werden auch den objektgebenden Institutionen zugänglich gemacht.
Oben rechts: Nahezu 5.000 Fundstücke, davon viele
Bruchstücke, haben die Forscher in den vergangenen vier
Jahren untersucht. Oben links: Der lebensgroße Kopf der
Göttin Rosmerta aus Mainz-Finthen ist einer der wenigen
gut erhaltenen Köpfe im Untersuchungsgebiet. Mitte:
Dr. Martin Kemkes ist Referatsleiter des Archäologischen
Landesmuseums Baden-Württemberg, in dem auch noch
viele Exponate für weitere archäologische Forschungen
schlummern. Unten: Die Großbronzenfragmente wurden
entlang des ehemaligen Limesverlaufs gefunden, viele
davon in ländlichen Gebieten.
Impulse 02_2014 23
Spektrum
Molekular- und Nanotechniken im Fokus: von
Datenautobahnen bis zu Perlmutt-Werkstoffen
Erste Freigeist-Fellows im Schloss Herrenhausen
ausgezeichnet
In der inzwischen vierten Ausschreibungsrunde der Förderinitiative „Integration molekularer Komponenten in funktionale makroskopische Systeme“ hat die VolkswagenStiftung
4,3 Millionen Euro für acht neue Kooperationsvorhaben bewilligt.
In der ersten Wettbewerbsrunde der allen Fächern offenstehenden „Freigeist-Fellowships“ konnten
elf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überzeugen: Mit insgesamt 8,2 Millionen Euro
werden sie und ihre außergewöhnlichen Forschungsvorhaben von der VolkswagenStiftung gefördert.
Die Freigeist-Fellows (von links):
Dr. Elmar Behrmann,
Dr. Barbara Caspers, Dr. Julia
Eichenberg, Dr. Marijn van
Wingerden, Dr. Jonas Rose,
Dr. Matthias Roick, Dr. Neil
In einem der neu bewilligten
Projekte der Initiative will
Professor Ralph Krupke Bausteine für künftige Hochgeschwin-
Thurman, Dr. Annika Bande,
Dr. Benjamin Lahusen.
Es fehlen: Dr. Volker Busskamp
und Dr. Hendrik Weimer.
digkeits-Datenübertragung auf
Computerchips entwickeln.
Seit Jahren entwickeln Wissenschaftler neue
Materialien und Komponenten im Nanometerbereich mit außergewöhnlichen Eigenschaften.
Zumeist werden jedoch Einzelkomponenten
erstellt, größere Anwendungen basierend auf diesen Bausteinen bilden immer noch die Ausnahme.
Daher fördert die Stiftung seit 2008 Forschungsvorhaben, deren Ziel die Verknüpfung molekularer oder nanoskaliger Einheiten zu komplexen
Systemen mit makroskopisch nutzbaren Effekten
ist. Das kann von der Konzeption, Produktion und
anschließenden Integration einzelner winziger
Bausteine in größere Systeme reichen bis hin
zur Herstellung des Prototyps eines Gerätes oder
Bauelements.
Im Frühjahr 2014 hat die VolkswagenStiftung
weitere acht herausragende Projekte auf den Weg
gebracht, die durchweg interdisziplinär angelegt
sind und zum Teil die Beteiligung ausländischer
Partner einschließen – etwa eine Forschergruppe
am Weizman Institute of Science, Israel.
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Ein Beispiel für einen zukunftsweisenden Ansatz
stellt das Forschungsvorhaben zur Herstellung frei
formbarer Materialien mit keramischen Eigenschaften dar: Professor Dr. Christopher BarnerKowollik vom Karlsruher Institut für Technologie
möchte gemeinsam mit Dr. Andreas Walther vom
Leibniz-Institut für Interaktive Materialien in
Aachen Werkstoffe entwickeln, die sich in ihrer
Struktur an der von Perlmuttschichten orientieren. Die Materialien könnten beispielsweise
mit selbstheilenden Eigenschaften ausgestattet
werden und so als kratzfeste Beschichtungen auf
Mobiltelefonen dienen. Auch Barriereanwendungen zur hochflexiblen, gasdichten Verkapselung
sensibler Bauteile wie Displays sind denkbar.
In einem weiteren Projekt steht bei Professor Dr.
Ralph Krupke von der Technischen Universität
Darmstadt die Herstellung der ersten nanoskaligen Lichtquellen auf Basis von Kohlenstoffnanoröhrchen im Fokus. Daraus möchte der Physiker
Bausteine für künftige HochgeschwindigkeitsDatenübertragung auf Computerchips entwickeln.
Die Palette der Projektthemen ist denkbar breit
und repräsentiert Natur- und Lebenswissenschaften ebenso wie die Geistes- und Sozialwissenschaften. Drei Beispiele: Erforscht wird die Entstehung des sogenannten Verwandtengeruchs und
dessen Bedeutung für das Sozialverhalten. Es wird
recherchiert, wie europäische Exilregierungen
während des Zweiten Weltkriegs in London operiert haben. Und es soll ein Verfahren entwickelt
werden, mit dem sich menschliche Nervenschaltkreise im Labor herstellen lassen. Das könnte die
Behandlung neuronaler Krankheiten verbessern.
Nicht minder spannend sind die Themen, mit
denen sich die anderen acht der insgesamt elf
frisch gekürten Freigeist-Fellows der Stiftung künftig beschäftigen werden. Der Öffentlichkeit vorgestellt wurden die Fellows am 29. April 2014 bei
einer feierlichen Abendveranstaltung im Schloss
Herrenhausen. Gemeinsam mit Familienmitgliedern und Vertretern von Hochschulen waren sie
der Einladung der Stiftung gefolgt, ihre Projekte
vorzustellen und sich untereinander zu vernetzen.
Zur Förderinitiative
Um dem wissenschaftlichen Nachwuchs neue
Wege zu öffnen, hat die VolkswagenStiftung im
Jahr 2013 die „Freigeist-Fellowships“ ins Leben
gerufen. Die Förderinitiative richtet sich an exzellente Postdoktorandinnen und -doktoranden, die
risikobehaftete, unkonventionelle Forschung an
deutschen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen betreiben möchten. Gedacht ist an
Forscherpersönlichkeiten, die Spaß haben am
kreativen Umgang mit Unerwartetem.
Mit einem modulartig aufgebauten, flexiblen
Förderangebot erhalten die Fellows mit bis zu
fünfjähriger Forschungserfahrung nach der Promotion die Möglichkeit, ihre wissenschaftliche
Tätigkeit mit großem Freiraum und klarer zeitlicher Perspektive optimal zu gestalten und
eigene, originelle Ideen umzusetzen.
Mehr Informationen zur Förderinitiative und zu
den bewilligten Projekten sind zu finden unter
www.volkswagenstiftung.de/freigeist.
Impulse 02_2014 25
„Wissenschaft
birgt immer
auch das Risiko
zu scheitern“
Forschung an der Grenze des
Wissens und des Vorstellbaren:
Dort hält sich der Physiker
Matthias Schott auf. Ein Gespräch
mit einem, der ausgezogen ist,
das große Ganze zu erklären.
Am Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf hat er an
der Entdeckung des lange gesuchten Higgs-Teilchens mitgearbeitet,
jetzt ist er mit einer Lichtenberg-Professur an die Johannes Gutenberg-Universität Mainz gewechselt, um noch tiefer in die geheimnisvolle Materie einzutauchen. Ohne Zweifel: Matthias Schott – hier
mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Christoph Weinsheimer
(rechts) – ist mit seinem Thema auf der Langstrecke unterwegs.
26
Impulse 02_2014 27
Wissenschaft und Risiko: ein weites Feld. Risiko spielt in der Wissenschaft
auf ganz unterschiedlichen Ebenen eine Rolle – etwa dann, wenn Forscher
selbst bereit sind, erhebliche Risiken einzugehen. Wissenschaftliches
Arbeiten trägt zwar per se potenzielles Scheitern in sich, in einigen Forschungsfeldern ist dieses Risiko aber besonders groß. Zum Beispiel in der
Teilchenphysik. Dort bewegt sich der „Lichtenberg-Professor“ Dr. Matthias
Schott. Er sucht nach der Erklärung für etwas, das uns beinahe so selbstverständlich erscheint wie das Atmen: die Masse. Hier spricht er mit
Wissenschaftsjournalistin Jo Schilling über sein neues Projekt, risikoreiche
Forschung und risikobereite Wissenschaftsförderer (Fotos: Thomas Victor).
Herr Schott, Sie haben kürzlich eine Forschungsstelle am europäischen Kernforschungszentrum
CERN in Genf, wo Sie an der Entdeckung des
Higgs-Teilchens mitgearbeitet haben, für eine
Lichtenberg-Professur an der Universität Mainz
aufgegeben. Was hat Sie veranlasst, den Arbeitsplatz an einem so renommierten Institut wie
dem CERN dafür einzutauschen?
Ich habe am CERN in der weltweiten Kooperation
ATLAS mitgearbeitet, die dann in der Tat im vergangenen Jahr das Higgs-Teilchen nachgewiesen
hat – eine wissenschaftliche Sensation. Benannt
nach dem britischen Physiker Peter Higgs, komplettiert das Teilchen das Standardmodell des
Aufbaus der bekannten Materie als womöglich
dessen letzter unentdeckter Baustein. Ich wurde
direkt vom CERN beschäftigt. Diese Arbeitsplätze
sind sehr schön, da sie einem erlauben, vollkommen selbstständig zu forschen – und das im Verbund mit ungefähr 3.000 Physikern aus aller Welt.
Das ist unglaublich anregend; das Problem ist nur:
Ich hatte keine eigene Gruppe aus Doktoranden
und Postdoktoranden und konnte nur an sehr
speziellen Fragestellungen arbeiten. Gefehlt hat
mir insofern vor allem, dass ich keine eigenen
größeren Projekte vorantreiben konnte.
Aber dafür ist nicht zwingend eine LichtenbergProfessur notwendig …
Was ich vorhabe, baut auf den Arbeiten am CERN
auf. Dennoch ist schon ein gewisses Risiko dabei,
dass meine Forschung auch nach langer Zeit, mit
28
langem Atem nicht zum Erfolg führt – und welcher
Partner geht solch ein Risiko schon gemeinsam mit
einem Wissenschaftler ein? Die VolkswagenStiftung
ist mit den Lichtenberg-Professuren bereit, eben dies
zu tun. Das ist für mich sehr wichtig, um frei forschen, um eigenständig meine wissenschaftlichen
Themen vorantreiben zu können.
„Gewisses Risiko“ ist schön formuliert. Andere
bezeichnen Forschung wie die Ihre als hochriskant …. Doch bevor wir uns weiter über das
Thema Risiko als solches unterhalten, möchte
ich erst einmal verstehen, was Sie nun genau
erforschen wollen.
Das Problem, um das sich meine Arbeit dreht, ist
ganz fundamental: die physikalische Erklärung
der Masse. Wir wissen, dass es Masse gibt, denn
wir leben mit ihr, verdanken ihr unsere Existenz.
Aber zu erklären, wie punktförmige Elementarteile eine Masse haben können, wurde erst mithilfe
der in den 1960er-Jahren vorgelegten HiggsTheorie möglich, für die es ja gerade den Nobelpreis gab. Zentrales Element dieser Theorie ist das
Higgs-Feld. Es ist allgegenwärtig im Universum,
und alle Elementarteilchen fliegen durch dieses
Feld hindurch. Aufgrund der Wechselwirkung der
Elementarteilchen mit dem Higgs-Feld erhalten
sie ihre Masse.
Wie muss ich mir das in etwa vorstellen?
Nehmen Sie mal an, Sie müssten einen Regenschirm durch Wasser ziehen. Einmal ist der Schirm
Matthias Schotts Forschung dreht sich um eine ganz fundamentale Frage: die physikalische Erklärung der Masse. Das erfordert nicht
zuletzt viel handwerkliches Geschick – etwa bei der Analyse eines beschädigten Metallgitters eines Micromega-Detektors, auch unter
dem Mikroskop (Bild oben rechts). Später installiert der Physiker einen Micromega-Prototypen in eine Röntgenkammer, um Tests mit
hohen Strahlungsraten durchzuführen (rechts, unten). Für einen anderen Versuch benötigt er optische Fasern (rechts, Mitte), die er
anschließend in das Gehäuse eines Photo-Multipliers einsetzt, der unter anderem dazu genutzt wird, Elementarteilchen nachzuweisen.
geöffnet und einmal ist er geschlossen. Natürlich brauchen Sie für das Ziehen des geöffneten
Regenschirms mehr Kraft, das heißt: Er kommt
ihnen schwerer vor. Ähnlich ist das auch mit dem
Higgs-Feld. Einige Elementarteilchen haben eine
größere Wechselwirkung mit diesem Higgs-Feld
als andere und erhalten so auch eine größere Masse. Die Quantenphysik lehrt uns nun, dass jedes
physikalische Feld auch angeregt werden kann.
Im Prinzip ist das Higgs-Boson nichts anderes
als die Anregung des Higgs-Feldes. Obwohl wir
das Higgs-Feld nicht direkt beobachten können,
wissen wir von dessen Existenz, sobald wir das
zugehörige Teilchen finden – in diesem Fall also
das Higgs-Boson.
Und das Teilchen haben Sie gemeinsam mit
Ihren 3.000 Kolleginnen und Kollegen am CERN
gefunden. Sie lassen Protonen mit unglaublichen
Energien in dem Teilchenbeschleuniger aufeinanderstoßen und messen mit den Detektoren den
Aufprall der Teilchen, die dabei entstehen. Wie
finden Sie dabei so ein versprengtes Higgs-Boson?
Für den experimentellen Nachweis des HiggsBosons und die Bestimmung seiner Masse
braucht es in der Tat Teilchenbeschleuniger mit
ausreichender Energie – auch deshalb gelang der
Nachweis über mehrere Jahrzehnte hinweg nicht.
Pro Sekunde lassen wir etwa bis zu einer Milliarde Mal jeweils zwei Protonen kollidieren. Dabei
Impulse 02_2014 29
Matthias Schott erörtert mit
seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Laura Wehner und
Robert Westenberger diverse
Experimente. Kurz zuvor hat er
vorbereitete optische Fasern
in das Gehäuse eines PhotoMultipliers eingesetzt (links),
eine spezielle Elektronenröhre.
Sie dient dazu, schwache Lichtsignale (bis hin zu einzelnen
Photonen) durch Erzeugung
und Verstärkung eines elektrischen Signals zu detektieren.
Die Lichtenberg-Professuren
Forscherglück lässt sich eigentlich auf eine
einfache Formel bringen: Unabhängigkeit,
gepaart mit einer angemessenen Ausstattung,
der nötigen geistigen Freiheit und Flexibilität –
sowie ausreichend Zeit und Muße für Reflexion.
Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die mit ihrer Arbeit interdisziplinäres
Neuland betreten, brauchen viel davon. Sind
sie exzellent, finden sie Unterstützung bei der
Stiftung mit einer Lichtenberg-Professur – und
das für einen Zeitraum von bis zu acht Jahren.
Seit nunmehr einem Jahrzehnt richtet die VolkswagenStiftung solche Professuren ein – zumeist
Unabhängigkeit, Zeit,
geistige Freiheit, Flexibilität: Über all das verfügen
Lichtenberg-Professoren
– und haben damit den
Kopf frei für das Lösen
schwierigster Aufgaben.
Hintergrund
findet pro Jahr eine Auswahlrunde statt. Und
Jahr für Jahr bringt das Angebot wissenschaftliche Exzellenz hervor.
Seit Bestehen der Initiative hat die Stiftung insgesamt knapp 70 Millionen Euro bereitgestellt für
46 Lichtenberg-Professuren. 17 dieser Professuren
erhielten eine Verlängerung im Anschluss an
die positive Evaluation ihrer Vorhaben, die nach
rund der Hälfte der Laufzeit erfolgt. Viele dieser
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind
allerdings so erfolgreich, dass sie noch vor der
Evaluation einen Ruf auf eine reguläre Professur
erhalten – ob an der eigenen Hochschule oder
andernorts. Insgesamt gibt die Erfolgsstatistik für
die Lichtenberg-Professuren der Stiftung Recht
in der Konstruktion solch eines Angebots. Dabei
ist der Erfolg nicht nur ein auf sie selbst und die
jeweilige Hochschule gerichteter; die Stiftung
versteht ihn zuvorderst als „Katalysator“ für die
Geförderten. Deren wissenschaftliche Karrieren
haben alle – bis hin zu starker internationaler
Sichtbarkeit – mit der Professur einen spürbaren
Schub erfahren.
cj
geschieht meist nichts Spannendes; oft entstehen
nur Teilchen, die wir schon lange kennen, wie
zum Beispiel nur zwei Quarks. Aber ganz selten
entsteht eben auch ein Higgs-Teilchen, das dann
wiederum in vier Elektronen oder zwei Photonen,
also Lichtteilchen, zerfallen kann. Der Zerfall des
Higgs-Teilchens in andere Elementarteilchen
liefert ein typisches Muster im Teilchendetektor,
auf das wir warten. Diese Muster werden jedoch
leider auch ab und zu von den anderen, weniger
spannenden Teilchenkollisionen erzeugt.
Diese Kollisionen nennen die Physiker Untergrund …
Genau. Zum Glück wissen wir, mit wie vielen
„Untergrundereignissen“ normalerweise zu rechnen ist. Wenn wir – nur als willkürliches Beispiel
– zweihundert Ereignisse mit einem typischen
Muster für das Higgs-Boson in unserem Detektor
finden, jedoch nur hundert Untergrundereignisse
erwarten, dann können wir recht sicher sein, dass
die anderen gemessenen hundert Ereignisse vom
Higgs-Boson selbst stammen müssen. Das heißt:
Unsere Experimente sind zunächst einmal eine
Frage der Statistik. Wir brauchen sehr, sehr viele
Teilchenkollisionen, um am Ende eine statistische
Signifikanz für eine Entdeckung des Higgs-Teilchens zu erhalten.
Nun wollen Sie in Mainz die Masse von W-Bosonen bestimmen. Was hat das mit Higgs-Bosonen
zu tun?
Das W-Boson ist das Austauschteilchen der sogenannten schwachen Kraft; also einer unserer vier
elementaren Kräfte. Zu diesem Teilchen gehört
– wir bewegen uns immer noch in der quantenmechanischen Welt – ein Feld. Dieses Feld kann
schwingen und diese Schwingungen sehr, sehr
kurz auf das Higgs-Feld übertragen. Im Prinzip
heißt das nichts anderes, als dass die W-Bosonen
indirekt mit den Higgs-Bosonen verbunden sind.
Wir kennen W-Bosonen sehr gut – vor allem auch
deren Masse. Darüber können wir ausrechnen,
wie sich das Higgs-Teilchen verhalten muss: Welche Masse und welche Eigenschaften es beispielsweise hat – denn schließlich hängen die Eigenschaften des W-Bosons mit den Eigenschaften
des Higgs-Bosons zusammen. Die Frage ist nun:
Passt das neue Higgs-Teilchen, das wir am CERN
gefunden haben, zu der Masse der W-Bosonen, die
wir schon lange kennen? Um das herauszufinden,
muss ich die W-Bosonen-Masse sehr viel genauer
vermessen, als das bisher bereits möglich ist.
Aber Sie haben das Higgs-Teilchen gefunden, und
Sie kennen W-Bosonen. Weshalb noch genauer?
Ich möchte wissen, ob das Higgs-Boson tatsächlich
ein Standard-Higgs-Boson ist, also ob es das HiggsTeilchen ist, das Peter Higgs vorhergesagt hat. Oder
ob es noch andere Eigenschaften hat, die wir nicht
kennen und die nicht dem Modell entsprechen.
Mit dem Higgs-Boson hat man zwar wie schon
beschrieben den letzten fehlenden Baustein nachgewiesen und damit eigentlich ein fast perfektes
Auslesechips für gasbasierte
Teilchendetektoren im Labor des
Mainzer Physikinstituts;
rechts: beschädigtes Metallgitter
eines Micromega-Detektors,
gesehen durch ein Mikroskop.
30
Impulse 02_2014 31
„Es gibt weltweit nur
eine Handvoll Institute,
die an Forschungsfragen
arbeiten, die auch mich
im Kern umtreiben“, sagt
Matthias Schott. In Mainz
fühle er sich exzellent
aufgehoben.
Modell fundamentaler Wechselwirkung. Aber es
ist eben nur fast perfekt – zum Beispiel hat man die
Gravitation damit noch nicht erklärt. Und es bleiben eben Fragen offen. Vielleicht öffnet sich ja bei
meiner Forschung eine Tür ins Ungewisse.
Letztlich macht ja auch die mit dem Higgs-Teilchen erklärbare Materie nur einen kleinen Teil
des Universums aus …
Ja, hinzu kommen die mysteriöse Dunkle Materie und die postulierte Dunkle Energie. Diese
uns unbekannte Welt birgt weit größere Rätsel
– eigentlich wissen wir nur über einen sehr kleinen Teil unseres Universums etwas: Vieles liegt
im Verborgenen. Insofern hofft man als Forscher
natürlich schon, etwas anderes herauszufinden
als vorhergesagt. Das führt dann zu neuen Theorien, die vielleicht neue Teilchen und neue Felder
benötigen, um unsere Welt, so wie wir sie sehen,
erklären zu können. Dafür wiederum würde es
einer ganz neuen Physik bedürfen. Doch zurück
zu den Bosonen. Das Ergebnis meiner Arbeit wäre
dann also entweder die Bestätigung des HiggsTeilchens oder aber der Nachweis eines HiggsTeilchens, für das es bisher noch keine Vorhersage
gibt – oder eben meine Forschung führt zu keinerlei neuer Erkenntnis über das Higgs-Boson. Damit
sind wir wieder bei dem „gewissen Risiko“, über
das wir vorhin schon sprachen.
32
Wenn man Ihnen zuhört, klingt das alles sehr
selbstverständlich und gar nicht riskant. Empfinden Sie Ihre Forschung überhaupt als eine, die mit
einem hohen Risiko zu scheitern einhergeht?
In dem Sinne, dass ich mich selbst einem Risiko
aussetze, selbstverständlich nicht. Am Computer
zu sitzen, ist nicht gefährlich. Aber natürlich kann
ich nach vier Jahren investierter Arbeit und Forschungsmittel an einen Punkt kommen, an dem
ich meine Messfehler nicht mehr kleiner machen
kann und weiß, dass ich die erforderliche Präzision nie erreichen werde. Es ist sicher frustrierend,
wenn ich eines Tages feststellen muss, dass ich
mehrere Jahre meines Lebens in ein Abenteuer
investiert habe, das letztlich gescheitert ist. Ein
solches Risiko muss ich aber eingehen, wenn ich
fundamentalen Fragen wie diesen auf den Grund
gehen will. Und ich gehe das Risiko eben nicht
allein ein, sondern die VolkswagenStiftung trägt
es gemeinsam mit mir über die LichtenbergProfessur, die explizit wissenschaftlichen Mut
zum Ungewissen fördert und letztlich belohnt.
Der 27 Kilometer lange Ringtunnel, in dem die
Teilchenbeschleunigungs-Experimente durchgeführt wurden, der Large Hadron Collider (LHC) am
CERN, trägt den Kosenamen „Gottesmaschine“.
Da schwingt schon die Ungewissheit und auch
Unbegreiflichkeit der Teilchenphysik mit …
Die Hochenergiephysik nimmt sicherlich eine
Sonderrolle ein. In vielen anderen Bereichen können es sich Wissenschaftler nicht erlauben, finanzielle Ressourcen, Zeit und Personal in Projekte zu
investieren, bei denen der Ausgang so ungewiss
ist – bei denen selbst die Entwicklung der Methoden so viele Unbekannte enthält, dass nicht abzusehen ist, ob jemals neue Informationen daraus
erwachsen. Wenn Kollegen beispielsweise in den
Materialwissenschaften arbeiten, können sie
meist erklären, welchen Ansatzpunkt, welchen
potenziellen Nutzen ihre Forschung hat. Das gilt
im Prinzip für alle naturwissenschaftlichen Disziplinen. Selbst wenn andere Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler Grundlagenforschung betreiben – die Teilchenphysik ist durchaus noch mal
ein Stück grundlegender.
Wie gut lassen sich Forschungsförderer wie die
VolkswagenStiftung oder auch andere davon
überzeugen, Geld für solche „riskanten“ Arbeiten
zu geben?
Was die VolkswagenStiftung in meinem Fall letztlich überzeugt hat, weiß ich natürlich nicht. Ich
versuche vor allem immer zu zeigen, dass diese
Forschung ohne entsprechende Fördermittel
nie gemacht werden würde. Und wenn es denn
funktioniert, werden die Ergebnisse vermutlich
bahnbrechend und zukunftsweisend sein. Hätte
ich beantragt, die Masse oder Eigenschaften des
Higgs-Bosons zu vermessen, wie viele Kollegen
das tun, würde auch ohne meinen Beitrag daran
in diversen Laboren weiter geforscht werden.
Die Stiftung hätte solch einen Antrag vermutlich
aufgrund mangelnder Originalität auch gar nicht
unterstützt und schon gar keine LichtenbergProfessur dazu eingerichtet. Für das W-Boson und
die Technologien, die dazu gehören, gilt das nicht.
Das mit dieser Forschung ohne Zweifel verbundene Risiko zu scheitern einzugehen: Dazu sind
eben nur wenige Physiker bereit. Die Ergebnisse
aber, die bei dieser Arbeit herauskommen können
– ich bin ja nicht, nur weil ich mich dem Risiko
des Scheiterns aussetze, zum Scheitern verurteilt
Exzellent und nachhaltig: neues Fördermodell der Stiftungsprofessuren
Seit Beginn des Jahres 2014 können LichtenbergProfessuren über zusätzliches Stiftungskapital
dauerhaft an den jeweiligen Hochschulen verankert werden. Mit diesem besonderen Angebot
unterstützt die VolkswagenStiftung deutsche
Universitäten darin, hochkarätige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen langfristig zu binden und zu fördern.
Möglich wird dies, da seit dem 1. Januar 2014
private Stiftungen hierzulande Teile ihrer Überschüsse und Gewinne den Hochschulen als
Stiftungskapital zur Verfügung stellen können.
Die Stiftung nutzt diese Chance und setzt über
die bislang gewährte „Startförderung“ einer
Lichtenberg-Professur hinaus einen klaren
Anreiz: Verläuft die Zwischenevaluation nach
Hintergrund
vier Jahren erfolgreich, können zusätzlich bis zu
eine Million Euro als Stiftungskapital fließen.
Voraussetzung ist, dass die jeweilige Hochschule selbst mindestens drei Millionen Euro aus der
Zivilgesellschaft einwirbt.
Die Stiftung stellt damit sicher, dass sich die
jeweilige Professur in ihrem Kernbereich aus
den Erträgen des angesammelten Stiftungskapitals finanzieren lässt. Die stiftungsgeförderten
Lichtenberg-Professuren, auf deren Reputation
hier aufgebaut wird, sollen so dauerhaft finanzierbar werden – und bleiben damit nicht wie
bisher auf fünf bis maximal acht Jahre begrenzt.
Nähere Informationen unter www.volkswagenstiftung.de/fileadmin/downloads/merkblaetter/
MB_79_d.pdf.
cj
Impulse 02_2014 33
Wissen weitergeben: Das ist dem noch jungen, mit seiner
Lichtenberg-Professur aber schon sehr erfolgreichen Forscher
wichtig. An der Universität Mainz bietet er einige Seminare an.
essanterweise ganz andere „Risiken“ in den Blick
– um es gleich zu sagen: vermeintliche Risiken. So
besteht die Furcht, ob bei unseren Experimenten
im LHC kleine schwarze Löcher entstehen, und
ob wir – wie in dem Buch „Illuminati“ von Dan
Brown – Antimateriebomben im Collider bauen.
Beides ist Unsinn. In diesem Sinne, dass aus den
Experimenten etwas Gefährliches erwächst, ist
meine Forschung vollkommen risikolos.
Dann frage ich Sie: Weshalb halten Sie es für
sinnvoll, so viel Geld – wir sprechen beispielsweise
beim LHC von etwa drei Milliarden Euro – für Forschung auszugeben, bei der man weder weiß, ob
sie tatsächlich neue Erkenntnisse liefert, noch ob
diese Ergebnisse je von Nutzen sein werden?
– würden die Teilchenphysik einen großen Schritt
voranbringen. Diese Kombination aus Einzigartigkeit und Chance auf wissenschaftliche Nachhaltigkeit, das ist für mich der Kernaspekt, den
ich auch Geldgebern zu vermitteln versuche. Und
vielleicht war es eben das, was die VolkswagenStiftung überzeugt hat.
Müssen Sie das Risiko, das Ihre Forschung birgt,
manchmal vor Ihren Mitmenschen rechtfertigen?
Sie arbeiten letztlich mit Steuergeldern – beziehungsweise mit Mitteln, die einem anderen Projekt dann eben nicht zur Verfügung stehen.
Am CERN – in Mainz bin ich noch nicht lange
genug, um solche Erfahrungen gesammelt zu
haben – haben wir viel Öffentlichkeitsarbeit
gemacht und oft den Kontakt zu Nichtwissenschaftlern gesucht. Die beiden häufigsten Fragen,
die bislang nach Vorstellung meiner Arbeit immer
wieder an mich gerichtet wurden, rücken inter-
34
Es gibt immer Leute, die grundlegende Zusammenhänge verstehen wollen. Die Tatsache,
dass die Erde um die Sonne kreist, hat keinen
Einfluss auf irgendjemanden auf diesem Planeten, das ist für unser Leben vollkommen
irrelevant. Trotzdem würde ich sagen, dass es
eine unglaublich wertvolle kulturelle Leistung
ist, herausgefunden zu haben, dass die Erde
nicht das Zentrum des Kosmos ist. Und auf
einer vergleichbaren Ebene bewegt sich unsere
Forschung. Wir versuchen eben nicht weniger,
als das Universum, in dem wir leben, in seinen
Grundfesten zu verstehen. Das Problem ist, dass
ich das jemandem, der das nicht fühlt, leider nur
schwer vermitteln kann. Es gibt Menschen, die
schauen sich die Sterne an, und dann fragen sie
einfach nach ihrem Platz im Universum – und es
gibt Menschen, die tun das nicht.
Sind Sie über den Blick in die Sterne zur Teilchenphysik gekommen?
Irgendwie schon. Ich hatte schon immer das
Bedürfnis, darüber alles wissen und die großen
Zusammenhänge verstehen zu wollen. Und in der
11. Klasse hing vor unserem Physikraum ein Plakat
vom CERN. Das habe ich gesehen, gelesen – und
ich wusste: Das will ich machen, da will ich hin,
dort ist meine Zukunft.
Das hat ja auch funktioniert. Aus dem kleinen
Jungen, der mit großen Augen auf die Maschine
blickt, ist ein gestandener Wissenschaftler geworden, der mit der Maschine umzugehen weiß, der
seine Karriere meistert und dem es gelingt, mit
etwas so Speziellem seinen Lebensunterhalt zu
bestreiten. Hatten Sie eigentlich zu keinem Zeitpunkt Angst vor der eigenen Courage?
Nein. Neben der risikobehafteten Forschung
betreibe ich auch noch das klassische Brot-undButter-Geschäft. Selbst wenn meine Forschung
keine neuen Erkenntnisse über das Higgs-Teilchen
liefert, werde ich am Ende Detektoren entwickelt
haben, die einmalig und einzigartig sind. Es gibt
weltweit nur eine Handvoll Institute, die ebenfalls
daran arbeiten. Diese Detektoren könnten zum
Beispiel das Potenzial für medizinische Anwendungen haben, indem sie sehr effizient Röntgenstrahlen auf großen Flächen nachweisen. Damit
lassen sich – unter Umständen – äußerst kostengünstige Röntgengeräte bauen. Wir haben zwar
derzeit keine Anwendungen im Fokus unserer
entsprechenden Projekte, aber das schmälert nicht
den Reiz an dieser Grundlagenforschung. Der
liegt auch hier einfach darin, Neues zu entdecken.
Diese Offenheit führt dann dazu, dass letztlich
durchaus Nebenprodukte entstehen können – so
hoffentlich eine neue Generation Röntgengeräte
für industrielle Anwendungen.
Das Risiko als Chance für Innovationen? Sollte es
mehr solcher Projekte und mehr Förderung dafür
geben?
Wenn Risiko hier im Sinne eines Plädoyers für
gefährliche Forschung gemeint ist oder für Forschung, die neuen Gefahren Tür und Tor öffnet:
nein. Dabei ist noch nie etwas Gutes herausgekommen. Aber wenn es um das Risiko geht, nach
getaner Arbeit ohne das angestrebte Ergebnis
dazustehen: ja. Ein Ergebnis bekommt man
schließlich immer – denn auch wenn etwas nicht
funktioniert, ist es gut zu wissen, dass es nicht
funktioniert. Das ist ebenfalls ein wichtiges, ein
wertvolles Ergebnis.
Herr Schott, ich danke Ihnen für das Gespräch.
„Ich hatte schon immer das
Bedürfnis, alles über die Sterne und das Universum wissen
und die großen, grundlegenden Zusammenhänge verstehen zu wollen“, sagt Schott,
hier bei seiner morgendlichen
Fahrt in die Uni. Angst vor
der eigenen Courage habe er
eigentlich nicht, auch wenn
er wisse, dass er mit seiner
Forschung scheitern könne.
Impulse 02_2014 35
Hier dreht sich alles um Physik – genauer: darum, sie der
interessierten Öffentlichkeit
näherzubringen. Blick auf den
beeindruckenden „Globe of Science and Innovation“, das Besu-
Und hier dreht sich dann alles
cherzentrum des Europäischen
nur noch um die reine Physik:
Teilchenforschungszentrums
CERN nahe Genf in der Schweiz.
Blick in den Large Hadron
Collider. Der LHC als größter Teilchenbeschleuniger der Welt ist
das Herz der 27 Kilometer langen
Anlage; er verläuft in rund 100
Metern Tiefe. Forscherinnen und
Forscher aus aller Welt, die etwas
über den Aufbau der Materie
wissen wollen, schätzen die
einzigartigen Möglichkeiten, die
dieser Ort ihnen bietet.
Der Large Hadron Collider (LHC) am CERN in Genf
Wer das Europäische Teilchenforschungszentrum
CERN in der Nähe von Genf betritt, merkt schnell,
dass sich hier alles um Physik dreht. Überall trifft
man auf Nobelpreisträger und bekannte Naturwissenschaftler. Die Forscher am CERN beschäftigen sich mit Teilchen, die ihnen etwas über den
Aufbau der Materie verraten. Um die Geheimnisse
des Mikrokosmos zu entschlüsseln, nutzen sie den
größten Teilchenbeschleuniger der Welt: den LHC
(Large Hadron Collider). Er verläuft in einer Tiefe
von etwa 100 Metern im Grenzgebiet zwischen
Frankreich und der Schweiz;. 27 Kilometer Länge
misst die riesige Röhre.
Die „Aufgabe“ des LHC: mehr über die Bausteine
der Materie und die Vergangenheit unseres Universums herauszufinden. Dafür lassen die Wissenschaftler in dem Ring zwei Teilchenstrahlen
nahezu mit Lichtgeschwindigkeit kreisen und an
vier Stellen aufeinanderprallen – und zwar mit
einer derart hohen Energie, wie sie kein anderer
Beschleuniger erreicht. An den Stellen, an denen
es kracht, entstehen Zustände wie kurz nach dem
Urknall; auf allerkleinstem Raum wird es um ein
Vielfaches heißer als im Inneren der Sonne. Detektoren zeichnen auf, was passiert.
36
Seit 2009 ist der LHC in Betrieb. Mitte 2012 konnten
die Wissenschaftler ihren bis jetzt größten Erfolg
vermelden: die Entdeckung eines Higgs-ähnlichen
Teilchens. Dass es sich um das lang gesuchte Teilchen handelt, das erklären soll, wie andere Teilchen zu ihrer Masse kommen, kann inzwischen
als gesichert gelten. Doch um welches genau, das
steht noch nicht fest: um das vom Standardmodell
vorhergesagte oder womöglich sogar um eines von
mehreren Higgs', die gemäß einer anderen Theorie,
der Supersymmetrie, existieren. Um diese Frage zu
beantworten, sind noch mehr und präzisere Auswertungen notwendig. Diese erfolgen fortlaufend,
wurden doch bis Ende 2013 reichlich Daten am
LHC gesammelt mit dem Ziel, das neu entdeckte
Higgs-Teilchen mehr im Detail kennenzulernen, zu
vermessen – und um zu schauen, ob es wirklich die
in den 1960er-Jahren von Peter Higgs prognostizierten Eigenschaften hat.
Anfang 2014 wurde der Riesenbeschleuniger abgeschaltet; zurzeit wird er gewartet. Etwa zwei Jahre
haben Forscher und Techniker nun Zeit, an dem
Tunnel und den großen Detektoren zu bauen, um
dessen Leistung zu verbessern. Etwa Anfang 2016
soll er dann wieder anlaufen und eine deutlich
höhere Kollisionsenergie ermöglichen. Mit einer
Höchstleistung von 14 Tera-Elektronenvolt kann
der LHC künftig betrieben werden: Mehr als 11.200
Mal pro Sekunde rasen die Protonen dann durch
den Beschleunigerring. Das gibt der Wissenschaft
die Chance, ganz neue Teilchen zu finden. Teilchen,
die es vielleicht im Standardmodell gar nicht gibt –
etwa die Dunkle Materie.
Auf der Suche nach noch mehr Teilchen – und:
einer neuen Theorie
Physiker liebäugeln derzeit mit einer Theorie
namens Supersymmetrie. Diese geht über das
Standardmodell hinaus, kann also mehr erklären.
Sie setzt jedoch voraus, dass es noch ein ganzes
Bündel weiterer Teilchen gibt, die alle ziemlich
schwer sein müssten. Eines von ihnen könnte
der Grundbestandteil jener rätselhaften Dunklen Materie sein, die 80 Prozent der Materie des
Universums ausmachen soll und die hilft, die
Bewegung von Galaxien zu beschreiben. Ein
entsprechender Nachweis wäre eine noch weit
größere Sensation als die Entdeckung des HiggsTeilchens.
Die Pläne für den Large Hadron Collider reichen
aber noch weiter. Um 2020 soll er noch ein weiteres Mal massiv umgebaut werden mit dem Ziel,
etwa fünf- bis zehnmal mehr Teilchen kollidieren
lassen zu können. Dann würde man entsprechend
fünf- bis zehnmal mehr Messdaten sammeln, und
das wiederum steigert die Chance, neue Phänomene zu entdecken.
Darüber hinaus gibt es Pläne, einen ganz neuen Teilchenbeschleuniger zu bauen, mit dem
sich das Higgs-Boson weit genauer als derzeit
möglich analysieren ließe. Der LHC feuert Wasserstoffkerne aufeinander – eine relativ unsaubere Methode, um Teilchen zu erzeugen und
vor allem, sie dann zu studieren. Viel präziser
wäre es, Elektronen und ihre Antiteilchen, die
Positronen, kollidieren zu lassen. Die dazu erforderliche neue Maschine wäre dann kein Ring
mehr, wie der LHC, sondern eine schnurgerade
Anlage – geschätzt mindestens 20 Kilometer
lang, womöglich noch länger. Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Kosten von derzeit
prognostiziert mindestens fünf Milliarden Euro
soll aktuell einzig Japan Interesse am Bau solch
einer Anlage zeigen.
C
hristian Jung
Impulse 02_2014 37
Die Perspektiven
des „Arabischen
Frühlings“
Es beginnt mit einzelnen Protesten
und wird zum Lauffeuer. Anfang
2011 blickt die Welt wie gebannt
auf die Ereignisse im arabischen
Raum, wo mit unbändiger Wucht
die Rufe nach mehr Freiheit und
Demokratie laut werden. Für
unabhängige Wissenschaft und
Forschung in solch einer Region
braucht es vor allem eines – Mut!
Sana‘a, Jemen, in den ersten Wochen des Jahres 2011: Auf dem Platz
vor der Universität sind Demonstranten aus allen Regionen des Landes zusammengekommen. Sie bleiben vier Monate, beten gemeinsam, teilen Mahlzeiten und debattieren die Zukunft ihres Landes.
38
Impulse 02_2014 39
Seit 2011 zeigt sich vor allem die westliche Welt überrascht von den Umbrüchen in Nordafrika und im Nahen Osten. Niemand hatte für möglich gehalten, dass zivilgesellschaftliche Prozesse dort derart schnell und dynamisch
an Fahrt gewinnen könnten. Die VolkswagenStiftung hat seinerzeit umgehend eine die Situation aufgreifende Ausschreibung zu den „Transformationsprozessen in der arabischen Welt“ auf den Weg gebracht. Die Forscherinnen und Forscher der fünf im Jahr 2012 ausgewählten, mit 1,1 Millionen
Euro geförderten Kooperationsvorhaben zeigen, dass es für Wissenschaft
nicht nur kluge Köpfe braucht, sondern oft auch eine gehörige Portion
Risikobereitschaft, Unerschrockenheit oder ganz einfach – Leidenschaft.
Oliver Schlumberger beginnt mit einem Eingeständnis: Er selbst, sagt der Nahost-Experte von
der Universität Tübingen, habe noch im Jahr 2010
die Proteste nicht vorhergesehen, die schon bald
darauf im arabischen Raum aufflammen sollten,
und niemand hätte angenommen, dass es zuerst
in Tunesien passieren würde. Aber dass die
Bevölkerung sich irgendwann erheben würde,
das immerhin habe man kommen sehen müssen.
University in Kairo, Ägypten, und Dr. Saloua Zerhouni von der Université Mohammed V in Rabat,
Marokko. In jedem Team sind zudem Doktoranden
eingebunden – in Tübingen beispielsweise die
Nachwuchswissenschaftlerin Kressen Thyen.
Nach den Aufständen sollte dann vieles nicht
mehr so sein wie zuvor. In so manchem Land in
der Region waren die Menschen auf die Straße
gegangen, um gegen die Strukturen in ihren Ländern zu protestieren. Viele riskierten ihr Leben,
einige verloren es. Im Nachhinein dürfe niemand
über die Zuspitzung der Situation in der arabischen Welt überrascht sein, meint der Politikwissenschaftler. Es handele sich schließlich um
die „weltweit dauerhaft am unfreisten regierte
Region“. Er selbst hat ausgerechnet, dass sich die
Herrschaftsjahre der Potentaten von Nordafrika
bis zum Golf auf mehr als 400 Jahre kumulieren
– „ein wahrhaft pharaonisches Ausmaß“.
Im Fokus der Forscher: marokkanische und ägyptische Jugendliche im Alter von 16 bis 35 Jahren. In
beiden Ländern gelten die jungen Leute in ihrem
Aufbegehren als Träger der Proteste. „Ironischerweise wurden sie in der Forschung bisher völlig
vernachlässigt“, sagt die ägyptische Politologin
Nadine Sika. „Deshalb ist die Studie so wichtig.
Wir wollen verstehen, in welcher Weise sich junge
Leute politisch engagieren und inwieweit sie in
die institutionalisierte Politik involviert sind.“
Das Projekt von Professor Dr. Oliver Schlumberger
vom Institut für Politikwissenschaft, Arbeitsbereich Vorderer Orient und Vergleichende Politikwissenschaft der Universität Tübingen ist eines
der fünf Gemeinschaftsvorhaben, die die Stiftung
im Zuge ihrer Ausschreibung für Begleitforschung
zu den aktuellen Entwicklungen im arabischen
Raum fördert. Kooperationspartner sind die Professorinnen Dr. Nadine Sika von der American
40
Die mutige Jugend Arabiens: das Beispiel Marokko
und Ägypten
Die sozialen Profile und politischen Einstellungen der Zielgruppe sowie ihre Haltung zu Parteien und staatlichen Institutionen ergründen die
Forscher anhand von Fragebogen und Tiefeninterviews. Für die deutsche Seite war dabei nicht
zuletzt von Interesse, wie die Rolle westlicher
Geberinstitutionen eingeschätzt wird. Gerade
nach den Vorfällen in Ägypten um im Land aktive
Organisationen wie beispielsweise die Konrad
Adenauer Stiftung wollten die Wissenschaftler
herausfinden, wie junge Leute das Engagement
solcher und vergleichbarer Institutionen in ihren
Ländern wahrnehmen und bewerten.
Inmitten der gesellschaftspolitischen Umbruchsituation in Ägypten und Marokko unterlag die Forschung besonderen Bedingungen. Eine entscheidende Frage war, welche Art der Datenerhebung
sich überhaupt vor Ort umsetzen lässt. Zum Teil
erzwangen die politischen Rahmenbedingungen
Abstriche an der ursprünglich geplanten Methode. So musste etwa in Ägypten die quantitative
Komponente des Projekts, also die Erhebung mittels Fragebogen, auf die Universität in Kairo und
drei weitere Hochschulen beschränkt werden.
Dabei hatten die Wissenschaftler noch Glück,
denn ein Gesetz, das von ausländischem Geld
geförderte Erhebungen mittels Fragebogen an
staatlichen Universitäten des Landes verbietet,
wurde glücklicherweise erst kurz nach Abschluss
der Umfrage vor Ort erlassen. „Wir arbeiten in
Ländern, in denen Rechtstaatlichkeit nicht garantiert und der Wert unabhängiger Forschung nur
selten anerkannt ist“, sagt Oliver Schlumberger.
„Wir fokussieren ein sich bewegendes Ziel, da
sich die Länder mitten in einem Transformationsprozess befinden. Der Forschungsverlauf ist
in solch einem Umfeld nicht immer planbar.“
Trotz der methodischen Herausforderungen verlief das Projekt „Arab Youth: From Engagement
to Inclusion?“ bislang ausgesprochen erfolgreich.
So konnten die Wissenschaftler das selbstgesteckte Ziel von 300 Befragungen pro Land weit
übertreffen. Knapp tausend waren es am Ende
in Marokko, 660 in Ägypten. Im Oktober 2013
präsentierte das Team Zwischenergebnisse bei
der Middle East Studies Association of North
America (MESA), der weltweit wichtigsten
wissenschaftlichen Tagung zu Nahost- und
Mittelost-Forschung. „Das Projekt erfährt inzwischen erhebliche Aufmerksamkeit und positive
Resonanz“, fasst Schlumberger zusammen. So
Die Forschungspartnerinnen und -partner aus Marokko
und Ägypten werden von ihren deutschen Kollegen
zum ersten Projektworkshop erwartet: Professor Oliver
Schlumberger (oben in der Bibliothek des Instituts für
Politikwissenschaft der Universität Tübingen) und die Projektmitarbeiterinnen Kressen Thyen (links) und Stephanie
Wagner (rechts) bei der Detailplanung des Besuchs.
Impulse 02_2014 41
Marie-Christine Heinze
und Professor Stephan
Conermann sorgen sich
um den Jemen, der seit
Anfang 2011 nicht zur
Ruhe kommt. Täglich
haben sie von ihren
Büros in Bonn aus aber
durchaus auch aufmunternden Kontakt zu
ihren Projektpartnern.
Marie-Christine Heinze
hat mehrfach hautnah
im Jemen erfahren, was
Forschen in riskantem
„Umfeld“ bedeutet.
gebe es Interesse renommierter Verlage an der
Veröffentlichung einer Monografie und – bereits
konkreter – das Angebot der Herausgeber der
Fachzeitschrift „Journal of North African Studies“,
ein Sonderheft oder eine „special section“ den
Projektergebnissen der Gruppe zu widmen.
„Das Tübinger Vorhaben steht auch beispielhaft
für die Intention der Stiftung, im Zuge der Ausschreibung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deutscher Hochschulen zu animieren,
gemeinsam mit Partnern in der Zielregion die
politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Perspektiven der Ereignisse zu untersuchen“, sagt Dr. Anika Haverig, die bei der Stiftung
die geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen
Vorhaben der Afrika-Initiative betreut. „Selten
bietet sich zudem für die Wissenschaft eine solche Gelegenheit, entsprechende Entwicklungen
begleitend zu erforschen; noch seltener, dies auf
Augenhöhe mit Partnern vor Ort zu tun.“
Zwei Jahre nach Beginn der fünf Projekte kann
ohne Zweifel das Ziel als eingelöst gelten, Wissenschaftler aus Deutschland und dem arabischen
Raum stärker zu vernetzen. Die Voraussetzungen
dafür waren auch gut: Schon gleich zum Start
ihrer Projekte, im Februar 2012, hatte die VolkswagenStiftung die insgesamt rund hundert beteiligten Forscherinnen und Forscher nach Leipzig zu
einer Auftaktkonferenz eingeladen. Und schon
damals ging es darum, Möglichkeiten des weiteren Engagements der Stiftung für die geistes- und
gesellschaftswissenschaftliche Forschung in Nordafrika und im arabischen Raum zu diskutieren.
„Als Stiftung, die sich als Impulsgeberin für die
Wissenschaft versteht, wollten wir die Konferenz
auch dazu nutzen, eine größere Ausschreibung
für multilaterale Forschungsprojekte bestmög-
42
lich vorzubereiten“, sagt Dr. Almut Steinbach.
Die Leiterin des Förderbereichs „Internationales“
bei der VolkswagenStiftung verdeutlicht, welch
große Chancen sich für beide Seiten, Deutschland
wie die Region Nordafrika und Arabien, mit dem
Angebot aufgetan haben. Wie man solche Chancen nutzen kann, zeigt ein weiteres der fünf Vorhaben der Pilotphase; es richtet den Blick auf den
Arabischen Frühling in einem anderen Teil der
Region: „Framing the Revolution in Yemen“.
Der Jemen: Risikoland für die Stabilität einer
ganzen Region?
Gerade bei Projekten, die in geografisch riskantem Umfeld platziert sind, ist es für die Wissenschaftler wichtig, eine Struktur im Hintergrund
zu wissen, die ihre „Risikokalkulation“ mitträgt.
Dies war von großer Bedeutung für das Team
des Gemeinschaftsvorhabens im Jemen – einem
Land, das manchem inzwischen als Risikoherd
für die Stabilität einer ganzen Region gilt. „Der
Jemen steht am Scheideweg“, sagt Projektmitarbeiterin Marie-Christine Heinze. Falls es nicht
gelinge, das überaus komplexe Gleichgewicht
der verschiedenen Interessengruppen neu auszuhandeln, drohe ein Bürgerkrieg. „Die Leute
warten seit Jahren auf Veränderungen, aber sie
sehen keine.“ Stattdessen gibt es eine wirklich
dramatische humanitäre Krise: Die Arbeitslosigkeit nimmt zu, ein großer Teil der Bevölkerung
hungert. Ansatzpunkte genug also, um die ausufernde Gewalt im Lande zu erklären.
Forscht man in diesem Land, gehören Wohnungswechsel, täglich variierende Schleichwege und
ständig drohende Überfälle oder gar Entführungen zum Alltag. Seit September 2012 arbeiten
Marie-Christine Heinze und Professor Dr. Stephan Conermann von der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn gemeinsam mit
ihrem jemenitischen Partner, dem unabhängigen
Meinungsforschungsinstitut Yemen Polling Center, zu den aktuellen politischen Entwicklungen
im Land. Dort ringen seit dem Auftakt der Proteste im Januar 2011 verschiedene politische Kräfte
um entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung
der Zukunft im Land. Beteiligt sind Anhänger
und Gegner des Ex-Präsidenten, die Sunniten
und Repräsentanten der schiitischen Huthis,
Muslimbrüder, Salafis und westlich orientierte
Intellektuelle. Es mischen sich Gruppen ein aus
dem gebirgigen Norden, wo die Regierung kaum
Macht hat, aus dem ehemals sozialistischen
Süden, der sich seit der Wiedervereinigung vor
23 Jahren dauerhaft benachteiligt fühlt, aus dem
von Wüsten gezeichneten Osten – dort liegen die
wichtigen Ölquellen.
Im Zentrum der Untersuchung steht die umfangreiche Dokumentation der Aktivitäten auf
dem Change Square, dem Platz des Wandels –
zentraler Ort der Proteste in Jemens Hauptstadt
Sana’a. Ziel ist es, eine weltweit zugängliche
Plattform zu schaffen, die belastbare Daten über
die politischen Prozesse bereithält. Die Website
Stiftungsengagement für den arabischen Raum
Die im Jahr 2012 vorgelegte Ausschreibung
„Staat, Gesellschaft und Wirtschaft im Wandel
– Multilateral-kooperative Forschungsvorhaben
im arabischen Raum“ zielt auf die Erforschung
der zivilgesellschaftlichen Transformationsprozesse in der Region. Darüber hinaus sollen sich
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus
Deutschland und dem arabischen Raum sowie
Forschungspartner innerhalb Arabiens untereinander stärker vernetzen; zudem soll der akademische Nachwuchs vor Ort durch die geförderten
Projekte wissenschaftlich ausgebildet werden und
auch übergreifend davon profitieren.
Seitdem unterstützt die VolkswagenStiftung fünf
Kooperationsprojekte deutscher mit arabischen
Wissenschaftlern – sie sind in den Beiträgen vorgestellt. Als Reaktion auf die anhaltenden Umbrüche in der arabischen Welt entschloss sich die
Stiftung umgehend, ihr Engagement in der und
für die Region auszuweiten. Entsprechend legte
sie im Jahr 2013 eine zweite Ausschreibung auf,
mit der sie Forscher aus dem Bereich der Gesellschaftswissenschaften, insbesondere den Sozialund Politikwissenschaften sowie der Geografie
Hintergrund
adressierte. Sie können sowohl die aktuellen
Transformationsprozesse in der arabischen Welt
untersuchen als auch die derzeitigen Umbrüche
mit (früheren) Transformationsprozessen in anderen Regionen der Welt vergleichend betrachten.
Neben dem deutschen Partner einer hiesigen
Forschungsinstitution sollten Wissenschaftler aus
mindestens zwei arabischen Ländern beteiligt
sein, um auch die Vernetzung in der Region
bestmöglich zu fördern. Im Frühsommer 2014
wurde über die Projektvorschläge entschieden:
Drei Vorhaben, gefördert mit insgesamt rund
1,18 Millionen Euro, sind seitdem neu am Start. cj
Ohne ihre Netzwerke im
Jemen und ihren Mut
wäre das Projekt nicht
durchführbar, sagen
deutsche wie arabische
Wissenschaftler über
ihre Bonner Kollegin.
Impulse 02_2014 43
„Voices of Change in Yemen. A History of the
Present“ soll alles Relevante bündeln: O-Töne,
Zeitungsartikel, politische Pamphlete, Fotos
und Videos von Demonstrationen oder politischen Theaterstücken – also letztlich all jene
Ausdrucksformen, derer sich die verschiedenen
Akteure im Jemen, seien es etablierte Parteien
oder Jugendgruppen, bedienen. „Die soziale
Ordnung im Land ist in einem Aushandlungsprozess, dessen Ergebnis nicht abzusehen ist“, sagt
Stephan Conermann, Professor für Islamwissenschaften am Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Universität Bonn. „Um wirklich
zu verstehen, was vor Ort vor sich geht, setzen
wir auf der Mikroebene an und beobachten, wie
die einzelnen Kräfte interagieren.“
Der Jemen ist für MarieChristine Heinze nicht
nur bloßes Forschungsthema. Überall in ihrem
Büro zeugen Geschenke
oder Mitbringsel von
Aufenthalten in der
Region – ob kunstvoll
gestaltete Krummdolche oder wertvolle
Stoffe, Fachbücher, verschiedene Medien und
andere Preziosen mehr.
Für die Umsetzung des Projekts ist auf jemenitischer Seite der Nachwuchswissenschaftler
Abdulsallam Alrubaidi mit der Redaktion der
Website betraut. Er ist Mitarbeiter am Yemen
Polling Center und Doktorand am Institut für
Arabische Literatur der Universität Sana’a. Die
elektronische Plattform soll all jenen, die aus
Sicherheitsgründen nicht selbst in das Land reisen können, einen Zugang verschaffen zu möglichst authentischem Material; sie bildet damit
die Basis für eine wissenschaftliche Analyse der
Ereignisse im Jemen. „Die Website repräsentiert
sowohl die Starken als auch die Schwachen“, sagt
Abdulsallam Alrubaidi. „Sie bietet Forscherinnen
und Forschern einen objektiven Zugang zu den
Stimmen verschiedener Akteure im Land.“
Seit Beginn des Projektes hat er bereits mehrere
Rückmeldungen von Wissenschaftlern aus aller
Welt erhalten, die die Quellen auf der Website
für ihre Arbeiten nutzen konnten. Im Juni 2013
gelang es dem Team darüber hinaus, jemenitische Wissenschaftler verschiedener Fachbereiche
zu einem Workshop zu versammeln. Das Treffen
war die erste interdisziplinäre Veranstaltung im
Jemen, bei der die politische Lage aus wissenschaftlicher Perspektive analysiert wurde. Aus
den Beiträgen soll ein Sammelband auf Arabisch
entstehen, der nicht zuletzt den beteiligten jungen jemenitischen Wissenschaftlern ein Forum
bietet, auf akademischem Niveau zu publizieren.
Ein Projekt wie Framing the Revolution in Yemen,
das unter solch riskanten Bedingungen in der
Region umgesetzt wird, hat nur dann eine Chance
auf gutes Gelingen, wenn die Strukturen innerhalb
des Projekts stimmen. Marie-Christine Heinze, die
häufig im Jemen unterwegs ist, hat bereits für ihre
Doktorarbeit in diesem Land geforscht. Seitdem
ist sie mit den lokalen Gegebenheiten vor Ort vertraut. Auch wenn sie zwischendurch immer mal
wieder in Deutschland ist, bleibt die Forscherin in
Kontakt mit Freunden und Bekannten im Jemen
und analysiert das Geschehen genau. Im ständigen
Austausch mit ihren Partnern vom Yemen Polling
Center verfolgt sie, wie Gegenwart zu Geschichte
wird. Bereits in früheren Kooperationen hatte sich
das Polling Center als zuverlässiger Partner erwiesen – einer, mit dem es vertrauensvoll möglich ist,
wissenschaftlich unabhängig zu arbeiten.
Mehrere jemenitische Kleider
zieren die Wände des Büros
der engagierten Wissenschaftlerin. Innerhalb Deutschlands
bedeutend sind die Bestände
an Fachliteratur zu den Islamwissenschaften, die die Bonner
Universitätsbibliothek vorhält –
ein Ort, an dem Marie-Christine
Heinze sich gern aufhält.
Unabdingbar ist der jemenitische Partner auch,
wenn es darum geht, Daten außerhalb Sana’as zu
erheben. Trotz der guten Vernetzung sind Reisen
ins Landesinnere für die Partner aus dem Westen
und selbst für eine so erfahrene Forscherin wie
Marie-Christine Heinze unmöglich. Entführungen
und das Erpressen von Lösegeld sind seit Jahren
ein lukratives Geschäft. „Die eigene Sicherheit hat
jedoch viel damit zu tun, wie man sich vor Ort
bewegt“, sagt sie. „Man muss unvorhersehbar
bleiben, für die alltäglichen Wege neue Strecken
gehen und vertrauenswürdige Taxifahrer kennen.“ Auch ihre Unterkunft hat die engagierte,
mutige Forscherin aus Sicherheitsgründen mehrfach wechseln müssen: zuletzt aus einer wohlhabenden Wohngegend mitten hinein in die engen
Gassen von Sana’as Altstadt; dorthin, wo die
Straßen zu eng sind für die Autos der Kidnapper.
Trotz der Risiken sah das Team letzlich aber keinen
Grund, die geplante Feldforschung nicht umzusetzen. „Ohne die Netzwerke von Marie-Christine
Heinze und die etablierte Position des Yemen
Polling Center wäre das Projekt allerdings nicht
möglich gewesen“, sagt Stephan Conermann und
betont, dass die Sicherheit der Mitarbeiter bei der
Planung stets an oberster Stelle gestanden habe.
44
„Wir haben die Risiken, im Jemen zu arbeiten, sehr
ernst genommen. Entscheidend war dann aber,
wie gut die Netzwerke vor Ort funktionieren.“
Auch müsse man sich darüber im Klaren sein, dass
eine Veränderung der lokalen Gegebenheiten und
Bedingungen immer auch das Aus der Forschung
bedeuten könne. „Es ist deshalb wichtig, eine
Förderinstitution hinter sich zu wissen, die die
Relevanz des Ganzen erkennt und mit den Wissenschaftlern gemeinsam bereit ist, das Wagnis
einzugehen“, sagt Stephan Conermann.
Vor allem die internationalen Partner schätzen den
Mut der deutschen Kollegen und ihrer Geldgeber.
„Es geht bei unserem Vorhaben darum, gemeinsam
etwas zu erreichen“, sagt Abdulsallam Alrubaidi
vom Yemen Polling Center. „Ich bin davon überzeugt,
dass das, was wir tun, im Interesse meines Volkes
ist. Und im Interesse der Wissenschaft.“ Überzeugt
ist davon auch die Stiftung; sie setzt ihr Engagement
für die Region fort. Mit der Ausschreibung „Staat,
Gesellschaft und Wirtschaft im Wandel“ (siehe
Kasten auf Seite 43) hat sie 2013 der Wissenschaft
hier wie dort ein zweites Angebot für multilaterale
Forschung im arabischen Raum unterbreitet.
Melanie Gärtner (Text) // Daniel Pilar (Fotos)
Impulse 02_2014 45
Mit dem Auftakt der Proteste
im Januar 2011 ringen im
Jemen verschiedene politische
Die Zeitenwende nimmt ihren
Anfang in einer Zeltstadt, die
Studierende vor der Universität
Kräfte darum, die Zukunft
in Sana‘a errichten. Doch Jemens
des Landes in ihrem Sinne
Regierung geht schon bald brutal
zu gestalten. Unüberhörbar
gegen oppositionelle Kräfte vor.
erschallten vom „Platz des
Bei einem Massaker an Demon-
Wandels“ schon bald Rufe
stranten sterben Mitte März 2011
nach dem Sturz des Regimes.
in Sana‘a über fünfzig Menschen.
Mit der Hoffnung auf Reformen – die drei weiteren Projekte
Im Namen der Freiheit haben die Menschen in
Tunesien, Ägypten und Libyen ihre Herrscher
abgeschüttelt, in Syrien kommt es unvermindert
zu Tumulten, und in einigen anderen arabischen
Staaten wächst ebenfalls der Druck auf die autoritären Regime. Wie wird sich die Lage in den
Ländern der Region weiter entwickeln? Die Bürger
lehnen sich auf gegen politische Willkür, militärische Übergriffe, Menschenrechtsverletzungen,
Korruption, hohe Arbeitslosigkeit, ein marodes Bildungssystem und steigende Nahrungsmittelpreise. Steht die arabische Welt am Scheideweg? Drei
weitere von der Stiftung in der ersten Ausschreibung zu den Demokratisierungsprozessen im
arabischen Raum geförderte Projekte adressieren
diese Frage in jeweils spezifischer Ausrichtung.
Bevölkerung auf den Barrikaden: die Situation in
Syrien und Bahrain
Es beginnt als friedlicher Protest: Ab März 2011
gehen in Syrien Menschen für politische Reformen auf die Straßen. Anfangs sind es nicht viele,
doch durch das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte und mehrere hundert Tote wächst die
Protestbewegung rasant. Gleichzeitig beginnen
Soldaten der regulären Armee zu desertieren und
gegen das Assad-Regime zu kämpfen. Ende Juli
2011 wird die Rebellenarmee FSA (Freie Syrische
Armee) gegründet. Die anfangs noch recht klaren
Bürgerkriegsfronten zersplittern zusehends. Syrische Kurden und Al-Kaida-nahe Dschihadisten
kämpfen für eigene Interessen – teilweise gegen
die Rebellen der FSA. Ein Jahr nach Beginn der Proteste, im Februar 2012, zählen die Vereinten Nationen 5000 Bürgerkriegstote, ein Jahr später 55.000,
46
Ende 2013 weit über 100.000 Menschen. Mindestens viereinhalb Millionen Menschen sollen
Anfang 2014 innerhalb Syriens auf der Flucht sein,
rund drei Millionen haben das Land verlassen.
Mitte 2012 startete ein Vorhaben, dessen Interesse
der Macht(ver)teilung in den multiethnischen
Gesellschaften des Nahen Ostens gilt: insbesondere in Bahrain und eben – in Syrien. Dafür interessiert sich eine Forschergruppe um Professor Dr.
Henner Fürtig vom GIGA Institut für NahostStudien in Hamburg. In Bahrain und Syrien beeinflussen ethnische und konfessionelle Gegensätze
die Konflikteskalation zwischen Regime und Opposition. Der schwierigen Lage und dem Bürgerkrieg
hier (Syrien) sowie der drohenden Gefahr einer
Eskalation dort (Bahrain) zum Trotz suchen einige
politische Akteure in beiden Ländern nach Optionen für eine friedliche Transformation. Länder wie
der Irak und der Libanon, deren Bevölkerung in der
Vergangenheit Vergleichbares durchlitten hat, dienen den Forschern als Referenzrahmen – auch im
Hinblick darauf, ob sich von ihnen lernen lässt. Der
Titel des Vorhabens: „Power-sharing in multiethnic
societies of the Middle East. What can Bahrain and
Syria learn from Iraq and Lebanon?”
Die Freiheit der Hochschulen in Ägypten und
im Libanon
Wie ist es um die akademische Freiheit an verschiedenen sozial- und geisteswissenschaftlichen Fakultäten an Universitäten in Ägypten
und im Libanon bestellt? Diese Frage interessiert
eine Forschergruppe um Professor Dr. Stefan
Reichmuth von der Ruhr-Universität Bochum.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
nehmen dabei insbesondere die wechselseitigen
Beziehungen zwischen institutioneller und individueller Autonomie in den Blick und untersuchen,
welche Folgen die derzeitigen politischen und
gesellschaftlichen Umbrüche auf die akademische
Freiheit haben. „Es geht zum Beispiel um die Frage, wie autonom über Forschungsmittel verfügt
werden kann oder wie frei Lehrinhalte und Curricula bestimmbar sind – und letztlich auch darum,
wie frei Forschungsinhalte festgelegt werden können“, erläutert Reichmuth.
Wichtig ist den Projektbeteiligten darüber hinaus,
dass Wissenschaftler aus der arabischen Welt
auf Einladung zum Austausch nach Deutschland
kommen können, fügt der Islamwissenschaftler
hinzu. Dafür könne von Deutschland aus noch
einiges mehr an Unterstützung geleistet werden.
„Viele unserer wissenschaftlichen Partner haben
derzeit große Schwierigkeiten, überhaupt Visa für
Deutschland zu erhalten.“ Der Titel des Vorhabens:
„Local, Regional, and International? Borrowing and
Lending in Social Sciences and Humanities Departments at Egyptian and Lebanese Universities”.
Die Rolle des Militärs in Ägypten, Jordanien, Syrien
und im Sudan
Dr. Elke Grawert vom Bonn International Center
for Conversion und ihre Forschergruppe richten
ihren Fokus auf die Rolle des Militärs in den vier
Ländern Ägypten, Jordanien, Syrien und im Norden Sudans. Alles in allem sollen die Erkenntnisse
Aufschluss geben über die Haltung der jeweiligen
Armee gegenüber den Protestbewegungen. Die
Palette der Positionierung reicht dabei von Unterstützung über Untätigkeit bis hin zu gewaltsamer
Unterdrückung. Für die autoritären Regime stellen
die Armeen in politischer, sozialer wie ökonomischer Hinsicht eine tragende Säule dar. Insbesondere fokussieren die Wissenschaftler in ihrem Projekt
die wirtschaftlichen Interessen, die das Militär in
den Ländern verfolgt. Wer hat in diesem Kontext
welchen Einfluss in Ägypten, Syrien, Jordanien und
im nördlichen Sudan?
„Mit Kooperationspartnern aus den vier Ländern,
die sowohl aus der Friedens- und Konfliktforschung als auch der Ökonomie kommen, nehmen
wir uns besonders die wirtschaftlichen Akteure,
die Wirtschaftseliten und deren Interessen vor
– wie diese sich im laufenden Umbruchprozess
gestalten“, sagt Grawert. Die Neuverteilung von
Geld in der Region sei ohne Zweifel ein grundlegendes Thema für Sozialwissenschaftler. „Wie der
Besitz den Herrn wechselt. Das ist das A und O von
Demokratie. Wohin gehen die Milliarden in den
Ländern? Gibt es Enteignungen, und wie verteilen
sich Besitz und Nicht-Besitz – zum Beispiel im
‚neuen Ägypten‘?“ Das alles definiere die künftige
Struktur in den Ländern entscheidend mit, schreiben die Beteiligten. Solche Forschung könne nur
jetzt gemacht werden; zudem sei sie insbesondere
für die Kooperationspartner aus den arabischen
Ländern nicht ungefährlich, sagt Elke Grawert.
„Noch ist die Freiheit der Forschung in den arabischen Staaten nicht das, was hierzulande darunter
verstanden wird!“ Der Titel des Vorhabens:
„Economic Interests and Actors in Arab Countries
and Their Role during and after the Arab Spring”.
Christian Jung
Impulse 02_2014 47
Erkundung
des Extremen
Sie sind selten, doch wenn
sie auftreten, sind die Auswirkungen zumeist verheerend:
Megakatastrophen richten enorme Schäden an. Interdisziplinäre
Forscherteams entwickeln neue
Methoden, mit denen sich die
Risiken besser abschätzen lassen.
Professor Norbert Hoffmann vom Institut für Wellenphysik der
Technischen Universität Hamburg-Harburg am 15 Meter langen
Wellenkanal der Hochschule. Sein Interesse gilt sogenannten
Kaventsmännern: Er erforscht mit seinem Team, wie es zu solchen
Riesenwellen kommt.
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Impulse 02_2014 49
Heftige Hurrikane, riesige Monsterwellen, zerstörerische Erdbeben – aber
auch ausufernde Algenblüten, Stromausfälle ganzer Städte, Börsencrashs
und epileptische Anfälle: All diese Phänomene sind extreme Abweichungen
von der Norm. In der Regel geschehen sie völlig unvorhergesehen, oft mit
katastrophalen Folgen. Bislang fehlte es vor allem an geeigneten Modellen,
solche Vorkommnisse möglichst genau erfassen zu können – mit dem Ziel,
sie eines Tages verlässlich vorherzusagen. Vor diesem Hintergrund startete
die VolkswagenStiftung Ende 2009 die Ausschreibung „Extremereignisse:
Modellierung, Analyse und Vorhersage“. Acht Forscherteams waren mit
ihren Projektideen erfolgreich. Gut drei Jahre nach dem Start der Vorhaben
zeigen Besuche in ihren Labors: Was mit einem kleinen Wettbewerb der
Stiftung begann, könnte bald schon global von großem Nutzen sein.
Die Materie ist schwer zu fassen: Desaster wie
erschütternde Beben, heftige Vulkanausbrüche
oder Superstürme treten nur selten auf, manchmal nur alle paar Jahrzehnte. Dadurch mangelt
es den Experten an Daten, anhand derer sie sattelfeste statistische Aussagen treffen könnten.
Außerdem laufen die Katastrophen oft nach
komplexen, schwer durchschaubaren Regeln und
Prozessen ab. Zuweilen genügen kleinste Ursachen, um eine enorme Wirkung zu entfalten –
das Prinzip der Chaostheorie.
Trotz dieser Hemmnisse macht die Forschung
Fortschritte. Immer besser gelingt es, jene Formeln und Gesetzmäßigkeiten zu enträtseln, auf
deren Grundlage sich Extremereignisse beschreiben lassen. Welche Regionen sind besonders
erdbebengefährdet, an welchen Küsten drohen
verheerende Tsunamis, wann muss ein Patient
mit einem epileptischen Anfall rechnen? Oft
finden sich zur Beantwortung solcher Fragen
interdisziplinäre Teams zusammen – Mathematiker kooperieren mit Medizinern, Physiker
mit Biologen, Informatiker mit Geoforschern.
Im Zusammenspiel ihrer jeweiligen Expertisen
bilden sich neue Theorien. Und es zeigt sich: Sie
sind extrem hilfreich, Risiken Schritt für Schritt
besser abschätzen zu können. Für manche Szenarien gelingt das inzwischen recht genau, für
andere – noch – weniger.
Den Hamburger Forschern
ist es gelungen, im Labor die
Entstehung der gefürchteten
Monsterwellen nachzubilden.
Damit rückt auch eine bessere
Vorhersage in Reichweite.
Zum Team gehören (von links):
Sönke Neumann, der hier ein
Instrument zum Messen der
Wellenhöhe installiert, Arne
Wenzel, Professor Norbert
Hoffmann, Andy Witt.
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Ein Prüfstand für Hafenkräne, ein Testbecken für Unterwasserroboter, der Wellenkanal: Die große „Mehrzweckhalle“ des Instituts für
Wellenphysik der Technischen Universität Hamburg-Harburg bietet Forschern neueste Technik und viel Platz, ihre Theorien zu überprüfen.
Nehmen wir als Beispiel das Auftreten einer
Monsterwelle, ein ebenso eindrucksvolles wie
beängstigendes extremes Ereignis. Lange Zeit
hielt man solche Riesenbrecher – eine Wand aus
Wasser, zwei- bis dreimal höher als alle Wogen um
sie herum – für pures Seemannsgarn. Dann aber
wurden sie tatsächlich nachgewiesen: Erst registrierten Pegelmesser auf Bohrinseln scheinbar
absurde Ausschläge, dann spürten Radarsatelliten
die maritimen Monster vom All aus auf.
Extremereignis Kaventsmann – ein Besuch
im Hamburger Wellenkanal
„Heute geht man davon aus, dass Jahr für Jahr
zehn schwere Schiffsunfälle durch Riesenwellen
verursacht werden“, sagt Dr. Norbert Hoffmann,
Professor für Strukturdynamik an der Technischen
Universität Hamburg-Harburg sowie am Imperial
College in London. So sank 1978 das Containerschiff München nördlich der Azoren mit 28 Mann
Besatzung, vermutlich getroffen von solch einer
„Freak Wave“. 1984 ging vor Kanada nach Aufprall
eines Kaventsmanns eine Ölplattform unter. 2002
schlug eine haushohe Welle den Tanker Prestige in
Stücke und verursachte eine Ölpest an der spanischen Atlantikküste.
Wie sich Monsterwellen bilden und ob sie sich
überhaupt vorhersagen lassen, untersuchen die
Forscher aus Hamburg gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Universität Oldenburg, der
Australischen Nationaluniversität und der Russischen Akademie der Wissenschaften in dem Projekt „Extreme Ocean Gravity Waves“. Ihr vereintes
ehrgeiziges Ziel ist ein Modell, das die Entstehung
und Ausbreitung der Riesenwellen besser abbildet,
als das bisher möglich ist.
Dafür taugt die herkömmliche, lineare Mathematik nicht. Mit ihr lässt sich zwar normaler Seegang
passabel beschreiben. Bei Kaventsmännern aber
versagt der Ansatz: Deren Zahl würden die derzeit
verfügbaren Modellberechnungen massiv „unterschätzen“, etwa um den Faktor 50, sagen die Wissenschaftler. Deshalb greifen die Forscher zu einem
anderen Werkzeug, der nichtlinearen Mathematik.
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„Lässt man die Strahlen aus zwei Gartenschläuchen aufeinandertreffen, spritzt das Wasser in alle
Richtungen davon“, erläutert Projektkoordinator
Hoffmann. „Im Unterschied zu den Lichtkegeln
zweier Taschenlampen, deren Strahlen sich völlig
unbeeinflusst kreuzen, gehorcht dieser Prozess
nichtlinearen Gesetzmäßigkeiten.“
Ähnlich verhalten sich die Wellen im Ozean: Statt
sich linear zu überlagern, interagieren sie intensiv. Bei besonderen Bedingungen, etwa wenn
starker Wind auf bestimmte Meeresströmungen
trifft, kann ein nichtlineares Wechselwirken dazu
führen, dass eine Welle ihren Nachbarn Energie
entzieht. Sie saugt sie regelrecht leer. „Dadurch
kann sich die Energie für einige Minuten in einem
zentralen Bereich bündeln“, erläutert Hoffmann.
„Es bildet sich eine außergewöhnlich große Welle,
die kurze Zeit später wieder auseinanderläuft.“
Überprüfen können die Forscher ihre neue Theorie im laboreigenen Wellenkanal. Nachwuchsingenieur Dr. Amin Chabchoub schließt die Tür
zur Mehrzweckhalle auf. Vorn ein Testbecken für
Unterwasserroboter, daneben ein Prüfstand für
Hafenkräne. Der Wellenkanal steht hinten in der
Bei den Wellenforschern sind
alle Objekte etwas größer: An
der Wand hängen Teile von
Schiffsrümpfen, Bauteile von
Offshore-Anlagen und anderes mehr. Die Wissenschaftler
benötigen die Gegenstände,
um Simulationen im Wellenkanal so realitätsnah wie
möglich zu gestalten. Bei
ihrem Arbeitstreffen diskutieren Norbert Hoffmann und
der wissenschaftliche Mitarbeiter Andy Witt (oben, rechts)
darüber, wie sich die Modellierungen verfeinern lassen.
Projekt 4: Risiken besser abschätzen können
Weitere Projekte
Am Bildschirm demonstriert
Hoffmann noch einmal per
Video, welche Berechnungen
Extremereignisse sind von Natur aus selten. Aus
diesem Grund ist es alles andere als einfach zu
berechnen, wie hoch die mit ihnen verbundenen
Risiken sind, mit welcher Wahrscheinlichkeit
überhaupt verheerende Auswirkungen eintreten werden. Die herkömmlichen Werkzeuge der
Statistik versagen hier, also müssen die Experten
zu neuen Methoden greifen. Der Entwicklung
solch innovativer Verfahren widmet sich ein Forscherteam aus Kaiserslautern, Furtwangen und
Wien in dem Projekt „Robust risk estimation”. Die
Wissenschaftler haben sich drei Anwendungsszenarien vorgenommen, um Methodik und entwickelte Modellierungsansätze zu überprüfen.
Im ersten Fall geht es um das Eigenkapital von
Banken, das bekanntlich dazu vorgesehen ist,
Gibt es eine generelle,
übergreifende „Formel“
zur Risikoabschätzung bei
unterschiedlichen Extremereignissen? Daran arbeiten Forscher aus Deutschland und Österreich.
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unerwartete Verluste abzufedern. Die von den
Forschern entwickelten Methoden sollen helfen, die Risiken für solche Verluste möglichst
genau zu quantifizieren. Das ist wichtig für
die Bestimmung der Höhe des Eigenkapitals,
das die Geldinstitute auf die hohe Kante legen
müssen. Das zweite Teilprojekt fokussiert ein
Problemthema aus dem Gesundheitswesen:
Wie wirkt es sich auf das Klinikmanagement
aus, wenn einzelne Patienten wegen unerwarteter Komplikationen weitaus länger im Krankenhaus bleiben müssen als zunächst geplant?
Welche Faktoren sind hier zu berücksichtigen,
um zu validen statistischen Aussagen zu kommen? Im dritten Fall geht es um die Pegelstände ausgewählter österreichischer Flüsse: Wie
hoch ist das Risiko, dass sie gewisse Werte überschreiten und das Wasser über die Ufer tritt?
Das Bemerkenswerte an den neuen Modellierungen: Es hat sich bereits gezeigt, dass man
sie auf jeden der formulierten Fälle anwenden
kann. Die einzelnen Risiken lassen sich zuverlässig identifizieren, vorhersagen und auch –
überwachen.
einem Testlauf zur Erzeugung
einer Riesenwelle zugrunde
liegen, wie dieser verläuft –
und was sich anschließend
alles daraus ableiten lässt.
Halle, er ähnelt einer überdimensionalen Badewanne: 15 Meter lang, 1,5 Meter breit. „Vorn ist
die Wellenklappe installiert, die hydraulisch die
Wellen erzeugt“, erläutert Chabchoub, der mittlerweile an der Technischen Universität Swinburne
in Melbourne forscht. „Am anderen Ende befindet
sich ein kleiner Strand. Er absorbiert die Wellen,
damit sie nicht zurückschwappen und das Ergebnis verfälschen können.“
Um eine künstliche Monsterwelle zu erzeugen,
beugt sich Amin Chabchoub über den PC und
aktiviert per Mausklick die Computersteuerung.
Die Hydraulik setzt sich mit einem rhythmischen
Rumpeln in Bewegung. Rasch bildet sich im
spiegelglatten Wasser ein gleichmäßiges Wellenmuster aus. Die Miniwellen sind kaum einen
Zentimeter hoch und sehen alle gleich aus.
Dann plötzlich – ein kurzer Ruck, die rechnergesteuerte Hydraulikklappe schlägt etwas heftiger aus.
Es entsteht eine einzelne Welle, die auf ihrem Weg
durch den Kanal immer größer wird, bis sie mit
einem vernehmlichen „Platsch“ auf dem künstlichen
Strand aufschlägt. Furchterregend ist das Schauspiel
zwar nicht. Doch die Kriterien für eine Monsterwelle
sind erfüllt: Der Ausreißer ist drei Zentimeter hoch –
er misst das Dreifache aller Wellen um ihn herum.
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Die Forscher nutzen auch den gut 75 Meter langen Wellenkanal
der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt GmbH mit dessen
Aufbauten und Modellschiffen. Hier stellen sie Testläufe aus dem
kleinen „hochschuleigenen“ Wellenkanal noch einmal nach.
„Wir haben unsere Ergebnisse mit Messungen
an echten, bis zu 30 Meter hohen Monsterwellen
verglichen“, sagt Professor Norbert Hoffmann.
„Dabei kam heraus, dass sich unsere Laborwellen ganz ähnlich verhalten wie jene natürlichen
Kaventsmänner.“ Für die Fachleute ein wichtiges
Indiz, dass sie mit ihrer Theorie auf der richtigen
Spur sind. In einigen Jahren könnte sie – so die
Hoffnung – als Basis für eine Art MonsterwellenPrognose dienen. Die australischen Projektpartner etwa suchen bereits nach Frühwarn-Indikatoren. Diese würden den Kapitänen verraten,
in welchen Seegebieten mit erhöhtem Kaventsmann-Risiko zu rechnen ist. Diese Seegebiete
sollten Schiffe dann meiden und vorsichtshalber
andere Routen wählen.
Extremereignis Tsunami – vom Beben zur Welle:
Forscher in Hamburg, München und Zürich modellieren gemeinsam
Deutlich verheerender noch kann sich eine andere
Art von Wellen auswirken – Tsunamis, hervorgerufen durch Seebeben. So forderte im Indischen
Ozean die Flutwelle vom Dezember 2004 rund
200.000 Todesopfer. Beim Tsunami im März
2011 in Japan verloren etwa 15.000 Menschen ihr
Leben; die Atomkatastrophe in Fukushima hat
sicher jeder noch vor Augen. Angesichts solcher
Megakatastrophen versuchen Wissenschaftler
möglichst genau zu verstehen, wie diese Flutwellen zustande kommen. Eines der Ziele: eine
verlässliche Abschätzung, an welchen Küsten das
Tsunami-Risiko besonders hoch ist.
Ungeklärt ist unter anderem, wie sich die Wucht
des Bebens auf das Wasser überträgt. „Bislang
hat die Forschung darüber empirische Annahmen gemacht, die sich im Nachhinein oft als zu
ungenau herausgestellt haben“, sagt Dr. Jörn
Behrens, Professor für Numerische Methoden in
den Geowissenschaften der Universität Hamburg.
„Vielleicht haben wir noch gar nicht richtig verstanden, wie sich die Bewegung der Erde auf die
Bewegung des Wassers auswirkt.“
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Um diesen Zusammenhang besser zu durchdringen, initiierte Behrens 2011 gemeinsam mit Forscherkollegen aus München und Zürich das Projekt
„Advanced Simulation of Coupled Earthquake and
Tsunami Events” (ASCETE). Es setzt auf die Kooperation verschiedener Fachdisziplinen. Geophysiker
der Ludwig-Maximilians-Universität und der ETH
Zürich entwickeln ausgefeilte Modelle darüber, wie
sich die Erdkruste bewegt und wie Beben entstehen.
Die Hamburger Mathematiker wissen, wie man
realitätsgetreu Tsunamiwellen im Rechner simuliert. Und Informatiker der Technischen Universität
München liefern das Handwerkszeug: wichtiges
Programmier-Know-how für Supercomputer.
Früher war man bei den Simulationen davon ausgegangen, dass sich der bebende Meeresgrund
in einem Stück hebt oder senkt. Spätere Modelle
verfeinerten diese Vorstellung und unterteilten
den Boden in viele kleine Platten, die sich zwar
gleichzeitig, aber unterschiedlich stark und auch
gegeneinander verschieben: eine realistischere
Annahme. Die neuesten Modelle können detaillierte Bruchzonen darstellen und berücksichtigen
nun auch, dass sich solche Brüche zeitlich ausbreiten – so geschehen beim Japan-Beben von 2011:
Dort war der Meeresgrund zunächst in eine Richtung aufgebrochen, danach „sprang“ der Bruch
wieder ein Stück zurück.
Projekt 5: Grundlagen für Unwetterprognosen
Immer wieder sorgen sie für Schlagzeilen:
Tornados, die Schneisen der Verwüstung
zurücklassen. Desgleichen heftige Schauer, die
zu fatalen Sturzfluten und plötzlichen Überschwemmungen führen. Bislang tun sich die
Meteorologen schwer, solche Wetterextreme
verlässlich vorauszusagen. Der Grund: Hervorgerufen werden diese Ereignisse in der Regel
durch atmosphärische Prozesse, die sich auf der
„Mesoskala“ abspielen – Bereichen in der Größenordnung von einigen wenigen bis mehreren
hundert Kilometern. Die Auflösung der verfügbaren Computermodelle ist jedoch zu gering,
um diese eher kleinskaligen Wetterphänomene
präzise berechnen und abbilden zu können.
Deshalb bleibt es meist bei pauschalen Unwetterwarnungen für größere Regionen.
Ein Forscherteam aus Bonn, Heidelberg, Mannheim und Oslo will nun über neue methodische
Ansätze die bestehenden Defizite beheben.
Die Wissenschaftler gehen dabei unter anderem der Frage nach, wie sich die Energie in der
Atmosphäre eigentlich verteilen muss, um
Weitere Projekte
außergewöhnlich starke Gewitterzellen hervorzubringen. Die Fachleute setzen dabei auch
auf sogenannte Ensemble-Vorhersagen. Hier
rechnet der Computer nicht nur ein Verfahren
durch, sondern viele. Die Gesamtprognose
ergibt sich dann aus einem intelligent gewichteten Mittelwert aller Einzelvorhersagen. Damit
sollen sich – so die Hoffnung – Hagelschauer
und heftige Gewitter besser absehen lassen.
Das Projekt „WEX-MOP – Mesoscale weather
extremes: Theory, spatial Modeling and prediction“ führt Statistiker, Wahrscheinlichkeitstheoretiker und Meteorologen zusammen.
Frühsommer 2014:
Die unvorhergesehen
heftigen Überflutungen in einigen Regionen Europas zeigen,
wie notwendig
bessere Unwettervorhersagen sind.
Impulse 02_2014 55
Professor Jörn Behrens vom KlimaCampus der Universität
Hamburg erläutert eine Simulation, die zeigt, wie sich der Tsunami
infolge des Sumatra-Andamanen-Erdbebens entwickelte.
„Wir gehen davon aus, dass dieser zeitliche Verlauf entscheidend zur extremen Wellenkonfiguration und -höhe und damit zur Zerstörungskraft
eines Tsunamis beiträgt“, sagt Projektkoordinator
Jörn Behrens. „Abhängig davon, wie sich der
Bruch entwickelt, können sich die entstehenden
Wasserwellen aufschaukeln, aber auch gegenseitig auslöschen.“ Um diese Prozesse modellhaft
zu simulieren, arbeiten die ASCETE-Experten an
einer umfassenden Computersoftware. Gleich
einem virtuellen Labor soll sie das gesamte
Phänomen nachbilden – vom detaillierten Aufbrechen des Erdbodens über die Entstehung der
Wasserwelle bis hin zum Auftreffen des Tsuna-
mis an der Küste. Bislang lassen sich Beben und
Welle nur getrennt simulieren, doch die Forscher
sind zuversichtlich, bald eine Software vorlegen
zu können, die beides bündelt.
Langfristig sollen die Ergebnisse helfen, Warnungen vor einem Tsunami und über dessen Stärke
und Ausmaß treffsicherer zu machen. Die Idee:
„Mit unserem Modell wollen wir studieren, welche Mechanismen in einer bestimmten Region
überhaupt auftreten können“, erläutert Behrens.
„Das wird dann bei der Abschätzung des Risikos
helfen, welche Küsten besonders tsunamigefährdet sind und welche nicht.“
Projekt 6: Das Starkregen-Barometer
Klimaforscher befürchten, dass sich mit dem
unaufhaltsamen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur manche Wetterextreme
häufen – zum Beispiel Wolkenbrüche, die durch
enorme Niederschlagsmengen katastrophale
Überschwemmungen verursachen. Sie meinen:
Die Weltgemeinschaft wäre gut beraten, der
Zunahme extremer Starkregenphänomene mehr
Aufmerksamkeit zu schenken. Kommunen sollten etwa darüber nachdenken, Abwasserkanäle
auszubauen und sich zu rüsten gegen Bäche
und Flüsse, die künftig immer öfter bei extremen
Sintfluten über ihre Ufer treten dürften.
Projekttreffen der
Unwetterforscher
aus Deutschland,
Großbritannien und
Frankreich – bei
bestem Wetter.
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Weitere Projekte
Diese Alltagsbezüge klar im Blick haben die
Forscher des Projekts PLEIADES – „Projections
and predictions of local precipitation intensities.
Advanced downscaling using extreme value
statistics”. Ziel des multinationalen Wissenschaftlerteams aus Kiel sowie Birmingham,
Großbritannien, und Gif-sur-Yvette (nahe Paris)
in Frankreich ist es zu ermitteln, inwieweit sich
diese Starkregenereignisse in den kommenden
Jahrzehnten voraussichtlich häufen und welche Regionen besonders betroffen sind.
Das Problem: Mit „Maschenweiten“ von 200
Kilometern sind heutige Klimamodelle schlicht
zu grob, um verlässliche Aussagen über einzelne Städte oder Landstriche treffen zu können.
Deshalb arbeitet die Forschergruppe an einem
möglichst genauen „Downscaling“. Das neue
Modellierungsverfahren soll helfen, die Prognosen auf regionale Maßstäbe herunterzubrechen. Ziel ist es, die gesamte Niederschlagsverteilung abzubilden und vor allem Aussagen
über zu erwartende Starkregenextreme treffen
zu können – und das möglichst weltweit.
Auch die Erdbeben selbst geben noch Rätsel auf.
Wodurch kommen sie zustande, was löst sie aus?
Wichtige Fragen, denn je genauer man auch hier
die Entstehungsmechanismen und -prozesse
kennt, umso präziser lassen sich die Risiken für
ein Extremereignis wie einen verheerenden Erdstoß abschätzen. Anreiz genug für ein weiteres in
der Initiative gefördertes Wissenschaftlerteam,
einen noch jungen, spekulativen Ansatz mit
Nachdruck zu verfolgen – die Fluid-Hypothese.
Extremereignis Erdbeben – Experten in Zürich und
Bonn rütteln an althergebrachten Theoriegebäuden
„An den Rändern der Kontinentalplatten steigen
enorme Mengen an Gasen und Flüssigkeiten aus
dem Erdinneren auf, zum Beispiel Wasser und
Kohlendioxid“, erklärt Professor Dr. Stephen Miller vom Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie der Universität Bonn
die Ausgangsvorstellung der kooperierenden
Forscherteams aus Deutschland und der Schweiz.
„Wir gehen davon aus, dass sich diese Fluide an
bestimmten Stellen sammeln und dort Erdbeben auslösen können.“ Das Prinzip: Ähnlich wie
der Dampf in einem Dampfkochtopf setzen die
Fluide das Gestein um sich herum gehörig unter
Hochdruck. Bekommt der „Hochdruckkessel“
einen Riss, treten die Fluide aus – und dabei werden beträchtliche Energien frei. Die Erde bebt.
Indizien dafür, dass diese Mechanismen wie
beschrieben greifen, meinen die Bonner Forscher bereits gefunden zu haben: „Als klarer Fall
kann das Beben gelten, das 1997 die Gegend um
das italienische Assisi erschütterte“, sagt Miller.
„Damals folgten die Nachbeben einem Muster,
das genau einer unter Hochdruck entweichenden
Fluid-Front entsprach.“ Ähnliches gilt für das
L’Aquila-Beben von 2009 in Italien. Dort hatten
sich plötzlich die chemischen Eigenschaften
in wasserführenden Schichten verändert – für
Stephen Miller ein Zeichen, dass Gase und Flüssigkeiten aus der Tiefe aufgestiegen waren und
Nachbeben verursacht hatten.
Zudem könnten die Fluide hinter weiteren seismischen Phänomenen stecken – langsamen Rutschund Zitterbewegungen im tiefen Erdgestein etwa.
„Diese Prozesse scheinen vor allem dort abzulaufen,
wo es unterirdische Hochdruckblasen gibt“, sagt
Miller. Ein weiterer Effekt: Gelegentlich registrieren
Geoforscher, dass bei einem schweren Beben das
Gestein an weit entfernten Stellen auf besondere
Weise vibriert. Miller und Kollegen vermuten, dass
diese Schallsignale durch „eingefangene“ Fluide
erzeugt werden; sie schwingen quasi wie der Resonanzkörper eines Musikinstruments. Entsprechende Stellen wollen die Experten nun genauer unter
die Lupe nehmen und nach verräterischen Besonderheiten in den seismischen Signalen fahnden.
Um die Fluid-Hypothese eingehend zu prüfen,
arbeitet das Team an einer 3D-Computersimulation. Diese soll detailliert nachstellen, wie sich
im Erdinneren allmählich Blasen aufbauen und
unter Hochdruck entladen. Sollten die Ergebnisse des Rechnermodells mit den tatsächlichen
seismischen Daten übereinstimmen, wäre die
Hypothese erhärtet. Dann scheint es möglich, für
Rekonstruktion des
Japan-Erdbebens und
des nachfolgenden
Tsunamis im Jahr 2011.
In Orangerot eingefärbt ist die maximale
Anhebung des Meeresbodens, blaulilafarben hervorgehoben
die Wellenhöhe. Als
leicht schattierte Fläche ist oberhalb der
Meeresoberfläche das
Rechengitter erkennbar. Der Modellierung
liegt eine gekoppelte
Berechnung der Ereignisse Erdbeben und
Tsunami zugrunde
(Grafik erstellt vom
ASCETE-Team).
Impulse 02_2014 57
Er arbeitet an der „Fluid-Hypothese“, einer ganz neuen Theorie zur
Entstehung von Erdbeben einschließlich entsprechender Risikoabschätzung: Professor Stephen A. Miller vom Steinmann-Institut
für Geologie, Mineralogie und Paläontologie der Universität Bonn.
manche erdbebengefährdete Region eine genauere Risikoanalyse abzugeben. „Vor allem kleinere
Nachbeben lassen sich vorhersagen“, zeigt sich
Projektpartner Professor Dr. Didier Sornette von
der ETH Zürich optimistisch. „Doch die wirklich
schweren Erdstöße verlässlich zu prognostizieren,
dürfte auch auf lange Sicht schwierig sein.“
Mensch und Natur werden sich also auch weiterhin mit den Folgen extremer Ereignisse auseinanderzusetzen haben – für manche Vorkommnisse
hofft man jedoch, dass die Auswirkungen dank
besserer Vorhersagen künftig weniger gravierend
sind. Das wurde auch deutlich bei einer von der
Stiftung initiierten Veranstaltung für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller acht
geförderten Projekte. Sie kamen im März 2013 im
Schloss Herrenhausen in Hannover zusammen,
um Ergebnisse ihrer Projekte zu diskutieren. Zwischen den rund achtzig international führenden
Experten und Nachwuchswissenschaftlern, die
ein breites Spektrum an Fächern und Forschungs-
Projekt 7: Frühwarnsystem für Akku-Explosion
Akkus, die auf dem Leichtmetall Lithium basieren, zählen zu den derzeit besten Batterietypen.
Sie stecken in den meisten Laptops, Smartphones und Handys, und auch immer mehr
Elektroautos haben sie an Bord. Allerdings hat
die hohe Leistungsdichte der Lithium-Akkus
auch ihre Schattenseiten: Unter Umständen
können die Batterien in Brand geraten oder
sogar explodieren – eine Gefahr insbesondere
für die Elektromobilität. Der genaue Mechanismus, der dahintersteckt, trägt die Kennzeichen
eines Extremereignisses: ein Aufheizprozess,
der durch zufällig auftretende Prozesse in der
Ein Extremereignis
ganz anderer Art: die
Selbstentzündung
und Verbrennung
mancher Batterien
58
Weitere Projekte
Batterie ausgelöst wird und sich dann nach
dem Schneeballprinzip von allein beschleunigt. Der Experte spricht vom „thermischen
Durchgehen“ des Akkus.
Ein Forscherteam aus Stuttgart, Offenburg
und Ulm versucht derzeit herauszufinden, welche Mechanismen ganz am Anfang des fatalen
Prozesses stehen. In ihrem Projekt entwickeln
die Wissenschaftler detaillierte theoretische
Modelle über das thermische Durchgehen, die
sie anschließend experimentell überprüfen.
Das langfristige Ziel ist ein Frühwarnsystem
für das Wärmemanagement von Lithiumbatterien: Sobald es erste Vorzeichen für ein
Durchgehen erkennt, würden die betreffenden
Regionen im Akku gezielt gekühlt. Dadurch
könnte der sich selbst verstärkende Lawineneffekt unterbunden werden. Im Ergebnis würde
das Risiko, dass ein Elektroauto wegen eines
durchbrennenden Akkus plötzlich in Flammen
steht, deutlich minimiert. Dieses Fernziel verfolgen die Wissenschaftler mit ihrem Projekt
„Thermal runaway of lithium batteries“.
feldern repräsentierten, flogen Ideen und Modellierungsszenarien munter hin und her. Fast aus
dem Stegreif entstanden skizzenhaft zahlreiche
neue Forschungsansätze.
Einige Hauptthemen, die dort diskutiert wurden,
waren etwa die nach den „Triggermechanismen“
für Extremereignisse. Wie kommt es dazu, dass
sich solch ein Geschehen ausbildet? Lässt sich
die Wucht eines Extremereignisses im Vorfeld
beeinflussen, wenn man es rechtzeitig nahen
sieht? Ab wann andererseits verläuft ein Prozess
unumkehrbar? – Eine zentrale Erkenntnis aus
der Tagung formuliert Dr. Ulrike Bischler, die die
Initiative bei der VolkswagenStiftung betreut hat:
„Ob sich Extreme in einer zunehmend vernetzten
und mehr belastenden Einflüssen ausgesetzten
Welt vielleicht sogar verstärken und wie sich solche Ereignisse möglichst treffsicher vorhersagen
lassen: Diese Fragen stellen für die Wissenschaft
weiterhin große Herausforderungen dar.“ Der
Austausch über Ideen, Forschungsdesigns und
methodische Ansätze zwischen den verschiedenen Disziplinen sei daher auch künftig zwingend.
Es bleibt also spannend: mit Blick auf Extremereignisse als solche und die Forschung dazu.
Frank Grotelüschen (Text) // Franz Bischoff (Fotos)
Projekt 8: Was Algen und Epilepsie verbindet
Immer öfter stoßen Forscher bei ihren Arbeiten
auf einen verblüffenden Umstand: Auch wenn
Extremereignisse wie Erdbeben, Börsenblasen oder Tornados nicht viel gemein zu haben
scheinen, zeigen genauere Betrachtungen, dass
sie oft denselben mathematischen Gesetzen
gehorchen. Zum Beispiel Algenblüten und epileptische Anfälle. Mit diesen beiden scheinbar völlig
verschiedenen Phänomenen beschäftigt sich ein
interdisziplinär aufgestelltes Forscherteam aus
Oldenburg, Wilhelmshaven, Dresden, Potsdam
und Bonn in dem Projekt „Recurrent extreme
events in spatially extended excitable systems:
Mechanisms of their generation and Termination“.
In manchen Jahren kommt es in bestimmten
Gewässern zu ausufernden, völlig unvorhergesehenen Algenblüten. Handelt es sich um giftige Algen, können diese Blüten große Schäden
anrichten: Fische fressen die Gifte und gehen
zugrunde; das Ökosystem insgesamt leidet. Ein
Extremereignis anderer Art stellen epileptische
Anfälle dar, bei dem ein Teil der Neuronen im
Gehirn unvermittelt beginnt, sich synchron zu
Weitere Projekte
entladen. Die resultierende Krampfattacke erleben Betroffene ähnlich extrem wie andere ein
heftiges Beben. Die Forscher arbeiten nun mithilfe von Gesetzen aus der theoretischen Physik
an einem neuen Modell. Es soll abbilden, welche
Mechanismen und Prozesse eine Algenblüte
oder einen Anfall auslösen und wie sich beide
Extremereignisse letztlich stoppen lassen. Vergleiche mit Messdaten – etwa den Hirnströmen
von Epilepsie-Patienten – werden Auskunft darüber geben können, wie leistungsfähig die neue
Theorie ist. Eines Tages, so die Hoffnung, könnte
sie dazu beitragen, sowohl Algenblüten als auch
Krampfanfälle verlässlich vorherzusagen.
Massive Algenblüte an
der südkalifornischen
Küste im Jahr 2005.
Mehr als eine Milliarde
Zellen der Mikroalge
Lingulodinium polyedrum ließen sich in
einem Liter Meerwasser nachweisen.
Impulse 02_2014 59
Gefährliche
Globetrotter
Seuchen breiten sich weltweit
immer rascher aus. Verschleppte Tier- und Pflanzenarten richten fern ihrer Heimat erheblichen Schaden an. Forscher
aus Deutschland und den USA
haben jetzt Gesetzmäßigkeiten für solche Ausbreitungswege und -wellen entdeckt.
Via Flughäfen erreichen manche Seuchen als unerkannte Mitreisende oftmals andere Regionen der Welt und verbreiten sich von
dort aus weiter. Dirk Brockmann, Professor für Komplexe Systeme
am Institut für Theoretische Biologie der Humboldt-Universität
Berlin, auf dem ehemaligen Rollfeld des Flughafens Berlin-Tempelhof.
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Impulse 02_2014 61
Schritttempo war gestern. Heute reisen Menschen und Waren in rasanter
Geschwindigkeit um die Welt – allerdings oft mit ungewollten Begleitern.
Denn mit ihnen reisen Pflanzen, Tiere, Mikroben. Das kann fatale Folgen für
Ökosysteme haben und sogar Pandemien auslösen. In der Förderinitiative
„Neue konzeptionelle Ansätze zur Modellierung und Simulation komplexer Systeme“ haben zwei Forscherteams Ergebnisse erarbeitet, mit denen
sich Risiken nun besser einschätzen und Schäden begrenzen lassen. Neue
Modelle erlauben künftig schnellere und genauere Vorhersagen – und: Es
lässt sich rückverfolgen, wo Ereignisse ihren Ursprung genommen haben.
Vor elf Jahren gelang dem Erreger der lebensgefährlichen Lungenkrankheit SARS (Severe
Acute Respiratory Syndrome) der Sprung von der
Schleichkatze auf den Menschen. Von diesem
Moment an verbreitete er sich in rasantem Tempo. Kaum war der erste Fall in China bekannt,
wurden auch schon Infizierte in Kanada gemeldet. Am Ende tötete der Erreger rund 8.000 Menschen. SARS ist nur ein Beispiel für eine Krankheit, die das Potenzial hat für eine Pandemie,
die die ganze Welt in Schrecken versetzt. Nach
SARS kamen Vogel- und Schweinegrippe oder der
Ehec-Erreger, der eine schwere Darmentzündung
auslösen kann. Und was künftig noch alles folgen wird, weiß niemand.
Professor Dr. Dirk Brockmann ist ein Experte auf
diesem Gebiet. Schon vor gut zehn Jahren mach-
te er, damals noch am Göttinger Max-PlanckInstitut für Dynamik und Selbstorganisation,
die Flughäfen als Dreh- und Angelpunkt für die
Verteilung von SARS aus. Seit rund sechs Jahren
erforscht er die Grundlagen von Transportnetzwerken im Rahmen mehrerer von der VolkswagenStiftung geförderter Projekte: zunächst an der
Northwestern University in Evanston, USA, und
seit 2013 zurück in Deutschland. Dort hat er eine
Professur am Institut für Biologie der HumboldtUniversität Berlin inne; zugleich arbeitet er am
Robert Koch-Institut, der zentralen Einrichtung
der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention, an Konzepten zur Seuchenprävention. Seine Forschungsergebnisse machen seit Jahren immer wieder
Schlagzeilen, in der internationalen Fachpresse
und in Zeitungen wie der New York Times.
Teambesprechung in Dirk Brockmanns Büro im Robert Koch-Institut in Berlin. Er diskutiert mit Doktorandin Olga Baranov (rechts)
und Dr. Li Chen darüber, wie sich unter Berücksichtigung bestimmter Unsicherheitsfaktoren die strahlenförmig visualisierten
Pandemieprognosen noch verbessern lassen. Aktuell gilt ihr Interesse neuen Seuchenerregern wie dem Mers-Coronavirus.
Brockmann findet es zwar brisant, dass Krankheitskeime heutzutage so mobil sind wie die
Menschen, die sie infiziert haben, sieht darin
aber auch eine Chance. „Kennen wir die Ausbreitungswege, können wir gezielt eingreifen und
die Ansteckungskette unterbrechen“, sagt er.
In wenigen Tagen um die Welt: Krankheiten im
Globalisierungsfieber
Brockmann – hier in der Bibliothek des Robert Koch-Instituts – und
Forscherkollegen ist ein echter wissenschaftlicher Coup gelungen:
eine neue Art Weltkarte, die die Ausbreitung global auftretender
Seuchen verdeutlicht und Risiken besser erkennen und vorhersagen
lässt. „Entscheidend ist nicht, wie weit zwei Orte voneinander entfernt, sondern wie sie verkehrstechnisch verbunden sind“, sagt er.
62
Wie komplex allerdings die Mechanismen sind,
die dahinterstecken, wird schnell klar, wenn
Brockmann die rund 40.000 den Globus umspannenden Flugverbindungen mit einem Mausklick
auf seinem Computermonitor sichtbar macht: ein
dichtes, buntes Netz, gegen das selbst ein Wollknäuel noch ordentlich aussieht. In einem Jahr
reisen rund drei Milliarden Menschen auf diesen
Wegen – das entspricht etwa der Hälfte der Weltbevölkerung. Simuliert Brockmann die Verbreitung von Krankheiten, flackern Lichtpunkte über
die Karte, scheinbar ohne System. „Wir leben eben
nicht mehr in Zeiten der Pest, die sich linear ausgebreitet hat, weil sie sozusagen zu Fuß von Dorf
zu Dorf getragen wurde“, betont er.
Doch jetzt ist seinem Team ein Coup gelungen,
mit dem endlich Ordnung ins vermeintliche
Chaos kommt. „Man muss mit einer ganz neuen
Art Weltkarte arbeiten“, sagt er. Und die beruht
weniger auf klassischer Geografie als vielmehr
auf sogenannten effektiven Entfernungen. „Diese
Entfernungen werden nicht durch die Kilometerzahl bestimmt, sondern dadurch, wie gut ein Ort
verkehrstechnisch angebunden ist“, berichtet
der Forscher. Auf so einer Karte liegt dann etwa
Frankfurt deutlich dichter an New York als etwa
Brockmanns ehemaliger Arbeitsort Evanston im
Mittleren Westen der USA. Die Idee kam ihm bei
einer Reise nach Deutschland. „Nach Taxifahrt und
mehreren Inlandsflügen war der Transatlantikflug
tatsächlich nur der kleinste Teil der Reise, obwohl
er die meisten Kilometer umfasste“, erzählt er.
Impulse 02_2014 63
Dirk Brockmanns Forschungsergebnisse ziehen in der wissenschaftlichen – und außerwissenschaftlichen – Welt ebenso Kreise
wie sein Untersuchungsgegenstand, die Welt erobernde Seuchen.
Schnappschuss, wo die Epidemie gerade ist, und
probiert dann alle Flughafen-Kandidaten durch.“
Der Flughafen, der als Kartenzentrum zu einem
besonders gleichförmigen Kreismuster führt, ist
aller Wahrscheinlichkeit nach der zentrale, erste
richtige „Keimverteiler“. Weil das aber nicht immer
mit bloßem Auge gut zu erkennen ist, haben die
Forscher ein Maß für die runde Gleichförmigkeit
entwickelt, das sich in Zahlen ausdrücken lässt –
das Modell hat seine Kontur erhalten.
Auf Brockmanns neuer Weltkarte breiten sich
Krankheiten vom ersten Infektionsherd ringförmig nach außen aus, wie Wellen in einer Pfütze,
in die man einen Stein geworfen hat. „Für SARS,
Vogelgrippe und Ehec konnten wir bereits zeigen,
dass das Modell funktioniert“, freut sich Brockmann. Damit ist ein entscheidender Fortschritt
im Kampf gegen gefährliche Mikroben gelungen,
denn bei der nächsten drohenden Pandemie lässt
sich nun deutlich schneller und zuverlässiger als
bisher vorhersagen, wann und wo auf der Welt
mit Infektionswellen zu rechnen ist.
„Der Trick bei der Karte ist, dass sich nur dann
ein gleichmäßiges kreisförmiges Muster ergibt,
wenn der Ursprungsort in der Mitte der Karte ist“,
erklärt Brockmann. „Man nimmt einfach eine Art
64
Globalisierung kann allerdings nicht nur zur Bedrohung werden für die Gesundheit, sondern auch für
die Geschäftswelt, etwa wenn Flughäfen schließen.
So geschehen zum Beispiel nach dem Anschlag
auf das World Trade Center (WTC) in New York am
11. September 2001 oder nach dem Ausbruch des
isländischen Vulkans Eyjafjallajökull vor vier Jahren. Olivia Woolley, die in Dirk Brockmanns Team
ihre Doktorarbeit angefertigt hat und heute an der
Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich
(ETHZ) forscht, hat die Folgen des Vulkanausbruchs
untersucht und mit den Daten aus der Zeit nach
dem Anschlag auf das WTC verglichen. Das Ergebnis überraschte sie dann doch. „Europa hat nur halb
so viele Flughäfen wie die USA und trotzdem einen
drei Mal so großen Effekt auf Handel und Reisen“,
berichtet sie. Bezogen auf die neue Weltkarte mit
den effektiven Entfernungen heißt das: Schließen
die Flughäfen in Europa, entfernt sich der Rest der
Welt explosionsartig. „Europa kommt hier definitiv
eine kritische Rolle zu“, betont die Forscherin.
Nachwuchswissenschaftler profitieren von dem
ungewöhnlichen Förderangebot
Woolley erzählt auch, dass sie persönlich von
der Arbeit profitiert hat. „Ich habe gelernt, die
richtigen Fragen zu stellen und zu bearbeiten,
zu koordinieren und zu präsentieren – kurz: eine
Wissenschaftlerin zu sein.“ Besonders geschätzt
habe sie, wie flexibel und kreativ sie sein durfte,
um die wirklich interessanten Fragen zu finden
und anschließend zu verfolgen. Und auch, dass
sie dafür die nötige Zeit gehabt habe.
Interessante Fragen bleiben zur Genüge – etwa zu
den Unsicherheitsfaktoren, die in die Pandemieprognosen noch nicht eingeflossen sind. So beruhen
mögliche Vorhersagen auf Daten und Modellierungen, die im Wesentlichen einen Normalzustand
abbilden, die „Normalreaktionen“ zugrunde legen.
Bei der Nachricht über eine globale Pandemie
könnten die Menschen jedoch ihr Verhalten ändern
– insbesondere ihre Bewegungsmuster. Brockmann
jedenfalls wird seinem Thema treu bleiben; er will
mit seinem Team als nächstes ein Modell entwickeln, das den Verlauf der gewöhnlichen Grippe vorhersagt. Der Nutzen wäre enorm, bedenkt man die
große Zahl Betroffener sowie den volkswirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Aspekt.
Noch mehr allerdings reizt die Forscher, ihre Kenntnisse bei neuen Seuchenerregern anzuwenden:
etwa den in Saudi-Arabien grassierenden MersCoronaviren, die sich allmählich ebenfalls von
ihrem Ursprungsort in verschiedene Richtungen
entfernen und die Weltgemeinschaft aktuell beunruhigen. Entsprechende Nachrichten im Frühjahr
2014 aus Asien, Afrika, Russland und derzeit vielen
Regionen Europas über zahlreiche Krankheitsfälle
lassen aufhorchen. Allein im Laufe der Monate
Mai und Juni warnten Experten zahlreicher Forschungseinrichtungen und von nationalen wie
internationalen Behörden der Gesundheitsvorsorge
weltweit vor einer steigenden Infektionsgefahr
durch das Mers-Coronavirus.
Ausschreibung „Komplexe Netzwerke als
fächerübergreifendes Phänomen“
Ob Menschen oder Viren auf Reisen, bei Prozessen, die in einer Körperzelle oder im Blutkreislauf
vonstatten gehen, den Finanzmärkten, der Stromversorgung, dem Mobilitätsverhalten im eigenen
Freundeskreis – bis hin zu den Abläufen in einem
Logistik-Betrieb oder in den Online-Communities:
Komplexe Netzwerke wirken überall. Doch so simpel das zugrunde liegende Konzept „Knoten und
Verbindungen“ auch zunächst aussehen mag: Es
sind höchst anspruchsvolle theoretische Methoden erforderlich, um Strukturen, deren Organisation und Dynamik als Netzwerk abzubilden und
zu verstehen – und um letztlich daraus die geeigneten Simulationen und Modelle zu entwickeln.
Eine Herausforderung für die Forschung stellen
dabei insbesondere solche Phänomene dar, die
in komplexen Netzwerken völlig verschiedener
Wissensbereiche gleichermaßen auftreten.
Sind manche Netzwerke gar so komplex, dass
dort universale und noch unbekannte, folglich
gänzlich unverstandene Prinzipien wirken? Hier
neue Erkenntnisse zu generieren, war das Ziel der
Hintergrund
Ausschreibung „Komplexe Netzwerke als fächerübergreifendes Phänomen“ unter dem Dach der
Förderinitiative „Modellierung und Simulation
komplexer Systeme“ (siehe Kasten auf Seite 66).
Für zehn im Wettbewerb erfolgreiche Vorhaben,
von denen viele eine Verlängerung erhielten, hat
die Stiftung insgesamt fünf Millionen Euro bereitgestellt. Eingebunden war ein breites Spektrum
an Disziplinen: von der Biologie über die Verkehrsplanung und die Produktionslogistik bis zu den
Wirtschaftswissenschaften. Sie machen deutlich:
Netzwerke begegnen uns in der Tat überall. cj
Projekt beendet, die
Arbeit geht weiter: Dirk
Brockmann diskutiert
mit seinem Team neue
Herausforderungen.
Impulse 02_2014 65
Auch Ozeanriesen transportieren blinde Passagiere mit Gefahrenpotenzial. Professor Bernd Blasius von der Universität Oldenburg
erstellt und diskutiert mit seinem Kollegen Dr. Christoph Feenders
(rechts) Formeln zur Berechnung sowie Modellierungen solcher
Ausbreitungswege entlang bestimmter Schifffahrtsrouten.
Blinde Passagiere mit Gefahrenpotenzial:
Bioinvasion als ökologisches Roulette
Um ein nicht weniger brisantes Thema kümmert
sich Brockmanns Kooperationspartner Professor
Dr. Bernd Blasius vom Institut für Chemie und
Biologie des Meeres an der Universität Oldenburg. Auch er war schon mehrfach mit Projektideen bei der VolkswagenStiftung erfolgreich.
Seine Arbeitsgruppe hat vor allem den Schiffsverkehr im Visier, denn Ozeanriesen transportieren oft ebenfalls blinde Passagiere mit Gefahrenpotenzial. Das können Meeresorganismen,
Pflanzen oder Tiere sein, die beispielsweise Seu-
chen übertragen, ganze Ökosysteme umkrempeln oder schlicht wirtschaftlichen Schaden
anrichten. Oft reisen sie im Ballastwasser mit,
das in die stählernen Schiffsbäuche gefüllt wird,
um die Meereskreuzer auch bei ungleichmäßiger
Beladung zu stabilisieren. Mit Ballastwasser sind
zum Beispiel Algen aus dem Pazifik in norwegische Gewässer gelangt und haben dort tonnenweise Lachsbestände vergiftet. „Ein großes Problem sind auch Muscheln, die sich sehr schnell
vermehren“, berichtet Blasius. Bedroht sind unter
anderem Wasserleitungen von Kraftwerken und
Staudämmen. Sie vom tierischen Belag freizuhalten, ist aufwändig und kostenintensiv.
Förderinitiative „Modellierung und
Simulation komplexer Systeme“
Das Angebot bestand von 2003 bis 2011. Es lenkte
das Interesse auf die Entwicklung neuer Methoden und mathematischer Modelle, die ein besseres Verständnis von Komplexität ermöglichen. Im
Fokus stand die Computersimulation, seit einigen
Jahren in vielen Feldern dritte wichtige Säule
neben Experiment und Theorie. Alles in allem
bewilligte die Stiftung rund 24,5 Millionen Euro
für nahezu 80 Vorhaben. Sie eint vor allem, dass
es gelang, die Methodenentwicklung voranzutreiben sowie verallgemeinerbare, realitätsnahe und
datengetriebene Simulationsansätze für unterschiedliche Herausforderungen zu entwickeln.
Was visuell umgesetzt als eingängiges
Modellierungs- oder
Simulationsszenario
daherkommt, fußt
meist auf komplexen
Berechnungen.
66
Hintergrund
Mit drei verschiedenen thematischen Ausschreibungen zu so unterschiedlichen Themenfeldern
wie Biomoleküle und Zellen, komplexe Netzwerke (siehe Haupttext) sowie Extremereignisse
(siehe Beitrag „Erkundung des Extremen“) wurden
Theoretiker aus unterschiedlichen Disziplinen
angesprochen, ihr Fachwissen zusammenzuführen und komplementäre Ansätze zu verknüpfen.
Viele dieser Forschungsprojekte laufen noch;
manche gingen ob ihrer beeindruckenden Ergebnisse in die Verlängerung. Die acht Kooperationsvorhaben der Ausschreibung zu den Extremereignissen sind im Beitrag ab Seite 48 vorgestellt.
Weiterhin wurden 15 Fellowships „Computational
Sciences“ für Postdoktoranden und Postdoktorandinnen vergeben, die in Summe ebenfalls ein
breites Fächerspektrum bedienen. Die Fellowships
zielten nicht zuletzt auf wissenschaftliche Selbstständigkeit in jungen Jahren durch frühzeitiges
eigenverantwortliches Forschen und damit die
Wegbereitung einer akademischen Karriere. Über
das Projekt von Fellow Dr. Vitaly Belik berichten
wir kurz auf Seite 69 (siehe Textkasten dort). cj
„Bioinvasion ist wegen der zunehmenden Globalisierung längst zu einem heißen Forschungsthema geworden“, sagt der Physiker, der vor seiner
Zeit in Niedersachsen eine ebenfalls von der Stiftung geförderte Nachwuchsforschergruppe an
der Universität Potsdam leitete. Um die Gefahren
besser einschätzen zu können, hat sein junges
Team ein Modell entwickelt, das erst kürzlich
weltweit für Aufsehen sorgte. „Damit können
wir für jedes Schiff und jeden Hafen der Welt das
Risiko einer Bioinvasion von Meeresorganismen
berechnen“, sagt der Physiker. Grundlage ihres
Modells sind fast drei Millionen Schiffsbewegungen, die in den Jahren 2007 und 2008 auf den
Weltmeeren zu verzeichnen waren.
Ein Blick auf die Liste zeigt: Am höchsten ist
das Risikopotenzial in Singapur, gefolgt vom
Suezkanal und von Hongkong. New York steht
auf Platz 13, Los Angeles auf Platz 17. Deutsche
Häfen tauchen auf der Top 20-Liste gar nicht auf.
„Das Invasionsrisiko in der Nordsee ist trotz des
sehr hohen Schiffsverkehrs erstaunlich gering“,
bekräftigt der Forscher. „Das liegt vor allem daran, dass Organismen aus tropischen oder subtropischen Gewässern wärmeres Wasser gewohnt
sind und die meisten von ihnen deshalb hier
kaum eine Überlebenschance haben.“
Ähnliche Bedingungen wie in der Nordsee gebe
es lediglich an der US-Ostküste, etwa auf Höhe
der Häfen um New York. „Wir haben unsere
Modellergebnisse mit Felddaten verglichen. Und
tatsächlich, die meisten invasiven Arten, die in
der Nordsee vorkommen, haben ihre Heimat an
der nordamerikanischen Ostküste“, erklärt der
Oldenburger Biologe Dr. Hanno Seebens, der als
Postdoktorand im Team von Bernd Blasius arbeitet. Die Nordsee sei zudem ein gutes Beispiel
dafür, dass Bioinvasion nicht immer schlecht sein
muss, denn viele der heute dort „gut integriert“
lebenden Arten haben sozusagen einen Migrationshintergrund und wurden dann sesshaft. Auch
insgesamt richtet im Schnitt nur eine von tausend eingewanderten Arten wirklich Schaden an.
Der allerdings könne dann recht massiv sein.
Allein in Deutschland schlagen zurzeit die Folgen der Bioinvasion Jahr für Jahr mit immerhin
über 40 Millionen Euro zu Buche. So müssen
beispielsweise Schäden an Flussufern und Dämmen repariert werden, die die aus Nordamerika
stammenden Bisamratten verursachen, oder es
gilt, stark wuchernde, eingewanderte Pflanzen
wie den eigentlich im Kaukasus beheimateten
Riesen-Bärenklau in Schach zu halten. „Bioinvasion bleibt letztlich ökologisches Roulette; der
beste Schutz dagegen ist, sie möglichst gar nicht
erst zuzulassen“, fasst der Forscher zusammen.
Das betreffe gleichermaßen Land wie Meer. In
der Tat konnte das Team von Bernd Blasius die
modellierten maritimen Verbreitungsmuster
auch auf die Bioinvasion von Landtieren und
Pflanzen übertragen. Dabei habe sich beispielsweise gezeigt, dass die typische Distanz für Bioinvasion in allen untersuchten Fällen bei rund
10.000 Kilometern liege.
Impulse 02_2014 67
Für ihre Forschung zu den skizzierten Globalisierungsprozessen,
die erforderlichen Modellierungen und Simulationen sitzen die
Wissenschaftler fast durchweg am Rechner. Ob Schifffahrtsrouten, Wassertemperaturen, Krankheitsstatistiken oder Artenvorkommen: Alles ist in umfangreichen Datenbanken abrufbar.
Dann und wann verlassen die beiden jungen Forscher und ihre
Mitarbeiter natürlich dennoch ihre Arbeitsräume – Bernd Blasius
(oben) das Institut für Chemie und Biologie des Meeres der Universität Oldenburg und Dirk Brockmann das Robert Koch-Institut.
In allen Modellen der Oldenburger stecken nicht
nur eine Menge Mathematik, Physik und Programmierkenntnisse, sondern auch eine große Portion
biologischer Sachverstand. Den liefert Dr. Hanno
Seebens: „Ich untersuche, welche Faktoren für
die Ausbreitung von Arten wirklich wichtig sind,
welche Rolle zum Beispiel Ballastwassermenge,
Wassertemperatur oder Lichtverhältnisse spielen“,
erzählt er. Er rücke ein Modell sozusagen näher an
die Realität. Dennoch sei er wie seine Kollegen ein
reiner Schreibtischtäter. Für ihre Arbeit müssen
die Forscher ihre Büros nicht verlassen, denn ob
Schiffsrouten, Wassertemperaturen oder Artengehalt: Alles ist über umfangreiche Datenbanken
verfügbar. „Man findet zum Beispiel sämtliche
Informationen darüber, wann welches Schiff welchen Hafen angelaufen hat, auf welcher Strecke
es unterwegs war und ob es sich zum Beispiel um
einen Öltanker oder ein Containerschiff handelt.“
Von zum Teil exotischer Resonanz auf die Projektergebnisse berichtet Bernd Blasius. Ihn erreichen
nicht nur Anfragen von Journalisten aus aller Welt,
sondern von Versicherungen, die Ökorisiken von
Schiffen einschätzen wollen, von Künstlern, Designern und Museen, die die bildliche Darstellung der
globalen Schiffsverbindungen für Kunstprojekte,
Ausstellungen oder Lehrmaterial nutzen möchten.
Sogar ein Flottenkommandeur der US-Streitkräfte
im Pazifik war mit reichlich Nachdruck an Ergebnissen interessiert. „Solche Anfragen sind für einen
Physiker schon ungewohnt“, sagt Blasius. „Aber es
ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein abstrakter, theoretischer Ansatz in kurzer Zeit auch für ganz praktische, lebensnahe Anwendungen hoch interessant
werden kann.“
Andrea Hoferichter (Text) // Gordon Welters
(Fotos Berlin) // Michael Löwa (Fotos Oldenburg)
Die Wege des Menschen sind ergründlich
Zur Nagelprobe für das Oldenburger Modell
könnte – auch wenn Schiffe dort bislang noch
weitgehend fehlen – der junge JadeWeserPort in
Wilhelmshaven werden, Europas größter Tiefseehafen. „Hier sehen wir unmittelbar, wie sich
ein Ökosystem durch einen neuen Hafen ändert“,
betont Blasius. Im Gegensatz zu den anderen
deutschen Häfen enthält das Wasser dort mehr
Salz, da der Tiefseehafen nicht an einer Flussmündung liegt. Zudem ist sein Wasser wärmer, weil
ein benachbartes Wärmekraftwerk Kühlwasser
einleitet. Die Forscher gehen deshalb davon aus,
dass hier eine stärkere Bioinvasion stattfindet als
in den anderen Nordseehäfen. Dass es durchaus
Möglichkeiten gibt, etwas dagegen zu unternehmen, wollen die Wissenschaftler nicht unerwähnt
lassen: Durch ständige Reinigung des Ballastwassers der Schiffe mithilfe von Filtern, Chemikalien
und UV-Strahlung lasse sich das Risiko einer Bioinvasion merklich verringern.
68
Gerade prüfen die Wissenschaftler, wie gut sich
ihr Modell für Zukunftsprognosen eignet. „Es
sieht so aus, als ob sich jene ortsfremden Arten,
die wir heute als inzwischen etablierte beobachten, vor 15 bis 25 Jahren angesiedelt haben“,
berichtet Blasius. „Bestätigt sich das, können wir
mit den aktuellen Handelsdaten sehr gut prognostizieren, welche Arten welche Regionen zum
Beispiel 2030 bevölkern werden.“ Außerdem will
er mit seinem Team herausfinden, welches Veränderungspotenzial neuen Schiffsrouten zukommt
– so werden zum Beispiel in den nächsten Jahrzehnten, wenn dort das Eis im Sommer geschmolzen ist, voraussichtlich immer mehr Schiffe aus
Asien den Weg über das Polarmeer nördlich von
Russland und bei Alaska nehmen. Darüber hinaus
wollen die Forscher ihre Kenntnisse in ein EUProjekt zum Thema „Bioinvasion im Wattenmeer“
einbringen und ihr global ausgelegtes Modell auf
regionalen Maßstab herunterbrechen.
Ein deutsch-amerikanisches Forscherteam um
Dr. Vitaly Belik vom Göttinger Max-PlanckInstitut für Dynamik und Selbstorganisation
hat anhand von Daten aus Paris und Chicago
ein Modell entwickelt, das die Mobilität von
Menschen auf kurzen Distanzen – etwa innerhalb einer Stadt – und in kurzen Zeiträumen
beschreibt. Wie die Forscher feststellten, halten
sich 90 Prozent der Menschen werktags an
höchstens sechs verschiedenen Orten auf – ihre
Wohnung eingeschlossen. Die Ziele, die sie an
einem Tag ansteuern, verknüpfen sie in gerade
einmal 17 Wegenetzen von über einer Million ihnen dafür eigentlich möglichen Routen.
Modelle, die die Mobilität über große Distanzen und lange Zeiträume beschreiben, gibt es
bereits. Die neuen Erkenntnisse sollten nun
aber Stadtentwicklern helfen, innerstädtische
Verkehrswege und -steuerung besser zu planen.
Weitere Projekte
Ebenso könnten sie sich aber für die Seuchenprävention in kleineren Gebieten als hilfreich
erweisen. Die Studie wurde veröffentlicht in Journal of the Royal Society Interface am 8. Mai 2013.
Dr. Vitaly Belik wurde bis Ende 2013 mit einem
Fellowship „Computational Sciences“ gefördert
(siehe dazu auch Kasten auf Seite 66). cj
Dr. Vitaly Belik hat ein
Modell entwickelt,
das die Mobilität von
Menschen beschreibt.
Impulse 02_2014 69
Wenn Atome
plötzlich
stillhalten
Freie-Elektronen-Laser für harte
Röntgenstrahlung schaffen völlig
neue Forschungsmöglichkeiten.
Mithilfe ihrer ultrakurzen und
intensiven Röntgenblitze lassen
sich atomare Strukturen von Biomolekülen, Viren und Zellen aufklären oder chemische Reaktionen
filmen. Die Stiftung unterstützt
junge Forscher bei solchen Projekten – zwei von ihnen haben wir
in den USA, in Stanford, besucht.
Mit einem Röntgenlaserstrahl hat er Atome in Bewegung abgebildet. Dr. Andreas Schropp demonstriert am Freie-ElektronenLaser für harte Röntgenstrahlung, dem Linac Coherent Light Source
(LCLS), wie er kleinste Materiebausteine in Echtzeit gefilmt hat.
70
Impulse 02_2014 71
Freie-Elektronen-Laser für harte Röntgenstrahlung machen Dinge sichtbar,
die kein Forscher je zuvor gesehen hat. Da derzeit weltweit erst zwei dieser
leistungsstarken Geräte in Betrieb sind – und nur einige mehr, darunter
eines in Deutschland, sind im Bau oder in der Planung –, haben gerade
junge Forscherinnen und Forscher kaum Gelegenheit, an diesen Lasern zu
arbeiten und Messungen vorzunehmen. Doch genau das, einen ein- bis zweijährigen Forschungsaufenthalt am LCLS (Linac Coherent Light Source) im USamerikanischen Stanford, bietet die VolkswagenStiftung dem wissenschaftlichen Nachwuchs mit den „Peter Paul Ewald-Fellowships“. Dort treffen
sie auch auf die Besten ihres Fachs. Und so öffnen sich Räume für einen
wissenschaftlichen Austausch, zu dem es sonst wohl nie gekommen wäre.
Die Aufnahmen, die Dr. Andreas Schropp zeigt,
lassen den geübten Betrachter das Besondere
erkennen. „Aus ihnen“, sagt er, „könnte man sich
auch ein Daumenkino basteln.“ Vielleicht war es
diese spielerische Seite, die den Wissenschaftlern den entscheidenden Durchbruch gebracht
hat. Und doch erzählen sie ganz nüchtern, was
ihnen als offenkundig Ersten gelungen ist: Mit
einem Röntgenlaserstrahl haben sie Atome in
Bewegung abgebildet. Dazu konzentrierten sie
den Strahl auf etwa 100 Nanometer – rund ein
Tausendstel der Breite eines Menschenhaares.
Auf diese Weise gelang es ihnen, die detaillierten
Messungen vorzunehmen.
tungszeit von 50 Billiardstel Sekunden jegliche
Bewegung der Atome in der Probe sozusagen einfrieren. Die extrem kurze Belichtungszeit sei entscheidend, erklärt Professor Dr. Christian Schroer
vom Institut für Strukturphysik der Technischen
Universität Dresden. „Man sieht ein scharfes Bild
von allem, was sich bewegt.“ Genau das leisten
bislang verfügbare Mikroskopie-Methoden nicht.
Mit ihnen ließen sich nur dann Bilder erzeugen,
wenn Atome „stillhalten" würden und sich starr
in einen festen Körper einfügten.
Der aus sehr kurzen und intensiven Röntgenpulsen bestehende Strahl liefert Abbildungen, die mit
einer – in ihrer Kürze kaum vorstellbaren – Belich-
Bei dem jetzt eingesetzten Röntgenlaser, mit
dem die Dresdner Forscher Materie in Echtzeit
filmten, handelt es sich nicht um irgendeinen.
Kleinste Materie filmen in Echtzeit
Die Heimstatt des LCLS, das
Stanford Linear Accelarator
Center (SLAC) in Kalifornien.
72
Für die Messungen hielt sich „Peter Paul EwaldFellow“ Andreas Schropp in den USA auf, in
Menlo Park, Kalifornien. Dort steht der weltweit
erste und bis vor Kurzem einzige Freie-Elektronen-Laser für harte Röntgenstrahlung: der Linac
Coherent Light Source (LCLS) am Stanford Linear
Accelerator Center, kurz SLAC.
Freie-Elektronen-Laser erzeugen ultrakurze Lichtblitze im Röntgenbereich mit höchster Brillanz.
Pro Sekunde lassen sich zehntausende Aufnahmen aus dem Nanokosmos machen: zum Beispiel
von Viren, Zellen, chemischen Reaktionen oder
atomaren Bewegungen. Auch lässt sich mit den
Forschungsanlagen Materie unter extremsten
Bedingungen untersuchen, wie sie etwa im
Inneren von Planeten herrschen. Seit September
2009 sammelt die Wissenschaft an der Stanford
University in Kalifornien experimentelle Erfahrungen mit diesem einzigartigen Gerät, zu unterschiedlichen Forschungsfragen gelangen teils
spektakuläre Messungen.
Voraussetzung für die richtige Interpretation der
entstehenden Bilder ist es, die genauen Eigenschaften des nanofokussierten Röntgenlaserstrahls zu kennen. Dafür hat das Forscherteam
um Schropp und Schroer für ihre Versuche eine
neue Abbildungsmethode entwickelt. Sie beruht
darauf, dass Röntgenstrahlung an einer Probe auf
bestimmte Weise gebeugt wird. Die Probe wird in
der Nähe des Brennpunkts positioniert und durch
den fein gebündelten Strahl gerastert. An jedem
dieser Rasterpunkte wird in einem größeren
Abstand das von der Probe gestreute Röntgenlicht
aufgenommen. Mithilfe des Computers können
aus diesem umfangreichen Satz an Bildern sowohl
die Struktur der Probe als auch der vollständige
dreidimensionale Verlauf des gebündelten Röntgenpulses rekonstruiert werden.
Entsprechend nanofokussierte Röntgenlaserpulse sollen nun helfen zu verstehen, wie Stoffe
entstehen, oder auch Ideen dafür liefern, wie
zum Beispiel Werkstoffe verbessert werden können. Das berichteten die Wissenschaftler bei der
Dr. Andreas Schropp ist Peter Paul Ewald-Fellow der Stiftung. Das auf drei Jahre
angelegte Fellowship gliedert sich in einen längeren Forschungsaufenthalt im
Umfeld des LCLS in Stanford und eine Arbeitsphase in Deutschland.
Vorstellung ihrer Ergebnisse im Fachmagazin
„Scientific Reports“ (Ausgabe 9. April 2013) in der
Veröffentlichung „Full spatial characterization of
a nanofocused x-ray free-electron laser beam by
ptychographic imaging”. Mögliche Anwendungen
böten sich zudem in der Mikroskopie und Röntgenoptik oder bei der Erzeugung von Materie
unter extremen Drücken und Temperaturen.
„Nanofokussierte Röntgenstrahlen sind ein
wichtiger Schritt auf dem Weg, Atome zu filmen
und der Chemie live zuzuschauen“, sagt Schroer.
Aufgrund dieser großen Bedeutung für viele Forschungsfelder gehen die Wissenschaftler davon
aus, dass sich die Erzeugung und Charakterisierung des nanofokussierten Röntgenlaserstrahls
als Standardmethode etablieren wird.
Impulse 02_2014 73
Andreas Schropp ist
zuversichtlich, dass
Forscher mithilfe seiner
Erkenntnisse künftig
besser verstehen, wie
Stoffe sich bilden, oder
Ideen entwickeln, wie
sich Werkstoffe grundlegend verbessern lassen.
Das Projekt von Andreas Schropp zeigt auch: Die
Peter Paul Ewald-Fellowships sind ein sehr fokussiertes Angebot der Stiftung. Junge Forscherinnen und Forscher erhalten Zugang zu etwas, das
ihnen sonst vermutlich versagt bliebe – einen
ein- bis zweijährigen Forschungsaufenthalt am
LCLS in Stanford, der zudem eingebettet ist in
eine insgesamt dreijährige Förderung mit einer
Stelle in Deutschland.
Das besondere Fellowship – oder: Wie eine Idee
Gestalt annimmt
„Unser Programm bietet Postdocs eine ganz außergewöhnliche Möglichkeit, praktische Erfahrungen
zu sammeln und sich gleichzeitig mit den Besten
ihres Faches vor Ort zu vernetzen“, erklärt Dr. Ulrike
Bischler, Physikerin und verantwortliche Förderreferentin für die Fellowships bei der VolkswagenStiftung. „Mit dem Know-how, das sich die Wissenschaftler in Stanford aneignen, sind sie bestens
vorbereitet, um beispielsweise am European XFEL
in Hamburg ihre Fähigkeiten einzubringen und
dort ihre Forschung fortzuführen.“ Die Anlage, die
in Hamburg und Schenefeld entsteht, wird ab 2016
den Betrieb starten und die leistungsstärkste weltweit sein (siehe Kasten zu XFEL auf Seite 76).
Eben jene Anlage in Hamburg früh im Blick,
formte sich bei Ulrike Bischler zeitig eine Idee.
Bei einem Kongress hörte sie einen Vortrag über
die erste, auf Anhieb gelungene Messung am
LCLS in Stanford. Sie war fasziniert davon und
beeindruckt, dass im Röntgen-Blitzlichtgewitter
Dinge sichtbar werden, die bislang auch nicht
74
annähernd messbar waren. Ohne zu zögern griff
sie das Thema auf und entwickelte eine neue
Förderinitiative – passgenau, im richtigen, eher
kleinen Rahmen, auf die Bedürfnisse der Wissenschaft exakt zugeschnitten. In kurzer Zeit wurden die „Peter Paul Ewald-Fellowships am LCLS
(Linac Coherent Light Source) in Stanford“, so der
vollständige Titel, etabliert und die ersten Bewilligungen ausgesprochen. Herausragend qualifizierte Postdoktorandinnen und Postdoktoranden
erhielten plötzlich die Chance, ihre originellen
Forschungsideen vor Ort umsetzen und ihre Theoriegebäude überprüfen zu können.
Was sich im Laufe des Jahres 2010 als Förderidee
formulierte, kam dann bereits Mitte 2011 den
ersten vier jungen Forschern zugute – darunter
auch Andreas Schropp, der sich im Wettstreit
der besten Köpfe und Ideen durchsetzen konnte. Ein weiterer Fellow des ersten Jahrgangs ist
Dr. Ulf Zastrau, der inzwischen mehrfach mit
wegweisenden Forschungsergebnissen auf sich
aufmerksam machte – zuletzt, als er gemeinsam
mit namhaften Kollegen den Blick in die unteren
Atmosphärenschichten großer Gasplaneten warf
und zeigen konnte, wie flüssiger Wasserstoff zu
Plasma wird (siehe Beitrag auf Seite 80/81). Insgesamt ermöglichte die Stiftung bislang elf jungen
Nachwuchskräften einen Aufenthalt am LCLS
in Stanford, darunter drei Wissenschaftlern, die
ursprünglich aus dem Ausland stammen.
In Fachkreisen hat sich die Initiative der Stiftung
binnen Kurzem einen hervorragenden Ruf erworben – und findet zeitversetzt entsprechend mehr
und mehr Nachahmer. So nahm 2013 das Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung das Themenfeld in den Blick und bewilligte 7,5 Millionen
Euro für 14 auf drei Jahre angelegte Projekte an
deutschen Universitäten, die mit der Arbeit an
Freie-Elektronen-Lasern verknüpft sind. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft vergab im selben
Jahr an den Physiker Dr. Thomas Pfeifer einen
Heinz Maier-Leibnitz-Preis für entsprechende Forschung, und schließlich startete die schwedische
Knut och Alice Wallenberg Foundation mit den
MAX IV-Fellowships ein den Ewald-Fellowships
vergleichbares Angebot für Postdoktoranden.
Momentaufnahmen von chemischen Reaktionen
Unter den elf bislang Geförderten der VolkswagenStiftung sind zwei Wissenschaftlerinnen. Eine
von Ihnen ist Katharina Kubicek vom Deutschen
Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg. Sie
gehört zu den Erfolgreichen der zweiten von bislang vier Auswahlrunden. Eines ihrer Themen:
Wie beeinflussen die molekularen Eigenschaften
einer gelösten Substanz oder des Lösungsmittels
die Dynamik einer durch Licht ausgelösten chemischen Reaktion, die in Lösung abläuft? Zu dieser
Frage forscht sie am Stanford Linear Accelerator
Center im Verbund mit Wissenschaftlern vom
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
in Göttingen, vom DESY in Hamburg, von der
Stanford University und von zwei dänischen Universitäten. Gemeinsam ist es ihnen inzwischen
gelungen, für eine Eisenverbindung verschiedene Zustände zu filmen, die diese Verbindung im
Verlauf einer durch Licht verursachten Reaktion
einnimmt. „Die Momentaufnahmen ermöglichen
Untersuchungen zu einem ganz zentralen Problem“, führt Katharina Kubicek an. „Wie sehen
die elektronischen Zwischenzustände einer durch
Licht ausgelösten Reaktion aus, und wie verän-
Ewald-Fellowships und Freie-Elektronen-Laser
Der Freie-Elektronen-Laser LCLS in Stanford ist der
weltweit erste gepulste kurzwellige Röntgenlaser
und eröffnet unbekanntes Terrain für die Röntgenstrukturforschung und die Ultrakurzzeitspektroskopie. Als europäisches Pendant wird aktuell
in Hamburg der European XFEL (siehe Kasten auf
Seite 76) errichtet. Indem sie junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Methodik
und die mit ihr zu leistende Forschung heranführen, bereiten seit dem Jahr 2011 die darauf abzielenden Peter Paul Ewald-Fellowships der Stiftung
einer frühzeitigen Entwicklung dieses Gebietes in
Deutschland den Boden. Im Zuge einer Ausschreibung erfolgreiche Postdoktoranden erhalten eine
Projektförderung mit eigener Stelle für drei Jahre,
die gegliedert ist in einen längeren Forschungsaufenthalt im Umfeld des LCLS in Stanford, USA,
und eine Rückkehrphase in Deutschland.
Hintergrund
Verschiedene Fachrichtungen profitieren von
dieser spannenden apparativen und methodischen Entwicklung, allen voran die Kristallographie, die Strukturbiologie, die Atom-, Festkörperund Biophysik sowie die Materialwissenschaften
und Chemie. Der letzte Stichtag für Bewerbungen um ein Fellowship liegt im Januar 2015; bis
Mitte 2014 wurden elf Fellows gefördert. cj
Blick in die Experimentierhalle des
Gebäudes im Menlo
Park, Kalifornien.
Impulse 02_2014 75
dern sich diese und ihre Dynamik, wenn die chemische Zusammensetzung von Verbindung und
Lösungsmittel systematisch variiert wird?“
Wie sich künftig chemische Reaktionen besser als
bisher vorhersagen lassen und wie man diese gar
beeinflussen oder kontrollieren kann, dafür hat
die junge Wissenschaftlerin vor Kurzem mithilfe
eines Experiments am LCLS die Grundlage gelegt.
In spektakulären Versuchen gelang es im bereits
genannten internationalen Forscherverbund, in
die Elektronenwolken eines Moleküls zu schauen
– weit genauer, als das jemals zuvor möglich war.
Die Forscher schafften es, exakt jene Änderungen
bestimmter Zwischenzustände festzuhalten, die
diese kleinen geladenen Teilchen im Orbit des
Moleküls einnehmen. Man muss sich das auch
hier in etwa so vorstellen wie zu verschiedenen
Zeiten aufgenommene Bilder, die sich zu einem
Film zusammenfügen lassen. Die Wissenschaftler
Der Super-Laser: der European XFEL in Hamburg
Wie zerfallen Moleküle? Mit welchen Stoffen
kann man umweltfreundliche Energie erzeugen?
Und wie bekämpft man schwere Krankheiten?
Auf diese Fragen soll der Röntgenlaser European
XFEL (X-Ray Free-Electron Laser) eine Antwort
geben. Das Supermikroskop entsteht derzeit in
Hamburg-Bahrenfeld; es wird in einem unterirdischen Tunnelsystem bis ins benachbarte
Schenefeld (Kreis Pinneberg) verlaufen. Durch
diese Rohre werden einmal Elektronen auf
Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und mittels
Magnetfeldern Röntgenblitze erzeugt. Das Licht
wiederum lässt Aufnahmen im Nanobereich in
bislang unerreichter Schärfe entstehen; es wird
möglich, chemische Reaktionen zu filmen und
erstmals zu dokumentieren, wie Moleküle entstehen. Jede Sekunde werden bis zu 27.000 Rönt-
In Hamburg entsteht
gerade ein noch leistungsfähigerer FreieElektronen-Laser: der
European XFEL (X-Ray
Free-Electron Laser).
2016 soll die Anlage
betriebsbereit sein.
76
Hintergrund
genlaserblitze erzeugt – keine andere vergleichbare Anlage schafft das, bei Weitem auch nicht
das einstige Vorbild, die weltweit erste dieser Art
in Stanford, USA. Man ist sich sicher: Das wird
Spitzenforscher aus der ganzen Welt anlocken.
Aktuell beteiligt sich ein Dutzend Länder an dem
Großprojekt. Deutschland übernimmt mehr
als die Hälfte der Gesamtkosten von über einer
Milliarde Euro. Aber vor allem auch Russland (23
Prozent), Frankreich, Polen und Dänemark leisten
einen erklecklichen finanziellen Anteil am Bau.
Im Gegensatz zu vielen anderen Großbauprojekten in Deutschland verlaufen die Arbeiten am
European XFEL bisher im Zeit- und Kostenrahmen. Im Juni 2013 wurden die Tiefbauarbeiten
beendet. Vier Jahre lang hatte es bis dahin nur
gedauert, die 5,8 Kilometer lange Strecke vom
Forschungszentrum DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron) in Hamburg-Bahrenfeld bis
zum Hauptforschungsgelände in Schenefeld
zu bohren. Alle fünf Rohre des Elektronenlasers
münden in eine Experimentierhalle – der oberirdische Teil der Anlage. 2016 soll diese in Betrieb
genommen werden: Eine Hochgeschwindigkeitskamera wird dann wohl Tag für Tag der Wissenschaft sensationelle Bilder liefern: jede Menge
neue Erkenntnisse für die Medizin, die Astronomie oder die Energietechnik. cj
konnten sogar extrem kurzlebige Zustände, für
die andere Verfahren zu ungenau sind, messerscharf abbilden. Gerade in solchen Zeiträumen von
einigen Billiardstel (Femto-) bis Billionstel (Piko-)
Sekunden laufen chemische Reaktionen häufig ab.
Veröffentlicht wurden die Ergebnisse im Mai 2014
im renommierten Magazin „Nature“.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – aber wo
landet er genau, und warum gerade dort?
Was wir über Zwischenzustände wissen und was
nicht, lasse sich gut mit dem Bild eines Baumes
und seiner Zweige einfangen, erklärt Professor Dr.
Christian Bressler vom European XFEL. „Wir kennen das Aussehen der Zweige von unten betrachtet schon recht gut, aber präzise erfassen können
wir deren dreidimensionale Form nicht.“ Ein vom
Baum fallender Apfel würde nun hier und da von
Ast zu Ast springen und schließlich zu Boden fallen. Vergleichbar kann man sich den Ablauf chemischer Reaktionen vorstellen, die über Zwischenzustände zum Endprodukt führen. Dabei würde dann
die jeweilige dreidimensionale Form der Äste den
Weg und das Ergebnis der Reaktion bestimmen.
„Wir wissen zwar heute schon, wo der Apfel auf
den Boden fällt, aber wir sehen nicht, was exakt
dazu führt, dass er genau an diesem einen Ort auftrifft“, fährt Bressler fort. Und eben da sei entscheidend, was bei dem Weg über die Zweige geschehe.
Übertragen bedeutet das: Wisse man im Detail,
was dort passiere und wie, lerne man viel über
Ablauf und Effizienz der chemischen Reaktion.
„Und das ist unser langfristiges Ziel: Reaktionen
zu optimieren – indem wir zum Beispiel maßgeschneiderte Lichtpulse nutzen und damit den Weg
zu den gewünschten Endprodukten beeinflussen.“
Dadurch ließen sich chemische Reaktionen so wirkungsvoll wie möglich gestalten.
Sie liefert spektakuläre Ergebnisse ab:
Eingebunden in ein
internationales Forscherteam, gelang es
Katharina Kubicek, in
die Elektronenwolken
eines Moleküls zu
schauen – weit genauer, als das jemals
zuvor möglich war.
Impulse 02_2014 77
Für die Aufnahmen des „Films“ war die Stärke eines
Röntgenlasers erforderlich, wie nur der LCLS am
Beschleunigerzentrum SLAC sie bietet. Zunächst
jedoch versetzte ein „normaler“ Laser, der im sichtbaren Bereich des Lichts arbeitet, einen Eisenkomplex in einen energiereicheren, angeregten Zustand.
Solch ein Eisenkomplex besteht aus einem Metallatom und einem als Ligand bezeichneten organischen Rest. Die Forscher initiierten auf diese Weise
den ersten Schritt einer lichtabhängigen chemischen Reaktion, wie sie auch bei der Photosynthese
abläuft oder bei bestimmten biochemischen Prozessen in der Netzhaut, die das Sehen ermöglichen.
Solcherart angeregt, nehmen die Elektronen des zentralen Metallatoms in dem Molekül verschiedene,
von den Liganden beeinflusste Zustände ein. Diese
entsprechen den Zweigen im Baum und werden von
Wissenschaftlern durch Schalen, Orbitale und Spin
bestimmt und mit sogenannten Quantenzahlen
beschrieben. Bisher kannte man nur die Quantenzustände der Ausgangsstoffe und Reaktionsendprodukte, wusste aber kaum etwas über die kurzlebigen
Zwischenzustände, die den Verlauf und das Ergebnis
der Reaktion entscheidend beeinflussen.
Um die Zwischenzustände einzufangen, beschossen
die Forscher dann nach wenigen Femtosekunden in
einem zweiten Schritt jene frisch angeregten Moleküle mit harten Röntgenblitzen, den extrem kurzen
und gleißend hellen Pulsen des Röntgenlasers LCLS.
Auf diese Weise lösten sie Elektronen aus der innersten Hülle des zentralen Eisenatoms. Auf den nun
frei gewordenen Platz rutscht unmittelbar ein Elektron aus der äußeren Hülle nach und sendet dabei
seinerseits hartes Röntgenlicht aus. Das Spektrum
dieses Lichts ist charakteristisch für den molekularen Quantenzustand; es liefert damit die gewünschten Informationen über die „Elektronenwolke“ um
das zentrale Eisenatom. Diese Messung wurde
mehrfach zu verschiedenen Zeitpunkten wiederholt.
Ähnlich wie ein Film ein Ereignis dokumentiert,
zeigt die Arbeit der Forscher die nur einige 100
Femtosekunden dauernde Reise des angeregten
Moleküls durch zwei nun eindeutig identifizierte
78
Zwischenzustände in den Endzustand. „Unsere
Experimente profitieren erheblich von den einzigartigen Forschungsmöglichkeiten an den neu
entwickelten Röntgenlasern“, sagt Katharina Kubicek, die die Arbeiten am LCLS ebenfalls im Rahmen
ihres Ewald-Fellowships durchgeführt hat. „Im
Gegensatz zu den meisten herkömmlichen Techniken können wir mit den LCLS-Röntgenblitzen
gezielt das Eisenatom im Zentrum des Moleküls
untersuchen – dort, wo die interessanten Prozesse
stattfinden.“ Allein durch diese Messung kenne
man den Quantenzustand der Elektronen zwar
noch nicht, aber durch einen Vergleich mit Modellkomplexen ließe sich nun mit 95-prozentiger
Wahrscheinlichkeit feststellen, wie diese aussähen.
Das Ziel: eine Hochgeschwindigkeitskamera für
Moleküle
Damit ist ein wichtiger Schritt hin zu einer Hochgeschwindigkeitskamera für Moleküle gelungen.
So wie der vom Baum fallende Apfel von Ast zu
Ast springt und schließlich auf den Boden fällt,
lässt sich der Reaktionsweg nun genau verfolgen.
„Das bietet die Chance, chemische Reaktionen
besser als bisher vorhersagen und künftig beeinflussen oder gar kontrollieren zu können“, bringt
Kubicek es auf den Punkt – und knüpft damit an
ihre anderen Experimente an. Mit einer solchen
Kamera könnten Forscher beispielsweise Molekülsysteme testen, die effizient Sonnenenergie
umwandeln oder umweltfreundlich Schadstoffe
aus der Abluft unschädlich machen.
„Noch ist nicht im Detail geklärt, wie Veränderungen in den molekularen Eigenschaften der Verbindungen den Verlauf der Reaktion beeinflussen“,
erklärt Kubicek, der man die Begeisterung für ihre
Arbeit ansieht. Letztlich, zieht sie ein Zwischenfazit, gehe es bei diesen Experimenten auch darum
zu verstehen, wie man Moleküle so designen könne, dass sich Reaktionen gezielt steuern ließen.
„Wir arbeiten an den Grenzen unserer Wissenschaft“, betonen die beiden jungen Ewald-Fellows
Kubicek und Schropp abschließend. Man merkt im
Gespräch, wie überaus gern sie Grenzgänger sind.
Auch wenn es letztlich Forschung mit hohem
Risikopotenzial ist, die sie da betreiben: mit Scheitern als nicht unwahrscheinlicher Option. Doch
beide haben gezeigt, dass man auch schwieriges
Terrain mit experimentellem Geschick, Beharrlichkeit, solidem Grundlagenwissen und realistisch
formulierten Forschungsfragen erobern und mit
Erfolg im Gepäck in Richtung noch unbekannterer
Welten verlassen kann. „Obwohl eine kleine Initiative mit wenigen Geförderten, gibt es einige tolle
wissenschaftliche Leistungen zu bestaunen“, freut
sich auch Ulrike Bischler.
„Die Ewald-Fellowships sind ein Beispiel dafür,
wie ausgesprochen früh wir neue Forschungsfelder identifizieren und wie zügig wir dann geeignete Förderchancen für ideenreiche Pioniere eröffnen“, ergänzt Dr. Cornelia Soetbeer, die bei der
Stiftung das Förderteam „Herausforderungen –
für Wissenschaft und Gesellschaft“ leitet, zu dem
auch die Ewald-Fellowships gehören. „Die Kunst
ist es, die notwendigen Impulse genau zur richtigen Zeit zu setzen!“ Um das zu gewährleisten,
müsse man eigentlich ständig nach Forschungsfeldern suchen, die in naher und vielleicht auch
nicht ganz so naher Zukunft von Bedeutung sein
werden, die aber jetzt an einem kritischen Punkt
sind, an dem sie Unterstützung benötigen.
Wie das gelingen kann, wie sich auf passgenaue
und zielgruppenspezifische Weise Themen und
Methoden in der Wissenschaftslandschaft gezielt
und zügig voranbringen lassen – eben dafür stehen beispielhaft die Peter Paul Ewald-Fellowships.
Sie zeigen: So schnell und dabei zugleich so wirkungsvoll kann Wissenschaftsförderung sein.
Christian Jung (Text) // Leah Fasten (Fotos)
„Ich arbeite gern im
Grenzbereich meiner
Wissenschaft – selbst
wenn oder gerade
auch weil es letztlich
Forschung mit hohem
Risikopotenzial ist“,
sagt Katharina Kubicek,
die sich unter anderem
mit der Dynamik von
in Lösung ablaufenden
chemischen Reaktionen
beschäftigt (zum Thema
Lösungsmittelchemie s.
auch Text ab Seite 82).
Zurzeit nutzen Katharina Kubicek und Kollegen
die erprobten Techniken, um eine sogenannte
Ladungsübertragungsreaktion bei bestimmten
Kupferverbindungen zu untersuchen. Deren Einsatz wird derzeit beispielsweise in Solarzellen in
Betracht gezogen. Die Kupferverbindungen zeigen
nach Lichtanregung eine spezifische Änderung
ihrer geometrischen Struktur. Diese wiederum
beeinflusst andere molekulare Eigenschaften, von
denen dann abhängt, ob sich solche Kupferverbindungen für Solarzellen nutzen lassen oder nicht.
Impulse 02_2014 79
Großer Erfolg: Ein internationales
Forscherteam um Ewald-Fellow
Dr. Ulf Zastrau von der Universität Jena
gelang es, in einer Art Superzeitlupe
zu zeigen, wie flüssiger Wasserstoff zu
Plasma wird. Die Erkenntnisse helfen,
Planetenmodelle besser zu verstehen.
Über die Gasplaneten Jupiter und
Saturn wissen die Forscher dadurch
schon einiges mehr. Ulf Zastrau ist
Ewald-Fellow der ersten Stunde.
Wie Wasserstoff zu Plasma wird: ein Blick in große Gasplaneten
Mit dem Röntgenlaser FLASH am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg hat ein
Forscherteam um Dr. Ulf Zastrau von der Universität Jena tief in die unteren Atmosphärenschichten großer Gasplaneten wie Jupiter oder Saturn
gespäht. Den Wissenschaftlern gelang es in einer
Art Superzeitlupe zu zeigen, wie flüssiger Wasserstoff zu Plasma wird. Das gibt Aufschluss über
dessen Wärmeleitfähigkeit und inneren Energieaustausch – eine Erkenntnis, die für das Verständnis von Planetenmodellen von großer Bedeutung
ist. Die Forschung von Ulf Zastrau erfolgte im
Zuge seines Peter Paul Ewald-Fellowships; die
Ergebnisse wurden im März 2014 im Fachblatt
„Physical Review Letters“ veröffentlicht.
Die Atmosphäre von Gasplaneten besteht zum
großen Teil aus Wasserstoff, dem häufigsten
chemischen Element im Universum. „Man weiß
experimentell kaum etwas über den Wasserstoff
im Inneren solcher Planeten“, sagt Zastrau. „Auch
wenn die theoretischen Modelle inzwischen sehr
gut sind.“ Für ihre Untersuchungen haben die Forscher daher kalten, flüssigen Wasserstoff als eine
Art Probe aus der Planetenatmosphäre benutzt.
„Flüssiger Wasserstoff hat eine Dichte, wie sie
den unteren Atmosphärenschichten großer Gasplaneten entspricht“, erläutert Zastrau. Mit DESYs
Röntgenlaser FLASH haben die Wissenschaftler
den flüssigen Wasserstoff auf einen Schlag von
minus 253 Grad Celsius auf rund 12 000 Grad Celsius erhitzt und gleichzeitig die Eigenschaften des
Elements während des Erhitzens beobachtet.
80
Wasserstoff ist das einfachste Atom des Periodensystems, es besteht aus einem Proton im
Atomkern, das von einem einzelnen Elektron
umkreist wird. Normalerweise kommt Wasserstoff als hantelförmiges Molekül aus zwei Atomen vor. Durch den Röntgenlaserblitz werden
zunächst nur die Elektronen erhitzt, die nach
und nach ihre Energie an die etwa zweitausend
Mal schwereren Protonen abgeben, bis sich ein
thermisches Gleichgewicht einstellt. Die Molekülbindungen brechen dabei auf, es entsteht
ein sogenanntes Plasma aus Elektronen und
Protonen. Obwohl dazu viele tausend Stöße zwischen Elektronen und Protonen nötig sind, stellt
sich das thermische Gleichgewicht bereits nach
knapp einer Billionstel Sekunde (Pikosekunde)
ein, wie die Untersuchungen zeigen.
„Was wir machen, ist Labor-Astrophysik“, erklärt
Zastrau. Bislang stützen sich Forscher auf Rechenmodelle, wenn sie das Innere von Gasplaneten
wie Jupiter beschreiben. Wichtige Parameter sind
dabei die sogenannten dielektrischen Eigenschaften des Wasserstoffs, das sind unter anderem die
Wärme- und die elektrische Leitfähigkeit, denn in
den großen Gasplaneten findet ein starker Wärmetransport von innen nach außen statt.
„Die Untersuchung verrät uns die dielektrischen
Eigenschaften des flüssigen Wasserstoffs“, berichtet Forscherkollege Dr. Philipp Sperling von der
Universität Rostock. „Wenn man weiß, welche
thermische und elektrische Leitfähigkeit die ein-
zelnen Wasserstoffschichten in der Atmosphäre
eines Gasplaneten haben, lässt sich daraus das
zugehörige Temperaturprofil berechnen.“ Mit
ihren Versuchen haben die Forscher zunächst
einen Punkt im sogenannten Phasendiagramm
von Wasserstoff festgelegt. Um ein detailliertes
Bild der gesamten Planetenatmosphäre zu erstellen, müssen diese Versuche bei anderen Drücken
und Temperaturen wiederholt werden. Das alles
erfordert großen Aufwand, nicht zuletzt weil
Wasserstoff normalerweise auf der Erde nicht in
flüssiger Form vorkommt. Um Wasserstoffgas zu
verflüssigen, muss es auf etwa 20 Grad über dem
absoluten Nullpunkt der Temperatur, also auf
minus 253 Grad Celsius heruntergekühlt werden.
Aufgeteilte Blitze und eine Superzeitlupe: Wissenschaft an der Grenze des Greifbaren
Um die Eigenschaften des flüssigen Wasserstoffs
beim Verdampfen zu erfassen, beschossen ihn
die Forscher mit weicher Röntgenstrahlung aus
dem Freie-Elektronen-Laser FLASH. Dazu wurden
die einzelnen Blitze „aufgeteilt“. „Die erste Hälfte des Blitzes heizt den Wasserstoff auf, mit der
zweiten Hälfte lassen sich dann dessen Eigenschaften analysieren“, erläutert DESY-Forscher
Dr. Sven Toleikis. Mithilfe einer sogenannten
Split-and-Delay-Einheit wird die zweite Hälfte
des Blitzes gezielt um winzige Sekundenbruchteile (bis zu 15 Billionstel Sekunden) verzögert.
Untersucht man das System auf diese Weise zu
leicht unterschiedlichen Zeiten, lässt sich in einer
Art Superzeitlupe beobachten, wie sich ein thermisches Gleichgewicht zwischen den Elektronen
und den Protonen im Wasserstoff einstellt.
„Unser Experiment hat uns Möglichkeiten aufgezeigt, wie sich dichte Plasmen mit Röntgenlasern
untersuchen lassen“, sagt Dr. Thomas Tschentscher,
wissenschaftlicher Direktor am Röntgenlaser
European XFEL in Hamburg, an dem 2017 die ersten
Experimente starten. „Diese Methode öffnet den
Weg für weitere Studien, beispielsweise an dichteren Plasmen schwererer Elemente und Gemische,
wie sie im Inneren von Planeten vorkommen. Von
den Ergebnissen erhoffen wir uns unter anderem
eine experimentell unterfütterte Antwort auf die
Frage, warum die bisher außerhalb unseres Sonnensystems entdeckten Planeten nicht in allen
denkbaren Kombinationen von Eigenschaften
wie Alter, Masse, Größe oder Elementzusammensetzung auftreten, sondern bestimmten Gruppen
zugeordnet werden können.“
In das Kooperationsvorhaben eingebunden waren
Forscher der Universitäten Jena, Rostock und
Münster, vom DESY und vom Europäischen Röntgenlaser European XFEL, vom Helmholtz-Institut
Jena, von der Universität Oxford und vom GSI
Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung –
sowie vom SLAC National Accelerator Laboratory
und vom Lawrence Livermore National Laboratory.
Christian Jung
Impulse 02_2014 81
Der Tanz
des Wassers
Mit einer neuen Technik können
Forscher Moleküle in Bewegung
beobachten – beispielsweise das
genaue Zusammenspiel zwischen
Proteinen und Wassermolekülen.
Dadurch wird allmählich klar,
was gerade das Wasser zu einer
besonderen Flüssigkeit macht.
Professorin Martina Havenith-Newen von der Ruhr-Universität
Bochum justiert eine komplexe Anordnung von Spiegeln und
optischen Geräten. Mit einem Terahertz-Laser ist die Chemikerin
der Bewegung von Wassermolekülen auf der Spur.
82
Impulse 02_2014 83
Einige Pflanzen und Tiere schützen sich mit „Frostschutzproteinen“ vor Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. In der Arktis und Antarktis lebende Fische
etwa überstehen mit diesem Trick Temperaturen von einigen Minusgraden.
Wie jedoch die Larve des Feuerkäfers Dendroides Canadensis es schafft, Temperaturen bis zu immerhin -30 Grad Celsius zu trotzen, hat jetzt ein Forscherteam in Bochum herausgefunden. Entscheidend für einen funktionierenden
Kälteschutz sind danach verschiedene molekulare Interaktionen zwischen
den Frostschutzproteinen und – den Molekülen des Wassers. Um diese
Protein-Wasserbewegungen und Wechselwirkungen in realer Zeit überhaupt
zeigen zu können, entwickelten die Forscher zeitaufgelöste Techniken, mit
deren Hilfe sich sogenannte Terahertz-Filme aufnehmen lassen. Ein Besuch
bei Wissenschaftlern mit Mut zum Risiko und handwerklichem Können.
Der Mensch besteht zu gut 60 Prozent aus Wasser.
Vögel bringen es auf 75 Prozent, Äpfel und Birnen
auf 85 Prozent und Gurken, Tomaten und Quallen
auf einen Anteil von 98 Prozent. Was aber macht
das Wasser in den Organismen? Beim Menschen
schwappt ein Teil davon im Magen oder fließt
durch die Adern. Das meiste Wasser aber befindet
sich in den Zellen des Körpers. „In den Lehrbüchern ist das Wasser nur der Stoff, der zur Seite
weicht, wenn die eigentlichen Stars, die Proteine,
auftreten“, sagt Martina Havenith-Newen. Doch
die Professorin für Physikalische Chemie an der
Ruhr-Universität Bochum ist überzeugt: Die Lehr-
bücher müssen bald umgeschrieben werden. Denn
Wasser ist nicht nur das universale Lösungsmittel,
das die Lücken zwischen den vermeintlich interessanteren Teilen der Zellmaschinerie füllt, sondern
es ist ein aktiver Mitspieler.
Die wichtigste Eigenschaft des Wassers für die
Zelle ist seine Netzstruktur. Ein Wassermolekül,
bestehend aus einem Atom Sauerstoff und zwei
Atomen Wasserstoff, bildet zu seinen Nachbarn
bis zu vier schwache Bindungen aus, die sogenannten Wasserstoffbrücken. Diese Annäherung
ist allerdings nur von vorübergehender Dauer:
Während ein Enzym (große weiße Struktur im Hintergrund) und ein Substrat (grün, im mittleren und rechten Bild) aneinander binden,
verändert sich die Dynamik des Wassers (rot-weiß): Die Wasserstoffbrücken brechen am aktiven Zentrum langsamer auf (hellblau) als
Der bislang „unsichtbare“
Frequenzbereich des elektromagnetischen Spektrums
zwischen Mikrowellen- und
Infrarotstrahlung lässt
sich jetzt mit ultrakurzen
Terahertz-Pulsen beobachten.
Die Messungen von Molekülbewegungen erfolgen mithilfe
dieses komplexen optischen
„Geräteparcours“.
Etwa ein Mal pro Pikosekunde – das entspricht
einer Billionstel Sekunde – brechen die Wasserstoffbrücken bei Zimmertemperatur auf. Dann
dreht und bewegt sich das Wassermolekül ein
wenig und schlägt neue Brücken zu anderen
Nachbarn. Sinkt die Temperatur, verlangsamt
sich die Bewegung. „Man kann sich das vorstellen
wie in der Disko“, sagt Havenith-Newen. „Man
tanzt mit jemandem, dreht sich dann ein wenig
und tanzt mit jemand anderem.“ Bei starren Wasserstoffbrücken wäre die Zelle wie eingefroren.
Wären die Brücken hingegen noch flexibler, geriete das ganze komplexe Zellgeschehen in Unordnung. Diese Fähigkeit, das Zellgeschehen gerade
so im Gleichgewicht zu halten, dass es schnell von
einem Zustand in einen anderen wechseln kann,
macht das Wasser für das Leben unverzichtbar.
sonst (dunkelblau). Dadurch verlangsamt sich die Bewegung des Wassers in der Umgebung des Substrats.
KITA macht's seit Kurzem möglich: Film ab für
den „Tanz des Wassers“
Dieser „Tanz des Wassers“ ließ sich so zwar bislang
formulieren, nicht jedoch unmittelbar beobachten.
Veränderungsbewegungen von Wasserstoffbrücken im Pikosekundentakt – das entspricht einer
Frequenz im Terahertz-Bereich – zu messen, war
nicht möglich. Optische Strahlungsquellen wie
Laser funktionierten nur bis in den mittleren
Infrarotbereich (12 bis 120 Terahertz), elektronische
Strahlungsquellen reichen von Megahertz wie
beim Radio bis zu Mikrowellen (1 bis 300 Giga-
84
hertz). Zwischen Infrarot und Mikrowellen klaffte
die „Terahertz-Lücke“. Für diesen Frequenzbereich
des elektromagnetischen Spektrums war lange
weder Strahlungsquelle noch Detektor verfügbar –
genau dort aber spielt sich der Tanz des Wassers ab.
Martina Havenith-Newen und ihre Arbeitsgruppe
haben in Bochum jetzt eine Methode entwickelt
mit dem komplizierten Namen „Kinetische Terahertz-Absorptionsspektroskopie“, kurz KITA. Sie
beruht auf ultrakurzen Laserpulsen (siehe Kasten
„Die Terahertz-Spektroskopie“). Mit KITA kann man
nun das Wasser beim Tanzen beobachten – wobei
„zusehen“ etwas übertrieben formuliert wäre.
Was man sieht, sind Signale auf dem Bildschirm
eines Detektors. Diese zeigen an, wie viel jener
mit den Laserpulsen ausgesandten Strahlung vom
Wasser absorbiert wird. Daraus wiederum können
die Forscher auf die Geschwindigkeit schließen,
mit der die Wassermoleküle tanzen.
Die Terahertz-Absorptionsspektroskopie lieferte
den Bochumer Forschern jetzt die Erkenntnis: Es
geht in der Zelle tatsächlich zu wie in einer Disko.
Dabei gibt es gemächlichere und wildere Tänzer,
und es gibt Langweiler, die den ganzen Abend
in der Ecke sitzen. Die Tanzfläche ist allerdings
äußerst knapp bemessen, denn die Zelle ist so
reichlich mit Biomolekülen wie zum Beispiel Proteinen oder Enzymen angefüllt, dass zwischen
diesen gerade einmal Platz für drei oder vier
Schichten von Wassermolekülen ist.
Impulse 02_2014 85
Die Wasserstoffbrücken zwischen Wassermolekülen (rot-weiß)
öffnen sich etwa ein Mal pro Pikosekunde. Die Moleküle drehen
sich und gehen eine Bindung mit einem anderen Wassermolekül ein. Es ist, als tanzten die Wassermoleküle um das Enzym.
Mithilfe von KITA konnten die Forscher zeigen,
dass Proteine und Wassermoleküle aneinander
gekoppelt sind, auch in ihren Bewegungen. Die
tanzenden Moleküle „treten“ gegen die Proteine,
diese wiederum bremsen die Tänzer aus. Das
geschieht nicht überall gleich stark, und genau
diese Unterschiede sind wichtig – zum Beispiel
für die Enzyme, die eine bedeutende Rolle im
Stoffwechsel spielen. Ihre Aufgabe ist es unter
anderem, chemische Reaktionen anzustoßen oder
Die Terahertz-Spektroskopie
Der Terahertz-Bereich ist eine für menschliche
Augen unzugängliche Welt, die Ungeahntes
bereithält: Luft ist so gut wie undurchsichtig, Eis
und Papier hingegen sind fast völlig transparent.
Dieser Welt nähert man sich, besucht man das
Bochumer Forscherteam um Martina HavenithNewen. Man trifft die Wissenschaftler in der
Hochschule zumeist in ihrem klimatisierten
Laserlabor an. Darin stehen zwei Arbeitstische,
bis zur Decke abgeschirmt mit durchsichtigen
Folien und dicken schwarzen Vorhängen. Die
Vorhänge verhindern, dass Laserstrahlen unkontrolliert in andere Bereiche des Raums dringen;
die Folien halten Staub und Luftfeuchtigkeit ab,
die die empfindlichen Linsen ruinieren und die
Strahlung ablenken würden.
Laserlabor:
Terahertz-Laser
senden Pulse
im BillionstelSekunden-Takt.
86
diese zu beschleunigen. Dazu müssen genau definierte Stoffe – Chemiker sprechen von Substraten
– im aktiven Zentrum des Enzyms andocken.
Die neue Methode brachte ans Licht, dass die
Bewegung des Wassers nicht gleichförmig um
das Enzym verteilt ist: In der Nähe des aktiven
Zentrums tanzt das Wasser besonders langsam.
„Das bedeutet, dass das Substrat wahrscheinlich nicht zufällig an der richtigen Stelle landet,
Hintergrund
Der Terahertz-Laser, der an eine überdimensionale Kaffeemaschine erinnert, steht auf dem einen
Tisch im Labor, auf dem anderen ruht ein zweiter
in Form eines unscheinbaren kleinen Kastens.
Davor sind einige Linsen montiert und eine
Vorrichtung mit zwei Schläuchen, über die eine
zu untersuchende Lösung in Position gebracht
wird. Dann geht es los: Zunächst macht der eine
der beiden Laser statische Aufnahmen, während
der andere die Veränderungen in der Zeit misst.
Die Linsen, mit denen die Terahertz-Laser arbeiten, sind mattweiß und für Menschenaugen
undurchsichtig. „Das ist Teflon“, erklärt Martina
Havenith-Newen. „Man könnte auch Diamant
nehmen, aber das wäre ein wenig zu teuer.“
Der Laser sendet nun Pulse aus – vergleichbar
einer Belichtung beim Fotografieren. Die Belichtungszeit beträgt aber maximal eine Pikosekunde, das ist der billionste Teil einer Sekunde. Sie
muss derart kurz sein, will man Änderungen im
Tanz der Wassermoleküle während einer Proteinfaltung oder enzymatischen Reaktion in Echtzeit
folgen. Übrigens: Die Terahertz-Strahlung ist Teil
der auch vom menschlichen Körper ausgehenden natürlichen Wärmestrahlung und daher völlig ungefährlich. Auf der Messung dieser Strahlung beruhen auch die „Nacktscanner“, über die
vor Jahresfrist viel diskutiert wurde.
sondern dort andockt wie im ruhigen Wasser
eines Hafenbeckens, das umgeben ist von dem
unruhigen Wellengang im offenen Meer“, erklärt
Martina Havenith-Newen. Das Bild, das sie für
ihre Forschungsobjekte zeichnet, passt auch zu
der Wissenschaftlerin selbst, die sich früh schon
zielsicher passgenaue Partner für ihre Herausforderungen gesucht hat (siehe Kasten Seite 89).
„Es ist dieses fein abgestimmte Wechselspiel zwischen dem Wasser und den Biomolekülen in der
Zelle, das das Leben erst möglich macht“, schreibt
auch der britische Wissenschaftspublizist Philip
Ball. So nehmen Proteine ihre typische dreidimensionale Struktur nur in der Umgebung der Wassermoleküle ein, die zudem auch deren Spezifität zu
beeinflussen vermögen. Sie können zum Beispiel
dafür sorgen, dass mehrere unterschiedliche Substrate an ein Enzym andocken, indem sie die Lücken
zum Protein füllen und so für eine gute Passung
des jeweiligen Stoffs sorgen. Ebenso können
Wassermoleküle Proteine besonders wählerisch
machen, fanden Michelle Sahai und Philip Biggin,
Bioinformatiker an der Universität Oxford, heraus.
Dann entscheidet sich etwa durch die Position
eines Wassermoleküls, dass der Neurotransmitter
Glutamat, nicht aber dessen synthetischer Ersatz
akzeptiert wird. „Wassermoleküle kann man
sich wie kleine Legosteine vorstellen, die sich in
bestimmter Weise zusammenstecken lassen“,
bringt es Philip Ball auf den Punkt.
Erfolgreiche „Manipulation“ des Wassers:
Frostschutzprotein hält Rekord
Letztlich verändert alles, was sich im Wasser
befindet, dessen Netzstruktur. Das gilt für einen
Löffel Zucker oder Salz, den man in einem Wasserglas verrührt, ebenso wie für in der Zelle gelöste
Stoffe und erst recht für große Biomoleküle wie
Proteine. Der Einfluss der Biomoleküle auf das
Wasser beschränkt sich nicht auf ihre unmittelbare Umgebung, sondern kann weit darüber hinaus
reichen; so weit, dass es in der dicht gepackten
Zelle kein unbeeinflusstes Wasser gibt.
Den Rekord beim erfolgreichen Manipulieren des
Wassers halten die Frostschutzproteine. Das Blut in
den Eismeeren lebender Fische müsste bei 0,9 Grad
gefrieren. Dank ihrer Frostschutzproteine meistern
die Tiere jedoch deutlich tiefere Temperaturen. Ist
dieser Frostschutz schon gut hundert Mal wirksamer als jene Gefrierschutzmittel, die ins Kühlwasser von Autos gemischt werden, lässt uns die Larve
des Feuerkäfers Dendroides Canadensis regelrecht
staunen: Ihre Frostschutzproteine sind wiederum
um mehr als das Hundertfache effektiver als jene
der arktischen Fische. Das Insekt übersteht problemlos Temperaturen von bis zu -30 Grad Celsius
im kanadischen Winter. „Das ist das effektivste
Frostschutzmittel, das wir kennen“, sind sich Martina Havenith-Newen und ihre Forscherkollegen
einig. Versuche haben gezeigt: Selbst geringste
Konzentrationen dieser Frostschutzproteine setzen
die Gefriertemperatur um mehrere Grad herab.
Impulse 02_2014 87
Sie trotzen extremen Umgebungstemperaturen: die Larve des Scharlachroten Feuerkäfers (links; rechts ein ausgewachsenes Exemplar)
und Fische, die in den Meeren rund um Arktis und Antarktis leben wie dieser Eisfisch. Die Tiere verfügen über intrazellulär in Wasser
gelöste, hochwirksame Frostschutzproteine (Glycoproteine), die es ihnen ermöglichen, bei etlichen Minusgraden zu überleben.
Bislang ging man davon aus, dass die Aminosäure Threonin der entscheidende Baustein der
Anti-Gefrierproteine ist, über den die Bildung
von Eiskristallen verhindert wird. Auf molekularer Ebene stellte man sich das wie folgt vor: Mit
einer Wasserstoffbrücke binden sich die Frostschutzproteine – exakt: das Threonin – an winzige
Nano-Eiskristalle. Diese bilden sich in der Zelle,
sobald die Temperaturen unter den Gefrierpunkt
sinken. Normalerweise wachsen diese „Keime“
immer weiter, bis sich makroskopische Eiskristalle
gebildet haben. Sind die Mini-Eiskristalle aber mit
dem Anti-Gefrierprotein verbunden, unterbleibt
das weitere Wachstum der Eiskristalle – auch
dann, wenn die Temperaturen deutlich unter den
Gefrierpunkt sinken. So wird verhindert, dass sich
in der Zelle größere Eiskristalle bilden, die diese
zum Platzen bringen. Das wäre tödlich für die Larve des Feuerkäfers.
Ohne Threonin also kein wirksamer Frostschutz,
dachten die Forscher. Als man das Threonin durch
andere Aminosäuren ersetzte, war das Ergebnis
allerdings nicht eindeutig: Manchmal funktionierte der Frostschutz weiterhin, manchmal jedoch
nicht. Mithilfe der Terahertz-Absorptionsspektroskopie konnten die Forscher zeigen, dass sich
bei aktiven Gefrierschutzproteinen die Wassermoleküle an jenen Stellen, an denen die Eisbindung stattfindet, deutlich langsamer bewegen
als anderswo. „Die beruhigte Wasserbewegung
erleichtert vermutlich das Andocken der NanoEiskristalle an die Bindungsfläche des Proteins“,
so Havenith-Newen. In den Messungen zeigte
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sich, dass das Frostschutzprotein die Bewegung
im Wassernetzwerk über 2,7 Nanometer hinweg
beeinflussen kann. Wenngleich diese Distanz winzig anmutet, übertrifft das die Reichweite anderer
Proteine immerhin um das Zehnfache.
Vom spektakulären Frostschutz zu einer neuen
Theorie über Lösungsmittel
Für einen so potenten Frostschutz gäbe es zahlreiche Anwendungen, etwa beim Tiefkühlen von
Spenderorganen, in denen sich während des Transports bis zur Implantation keine Eiskristalle bilden
dürfen. Doch es ist momentan noch sehr aufwendig und damit teuer, das Enzym aus Fischen oder
Käferlarven zu isolieren. Und um es erfolgreich
synthetisieren zu können, müsste man die Wirkungsweise erst einmal genau verstehen. Dazu
simulieren die Bochumer Forscher aktuell in leistungsfähigen Rechnern das Verhalten von tausenden Wasserteilchen rund um ein Enzym. „Ziel ist es,
die Interaktion der Moleküle mit den Lösungsmitteln in einer vereinheitlichten Theorie zu erfassen“,
sagt Havenith-Newen. „Sie soll es uns ermöglichen
vorauszusagen, wie sich welches Lösungsmittel auf
einen chemischen Prozess auswirkt.“
Inzwischen lassen die systematischen Untersuchungen verschiedener Gefrierschutzproteine
erkennen, dass es wohl mehrere Wirkmechanismen gibt. Mutter Natur war und ist demnach in
Sachen Frostschutz kreativer als bislang vermutet:
Sie setzt auf (mindestens) zwei sich ergänzende
oder sogar unterstützende Strategien – zum einen
auf die unmittelbare Bindung der Frostschutzproteine unter Einbeziehung des Threonins, zum
anderen auf eine zusätzliche Beeinflussung des
Wassernetzwerks. „Es reicht wahrscheinlich nicht,
nur die dreidimensionale Struktur eines Biomoleküls zu betrachten, um dessen Funktionsweise zu
begreifen“, folgert Havenith-Newen. „Man muss
auch die Interaktion mit dem Lösungsmittel in die
Gesamtbetrachtung einbeziehen.“
Das Leben ist im Wasser entstanden – und mit ganz
entscheidender Hilfe der Experten aus Bochum
beginnt die Wissenschaft allmählich zu verstehen,
was das bedeutet. „Die Terahertz-Spektroskopie
hat ein neues Fenster geöffnet“, sagt Martina
Havenith-Newen, „eines von vielen, durch die die
Forscher schauen müssen, um die komplizierten
Vorgänge in der Zelle zu begreifen.“ Sollte einmal
verstanden sein, wie die diversen Wechselwirkungen zwischen Lösungsmittel und gelöstem Stoff
im Detail funktionieren, könnte die Forschung in
vielen Bereichen einen enormen Schub erfahren.
Da sind sich die Wissenschaftler sicher.
Manuela Lenzen
Solvation Science:
die Wissenschaft von den Lösungsmitteln
Lösungsmittel spielen in Chemie, Medizin und
Industrie eine zentrale Rolle. Sie befördern oder
behindern chemische Reaktionen. Das ist lange bekannt. Doch was dabei auf molekularer
Ebene geschieht, wird erst jetzt sichtbar. „Wir
können das nun messen und auch simulieren“,
sagt Martina Havenith-Newen von der RuhrUniversität Bochum. „Es ist an der Zeit, sich die
Lösungsmittel auf molekularer Ebene genauer
anzusehen.“ Sie und ihre Kollegen sind gerade
dabei, eine neue Wissenschaft aus der Taufe zu
heben: „Solvation Science“, die Wissenschaft von
den Lösungsmitteln. Ihre Kollegen, das sind bei
diesem von der VolkswagenStiftung geförderten
Projekt die beiden Chemiker Professor Dr. Martin
Grübele und sein Team von der University of Illinois at Urbana-Champaign, USA, und Professor
Dr. David M. Lettner von der University of Nevada
in Reno, USA.
In einem 2012 gegründeten neuen Forschungszentrum auf dem Bochumer Campus sind Forscher unterschiedlicher Disziplinen mit ihren
diversen Methoden dabei, das Verständnis vom
Wechselspiel zwischen den gelösten Molekülen
Hintergrund
und ihren Lösungsmitteln zu erhellen. Speziell
auf ihre Anwendung zugeschnittene DesignerLösungsmittel, so hoffen sie, lassen bald schon
chemische Reaktionen effizienter ablaufen und
machen sie damit energiesparender. Beispielsweise könnten sie – sobald auf molekularer
Ebene einmal verstanden ist, wie der Ladungsfluss in einer Batterie funktioniert – effizientere
Batterien mit längeren Standzeiten ermöglichen
oder auch eine Rolle bei der Optimierung von
Medikamenten spielen. Und vielleicht ließen sich
dringend benötigte Lösungsmittel finden, die
weder brennbar noch flüchtig sind – und damit
auch weniger gefährlich und ungesund.
Weitere Infos zum
Thema geben die
Bochumer Forscher
regelmäßig unter
www.ruhr-unibochum.de/solvation/
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Sicherheit
hat Vorfahrt
Wenn man bestimmte Risiken
kennt, lässt sich das Gefahrenpotenzial häufig minimieren. So
hilft zum Beispiel moderne Technik,
Verkehrsunfälle zu vermeiden.
Doch welche Systeme gewährleisten wirklich mehr Sicherheit?
Daran forschen Wissenschaftler
in Oldenburg und Braunschweig.
Autofahren erfordert komplexe Fähigkeiten. Der Fahrer muss
Risiken richtig einschätzen, sich mit der technischen Bedienung
auskennen und blitzschnell auf Reize reagieren – und das bei jeder
Witterung. Doch das Fahrverhalten des „Risikofaktors Mensch“ ist
weitgehend unerforscht, meinen Oldenburger Wissenschaftler.
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Wer ins Auto steigt, setzt sich Risiken aus. Seit Jahren aber sinkt die Zahl der
Opfer im Straßenverkehr. Das verdanken wir nicht zuletzt elektronischen
Helfern wie Antiblockiersystem und Co; sie tragen entscheidend dazu
bei, Unfälle zu vermeiden. Wissenschaftler eines niedersächsischen Forschungsverbunds untersuchen seit einigen Jahren die Wechselwirkungen
zwischen Fahrer, Fahrassistenzsystemen und Fahrzeug. „IMoST“ – so der
Name des Projekts – wird gemeinsam gefördert vom Land Niedersachsen
und der VolkswagenStiftung aus Mitteln des „Niedersächsischen Vorab“.
Die Rettungskräfte sind erschüttert, Zeugen
stehen unter Schock, die Autobahn ist mehrere
Stunden lang gesperrt: Ein 51-jähriger Motorradfahrer ist bei einem Unfall auf der A 27 ums Leben
gekommen. Er fährt gerade auf der Überholspur,
als ein Kleintransporter nach links ausschert und
ihn gegen die Leitplanke drückt. Offenbar übersieht der Fahrer das Motorrad, als er einem Sattelzug Platz macht, der auf die Autobahn auffährt.
Die Bremerhavener Feuerwehr rückt in kürzester
Zeit mit einem Großaufgebot aus. Für den Zweiradfahrer jedoch gibt es keine Hilfe; er erliegt
unmittelbar seinen schweren Verletzungen.
Über solche und ähnliche Schicksale wie dieses
dem Jahr 2013 willkürlich entrissene liest man
immer wieder in der Zeitung. Was man sich meist
nicht vor Augen hält: 90 Prozent aller Unfälle im
Straßenverkehr gehen auf Fehler des Fahrers, der
Fahrerin zurück. Ohne Zweifel: Das Autofahren
erfordert komplexe Fähigkeiten. Der Fahrer muss
Risiken richtig einschätzen, sich mit der technischen Bedienung auskennen und blitzschnell auf
Reize reagieren. Und die Anforderungen werden
zunehmen: Denn laut Schätzungen soll der Verkehr
bis 2020 um rund 20 Prozent steigen; zudem sind
aufgrund der demografischen Entwicklung immer
mehr ältere Menschen unterwegs, manche mit vermindertem Reaktionsvermögen.
Das ist die eine Seite. Die andere lässt dagegen
staunen. Denn obwohl immer mehr motorisierte
Zwei- und Vierräder unterwegs sind, sinkt die Zahl
der Verkehrstoten stetig – rund 3.600 Opfer im Jahr
2012 nennt die Statistik und weist damit den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen aus.
Den Grund dafür sehen Verkehrsexperten – neben
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einer verbesserten passiven Sicherheit durch Gurtpflicht und modernen Fahrzeugmaterialien – vor
allem in den modernen Assistenzsystemen: heißen
sie nun Airbag oder Totwinkelwarner. Die Fahrzeuge werden immer sicherer. Droht Gefahr, informieren die elektronischen Helfer den Fahrer, warnen
ihn oder korrigieren Fahrfehler.
„Hier geht es um Systeme, die in die Fahrdynamik
eingreifen, wenn man in eine Gefahrensituation
gerät. So soll der Unfall vermieden oder zumindest
dessen Wirkung reduziert werden“, erklärt Professor Dr. Werner Damm, Direktor des Forschungszentrums Sicherheitskritische Systeme der Universität
Oldenburg und Vorstand des Oldenburger OFFISInstituts. Im Verbund mit Kollegen aus verschiedenen Fachgebieten erforscht der Informatiker,
wie sich Gefahren im Straßenverkehr reduzieren
lassen. Lange seien Techniken entwickelt worden
ohne Nutzen für den Fahrer, moniert Damm. Eine
nervig piepende Tankanzeige in Gefahrsituationen sei nur eins der Negativbeispiele. Ob und wie
die elektronischen Helfer wirklich nützen, haben
Wissenschaftler in dem Verbundprojekt IMoST
– „Integrated Modeling for Safe Transportation“ –
untersucht (siehe Kasten auf Seite 95).
Bislang berücksichtigten die üblichen Testverfahren
die Einflussparameter Fahrzeug, Assistenzsysteme
und Umgebung. Resultierende Berechnungen ließen
jedoch eine ganz große Unbekannte außen vor: den
Menschen. „Das Verhalten der Fahrer ist weitgehend
unerforscht“, betont Sicherheitsforscher Damm.
Die große Unbekannte: der schwer berechenbare
Mensch hinter dem Steuer
IMoST dagegen nimmt nun erstmals die Wechselwirkung von Mensch und Maschine in den Blick.
Dabei werden keine neuen Fahrassistenzsysteme
geschaffen, sondern Software, die eine verbesserte
Entwicklung solcher Systeme ermöglicht. „Man
könnte IMoST auch als Schraubenschlüssel im Werkzeugkasten der Sicherheitssysteme bezeichnen“,
vergleicht Martin Fränzle, Professor für Informatik
an der Universität Oldenburg. Mithilfe der neuen
Computerprogramme ließen sich jetzt Reaktionen,
an denen gleichermaßen Auto, Fahrer und Assistenzsystem beteiligt sind, im Verkehr analysieren
und Situationen durchspielen. Man wolle damit der
Wirtschaft ein effektives Prüfverfahren für Fahrassistenzsysteme anbieten, fügt Fränzle hinzu.
Dazu führten die Forscher etablierte Computermodelle für Fahrzeug, Umgebung und Fahrassistenzsysteme mit neu entwickelten, sogenannten
Fahrermodellen zu einer gemeinsamen Software
zusammen. Sie preisten also das typische, erwartbare Verhalten der Autofahrer in ihre Berechnungen ein. Wenngleich in Deutschland noch
recht jung und relativ unbekannt, hat dieses Forschungsfeld mit „Human Modelling“ schon einen
Namen. „Aktuell arbeiten auf dem Gebiet bundesweit nur eine Handvoll Fachleute“, weiß Jürgen
Niehaus, der IMoST als Projektmanager von der
Universität Oldenburg aus begleitet. Ergänzend
griffen die Wissenschaftler im Zuge der aufwendigen Modellberechnungen auf grundlegende
Untersuchungen aus Psychologie und Kognitionswissenschaften zurück. Diese geben zum Beispiel
Aufschluss darüber, nach wie vielen Sekunden ein
Autofahrer bremst oder auf einen Reiz reagiert.
Den entsprechenden Input lieferte Professor
Dr. Hans Colonius mit seinen Mitarbeitern aus
dem Fachbereich Allgemeine Psychologie und
Methodenlehre der Universität Oldenburg.
Zum anderen flossen in die Softwaremodellierung der Informatiker zahlreiche Datensätze
ein aus Tests, die unmittelbar mit Probanden
im Fahrsimulator durchgeführt wurden – und
zwar gemeinsam von Forschern am dritten
Projektstandort, dem Deutschen Zentrum für
Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig, und
von Oldenburger OFFIS-Kollegen. „Hier haben
wir wann immer möglich auch menschliches
Fehlverhalten berücksichtigt und in die Berechnungen einkalkuliert“, schildert Dr. Frank Köster,
Wie wird Autofahren
noch sicherer? Damit
beschäftigen sich (Bild
rechts, von links) am Forschungszentrum Sicherheitskritische Systeme
der Universität Oldenburg und am Oldenburger OFFIS-Institut
Professor Martin Fränzle,
Dr. Andreas Lüdtke, Dr.
Frank Köster und Professor Werner Damm. Linkes
Bild: Projektmanager
Dr. Jürgen Niehaus vom
OFFIS-Institut.
Die Vielfalt an Fahrassistenzsystemen ist heute
so groß wie die Auswahl an Automodellen. Doch
welche Systeme sind wirksam, welche weniger?
Schon seit Jahren wird die Sicherheit von Autos
und Assistenzsystemen lange vor der Markteinführung mithilfe von Computermodellen getestet.
So können bereits in frühen Entwicklungsphasen
Schwächen erkannt, Eigenschaften verändert oder
technische Neuerungen auch verworfen werden –
noch bevor die Serienproduktion startet.
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Jürgen Niehaus im Fahrsimulator. So wie er kurvten etliche Männer
und Frauen durch die virtuelle Verkehrswelt. Das Bild unten zeigt
kumulierte Ergebnisse aus zahlreichen Fahrsimulationen.
– jene Gefahrsituation, die dem eingangs erwähnten Motorradfahrer das Leben kostete. 24 junge
Männer und Frauen absolvierten ungefähr 3.500
Experimente, bei denen es um ihre Reaktionszeit
ging; sie machten insgesamt 10.000 Versuche.
Weitere zwölf kurvten im Simulator durch die virtuelle Verkehrswelt. Die Ergebnisse mündeten in
die Entwicklung diverser Fahrermodelle für IMoST.
Zudem dienten die wissenschaftlichen Messdaten
mehreren Dissertationen als Grundlage.
Leiter der Abteilung Automotive am Institut
für Verkehrssystemtechnik des DLR. Typische
Ursachen für Fahrfehler: Die Person hinter dem
Steuer übersieht wichtige Informationen oder
trifft Fehlentscheidungen, weil sie ihre Fähigkeiten überschätzt. Professor Damm nennt noch
zwei weitere Hürden, die die Wissenschaftler auf
dem Weg zu einer neuen Software zu nehmen
hatten: „Das typische Fahrverhalten gibt es nicht;
Menschen reagieren unterschiedlich. Und: Wir
müssen nicht nur eins, sondern zahlreiche Fahrassistenzsysteme berücksichtigen.“
Und dann wurde es noch konkreter: Anhand verschiedener Fallstudien überprüften die Forscher
die bei IMoST entwickelten Fahrermodelle auf ihre
Wirksamkeit – etwa über Experimente mit Autofahrern im Fahrsimulator. Der Simulator mutet
auf den ersten Blick an wie ein Kleinwagen, der
auf eine Leinwand mit einer projizierten Fahrsituation zusteuert. In einem der Anwendungsszenarien setzten Wissenschaftler am OFFIS-Institut
beispielsweise ein Assistenzsystem für Spurenwechselmanöver auf der Autobahn ein. Die Forscher beobachteten nun, wie verschiedene Fahrer
den Spurenwechsel auf der Autobahn bewältigen
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Projektmanager Niehaus ist überzeugt: IMoST ist
erst der Startschuss für ein Dutzend weiterer Projekte. „Durch die Unterstützung mit Geldern aus
dem Niedersächsischen Vorab hat sich nicht nur
der Forschungszweig in Niedersachsen etabliert.
Inzwischen werden wir in Europa wahrgenommen“, freut sich auch Werner Damm. Außerdem
sei man extrem gut vernetzt mit der europäischen
Automobilindustrie – und die steuere schließlich
mit Vollgas auf Automatisierung zu.
In der Tat träumen viele Automobilhersteller vom
autonomen Fahren. Schon bald werden uns wohl
Autos ohne eine menschliche Hand in Aktion wie
ferngesteuert zum Ziel bringen. Da fügen sich die
Arbeiten der IMoST-Forscher perfekt ein, die die
ganze Bandbreite abdecken vom teilautomatisierten über das hochautomatisierte Fahren bis hin zu
immer höheren Automatisierungsgraden. Ein Auto
selbststeuernd fahren zu lassen sei mittlerweile
eigentlich problemlos möglich, sagen die Wissenschaftler. Umso mehr gelte es, die Sicherheit und
Zuverlässigkeit der Systeme zu optimieren.
Unfallforscher vermuten, dass bereits heute die
serienmäßige Ausstattung mit den üblichen Fahrassistenzsystemen die Zahl der Unfälle um bis
zu 25 Prozent reduzieren würde. Mit einem Spurwechselassistenten hätte der Fahrer des Kleinlasters den Motorradfahrer im eingangs geschilderten Fall zweifelsohne bemerkt. Der 51-Jährige
wäre möglicherweise noch am Leben.
Heidrun Riehl-Halen (Text) //
Christian Burkert (Fotos)
Projektverbund „IMoST“ – weiter erfolgreich
Am Forschungsverbund „Integrated Modelling
for Safe Transportation“ – kurz: IMoST – sind Wissenschaftler vom Oldenburger Forschungs- und
Entwicklungsinstitut für Informatik (OFFIS), vom
Forschungszentrum Sicherheitskritische Systeme
der Universität Oldenburg sowie vom Zentrum
für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig
beteiligt. Informatiker, Elektrotechniker, Ingenieure und Psychologen tragen hier ihr Know-how
zusammen. Ihr Kernanliegen ist es, das Fahren im
Straßenverkehr immer sicherer zu machen. Dafür
erhielt das Netzwerk über zwei Förderperioden
Unterstützung aus Mitteln des Niedersächsischen Vorab. Im Rahmen der Förderlinie „Forschungsverbünde und Forschungsschwerpunkte“
wurden von April 2007 bis Dezember 2013 insgesamt 4,3 Millionen Euro bereitgestellt. Der starke
Praxisbezug, die interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie die vorbildliche Kombination aus
Grundlagen- und angewandter Forschung hatten
die VolkswagenStiftung und das Wissenschaftsministerium überzeugt.
Dieselben Partner um Professor Werner Damm
von der Universität Oldenburg waren Anfang
2013 auch erfolgreich in der Ausschreibung zur
„Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit niedersächsischer Hochschulstandorte“ – niedersachsenweit
kamen insgesamt nur vier Bewerbergruppen
zum Zug. Das vergangene Jahr wurde bereits
intensiv dazu genutzt, an der Hochschule ein
neues interdisziplinäres Forschungszentrum im
Bereich Sicherheitskritische Systeme aufzubauen,
das „Interdisciplinary Research Center on Critical
Systems Engineering for Socio-Technical Systems”.
Das Interesse der Forscher konzentriert sich dort
auf hochkomplexe computerbasierte Systeme,
die in der Automobilindustrie, der Luft- und
Raumfahrt, der Meerestechnik, der Automati-
Hintergrund
sierungstechnik, der Energieversorgung und
im Gesundheitswesen eingesetzt werden. Sie
steuern beispielsweise den Motor in Fahrzeugen,
unterstützen bei Navigation, Spurhalten oder
Unfallvermeidung und tragen als Autopilot und
Kollisionsvermeidungssystem in Flugzeugen und
Schiffen zu einem sicheren Luft- und Schiffsverkehr bei.
Um die Einhaltung der geforderten Sicherheitsstandards in der Entwicklung neuer Systeme zu
garantieren, sind interdisziplinäre Ansätze nötig
– zumal sich die Verlässlichkeit von sicherheitskritischen Systemen im Labor immer schwieriger
erproben lässt. Deshalb arbeiten die Oldenburger Forscher – und mit ihnen Kollegen anderer
Wissenschaftseinrichtungen – unter Hochdruck vor allem an Computersimulationen und
-modellierungen neuen Typs. Ziel sind integrierte
„soziotechnische Systeme”, die die Interaktionen
zwischen den im Gesamtsystem handelnden
Menschen, ihren Assistenzsystemen und deren
technischer und natürlicher Umwelt abbilden.
Zunächst überprüfen und entwickeln die Wissenschaftler solche Systeme für den Verkehrssektor:
das heißt für Auto, Flugzeug, Schiff und Bahn.
Gefördert wird das Verbundvorhaben ebenfalls
aus Mitteln des Niedersächsischen Vorab.
cj
Von der Idee bis zur
Marktreife: Die Wege,
neue Informationsund Kommunikationstechnologien
zu entwickeln, sind
manchmal lang. Die
Oldenburger OFFISInformatiker wissen
häufig die richtigen
Abkürzungen.
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Forum
Stiftungsengagement an
der Schnittstelle Wissenschaft
und Gesellschaft
Mathematik in der Ingenieurausbildung erfolgreich
vermitteln – aber wie?
Stiftungshandeln professionalisieren –
Experten diskutieren, wie Stiftungen wirken
Stiftungen befassen sich aufgrund von steigendem öffentlichen Interesse an ihrem Handeln
vermehrt mit Wirkungsmessung, Good Governance und Transparenz. Am 5. Februar 2014
trafen sich Vertreter von Stiftungen in Hannover, um darüber zu diskutieren.
In den ersten Semestern haben viele Studierende der Ingenieurwissenschaften große
Probleme mit den Anforderungen in der Mathematik. Die Hochschulen versuchen dem
entgegenzuwirken – unterstützt durch Partner wie Lehren.
Viele Studierende der Ingenieurwissenschaften scheitern an den Anforderungen
in der Mathematik. Hochschulen arbeiten daran, dieses Problem zu beheben.
Die Ergebnisse der Studie
„Learning from Partners“
wurden bei der Tagung „Wie
wirken Stiftungen?“ diskutiert
(von links): Bettina Jorzik
(Stifterverband), Prof. Dr.
Joachim Rogall (Robert Bosch
Stiftung), Dr. Volker Then (CSI),
Dr. Frank Suder (Fritz Thyssen
Stiftung), Martin Hölz (CSI).
Grundlegende Impulse für die Diskussion der
rund neunzig Experten, die auf Einladung der
VolkswagenStiftung stattfand, lieferten Ergebnisse aus der 2012 veröffentlichten Studie „Learning
from Partners“ vom Centrum für soziale Investitionen und Innovationen (CSI) der Universität Heidelberg und aus der Studie „Forschungsfördernde
Stiftungen in der Wahrnehmung ihrer Stakeholder“ der TU Dresden aus 2013. Einige deutsche
Stiftungen hatten die Wahrnehmung durch
Antragsteller, Wissenschaftler, Medien-, Politikund Wirtschaftsvertreter sowie Stiftungsakteure
erfragt. Martin Hölz und Dr. Volker Then vom CSI
sowie Professor Dr. Wolfgang Donsbach von der
TU Dresden stellten einige der Resultate vor. Auch
der Beitrag des Evaluationsexperten Professor Dr.
Hans-Dieter Daniel, Universität und ETH Zürich,
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zu unterschiedlichen Evaluationsdesigns gab Input
für lebhaften Austausch. Mit Beispielen aus Evaluationsprojekten bei Förderorganisationen machte er deutlich, wie schwierig die Durchführung
methodisch fundierter Wirkungsmessungen ist.
Resümierend stellten die Teilnehmer der Podiumsdiskussion Bettina Jorzik (Stifterverband für
die Deutsche Wissenschaft), Professor Dr. Bernhard Lorentz (Stiftung Mercator), Professor Dr.
Joachim Rogall (Robert Bosch Stiftung), Dr. Frank
Suder (Fritz Thyssen Stiftung) und Dr. Wilhelm
Krull (VolkswagenStiftung) fest, dass die Stiftungen durch die Studien einen wichtigen Schritt in
Richtung Wirkungsorientierung getan haben, der
den Mut erfordert, sich auf allen Hierarchieebenen
kritischen Einschätzungen zu stellen.
Das Bündnis Lehren hat in Kooperation mit dem
Projekt nexus der Hochschulrektorenkonferenz
am 8. April 2014 rund 200 Expertinnen und
Experten im Tagungszentrum Schloss Herrenhausen in Hannover versammelt. Vertreter von
Hochschulen und Fördereinrichtungen haben
sich bei „Abgucken erlaubt!“ über erfolgreiche
Reformprojekte zur besseren Vermittlung der
Mathematik in den Hochschulen ausgetauscht.
Die VolkswagenStiftung ist Teil des Bündnisses
Lehren, das Plattformen wie Workshops, Netzwerktreffen und Tagungen wie die in Hannover
anbietet. Die im April vorgestellten Modellprojekte dienen beispielsweise dazu, den Studierenden zu vermitteln, wie sie eine Vorlesung
sinnvoll nacharbeiten können. Neue Konzepte
stellen auch der kontrollierte Einsatz von Tutoren dar, die Vermittlung der Bedeutung von freiwilligen Übungsblättern sowie fächerbezogene
Projekte – etwa wie man Mathematik „lesen“
kann. Die Ziele der meisten Hochschulen seien
ähnlich, berichtete Professor Dr. Manfred Ham-
pe, Ars legendi-Preisträger für exzellente Lehre
in der Studieneingangsphase „Wir sind dafür
verantwortlich, den sprichwörtlichen Samen
zu legen, um ein selbstständiges Studieren zu
ermöglichen.“
Dass sich durch die laufenden Projekte nicht
nur die Zufriedenheit der Ingenieursstudenten
erhöht, sondern sich bereits messbare Erfolge
einstellen, wurde am Beispiel der Fachhochschule Köln deutlich: „Durch gut aufeinander abgestimmte Maßnahmen konnten wir die Abbrecherquote in den ersten Semestern von 15 auf
fünf Prozent reduzieren“, berichtete Professor
Dr. Christian Averkamp, Dekan der Fakultät für
Informatik und Ingenieurwissenschaften der
Kölner Fachhochschule. Ebenso führte die Flexibilisierung bei der Zeiteinteilung der Studienmodule zu merklich weniger Studienabbrüchen
– denn heutzutage haben viele Studierende
zusätzliche Verpflichtungen wie Nebenjobs oder
Kindererziehung. Man war sich schnell einig:
Solche Ideen sollten Schule machen.
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Veranstaltungen
„Herrenhausen Late –
ScienceMusicFriends“
„Herrenhausen Late“ ist eine Veranstaltungsreihe für ein junges, wissenschaftlich interessiertes Publikum. Die VolkswagenStiftung
veranstaltet das Format in Kooperation mit
der Leibniz Universität Hannover und der
Hochschule für Musik, Theater und Medien
Hannover.
Bereits zum Auftakt im Juli 2013 war der Ansturm
auf den Festsaal von Schloss Herrenhausen enorm
– seither ist Herrenhausen Late ein bedeutender
Anziehungspunkt für das Publikum. Denn es gibt
keine Katheder-Vorlesung, keine abstrakte Forschung – hingegen werden Wissenschaftsthemen
originell gewendet und von Experten ebenso
unterhaltsam wie überraschend aufbereitet.
Die Themen reichten bisher von der makabren
Freude an Leichen und den Fertigkeiten von FoodDesignern über die Websprache der Jugendlichen
und die Ernährung der Weltbevölkerung bis hin
zum Klang des Urknalls. An jedem dieser Abende
steht die Interaktion mit dem Publikum im Vordergrund. Dazu verwandeln die Macher den Festsaal im Herrenhäuser Schloss in eine Lounge: mit
DJ, Sitzecken, einer Bühne und Bar – und reichlich
Aktion.
Künftig soll die Veranstaltungsreihe vier Mal pro
Jahr stattfinden. 2014 lädt die Stiftung noch zu
zwei Terminen. Am 7. Oktober und am 7. November heißt es dann wieder: „Herrenhausen Late –
ScienceMusicFriends“.
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Veranstaltungen
November
Mit ihren derzeit fünf Veranstaltungsreihen im Schloss Herrenhausen in Hannover verfolgt die
VolkswagenStiftung das Ziel, Wissen in die Gesellschaft zu tragen, Forschern ein Forum für ihren
fachlichen Austausch zu geben und die Verbindung von Wissenschaft und verschiedenen Zielgruppen zu intensivieren. Eine aktuelle Übersicht der wissenschaftlichen Veranstaltungen im
Tagungszentrum Schloss Herrenhausen sowie Anmeldemöglichkeiten sind zu finden unter
www.volkswagenstiftung.de/veranstaltungen. Hier ausgewählte Termine der nächsten Monate.
September
2.9.
15.9.-17.9. 18.9.
19.9.-20.9.
26.9.
Leopoldina Lecture: „Der Strombürger und das liebe Geld – Sozio-ökonomische Aspekte
der Energiewende“
Workshopreihe „Professionals in Science“ für – angehende – Führungskräfte in der
Wissenschaft
Herrenhäuser Gespräch: „Pioniere und Prosumer – eine Politik des Praktischen“
Hochschulpolitisches Werkstattgespräch
Öffentlicher Abendvortrag: „Referenzwerte und Verteilung von Risikofaktoren für
die kindliche Gesundheit“
Herrenhäuser Forum Mensch – Natur – Technik: „Von unserer Sehnsucht, das Schöne zu erklären“
Statussymposium: „Extreme Events“ (beendetes Fördergebiet der Stiftung)
Herrenhausen Late
Herrenhäuser Konferenz: „Beyond the Intestinal Microbiome – From Signatures to Therapy“
Herrenhäuser Forum Mensch – Natur – Technik: „Hundert Billionen Mitbewohner – wie Mikroorganismen unsere Gesundheit beeinflussen“
Hannah Arendt Tage
Herrenhäuser Zukunftsdialog: „Wie wollen wir morgen miteinander leben?“
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100
Dezember
3.12.Herrenhäuser Forum Politik – Wirtschaft – Gesellschaft: „Wie viel Streit braucht die Demokratie? Über das Verschwinden des Politischen“
4.12.-5.12. Symposium: „Musik, Fest und Vergnügen“
10.12.-12.12. Herrenhäuser Symposium: China in the Global Academic Landscapes
10.12.-12.12. Symposium: „Dual Use Research in Microbes – Biosafety, Biosecurity, Responsibility.”
Januar/Februar (Vorschau 2015)
Oktober
1.10. 6.10.-7.10. 7.10.
8.10.-10.10.
9.10. 11.10.
27.10.
3.11.-5.11. Workshopreihe „Professionals in Science“ für – angehende – Führungskräfte in der
Wissenschaft
5.11.Herrenhäuser Forum für Zeitgeschehen Extra: „Augenzeugen, Übersetzer, Zeitzeugen –
der Nahe Osten“
6.11.-8.11. Nature Herrenhausen Symposium: „Immune Homeostasis and Inflammatory Disease“
7.11.
Herrenhausen Late
12.11.Verleihung NDR Kultur Sachbuchpreis und Förderpreis Opus Primum der Volkswagen
Stiftung
19.11.-20.11. Statussymposium zur Förderinitiative „Peter Paul Ewald-Fellowships“ der Stiftung
20.11.-21.11. Workshop: „Die Gestaltung universitärer Forschungszentren und -Verbünde –
kollektive Forschungsformen als Modell der Zukunft?“
24.11.-25.11. Workshop: „1st Governance of Science: Strategies for the 21st Century“
26.11.Herrenhäuser Forum für Zeitgeschehen Extra: „Augenzeugen, Übersetzer, Zeitzeugen – China“
27.11.Herrenhäuser Gespräch: „Quantified Self – Fluch und Segen der digitalen Selbstvermessung
Herrenhäuser Konferenzen
Die Herrenhäuser Konferenzen
sind Fachveranstaltungen. Sie
fokussieren mit besonderem
Aktualitäts- und Zukunftsbezug
wissenschaftliche Themen von
hoher gesellschaftlicher Relevanz
und öffnen neue Forschungsfelder.
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Herrenhäuser Symposien
Die Herrenhäuser Symposien –
ebenfalls geschlossene Fachveranstaltungen – bieten Forschern eine
Plattform, Ideen zu entwickeln und
neue Forschungsansätze zu diskutieren. Die Stiftung veranstaltet
auch eigene Symposien.
14.1. 22.1. 5.2. 11.2.-13.2. Forum für Zeitgeschehen Extra: „Augenzeugen, Übersetzer, Zeitzeugen“ (Teil 3)
Herrenhäuser Gespräch (Thema noch offen)
Herrenhäuser Forum Mensch – Natur – Technik (Thema noch offen)
Workshopreihe „Professionals in Science“ für – angehende – Führungskräfte in der
Wissenschaft
Einzelne Programmpunkte der – ansonsten als Fachveranstaltungen geschlossenen – Herrenhäuser
Konferenzen und Herrenhäuser Symposien können für die Öffentlichkeit zugänglich sein.
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Herrenhäuser Gespräche
Mit den Herrenhäuser Gesprächen
präsentieren die Stiftung und NDR
Kultur aktuelle Themen aus Wissenschaft und Kultur von Bedeutung
für die Gesellschaft. Adressat ist hier
zuvorderst die wissenschaftsinteressierte Öffentlichkeit.
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RU
Herrenhäuser Forum
Mit verschiedenen Schwerpunkten
begeistert das Herrenhäuser Forum
ein breites Publikum für wissenschaftliche Fragen: zu Themen des
Zeitgeschehens und Aktuellem aus
„Politik – Wirtschaft – Gesellschaft“
und „Mensch – Natur – Technik“.
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Herrenhausen Late
„Herrenhausen Late – ScienceMusicFriends“ zielt auf ein junges Publikum. Experten unterhalten aus
überraschender Perspektive originell
über Wissensthemen. Der Festsaal
im Schloss verwandelt sich in eine
Lounge mit kleiner Bühne, DJ und Bar.
Publikationen
aus geförderten Projekten
der VolkswagenStiftung
Flutkatastrophen – Erkenntnisse aus ihrer Geschichte
Der Erste Weltkrieg – neu bewertet
Der „Große Krieg“: An seinem Ende, im November
1918, waren zu bilanzieren – 17 Millionen Tote, eine
in Trümmer gestürzte Weltordnung und ungestillte
Revanchegelüste. Als Ausbruch aus einem scheinbar stillstehenden Zeitalter der Sicherheit wurde
der Beginn des Ersten Weltkriegs am 1. August 1914
von vielen noch euphorisch begrüßt. Aber dieser
Gewaltausbruch veränderte alles. Er fegte die alte
Welt hinweg; es begann die Ära der Ideologien und
Diktaturen, die zu Hitler und schließlich zum Zweiten Weltkrieg mit all seinen Verwerfungen führen
sollte. Der Historiker Herfried Münkler zeigt in sei-
ner großen Gesamtdarstellung, wie diese „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts das Ende der Imperien besiegelte, Revolutionen auslöste, aber auch den
Aufstieg des Sozialstaats und der Nationalismen
förderte. Sein Zeitpanorama führt nicht nur die
politischen und menschlichen Erschütterungen des
Ersten Weltkriegs vor Augen, sondern nimmt auch
Neubewertungen dieses epochalen Ereignisses vor.
Herfried Münkler: „Der Große Krieg“. Berlin:
Rowohlt Berlin-Verlag, 2. Aufl., 2013.
ISBN 978-3-87134-720-7
Peter Weiss und die deutsche Sprache
Der 1916 bei Potsdam geborene und 1982 in
Stockholm gestorbene deutsch-schwedische
Schriftsteller, Maler, Grafiker und Experimentalfilmer Peter Weiss erwarb sich in der deutschen
Nachkriegsliteratur gleichermaßen als Vertreter
einer avantgardistischen, minutiösen Beschreibungsliteratur, als Verfasser autobiografischer
Prosa und als politisch engagierter Dramatiker
einen Namen. Internationalen Erfolg erzielte
er mit dem Stück „Marat/Sade“. Das dem dokumentarischen Theater zugerechnete AuschwitzOratorium „Die Ermittlung“ führte Mitte der
1960er-Jahre zu breiten vergangenheitspolitischen Auseinandersetzungen. In diesem Buch
von Jenny Willner wird Peter Weiss’ Schreiben als
ebenso grundlegende wie konsequente Auseinandersetzung mit der sprachlichen Dimension
nationalsozialistischer Herrschaft, mit deren
Auswirkungen und Spätfolgen greifbar. Die
Autorin kombiniert die Analyse bislang kaum
102
bekannter Archivmaterialien aus Weiss’ Nachlass mit einer dezidiert literaturtheoretischen
Herangehensweise: Vergleichende Lektüren mit
Sprachdenkern wie Victor Klemperer oder Jacques Derrida lassen seinen besonderen Umgang
mit Fragen sprachlicher Gewalt und Gegengewalt, sprachlicher Verletzbarkeit und Strategien
der Immunisierung erkennbar werden. Weiss’
Kampf mit, um und gegen die deutsche Sprache
berührt Probleme, die längst nicht überwunden
sind. Quer zur Kampfrhetorik um West und Ost,
zu den Debatten der Linken um ’68 verläuft eine
ganz andere Konfliktlinie: zwischen dem im Exil
Gebliebenen, dessen Lebenslauf von der nationalsozialistischen Verfolgung durchkreuzt wurde,
und den Deutschen und ihrer Sprache.
Jenny Willner: „Wortgewalt. Peter Weiss und die
deutsche Sprache“. Konstanz: Konstanz University Press, 2014. ISBN 978-3-86253-040-3
Schnell ist von Jahrhundertereignissen die Rede,
wenn Flüsse wie Elbe und Oder über die Ufer
treten oder die Medien Bilder von Hochwasserkatastrophen in fernen Ländern verbreiten. Treten
Fluten dieser Größenordnung wirklich nur ein Mal
pro Jahrhundert auf? Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es seit der Eiszeit immer wieder
zu extremen Hochwassern gekommen ist. Jürgen
Hergets Untersuchung historischer Überflutungen
führte zu neuen Erkenntnissen für die heutige
Bewertung und die Prognosen künftiger Fluten. In
seinem Buch schildert er anschaulich die Ursachen
von Überschwemmungen, stellt Untersuchungsund Analysemethoden vor und interpretiert historische Flutkatastrophen anhand ausgewählter
Beispiele.
Jürgen Herget: „Am Anfang war die Sintflut. Hochwasserkatastrophen in der Geschichte“. Darmstadt: Primus-Verlag, 2012. ISBN 978-3-86312-336-9
Was der Naumburger Westlettner verrät
Der Westlettner des Naumburger Doms mit seiner
skulpturalen Ausstattung zählt im Einklang mit
den lebensgroßen Stifterfiguren im Westchor zu
den bedeutendsten bildhauerischen Leistungen
des 13. Jahrhunderts. Peter Bömers Forschungen im
Rahmen des von der Stiftung als außergewöhnliches Vorhaben geförderten „Naumburg Kollegs“
richteten sich einerseits auf die Formensprache und
Ikonographie der Lettnerbildwerke, andererseits
auf die Nutzung und Bedeutung des Westlettners.
In seiner Dissertation gelangt der Kunsthistoriker
zu zwei neuen, grundlegenden Erkenntnissen:
Es bestehen zum einen enge künstlerische Verflechtungen des Naumburger Westlettners mit
der Westfassade der Kathedrale von Reims; diese
Einflüsse wurden bislang wegen einer zu späten
Datierung der Skulpturengruppe in Reims nicht
in der Forschung berücksichtigt. Zum anderen
lässt Bömers Untersuchung darauf schließen, dass
Westchor und Westlettner zu ihrer Entstehungszeit
vor allem für die Liturgie durch den Klerus genutzt
wurden und der Westchor bei großen kirchlichen
Festen auch als Ort der Messfeier gedient hat.
Peter Bömer: „Der Westlettner des Naumburger
Doms und seine Bildwerke. Form- und funktionsgeschichtliche Studien“. Regensburg: Verlag Friedrich
Pustet, 2014. ISBN 978-3-7917-2563-5
Wie erforscht man Kulturbeziehungen?
Die Autoren nehmen die Paradigmen der Kulturbeziehungs- und Kulturkontaktforschung in den
Blick, die sich in den vergangenen Jahren beständig erweitert haben. Dabei konzentrieren sie sich
auf die deutsch-französischen Kulturbeziehungen.
Aufgrund gegebener Differenzen und Konfliktpotenziale stellen diese ein interessantes Feld dar,
um entsprechende Theorien und Methoden zu
prüfen und gegebenenfalls weiterzuentwickeln.
Zwei grundlegende Analysekategorien – Vergleich
und Transfer – stehen im Fokus. Sie wurden in
erster Linie im deutsch-französischen Wissen-
schaftskontext entwickelt. Wissenschaftler aus
verschiedenen Disziplinen untersuchen anhand
von diversen Textsorten, Medien und soziokulturellen Kontexten die methodischen Herausforderungen dieser beiden Kategorien.
Christiane Solte-Gresser, Hans-Jürgen Lüsebrink,
Manfred Schmeling (Hrsg.): „Zwischen Transfer
und Vergleich. Theorien und Methoden der Literatur- und Kulturbeziehungen aus deutsch-französischer Perspektive“. Stuttgart: Steiner-Verlag, 2012.
ISBN 978-3-515-10634
Impulse 02_2014 103
volkswagenstiftung.de
Die Stiftung in Kürze
Start der neuen Audiopodcast-Reihe der VolkswagenStiftung: Ab Juli 2014 können Sie eine
Auswahl wissenschaftlicher Vorträge aus Stiftungsveranstaltungen in ungekürzter Länge
nachhören – wann und wo Sie wollen. Das Angebot an MP3-Downloads finden Sie auf allen
großen Portalen: bei YouTube, iTunes, Soundcloud, Podcast.de – und natürlich auf der Stiftungshomepage (www.volkswagenstiftung.de).
Die VolkswagenStiftung ist eine eigenständige, gemeinnützige Stiftung privaten Rechts mit Sitz in Hannover.
Mit einem Fördervolumen von insgesamt etwa 150 Millionen Euro pro Jahr ist sie die größte private deutsche
wissenschaftsfördernde Stiftung und eine der größten
Stiftungen hierzulande überhaupt. In den mehr als fünfzig Jahren ihres Bestehens hat sie über 30.000 Projekte
mit insgesamt mehr als 4,2 Milliarden Euro gefördert.
Auch gemessen daran zählt sie zu den größten gemeinnützigen Stiftungen privaten Rechts in Deutschland.
Veranstaltungen
Herrenhäuser Gespräche, Foren, Konferenzen …
hier finden Sie Informationen über die Vielzahl
unserer Veranstaltungen.
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Angeboten werden zwei Playlists: „ListenToScience“ präsentiert populärwissenschaftliche
Vorträge, „ScienceCut“ hingegen richtet sich in
zumeist englischer Sprache an ein spezialisiertes
Fachpublikum.
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Das Angebot wird laufend erweitert. Wenn Sie
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In unserer Mediathek finden Sie Fotos und
Bildergalerien, Videos und Audios.
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In unserem Videoblog sciencemovies.de präsentieren sich acht von der VolkswagenStiftung
geförderte Projekte aus unterschiedlichen Fachdisziplinen. Film ab!
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Das Gründungskapital der Stiftung wurde von Bund und
Land Niedersachsen im Rahmen des Privatisierungsprozesses der heutigen Volkswagen AG bereitgestellt.
Es handelt sich bei der VolkswagenStiftung jedoch nicht
um eine Unternehmensstiftung. Die Stiftungsgremien
sind autonom und unabhängig in ihren Entscheidungen.
Erwirtschaftet werden die Fördermittel der Stiftung einerseits – größtenteils zugunsten der „Allgemeinen Förderung“ – aus ihrem Kapital, derzeit circa 2,7 Milliarden Euro.
Andererseits stammen sie aus den vom Land Niedersachsen gehaltenen und mit einem Vermögensanspruch der
Stiftung versehenen gut 30 Millionen Volkswagenaktien
samt ihrer Dividende (Teil des „Niedersächsischen Vorab“).
Die VolkswagenStiftung fördert gemäß ihrer Satzung
Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre
und setzt durch die von ihr bewilligten Mittel gezielte
Impulse. Sie entwickelt mit Blick auf zukunftsweisende
Forschungsgebiete eigene Förderinitiativen. Diese bilden den Rahmen ihrer Förderaktivitäten und werden im
Weiteren als Teil des eigenen Veranstaltungsangebots
thematisch aufgegriffen. Mit der Konzentration auf eine
begrenzte Zahl von Initiativen sorgt die Stiftung dafür,
dass ihre Mittel effektiv eingesetzt werden.
Besondere Aufmerksamkeit widmet die Stiftung dem wissenschaftlichen Nachwuchs sowie jenen Forscherinnen
und Forschern, die im Zuge ihrer Arbeit und wissenschaftlicher Kooperationen inhaltliche, kulturelle und staatliche
Grenzen hinter sich lassen. Ein Hauptaugenmerk gilt
desgleichen der Verbesserung der Ausbildungs- und Forschungsstrukturen in Deutschland. Die Umsetzung der
Ziele erfolgt oft im Austausch mit anderen Stiftungen und
öffentlichen Einrichtungen der Wissenschaftsförderung.
Impulse 02_2014 105
Impressum
Herausgeber
VolkswagenStiftung
Kastanienallee 35
30519 Hannover
Telefon: +49 511 8381-0
Telefax: +49 511 8381-344
E-Mail: info@volkswagenstiftung.de
www.volkswagenstiftung.de
Vertreten durch
Kuratorium VolkswagenStiftung, vertreten durch den Generalsekretär Dr. Wilhelm Krull
Redaktion (Text und Schlussredaktion)
Dr. Christian Jung (cj)
Bildredaktion
Ina-Jasmin Kossatz
Kommunikation VolkswagenStiftung
Jens Rehländer (Leitung)
Gestaltung
Medienteam-Samieske, Hannover
Korrektorat
Cornelia Groterjahn, Hannover
Druck
gutenberg beuys feindruckerei gmbh
Hans-Böckler-Str. 52
30851 Hannover/Langenhagen
Bildnachweis
Die Fotos und Abbildungen wurden – soweit unten nicht anders
angegeben – dankenswerterweise von den jeweiligen Instituten
bzw. Hochschul-Pressestellen zur Verfügung gestellt.
Professor Norbert Hoffmann
vom Institut für Wellenphysik
der Technischen Universität
Hamburg-Harburg in der
hochschuleigenen Mehrzweckhalle mit Wellenkanal. Um
Riesenwellen zu simulieren,
benötigen er und sein Team
zahlreiche Gerätschaften.
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Titelillustration, Seite 3: Nicolás Aznarez Lopez de Guereño
Seite 5: Dennis Börsch
Seiten 8-9: Sidney Omelon
Seiten 9-10, 60-65, 68 (unten): Gordon Welters, Berlin
Seiten 12-15, 76 (unten), 80, 81, 93-95, 97: Christian Burkert, Hannover
Seiten 16-17: Dirk Gebhardt, Köln
Seiten 18-19, 42, 44-45: Daniel Pilar/Hannover
Seiten 20-21 (oben, von links nach rechts):
Universität Tübingen, Universitätsmedizin Mainz, Privat, EMBL Heidelberg
Seiten 20-21 (unten, von links nach rechts):
Universität Regensburg, Privat, Universität Potsdam, Leibniz-Institut für
Pflanzenbiochemie
(alle Bilder sind bearbeitet)
Seite 23: Martin Neumann
Seite 24: fotolia
Seite 25: Suhwa Lee für VolkswagenStiftung
Seiten 26-35 : Thomas Victor, Berlin
Seite 36: Michael Jungblut/laif
Seite 37: CERN/Maximilien Brice, Claudia Marcelloni
Seiten 38-39: Yuri Kozyrev/Noor/laif
Seiten 40-41: Cira Moro, Tübingen
Seite 43: Mohammed al-Athori
Seite 46-47: Abdul Rahman H. Jaber
Seiten 48-51, 53, 55, 57 (oben), 106-107: Franz Bischoff, Hannover
Seite 52: Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM/RRE
Seite 55: Bobby Fisher/Photocase
Seite 56: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
Seite 57 (unten): Visualization: Sebastian Rettenberger, Data: Percy Galvez
and the ASCETE team
Seite 58 (oben): Christoph Papsch, Bonn
Seite 58 (unten): Hochschule Offenburg
Seite 59: David A. Caron, Department of Biological Sciences, University of Southern
California
Seiten 66-67, 68 (oben), 89: Michael Löwa, Hannover
Seite 69: Privat
Seiten 70-75, 77, 79: Leah Fasten, San Francisco
Seiten 82-83, 85, 86: Sponheuer für Ruhr Universität Bochum (RUB)
Seiten 84 und 87: RUB, PC2, Grafik: Matthias Heyden
Seite 88: Designmaniac/Photocase
Seiten 90-91: Photocase
Seiten 96, 98-99: Isabel Winarsch, Hannover
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Wir stiften Wissen
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Telefax 05 11/83 81-344
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