"Der Tod der Helden", Horizont 50/2012 vom 13

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"Der Tod der Helden", Horizont 50/2012 vom 13
HORIZONT 50/2012
13. Dezember 2012
Prototypen für das Individuelle werden durch menschlicher erscheinende Testimonials abgelöst
Foto: Olivier Douliery / Abacausa / Picture Alliance; Leo Burnett / Marlboro
20
PRAXIS
Der Tod der Helden
Gastbeitrag: Vom Hochmut zur Demut in der Kommunikation und was George Clooney vom Marlboro Man unterscheidet
In seinem Gastbeitrag beschreibt Jens Lönneker,
Geschäftsführer des Kölner
Rheingold Salon, warum Helden
in der Werbung ausgesorgt
haben und welche Codes of
Truth künftig für erfolgreiche
Markeninszenierungen verantwortlich sind. Fazit: Die Egomanie muss überwunden werden.
H
elden waren über Jahrzehnte
hinweg das implizite Vorbild
der Markenführung und der
Marken-Werbung in den
westlich geprägten Gesellschaften. Die
Google-Suche zählt allein 239 Millionen
Einträge für die Kombination „heros“
und „brand“. Mehr als 25 Prozent aller
Treffer für „heros“ fallen damit auf die
Verbindung mit „brand“. Das ist selbst
dann noch viel, wenn manche Treffer auf
die Verbindung mit „brand new“ zurückzuführen sind. Noch vor kurzem wurde
im Marketing-Journal gefordert: „Macht
Marken zu Helden!“
Jetzt aber sterben die Helden der
Werbung langsam aus. Oder sie wirken
komisch und etwas überkommen. Dem
früh verblichenen Camel-Mann, den
Wicküler-Musketieren, dem DavidoffMann folgte jüngst der Marlboro-Mann.
Auch der frühere „Profikiller“ Jean Reno
wirkt in der Sky-Werbung schon etwas
hüftsteif und in die Jahre gekommen –
nur noch mit einem leicht infantilen
Weihnachtsmann als „Gegner“ ausgestattet. Nein, es scheint kein neuer
Mr. Bombastic in Sicht. Vielmehr tun sich
auch Marken wie Warsteiner oder Actimel schwer, die im übertragenen
Sinne wie Helden in ihrer Ikonographie
inszeniert wurden.
Neuer und aktueller wirken dagegen
Formate, in denen sich die Protagonisten
eher menschlich statt heldenhaft zeigen –
insbesondere gerade dann, wenn sie berühmt sind. Beispiele hierfür sind George
Clooney in der Nespresso-Werbung und
die Heidi-Klum-Auftritte für Süßwaren
und Dessous. Ein weiteres Beispiel: Der
Liqui-Moli-Chef Ernst Prost kam mit seinem Spot hervorragend an, solange er
sich noch glaubhaft als braver, menschlicher Unternehmer präsentieren konnte
– und eben gerade nicht als einzigartiger
Visionär und „Unternehmer-Held“, wie
man es vielleicht von einem klassischen
Werbeformat erwarten würde.
Wie kommt es zu einem solchen Paradigmenwechsel? Wieso ist das Heldenformat auf einmal nicht mehr aktuell?
Welche Profile sind dagegen heute angesagt – und warum? Diesen Fragen sind
wir in unserem Rheingold Salon näher
nachgegangen. Entscheidend für diese
Entwicklung ist eine deutlich andere Ausrichtung im „Zeitgeist“.
Am Anfang standen Menschen wie Jimi Hendrix und Che Guevara. Sie waren
für die Jugend ihrer Zeit Rebellen – und
„Die Helden der Werbung
sterben langsam aus.
Oder sie wirken komisch
und etwas überkommen“
Helden. Helden, die bereit waren, für ihre
Rebellion ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
Sie waren auch Meister der Inszenierung
und wurden inszeniert wie auch andere
Große aus dieser Zeit: Muhammad Ali,
Rudi Dutschke, Bob Dylan oder Martin
Luther King. Ein kurzer Blick auf die Formen der Inszenierung und Selbstinszenierung dieser modernen Helden lohnt
sich: Denn sie haben die folgenden 40
Jahre in den meisten westlichen Gesellschaften mit ihrer Ikonographie maßgeblich geprägt. Die Verhältnisse dieser Zeit
wurden gerne in eine Psychologie gebracht, in der große Übermächte wie etwa die USA durch kleine Gruppen und
einzelne Menschen wie Che Guevara herausgefordert wurden. Sie taten dies, indem sie leidenschaftlich und mit besonderem Können die Herrschaft und Regeln
der Übermacht infrage stellten. Die modernen Helden entwickeln dabei Züge,
die man auch von antiken Helden – wie
etwa Herakles – kennt.
Die Helden-Ikonographie stellt den
Einzelnen in den Vordergrund, der gegen
eine Übermacht kämpft. Das Design von
Produkten und Marken hat im Verlauf
der letzten 40 Jahre diese Ikonographie
aufgenommen und sie auch in ihren
„Welten“ eingesetzt. Der Camel-Mann
und der Marlboro-Cowboy wurden so zu
Prototypen für das Individuelle, Unverwechselbare, Eigene. Das Individuelle,
Rebellische entwickelte sich paradoxerweise zur Massenware. Damit war jedoch
auch der Weg frei, um die Stilisierung
nach Art des einzigartigen Helden breiter
in der Massenkommunikation anzuwenden – ob nach Warsteiner-Art als Bier im
Sektkübel oder in ironisierender Form
wie Levi’s mit Mr. Bombastic.
Zugleich wurden mit dem Heldencredo gesellschaftliche Entwicklungen
unterfüttert, die immer mehr individuelle Freiräume eröffneten und den Einzelnen und seine Interessen beziehungsweise seinen Spaß in den Mittelpunkt
stellten. Aus dem Modell des Ursprungsrebellen wurde dabei immer mehr ein
lustorientierter Egomane und Spaßvogel
mit deutlich asozialen Zügen. Das gesellschaftliche Klima erschien vielen nun
immer kälter und von Ich-AGs und
Ellenbogengesellschaft geprägt.
Gesucht werden heute Muster, die
dabei helfen, die Egomanie in jedem
von uns zu überwinden. Wir können
heute vor diesem Hintergrund beobachten, wie Egohelden und ihre Ikonographie an Bedeutung verlieren. Sie werden zunehmend abgelöst durch kulturelle Guidelines, die wir hier unter der
Bezeichnung Codes of Truth zusammengefasst haben. Im Zentrum dieser Entwicklung zu Codes of Truth steht das
Bestreben, wieder Werte zu finden, die
von vielen als echt, wahrhaftig oder authentisch erlebt werden. Gesucht werden
dabei Muster und Prinzipien, die dabei
helfen, die Egomanie – in jedem von uns
– zu überwinden.
Im Zentrum steht hier die Beobachtung, dass in der gesellschaftlichen Diskussion wieder Muster und Ordnungen
eine große Beachtung finden, die größer
„Aus dem Modell des
Ursprungsrebellen wurde
ein lustorientierter Egomane
und Spaßvogel mit
deutlich asozialen Zügen“
sind als ein Ich oder Ego. Im Fokus
stehen heute daher wieder stärker
Konstrukte wie Familie, Region, Natur,
Tradition, Nation, aber auch Evolution,
Wissenschaft.
Das Ego und der Einzelne finden sich
hier als Bestandteil eines übergreifenden
Kontextes wieder, der mit seinen Gesetzen und Belangen zu respektieren ist und
dem sich Einzelinteressen im Zweifel unterordnen. Erfolgreiche Beispiele hierfür
sind die Werbeformate von Marken wie
Hipp, Pampers, Werthers Original, Gerolsteiner oder auch VW.
Im Fokus dieser Methode steht ein
Perspektivwechsel, der das Ego in seiner
Bedeutung relativiert. Anders als bei der
Einbettung in Mega-Ordnungen wird dabei die Bedeutung des Ego nicht direkt
infrage gestellt, sondern vielmehr darüber verändert, dass mit Bewertungsmaßstäben „gespielt“ wird. Der Held
wird dabei ironisiert, in eine allzu kleine
oder allzu große Welt gebracht – wie etwa
bei Gullivers Reisen. Die Axe-Werbung
überdreht zum Beispiel die Egomanie so
sehr, dass die Betrachter sich in ihren sexuellen Größenphantasien wie ertappt
fühlen und ins Schmunzeln geraten. Die
Zeitschrift „Landlust“ verdankt ihre
enormen Erfolge dagegen nicht zuletzt
dem Konzept, gerade die „kleine“ Welt in
besonderer Weise zu inszenieren.
Diese Methodik bietet dem Ego einen
Rahmen, in dem es sich austoben kann,
in dem ihm jedoch zugleich Grenzen gesetzt werden. Facebook, Apple und Co
ermöglichen unendliche Entfaltungsmöglichkeiten und legen zugleich aber
auch fest, was erlaubt ist beziehungsweise
was wirklich Relevanz hat und viele
Freunde findet. Viele Angebote, die unter
dem Stichwort Komplexitätsreduktion
für sich werben, haben ähnliche psychologische Wirkungsweisen.
In dieselbe Richtung zielen Aktivitäten, die der Digitalisierung wieder
eine Analogisierung des Alltags gegenüberstellen: Von Yoga bis Stricken und
dem Do-it-yourself-Boom bieten diese
Offerten psychologisch die Möglichkeit,
die tendenziell jede Alltagsstruktur
sprengende asoziale Kraft des Rebellischen wieder in den Dienst geordneter
Bahnen zu stellen.
Allmachts- und Größenphantasien
des Helden lassen sich last but not least
auch als Träume oder Albträume inszenieren, die dann mit einer gewissen Schadenfreude wieder mit der Realität und
ihren Beschränkungen konfrontiert werden. In dieses Muster lassen sich die RedBull-Flugtage einordnen, wo mit großem
Vergnügen das Scheitern des Traums vom
Fliegen inszeniert wird. Aber auch bei der
nervigen Snickers-Diva mit ihren albtraumhaften Zügen wird gezeigt, wie sie
sich wieder in einen ganz normalen
Alltagsmenschen verwandeln lässt.
Fazit: Alle vier vorgestellten, heute
erfolgreichen Methoden greifen die
gewaltigen, individuellen Energien auf,
die der Helden-Mythos entfalten kann.
Sie versuchen, diese Energien aber zugleich wieder deutlich stärker gesellschaftlich zu integrieren, als es in den
tonangebenden Werbeformaten der letzten Jahrzehnte der Fall war. Die Helden
müssen Demut lernen.