Markus Bensch
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Markus Bensch
Von der Lust am Fremdsein – 16 Monate (Süd)Afrika und noch immer nicht genug Autor: Markus Bensch Partnerorganisation: Africaid Whizzkids United Einsatzstelle: Durban Berichtszeitraum : Oktober – Dezember 2013, Abschlussbericht „Von Bremen in die Welt“, so lautete der Untertitel der Broschüre in der sich die weltwärts-Bremen Freiwilligen im September 2012 selbst vorstellten. In meinem Fall scheint sich diese Aussage nun auf eine viel umfassendere Weise zu verwirklichen als sie ursprünglich gedacht war. Aber der Reihe nach… 1. Veränderter Arbeitsalltag – Whizzkids United im Wandel Nach dem dreiwöchigen Urlaub mit meinem Bruder Daniel im September galt es zunächst einmal wieder in den Arbeitsalltag hineinzukommen und mich selbst wieder auf den aktuellsten Stand der Dinge zu bringen. In meiner Abwesenheit ist einiges in Bewegung gekommen. Whizzkids United (WKU) befand sich in einer regen Inhalts- und Organisationsentwicklung. Inhaltlich richtete WKU nun neben dem Bildungsauftrag verstärkt den Fokus auf die Stärkung und Befähigung („Empowerment“) der Jugendlichen. Dafür sollten Verantwortlichkeiten neu verteilt und zusätzliches Personal eingestellt werden. Im Zuge dessen sollte auch das Programmteam nun einen hauptamtlichen Mitarbeiter bekommen. In den drei Monaten bis zum Ende des Jahres wurde ein Organigramm erstellt und immer wieder weiterentwickelt, es wurden Vorstellungsgespräche für die zwei neuen Arbeitsstellen geführt und kurz vor Weihnachten stand die Entscheidung fest. Für mich standen in den letzten drei Monaten meines Einsatzes der Abschluss bestimmter Projekte und die Übergabe von Aufgaben im Vordergrund. Der Förderzeitraum des OVC-Projekts (Orphans and Vulnerable Children) ging im Dezember 2013 zu Ende. Das Projekt sollte erfolgreich abgeschlossen und gleichzeitig einen Folgeantrag für 2014 gestellt werden. Gemeinsam mit der sehr engagierten Freiwilligen Lina Cai und den Kollegen Gugu Mofokeng , Phakamani Nguse, Nokwanda Mkhize und Rusha Govender von der Health Academy (HA) arbeiteten wir an der Vereinheitlichung und Verbesserung der Teilnehmerlisten und der Synchronisation dieser Listen mit unserer internen InFocus Datenbank. Dieses Vorhaben konnte bis zum Ende des Jahres nicht abgeschlossen werden, aber mit der tatkräftigen Unterstützung unserer InFocus Koordinatorin Manda Simmons sind wir diesem Ziel einige entscheidende Schritte näher gekommen. Im Oktober wurde der Projektabschlussbericht eingereicht und bis zum Ende des Jahres wurde die Budgetplanung für 2014 für die Weiterführung des OVC-Projekts abgeschlossen. Einige Zahlen aus dem Bericht: Wir haben im Zeitraum Januar-August 2013 täglich durchschnittlich 35 Mittagessen ausgegeben und insgesamt in diesem Zeitraum knapp 2800 Essen für die Kinder und Jugendlichen gekocht. Das ist eine hohe Zahl, wenn man zudem noch berücksichtigt, dass die Teilnehmerdaten von April-Juni nicht erfasst wurden, was wiederum auf die Herausforderung einer zuverlässigeren Teilnehmererfassung hinweist. Dieses Beispiel stellt eines der zentralen Herausforderungen der heutigen Entwicklungszusammenarbeit dar. Es wird an vielen Orten Vieles und sicherlich auch viel Gutes getan. Es fehlt jedoch oft an zuverlässiger Dokumentation dessen was getan wurde, um später den Erfolg oder Misserfolg eines Projektes auch messen zu können und somit die Spreu vom Weizen zu trennen. Kurz nachdem Einreichen unseres Abschlussberichts wurde uns von der Christadelphian-Meal-ADay-Foundation für 2014 erneut der identische Betrag von rund R 120.000 zugesichert. Das hat uns natürlich sehr gefreut und war für uns auch eine Bestätigung unserer erfolgreichen Arbeit in 2013. Bis zum Ende des Jahres sollten jedoch noch einige Prozesse die ich im Laufe des Jahres begleitet hatte abgeschlossen werden. So haben wir u.a. eine Straßenkarte von Edendale in A1-Format drucken lassen, um andere Service-Anbieter in Edendale besser lokalisieren und Kinder und Jugendliche auch an andere Stellen verweisen zu können, die vielleicht näher zu ihrem zu Hause liegen. Von der Lust am Fremdsein I Datum: 30.03.2014 2 Auch im Bereich unseres Life-Skill-Programms, welches von der Oxfam Foundation gefördert wird, konnten wir einige wichtige Prozesse voranbringen bzw. abschließen. So haben wir die Hausaufgabenhefte die wir im Rahmen unserer Arbeit an den Schulen verwenden an das aktuelle Curriculum angepasst. Auch die Einverständniserklärung die von den Eltern der jeweils teilnehmenden Schüler vor Programmbeginn unterschrieben werden muss haben wir überarbeitet. Da das Schuljahr in Südafrika mit dem Weihnachtsfest endet und wir in einigen Schulen unser Programm zum Abschluss bringen konnten, war auch die Akquise von neuen Schulen für das neue Schuljahr ein wichtiges Anliegen. Gemeinsam mit den Life-Skill Trainern habe ich zwei Schulen besucht und wir haben die Inhalte unseres Life-Skill Trainings und unsere Arbeitsweise vorgestellt. Mündlich haben wir uns bereits auf eine Zusammenarbeit verständigt. Nun müssen noch letzte Einzelheiten geklärt und die Eltern im Rahmen einer Elternversammlung informiert werden und dann kann die Arbeit an den Schulen hoffentlich zum neuen Schuljahr beginnen. Das abzuschließen wird jedoch die Aufgabe der neuen Freiwilligen und/oder der neuen Programmkoordinatorin Gugu Mofokeng sein. Auch das Fußballteam von Whizzkids United hat einige Schritte nach vorne gemacht und sich weiter entwickelt. Ihr Betreuer und Trainer Nhlanhla Mnguni, der auch einer unserer Life-Skill Trainer ist und den ich in seiner Arbeit unterstützt habe, ist sehr engagiert und hat im letzten Jahr 4 Mannschaften (U13, U15, U17, U19) aufgebaut. Das ist sehr beeindruckend. Mit der U19 Mannschaft nahm er sogar an einem landesweitem Fußballturnier in Johannesburg im Dezember 2013 teil. Die Organisation und Akquise von Sponsorengeldern wurde allein von ihm und zwei Freunden in Angriff genommen und war von Erfolg gekrönt. Leider ist die Mannschaft in der Vorrunde ausgeschieden aber die Erfahrung war in jedem Fall sehr entwicklungsfördernd, für die Mannschaft und für die Trainer. In der Zukunft geht es nun darum die vier Teams stärker in den Alltag der HA einzubeziehen und die Spieler zu Botschaftern unserer Arbeit in der Community zu machen und sie auch darin zu unterstützen sich zu guten Rollenvorbildern im Township und unter ihren Freunden zu entwickeln. Im August startete auch ein neues Projekt mit dem Namen „Girls empowerment through football“. Dabei geht es um die Stärkung und Befähigung von jungen Frauen durch Fußball. Das Projekt wird von „Coaching for Hope“ gefördert und durch Gelder der HSBC-Bank finanziert. Unser Freiwilliger Fabian Siebert baute gemeinsam mit unserer Life-Skill Trainerin Slie Mondeh das Projekt auf. Darin werden unterschiedliche Ziele verfolgt. Es geht einerseits darum fußballerische Fähigkeiten bei den Mädchen und jungen Frauen zu entwickeln andererseits soll der Fußball dazu genutzt werden, um einfache mathematische Fähigkeiten, logisches Denken und Problemlösungsstrategien zu fördern. Des Weiteren geht es darum diese jungen Frauen darin zu bestärken gut für sich selbst zu sorgen und für sich selbst einzustehen und 1 "Girls empowerment through football" in Aktion Von der Lust am Fremdsein I Datum: 30.03.2014 3 sich gegenüber (jungen) Männern, in einer immer noch patriarchal bestimmten Gesellschaft, zu behaupten. Das heißt z.B. auch sich vor HIV und ungewollter Schwangerschaft zu schützen auf die Benutzung eines Kondoms beim Sex zu bestehen und sich nicht von jungen (Macho-)Männern zu riskantem Verhalten überreden zu lassen. Besonders in den Townships Südafrikas werden Mädchen im Hinblick auf die Schulausbildung gegenüber Jungen immer noch stark benachteiligt. Besonders auch deswegen ist dieses Projekt so wichtig für WKU und die Community. Im Oktober hatten wir Besuch von Cynthia Mangaba, der Verantwortlichen Koordinatorin des Projektes bei „Coaching for Hope“. Wir als Team wurden von ihr für unsere bisherige Arbeit sehr gelobt und hatten in den ersten Monaten schon einiges auf die Beine gestellt. Bis zum Ende des Jahres waren die Mädchen soweit, dass ein Fußballteam gebildet werden konnte und im neuen Jahr soll das erste Freundschaftsspiel bestritten werden und auch die Zusammenarbeit mit dem männlichen Whizzkids-Team beginnen. In den letzten drei Monaten konnten wir auch wieder neue Freiwillige bei WKU begrüßen und ich hatte die mir bereits vertraute Aufgabe, sie in den Arbeitsalltag einzuarbeiten. Im Oktober stieß Benjamin Bernicke für 6 Monate zum Programmteam hinzu und im Dezember konnte dann auch endlich die neue weltwärts-Freiwillige Henrike Heierberg anreisen. Sie hatte einige Schwierigkeiten mit dem VisumsAntrag, doch schlussendlich konnten wir dann doch noch etwa 2 Wochen gemeinsam arbeiten und ich ihr viele Dinge zeigen und erklären. Das wird sich für WKU sicherlich als großer Vorteil erweisen, dass wir als Langzeitfreiwillige uns persönlich begegnen konnten und somit eine bessere Übergabe möglich war und weniger Informationen verloren gehen konnten. Der häufige Wechsel von Freiwilligen wirkt sich sonst nämlich sehr oft negativ auf Arbeitsprozesse aus. Durch einen hauptamtlichen Mitarbeiter im Programmteam seit Beginn 2014 scheint aber auch dieses Problem nun auf längere Sicht gelöst zu sein. Im Oktober besuchten uns für eine Woche die beiden Trainer Nick Gates and Nora Dooley von „Coaches Across Continents“ (CAC), um unsere Life-Skill Trainer fortzubilden und ihnen Methoden und Übungen an die Hand zu geben, wie sie Fußball noch besser für soziale Entwicklung nutzen können. In meiner unterstützenden Rolle für die Life-Skill Trainer habe ich Nick und Nora die ganze Woche über begleitet und stand jeden Tag mit ihnen und unseren Trainern auf dem Fußballplatz um in der Praxis für 2 Nick Gates beim Training mit WKU Life-Skill-Trainern die Praxis zu lernen. Ich war begeistert von ihrer Art zu arbeiten, von ihrem Konzept und auch menschlich war ich von Nick, dem Gründer von CAC, sehr angetan. Und ich merkte schnell, dass diese Begeisterung auf Gegenseitigkeit beruhte. Auf unseren täglichen Fahrten von Durban nach Edendale und zurück unterhielten Nick, Nora und ich uns über Themen wie Selbstorganisiertes Lernen, die Bedeutung von Emotionen für das Lernen, Lerntheorien und Lernkonzepte und natürlich auch über Gott und die Welt. Wir merkten schnell, dass wir auf der gleichen Wellenlänge liegen und in vielen DinVon der Lust am Fremdsein I Datum: 30.03.2014 4 gen ähnliche Ansichten teilen. Ich fühlte, dass nach mehr als 3 Jahren zum ersten Mal wieder mein Pädagogen-Herz höher schlug, denn Themen die mich umtreiben und die mich begeistern stießen auf Resonanz: Was ist erfolgreiches Lernen? Wie können Lernumgebungen gestaltet werden, damit die Lernenden ihre Lösungen für ihre Probleme entwickeln können? Wie kann man das Wissen darum wie unser Gehirn lernt methodisch am besten umsetzen? Das sind alles Fragen für die ich mich begeistere, an denen ich jedoch seit dem Abschluss meiner Diplomarbeit zum Thema „Selbstorganisiertes Lernen in der Schule“ nicht mehr arbeiten und mich fachlich auch mit niemandem austauschen konnte. Nun bekam diese meine Leidenschaft neue Nahrung und es schien wie die perfekte Kombination: Ich könnte meine Leidenschaft für das Lernen und die Pädagogik mit meiner Leidenschaft für den Fußball verbinden. Aber noch war es nicht soweit. Im Dezember wollten wir noch einmal Kontakt miteinander aufnehmen und Nick würde dann den konkreten Bedarf von CAC für das neue Jahr kennen. Die Aussichten waren jedoch vielversprechend … Ich war begeistert! Das Jahr neigte sich langsam dem Ende entgegen und so stand auch schon wieder Weihnachten vor der Tür. Wie es mittlerweile bei WKU zur Tradition geworden ist, wollten wir das Jahr bei einer gemeinsamen Weihnachtsfeier ausklingen lassen. Ich wurde mit der Organisation betraut. Nach dem Vorstellen mehrerer Optionen, viel schlussendlich die Wahl doch wieder, wie im vergangenen Jahr, auf das Restaurant im Golden Horse Casino in Pietermaritzburg. In dieser Hinsicht sind die Südafrikaner doch sehr bequem und bleiben gern beim Altbewährten. Und für schwarze Südafrikaner ist das Essen eines der Hauptkriterien. Es soll vor allem viel und auch variantenreich sein. Diese beiden wichtigsten Kriterium hatte das Golden Horse Casino in den letzten Jahren erfüllt und so feierten wir dort am 07. Dezember 2013 erneut unsere Weihnachtsfeier. Danach ging es mit einer kleineren Gruppe noch in die Innenstadt von Pietermaritzburg und wir feierten noch bis spät abends. Wir sangen, tanzten und hatten viel Spaß miteinander. Dabei war für mich besonders beeindruckend, wie herzlich uns die Menschen in der Tanzbar begrüßten und sich außerordentlich freuten, dass auch einige Weiße den Weg dorthin gefunden hatten. Es ist nämlich immer noch nicht selbstverständlich, dass Menschen unterschiedlicher Rassen in Südafrika ihre Freizeit gemeinsam verbringen. An diesem Abend wurde es Realität und das mit einer Freundlichkeit wie ich sie selbst aus der Großstadt Durban nicht kannte. Das hat mich sehr gefreut und positiv gestimmt und unheimlich viel Spaß gemacht. An diesem Abend habe ich z.B. von einem Schwarzen zum ersten Mal in der Praxis gezeigt bekommen wie man „richtig“ tanzt, d.h. seine Füße, seinen Hintern und den ganzen Körper „richtig“ bewegt und alle Körperteile gekonnt miteinander koordiniert. 3 Gruppenfoto bei der WKU Weihnachtsfeier Von der Lust am Fremdsein I Datum: 30.03.2014 5 Meine Zeit mit WKU hatte mit dem Pick ‘n Pay-Projekt begonnen und sollte damit auch enden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten entwickelten sich die s.g. Earth Boxes zu einem Erfolg und das darin gepflanzte Gemüse gedieh und es war auch immer jemand da, der dafür sorgte, dass die Pflanzen genug Wasser hatten. So bestellten wir nach der Zusicherung von Sponsorengeldern 30 weitere Boxen. Diese wurden kurz vor Weihnachten noch geliefert und ich holte sie mit meinem Kollegen Phakamani Nguse am 23. Dezember ab. Im neuen Jahr müssen diese nun noch bepflanzt werden und der Garten an der HA kann weiter wachsen. Ich wünsche dem Projekt alles Gute und eine gute Ernte, damit die WKU Suppenküche in Zukunft mit immer mehr Gemüse aus dem eigenen Garten versorgt werden kann und die Kinder lernen, wie sie auch bei sich zu Hause Gemüse anbauen können. Abschließend möchte ich dem Programm weltwärts, Whizzkids United sowie weltwärts-Bremen von ganzem Herzen danke sagen, mir diese wunderbare Möglichkeit gegeben zu haben, mich bei geringem finanziellem Aufwand ehrenamtlich einbringen zu können und für 16 Monate in eine fremde Kultur eintauchen zu dürfen. Für mich hat sich damit auch beruflich ein neuer Horizont aufgetan, der mir so viele neue Optionen für die Zukunft bietet. Das macht mich sehr froh und erfüllt mich mit großem Dank. 2. Weltwärts als Sprungbrett in die Entwicklungszusammenarbeit Da ich in meiner Zeit bei WKU nun auf die Zielgerade einbog, machte ich mir auch Gedanken über meine berufliche Zukunft und folgte meinen inneren Impulsen und Ideen. Mein Selbstportrait in der Broschüre über den 5. weltwärts-Jahrgang hatte den Titel „Ich bin gern ein Fremder“. Die Lust am Fremdsein ist mir bis heute nicht vergangen, nein, sie ist eher noch intensiver. Das Neue, das Unbekannte, das Unvorhersehbare, das Risiko es reizt mich. Ja, ich bin neugierig, möchte immer wieder überrascht werden, habe Freude am Entdecken, Forschen, möchte etwas lernen und verstehen von der Welt. Und wenn es anstrengend wird, versuche ich mich an dieser Worte zu erinnern und mich von dem in Aussicht gestelltem Glücksgefühl tragen zu lassen, das sich einstellt, wenn eine Aufregung oder Leidensphase hinter mir liegt. So habe ich mich Ende September, gleich nach der Rückkehr von der Reise mit meinem Bruder, daran gemacht, mich für zwei Trainee-Stellen bei der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu bewerben, eine in Kirgisistan und die andere in Israel. Die Konkurrenzsituation bei der GIZ ist sehr groß und so habe ich in den kommenden Monaten bis Anfang 2014 zwei Absagen erhalten. Obwohl ich zu Beginn besonders für das Projekt in Kirgisistan große Begeisterung hegte, war ich nicht sehr enttäuscht darüber, denn ich fühle mich einerseits getragen von dem Vertrauen, dass sich das Richtige für mich ergeben wird und ich eine mich begeisternde Aufgabe finden werde und andererseits hatten sich für mich in der Zwischenzeit sehr interessante weitere Optionen aufgetan. Der Besuch von Nick Gates und Nora Dooley von CAC hatte mich sehr begeistert, einerseits menschlich andererseits auch inhaltlich. Nach unserer gemeinsamen Arbeitswoche im Oktober blieben wir in den kommenden Wochen im Kontakt und Anfang Dezember wurde mir von CAC eine Stipendiumsstelle angeboten. Ich bat um etwas Bedenkzeit, doch innerlich sprühte ich bereits vor Begeisterung und mir war schnell klar, dass diese Arbeit genau das war was ich machen will. Die Entscheidung war sehr schnell gefällt und ich sagte zu. Nick Gates und Brian Suskiewicz die beiden leitenden Personen bei CAC waren Von der Lust am Fremdsein I Datum: 30.03.2014 6 begeistert und ich freute mich bereits auf die neue Herausforderung. Ab Anfang April soll ich zunächst für 9 Monate das Team von CAC verstärken und in unterschiedlichen Ländern Afrikas, Asiens und Amerikas als s.g. „On-Field-Coach“ arbeiten und mit Trainern unserer Kooperationspartner zusammenarbeiten. Diese sollen darin unterstützt und weitergebildet werden, wie sie Fußball noch besser für soziale Entwicklung nutzen können. Mein nächster beruflicher Entwicklungsschritt war somit in trockenen Tüchern und so konnte ich mich in Ruhe und Gelassenheit auf meine geplante 5-wöchige Reise durchs südliche Afrika begeben. Ob die Entwicklungszusammenarbeit auf längere Sicht meine berufliche Heimat ist, wird sich sicherlich in den kommenden 1-2 Jahren zeigen. 3. 9500 km durchs südliche Afrika Am 25. Dezember begab ich mich mit Sindiswa nach Kapstadt wo wir 4 wunderschöne gemeinsame Tage verbrachten. Am 29. Dezember machte ich mich dann alleine auf den Weg nach Namibia und verbrachte in der Küstenstadt Swakopmund Silvester und Neujahr. Es war für mich ein ruhiger Jahreswechsel, so fühlte es sich für mich richtig und gut an. Ich machte mich bewusst alleine auf den Weg, denn ich wollte es mir selbst beweisen, dass ich alleine reisen kann, dass ich es auch alleine schaffe, dass ich alleine durchkomme. Als ich die Entscheidung bereits lange vor Beginn meiner Reise fällte, bewahrheitete sich wieder einer der Sätze aus meinem Selbstportrait im weltwärts-Buch: „Das was mich antreibt, ist die leise innere Stimme die mich auffordert mich meiner Angst zu stellen, mich zu trauen, nicht zu kuschen, nicht zu hoffen, sondern zu handeln.“ Ich sollte es nicht bereuen und würde es rückblickend auf meine Reise auch in Zukunft immer wieder machen. In den folgenden vier Wochen führte mich mein Weg über das Okavango Delta in Botswana zu den Viktoria Fällen in Livingstone (Sambia). Von dort fuhr ich weiter über die Hauptstadt Lusaka nach Lilongwe in Malawi. Dort verbrachte ich einige Tage mit meinem Studienfreund Tino, bevor ich mich weiter auf den Weg zum Lake Malawi machte. Nach vier Tagen kam ich zurück nach Lilongwe, um mich am darauffolgenden Tag für 35 (!) Stunden in den Bus Richtung Johannesburg zu setzen und am Schluss pünktlich (!) anzukommen. Dort traf ich mich am 25. Januar 2014 wieder mit Sindiswa und mein Urlaub fand in den vier gemeinsamen Tagen einen schönen Abschluss. Am Mittwoch, den 29. Januar machten wir uns dann beide mit dem Bus auf den Weg zurück nach Durban. Zusammen legte ich den 5 Wochen seit dem 25. Dezember 9500 km zurück. Davon lediglich 1600 km im Flugzeug, die restlichen 7900 km in Bussen, Mini-Bussen, Autos und Caravans. Noch mehr als die enorme Distanz werden mir die Menschen in Erinnerung bleiben, denen ich begegnet bin. Ich traf auf meiner Reise auf so viele freundliche, offene und hilfsbereite Menschen, die mir in einer fremden Stadt halfen mich zu orientieren, die mich in ihrem Auto mitnahmen, weil sie in die gleiche 4 Mein Guide und ich auf dem Mokoro-Trip im Okavango Delta Von der Lust am Fremdsein I Datum: 30.03.2014 7 Richtung fuhren oder die mit mir die Umgebung erkundeten an Orten an denen ich für einige Tage verweilte. Es gäbe so viele Geschichten und herzerwärmende Anekdoten zu erzählen. Dafür reicht hier jedoch der Platz nicht. Zwei rührende und gleichzeitig erschütternde Geschichte sollen jedoch von den beiden folgenden Bildern und den dazugehörigen Lebensgeschichten erzählt werden. Diese Ausstellung befand sich im Gebäude des Verfassungsgerichts von Südafrika in Johannesburg. Ich war sehr gerührt von diesen Geschichten und gleichzeitig machte mich die Absurdität dieser Schicksale traurig, entsetzt, wütend und doch auch zuversichtlich, denn mich beeindruckte der Lebenswille der aus den Texten sprach. Doch lesen sie selbst: Von der Lust am Fremdsein I Datum: 30.03.2014 8 4. Sinomlando – Wir haben eine Zukunft Im Hinblick auf die Entwicklungszusammenarbeit durfte ich Mitte Oktober eine interessante Erfahrung an der Health Academy (HA) sammeln. Drei (schwarze, südafrikanische) Frauen haben allen Mitarbeitern das Sinomlando- Projekt (isiZulu für: Wir haben eine Zukunft) vorgestellt. Dieses Projekt wurde initiiert von einem belgischen Professor an der Kwa-Zulu-Natal Universität in Durban und hat als zentrales Ziel die Thematisierung des HIV/AIDS Problems. Diese Projektgruppe führt Workshops, Camps und Informationsveranstaltungen durch, um Gemeinschaften darin zu motivieren und darüber zu informieren, das Thema HIV/AIDS in den Familien und im sozialen Umfeld der Betroffenen zu thematisieren. Ich war sehr beeindruckt von diesem Projekt. Einerseits weil es versucht die Familie und das unmittelbare soziale Umfeld von Infizierten als die kleinste soziale Zelle, darin zu unterstützen miteinander ins Gespräch zu kommen. Andererseits weil mir ein weiteres Mal ein wunderbarer Einblick in die (süd)afrikanische Kultur gegeben wurde und mir wiederholt bewusst wurde wie kulturelle Muster Probleme verschärfen können. Die Situation ist oft Folgende: Die unterschiedlichen Generationen (Eltern und Kinder) kommen fast niemals miteinander ins Gespräch über die Geschichte der Familie, über Geschehnisse aus der Vergangenheit. Heikle Themen werden von den Kindern ferngehalten und so passiert es nicht selten, dass HIV+ Kinder über Jahre hinweg nicht erfahren, dass sie positiv sind. Sie nehmen täglich Medikamente ein um die Viruslast (gemeint ist das HI-Virus) in ihrem Körper gering zu halten und ihnen wird gesagt, dass diese gegen Tuberkulose sind oder ähnliches. Oder Kinder leben mit ihren Großeltern Von der Lust am Fremdsein I Datum: 30.03.2014 9 und ihnen wird nie erklärt wo Vater und Mutter sind, was mit ihnen passiert ist, warum sie nicht mehr da sind usw. Auch die eigene Lebensgeschichte der älteren Generation wird mit den Kindern nicht geteilt. Es herrscht also viel (Tot-)Schweigen wo eigentlich miteinander gesprochen werden sollte. Das Sinomlando Projekt versucht dieses Schweigen zu durchbrechen und veranstaltet Camps für HIV+ Kinder, wo diese über ihre Erfahrungen, Ängste, Zweifel und Hoffnungen sprechen können. Den Betroffenen wird eine Stimme gegeben und es wird versucht ihnen dabei zu helfen ein positives Verhältnis zu ihrer Erkrankung zu entwickeln, die für die Betroffenen bis ans Lebensende ein Teil ihres Lebens sein wird. Gleichzeitig wird versucht Vorsteher von Gemeinschaften zu informieren und als Multiplikatoren zu gewinnen, denn das Phänomen des Schweigens ist so gewaltig, dass es von dieser kleinen Projektgruppe allein nicht bewältigt werden kann. Das Sinomlando Projekt kooperiert mit WKU, weil wir bereits mit HIV+ Jugendlichen zusammenarbeiten. Der positive Impuls eines offenen, gesprächsbereiten und unterstützenden Umfelds an der HA verpufft jedoch schnell, wenn diese Jugendlichen nach Hause kommen und mit einer Mauer des Schweigens konfrontiert sind. Das Sinomlando-Projekt setzt also dort an wo die Arbeit der HA aufhört, an der Schwelle zur eigenen Haustür der Jugendlichen. Das Ziel der Kooperation zwischen dem Sinomlando Projekt und WKU ist es, nicht nur ein unterstützendes Umfeld für die Jugendlichen an der HA zu schaffen, sondern den offenen Dialog auch in den Familien zu fördern. Ich bin aus dreierlei Gründen so beeindruckt von diesem Projekt und von dieser Kooperation. Erstens, weil es von lokalen Menschen durchgeführt wird und die Präsentation mir das Gefühl gab, dass diese Gruppe eigene Lösungen für ihre Probleme und Herausforderungen entwickelt, in diesem Fall Methoden und Wege um das Schweigen zu brechen und Familienmitglieder miteinander ins Gespräch zu bringen und HIV+ Menschen einen Ort und Raum zu geben, um ihre Gefühle, Hoffnungen und Ängste auszudrücken. Die Projektgruppe hat nicht ein Projekt der Entwicklungszusammenarbeit präsentiert, sondern es hat ihr Projekt und ihre Lösungsvorschläge vorgestellt. Dieses Authentische hat mich beeindruckt. Zweitens, weil es in der kleinsten Zelle sozialer Veränderung ansetzt, in der Familie und dem unmittelbaren sozialen Umfeld. Meine bisherige Erfahrung hat mich gelehrt, dass Initiativen und Unterstützungsprozesse im Nichts verpuffen, wenn das unmittelbare soziale Umfeld der Betroffenen die Veränderung nicht unterstützt, wenn dort nicht auch ein Veränderungsprozess einsetzt. Oft sind die Verhältnisse in der Familie und dem unmittelbaren sozialen Umfeld eines der Hauptursachen für die Fehlentwicklungen, Nöte und sozialen Probleme. Und drittens, weil es auch meine Meinung zur Entwicklungszusammenarbeit in Frage gestellt und verändert hat. Ich wusste bereits vor dem Vortrag dieser Projektgruppe von dem herrschenden Schweigen in vielen (süd)afrikanischen Familien und dem fehlenden Dialog zwischen den Generationen. Das ist ein kulturelles Phänomen, das vor einigen Jahrzenten sicherlich auch in Europa und Deutschland nicht so unüblich war. Wenn ich da an die Erzählungen meiner Eltern denke, dann herrschte in deren Familien auch recht oft Schweigen, Kriegs- und Lebenserfahrungen wurden nicht kommuniziert. Ich hatte bisher die Meinung: Nur weil wir Europäer/Deutsche die Wichtigkeit der Kommunikation für uns entdeckt haben, heißt es noch lange nicht, dass es auch der richtige Weg für (Süd)Afrika ist. Das Schweigen muss doch einen Sinn haben und hat doch sicherlich eine positive soziale Funktion, habe ich mir immer gesagt. Ich dachte, es steht mir nicht zu nun als Deutscher zu kommen und das miteinander Sprechen als Lösung anzubieten. Denn man kann sich auch zu-Todereden und Probleme werden nicht automatisch kleiner nur weil man darüber spricht. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Im Laufe des Vortrags ist mir jedoch bewusst geworden, dass ich mich in dieser Von der Lust am Fremdsein I Datum: 30.03.2014 10 Absolutheit geirrt habe. Das Problem HIV/AIDS wird durch die fehlende offene Kommunikation nur noch verschlimmert. Welchen Wert hat es denn, wenn einem Kind jahrelang vorenthalten wird, dass es eine unheilbare Krankheit hat, nur damit es dann irgendwann herausfindet, dass die Eltern (oder andere Erziehungsberechtigte) es jahrelang belogen haben und es gleichzeitig bis dahin keine Strategien entwickeln konnte, mit dieser Krankheit zu leben? Ich bin der Meinung, keinen! Ich habe gelernt, dass offene und wertschätzende Kommunikation ein wichtiger Schlüssel ist, um der weiteren Ausbreitung von HIV entgegenzuwirken und eines Tages hoffentlich diese Epidemie zu stoppen. Ich war sehr angetan, dass mich der Vortrag auf diese angenehme Art meine falsche Überzeugung hat deutlich werden lassen und mich eines Besseren belehrt hat. 5. Entwicklungszusammenarbeit – Zuversicht trotz Missständen Nun werde ich in Zukunft selber in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sein und soll hier nun abschließend nach meiner weltwärts Erfahrung meine Meinung zu diesem Thema äußern. Soll ich nun meine eigene Berufsgruppe kritisieren und den Beweis für die Sinnlosigkeit unseres Unterfangens führen oder doch die Notwendigkeit der Entwicklungszusammenarbeit besingen? Ich werde versuchen beides zu vermeiden. Meiner Erfahrung nach wird bei der Beurteilung der Entwicklungszusammenarbeit sehr oft die Moralkeule geschwungen. Fragen der folgenden Art sind die Regel: „Ist es richtig, dass die westlichen Länder in den Entwicklungsländern arbeiten und die Menschen vor Ort mit ihren Projekten „beglücken“? Sollten wir diese Menschen nicht vielmehr in Ruhe lassen und ihre Probleme selbst lösen lassen? Ist die Entwicklungsarbeit nicht eine getarnte, erneute Kolonialisierung dieser Länder?“ Auf der Internetseite des Fernsehsenders Arte habe ich in den vergangenen Tagen in der Ankündigung einer Reportage folgende Frage gelesen: „Warum hat Afrika nach 50 Jahren und 1.000 Milliarden US-Dollar Hilfsgeldern nicht den erwarteten Entwicklungsschub gemacht?“ Diese Frage lässt bei mir sofort einige kritische Nachfragen aufkommen: „Entwicklungsschub wohin? Zu mehr Wohlstand? Zu größerer Konsumbereitschaft? Zu einer stärkeren Beachtung der Menschenrechte? Zu mehr Wettbewerbsfähigkeit?“ Wenn ein Entwicklungsschub erwartet wurde, dann müssen doch hinter diesen 1.000 Milliarden USDollar Investitionen bestimmte Interessen gestanden haben! Welche Interessen waren denn das? Es wäre doch zielführend mal über diese Interessen zu sprechen, als mit Entsetzen festzustellen so viel Geld (fehl)investiert zu haben. Die von Arte beworbene Dokumentation „Süßes Gift“ trug den Untertitel „Hilfe als Geschäft“. Dieser Titel zeigt, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch die Verbindung zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Hilfe gibt. Das finde ich jedoch völlig unpassend und ich denke wir sollten den Hilfegedanken in der Entwicklungszusammenarbeit vollständig über Bord werfen. Es geht in erster Linie um die Verfolgung bestimmter Interessen. Und das finde ich auch vollkommen legitim und angemessen, aber ich plädiere dafür, dass das offen kommuniziert wird und nicht unter dem Deckmantel der Hilfe geschieht. Die nüchterne Betrachtung der Interessen kommt mir in der Bewertung der Entwicklungszusammenarbeit immer noch zu kurz. Meiner Meinung nach steht das Entsetzen darüber, dass es in der Entwicklungszusammenarbeit überhaupt Interessen gibt und es den Akteuren nicht nur oder gar nicht ums Helfen geht zu sehr im Vordergrund. Von der Lust am Fremdsein I Datum: 30.03.2014 11 Ich hoffe, dass sich die offen kommunizierte interessenorientierte (Entwicklungs)Zusammenarbeit in den kommenden Jahren durchsetzen wird und dass gleichzeitig führende Wirtschaftskonzerne und Staaten sehr bald verstehen, dass die Ausbeutung der Entwicklungsländer auf lange Sicht zu ihrem eigenen (wirtschaftlichen) Schaden ist und diese Erkenntnis zu einer Handlungsänderung führt. Ich bezweifle jedoch, dass sich diese Sichtweise umfassend durchsetzen wird. Da die Entwicklungszusammenarbeit ein eigner Wirtschaftszweig ist, folgt sie keinen ethischen Prinzipien, sondern einzig und allein dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Deshalb wird es auch in der Entwicklungszusammenarbeit immer Licht und Schatten geben. Mich führt diese nüchterne Analyse zurück zu Dalai Lamas Aussage „Sei Du selbst die Veränderung, die Du Dir wünschst für diese Welt!“ Das ist mein Leitmotiv und gibt mir Zuversicht, trotz der Missstände in der Welt und in der Entwicklungszusammenarbeit. Von der Lust am Fremdsein I Datum: 30.03.2014 12