Der Rat des Weisen
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Der Rat des Weisen
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SEPTEMBER 2002___________________________________ 152 1 1. Spielsitzung , 17. März 2002 Wir befinden uns noch immer in Trocheja, wo unsere Gefolgschaft dem bösen Herrscher Fortor soeben das Handwerk gelegt hat. Das Wetter ist wunderschön, der Himmel blau mit einzelnen Wölkchen bedeckt und die Vögel kreisen die Freude der Menschen spürend über der Stadt. Aysha ruht sich locker gekleidet auf der Veranda des Palastes aus. Trotz der grossen Erschöpfung durch die Strapazen freut man sich auf die kommende Zeremonie: die Krönung Edwins zum König von Trocheja. Das Volk ist völlig aus dem Häuschen. Sie freuen sich endlich wieder freie Bürger zu sein, und nicht mehr unter der Tyrannei Fortors leiden zu müssen. Es geht fix zu und her. Alle sind damit beschäftigt, die Zeremonie vorzubereiten. Lyssandro diskutiert mit Edwin über die neue Situation, über die Zukunft Edwins als König und über den Wiederaufbau des Staates. Sie sprechen auch über Gewissensfragen und die Zukunft der Gefolgschaft, die ja vom Auseinanderbruch bedroht ist. Wo doch Ramirez, Galdon, Washino und auch Edwin nicht mehr der Gruppe folgen werden. Edwin ist sich jedenfalls sicher, dass er die Stelle des neuen Herrschers übernehmen muss. Er fühlt sich gegenüber Washino dazu verpflichtet. Schliesslich hat ihn Washino darum gebeten, ihn in seiner Mission zu vertreten. Edwyn ist sich bewusst, dass er keine einfache Aufgabe zu erfüllen hat. Fortor hat das Land so sehr 2 zugrunde gerichtet, dass es Jahre dauern wird, wieder einen funktionierenden Staat aufzubauen. Lyssandro ist vom Mut und der Überzeugtheit Edwins beeindruckt und wünscht ihm und seinem Vorhaben das Allerbeste. Es wird Abend und die Krönungszeremonie beginnt. Es beginnt mit Glockengeläut aus allen erdenklichen Türmen während mindestens einer halben Stunde. Damit sollen die Bürger der Stadt und der umliegenden Gemeinden darauf aufmerksam gemacht werden, dass es nun soweit ist, und dass die Zeremonie jetzt beginnt. Das Geläut verstummt. Trompetenfanfahren ertönen und das Haupttor des Palastes öffnet sich. Edwin tritt heraus. Er wird auf eine Sänfte gehoben, in der er zu einem mit Blumen übersäten Thron geführt wird. Er setzt sich darauf. Anschliessend führt der oberste Priester der Stadt eine Messe durch. Vor der eigentlichen Krönung hält der Bürgermeister noch eine Rede. Und dann ist es soweit. Während dem der Priester Edwin die Krone aufsetzt sind alle mäuschenstill. Niemand getraut sich zu husten. Ein mystischer Moment. Edwin scheint die Krone wie angegossen zu passen. Er steht auf und winkt seinem Volk zu. Dieses gerät vollends aus dem Häuschen. Geschrei, Gekreisch, Jubel, sogar Hüte und Blumen fliegen durch die Luft, man muss sich fast die Ohren zuhalten, um nicht einen Gehörschaden davon zu tragen. Nur wenn man genau in Edwins Augen hineinschaut, sieht man, dass er mit aller Körperbeherrschung versucht die Tränen zurückzuhalten. Er ist sich nicht sicher, ob er fähig sein 3 wird, die hohen Erwartungen der Trochejaner zu erfüllen. Nach der Zeremonie wird zum Festessen geladen. Man spürt, wie erfreut und stolz die Leute dieser Stadt sind. Sie bereiteten dieses Mahl mit grösster Hingabe und Freude, aus dem wenigen, was sie sich in den Jahren der Tyrannei vom Mund abgespart haben. Jeder bekommt, ein knappes Stückchen Fleisch und Lyssandro wird bei seiner dritten Weinbestellung nur noch ein paar Tropfen aus einem fast ausgetrockneten Krug eingeschenkt. Nur Linsen und Bohnen hat es genug. Das Mahl geht vorüber und die Stimmung schwenkt um auf frisch fröhlichen Festbetrieb. Die Kappelle spielt zum Tanz und es wird dazu gesungen. Aysha möchte für Edwin und die Gäste ein Tänzchen wagen. Sie nimmt ihre Lyra, spielt, singt und tanzt, so graziös und wunderbar, wie sie es noch nie zuvor tat. Die Gäste sind auf Aysha und ihre märchenhafte Schönheit und ihren Tanz fixiert. Sie jubeln und sind vollends hingerissen. Ihre Darbietung ist kaum beendet ertönt ein tosender Applaus und Jubel. Die Leute schreien: “Zugabe, Zugabe!!“ Die gibt’s natürlich; aber dann macht Aysha eine Pause. Sie möchte sich gerade hinsetzen, da hört sie eine Stimme: “Wunderschön.“ , doch sie kann nicht ausmachen, wer das gesagt haben könnte. Lyssandro fordert seine Flamme zum Paartanz auf. Aysha willigt sofort ein, und sie beginnen einen Tanz, so feurig und intensiv, dass man schon fast den Jugendschutz hätte einschalten müssen. Sie tanzen, feiern und trinken Bier 4 stundenlang unaufhörlich. Da hört Lyssandro plötzlich eine Stimme sagen: „so eine Schlampe“. Lyssandro nimmt keine Notiz davon. Nachdem er es ein zweites Mal hört, dreht er sich um. Er sieht aber nur ein einziges Paar, das diese Worte gesagt haben könnte. Eine grosse korpulente Dame mit einem kleinem rundlichen Herr. Die scheinen aber kaum ihre Umgebung wahr zu nehmen, denn sie sind mit sich selbst zu sehr beschäftigt. Lyssandro hört ganz deutlich, als wär’s hinter ihm: „Wie kann man nur“, doch das Paar schaut sich nur komisch an. Lyssandro hört es noch einmal. Er stockt und Aysha fragt, was denn sei. „Hast du gehört, da scheint sich jemand über unseren Tanz zu genieren.“ , flüstert er ihr ins Ohr. „Nein!“, sagt sie und wird fast hysterisch. Aysha ist empört und will das nicht auf sich sitzen lassen. Niemand hat je ihren Tanz in Frage gestellt. Sie schaut sich um. Es scheint aber keiner da zu sein, der zu dieser Aussage Stellung nehmen möchte. Die dicke Frau schreitet gerade mit ihrem kleinen rundlichen Herr Richtung Ausgang und schimpft: “Du Lustmolch, jetzt habe ich dich schon wieder erwischt, wie deine Augen zu ihr hinüber schwenkten. Heute Nacht schläfst du bestimmt nicht in meinem Bett, ich werd’s dir schon beibringen!“. Aysha grinst. Sie dreht sich um, und da steht ein schicker junger Herr vor Aysha, ein richtiger Schönling, und sie strahlen sich beide an. Sie kommen ins Gespräch miteinander. Der Mann scheint auf Aysha imponierend zu wirken. Da taucht der kleine Dicke wieder auf und schreitet zu Biba hin. Er fragt sie, ob sie gerne tanzen möchte. 5 Sie wirkt ablehnend. Aber der Mann gibt nicht nach. Mit blumigen Worten kann er sie schlussendlich überzeugen und so tanzen sie. Derjenige bei Aysha erzählt ihr, dass er einer der Versteinerten in den Höhlen der Medusa war. Er sei vor 166 Jahren Versteinert worden, nachdem er sie schon fast besiegt gehabt hätte. Er bedankt sich auch ganz höflich und nett, fast schon aufdringlich. Auch bei Lyss, welcher gerade Aysha umarmend in die Diskussion eindringt, bedankt er sich ganz förmlich. Der Mann scheint Etikette zu haben. Er stellt sich vor: „Mein Name ist Arist. Es wäre mir eine Ehre, wenn sie mit mir auf ihre Heldentat anstossen würden.“ Er streckt allen ein Glas zu, und möchte anstossen. Lyssandro zögert ob der Spontanität von Arist. Aber auch er stösst an. Biba kommt vom Tanz zurück und lenkt die Aufmerksamkeit Arists sofort auf sich. Aysha sieht das und schaut mit bösem Blick auf Biba. Kurz nachdem Lyssandro ausgetrunken hat schläft er ein. Arist hat ihm ein Schlafmittel in den Wein gemischt, um Aysha in seinen Anspruch nehmen zu können. Aysha ist’s peinlich, dass Lyss so laut schnarcht und weiss natürlich nichts von Arists Schelmentat. Aris meint: „Nicht alle Helden können ihren Erwartungen entsprechen.“ Aysha bittet Biba um Hilfe Lyssandro ins Bett zu bringen. Zuerst versuchen sie ihn zu wecken, vergebens. Lyss scheint im Koma zu liegen. Aysha schämt sich noch mehr. Biba und Aysha wollen Lyss gerade wegtragen, da kommt Arist und will sich verabschieden. Er haucht Aysha einen ultrazärtlichen Kuss auf den Handrücken. Für 6 einen Moment bekommt Aysha fast weiche Knie, aber dann trägt sie und Biba den scheintoten Lyssandro schnurstracks ins Schlafgemach. Da die Zeit ohnehin schon recht weit fortgeschritten ist, beschliesst man sich für die Nachtruhe. Aysha kann noch nicht schlafen. Sie sitzt auf den Balkon und spielt noch ein wenig auf ihrer Lyra, bis sie sich dann auch schlafen legt. Eigentlich hätte sie gehofft, dass Arist nochmals vorbei kommt, der ist aber nicht mehr erschienen. Es vergeht kaum eine Stunde, da poltert jemand an die Tür. Es dürfte erst kurz nach Mitternacht sein. Aysha hört’s und geht splitternackt an die Tür. Es ist eine Wache. Der Wachmann kommt ins Stottern. Er habe den Auftrag alle zu wecken, und in den Königssaal zu schicken; Befehl des Königs. Aysha schliesst die Tür, geht zu Lyssandro, weckt ihn auf und tut ihm die Neuigkeit kund. Lyssandro ist noch halb im Koma, aber er weiss, dass es sehr dringend sein muss, wenn Edwin zu so später Stunde ein Treffen einberuft. Sie ziehen sich an und gehen in Windeseile hin. Edwin steht völlig aufgelöst im Königssaal, er sieht aus wie bereits gestorben. Mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen sagt er: „Eine treue Gefährtin hat uns verlassen – Nickta.“ Vier Wachen tragen die tote, blutüberströmte, blasse Nickta in den Saal, dicht gefolgt von einem Fremden: der eine (Beschreibung von Beat) und wie es der Zufall will: Arist. Alle bis auf Edwin schauen versteinert auf die Tote. Cynric der Kurier meldet sich zu Wort: „Oger und Goblins sind durch die 7 Stadt gezogen. Sie müssen Nickta in die Enge getrieben haben. Arist und ich kamen leider zu spät... Aber den Oger und die beiden Goblins, welche die Frau da getötet haben, haben wir erwischt! Und ich habe das hier als Trophäe mitgenommen!“ Er grinst und schaut auf einen grossen Ogerzahn. Arist meint, dass sie mit einem grossen blonden Herrn unterwegs gewesen sei, und dass er sie hätte warnen sollen. Man wisse ja schliesslich, dass es hier ab und zu ein paar Goblins hat. Zumindest vor 166 Jahren sei das noch so gewesen! Ein schlaftrunkener Typ bringt die Leiche weg. Aysha ist schockiert: „Es hat Monster in dieser Stadt!“ Cynric bietet an, die Monster zu jagen. Aysha erschrickt doch Cynric hält das für eine gute Idee und Lyssandro willigt ein. Man beschliesst, sich gegen Mittag in der Eingangshalle zu besammeln. Arist und Cynric verabschieden sich und gehen in die Herberge nahe des Palastes. Lyssandro geht zu Aysha, sie kauert am Boden in dieser bestimmten Haltung. Lyssandro hat ein Deja-vue. Aysha schaut ihn an und sagt, dass sie nicht kämpfen will. Lyssandro versucht Aysha davon zu überzeugen, dass es das richtige ist in der jetzigen Situation. Versteh doch, wenn du anstelle von Nickta von einem dieser Ungeheuer angegriffen geworden wärst, dann würde ich mein Leben lang nichts anderes mehr tun als diese Geschöpfe zu jagen. Ich fühle mich Nickta gegenüber auch ein wenig verantwortlich, ganz zu schweigen dass diese Monster eine Gefahr für Edwins Aufgabe darstellen.“ Sprechpause. Aysha schaut aus dem Fenster 8 in die Ferne und Lyssandro schaut auf Aysha. Aysha nickt. Lyssandro ist erleichtert. Man beschliesst vorerst den Morgen auszuschlafen. Die Nacht dauert nicht mehr lange und auch der Mittag ist schlafend im Nu erreicht. Und wieder wird man durch die Wache aus dem Schlaf gerissen. Diesmal ging’s darum, die Nachricht zu verkünden, dass Nicktas Beilegung in 2 Stunden beginne. Aysha möchte zuerst noch die Mittagsstunden mit Lyssandro geniessen; auf ihre Art und im Bett natürlich. Lyssandro wehrt ab, steht auf und zieht sich an. „Wir müssen jetzt zur Beerdigung...“, meint er mit gesenkter Stimme. Aysha hält inne, steht nach einigen Augenblicken auf und geht zur Balkontür. Sie schaut hinaus, dann öffnet sie die Tür und geht hinaus. Sowie Lyssandro ihr nachschaut steht sie auf dem Balkongeländer. Oh Schreck! Was sie jetzt wieder im Sinn hat. Lyssandro rennt hinaus, packt sie um den Bauch und geht zieht sie ins Trockene. Da klopft es an der Tür. Es ist Biba die Aysha und Lyssandro abholen will. Lyssandro schimpft Aysha Feigheit zu. Biba klopft ein zweites mal. Lyssandro geht zur Tür und öffnet sie: „Wir müssen uns noch umziehen, aber wir sind gleich soweit. Geh schon mal voraus, wirkommen dann.“ Biba sieht wie Aysha zum Geländer geht und aufsteigt. Biba rennt. Sie packt Aysha am Nachthemd und zieht sie zurück. Sie fallen beide auf den Balkonboden und schlagen schmerzhaft die Köpfe auf. Schlägt man Frauen wirklich nicht? Biba will eine Erklärung doch dazu kommt es nicht, Aysha bricht zusammen. Biba 9 versteht Bahnhof: „Ich lass euch hier lieber allein. Ich geh jetzt wohl besser!“ Aysha kauert am Boden und heult, die Beerdigung rückt näher. Lyssandro legt seine von Kummer geplagte Geliebte aufs Bett. Er versucht ihr klar zu machen, wie wichtig es für ihn ist, Nickta die letzte Ehre zu erweisen. Aysha scheint das nicht so zu verstehen. Sie schauen sich hoffnungsvoll an. Er küsst sie lang und intensiv auf den Mund. Die Leidenschaft entfacht, Lyssandro geht auf die Liebkosungen ein. Aysha versucht gerade sein Hemd zu öffnen. Er hält sie fest und flüstert ihr ins Ohr, dass sie sich jetzt bereit machen müssen für die Beerdigung. Aysha ist sprachlos, erstaunt und enttäuscht über die Willenskraft Lyssandros. Aysha weigert sich, zur Beerdigung zu gehen. Lyssandro bittet einen Wachmann auf seine Geliebte aufzupassen: „..und stopft euch auf jeden Fall die Ohren mit Watte. Sie darf auf keinen Fall das Zimmer verlassen!“ Dann geht er. Zuerst informiert er Edwin über den Zustand von Aysha. Die anderen sind schon alle da. Cynric flirtet mit Biba. Sie erzählen sich gerade ihre Lebensgeschichten. Cynric erwähnt auch seine Familie und irgendetwas über Zähne. Es sind nicht viele Leute anwesend. Man wartet auf den Beginn der Messe. Edwin hält vorab eine Trauerrede. Dann übergibt er das Wort dem Priester, der dann mit der Messe beginnt. Nach der Predigt begibt sich die ganze Gemeinde zum offenen Grab im Friedhof des Palastes. Trauermusik wird gespielt. Alle sind andächtig und schweigsam, um ihr einen würdigen Abschied zu 10 bereiten. Bildugan tretet ans Grab heran: „Ich bin ein reisender Musiker und ich bin sehr traurig über den Tod von Nickta. Ich hätte gerne noch mehr über sie und ihre Herkunft erfahren. Ich möchte ihr meinerseits die letzte Ehre erweisen, indem ich ihr etwas singe...“ Sein Gesang ist so emotional, dass die meisten Anwesenden ihre Tränen nicht mehr zurückhalten können. Man merkt, dass er wirklich ein begnadeter Sänger ist. Er bedankt sich vor Nickta, nachdem das Lied zu Ende ist, wirft ihr eine Rose ins Grab und dreht sich ab. Auch Arist kommt etwas näher ans Grab: „Nickta, ich bedaure es sehr, dass du uns auf diese grässliche Art verlassen musstest. Als Dank dafür, dass du mich mit deinem Heldenmut aus der Versteinerung gerettet hast, möchte ich dir ein Gedicht vortragen...: Durch Übel das in Strassen wütet Die Bürger nicht mehr behütet Obwohl das Böse nun besiegt Einige Keime noch nicht versiegt Zulange haben wir gewartet nun ist alles ausgeartet Der Opfer sind es nun zu viel Deshalb gibt es nun ein Ziel Auszutreiben alles Böse uns zu geben keine Blösse 11 Damit niemals mehr eine so wertvolle Person Muss abtreten durch Schicksals Hohn Dur dini Tate als Held ufgfalle Wirsch nun si, i de Götterhalle Nickta de Liza ...Ich danke Dir Nickta. Jetzt bleibe ich für alle Ewigkeit in deiner Schuld.“ Arist wendet sich ab und geht in die Menge zurück. Die Beisetzung findet ein Ende und die Trauergemeinde schreitet zum Grabmahl. Es ist ein bescheidenes Mahl, ohne Fleisch. Bildugan beobachtet Lyssandro, welcher gerade etwas Mühe mit seiner Konstitution hat. Er fragt ihn, ob es ihm nicht gut ginge. Lyssandro deutet seinen Gemütszustand als Folge der Trauer um Nickta. Bildugan lässt sich nicht täuschen und gibt ihm ein paar Kräuter gegen Kopfschmerzen. Bildugan ist Musiker und oberster Heiler des Palastes. Er arbeitet im medizinischen Laden. Das Kraut wirkt, aber es macht schläfrig. Das Mahl ist zu Ende. Bildugan will die Aura und die Gefühlsstimmung der Anwesenden testen. Er spielt fröhliche Musik an. Die Leute scheinen etwas zögernd auf die Umstimmung eingehen zu wollen. Arist sieht Lyssandros Kampf gegen die Schläfrigkeit und gibt ihm ein Pulver, dass sie wegbringen soll. Lyssandro traut der Sache nicht und 12 lehnt dankend ab. Arist holt ein Pilzchen aus seiner Tasche und isst es: „Willst du auch eins? Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob es klug ist in deinem Zustand ein Pilzchen zu essen. Aber du kannst es ja ausprobieren. Entweder du fühlst dich gleich wie neu geboren, oder du wirst dich übergeben.“ Arist grinst. Lyssandro reicht es: „Bitte lass mich in Ruhe!“ Arist zuckt mit den Schultern und geht zu Bildugan. Sie diskutieren über geheime Kräuter. Durch das Rauschen der Menge ist die Stimme Cynrics deutlich hörbar. Er schimpft über das Volk wo er her kommt, darüber, dass er ins Exil geschickt wurde und dass er verseucht sein soll. Er ärgert sich über die Ungerechtigkeit auf der ganzen Welt und vor allem über die, die ihn als Opfer ausgewählt haben. Die Trauerfeier dauert noch eine ganze Weile an. Szenenwechsel ins Zimmer von Aysha zur der Zeit, nachdem Lyssandro das Zimmer verliess: Lyssandro verschwindet durch die Tür. Eine Wache bleibt im Zimmer und die anderen beiden stehen draussen vor der Tür. Wie empfohlen stopfen sie sich Watte in die Ohren. Etwas fragend, aber Befehl ist Befehl und Empfehlung ist Empfehlung. Aysha liegt schmollend auf dem Bett. Mindestens zwei Stunden vergehen. Plötzlich geht’s ihr aber wie durch Zauberei wieder besser. Sie setzt sich auf die Bettkante, schaut auf den Wachmann und verhält sich so, dass kein einigermassen potenter Mann seine Hormone im Griff behalten kann. Der Wachmann muss eine Sehschwäche haben oder impotent sein. Er lässt sich nichts anmerken. 13 Aysha gibt nicht auf. Sie geht zu ihm hin und sagt, er soll die Watte aus den Ohren nehmen, denn sie wolle mit ihm reden. Er bleibt stur. Sie legt einen Gang zu und es scheint, als sei der Wachmann doch nicht ganz so kaltblütig. Sie kann ihn dazu überreden, dass er die Stöpsel aus den Ohren nimmt. „Tanz mit mir!“ seufzt sie ihm ins Ohr. Der arme Wachmann ist unsicher. Aber die Sinne scheinen ihn langsam im Stich zu lassen. Auf diesen Moment hat sie gewartet. Sie beginnt zu singen und tanzt mit dem Wachmann. So langsam scheinen den Wachmann seine Kräfte zu verlassen. Er schlummert ein. Sie legt ihn auf das Bett, zieht ihn aus und zerreisst sich die Kleider. Die Tür geht auf und drei Wachen stürmen ins Zimmer. „Was geht hier vor?“ schreit der Wachmeister. Aysha steht da und die Wache liegt nackt im Bett. Der Wachmeister schaut schockiert auf die Szene. Aysha sagt dass er sie zum tanzen gezwungen hat, und dass er sich an ihr vergreifen wollte. „Bringt ihn in die Zelle!“ schreit der Wachmann. „Halt, lasst ihn hier, ich will ihm selber seine gerechte Lektion erteilen, bitte“, sagt Aysha. „Tut mir leid My Lady!“ Die Wachen tragen den schlafenden und seine Kleider aus dem Zimmer. “Disziplinäre Vergehen werden ausschliesslich über den König geandet! Bitte entschuldigen sie diese Unannehmlichkeiten“ fügt der Wachmeister an, verbeugt sich und will gehen. Aysha ist innerlich verzweifelt und hat jetzt genug. Sie beginnt erneut zu singen. Aber die Wachen sind schon durch die Tür verschwunden. Sie zögert,... dreht sich um, geht zwei Schritte, dreht sich erneut um und geht zur Tür. Sie öffnet die Tür, doch da stehen schon zwei andere 14 Wachmänner. „My Lady, wir haben den Befehl sie nicht aus dem Zimmer zu lassen. Wenn sie jemandem eine Nachricht überbringen möchten, dann lassen wir einen Boten kommen!“ Aysha gibt auf. Sie schliesst die Tür und geht auf die Veranda, wo sie die Zeit verstreichen lässt. Ein Diener bringt ihr das Abendessen auf das Zimmer. Sie lehnt ab: „Ich habe keinen Hunger, danke!“ Der Diener verbeugt sich, nimmt die Speisen und geht wieder. Aysha ist müde vom nichts tun und legt sich schlafen. Lyssandro hat die Trauerfeier miterweilen verlassen. Sie ist zwar noch nicht zu Ende, aber der arme Lyssandro hat Mühe gegen die Schläfrigkeit, die ihm Bildugans Kräuter eingebrockt haben, anzukämpfen. Er kämpft sich mit halb geschlossenen Augen dem Flur entlang. Er bemerkt die Wachen vor der Tür erst, als sie ihm aus dem Weg weichen, weil sie vor seiner Zimmertür standen. Er hatte schon vergessen, dass er Aysha hat bewachen lassen. Er fragt sie, ob irgendwelche Zwischenfälle vorgefallen seien. Einer der beiden Wachen erklärt ihm, was genau vorgefallen ist mit dem Wachmann, der sich über Aysha her machen wollte. Lyssandro weiss sofort, was geläutet hat: „Lasst ihn frei, er ist unschuldig. Gute Nacht. Ich muss jetzt endlich mal wieder etwas Schlaf haben.“ Er geht rein und sieht Aysha mit den zerrissenen Kleidern auf dem Bett liegen. Er legt sich auch auf das Bett und versucht sie zu wecken, aber sie schläft schon zu tief. Er gibt ihr einen Kuss auf die Stirn, lehnt sich an ihre Schulter und schliesst die Augen. 15 Es wird Morgen. Frisch und voller Tatendrang trifft man sich zur vereinbarten Zeit im Königssaal. Nach langem scheinen wieder mal alle ausgeschlafen zu sein. Es wird über eine Strategie debattiert, wie die Ungeheuer am besten dezimiert werden können. Es wird zwischen Ausrottung und Vertreibung gestritten. Schliesslich wird die Meinung laut, diese Monster zuerst etwas genauer zu beobachten, einzelne Exemplare zu jagen und mehr über ihr Vorkommen und ihre Herkunft herauszufinden. Edwin ist eigentlich noch immer der Meinung, dass eine Goblinjagd sinnlos und unnötig sei. Er wird aber speziell von Biba, Cynric und Arist lautstark überstimmt. Gleich am Nachmittag wird die Suche aufgenommen. Zuerst werden alle möglichen Leute befragt, ob sie schon jemals Goblins gesehen hätten, und wo, und woher sie kamen, und wohin sie gingen. Die Antworten waren sehr widersprüchlich. Gesehen haben schon fast alle Befragten welche. Aber die Erinnerung reicht bei manchen nicht einmal mehr, um das Aussehen zu beschreiben. Ok, die Idee mit der Umfrage scheint gescheitert zu sein. Es wird beraten. Die Meinung wird laut, dass in den Katakomben eine Spur zu finden sein könnte, aber wo sind die. Gibt es überhaupt welche in dieser Stadt? Arist glaubt nicht, dass uns die Katakomben weiterhelfen sollen, wieso auch, sie suchen ja nicht nach Untoten sondern nach Oger und Goblins. Arist verabschiedet sich um einen zwielichtigen Kontaktmann zu suchen, der etwas mehr über die Gegebenheiten in 16 der Stadt weiss und wird nach langer Suche endlich fündig. Derweilen haben die Anderen die Suche schon fast abgebrochen, als Cynric den Vorschlag bringt: „Der Stallknecht! Den sollen wir fragen... Der Wächter dort hat mich eben zu den Stallungen geschickt!“ Und man geht also gemeinsam zu den Stallungen. Niemand ist da. Cynric und schrie wie der Wächter ihm gesagt hatte: „Hee du alter Sack wo bist Du?!“ Der Stallknecht scheint das Heu nicht auf der selben Bühne zu haben, wie der Wächter, von dem die Empfehlung kam. Im Stall drin ist ein alter buckliger Griesgram. Sie haben ihn noch nicht entdeckt. Der „alte Sack“ nimmt einen Pferdeapfel in die Hand und wirft ihn auf die Gruppe. Er trifft genau auf Cynrics rechtes Knie. Cynric wird zornig. Er nimmt ein Wurfmesser und wirft es nach dem Knecht. Glücklicherweise trifft er nur den Pfosten einer Pferdebox. Aber der Einschüchterungsversuch zeigt Wirkung. Er wird gesprächig. Es kommt zu einem hitzigen Wortgefecht. Er sagt etwas davon, dass die Vorratskammer 3a der richtige Weg sei. Arist hackt noch ein wenig nach, um über die Vorratskammer 3a etwas mehr herauszufinden. Es muss die im Keller des Palastes sein. Ohne Zögern begibt sich unsere Gruppe zum Palast. Von einem Bediensteten lassen sie sich in den Keller führen wo die Vorratskammern sein sollen. Es hat viele Kammern. Alle sind aber mit 1, gefolgt von einem Buchstaben a bis t nummeriert. Aber eine Zelle 3a gibt es nicht. Cynric fragt den Diener, wo die andern 17 Kammern sind. Er bekommt zur Antwort, dass das alle seien. „Es gibt allerdings noch ein weiteres Untergeschoss, aber das wird nicht mehr gebraucht. Dort hausen nur Mäuse und Abfall!“, fügt der Diener nach einer kurzen Sprechpause hinzu. „Und genau da wollen wir hin!“, gibt Cynric zur Antwort. Der Diener scheint sich nicht dafür einsetzen zu wollen. Er wehrt vehement ab dahin mitzugehen. Er hat jedoch soviel Gourage, dass er zeigt, wo die Treppe ist, für ins zweite Untergeschoss. Er empfiehlt aber auch, eine Laterne mitzunehmen. Wir bedanken uns und gehen einen Stock weiter hinunter. Da scheint tatsächlich alles zu leben. Die Gangböden sind voller Moos, überall Ungeziefer, das rumkriecht. Ziemlich ungemütlich hier. Die Beschriftungen der Räume sind hier mit 2 gefolgt von einem Buchstaben a bis t beschriftet. Zuhinterst am Gang hat es wieder eine Treppe. Die Vermutung liegt nahe, dass sich einen Stock tiefer noch ein Gangsystem befindet, wo dann die Räume mit 3 und einem Buchstaben gekennzeichnet sind. Tatsächlich, da ist sogar die Zelle 3a, gleich unten an der Treppe. Zum Glück, denn der Gang ist verschüttet. Es scheint, als hätte das jemand absichtlich getan. Es sieht jedenfalls nicht so aus, als sei die Decke eingestürzt. Was dahinter wohl sein mag? Egal, Hauptsache die Zelle 3a ist erreichbar. Die Vorratskammer ist alt und verrottet. Arist findet eine kleine Falttür mit einem Schloss. Das Schloss ist verrostet. Cynric kickt mit dem Stiefel an den Henkel, 18 sodass dieser gleich in Stücke zerspringt. Die Tür ist recht schwer. Unter ihr befindet sich ein schmaler Gang, der mit einer Treppe steil hinunter führt. Arist geht ein paar Meter den Gang hinunter. Gross ist die Enttäuschung, als er sieht, dass der Gang nach etwa 15 Metern auch verschüttet ist. Entmutigt verlassen sie den Keller. Unterdessen ist auch Arist von seinem Alleingang zurück, er hat herausgefunden, dass es einen Eingang beim Friedhof hat, aber leider war auch dieser verschüttet. Die Suche nach den Katakomben gilt vorerst als gescheitert. Die Sonne steht schon recht tief, also entscheidet man sich zuerst den Morgen abzuwarten. Jeder ist damit beauftragt nach Ideen zu suchen. Cynric und Arist diskutieren noch ein Weilchen über die Gruppe, besonders über Lyssandro. Cynric ging schon mal schlafen, und hängt sich kopfüber an einen Dachbalken. Und schon wieder ist es ein Bediensteter und nicht der Hahn, der sich verantwortlich macht, unsere Helden zu wecken.: „Der König erwartet euch um sieben Uhr im Thronsaal!“ So langsam wird das zur Gewohnheit! Cynric geht sofort hin und reklamiert, dass die Katakomben verschüttet seien. Edwin hört aber nicht auf Cynric und weist ihn ab. Er hat dringendere Probleme. Biba ist die nächste, die den Weg in den Saal findet, gefolgt von Bildugan und Arist. Lyssandro und Aysha haben es nicht ganz so eilig mit aufstehen. Aysha 19 sagt kein Wort zu Lyssandro, auch nicht auf die GutenMorgen-Geste. Na gut, denkt sich Lyssandro, es ist halt noch früh am Morgen. Aysha scheint aber heute irgendwie besonders unglücklich zu sein. Edwin beginnt mit seinen Ausführungen: “Freunde, ihr müsst mir helfen. Im Norden des Landes ist die Hölle los. Ich habe vernommen, dass wilde Horden von Wegelagerern und Diebesbanden die Gegend unsicher machen. Auch habe ich gehört, dass Goblins dort ihr Unwesen treiben. Könnt ihr für mich mal vorbeischauen? Ich wäre euch sehr dankbar. Ich habe hier in Trocheja noch so viel zu tun, ich kann mich nicht auch noch darum kümmern. Ich wäre euch sehr dankbar. Es macht jetzt vielleicht der Anschein, ich wäre ein wenig überfordert. Ganz ehrlich, das bin ich auch. Kann ich auf euch zählen?“ Biba gibt zur Antwort: “Ja, wir machen das für dich, oder?“ Sie schaut in die Runde. Alle ausser Aysha nicken. „Edwin, du kannst auf uns zählen.“ „Aber wenn’s dann dort auch keine Goblins hat?“ fügt Cynric hinzu. Aysha geht mit steifem Blick zu Edwin und spricht mit ihm. Unverständnis, murmeln, „wieso willst Du gehen?“, „ich verstehe Dich nicht“, „überleg Dir das doch noch mal“. Aysha schüttelt den Kopf: „Ich glaub, ich habe mich entschieden!“ Sie dreht sich um und redet zur Gruppe. Sie schlägt vor, sich von der Gruppe zu trennen und alleine ihre Suche weiterzuführen: „Ich habe euch schon zu viel Unglück gebracht, und ich habe euch schon zu oft in missliche Situationen gebracht, ich bin bloss ein Hindernis für eure Aufgaben. Ich glaube 20 ich kann besser auf mich aufpassen, wenn ich alleine Ziehe. Lasst mich gehen, ich wünsche euch eine gute Weiterreise. Ich werde euch nie vergessen.“ Man sieht die Tränen in Ayshas Augen. Lyssandro ist geschockt. Es bleiben ihm die Worte im Hals stecken. Er führt Aysha in eine Nische In der Wand. „Aysha... was redest du da. Niemand denkt, dass du in unserer Gefolgschaft ein Hindernis bist. Im Gegenteil, wir brauchen dich doch, und ich vor allem...“ Sprechpause. Aysha schaut aus dem Fenster in die Ferne und Lyssandro schaut auf Aysha. „Aber, wenn du es dennoch für richtig hältst die Gruppe zu verlassen, dann will ich mit dir kommen. Du bedeutest mir weit mehr, als der Gruppenzusammenhalt. Ich möchte dich nicht verlieren, verstehst du? Ich liebe dich.“ Fügt Lyssandro hinzu. Es braucht noch ein wenig Überzeugungskraft von der Seite Lyssandros. Aber so nach einer guten Viertelstunde entscheidet sich Aysha, doch bei der Gruppe zu bleiben. Lyssandro ist erleichtert. Aysha teilt die Entscheidung denen, die es nicht selbst gehört haben mit - Arist kann Lippen lesen. Eine Welle der Freude geht durch die Runde. Sie wird für ihre Entscheidung von allen gelobt. Vor Erleichterung wird sie von Biba und Edwin umarmt. Die Bediensteten, die dem Schauspiel zwangsläufig beiwohnten, klatschten in die Hände. Bildugan, Arist und Cynric möchten sich auch in der Gefolgschaft nützlich machen und mit in den Norden reisen. Edwin seufzt: „Selbstverständlich, damit rechne ich doch. Wenn doch nur auch Washi da wäre...“ Aysha ist unterdessen mit Cynric ins Gespräch gekommen. Sie 21 stellen fest dass er keine Flügel hat. „Ach so, wegen der Schlafgewohnheit meinst du? Vergiss das einfach wieder, ja? Du hast weder gesehen noch gehört, noch glaubst du an das, was du gesehen hast....“, erwidert Cynric und fragt Edwin nach weiteren Kreaturen wo er Zähne sammeln kann und Arist erkundigt sich nach möglichen Gefahren. Sie bekommen beide eine allzu differenzielle Antwort. Schliesslich weiss Edwin ja auch nicht mehr, als er von den Boten vernommen hat. Er schlägt vor als erste Etappe bis ins nächste Gasthaus zu gehen: „Es sollten glaube ich drei Tagesreisen sein, und wenn Ihr euch genau an den Zeitplan haltet und nirgends allzu viel Zeit verplempert, dann solltet ihr immer kurz vor Einbruch der Dunkelheit wieder an einem Gasthaus vorbeikommen, wo ihr die Nacht verbringen könnt.“ Er schlägt vor für die Reise Pferde und Wagen mitzunehmen. Die Wege sollten in gutem Zustand sein. Es herrscht allgemeines Einverständnis. Hurtig werden die wichtigsten Sachen gepackt und die Waffen geschliffen und poliert. Lyssandros unfreiwillig erlangter Zweihänder, der seine besten Zeiten bereits erlebt zu haben schien, sieht wieder aus wie neu. Obwohl der Schmied ihm dabei etwas helfen musste. Dieser erwähnte, dass das Material des Zweihänders von aussergewöhnlicher Qualität sei. Er meinte auch, dass die Klinge magisch sein muss, er spüre das sofort. Na gut, Lyssandro kauft ihm das ab, aber denkt sich weiter nichts dabei. 22 Die Bediensteten haben das Gespann mit vier Pferden und einem Planenwagen vor dem Palast bereit gemacht. Alle besammeln sich vor dem Wagen, der sogleich mit dem Gepäck beladen wird. Bildugan schlägt vor, ein Abschiedslied anzustimmen. Er fragt, was denn so für Lieder bekannt seien in der Gegend. Er erhält keine besonders klare Antwort. Er schlägt vor, ein Lied aus seiner Heimat anzustimmen. Er stimmt die Melodie an: „♫ Komm zurück ♪ HerzHerzallerliebsteeeee, ♪ trallallallaaaa..., sei doch zu mir liebeeee, trallallallaaaa, ... du blöde Ziegeeee, trallallallaaa... ♫“ Er hört auf und schaut in die Runde. „Habt ihr die Melodie im Kopf? Aysha, kannst du Noten lesen?“ fragt Bildugan und streckt ihr ein Notenblatt mit den Noten drauf hin. „Kann man das essen?“ fragt Aysha verdutzt. Sie hat noch nie etwas nach Noten getan, geschweige nach ihnen gesungen. Niemand in der Gruppe kann Notenlesen. Aber die, die Musikalisch sind, sind es sich natürlich gewohnt, die Melodie abzuhören und einfach mit zu singen. Bildugan stimmt an. Edwin singt laut und deutlich mit. Das Lied dauert etwa 2 Minuten. Kaum verstummt sagen Cynric und Biba adieu. Es scheint sie in den Stiefeln zu brennen, sie wollen losreiten. Ausser Cynric und Lyssandro reiten alle selbst zu Pferd. Lyssandro führt das Gespann und Cynric weigert sich einfach auf ein Pferd zu sitzen. Also setzt er sich neben Lyssandro auf den Bock. Arist hätte Aysha gerne auf das Pferd steigen geholfen. Aber das war mit nichten nötig. Aysha hat sich so elegant auf das 23 Tier geschwungen, dass selbst Lyssandro fast verlegen wurde. Die Reise geht los. Zu beginn ist die Atmosphäre noch sehr locker. Man wechselt sich hie und da ein paar Worte. Aysha und Cynric erzählen sich von ihren Abenteuern. Als Aysha Cynric so anschaut, da kommen ihr die Gesichtszüge Cynrics irgendwie bekannt vor. Sie vergleicht ihn mit Mordisco. Auf diese Worte geht Gelächter durch die Runde. So nach einer halben Stunde fängt Cynric an, in seinem Beutel zu wühlen. Er nimmt ein Pilzchen hervor. Das erste das er findet steckt er sich sofort in den Mund, und kaut daran herum. Cynric beobachtet ihn argwöhnisch. Arist bietet ihm sogleich eines an. Cynric verspeist das Pilzchen, ohne Worte, spürt schon nach wenigen Sekunden seine Wirkung. Die ihm positiv zu bekommen scheint. Arist bietet auch den andern ein Pilzchen an. Die Einladung wird von allen entgegengenommen. Bildugan der die Wirkung kennt, lehnt dankend ab. Lyssandro schlägt Arist das angebotene Gewächs aus der Hand und meint: “Hey, hör auf damit. Solche Dinge sollte man nur zu Riten einnehmen. Wenn man es sonst tut, dann nennt man das Missbrauch. Wenn du diese Pilze als Lebensgrundlage brauchst, dann bitte, tu es für dich, und führe nicht deine Freunde in Versuchung, bitte!“ Arist schaut den aufgebrachten Lyssandro nur etwas fragend an und sagt: “Warum sollte ich sie Missbrauchen? Ich esse sie ja. Das ist doch eine würdige Art der Verwendung, denn sie spenden mir Kraft, Energie, Geistesanwesenheit und 24 Glückseeligkeit.“ Arist grinst und wirft sich gleich ein Pilzchen in den Gaumen. Bildugan hat die Diskussion mitbekommen und mischt sich ein: „Also ich habe ein Gegenmittel gegen die Wirkung der Pilze. Das könnte gerade bei Neulingen breite Verwendung finden, um die Wirkung etwas in Grenzen zu halten.“ Arist antwortet: „Ein Gegenmittel gegen Pilze??? Wieso denn das? Schaut, wie gut es mir geht! Da ist doch kein Gegenmittel nötig... Aber wenn es sein muss, dann behalt ich die Pilzchen halt für mich. Ausser es verlangt jemand ausdrücklich danach, einverstanden?“ Lyssandro nickt. Für den Moment ist es ohnehin zu spät. Die Pilzchen, die sie gegessen haben scheinen schon ihre Wirkung zu zeigen. Cynric springt vom Wagen, grübelt kurz am Boden rum und findet einen Hasenzahn. Die Freude übermannt ihn. Er hüpft wieder auf den Wagen und zeigt allen den Zahn. Die andern finden es voll abgefahren, dass Cynric einen Hasenzahn gefunden hat. Aysha hat Halluzinationen sie sieht Bildugan mit hervorquellenden Augen und er wirkt viel grösser und erschreckender als er wirklich ist. Cynric dagegen sieht einen verdüsterten Himmel und schimmernde Wolken. Monster am Himmel! Cynric packt das Buch von Washino in welchem Lyssandro gerade am lesen ist und wirft es dem Monster entgegen. Verheerend, die losen Seiten flattern einfach durch die Luft. Cynric hat nicht getroffen. Er wirft alles was auf dem Wagen nirgends festgemacht ist in Richtung des Monsters. Lyssandro stoppt das Gespann, holt das Buch und sammelt die herausgefallenen Seiten wieder ein. Er ist sehr genervt, sagt aber kein Wort. Cynric hat 25 eigentlich von Pferdegespann keine Ahnung, aber es kommt ihm nichts besseres in den Sinn, als sich die Zügel zu klauen und mit dem Wagen, ohne Lyssandro durchzubrennen. Er schafft es aber nicht geradeaus zu führen, das Gespann fährt wie im Zirkus mit einem Affenzahn im Kreis herum. Cynric gefällt das. Doch dann sieht er plötzlich ein farbiges Meer um sich herum. Oh Schreck, er ist ja Nichtschwimmer. Cynric ’schwadert’ auf dem Wagen herum und glaubt zu ertrinken. Aysha schaut auf Arist. Er sieht aus wie ein grüner Blob. Zu Tode erschrocken schlägt sie kräftig auf ihn ein. Lyssandro, der die Szene beobachtet, denkt sich seine Sache: „...na, jetzt siehst du wie gesund diese Sinnesräuber sind...“, und die Schadenfreude ist ihm ins Gesicht geprägt. Arist scheint das ganze allerdings nicht zu stören, und er steckt die Prügel mit einem strahlenden Lächeln ein. Cynric ist immer noch am schwimmen und am Wasser schlucken. Aysha fühlt sich plötzlich ganz flauschig. Eine gute Viertelstunde vergeht. Die beiden werden langsam ruhiger und Lyssandro ärgert sich: „Arist in Zukunft behalte dir Pilze bitte für dich.“ Aysha schläft. Es fängt an zu regnen. Man zwängt sich unter die Plane des Wagens, doch die Fahrt geht weiter. Cynric kommt auf die grandiose Idee, die Plane aufzuschlitzen. Trotz Aufforderung, dies zu unterlassen tut er es trotzdem. Arist findet, dass es an der Zeit ist, ihm ein Schlafmittelchen zu geben. Bildugan näht das Loch wieder zu. 26 Es ist eng auf dem Wägelchen und aus Platzgründen liegt man. Es ist trotzdem noch viel zu eng, deshalb legt sich Arist auf Aysha drauf. Sie fühlt sich als würde sie unter einem Felsbrocken liegen. Er legt sich neben sie. Immer noch hat sie das Gefühl sie bekäme keine Luft. Aysha hat einen Alptraum, denn sie schreit und keucht. Es wird Abend, Aysha schwitzt und träumt. Arist tätschelt ihr auf die Wange, immer stärker bis sie erwacht. Sie schreckt auf. Sie fühlt sich schlecht und ungeheuer. Ihr Kopf ist riesig, als würde er platzen. Cynric erwacht auch und fragt sich, wieso er geschlafen hat. Er erinnert sich an die Pilze und macht sich Gedanken, ob er wohl den Zahn von dem Monster mitgenommen hatte, oder nicht. Sein Kopf bereitet auch ihm gewisse Schmerzen. Es ist schon ganz dunkel, und der Regen will nicht nachlassen. Weiter voraus ist ein Licht sichtbar. Das muss die Herberge sein, die Edwin erwähnt hatte. Wir erreichen die Herberge. Lyssandro und Arist lassen die andern im Wagen warten. Sie gehen zur Haupttür hinein. Arist fragt Lyssandro, ob es ihm recht sei, wenn er ihm vorher sagt, wann er den anderen Pilzen anbietet. Lyssandro bittet ihn nochmals inständig die Pilze selber zu behalten. Unverständnis. Sie zwängen sich zur Theke. Die Gaststube ist randvoll. Ein gut gebauter Wirt kommt und schickt sie gleich wieder weg: “Alle Zimmer belegt!“ „Na gut, dann müssen wir halt im Wagen schlafen!“ sagt Lyssandro. Arist hält das aber für gar keine gute Idee. 27 Ein Fest ist in vollem Gang. Das bemerken auch Aysha, Cynric, Biba und Bildugan. Sie kann jetzt niemand mehr hindern daran teilzunehmen. Sie haben zwar keine Unterkunft, aber das ist jetzt noch nicht das grösste Problem. Viel wichtiger ist es jetzt, etwas gegen den Durst zu bekommen. Bildugan bietet dem Wirt Unerhaltungsmusik an für eine Übernachtung. Er hat keine Chance, der Wirt lehnt ab: „Ich brauche keine Unterhalter. Du siehst ja, die Stimmung ist maximal.“ Aysha und Cynric sind am tanzen und festen. Arist feilscht mit dem Wirt und kann für 2 Geldstücke einen Platz im Stall ergattern. Aysha bietet eine Runde Schnupf an. Cynric und ein paar Bauern nehmen an. „Priis!“ Cynric isst den Tabak unwissend. Aysha erklärt ihm wie es richtig gehen würde und er probiert es noch mal. Ungeheure Niesreize überkommen ihn. Aysha lacht. Bildugan fängt trotz Nullgage an zu singen. Cynric kann seinen Gesang nicht ausstehen und haut ihm geradeaus eins in die Fresse. Der Schlag war so präzis, das sich Bildugan gar nicht erklären kann, warum er plötzlich am Boden sitzt. Arist hat eine Idee, wie er zu einer Unterkunft für alle kommen kann. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf sich: “Ich biete jenen zwei, die gegen mich und meinem Freund Lyssandro im Wetttrinken gewinnen eine Nacht mit der bezaubernden Aysha!“ Er zeigt auf sie, doch sie bemerkt es gar nicht. „Wenn ihr verliert, dann gebt ihr uns dafür euer Nachtquartier!“ Lyssandro erschrickt: „Bist du wahnsinnig, dass geht zehn mal schief. Ich 28 verspiele doch nicht meine Geliebte an diese Tölpel! Das fehlte gerade noch.“ „Vertrau mir! Wir werden gewinnen.“, gibt er als Antwort. “Und was ist, wenn etwas schief geht? Nein, ich lasse das nicht zu. Niemals!“ „Es kann nicht schief gehen!“ „Na gut, aber ich warne Dich!“, kann Lyssandro gerade noch sagen und schon stehen zwei mächtige Klötze vor ihnen. Sie sind Metzger. „Los geht’s!“, sagt Arist. Er fordert Lyssandro dazu auf, in einen kleinen Spiegel zu schauen, den er in seiner Tasche trägt. Lyssandro schaut hinein, kann aber ausser seinem Spiegelbild nichts besonders auffälliges erkennen. Der Wirt bringt ohne Aufforderung vier grosse Krüge Bier. Auf „prost!“ werden sofort alle leer getrunken. Arist fragt den Wirt, ob er nicht etwas stärkeres habe als Bier. Drescher nennt er als Beispiel. Der Wirt wird stutzig. So etwas führt er nicht, die trinken hier nur Bier, Bier und Bier. Das Wettsaufen geht einige Runden, ohne merkliche Veränderung. Unterdessen torkeln Aysha und Cynric zur Türe hinaus. Es Regnet noch immer und sie haben keinen geringeren Einfall, als eine Schlammschlacht anzufangen. Sie haben eine Zeit lang einen riesigen Spass daran. Die Wette steht noch immer offen. Die Beiden Metzger lassen sich nichts anmerken. Lyssandro sollte dringen auf die Toilette. „Du darfst nicht, sonst hebt sich die Wirkung des Spiegels auf und der Alkohol haut dich um. Weißt du der Spiegel ist magisch und wandeln für dich allen Alkohol in Wasser um, aber nur solange 29 du nicht Pinkeln musst. Halt einfach durch!“ Flüstert Arist ihm ins Ohr. Arist leert sein Mass und macht eine Blitzschnelle Handbewegung während der er dem einen Metzger etwas Schlafmittel in den Krug gibt. Der Metzger Trinkt aus. Das Mittel ist stark, der Mann fällt innerhalb von Sekunden in eine tiefen Schlaf. Das hat geklappt, Nummer 1 ist ausgeschaltet. Lyssandro kann nicht mehr. Es platzt ihm fast die Blase. Er will aufhören. Auch Arist müsste dringend. Aber sie nehmen noch eins. Wieder trinkt Arist als erster und gibt dem andern Metzger auch etwas Schlafmittel. Um davon abzulenken erschafft er mitten in der Menge für kurze Zeit die Illusion einer nackten Schönheit. Niemand hat etwas gemerkt, der zweite Mann schläft ein. Gejubel geht durch den Raum und die Metzger werden ausgelacht. Arist nimmt sich die Zimmerschlüssel. Sie rennen nach draussen und pinkeln fünf Minuten an einen Baum hin. Fertig gepinkelt fällt Lyssandro in Ohnmacht. Er hat wahrscheinlich eine Alkoholvergiftung. Bildugan kümmert sich um den Armen. Er bringt ihn aufs Zimmer und gibt ihm ein Mittel, das die Wirkung des Alkohols vermindert. Biba schockiert nichts mehr, was in dieser Gruppe passiert... Sie geht auf die Suche nach Aysha und Cynric. Sie findet die zwei Partyvögel im Stall in einem Strohhaufen. Sie packt die beiden und knallt sie in den Brunnen, darauf geht sie ins Bett. Das Wasser ist zwar kalt, aber das stört die zwei nicht. Sie denken sich: „Die anderen sollen es auch lustig haben!“ Sie rennen zu Lyssandro ins Zimmer und winden ihre Haare über ihm 30 aus um ihn zu wecken. Leider ohne Erfolg. Das Dreierzimmer reicht nicht für sechs Personen. Aber das ist ihnen Egal. Arist und Lyssandro liegen alleine in einem Bett. Bildugan ist mit Biba zusammen. Also legen sich die zwei zu Lyssandro ins Bett. Schon ist er genauso nass und genauso dreckig wie sie. Aber er schläft ja. Die Nacht im Zimmer ist unruhig. Es wird morgen. Lyssandro wacht in den Armen eines Mannes liegend auf. „Cynric!“ Er schubst ihn weg, steht auf und verschwindet. Arist geht im nach, weil er mit ihm reden will. „Lass mich, ich muss jetzt allein sein!“, ruft ihm Lyssandro zurück. Arist findet ihn hinter einem Baum sitzend, die Hände gefaltet und in Gedanken versunken. Er versucht ihn anzusprechen: „Hey, wegen gestern... ich habe bemerkt, dass du Angst hattest, dass wir verlieren würden, aber du kannst mir glauben, ich hatte die Situation die ganze Zeit unter Kontrolle. Dumm war nur, dass diese Spelunke keinen richtigen Alkohol gehabt hat! „Schon gut, ich mache nicht dir einen Vorwurf, sondern mir selber!“ gibt ihm Lyssandro zur Antwort. 31 2. Spielsitzung , 5. Mai 2002 Allmählich erwachen auch die andern. Wie es scheint hat Biba als einzige gut geschlafen. Cynric hält sich den Kopf: “Auuuh!“ Er sitzt am Bettrand und stützt sich auf. Aysha ergeht es ähnlich. Sie schaut sich an und bemerkt, wie dreckig sie ist. Ihr ursprünglich dunkelblaues Kleid ist grau mit braunen Flecken und Rissen - hässlich. Sie zieht es aus und geht nach draussen zum Brunnen, wo sie es zu waschen versucht. Der gröbste Dreck ist weg, aber sauber ist dieses Kleid bei weitem nicht, und zudem ist es jetzt nass. Cynric kommt gerade aus dem Gasthaus heraus. Aysha ruft ihm zu: „Hey, schau dich an. Komm her und wasch dich!“ Cynric hatte zwar gerade eine andere Absicht, aber waschen ist auch gut. Das Wasser ist kalt. In der Zwischenzeit hat sich Bildugan in die Gaststube begeben. Er fragt den Wirt nach einem Frühstück. „Na, ihr seid mir vielleicht Gäste! Die Frühstückszeit ist vorbei. Die andern Gäste sind schon längst wieder weg!“ schnauzt ihn der Wirt mit verachtender Stimme an. Er bringt ihm dennoch einen Krug Wasser und einen Topf gefüllt mit einem undefinierbaren Brei. Es schmeckt gar nicht. Bildugan nimmt trotzdem eine Portion. Auch Biba bedient sich der Verpflegung. Cynric ist genau so hungrig. Als er sich als einigermassen sauber betrachtet, sucht er den Garten des Wirtshauses auf. Er findet ihn hinter dem Haus. Er ist üppig, voller Blumen, Gemüse, Obstbäume und alles 32 Erdenkliche, was man in einem Garten so wachsen lassen kann. Er sieht am Boden ganz grosse grüne Tomaten, mindestens doppelt so gross, wie normale Tomaten und etwas länglich. Er nimmt sich eine und beisst hinein. Sie ist deutlich härter als die roten Tomaten, die er kennt. Aber sie ist köstlich. In diesem Moment öffnet sich ein Fenster im untersten Stock des Gasthauses. Dir Wirtin schaut heraus und schreit: „Ihr ungezogenen Bengel! Verschwindet aus meinem Garten! Immer diese diebischen Städter. So etwas ungezogenes aber auch. Man klaut doch nicht das Gemüse fremder Leute. Verschwindet!“ Cynric lässt sich nicht so sehr beeindrucken, aber er geht wieder zurück zum Brunnen, wo noch immer Aysha ist. Er bietet ihr etwas von der Tomate an, die er hat mitlaufen lassen. Sie nimmt einen kräftigen biss: “Igitt! Das ist ja rohe Zucchetti!“ Cynric sieht das dreckige Kleid. „Schau, ich zeig dir, wie das meine Mutter immer gemacht hat.“ Er nimmt einen Stein. „Zuerst musst du das Kleid ins Wasser tauchen,...“ er taucht es ein, zieht es wieder heraus und legt es über die Brunnenkante, „...und dann schruppen!“ Er nimmt den Stein und fängt an, am Kleid herumzureiben. Ein bisschen unsanft, es zerreist. „Hm, jetzt ist es hin... Ach ja, jetzt weiss ich’s wieder. Meine Mutter nahm nicht einen Stein, sondern eine Seife. Mach du das besser selbst.“ Aysha schruppt noch ein wenig daran herum, aber sauberer wird’s nicht. Es sieht fast so aus, als wäre die Farbe stellenweise verblasst. Sie gibt auf. Aber anziehen kann sie es noch nicht, es ist 33 tropfnass. Cynric kommt auf die glorreiche Idee, das Kleid über einem Feuer zu trocknen, damit es schneller geht. Sie gehen in die Küche. In eine Wand eingelassen sehen sie eine Feuerstelle. Darüber hängt ein Topf mit etwas gut riechendem drin. Gulasch, mmhh, der riecht gut. Cynric hängt das Kleid über dem Feuer über die Stange, wo auch der Topf aufgehängt ist. In diesem Moment kommt die Wirtin in die Küche. Bevor sie etwas sagen kann wird sie von Cynric angesprochen: „Oh, entschuldigen sie bitte vielmals wegen der Ungezähmtheit von hinter dem Haus. Ich hatte einfach Hunger, und da dachte ich, dass diese Riesenbohne, oder was es war, niemandem gehört. Oder war es ein totes Tier? Jedenfalls hat es gut geschmeckt.“ Aysha fügt hinzu, dass der Garten der schönste sei, den sie je gesehen hat. Die Wirtin bekommt weiche Knie, sie fühlt sich geschmeichelt. Man merkt ihr an, dass sie ein Lachen verkneifen muss. Sie hat zeigt Mitleid: „Ach, ihr seid mir vielleicht Nummern. Na gut ich will mal nicht so sein. Was ihr da gegessen habt, das war Zucchetti.“ Sie grinst über das ganze Gesicht. Cynric ergreift die Gelegenheit: „Der Gulasch da, der riecht aber ganz hervorragend!“ Er betont das so, als würde er fast zerplatzen vor Lust auf den Gulasch. Die Wirtin reicht den beiden ohne Zögern je ein Schüsselchen voll zu. Lecker, sie bedanken sich abermals. Unterdessen ist das Kleid getrocknet. Aber sein Zustand befriedigt Aysha nicht. Es ist schmutzig, verblasst, zerrissen und stinkt nach Gulasch. Sie 34 schmeisst es zu Boden: „Schade, ich mochte dieses Kleid so gerne, aber damit kann ich unmöglich unter die Leute gehen. Lieber trage ich gar nichts... Oder hätten sie mir - liebe Wirtin – vielleicht etwas zum Anziehen, das sie nicht mehr gebrauchen und ich ihnen abkaufen könnte?“ Betteln kann sie wirklich gut. Und sie braucht keine Zweifel zu haben, dass sie nicht bekommt, was sie will. Denn wenn Aysha ihren Charme spielen lässt, dann leistet sie ganze Arbeit. Die Wirtin holt einen alten beigen Rock: „Den können sie haben, ich brauche ihn nicht mehr!“ Aysha probiert ihn an. Er ist ein bisschen zu gross und reicht bis an den Boden. Ausserdem ist da viel zu viel Stoff dran. Sie sagt aber nichts und denkt nur: „Damit habe ich wenigstens nicht kalt in der Nacht“ Arist kommt in die Küche, und sieht am Boden das zerrissene Kleid. Er nimmt es auf und bietet Aysha an, es zu flicken. Notdürftig näht er die gerissenen Stellen mit einer Nadel und einer dünnen Schnur. Wenigstens hat es jetzt keine Risse mehr, aber es stinkt noch immer fürchterlich. Aysha packt das Kleid in ihren Beutel. Lyssandro kommt fast mir der Tür in die Küche gerannt: „Ach da versteckt ihr euch!“ „Guten Morgen Lyssandro,“ fällt Cynric ihm ins Wort, „dich hab ich heute Morgen noch gar nie gesehen. Hast du gut geschlafen? ...wegen dem Buch das du da hast,... entschuldige bitte den Vorfall von gestern. Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, aber ich glaube, dass ich das war, der dir das Buch durch die Luft hat wirbeln lassen.“ „Schon vergessen...“, erwidert Lyssandro, 35 „..aber wir sollten vielleicht langsam an die Weiterfahrt denken.“ Während Lyssandro das sagt kommen gerade Bildugan und Biba in die Küche. „Ja genau, das meine ich auch. Wir haben weiter im Norden eine Aufgabe zu erfüllen!“ ruft Biba noch halb durch die Küchentür hindurch und Cynric erwidert darauf ganz gelassen aber bestimmt: „Der Weg führt nicht zum Ziel, der Weg ist das Ziel.“ Biba verstummt und überlegt. Bildugan steigt sofort den Duft des Goulages in die Nase. Genau so schnell kann er den Duft orten und steuert geradewegs auf den Kochtopf zu. „Könnten wir uns vielleicht zuerst noch ein wenig verpflegen?“ Fragt er verlegen die Wirtin. Die Wirtin ist sichtlich stolz, dass man sich so um ihren Goulage reisst. Sie willigt ein und alle hauen vor der Weiterfahrt noch einmal kräftig rein. Während dem Mahl kommt noch einmal das Thema Pilze zur Diskussion. Bildugan versucht Arist zu erklären, was Sucht ist. Arist scheint aber den Unterschied zwischen essen, trinken und Drogen einnehmen nicht zu begreifen oder begreifen zu wollen. Für ihn ist das ein und dasselbe. Die Mahlzeit ist vorbei. Es ist höchste Zeit, um aufzubrechen. Die Sonne ist schon sehr hoch, und der halbe Morgen ist vergangen. Die Pferde werden vor den Wagen gespannt. Wer reiten kann und will, der reitet. Arist verzichtet. Er liegt im Wagen und döst. Cynric reitet sowieso nicht und Aysha hat ein wenig mühe mit aufsteigen. Sie lässt sich aber gerne von Bildugan helfen. 36 Bildugan macht Lyssandro darauf aufmerksam, dass ihm einige Kräuter langsam knapp werden. Er möchte deshalb möglichst bald in einem Dorf oder einer Stadt einen Zwischenhalt machen. Lyssandro gibt ihm zur Antwort, dass er sich umsehen soll nach einem Händler der ihren Weg kreuzt. Aber primär eine Stadt zu suchen hält er für sinnlos: „Keiner von uns kennt sich hier genau aus. Wir wissen nur in welcher Richtung unser Ziel ist, aber nicht genau wo. Ein Dorf zu suchen könnte uns Tage lang vom Weg abbringen. Wir müssen zuerst die Wälder im Norden erreichen.“ Schon sind wieder einige Stunden vergangen. Lyssandro sitzt auf dem Wagenbock, Cynric läuft nebenher und Arist schnarcht im Wagen, oder sollte man das eher als Stöhnen bezeichnen? Biba reitet Viehtreiberartig alleine zuhinterst, um die Gruppe ein wenig im Überblick und vor allem in Bewegung zu behalten. Aysha reitet links neben dem Wagen her und träumt vor sich hin. Lyssandro ruft ihr zu: „Hey Aysha, komm setz dich doch ein wenig zu mir auf den Bock.“ Er wirft ihr einen bittenden Blick zu. Aysha antwortet nicht. Sie sieht, dass rechts von Lyssandro Platz frei ist. Sie verlangsamt ihr Tempo, um hinter dem Wagen durch auf die rechte Seite zu gelangen. Arist scheint nicht so richtig zu schlafen. Er hat die Worte von Lyssandro gehört. Er schleicht im Wagen nach vorne und setzt sich leise auf den Platz neben Lyssandro und schaut ihn freundlich an. Lyssandro macht eine Kopfbewegung nach rechts, sieht, dass Arist da ist und schaut wieder nach vorne. Aysha hat nicht bemerkt, 37 dass der Platz nicht mehr frei ist. Sie schmiegt sich rechts am Wagen entlang nach vorne. Mit einem spektakulären Sprung versucht sie vom Pferd auf den Platz des fahrenden Gespanns neben Lyssandro zu springen. Es ist schon zu spät, als sie bemerkt, dass Arist auf dem, eben noch freien, Platz sitzt. Aysha versucht den Sprung aufzuhalten, fällt aber zwischen Pferd und Wagen auf den staubigen Erdboden: „Auh!“ Lyssandro stoppt das Gespann, denn er hat gleich erkannt, was passiert sein muss. Er geht zu ihr hin und hält sie am Arm. „Aaaaah!“ schreit Aysha und knallt ihm gleich eine übe die Ohren, so dass er zunächst mit seinen eigenen Schmerzen beschäftigt ist. Cynric kommt daher gerannt, und streichelt Aysha durch die Haare: „♫Heile, heile Säge, drü Täg Räge, ♫ drü Täg Schnee, de tuets de Aysah nümme weh! ♫“ Auch das scheint nicht zu helfen. Aysha jammert und hält sich den Arm. Sie muss ihn ziemlich fest verstaucht haben. Ratlosigkeit kommt auf. Aysha lässt sich nicht helfen, aber so kann die Reise nicht weitergehen. Die Szenen Ayshas lassen Biba kalt. Sie setzt sich hin und versucht sich nicht aus der Ruhe zu bringen. Sie hat bloss gewisse Zweifel, dass sie so jemals die Wälder erreichen würden. Bildugan hat unterdessen mit einigen Kräutern ein Getränk gemischt. Er sagt es sei schmerzlindernd. Cynric traut der Sache nicht. Er nimmt das Krüglein und kostet den Inhalt. „Mh, es ist gut!“ sagt er. Aysha trinkt und bemerkt schon nach wenigen Minuten Schmerzlinderung. Das Mittel wirkt, aber es pocht noch immer auf der Aufschlagstelle. Es fühlt sich komisch an. Cynric will Aysha unterhalten 38 und singt in den höchsten und lautesten Tönen. Sein Gesang ist fürchterlich, aber Aysha ist so gerührt von Cynrics Hingabe, dass sie ihm zuhört. Biba besteht darauf, endlich wieder weiterzuziehen. Aysha kann noch nicht reiten, also fährt sie im Wagen. Bildugan empfiehlt Aysha den Arm etwas zu schützen, und eine Schlinge um den Arm zu legen. Cynric schneidet ein Stück Stoff vom Kleid ab das Aysha trägt. Aysha hat nichts dagegen, denn das Kleid ist ihr sowieso zu lang und zu dick. Doch es wäre gar nicht nötig gewesen da Arist ein geeignetes Tuch hat. Cynric bindet ihr den Arm ein. Er geht nicht gerade zierlich mit Ayshas Arm um. Sie fällt vor Schmerzen in Ohnmacht, was Cynric natürlich auf Bildugans Schmerzmittel zurückführt. Aysha ist verarztet, die Reise geht weiter. Aysha ist mittlerweile aus dem Koma erwacht, bleibt aber auf dem Wagen liegen. Arist döst auf dem Bock neben Lyssandro vor sich hin. Am Horizont sind Hügel zu sehen. Lyssandro schubst Arist etwas von sich weg. Arist erwacht. Lyssandro zeigt mit seiner Hand in Fahrtrichtung: „Schau die Hügel dort. Wir werden die Wälder bald erreichen. Vielleicht schon morgen gegen Mittag. Sollen wir hier rasten?“ Biba ist der Meinung, dass sie noch weiterziehen sollten: „In etwa 5 Stunden können wir die Berge erreichen. Dann ist gerade etwa Sonnenuntergang. Dort könnten wir dann rasten. Wir wissen schliesslich nicht, wie viel wir noch vor uns haben, da wir das Ziel nicht genau kennen.“ Biba wird überstimmt. Sie beschliessen erst mal Rast zu machen da es in den Wäldern viel gefährlicher ist, gerade dann 39 nämlich, wenn Räuberbanden ihr Unwesen treiben. Biba und Arist reiten zusammen noch ein paar Minuten weiter, kehren dann aber zur Gruppe zurück. Lyssandro sucht eine Geeignete Stelle um zu rasten. Er wählt einen Fleck um den es im Umkreis von hundert Metern keinen einzigen Gegenstand hat, um allfälligen Wegelagerern keine Tarnung zu bieten. Aysha spürt langsam die Schmerzen wieder. Sie versucht einen Heilungszauber zu singen. Leider klappt es nicht und sie versucht es ein zweites Mal. Auch der zweite Versuch scheitert. Sie bildet sich jedoch ein es wäre nun besser, was allgemeine Erleichterung in der Gruppe mit sich bringt. Arist verspürt das Verlangen, ein Pilzchen zu essen. Mit Schrecken stellt er fest, dass er nur noch zwei in seinem Beutel hat. Eines verschlingt er auf der Stelle selbst und das andere bietet er Aysha an. Aysha lehnt dankend ab. Bildugan schaut in seine Tasche. Er hat noch immer das Pilzchen, das er von Arist bekommen hatte. Arist sieht das und verlangt es zurück: „Hey, du hast ja noch ein Pilzchen. Gib es mir zurück, du willst es ja gar nicht essen.“ Bildugan weigert sich: „Nein, gegeben ist gegeben. Ich möchte es behalten. Man kann Pilzchen auch für andere Sachen gebrauchen als zum Schlucken. Im Moment zwängen sich alle auf den Wagen. Es hat gerade genügend Platz, dass alle im Kauersitz sitzen können. Man ist besorgt um die schmerzerfüllte Aysha. Bildugan mischt nochmals dasselbe Elixier das er schon beim ersten mal braute. Bildugan ist sehr geschickt im 40 Mischen. Ein paar gekonnte Handgriffe und das grünlich-gläserne Wässerchen ist zubereitet. Aysha besteht darauf, dass sie dazu noch einen Schluck Alkohol trinken darf, damit sie wieder etwas in Stimmung kommt. Lyssandro und Bildugan raten ihr davon ab. „Wenn man Elixiere mit Alkohol mischt, dann kann das unangenehme Nebenwirkungen hervorrufen!“ warnt Bildugan, aber Aysha lässt sich nicht beeindrucken. Der Trank wirkt erstaunlich schnell; schneller als beim ersten mal. Aysha fühlt sich wirklich wieder gut. Biba, die schon die längste Zeit Arists unsichtbares Schosshündchen Imagino streichelt, sieht, wie aus dem nichts zwei Augen und eine Schnauze erscheint. Der Schnauze ziert ein Grinsen. Biba grinst zurück. Von den andern hat niemand die Szene mitbekommen. Cynric schlägt vor, ein Feuer zu machen, für den Fall, dass es in der Nacht kalt wird. Lyssandro willigt ein: “Aber nur ein kleines, sonst sieht man uns bis über den Horizont!“ Cynric bittet alle vom Wagen zu steigen, um das Gefährt zur Holzsuche mitnehmen zu können. Aysha will ihm helfen. Sie ziehen den Wagen bis zum nahen Wäldchen, dort beladen sie ihn mit Holz, bis er prallvoll ist. Währenddessen lästern sie ein wenig über Arist. Cynric meint, dass Arist eine Frau sei: „Hast du nicht gesehen, wie er sich auf dem Wagen an Lyssandro heran gemacht hat. Igitt, sowas...!“ Sie bringen den Wagen voll Holz zurück und entfachen ein Feuerchen. Cynric hat offensichtlich nicht zugehört, als Lyssandro sagte, dass er nur ein kleines Feuerchen machen soll. Er 41 wirft gleich mal den halben Wagen Holz auf die Feuerstelle. Cynric schaut ganz fasziniert auf das lodernde Feuer, das sich in kürzester Zeit von einem kleinen Flämmchen in eine Sbrunst verwandelt. „Na prima!“ denkt sich Lyssandro, „Jetzt kommt es auch nicht mehr drauf an.“ Er sagt nur: „Cynric, sei ein wenig sparsam mit dem Holz, sonst musst du mitten in der Nacht nach neuem Holz suchen gehen.“ Cynric besinnt sich, und man sitzt um das Feuer, um den Abend zu geniessen. Die Alkohol-Schmerzmittel-Mischung von Aysha scheint gerade seine Wirkung zu zeigen. Sie ist ganz aufgezogen und möchte irgendetwas anstellen. Sie macht sich an Arist heran. Sie kommt ihm ganz nahe, Gesicht an Gesicht. Kurz bevor sich ihre Lippen berühren dreht sie sich ab. Sie grinst und fühlt sich, als könnte sie Bäume entwurzeln. Sie nimmt ihre Lyra hervor und klemmt sie zwischen ihren Beinen ein, um darauf zu spielen. Arist bietet ihr an, die Lyra für sie zu halten und greift danach. „Nein!“ sagt sie und packt die Lyra gleich wieder in ihren Beutel. Währenddessen hat Bildugan den andern, die um das Feuer sitzen, einiges über seine Flöte erzählt. Da ihm alle gespannt zugehört haben gibt er gleich ein kleines Ständchen zum besten. Er spielt wie ein Meister auf seinem Instrument. Aysha fängt gleich an dazu zu tanzen. Bildugan hört auf zu spielen und streckt Lyssandro die Flöte zu: „Du kannst doch auch Flöte spielen, Spiel doch mal darauf. Sie ist wunderbar zum spielen. Ich wette, du hast noch 42 nie auf einer so gut klingenden Flöte gespielt.“ Lyssandro antwortet: „Meinst du ich darf? Ja ich kann schon Flöte spielen. Ich habe sogar mal eine gehabt. Aber die ist bei einem kleinen Unfall zu Bruch gegangen. Seither hatte ich nie die Gelegenheit, mir eine Neue zu beschaffen.“ Lyssandro nimmt die Flöte und beginnt zu spielen. Bildugan singt dazu. Aysha hat den kurzen Unterbruch überhört und tanzt noch immer. Cynric ist entsetzt. Er ist irgendwie gar nicht in Partylaune. Aysha fordert Arist zum Tanz auf, was Arist natürlich nicht ablehnt. Gerade als sie zu tanzen beginnen ruft Cynric dazwischen: „Wäre es nicht üblich beim Paartanz darauf zu achten, dass jeweils eine Frau und ein Mann zusammen tanzen und nicht zwei Frauen?!“ Cynric lacht und entfernt sich. Das Fest geht noch eine ganze Weile so weiter. Bei einer günstigen Gelegenheit stielt sich Arist von der Gruppe weg und verschwindet im Wagen. Er durchsucht die Tasche von Bildugan nach dem Pilzchen. Biba hat ihn zufällig bemerkt und folgt ihm. Sie beobachtet ihn zuerst kurze Zeit und sagt dann: „Bist du sicher, dass das deine Tasche ist? Ich glaube, die gehört Bildugan.“ „Huch, du hast recht, das ist ja gar nicht meine Tasche. Äh...“ Arist sucht nach einer Ausrede. Er scheitert aber kläglich an Bibas Misstrauen. Sie entscheiden sich jedoch niemandem etwas von dem zu erzählen, was Arist gerade gemacht hat, aber nur unter der Bedingung, dass so was nie wieder vorkommt. Arist geht die Bedingung ein, er will ja vor den andern sein Gesicht nicht verlieren. Sie gehen wieder zurück zum 43 Feuer, wo noch immer die andern sind. Niemand merkt etwas von dem Zwischenfall. Cynric hat in der Zwischenzeit eine Karte von der Gegend gezeichnet. Er kartographiert sowieso immer alles, was er bereist, bewandert oder befahren hat. Er Zeigt die neue Karte gleich Lyssandro. Lyssandro schaut auf das Papier und sagt: „Das sieht aber schön aus, was ist das?“ „Das ist eine Karte von diesem Land, das wir gerade durchreisen. Du hältst sie übrigens verkehrt rum.“ Cynric dreht ihm die Karte richtig, und gibt ihm einige Erklärungen dazu ab. Lyssandro ist sehr beeindruckt. Er fragt ihn, wozu er das mache. Cynric gibt ihm zu Antwort, dass das so eine Art vererbtes Handwerk sei: „Bei uns zeichnen alle Karten. Mein Vater hat schon Karten gezeichnet, mein Grossvater und mein Urgrossvater auch. Ich glaube sogar schon der Urgrossvater meines Urgrossvaters hat Karten gezeichnet. Das macht Spass und man weiss immer wo man war. Und wenn man mal wieder an einen Ort kommt, wo man schon mal war, dann kennt man sich schon bestens aus. Ist doch gut, nicht?“ Langsam breitet sich Müdigkeit über der Gruppe aus. Nachtruhe ist angesagt. Aysha drückt Bildugan einen dicken Kuss auf die Wange, bevor er sich schlafen legt. Aysha ist noch überhaupt nicht müde, nein sie ist noch so richtig aufgedreht. Sie meldet sich freiwillig, die erste Wache zu übernehmen. Lyssandro will die Wache mit Aysha zusammen teilen, da er überzeugt ist, dass Aysha im Moment nicht in besonders guter 44 Verfassung ist, und dass ihre überdrehte Stimmung wahrscheinlich von dem Heilmittel herrührt. Es wird still um den Lagerplatz. Das Feuer ist nur noch ganz mickrig. Gerade so, dass es nicht erlöscht. Lyssandro und Aysha liegen gemeinsam auf Lyssandros Bettrolle und schauen in die Glut des Feuers. Sie halten sich gegenseitig fest. Die andern scheinen schon längst zu schlafen. Aysha flüstert Lyssandro ins Ohr: „Du bist so still in letzter Zeit, was ist mit dir los?“ Lyssandro weiss nicht was Aysha meint und gibt ihr zur Antwort: „Was mit mir los ist? Ich weiss nicht. Ich glaube nicht, dass ich ruhiger bin als vorher. Vielleicht wirkt es so, weil ich etwas mehr Verantwortung in der Gruppe habe als zu der Zeit wo Washino noch bei uns war.“ Sie akzeptiert seine Antwort und konzentriert sich auf das Feuer. Es ist rundum stock dunkel und Mäuschen still. Man hört bloss das Atmen der andern und das Gläserne klirren der Glut im Feuer. Auf einmal fühlt sich Aysha nicht mehr so gut. Sie hat Schweissperlen auf der Stirn. „Lyssandro, bitte horch mal meine Brust. Es fühlt sich an, als will mich mein Herz erschlagen.“ Lyssandro hält sein Ohr an Ayshas Brust. Ihr Herz rast und ihr Körper ist ganz heiss. In dem Moment fühlt er auch, wie sehr sie schwitzt. „Wart, ich hole Bildugan!“ Lyssandro weckt Bildugan, der sofort weiss um was es geht: „Das ist jetzt die Wirkung des Alkohols. Man soll niemals Heiltränke mit Alkohol mischen. Man weiss, dass das nicht gut ist!“ Er hat sofort ein Linderungsmittel bereit. Aber Aysha lehnt es ab. Sie will kein Zaubertrank mehr 45 trinken, sie will jetzt bloss versuchen zu schlafen, denn auf einmal ist sie sterbensmüde. Von dem ganzen Tumult erwacht Arist. Er glaubt, etwas gehört zu haben. Auch Cynric ist plötzlich hellwach wegen irgendeinem Geräusch. Lyssandro gibt Entwarnung. Cynric und Arist wollen sich gerade hinlegen, da hören sie noch einmal dasselbe Geräusch. Ein lautes Knacken, wie ein Ast, der zerbricht. Komisch, es gibt im Umkreis von hundert Metern nichts, das so knacken könnte, wie ein Ast, der zerbricht. Darauf hat Lyssandro extra geachtet. Arist und Cynric suchen nach der Quelle des Geräuschs, finden aber nichts. Cynric gibt die Suche schnell wieder auf und schläft weiter. Bildugan schläft inzwischen auch schon wieder und Lyssandro kümmert sich noch um Aysha. Arist nutzt die Gunst der Gelegenheit. Er holt das Kleid von Aysha aus dem Wagen und geht damit zum unweit entfernten Bächlein. Er wäscht es mit Seife und färbt es anschliessend dunkelblau ein. Er kommt zurück und trocknet das Kleid am Feuer. Aysha merkt nichts davon, denn sie ist inzwischen eingeschlafen. Arist bietet Lyssandro an, die Wache zu übernehmen, da er ohnehin auf das Kleid achten muss. Lyssandro ist einverstanden. Aysha hat Alpträume. Sie dreht sich und reckt sich. Sie redet wirres Zeug. Dann erwacht sie kurz, sperrt die Augen weit auf und versinkt wieder im Tiefschlaf. Lyssandro streift ihr durch ihre goldenen Haare und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn. Darauf sucht auch er die Nachtruhe. 46 Arist sitzt neben dem Feuer, und wartet, bis das Kleid trocken ist. Als das Kleid trocken zu sein scheint nimmt er es, steckt eine getrocknete Rose an und parfümierte es mit Rosenduft. Die Nacht geht vorüber. In der frühen Morgendämmerung weckt Arist Biba zur Wachablösung. Lyssandro steht auch gerade auf. Arist legt sich noch etwas hin. Auch Biba schlüpft gleich nochmals unter die Decke, als sie sieht, dass Lyssandro bereits bei seiner allmörgentlichen Gebetsstunde ist. Als dann Lyssandro zum Kampftraining übergeht erwacht Cynric. Cynric steht auf, sucht nach seinem Wurfschwert und läuft Richtung des nahen Wäldchens. Nach einiger Zeit kommt er mit einem Rehkitz auf dem Rücken zurück. Lyssandro sieht das tote Tier. Er weiss, dass Cynric noch nicht weiss, dass er kein unreines Fleisch essen darf. Er geht sofort zu ihm hin, schneidet dem Tier die Halsschlagader durch und erklärt ihm, dass die Tiere nur dann rein sind, wenn sie komplett ausgeblutet sind. Das ist nur zu erreichen, wenn man das Tier Kopfüber hält und ihm dann Die Halsschlagader aufschneidet. Das Kitz verblutet ganz schnell. Cynric versteht die Zeremonie nicht so richtig, aber er kann sich damit abfinden. Er fragt nicht weiter danach. Cynric zieht dem Reh das Fell über die Ohren und präpariert es über dem noch immer brennenden Feuer. Von dem Duft des Bratens erwachen langsam auch die andern aus ihrem Tiefschlaf. Aysha erwacht als letzte. Sie hat immer noch ein bisschen einen Brummschädel. 47 Das Wetter ist herrlich heute. Unter wolkenfreiem Himmel geniessen sie Cynrics wohlbekömmlichen Rehbraten. Nach Einer guten halben Stunde kräftigen Mals geht die Reise weiter. Die Berge sind schon fast in greifbarer Nähe. Arist hat 4 von den im Beutel Bildugans gefundenen Pilzstückchen genommen und fühlt sich wunderbar, wie neu geboren, in einer ganz anderen Welt. Kein Wunder hat doch Bildugan die Wirkung mit einem Zauber verstärkt, so dass nun ein Pilzstück einer Menge von 10 Pilzen entspricht. Er lehnt sich auf seinem Pferd zurück, so dass er bequem in seinem Kreuz liegen und das schöne Wetter geniessen kann. Lyssandro kümmert sich liebevoll um Aysha, die gerade neben ihm auf dem Bock sitzt, und sich an ihn anlehnt. Die Reise geht einige Stunden fast wortlos vorüber. Es scheinen alle in recht guter Stimmung zu sein. Unterdessen ist Waldrand erreicht, und die Reise geht ohne Halt weiter in Richtung Waldesinnere. Sie gelangen immer tiefer in den Wald hinein und es wird langsam dunkler. Plötzlich entdeckt Cynric am Wegrand ein ausgebranntes Wagenskelett und ein halb verwestes Pferd. Vor dem Kadaver wird Halt gemacht. Arist, voll im Delirium, macht wegen dem Stopp einen solchen Lärm, dass er von den andern beschwichtigt werden muss. Er flucht etwas von wegen es ginge wieder mal nicht weiter oder so. Aysha berührt ihn sanft im Gesicht um ihn auf andere Gedanken zu bringen und ruhig zu stellen. Cynric untersucht unterdessen das 48 Wrack und das tote Tier und findet Spuren, die in den Wald führen. Die Spuren führen zu einem Trampelpfad. Hier handelt es sich ganz klar um Spuren der Räuberbanden. „Das wird ab jetzt unser Weg sein! Diese Spur führt uns sicher direkt zu den Räuberbanden, wenn es sie noch gibt. Seht ihr!?“ Ruft Cynric ganz begierig in die Runde und zeigt mit dem Finger in Richtung der Schneise im Wald. „Dann müssen wir aber den Wagen hier lassen. Nehmt alles, was ihr noch braucht vom Wagen, und verteilt es auf die Pferde. Wir nehmen so viele Pferde, wie wir Leute sind, damit jeder ein Reittier hat. Den Wagen lassen wir hier!“ antwortet Lyssandro. Das Gepäck ist verteilt. Die Frage ist, was mit Arist passieren soll. Arist liegt unterdessen friedlich am Boden und schläft; wenn er nicht gerade kurz aufwacht und irgendetwas unsinniges dazwischenbrüllt. „Wir setzen ihn einfach auf ein Pferd, und hoffen, dass er nicht runterfällt!“ schlägt Biba vor, und Cynric findet das eine gute Idee. Bei dem Versuch, ihn auf das Pferd hinauf zu heben, wehrt sich Arist mit den Füssen und den Fäusten. Cynric verliert die Nerven und schlägt ihm eine, so dass er für einen kurzen Moment die Feuer in Holland gesehen haben muss. Arist ist ohnmächtig. Cynric nutzt die Gelegenheit und fesselt den Regungslosen Arist. Er wirft ihn ziemlich rücksichtslos auf das Pferd und bindet ihn zur Sicherheit gleich am Pferd fest. Der Wagen ist in Zwischenzeit entlehrt. Beim Umladen des Gepäcks findet Aysha ihr altes Kleid. Es 49 ist Faserrein gewaschen und duftet ganz geheimnisvoll, wie eine Blumenwiese. Als sie die eingesteckte Rose entdeckt, bekommt sie Tränen vor Freude. „Lyssandro, hast du mein Kleid gewaschen?“ fragt sie etwas verwundert. „Nein, ich glaube Arist war das!“ gibt er zur Antwort. Aysha reisst ihre alten Lumpen vom Leib und zieht das schöne, neue alte Kleid, das sie immer so gerne getragen hat, wieder an. Das andere lässt sie auf dem Wagen liegen. Die Reise kann weitergehen. Von nun an etwas vorsichtiger. Die Banden können die Gefährten jederzeit überfallen. Der Weg führt zuerst an einem Steilhang entlang. Der Pfad tendiert immer leicht aufwärts und er ist steinig, was für die Pferde aber noch kein Problem darstellt. Es wird flacher und der Weg geht jetzt eben aus. Es scheint hier um eine bewaldete Hochebene zu handeln. Der Wald ist nicht mehr so dicht. Einzelne Strahlen der Sonne reichen bis auf den Waldboden. Es ist Mäuschenstill, man hört nur die Schritte der Pferde und manchmal auch die von Cynric, wenn er nicht aufpasst. „Diese Gegend scheint mir sehr gefährlich. Sie ist der Ideale Ort für einen Überfall. Haltet etwas Abstand voneinander. Mindestens zehn Schritt. Cynric, du machst die linke Flanke und du Biba, die Rechte. Bildugan, du gehst voraus. Aysha, du bleibst mit Arist in der Mitte. Ich reite zu hinterst.“ Lyssandro steigt aufs Pferd und positioniert sich. Die Formation ist kaum in Bewegung, wird Lyssandro plötzlich von etwas hartem am Hinterkopf getroffen und wird verletzt. „Ah! Geht in 50 Deckung!“ ruft er und hält sich nach vorne gekrümmt den Kopf. Er stellt fest, dass er blutet. Er schaut auf, und sieht, dass sie umzingelt sind von wilden hässlichen Söldnern. Es ist ihm noch immer schwindlig vom Schlag, den er abbekommen hat. Er kann gerade noch erkennen, wie Cynric auf einen Baum entwischt. Die Waldganoven sehen das auch, und schiessen ihm Pfeile nach. Cynric sieht erst jetzt, dass er einen Baum erwischt hat, auf dem einer der Ganoven in Lauerstellung sitzt. Cynric sieht ihn früh genug und wirft ihn kurzer Hand vom Baum herunter. Vom Boden aus kann man Cynric wegen seiner hervorragenden Tarnung nicht mehr sehen. Die Räuber schiessen ihre Pfeile blindlings ins Geäst. Cynric hat ein riesiges Schwein, beinahe wird er von einem Pfeil getroffen, er kann die durch den Pfeil verdrängte Luft im Gesicht spüren. Es sind mindestens 40 oder sogar mehr von diesen Räubern im Umkreis von höchstens noch zehn Metern, und sie sind sehr gut bewaffnet. Hier scheint Widerstand zwecklos. Aysha versucht mit den Ganoven in einer Fremdsprache zu Kommunizieren. Der Anführer antwortet aber in der unsrigen Sprache: „Ergebt euch! Ihr seid in Unterzahl. Legt die Waffen nieder und sagt eurem Freund, er soll vom Baum runterkommen, oder ihr werdet nicht lebend am nächsten Frühstück teilnehmen.“ „Tut, was er sagt!“ meint Lyssandro. Cynric springt aus seinem Versteck auf einen anderen Baum und verschwindet sofort wieder in seiner Tarnung. „Vergesst es, unser Freund ist schon 51 über alle Berge, ihr werdet ihn nie einfangen können,“ versucht Lyssandro dem Anführer zu Verstehen zu geben. Er geht nicht darauf ein. Einige der Räuber schiessen unaufhörlich Pfeile in die Baumkrone, wo sich Cynric versteckt hält. „Rocho! Geh auf den Baum hinauf, und hol in runter!“ Schreit der Anführer ganz erbost einem seiner Söldner zu. Die andern werden gefesselt und geknebelt. Lyssandro spricht einige Stossgebete vor sich hin: Jahwe, sei in diesen Minuten mit uns und beschütze meine Kameraden vor unnötigem Leid. Begleite uns in die Höhle des Löwen, den dort ist der Ursprung des Leids, dass so manchen Händler und Reisenden hier in grosse Gefahr bringt. Amen Aysha werden beide Arme recht unsanft nach hinten gedreht, nach einem gellenden Schrei fällt sie in Ohmacht. Lyssandro wird vom Pferd gerissen und unter den Baum geschleppt, auf dem Cynric sitzt. „Komm runter, oder wir stellen deinen Freund kalt!“ ruft der Anführer nach oben. Cynric regt sich nicht, er weiss, dass sie ihn nicht sehen können. Rocho hat schon fast die Höhe von Cynric erreicht. Einer der Räuber fängt an, Lyssandro zu bearbeiten. Er schneidet ihm mit einem Messer ganz langsam eine Schramme ins Gesicht, von der Schläfe beginnend bis zum Kinn. Lyssandro lässt sich nichts anmerken. Er beisst auf die Zähne. Im Gegensatz zu Lyssandro schreit jetzt Aysha die unterdessen wieder erwacht ist. Lyssandro wird geschlagen. „Da ist niemand mehr!“ schreit Rocho vom Baum herunter und der Anführer flucht: „Verflixt, er ist 52 entkommen. Also komm runter!“ Cynric ist aber sehr wohl noch auf dem Baum. Der Ast, auf dem Rocho steht, ist nicht ganz zufälligerweise ein Teil von Cynrics Tarnrüstung. Cynric lässt diesen falschen Ast los, und Rocho stürzt vom Baum, wie ein Stein. Er überlebt den Sturz nicht. Der Anführer schnauzt nur: „Hat dieser Idiot den niemals klettern gelernt?“ Die Räuber brechen die Suche nach Cynric ab und führen Aysha, Bildugan, Lyssandro, Biba und Arist weg. Geknebelt und gefesselt werden sie eine Stunde lang zu Fuss durch den Wald geschubst, bis sie an eine Felswand gelangen. In der Felswand hat es eine gut durch Bäume und Sträucher getarnte Höhle. Im Höhleneingang stehen zwei Wächter, die den Durchgang in die Höhle versperren. Als sie aber den Anführer sehen, stehen sie zur Seite und grüssen ihn mit einer Handbewegung. Es scheint keine Höhle zu sein. Nach etwa 150 Meter kommt ein Ausgang. Es öffnet sich so etwas wie ein Talkessel. Rundum hohe, steile Felsen. Der Kessel hat einen Durchmesser von gut 50 Meter. Es könnte sich um einen erloschenen Vulkan handeln. Rundum sind Höhlen und Einbuchtungen in die Felsen gehauen. In der Mitte des Kesselbodens hat es eine art Thron, auf dem ein grosser und ganz ohne Zweifel übergewichtiger Mann sitzt. Er scheint der König dieser Bande zu sein. Er ist überaus hässlich, genau so hässlich, wie die beiden Hunde, die links und rechts des Throns ihre Zähne fletschen. Im Kessel sind hundert weitere von diesen Waldganoven anwesend. „Ich glaube, jetzt sind 53 wir mitten im Schlangennest!“ flüstert Lyssandro zu Bildugan hinüber, worauf er von einem der Räuber einen Knüppel über den Kopf geprescht bekommt. Lyssandro ist bewusstlos und fällt zu Boden. Cynric ist der Bande bis zum Höhleneingang gefolgt. Als er die Wächter sah, entschloss er sich einen anderen Eingang zu suchen. Er kletterte in der Felswand nach oben, bis er zum First des Trichters kam. Cynric kann das Treiben der Räuber im innern des Kessels von oben beobachten. Er sieht, wie alle gefilzt und ihre Waffen und Wertgegenstände entwendet werden. So wird Arist endlich seinen verfluchten Ring los, der ihn zwang, sich in jede Frau zu verlieben, die ihm über den Weg läuft. Sie versuchen Ayshas Krone abzunehmen. Aysha schreit, denn die Krone lässt sich nicht abnehmen, weil sie verflucht ist. Sie hat diese Krone in einem Tempel auf der Suche nach Dämonen gefunden, und aus Naivität gleich aufgesetzt. Seither konnte sie die Krone erst einmal, in einer heiligen Zone Gottes abnehmen. Die Räuber wollen die Krone wegschneiden, da ruft der Anführer dazwischen: „Lasst sie, ich brauche die beiden Weiber für etwas anderes!“ Die Männer werden in eine Höhle gebracht, wo sie mit eisernen Beschlägen an die Wand gekettet werden. Draussen im freien wird ein Feuer gemacht. Sie bereiten das Abendessen vor. Rehe und andere Tiere werden geschlachtet und zubereitet. Es dämmert. Aysha und Biba sitzen schon die längste Zeit noch immer gefesselt mitten im Getümmel am Boden. Der Häuptling kommt von einer kurzen 54 Absenz zurück. Aysha und Biba werden die Fesseln abgenommen. „Tanzt! Tanzt für mich, oder ich nehme euch zum Abendessen!“ brüllt er die beiden Frauen mit einem hässlichen Grinsen an. Er lacht und seine Leibwächter um ihn herum lachen mit. Aysha beginnt ganz unbeklemmt zu tanzen und Biba tut genau so, nur etwas zögerlicher. Cynric, der die Szenen gespannt beobachtet, staunt. Er hätte nicht gedacht, dass Biba so gut tanzen kann. Aysha beginnt zu singen. Sie singt ihren Schlafgesang heftig und konzentriert. Die Wirkung lässt zu wünschen übrig. Nur einer der Leibwächter wird schläfrig und klappt zusammen. Er wird aber sofort ersetzt. Sie versucht es weiter. Es scheinen zu viele Menschen anwesend zu sein. Der Zauber funktioniert nicht. Nach langer Zeit schläft ein zweiter Wächter ein, aber auch dieser wird sofort ersetzt. Arist, Bildugan und Lyssandro sind alle in derselben Höhle gefangen. Der Eingang dieser Höhle wird von drei Wächtern bewacht. Sie sind nur mit Speeren bewaffnet. Arist in Gedanken versunken und Bildugan sieht irgendwie verzweifelt aus. Lyssandro ist ein wenig unruhig. Er kann den Gesang von Aysha ganz gut hören. „Hoffentlich tun sie ihr nichts an, diese Ungeheuer. Ich muss dafür sorgen, dass ihr nichts geschieht, aber wie?“ Lyssandro grübelt, aber gegen eine solche Überzahl an Gegnern ist jeder Kampfakt der reine Selbstmord. Plötzlich ist eine hohe raue Stimme zu hören: „Hallo du. Du bist in einer sehr misslichen Lage. Ohne mich 55 kommt ihr hier nicht lebend heraus!“ Es ist aber niemand zu sehen. „Au!“ schreit Bildugan, der gerade eben ins Ohr gekniffen wurde. „Wer bist du, und wo bist du überhaupt? Binde uns los, schnell!“ fragt der aufgewühlte Bildugan. „Ich bin Xirx, und ich bin hier unten. Ja Xirx ist mein Name. Und du hast ein Problem! Tu mir einen Gefallen, und ich helfe dir hier raus.“ Jetzt sieht man den kleinen Wicht. Es ist ein Kobold. Er geht zu jedem hin und sagt: „Tu mir einen Gefallen, und ich helfe dir aus der Höhle.“ Jeder weiss, dass man einem Kobold nicht trauen kann. Keiner der drei geht auf seine Forderung ein. Lyssandro lehnt Bedingungslos ab. Bildugan wäre den Deal fast eingegangen, wenn nicht Arist dazwischen reden würde, und dem kleinen Xirx ein paar Bedingungen stellt: „Lass uns frei, dann tun wir dir zwei Gefallen. Aber wir wollen dafür, dass auch du uns noch einen Gefallen tust.“ Xirx lässt nicht mit sich feilschen. Während Arist am Handeln ist, versucht Lyssandro sein Chi zu bündeln. Diese Meditationstechnik hat er von Washino gelernt. Er wagt den Versuch, die Stahlfesseln zu zerreisen. Ganz entspannt und konzentriert schaut er vor sich auf den Boden. Sein Atem ist langsam und gleichmassig. Nach einigen Minuten der vollsten Konzentration richtet er sich auf, holt tief Luft. Er zieht an seinen Fesseln, bis sie angespannt sind und setzt all seine gebündelten Kräfte auf einen Schlag frei. „Hum!“ Er muss sich zusammenreissen, dass er nicht zu laut schreit. Es hat geklappt. Die linke Fessel ist zerrissen. „Autsch!“ 56 Lyssandro spürt einen stechenden Schmerz im Rücken. Xirx hat ihn gebissen weil er von der Kette, die zerriss, getroffen wurde. Die Wachen haben die Unruhe gehört und kommen zur Kontrolle in die Höhle. Lyssandro hält seine Hand wieder an die Wand, als wäre er noch immer gefesselt. Die Wachmänner bemerken nichts, sie lassen bloss verlauten, dass es untersagt sei, zu sprechen. Xirx versucht Lyssandro abermals dazu zu überreden, ihm einen Gefallen zu tun: „Siehst du, es ist aussichtslos. Da draussen sind über hundert Kämpfer. Ihr hab ohne mich keine Chance hier raus zu kommen. Tut mit einen Gefallen und ich helfe euch!“ Doch Lyssandro versucht Xirx mit Gold zu bestechen, da er vermutet, dass der Kobold uns mit seinem Gefallen übers Ohr hauen will. Ohne Erfolg, Xirx will einen Gefallen und sonst gar nichts. „Warum kannst du uns denn nicht sagen, was wir dir für einen Gefallen machen sollen?“ will Lyssandro zurecht wissen. „Ich stelle hier die Fragen und ihr gebt die Antworten. Ihr seid gefesselt und ich mache die Spielregeln,“ ist seine Antwort. „Und wieso sollten wir dir - einem Kobold – vertrauen schenken?“ fragt Lyssandro nach. Xirx antwortet mit ernster Miene: „Ich beobachte euch schon seit ihr den Wald betreten habt. Ich weiss, was ihr vor habt, und ich weiss, wie viele ihr seid. Euer Freund, den ihr Cynric nennt, ist wohl auf. Gerade befindet er sich auf dem Hügelkamm und beobachtet das Treiben der Bande unten im Kessel. Er kann euch aus seiner Lage leider nicht helfen,“ sind seine letzten Worte und verschwindet. Lyssandro ist von Xirx nicht beeindruckt. Er konzentriert sich wieder auf seinen Geist. 57 Die Frauen werden immer noch zum Tanzen gezwungen. Die Männer fangen an sie zu begrabschen. Aysha lässt sich keinen Scham anmerken, wogegen Biba schon sehr viel mehr Mühe damit hat. Aber wie sollte sie sich wehren gegen so viele? „Lass es einfach geschehen, sei besser nett zu ihnen, dann sind sie es auch!“ gibt ihr Aysha zu Rat. Vier Männer gehen in die Höhle zu den Gefangenen mit der Absicht, die Fesseln zu überprüfen. Lyssandro bemerkt trotz seiner Meditation die Anwesenheit von Wachen. Jetzt muss er handeln, sonst bemerken sie seinen Befreiungsversuch. Die erste Wache ist gerade in Versuchung, seine Fessel anzufassen, da holt er wieder Luft und reisst auch die zweite Kette entzwei. Mit der Wucht aus den Armen schlägt der den Wächter gleich um. Er liegt reglos am Boden. Lyssandro nutzt den ÜberRashungsmoment um sich die Waffen zu schnappen, die sich zum Glück in dieser Höhle befinden. Einer der drei rennt sofort aus der Höhle um Hilfe zu holen. Die anderen beiden sind sofort in Angriffstellung. Lyssandro schlägt zuerst mit seinem Schwert eine Kette von Arists Fesseln auf. Der Schlag ist präzis. Die Kette zersplittert. Arist lässt sofort eine Illusionskette entstehen, mit Erfolg. Derweilen kämpft Lyssandro gegen die anderen zwei. Er trifft den Einen tödlich in den Bauch. Den andern verletzt er derart an den Armen, dass er nicht weiterkämpfen kann und flieht. Schon sind sechs weitere Wachmänner im Anzug. Lyssandro, der nicht weiss, dass die Kette von Arists Fesseln eigentlich zerbrochen wären, schlägt 58 nochmals mit voller Wucht auf die Illusion. Die Illusion ist gut. Lyssandro bemerkt sie nicht und schlägt noch einmal zu; wieder nicht. Er schaut Arist verständnislos an. Jetzt bemerkt er, dass es eine Illusion ist, auf die er da eingeschlagen hat. Die Wachen sind schon zu nahe. Lyssandro ergibt sich. Es herrscht ein Chaos, auch draussen, wo in der Zwischenzeit der Abendfrass verzehrt wurde. Sie bringen Lyssandro und Arist in eine andere Höhle. Das Loch, in das sie gebracht werden, macht den Anschein, als handelt es sich um die Vorratskammer. Es ist muffelig und feucht. Diesmal werden Lyssandro nicht nur die Hände an die Wand gefesselt, sondern auch die Füsse. In einem günstigen Augenblick versucht Arist ein Messer aus seiner Schuhsole zu ziehen. Der Wachmann bemerkt das und zieht Arist eins über den Schädel, so dass er umkippt und ohnmächtig liegen bleibt. Die Wachen richten ihn auf und setzen ihn an die Wand. Arists Hände werden hinter seinem Rücken zusammengebunden an die Wand gefesselt. Im dem ganzen Tumult versucht Aysha tanzend sich Richtung Ausgang zu stehlen. Sie kommt aber nicht weit. Nach etwa 15 Metern wird sie von einigen Gaunern umstellt und in die Knie gezwungen: „Nicht abhauen Weib! Du bleibst bei uns!“ Sie schleppen die Beiden Frauen in die Höhle in der Bildugan ist. Sie sind nicht gerade geschult im Umgang mit dem schwachen Geschlecht. Sie drehen Ayshas verletzten Arm so rücksichtslos nach hinten, dass ihr Tränen aus den Augen quellen. Sie kann den Schmerzesschrei nur 59 schwer unterdrücken. Wenigstens bringen ihnen zwei der Ganoven etwas zu Essen - einen undefinierbaren, hässlichen, bräunlichen Brei. Aysha versucht bei der Gelegenheit noch einmal ihren Schlafgesang aus – erfolglos, sie ist zu erschöpft. Unterdessen ist Xirx zu Cynric auf den Berg gestiegen: „Hallo Cynric!“ Cynric ist überrascht: „Hm? Wer redet da?“ „Ich bin Xirx und ich kann deinen Freunden aus der Gefangenschaft helfen, wenn du willst.“ Gibt er zur Antwort. Erst jetzt kann Cynric den kleinen Kobold sehen. Xirx ist eigentlich unsichtbar. Man kann einen Kobold erst dann sehen, wen der das will, oder wenn man mit ihm in Berührung kommt. Cynric fühlt sich von Xirx aufs Kreuz gelegt: „Wie willst du kleiner Wicht uns helfen können?“ Cynric grinst. „Lach nicht! An deiner Stelle würde ich etwas netter sein! Ich werde dir zeigen wie ich das mache. Ich habe Freunde,“ gibt Xirx ein wenig beleidigt zurück. „Na also los, befrei sie,“ drängt ihn Cynric. „Na, na, na. Ich will aber, dass mir jeder von euch einen Gefallen schuldet, wenn ich euch helfe.“ Cynric überlegt sich die Bedingung nicht wirklich. Viel mehr interessiert ihn, wie der kleine Xirx zu Helfen gedenkt. „Gut, wir tun dir einen Gefallen und du hilfst uns.“ Cynric grinst. Xirx schaut mit treuem Blick und mit dem Kopf zur Seite geneigt zu Cynric hinauf: „Versprochen?“ fragt er nochmals nach. Auf das Kopfnicken von Cynric gibt ihm Xirx ein kleines Fläschchen mit einer magischen Flüssigkeit. Dann dreht sich der kleine Kobold um und rennt den Berg hinunter. Während er rennt schaut er 60 kurz zurück und schreit: “Warte unten beim Portal auf uns, wir treffen uns dort!“ Unten im Talkessel ist schon längst wieder Normalität eingekehrt. Es wurde vom Häuptling inzwischen bekannt gegeben, dass die gefangenen Männer bei Sonnenaufgang gekocht, geköpft, skalpiert, geschrumpft und die Überreste den Hunden zum Frass vorgeworfen werden. Die Frauen sollen verschont bleiben, da sie, laut Häuptling, noch gebraucht werden. Xirx geht gleich zuerst zu Arist. Er verrät ihm, dass Cynric für alle das Versprechen auf seine Bedingung gegeben hat. Arist kommt gar nicht erst zu Wort, denn Xirx streckt ihm ein Ampullchen entgegen, mit demselben Inhalt den Cynric erhalten hat: „Trink das, sonst kann ich dir nicht helfen!“ Arist nimmt das kleine Fläschchen und schluckt die enthaltene Flüssigkeit. Auch den andern bietet er dieses Tränklein an. Lyssandro ist zuerst etwas skeptisch dem Trank gegenüber, schluckt ihn dann aber trotzdem. Urplötzlich ertönen laute Pfeifen und Flötengeräusche. Die Räuber fangen alle an zu tanzen und hüpfen. Wie besessen tanzen sie zu der Musik, die so plötzlich in der Luft liegt. Xirx öffnet in Windeseile alle Fesseln und fordert die Gefangenen auf, so schnell wie möglich ihre Sachen zu suchen, Richtung Ausgang zu laufen und am Ende der Höhle zu warten. Der dicke Häuptling schreit und tobt, doch es nützt alles nichts, er und seine Leute sind wie gefangene eines fremden Willens. Sie haben, wie es scheint, keine Herrschaft über ihr Tun. 61 Am Ausgang wartet schon Cynric auf seine Freunde. Die Gruppe hält kurz inne, bis alle beisammen sind und dann rennen sie weiter. Xirx und Cynric rennen voraus, gefolgt von Arist, Biba und Lyssandro. Das Schlusslicht bilden die schmerzerfüllte Aysha und Bildugan. Sie rennen wie die Hasen etwa anderthalb Stunden durch den Wald. Bildugan ist schon längst am Ende seiner Kräfte. Aysha werden die Schmerzen im Ellenbogen langsam unerträglich und es ist schon ziemlich dunkel. Sie müssen gut aufpassen, wohin sie treten. Das Tempo verlangsamt sich zuerst auf Eilmarsch und zuletzt auf Kriechgang. Völlig erschöpft kämpfen sie sich durchs Geäst. Xirx führt die Gruppe zu einer Waldlichtung. Man hört das Rauschen eines nahen Bächleins. „Hier könnt ihr erst mal ausruhen!“ sagt Xirx so keck, als hätte er nicht die geringste Anstrengung hinter sich. Alle sind fix und fertig. Xirx verschwindet kurz im Dickicht. Er kommt zurück mit langen schmalen Blättern, und bindet sie Aysha um den bösen Ellenbogen: „Das wird die Heilung beschleunigen.“ „Ist das Wasser sauber?“ fragt Lyssandro den Xirx. Xirx antwortet mit ja. Lyssandro kniet ans Bächlein, löscht zuerst seinen Durst und reinigt dann seine Wunden. Er hat ziemlich starke Schmerzen. Bildugan hat ihm etwas Salbe die kühlt und desinfiziert. Wer noch kann, der versorgt sich. Aber die Müdigkeit ist dermassen gross, dass es keine zehn Minuten dauert, bis der allerletzte seine Schlafensstellung eingenommen hat und schläft. 62 Am nächsten Morgen fühlen sich alle wieder recht frisch. Bildugan wird von einem Häschen geweckt, welches an seinem grossen Zehen rumschnuppert. Er zuckt, und das Häschen rennt ins nahe Gebüsch. Ayshas Arm schmerzt deutlich weniger. Jetzt sieht man endlich Lyssandros Schramme im Gesicht. Es sieht fürchterlich aus. Davon wird bestimmt eine hässliche Narbe übrig bleiben. „Leg dich auf den Rücken und halte den Kopf zur Seite, sodass die Wunde nach oben schaut,“ befielt Aysha. Sie kniet vor ihn hin und hält ihn mit beiden Händen am Kopf fest. Sie starrt wie versteinert auf die Wunde. Sie fängt an eine Melodie zu summen. Die Melodie wird zum Gesang. Langsam fängt sich die Narbe an zu schliessen. Sie wird immer kleiner, bis nur noch ein rötlicher Fleck an die eben noch vorhandene Schnittwunde erinnert. Sogar die Rötung verschwindet, und Lyssandros Gesicht ist wieder makellos – zumindest dann, wenn man sich seine Nase wegdenkt. Xirx ist plötzlich ganz aufgeregt. Er zeigt mit dem Finger auf das Häschen, welches Bildugan am Zehen gekitzelt hat: „Schaut dort!“ Das Häschen piepst in Panik. Sein linkes Hinterbein ist von einer Ranke umschlungen, die es versucht, in die Erde zu ziehen. Cynric schlägt mit einer Peitsche auf den Fangarm. Dieser löst sich und der Hase springt davon. Xirx rennt sogleich an die Stelle, hält sich an der komischen Ranke fest und zieht daran. Die andern helfen auch tatkräftig mit beim Ziehen. Die Ranke bricht und sie fallen rücklings aufeinander. Xirx hält nur noch eine dornige Pflanze in der Hand, und wirf sie achtlos weg. Der Rest 63 der Ranke verschwindet im Boden. „Schon wieder eine dieser Diebespflanzen!“ Xirx holt tief Luft seufzt. Er setzt sich auf einen Baumstrunk und stützt sich seinen Kopf mit den Unterarmen auf. Er fängt an zu erzählen: “Eigentlich bin ein ganz normaler Hauskobold. Ich habe in meiner Jugendzeit viele Schelmereien gemacht. Ich habe Häuser geplündert, gestohlen und Menschen und andere Wesen geärgert. Bis ich einmal von einem Handelsmann bei einem meiner Raubzüge erwischt wurde. Er hat mich gesehen. Bei uns ist es eben ein Gesetz, dass man seinem Entdecker auf Lebzeiten dienen muss. Also wurde ich versklavt. Auf diese Art kamen all die Untaten, die ich gemacht habe, wieder auf mich zurück. Es war furchtbar. Ich hatte aber das Glück, dass ich einige Satire zu meinen Freunden zu zählen konnte. Falls ihr noch nie welche gesehen habt Satire sind Ziegenmenschen. Sie sind hervorragende Gaukler und Meister der psychischen Beeinflussung. Sie sind musikalisch und beherrschen das Flötenspiel, und zwar so, dass man von den Melodien verzaubert wird. Einer dieser Satire hat meinen Meister gleich für immer in die Irre geführt mit seinem Spiel. Der Man lebt längst nicht mehr, aber er war bis zu einem Tode besessen von Dingen, die überhaupt nicht existierten. Deshalb steckte man ihn in die Klapsmühle. Damit war ich befreit von meiner Pflicht und konnte fliehen. Seither lebe ich hier mit den Satiren zusammen und hege und pflege den Wald. Doch leider wird das immer schwieriger seit diese Plage hier ist...“ Xirx verdreht die Augen und schaut vor sich vor die Füsse. „Welche Plage denn?“ will Bildugan wissen. „Na eben diese komischen 64 Etwase im Boden. Sie waren früher nicht da. Anfänglich gab es sie nur ganz im Norden, aber sie breiteten sich schnell über den ganzen Wald aus. Man sieht sie nie. Wenn sie Hunger haben, dann suchen sie sich irgend ein Tier, fangen es mit ihren Ranken ein, und ziehen es ins Erdreich. Auch die Pflanzen leiden darunter. Wo eines dieser teuflischen Dinge war, da wächst an der Erdoberfläche nichts mehr. Das ist bis jetzt die einzige Möglichkeit, ihre Verbreitung zu erkennen... “ Während Xirx erzählt macht Lyssandro ein Göttlichkeitsritual um herauszufinden ob die Gegend teuflisch ist oder nicht. Er sieht vor seinem geistigen Auge ein weisses Leintuch mit Blutspritzer drauf. Er interpretiert diese Nachricht so, dass die Gegend als solches Gut ist, zur Zeit aber von Bosheit heimgesucht wird. Xirx fährt fort: „Und da wären wir eigentlich bei dem Gefallen, den ihr mir schuldet! Bitte geht zum weisen Rashun, um ihn um Rat zu bitten. Ich bin sicher er weiss, wie man diese Teufelspflanzen aufhalten kann.“ Xirx streckt Cynric eine grosse, alte Karte zu: „Schaut hier, damit ihr den Weg besser findet.“ Die Karte ist sehr schön und sorgfältig gezeichnet. Ohne darüber zu Debatieren, wer und weshalb wir dem Xirx einen Gefallen schulden, schauen alle auf die Karte. Aus der Karte ist gut ersichtlich, dass es keinen grossen Unterschied ausmacht, in welche Richtung sie den Wald verlassen. Lyssandro überlegt, wie sie die neue Aufgabe mit dem Auftrag von Edwin unter einen Hut bringen. Sie müssen ihm ja zumindest noch Bericht erstatten. Man diskutiert über die möglichen Routen. Der kürzeste Weg zu Rashun ist quer durch das Gebirge und über die Ebene 65 von Tork. Xirx meint, dass das nicht der klügste Weg sei, aber weil er keinen stichhaltigen Grund angeben kann mischt er sich nicht weiter ein. Lyssandro macht den Vorschlag, das Gebirge in Richtung Nordosten zu verlassen, und dann dem Gebirgsfuss entlang nach Glok zu reisen. Dort könnten sie dann einen Boten nach Trocheja aussenden, der dem König die Neuigkeiten überbringen wird. Auf diese Weise kommt die Nachricht vielleicht etwa zwei Tage später an, als wenn sie diese selbst überbringen würden, fügt Lyssandro an. Der Vorschlag wird einstimmig akzeptiert. Man bedankt sich bei Xirx für die Befreiung und Xirx bedankt sich für die Hilfe, die ihm die Abenteurer noch erbringen werden. Er wünscht der Gefolgschaft eine gute Reise und viel Erfolg und Wiedersehen. Arist und Bildugan haben noch einen Wunsch. Arist spricht ihn auf die Pilzchen an, die ihre gewisse Wirkung haben, er wäre auch bereit Xirx dafür einen Gefallen zu tun. Bildugan fragt nach irgendwelchen Kräutern, von denen er keine mehr hat. Xirx verschwindet im Wald. „Jetzt ist er abgehauen, dieses Schlitzohr. Man kann einem Kobold eben doch nicht trauen,“ lästert Arist. Dank Cynrics hervorragendem Richtungssinn wissen sie selbst, wo Nordosten ist und sie setzen sich dorthin in Bewegung. Nach etwa zehn Minuten Marsch taucht plötzlich Xirx wieder auf. Er streckt Bildugan die Kräuter hin, und Arist einen ganzen Beutel voller Pilze. „So, und nun geht! Ihr habt noch eine Aufgabe.“ Arist und Bildugan bedanken sich, aber bevor sie etwas sagen 66 können hat sich der Kobold in Luft aufgelöst. Arist probiert gleich eines der Pilzchen. Die Wirkung ist hervorragend. Exzellente Qualität. Der Weg ist nicht besonders anspruchsvoll. Hin und wieder hat es ein paar Dornen oder Brenneseln. Ansonsten stellen sich ihnen keine Gefahren in den Weg. Es wird Abend und sie erreichen eine schöne Lichtung die zum Rasten einlädt. Cynric macht sich auf um etwas zu jagen. Er fängt einen Fuchs. An Ort und Stelle nimmt er ihn aus. Bildugan untersucht die mysteriöse Pflanze, von der er den abgebrochenen Ast eingepackt hat. Er findet jedoch nichts aussergewöhnliches. Aysha will ihre magischen Fähigkeiten erweitern. Sie versucht mit einem Gesang ein Feuerchen zu entfachen. Beim ersten Versuch passierte gar nichts. Oder doch? Sie fasst das Holz an. Es wurde feucht. Sie versucht ein weiteres mal das Holz zum brennen zu bringen. Diesmal kann sie gar keine Reaktion erkennen, und sie gibt frustriert auf. Cynric macht das Feuerchen selbst. Er bratet den Fuchs darüber, und Arist würzt ihn mit ein paar Kräutern. Es duftet gut. Es schmeckt auch gut. Nur Lyssandro verzichtet auf den köstlichen Braten. Er sucht sich ein paar pflanzliche Nahrungsmittel zusammen, die er verspeist. Cynric versteht ihn nicht: „Isst du denn kein Fleisch Lyssandro?“ „Doch, daran liegt es nicht,“ gibt Lyssandro zur Antwort und erklärt ihm den Unterschied zwischen reinem und unreinem Fleisch, 67 den Schlachtungsmethoden und Opferarten. Lyssandro erntet Unverständnis. Alle sitzen gemütlich um das Feuer und Plaudern über Jahwe und die Welt. Auf einmal vernehmen sie ein Rascheln aus den Gebüschen im nahen Umkreis. Sekunden später stehen viele kleine schwarze Gestallten um ihr Lager herum. Sie geben eigenartige Geräusche von sich. Sie kommen näher. Cynric bietet ihnen von seinem gewürzten Fleisch an. Das mutigste von diesen kleinen Wichten rennt heran, schnappt sich den Happen und rennt wieder weg. Er wirft ihnen noch ein Stück Fleisch zu. Gleich vier von den kleinen Wesen schnappen danach, und weil keines nachgeben will, fangen sie an darum zu ringen. Plötzlich kommen sie von allen Seiten. „Fertig! Verschwindet!“ ruft Cynric. Aber die kleinen Männchen drängen immer dichter um sie herum. Der Versuch, sie weg zu scheuchen bringt nichts und Steine scheinen sie auch nicht zu beeindrucken. Aysha macht einen Lichtzauber. ‚Wusch’, und die kleinen Männchen sind alle weg. Arist – nun endlich befreit von dem Zauberring – fragt Aysha ganz beiläufig, ob sie sich nicht manchmal etwas blöd vorkommt, wenn sie so dastehe wie eine Laterne und dauernd dazu singen muss. Das macht Aysha wütend, und sie hört auf zu singen. Das Licht erlöscht und die Männchen stürmen wieder aus Schlupflöchern hervor. Cynric macht blitzschnell einen grossen Feuerhalbkreis um die Lagerstelle, damit sie geschützt sind vor den Störenfrieden. Die kleinen schwarzen Männchen verschwinden und tauchen nicht mehr auf. Es wird Zeit 68 für die Nachtruhe. Cynric geht auf einen nahegelegenen Baum schlafen. Aysha und Lyssandro schlafen auf Lyssandros Bettrolle. Er hält ein kurzes Gutenachtgebet und fällt in den Armen Ayshas in einen tiefen Schlaf. Biba, Arist und Bildugan schlafen verteilt um dem Rastplatz auf dem weichen, moosigen Walsboden. Am Morgen werden sie von einem sanften Regenguss geweckt. So muss es sein, wenn es im Paradies regnet, ganz fein und erfrischend. Biba sieht einen kleinen Bereich neben Arist, der nicht nass wird. Sie denkt sofort an Imagino. Es hat gerade aufgehört zu regnen, riecht Bildugan einen sehr guten, fremden Duft. Er folgt dem Duft und findet eine wunderbare Blüte. Er kennt sie nicht. Er hat Angst dass sie gefährlich sein könnte, deshalb bittet er Cynric in der Nähe zu bleiben, nur für den Fall. Nichts passiert und er schneidet sich eine Blüte ab, um sie zu untersuchen. Sie scheint nicht giftig zu sein. Vor Freude über die Entdeckung gibt er der Blume seinen eigenen Namen: Bildugan die Duftblüte. Er steckt sie sich in den Beutel. Weiter geht’s. Man erreicht den Gebirgsfuss und die grosse Ebene von Tork mit seinen gigantischen Grasfeldern erscheint vor ihnen. Es hat sehr hohes Gras, etwa 2 Meter hoch. Cynric möchte die Ebene auf dem direkten Weg überqueren. Lyssandro hält das für eine sehr schlechte Idee und schlägt vor, der Bergsole entlang Richtung Strom Ryos zu gehen: „Bis zum einnachten sollten wir den Strom erreichen, glaube ich. Es ist der deutlich sicherere Weg. Was meint ihr?“ 69 Niemand hat etwas dagegen, und die Gefolgschaft wandert los. Cynric kann es nicht lassen, in regelmässigen Abständen einen Abstecher in die Graswiesen zu machen. Er entdeckt dabei aber nichts aussergewöhnliches. Es reicht ihnen nicht ganz bis zum grossen Fluss, bevor die Dämmerung einbricht. Sie können die blaue Linie aber schon ganz deutlich ausmachen. Cynric schätzt die Distanz auf etwa drei Stunden. Arist und Lyssandro möchten an Ort und Stelle Rast machen, aber die andern wollen den Fluss noch erreichen und marschieren los. Wiederwillig folgen ihnen auch Lyssandro und Arist. 70 3. Spielsitzung , 25. Mai 2002 Erschöpft und mit schmerzenden Füssen gelangen sie endlich an den Flusslauf. Schnell ist alles für die Nacht vorbereitet, und bald flackert ein kleines Feuer und beleuchtet die Gesichter derer, die sich darum versammelt haben. Arist und Lyssandro sind in eine Diskussion über ihre misslungene Flucht vertieft. Arist kann nicht verstehen, dass der doch sonst so besonnene Lyssandro in einer derart unmöglichen Situation zu fliehen versucht hat, anstatt einen günstigeren Augenblick abzuwarten. Lyssandro wendet ein, dass er einfach im Affekt gehandelt hat, gibt aber schliesslich zu, dass er die Räuber wohl etwas unterschätzt hat. Cynric unterdessen hat eine Karte gezeichnet, in der sämtliche entdeckten Räubernester eingezeichnet sind. Leider kann ihr ausser ihm selbst niemand etwas Sinnvolles entnehmen, doch trotzdem ist man sich einig, dass die Karte zurück zu König Edwyn geschickt werden soll. Aysha unterdessen fühlt sich zufrieden und glücklich und drückt ihre Freude mit einer musikalischen Einlage aus, in die Lyssandro summend einstimmt. Cynric versucht seine Karte noch zu verbessern, während Bildugan seine Füsse massiert und einsalbt, wobei sich ein Geruch verbreitet, der Arist umzuhauen droht. Jetzt meldet sich auch der Hunger. Aysha, rasch entschlossen wie immer, versucht mit einem Zauber die Fische im nahen Fluss zu lähmen, 71 damit sie anschliessend auf eine bequeme Art und Weise einfach aus dem Wasser picken kann. Leider ist ihr erster Anlauf nicht von Erfolg gekrönt, die Fische schwimmen munter weiter. Beim zweiten Versuch kann Lyssandro, der mit hochgekrempelten Hosen jagdbereit im Wasser steht, einen halbgelähmten Fisch packen. Unglücklicherweise ist das glitschige Tier aber wirklich nur halbgelähmt und fällt in seinen Händen auseinander. Da er deswegen nicht mehr allzu appetiterregend aussieht, landet er wieder im Fluss. In ihrem Eifer, der Gruppe ein Abendessen zu verschaffen, hören Aysha und Lyssandro die seltsamen Geräusche, die aus dem nahen Walddickicht dringen, nicht. Die anderen jedoch werden davon aufgeschreckt. Man hört Klirren, Rufe und unterdrückte Schreieeindeutig Kampfeslärm. Als erstes ist Cynric, motiviert von der Aussicht auf ein Abenteuer, losgerannt, und die andern folgen ihm dicht auf den Fersen. Erst jetzt werden die Fischfänger auf das Geschehen aufmerksam, und Lyssandro hält vorerst ziemlich verständnislos nach seinen verschwundenen Gefährten Ausschau. Aysha, welche die Geräusche eines nahen Kampfes jetzt auch hört, kriegt es mit der Angst zu tun und klettert vorsichtshalber auf einen Baum, in dessen dichter Krone sie sich verbergen kann. Bildugan, der alles andere als ein Freund von Kampf und Krieg ist, bleibt unterdessen, scheinbar völlig ungerührt, am Feuer sitzen. „Zur Beruhigung“, wie er sagt, beginnt er sogar, etwas Musik zu machen. Lyssandro beschliesst jedoch, seinen Freunden zu 72 folgen und rennt jetzt auch in die Richtung, aus der die Geräusche kommen, jedoch etwas gemächlicher als seine unbesonnenen Freunde Cynric und Arist. Man kann ja nicht wissen, wer dort in einen Kampf verwickelt ist und aus welchen Gründen dieser stattfindet... Wie zu erwarten war, erreicht Cynric als erster die Stätte des Kampfes. Im düsteren Halbdunkel des abendlichen Waldes nimmt er zuerst eine grosse Gestalt in einem dunklen Gewand wahr. Der Mann ist offensichtlich ein Krieger, denn er steht breitbeinig da, aber mit dem Rücken gegen einen Baum. Er scheint in Bedrängnis, denn er ist von zahlreichen Gegnern umzingelt. Es sind dies kleine, gnomenartige Gestalten, die in der Dunkelheit nur aufgrund ihrer grünleuchtenden Augen wahrzunehmen sind. Sie sind dem Krieger an Kampfesstärke nicht ebenbürtig, aber ihre Überzahl ist so gross, dass der Kampf sich in Kürze zu ihren Gunsten zu wenden droht. Einer, der gegen viele kämpfen muss... Cynric braucht nicht lange zu überlegen, auf wessen Seite er sich stellen soll. Er schwingt seine Axt und schlägt ein paar der unheimlichen Wesen, die sich gerade in seiner Reichweite befinden, zu Boden. Aus der Nähe merkt er jetzt, dass seine Gegner einen seltsam modrigen Geruch verströmen und von einer widerlichen weissen fädigen und schleimigen Masse überzogen sind. Sie sehen aus, als wären sie halb verwest und mehr pflanzlicher als tierischer oder gar menschenähnlicher Natur. Dies allein hätte ihn nicht allzu sehr beeindruckt. Was jedoch 73 bemerkenswerter war: Den Wesen schien seine Axt nichts auszumachen. Zwar sanken sie unter seinen Hieben mit schrillen Schreien zu Boden, erhoben sich aber gleich darauf wieder, scheinbar unverletzt. Auch schien sich ihre Zahl zu vergrössern, und wenn Cynric sich umgedreht hätte, hätte er auch gesehen, dass mehr und mehr von diesen scheusslichen Kreaturen aus pilzüberwucherten Erdlöchern krochen. Mit wutglühenden Augen wandten sie sich jetzt gegen ihren neuen Gegner, ohne jedoch von ihren Angriffen auf den dunklen Krieger nachzulassen. Dies ist jetzt auch der Moment, an dem Arist in das Geschehen eingreift. Er tastet nach einigen Steinen auf dem Waldboden und schleudert sie gegen die GoblinWesen. Augenblicklich richten sie ihren Zorn auch auf ihn und rennen unbeholfen und langsam, aber dennoch bedrohlich wirkend, auf ihn zu. Arists List wirkt und die zwei Kämpen haben zwei Gegner weniger, nur erweisen sich die Wesen als immun gegen sein Gift. Er muss sich immer mehr zurückziehen, scharf nach einer Methode suchend, die ungeliebten Verfolger loszuwerden. Schliesslich lockt er sie zu Lyssandro, der die Wesen mit mächtigen Schwerthieben zurück drängt, wenn auch nur für kurze Zeit. Doch wo diese Pilzgeschöpfe auch getroffen werden, sei es an Kopf, Bauch oder Rücken, immer wieder stehen sie auf, um anzugreifen, und nie ist eine Spur Blut an ihnen zu entdecken. Mit einem Schaudern erkennt Lyssandro, dass sie Untote als Gegner vor sich haben, und dass ihr Kampf gegen die bösen Mächte, die sie geschaffen haben, nicht 74 ausreichen kann. Er überlässt das Zurücktreiben der Wesen dem unbekannten Kämpfer und greift nach seinem Buch. Er beginnt einen seltsam fremden, magisch anmutenden Text zu sprechen. Die andern vernehmen nur Wortfetzen. Leider scheint seine Dämonenaustreibung alles andere als erfolgreich zu sein, denn die Zahl der unheimlichen Wesen, die aus ihren Löchern im Boden gekrochen kommen, vergrössert sich mehr und mehr. Da greift auch Lyssandro wieder zum Schwert, und wieder weichen die untoten Kreaturen, wenigstens für einen Augenblick zurück. Schliesslich brüllt Arist gegen den Kampfeslärm an, dass es wohl besser wäre, den Rückzug zu blasen, doch in diesem Augenblick schreit auch die seitlich von ihnen kämpfende Biba auf und bricht zusammen. Mit der Axt bahnt sich Cynric innert kürzester Frist einen Weg durch die Dämonenwesen zu ihr hin und untersucht sie kurz, bevor er zur Erleichterung aller ruft, dass es sich bei der Verletzung der Amazone wohl nur um eine Fleischwunde handelt. Auch der fremde Krieger hat sich einen Weg zu der Verwundeten gebahnt. Wie ein Kind nimmt er sie in seine Arme und trägt sie, scheinbar mühelos, aus dem unmittelbaren Kampfesgeschehen. Nur sein schwerer Atem verrät den Grad seiner Erschöpfung. Schliesslich folgen alle Arists Aufforderung und ziehen sich zurück. Die Pilzwesen verfolgen sie nicht: Ihr Regenerationsvermögen scheint nicht unbegrenzt, denn jetzt liegen doch einige von ihnen da, ohne sich wieder zu erheben, und anscheinend sind sie es nicht gewohnt, auf so viel Widerstand zu stossen. Wie dem auch sei: 75 Die Kämpfenden können sich zurückziehen, und Lyssandro findet sogar noch Zeit, eines der toten Wesen genauer zu untersuchen: Eine seltsame Schwingung scheint von der weissen Schleimmasse auszugehen, die die Kreatur bedeckt. Auch er hat jetzt genug von den Pilzwesen und folgt hastig den andern ans Feuer zurück. Tatsächlich sitzt dort Bildugan noch immer neben dem schon fast heruntergebrannten Feuer und spielt auf seiner Gitarre, so als hätte ihn das Kampfgeschehen überhaupt nicht berührt. Er hört jedoch auf, als der Krieger, der eine zusehends sich sträubende Biba trägt, ans Feuer tritt und sie sorgfältig zu Boden legt. Schliesslich hat er eine Verletzte zu versorgen. Jetzt, da er als Heiler eine Aufgabe zu erledigen hat, vergisst er sogar, dem Fremden mehr als nur einen flüchtigen Blick zuzuwerfen. Dessen Gesichtszüge werden auch vom Feuer nur schwach erhellt, doch für Aysha, die im Begriffe war, von ihrem schützenden Baum herunterzuklettern, reicht es aus. Mit einem lauten Plumpsen fällt sie vom Baum, doch für einmal scheint sie ihrer verletzten Würde ob diesem uneleganten Sturz keine Beachtung zu schenken. Mit einem Jubelruf fällt sie dem Krieger um den Hals. Ihr atemloses „Lubomir“ kommt sehr undeutlich heraus, weil sie gleichzeitig lacht und weint und den Krieger zu küssen versucht. Dieser ist vor ÜberRashung zunächst ganz starr, dann schiebt er sie sanft zur Seite. Verständnislos starrt sie ihn für einen Augenblick an, um dann erneut ihre Arme um ihn zu schlingen und sein Gesicht mit Küssen zu 76 bedecken. Diesmal wird sie energischer zur Seite geschoben. „Lubomir?“ fragt er. „Ich kenne keinen Lubomir, junge Dame. Sie müssen mich mit jemanden verwechseln.“ Ein schiefes Lächeln umspielt seine Lippen. Die Verwechslung kann ihm nicht allzu unangenehm sein. An die verständnislos zusehenden Arist und Cynric gewandt, stellt er sich als Leon vor. Arist nickt und Cynric runzelt die Stirn. Soll da mal einer aus Aysha schlau werden! Zuerst schreit sie, dass man sie in Lebensgefahr wähnt, dann versucht sie die vermeintliche Bedrohung abzuküssen! Der hinzutretende Lyssandro gibt ihm ein neues Rätsel auf, denn dessen Gesicht zeigt einen erstaunten Ausdruck. Auch er murmelt etwas, das wie „Lubomir“ klingt und tritt näher, um den fremden Krieger genauer betrachten zu können. Auch ihm stellt sich der Krieger jetzt als Leon vor. Noch immer ist er damit beschäftigt, sich Aysha vom Halse zu halten, deren Gesicht sich zunehmend verzieht. Schliesslich beginnt sie heftig zu schluchzen, und was auch immer sie sagen will, geht zum grössten Teil in ihrem Weinen unter. Nur „Lubomir“ und „nicht erkannt“, „vergessen“ und ähnliches ist zu verstehen. Jetzt ist Leon an der Reihe, verständnislos dreinzublicken, und es ist Lyssandro, der ihn schliesslich über die frappierende Ähnlichkeit mit Lubomir, einem ihrer früheren Gefährten, aufklärt. Als Leon dies hört, lockert er seinen Griff, mit dem er Aysha von sich hält, etwas, aber sie wendet sich jetzt schluchzend von ihm ab. Nachdem der allgemeine Aufruhr sich ein bisschen gelegt hat, setzen sich alle ans 77 Feuer, mit Ausnahme von Bildugan, der sich etwas abseits von ihnen um die verwundete Biba kümmert. Alle wollen mehr von dem Krieger, der sosehr Lubomir ähnelt, erfahren. Lyssandro ist wohl nicht der einzige, der sich die Frage stellt, ob es sich bei Leon nicht um einen Sohn des letzteren handelt, aber Leons Ausführungen in dieser Hinsicht sind alles andere als hilfreich. Nach seinen Angaben hat er seinen Vater nie kennengelernt, und auch seine Mutter hatte ihm, nachdem sie einen seltsamen Unfall überlebt hatte, nie eine Auskunft geben können. Das einzige, an das sie sich erinnern konnte, war der Unfall selbst: Ein Feuerball, der sie weit weggeschleudert hatte, so dass sie das Bewusstsein verlor. Der Rest ihrer Erinnerungen war in vollständiges Dunkel gehüllt. Grinsend meint Lyssandro schliesslich, ob Leon jetzt ein Sohn Lubomirs sei oder nicht, es gäbe sicher welche, da Lubomir bei Frauen kein Kostverächter gewesen sei. Soviel habe er jedenfalls an Lubomir bereits feststellen können, obwohl er ihn nicht allzu lange gekannt habe. Aysha gerät in helle Empörung und schlägt mit ihren kleinen Fäusten auf Lyssandro ein, der sie jedoch mit einem gekonnten Griff bändigt. Sie schäumt fast vor Wut und verbittet sich nahezu hysterisch, dass Lyssandro so schlecht über Lubomir redet. Auch Leons Interesse hat Lyssandro mit seiner Bemerkung geweckt, und mit auffallendem Eifer befragt er Lyssandro über den mysteriösen Lubomir. Lyssandro erzählt ihm, dass er sein Wissen hauptsächlich aus dem Tagebuch eines früheren 78 Freundes namens Washi bezog. Leon ist glücklich und aufgeregt: Hat er endlich eine Spur von seinem Vater, nach dem er so lange schon sucht, gefunden ? Nun kehrt nach den aufregenden Ereignissen erst einmal Ruhe um das Feuer ein, und alle widmen sich endlich dem von Arist zubereiteten Abendessen: Fleisch mit Pilzen garniert. Nur Aysha, zutiefst unglücklich und aufgewühlt, hat sich ins Dunkel zurückgezogen, wo sie allein sein kann. Als Lyssandro die Pilze bemerkt, versteift er sich und weigert sich, vom Fleisch zu essen. Arist bemerkt dies und versichert mit gereiztem Unterton, dass die Pilze eine hervorragende Marinade ausmachen und ausserdem völlig wirkungslos seien. Lyssandro gibt scharf zurück, dass Arist sein Vertrauen in dieser Hinsicht schon einmal missbraucht habe. Schliesslich bequemt er sich doch dazu, etwas von Arists Mahl zu essen, und er muss wie die andern zugeben, dass es hervorragend schmeckt. Dies scheint Arist, der sich verärgert abgewendet hat, aber nicht zu besänftigen. Schliesslich versucht Cynric, die noch immer trostlos weinende Aysha etwas zu trösten, doch seine etwas unbeholfenen Versuche sind nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Natürlich ist er in Herzensdingen auch nicht gerade als sehr sensibel zu bezeichnen! Nur seine Idee, dass Leon vielleicht ein Spiegelbild von Lubomir, aus dem Spiegel entstiegen, sei, scheint ihr Weinen etwas leiser werden zu lassen. Die Unlogik dieser Bemerkung (Lubomir müsste dies ja schliesslich bemerkt haben) scheint ihr nicht aufzufallen. 79 Nachdem die Pilze, wie von Arist beteuert, keine Wirkung gezeigt haben, legen sich alle nach und nach schlafen. Nur Leon erzählt Lyssandro noch etwas weiter aus seinem Leben, bis er schliesslich vor Erschöpfung einschläft. Auch Lyssandro ist jetzt sehr müde, doch bevor er mit ruhigem Gewissen schlafen kann, entschuldigt er sich bei dem noch immer gekränkten Arist für seine falschen Verdächtigungen. Arist scheint die Entschuldigung willig zu akzeptieren. Lyssandros letzter Blick gilt Aysha: Sie und Cynric haben sich bei einem nahe gelegenen Baum aus Tüchern eine Art Hängematte gebaut und kokonartig um sich gewickelt. Auch sie scheinen bereits zu schlafen, und so begibt sich auch Lyssandro schliesslich zur Ruhe. Als die Morgendämmerung hereinbricht, rascheln die Blätter des Baumes, in dem Aysha und Cynric' Kokon aufgehängt ist, verdächtig, und zwischen den Ästen bewegt sich etwas. Die beiden „Kokonbewohner“ scheinen sich einen schönen Morgen zu machen... Als Aysha schliesslich vom Baum heruntersteigt, erzählt ihr Lyssandro von seinem nächtlichen Gespräch mit Leon und auch einiges von Lubomir, so wie er ihn erlebt hat. Aysha gerät sofort wieder in hellen Zorn, verteidigt ihren Lubomir mit glühenden Worten und rennt schliesslich, sich von Lyssandro losreissend, wutentbrannt davon. Offensichtlich ist sie Vernunftgründen nicht zugänglich, wenn es um Lubomir geht und will die Wahrheit nicht sehen. Lyssandro ist sich sicher, dass seine Empfindungen der Wahrheit entsprechen, denn diese decken sich mit dem, 80 was er über Lubomir in Washis Tagebuch nachgelesen hat. Dieser war augenscheinlich wirklich nie ein Kind von Traurigkeit, und sollten die Aufzeichnungen Washis der Wahrheit entsprechen, so dürften wohl einige Menschen mit den Zügen Lubomirs in der Welt zu entdecken sein. Zögernd folgt Lyssandro schliesslich Aysha, er möchte nicht mit ihr in Streit leben. Was er ihr erzählt, hören die andern nicht, da er sie erst einholt, als sie sich schon abseits vom Lagerplatz befinden, aber er scheint überzeugend zu sein, denn schliesslich kommen die beiden händchenhaltend zurück, und Ayshas Wangen sind nicht mehr zorngerötet. Wohl sieht man ihr aber an, dass sie geweint hat, und ihr Lächeln ist noch zögernd. Einig sind sich die beiden jedenfalls in einem Punkt: Leon ist weder ein Untoter noch ein dem Spiegel entwichenes Ebenbild von Lubomir. Damit lassen sie die Sache bewenden. Ob Lyssandro Aysha wirklich von Lubomirs wahrem Wesen überzeugt hat oder ob sie die Erinnerung an ihn noch immer verklärt, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Leon unterdessen diskutiert angeregt mit Bildugan, er versucht ihn gerade zum Glauben zu bekehren, ein Thema, das Lyssandro normalerweise auch sehr interessieren würde, aber jetzt lenkt ihn Ayshas Nähe zu sehr ab. Oder sind es ihre flinken Hände, die über seinen Rücken streicheln? Schliesslich gibt Lyssandro seine Zurückhaltung auf und legt ebenfalls einen Arm um sie. Und stösst auf einen zweiten Männerarm! Entsetzt bemerkt er, dass Cynric ebenfalls Aysha umarmt! Sofort lässt er seinen Arm fallen und weicht zurück. Cynric 81 bemerkt sein Zurückweichen und erinnert sich plötzlich daran, dass er und Aysha ihr (vermeintliches) Kokongeheimnis ja vor den andern hatten verbergen wollen. Schuldbewusst zieht er ebenfalls seinen Arm zurück und wendet sich etwas von Aysha ab, um sein Erröten zu verbergen. Natürlich hat auch Aysha dieses kleine Intermezzo bemerkt, aber in solchen Dingen ist sie sicher gewandter als Cynric. Sie wirft diesem einen gespielt empörten Blick zu, kuschelt sich näher an Lyssandro heran und flüstert ihm ins Ohr, dass sie Cynric Arm für den seinen gehalten hat. Gegenüber Ayshas geballtem Charme und ihrer weiblichen Überzeugungskunst ist Lyssandro natürlich machtlos: Er glaubt ihr. Voller Freude über die glimpflich abgelaufene Situation fasst sie nach seiner Hand und beginnt aufgekratzt von der Stadt zu erzählen, die sie bald erreichen werden, von den Kleidern, die sie da anziehen oder kaufen könnte, und tausenderlei ähnlicher Dinge. Nach und nach steigert sie sich in ihre glücklichen Vorstellung hinein und beginnt schliesslich, Lyssandro zu küssen. Diesem wird ob so viel Aufmerksamkeit heiss und kalt, und etwas unbeholfen umarmt er sie fester. Ganz so schnell wird es ihnen jedoch nicht gelingen, die nächste Stadt zu erreichen, denn die verwundete Biba hat viel Blut verloren und ist sehr schwach, auch wenn sie das nicht eingestehen will. Ihrem blassen Gesicht nach zu urteilen, leidet sie starke Schmerzen, aber die Amazone hätte sich wohl lieber die Zunge abgebissen als dies zuzugeben. Die Gruppe beschliesst, 82 eine Tragbahre zu schaffen, um Biba möglichst schnell und schmerzfrei in die nahe Stadt zu bringen. Eine heftige Diskussion über die Anordnung der Träger entsteht. Schliesslich sollen diese auch in der Grösse zusammenpassen, damit Biba nicht gleich zu Beginn von der Bahre rutscht. Bildugan schlägt vor, schon beim Gehen zur Stadt Kräuter zu sammeln, um sie für Bibas Behandlung gleich zur Hand zu haben, wenn sie die Stadt erreichen. Leider hat sein Nachsatz zum Thema Behandlung Arist schon nicht mehr erreicht, und dieser rennt begeistert hin und her und greift nach jeglichem Kraut, dass er gerade sieht. Ob auch giftige darunter sind, scheint ihm egal zu sein. So beginnen Cynric, Lyssandro und Leon damit, die behelfsmässige Bahre mit Biba zu tragen. Zu seinem Erstaunen bemerkt Leon plötzlich, dass Cynric, obwohl er tapfer an der Bahre schleppt, beide Hände zum Reden und gestikulieren frei hat. Ein seltsamer Auswuchs seiner Rüstung in der Höhe der Trage ermöglicht es ihm, ohne Hilfe seiner Arme seine Arbeit zu erledigen. Wieder lächelt Leon ein schiefes Lächeln. Dies wird nicht die letzte ÜberRashung sein, die ihm seine seltsamen Gefährten bereiten werden! Mit der Bahre kommen sie nur langsam an, und die Amazone, obwohl sehr schlank, ist kein Fliegengewicht, und so ist schliesslich allen eine kurze Ruhepause willkommen. Die Stadt läuft ihnen schliesslich nicht davon! Nur Arist, der eben giftiges Gras entdeckt hat, rennt hin und her und ist so mit Pflücken beschäftigt, dass er gar nicht mehr weiss, wo er all seine Kräuter hinstecken 83 soll. Die anderen beobachten ihn amüsiert. Augenblicklich verliert er jedoch jegliche (männliche) Aufmerksamkeit, als Aysha sich stadtfein zu machen beginnt und sich dafür umzieht. Erst viel zu spät scheint sie mit gespielter Empörung die auf sie gerichteten gaffenden Blicke zu bemerken, sie dreht sich weg, um mit dem Umziehen fortzufahren, während ein befriedigtes Lächeln ihre Lippen umspielt. Es ist immer gut zu wissen, dass es einem im Handumdrehen gelingen kann, die Aufmerksamkeit der Männerwelt zu erregen! Einmal im zufriedenstellend tief ausgeschnittenen Kleid, pirscht sich Aysha an Lyssandro heran und flirtet offensichtlich mit ihm, was dem zusehenden Cynric ebenso offensichtlich missfällt. Aysha scheint sich nicht darum zu kümmern und zieht Lyssandro neben sich ins hohe Gras, wo sie von den Blicken der andern geschützt sind. Ihre Hände sind plötzlich überall... Doch da hören sie und Lyssandro die Stimmen der andern, die zum Aufbruch mahnen: Biba geht es schlecht. Mit einem zärtlichen Lächeln blickt Aysha auf Lyssandro nieder und vertröstet ihn mit einem Augenzwinkern auf später, bevor sie eilig aufsteht und zu den andern hinübergeht, von Cynric misstrauisch beäugt. Lyssandro folgt ihr etwas langsamer. Die Träger nehmen die Bahre wieder auf, und langsam nähern sie sich der Stadt, die sich jetzt, beim Näherkommen, als ziemlich kleine Stadt oder vielmehr ein Dorf entpuppt. Doch das Dorf ist nicht das einzige, das sich nähert: Eine riesige graue Staubwolke türmt sich vor ihnen auf, begleitet von einem seltsamen Geräusch, das wie ein fernes Donnern klingt. Cynric, 84 eine Spur beunruhigt, greift nach seinem Fernglas und richtet sie auf die Wolke, die gross und düster den Horizont verdunkelt. Er tritt einen Schritt zurück, bevor er seinen Bericht gibt: Er sieht hunderte von dicht gedrängten dunklen Leibern von riesigen Tieren, die geradewegs auf sie zurasen. Cynric, Lyssandro und Leon packen die Bahre erneut und beginnen wie die andern, die sich bereits in Bewegung gesetzt haben, auf das Dorf zuzurennen. Keinen Augenblick zu früh: Die Staubwolke kommt immer näher, und bereits beginnt der Boden wie bei einem Erdbeben sachte zu zittern. Ein Zittern, das sehr schnell an Stärke zunimmt, denn mit der Bahre sind sie natürlich viel langsamer als die Tiere, die mit rasender Geschwindigkeit auf sie zustürzen. Völlig ausser Atem und im letzten Augenblick, da ihnen die Tiere, die irgendetwas völlig in Panik versetzt zu haben scheint, schon sehr dicht auf den Fersen sind, erreichen sie ein paar Felsen, die den Eingang des Dorfes zu flankieren scheinen. Im Schatten dieser Felsen sind sie einigermassen in Sicherheit, und diese kurzfristige Sicherheit gibt ihnen die Gelegenheit, genauer zu beobachten, was da eigentlich vor sich geht. Gebannt beobachten alle, selbst die schmerzgepeinigte Biba, das atemberaubende Schauspiel, das sich ihnen bietet. Die vor Angst halb irrsinnigen Tiere sind jetzt so nah, dass man den Staub in der Luft riechen kann, den sie aufwirbeln, und der Boden wackelt jetzt bedrohlich. Auf diese Entfernung kann man deutlich die riesenhaften Tierkörper in der gedrängten schwarzen Einheit, die sie bilden, ausmachen. Jetzt erreicht die Stampede der Tiere den Fluss, dem die Gefährten den 85 ganzen Tag gefolgt sind. Er ist für sie kein Hindernis. Ohne zu zögern werfen sich die ersten Tiere hinein, und unerbittlich drängen sich ihnen die nächsten nach. Viele der Riesen, die augenscheinlich nicht sehr geschickte Schwimmer sind, werden von den Fluten fortgerissen, andere straucheln und fallen und werden von den nachdrängenden Tieren zertrampelt. Es ist ein grausames Naturschauspiel! Endlich erreichen die ersten Tiere das andere Ufer, um sich sofort wieder in wildem Galopp in Bewegung zu setzen, aber die grösste Panik scheint doch verflogen zu sein, denn in einiger Entfernung vom Fluss verfallen die vordersten Tiere zuerst in Trab, um dann ganz anzuhalten, und als wären sie nicht Sekunden zuvor in wilder Flucht davongeprescht, fangen einige von ihnen -scheinbar seelenruhig- zu grasen an. Jetzt endlich sieht man auch die Ursache für die Stampede der grossen Tiere: Hinter den letzten der Ungetüme haben sich Jäger gesammelt: Grosse, braungebrannte und dunkel gekleidete Menschen auf kleinen, doch flinken und robusten Steppenpferden, bewaffnet mit Pfeilen und Langbögen und einigen Speeren. Sie umzingeln einige der hintersten erschöpften Tiere und erledigen sie mit zielsicheren Schüssen in die Flanke, von denen es doch mehrere braucht, bis eines der Tiere zu Boden sinkt. Selbst zu Pferd sind die Jäger noch einiges kleiner als ihre Beute, und es spricht für ihren Mut und für ihr Jagdgeschick, dass sie diese Kolosse überhaupt anzugreifen wagen. Die Jäger erlegen vielleicht 12 bis 15 der grossen Tiere und lassen die anderen unbehindert über den Fluss flüchten. Einige von ihnen sitzen nun ab, 86 um die gebrauchten Pfeile und Speere wieder einzusammeln und um die Jagdbeute in Augenschein zu nehmen, die andern treiben ihre Pferde in den Fluss und reiten herüber. Eine Schar Dorfbewohner, die das Geschehen ebenfalls beobachtet haben muss, hat das Dorf jetzt verlassen und eilt den Jägern entgegen. Sie sind mit Körben und Wasserschläuchen beladen und begrüssen die nomadenartig gekleideten Jäger. Von diesen freundlichen Menschen scheint jedenfalls keine Gefahr zu drohen, findet Leon und springt von dem Felsen, von dem er die Begrüssungszeremonie beobachtet hat. Leider ist er etwas zu übermütig und versucht einen Salto zu machen, und das Resultat ist verheerend: Er prallt unsanft auf dem Boden auf und gleichzeitig durchfährt ein glühender Schmerz seinen Knöchel. Humpelnd kommt er auf die Beine und gesellt sich zu den andern, die ebenfalls herangekommen sind. Ein älterer Herr mit sonnengebräuntem Gesicht und langem weissen Haar, augenscheinlich der Dorfvorsteher, kommt freundlich lächelnd heran, um sie zu begrüssen. Er heisst sie herzlich willkommen und erklärt ihnen, dass heute Abend ein Fest zu Ehren des ihnen befreundeten Nomadenvolkes stattfinden soll, das ihnen so reiche Jagdbeute beschert hat. Auch sie seien, so erklärt der Alte, herzlich willkommen. Alles in der Umgebung des Dorfes scheint seine Worte zu bestätigen: In der Mitte der Häuser brennt bereits ein grosses Feuer, um das hölzerne Tische und Bänke aufgestellt sind, und Frauen und Kinder sind eifrig damit beschäftigt, ein Festessen vorzubreiten. Bereits liegt ein appetitlicher Geruch nach Gebratenem und 87 Gebackenem in der Luft. Den Gesichtern der Dorfbewohner ist die Vorfreude auf das Fest abzulesen. Sie scheinen an den Fremden freundlich interessiert zu sein, und ein paar der Dorfmädchen mustern sie verstohlen und kichern dabei. Sie sind vielleicht nicht ausnehmend hübsch (keinerlei Konkurrenz für Aysha, wie diese zufrieden feststellt), aber ihre Natürlichkeit und Frische hat einen eigentümlich ländlichen Charme, der wohl jeden zum Bleiben bewegt hätte, sofern dazu nicht schon der Essensgeruch ausreicht. Aysha, die eine neue Gelegenheit wittert, sich von ihrer besten Seite zu zeigen und die Männer gleich scharenweise um sich zu sammeln, (Und von denen gab es wahrlich genug!) bittet darauf den Dorfvorsteher um einen Ort, wo sie sich frisch machen und für das Fest vorbereiten könne. Leider gibt es im Dorf keinen Gasthof, aber der Vorsteher stellt ihnen sofort ein Haus zur Verfügung, das für die Dauer ihres Aufenthalt das ihrige sein soll. Cynric jedoch hält es für unnötig, sich frischzumachen und bevorzugt es, sich zu den Nomaden zu setzen und sich mit ihnen über ihre Jagdmethoden zu unterhalten. Offensichtlich von seinem Interesse erfreut, erzählen sie ihm schwärmerisch von ihrer einmalig schönen Heimat, der Steppe, von den Yariks (So lautet der Name ihrer riesigen Jagdbeute) und von der Gastfreundschaft des Dorfes. Sogleich erhält Cynric die leutselige aber durchaus ernstgemeinte Einladung, die Nomaden in ihrer Steppenheimat doch einmal zu besuchen. Bildugan unterdessen schleppt seine Schutzbefohlenen Biba und Leon, der sich eine schmerzhafte Verstauchung des 88 Knöchels zugezogen hat, hinter sich her zu dem ihnen zugewiesenen Haus, wo er sich ihrer Verletzungen annehmen kann. Unterdessen ziehen sich Arist, Lyssandro und Aysha um, um sich für das Fest vorzubereiten, aber nur Arists Gedanken sind wirklich den Feierlichkeiten zugewandt. Aysha und Lyssandro werfen sich heimlich tiefe Blicke zu und trödeln absichtlich herum, was ihnen die Gelegenheit verschafft, alleine zu sein und mit dem fortzufahren, bei dem sie unterbrochen worden waren. Arist wird erst auf die spannungsgeladene Atmosphäre aufmerksam, als Lyssandro, statt ihm aus dem Zimmer zu folgen, Aysha zurückhält und die Tür hinter ihm schliesst. Endlich sind sie allein! Schon beginnt Aysha, Lyssandro mit Zärtlichkeiten zu überhäufen, und ihre flinken Finger nesteln an seinen Kleidern herum. Noch zögert Lyssandro, weil sein Gewissen sich meldet, doch Ayshas feurige Küsse lassen ihn bald alle Bedenken vergessen. Ihren erneuten Beteuerungen, dass mit Cynric absolut rein gar nichts war, schenkt er nur zu gerne Glauben. Bald liegen ihre Kleider unordentlich verstreut in der kleinen Kammer herum, und die beiden, blind und taub für die Aussenwelt, versinken ganz ihm Rausch der Leidenschaft. Arist, der draussen vor verschlossener Türe steht und sehr wohl ahnt, was sich drinnen abspielt, schickt Lyssandro eine warnende Illusion. Seiner Meinung nach sind die moralischen Standpunkte von Lyssandro und Aysha zu verschieden, als dass sich zwischen diesen beiden eine dauerhafte Beziehung hätte entwickeln können. Als seine Illusion bei Lyssandro verständlicherweise nichts fruchtet, greift 89 er zu einem Trick: Er erzählt dem ahnungslosen Bildugan, dass Lyssandro nach ihm gefragt habe. Doch auch auf Bildugans Klopfen reagiert niemand, und so muss dieser unverrichteter Dinge wieder abziehen. Endlich kommt der lang ersehnte Abend herbei, und das Feuer, das schon vorher eine beachtliche Grösse erreicht hat, lodert, mit immer neuem Holz gefüttert, immer weiter auf. Der Duft von knusprig gebratenem Fleisch durchzieht das Dorf, in dem bereits jetzt eine wirklich ausgelassene Stimmung herrscht. Dass Arist ein finsteres Gesicht macht, fällt im allgemeinen Getümmel nicht allzu gross auf, und die andern sehen zum ersten Mal seit langer Zeit so richtig entspannt und glücklich aus, etwas, dass Arists Laune nicht gerade verbessert. Mürrisch bricht er schliesslich auf, um Biba zu besuchen. Die Amazone hat mittlerweile das Bewusstsein wiedererlangt, ist aber noch immer nicht ganz bei Sinnen vor Fieber und Schwäche. Auch die andern erkundigen sich nach Bibas Befinden, aber viel kann Bildugan und auch sie selber nicht dazu sagen. Es ist noch zu früh, und der lange Transport hat die an und für sich harmlose Verwundung deutlich verschlimmert. Alles, was Biba jetzt braucht, ist gute Pflege und viel Zeit, sich zu erholen, Dinge, wofür das Dorf sicher ein geeigneter Platz ist. Als er Lyssandro sieht, erkundigt sich Bildugan auch sogleich, weshalb er nach ihm geschickt hat. Lyssandro weiss natürlich von nichts und glaubt daher ein Missverständnis. Der Trubel beim Fest nimmt mehr und mehr zu, und der Alkohol beginnt in Strömen zu fliessen. 90 Wohlgenährte Frauen mit dicken Zöpfen, die ihnen bis über die Hüften fallen, kommen herbei und schneiden Fleisch aus den - endlich! - durchgebratenen Tieren heraus. Bei ihrem Anblick erkundigt sich Cynric wohlgefällig nach heiratsfähigen Töchtern, womit er bei seinen Gastgebern anerkennendes Gelächter hervorruft. Zu den Unmengen von Fleisch werden dauernd neue Krüge mit Wein, Met und ähnlich alkoholhaltige aber undefinierbare Getränke herumgereicht. Dazu gibt es Berge von frisch gebackenen, noch duftendem Brot, Mais, Getreidebrei und frisches Obst. Obwohl es Unmengen zu sein scheinen, wird doch der Berg der Leckereien fleissig verkleinert, und auch die Reisenden sind eifrig an seiner Vertilgung beteiligt. Ganz besonders Lyssandro hat eine Stärkung nötig und freut sich auf eine kräftige Mahlzeit. Während des Schlemmens erzählen die Nomaden mehr von sich und ihren Jagdmethoden: So haben sie spezielle Flöten, die den Ruf riesiger Vögel, der einzigen Frassfeinde der Yariks, imitieren. So gelingt es ihnen, die riesenhaften Wesen in Panik zu versetzen und in jede gewünschte Richtung zu treiben, so wie sie es eben an diesem Mittag demonstriert haben. Weiter erzählen sie stolz, wie sie ihren Lebensunterhalt durch die Jagd auf die Yariks verdienen und das Fleisch ihrer Beute an die „verweichlichten“ Städter im Norden verkaufen. Bildugan schenkt ihnen nicht allzugrosse Aufmerksamkeit: Er hat Besuch von einem reizenden „Landmädchen“ bekommen, das anfangs sehr zurückhaltend ist, dann aber immer zutraulicher wird. Ohne es zugeben zu wollen, geniesst er ihre 91 Aufmerksamkeiten, bricht schliesslich aber pflichtbewusst auf, um nach Biba zu sehen und ihr eine Kleinigkeit zur Stärkung zu bringen, nicht aber ohne sich vorher mit seiner Begleiterin auf später zu verabreden. Als er sich entfernt, hört er, wie ein paar stämmige Dorfburschen zusammen mit den Edlen des Dorfes in volkstümliche Weisen einstimmen. Ihr Gesang klingt zwar nicht ausgesprochen melodisch, ist aber von einer ansteckenden Fröhlichkeit. Ein paar der mutigeren jungen Burschen schnappen sich ein Mädchen und hüpfen ungelenk tanzend herum. Die meisten sind jedoch zu übersättigt, um sich zu bewegen, und den Reisenden geht es nicht anders. Jetzt nähert sich ein selbst für die Verhältnisse der Nomaden riesiger Mann dem sitzenden Lyssandro, begrüsst ihn lautstark als ansehnlichen und stattlichen Burschen und zerquetscht ihm bei der Begrüssung fast die Hand. Lyssandro verzieht schmerzverzerrt das Gesicht. Angeheitert schlägt der Nomade dem „kräftigen jungen Mann“ einen Ringkampf vor, wie er hier üblich sei. Seine Alkoholfahne ist meterweit zu riechen. Ayshas Augen leuchten in Vorfreude auf Unterhaltung auf. Korun, so heisst der Herausforderer, blockt Lyssandros gemurmelte Verneinungen lautstark ab. Ein Hinweis auf Aysha, die bestimmt enttäuscht über eine Weigerung wäre, verfehlt ihre Wirkung auf Lyssandro nicht ganz. Dem enthusiastischen Anfeuerungschor „Lyssandro! Lyssandro! Lyssandro!“ hat er nicht viel 92 entgegenzusetzen. Aysha erbarmt sich schliesslich seiner und bittet Korun, sein Vorhaben aufzugeben. Inzwischen haben sich aber auch andere Nomaden in Vorfreude auf einen Kampf neben Lyssandro aufgestellt und die Gefährten haben sich interessiert näher an den Ort des Geschehens begeben. Nur Leon hat sich, von den andern unbemerkt, etwas zurückgezogen. Laut dröhnt Korun, dass er seine siebte Tochter mit Lyssandro verheiraten will, ob er den Kampf nun gewinne oder verliere. Auch Aysha wird von einem jungen Nomaden bearbeitet: Ob sie denn nicht gerne kämpfende Männer sehe? Aysha weist ihn schnippisch zurecht und beurteilt diese „Männerraufereien“, wie sie es nennt, als primitiv. Den Nomaden scheint ihr Tonfall nicht zu stören. Hingerissen starrt er sie an. So abgelenkt Lyssandro auch von Korun ist, diese Entwicklung bleibt ihm nicht verborgen, und mehrmals dreht er misstrauisch den Kopf in ihre Richtung. Heimlich verflucht er Korun mit seiner blöden Kampfeslust und schlägt schliesslich diesem, um ihn ruhigzustellen, einen Schwertkampf vor, ein Vorschlag, der nicht allzu gnädig aufgenommen wird. Korun fordert auch Cynric heraus, dem es darüber glatt den Appetit verschlägt, allerdings nur in Vorfreude auf eine mögliche Rauferei. Schliesslich aber siegt sein gesunder Appetit: Wann hatten sie denn das letzte Mal Gelegenheit, sich gründlich sattzuessen? Aysha, um Lyssandros Willen, schlägt inzwischen einen Tanz mit dem Nomaden vor, um die langsam gespannte Stimmung ein wenig aufzulockern, doch zu spät: Lyssandro erklärt sich jetzt zum Kampf bereit. 93 Bildugan, der dem Geplänkel interessiert zugesehen hat, erhält plötzlich Gesellschaft, und ein zierlicher Arm legt sich um seine Hüften. Sein Landmädchen ist zurück und wirft ihm unter ihren dunklen Wimpern schmachtende Blicke zu. Bildugan ist auf ihren Vorschlag hin sofort zum Tanzen bereit. Sie ist eine begeisterte, wenn auch nicht so begnadete Tänzerin und bringt ihn mit ihren wilden Tanzsprüngen tüchtig ausser Atem. Auch Leon ist inzwischen wieder aus dem Dunklen, in dem er sich versteckt gehalten hat, aufgetaucht und gesellt sich zu dem Kreis, der sich um Lyssandro und Korun gebildet hat. Nur Arist ist irgendwann einmal, ohne von den andern bemerkt zu werden, verschwunden und schläft längst den Schlaf des Gerechten. Lyssandro stellt sich nun dem Nomadenkämpfer. Breitbeinig steht dieser da, wirkt nicht mehr halb so betrunken wie vorhin, bewegt den Oberkörper hin und her wie ein angreifender Bär und demonstriert Lyssandro auf diese Weise, wie er kämpfen soll. Er packt Lyssandro bei den Hüften und schüttelt ihn probehalber, dann beginnt der Kampf. In einer schnellen Bewegung schleudert der Nomade daraufhin seinen Gegner zu Boden, was diesem für einen Augenblick den Atem verschlägt und heftig nach Luft schnappen lässt. Lachend schlägt ihm der Nomade daraufhin weitere „Übungen“ vor und demonstriert gleich, wie Lyssandro vorgehen soll. Allmählich erwärmt sich Lyssandro für diese ungewöhnliche Art des Kämpfens. Währenddessen werden die Aufmerksamkeiten des 94 Nomaden, der sich mit Aysha beschäftigt, immer zudringlicher. Sie beginnen zu tanzen, wobei Aysha etwas gequält aussieht, der Nomade hingegen wie ein Maikäfer strahlt. Sie wirkt wie eine Puppe in seinen Armen und beklagt sich schliesslich, dass ihr schwindelig sei. Schliesslich bringt er sie, eng an sich gedrückt, an ihren Platz zurück. Eine Verteidigung ist nicht gut möglich. Ihre Proteste gehen in seinem dröhnenden Gelächter unter. Cynric erkundigt sich nach der Möglichkeit einer Wette und setzt seinen Dolch gegen einen trächtigen Yarik., wobei er auf Lyssandro wettet, dem er sein wärmstes Vertrauen ausdrückt. Einzig Leon ist weiterhin sehr zurückhaltend und bittet Lyssandro in einer kurzen Kampfpause wiederum um Washis Buch, und Lyssandro, bereits ausser Atem vor Anstrengung, stellt es ihm sofort zur Verfügung. Dann kämpfen Lyssandro und der Nomade weiter, und es werden wacker Wetten auf den Ausgang des Geschehens abgeschlossen. Lyssandro beschliesst bei sich, nicht nach Nomadenart, sondern nach der Art Washis zu kämpfen und folgt den Bewegungen seines Gegners, so gut er es vermag. Unter begeistertem Brüllen und anfeuernden Rufen sehen alle zu, wobei natürlich der Nomade die meisten Anhänger aufzuweisen hat. Lys’ Gegner ist ein harter Brocken, nicht zuletzt, weil er in der Kunst des Ringens sehr erfahren scheint. Zudem ist Lyssandro von den aufregenden letzten Tagen noch immer etwas erschöpft. Für ihn spricht nur, dass er einiges von Washis Kampfkünsten versteht und es dem Nomaden so 95 schwierig wie möglich macht, seine Ringertricks anzuwenden. Als es endlich losgeht, weicht der Lärm einer gespannten Stille Platz. Alle warten auf den Beginn des Kampfes. Ihre Hoffnungen werden nicht enttäuscht. Die beiden Kontrahenten packen sich an den Hüften. Zu aller ÜberRashung entscheidet Lyssandro den ersten Gang rasch für sich, indem er den Nomaden in einer schnellen, von Auge kaum folgbaren Bewegung zu Boden wirft. Dieser richtet sich rasch wieder auf und brüllt begeistert, was für ein guter Schüler Lyssandro sei. Cynric beginnt hoffnungsfroh die Yariks zu mustern. Auch die zweite Kampfrunde kann Lyssandro für sich entscheiden. Jetzt zeigt sich Enttäuschung auf den Gesichtern der Zuschauer, solange sie nicht zu den Gefährten gehören. Noch scheint der Nomade völlig unbekümmert und will seine „alten Knochen“, wie er sich ausdrückt, nochmals riskieren. Diesmal gelingt es ihm, Lyssandro zu überraschen, und dröhnend wird dieser zu Boden geschmettert. Doch er hat die Mehrheit der Gänge für sich entschieden, und Cynric kann sich sein Yarik aussuchen. Auf den Gesichtern der Nomaden zeigt sich zwar Enttäuschung, aber kein Groll, und sie anerkennen Lyssandros hervorragende Leistung. Einige von ihnen umringen ihn sogar, klopfen ihm auf die Schultern und gratulieren ihm, während Korun sich einiges an gutgemeinten Spötteleien über seine Niederlage anhören muss. Zu aller Erstaunen will Cynric sein neu gewonnenes Gut nicht sofort schlachten und verzehren. (Bei dem Appetit würde er es in zwei bis drei Tagen aufgegessen haben, so lautete der einhellige Tenor der Nomaden) Stattdessen versucht er diese zu 96 der Abgabe einer ihrer Jagdtrompeten zu bewegen. Diese sind jedoch aufwendig herzustellen, und erst nach einigem Hin und Her erklärt sich ein Nomade bereit, ihm eine kleine, die ja für das Treiben eines Yariks reicht, herzustellen. Zudem erhält Cynric das schmeichelhafte Angebot von einer Heirat und 300 Yariks, weil er für die Nomaden einen Gewinn darstellen würde. Lyssandro wird unterdessen ebenfalls mit der Versicherung entlassen, dass ein Mann wie er jederzeit bei den Nomaden willkommen wäre. Nun schleift Korun Lyssandro zu einem Versöhnungstrunk fort. Leon hat unterdessen den Fehler begangen, ein altes Frauchen nach den Kräutern und Gewürzen auf dem meisterhaft zubereiteten Fleisch zu fragen. Er ist auf eine Goldader in Sachen Kräuterkunde gestossen, aber eine Goldader, die ihr gesamtes Wissen auf einmal preisgeben muss. Die Alte redet und redet und redet und lässt Leon kaum mehr aus ihren Klauen. Als es ihm endlich gelingt, sich loszueisen, schwirrt ihm der Kopf. Bildugans Bauernmädchen schwärmt unterdessen weiterhin für den „erfahrenen“ Heiler und die weltgewandte Aysha, die sie glühend bewundert. Sie schlägt einen Spaziergang am Fluss vor, doch Bildugan, wohl ziemlich angeheitert, zieht es vor, im Männerchor zu singen. Plötzlich bemerkt er jedoch Aysha und ihren aufdringlichen Verehrer und versucht sie von ihm wegzulotsen, ein Unternehmen, dass von diesem gar nicht begeistert aufgenommen wird. 97 So hält Bildugan den Spaziergang mit dem Dorfmädchen plötzlich wieder für eine gute Idee. Sie klagt, dass sie mit einem Schweinezüchter verheiratet werden soll und fleht ihn an, sie in die Stadt mitzunehmen, da sie eine gute Hausfrau sei. Ihr flehender Blick würde einen Eisblock schmelzen lassen, hat jedoch bei Bildugan nicht die erhoffte Wirkung. Ayshas Nomade unterdessen lässt ihre Schultern keine Sekunde los und schlägt ihr, wie zuvor das Bauernmädchen, einen Spaziergang am Fluss vor. Er wartet ihre Antwort gar nicht ab und zerrt die keifende Aysha hinter sich her, wobei er etwas über „immer zickig“ und „typisch Frau“ murmelt. Ayshas Widerstand stört ihn nicht weiter, obwohl sie ihre Zähne und Fingernägel mit Nachdruck einsetzt. Als dies nicht fruchtet, greift Aysha zu einer weiteren Waffe und singt. Sie will die Berührungen des Nomaden zu einer schmerzhaften Erfahrung für ihn machen. Vor Wut tönt ihr normalerweise lieblicher Gesang eher wie der einer Walküre. Dann passiert etwas, was Aysha selbst nicht erwartet hätte: Ihr Gesang wird plötzlich lauter und lauter und beginnt ein seltsames Eigenleben. Jetzt würde sie gerne aufhören zu singen, aber dies gelingt ihr nicht, und ihr unheimliches Gekreisch steigert sich zu einem bedrohlichen Crescendo. Plötzlich knallt es, ein Blitz erhellt die Nacht, und ein bewusstloser, versengter Nomade liegt am Boden, das Gesicht rauchgeschwärzt. Aysha jedoch ist spurlos verschwunden, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Endlich werden die Feiernden aufmerksam, und eine aufgeregte Menge steht um den 98 Gefällten namens Kitar herum. Auch Leon und Cynric nähern sich. Unter den Nomaden lässt sich indes spöttisches Gelächter hören. Sie halten den armen Kitar für wenig stand- und trinkfest und glauben, dass es der zierlichen Aysha gelungen sei, ihn zu überwältigen. Nur – wo steckt Aysha denn? Zunehmend besorgt erkundigt sich Lyssandro nach ihr: Niemand weiss etwas über Ayshas Verbleib, doch man hat sie zuletzt mit Kitar gesehen. Lyssandro schüttelt den am Boden Liegenden unsanft, um etwas über das Verschwinden seiner Geliebten zu erfahren. Doch Kitar ist vollkommen beduselt und lallt etwas von Explodieren und Gesang. Aufgrund dieser neuen unerfreulichen Entwicklung hält es Leon für das beste, auch Arist aufzuwecken, damit er sich an der Suche nach Aysha beteiligen kann. Lyssandro, fast ausser sich vor Besorgnis, rennt wie von Sinnen hin und her, bleibt dann aber plötzlich wie vom Blitz getroffen stehen, weil er vermeint, Ayshas Stimme zu hören. Verstört sieht er sich um und ruft laut ihren Namen. Er vermag es nicht, Ayshas Stimme, die nur sehr schwach vernehmbar ist, zu orten. Er fragt sie, ob sie gesungen hat und was dann passiert ist, doch was sie sagt, bleibt nach wie vor fast unhörbar. Dennoch ist er sich sicher, etwas wie die Präsenz Ayshas bei sich zu spüren. Er zieht sich daraufhin etwas von dem allgemeinen Trubel zurück und bittet sie inbrünstig, sich doch zu zeigen. Als es ruhiger wird, kann er sie etwas besser verstehen, doch nach wie vor ist sie unsichtbar. Als sie ihm jedoch sagt, dass sie ihn gleich berühren werde, spürt er einen feinen Hauch, 99 leicht wie das Streicheln einer Feder, auf seiner Wange. Aysha erzählt ihm jetzt ihr seltsames Erlebnis. Lyssandro ist gebührend entsetzt und beide sind völlig ratlos, was sie in dieser scheinbar auswegslosen Situation tun können. Irgendein Zauber hat Aysha unsichtbar werden lassen! Ob es wohl irgendetwas gibt, das sie aus dieser Geisterwelt, in der sie sich anscheinend befindet, zurückholen kann? Lyssandro spürt, wie nackte Verzweiflung ihn überfällt. Schliesslich beginnt er zu beten, wie er es immer tut, wenn er sich in einer ähnlich trostlosen Situation befindet. Seine Andacht ist tranceähnlich und tief. Doch erst nach einer endlos wirkenden Zeit hört er schliesslich einen yarikähnlichen Laut, was ihm nicht weiterhilft, und er versucht, sich noch tiefer in Trance zu versenken. Was er vergessen hat: Ist das Yarikfleisch, das er verzehrt hat, auf die richtige Art zubereitet worden? Hat er etwa gegen die Gebote seines Gottes gehandelt und spricht dieser deswegen nicht zu ihm? Auch nach zwei Stunden intensiver Andacht gelingt es ihm nicht, die Stimme Gottes zu vernehmen. Schliesslich entscheidet er sich, nach einer bösen Präsenz zu fühlen, aber auch hier kann er, so sehr er sich auch anstrengt, nicht wirklich etwas fühlen. Im Dorf ist es, trotz Ayshas spektakulärem Verschwinden, ruhiger geworden. Die meisten Dorfbewohner sind nach Hause gegangen oder vielmehr getorkelt, und sie sind viel zu betrunken, um wirklich zu begreifen, dass die junge Frau tatsächlich verschwunden ist und es sich hierbei nicht bloss um einen schlechten 100 Scherz handelt. Nur Arist ist Lyssandros lange Abwesenheit aufgefallen, und besorgt macht er sich auf die Suche nach dem Gefährten. Als er ihn entdeckt, klagt ihm Lyssandro sofort sein Leid: Dass er sich von Aysha wie von Gott verlassen fühlt. Letzteres ist etwas, das ihm noch nie passiert ist. Arist tröstet ihn, indem er ihm bestätigt, dass er unreines Yarikfleisch gegessen hat. Die Tiere wurden weder via Kehlschnitt noch durch Ausbluten getötet, waren also den Anforderungen von Lyssandros Gott nicht gerecht geworden. Gott hat aber deswegen Lyssandro nicht verlassen, meint Arist weiter, sondern er ist höchstens verärgert. Zudem gelingt es den Menschen auch nicht jedes Mal, wenn sie das wünschen, Kontakt zu Gott aufzunehmen... Er bittet Lyssandro, sich jetzt schlafen zu legen und vertröstet ihn auf den Morgen, der vielleicht – wer weiss – die Lösung all ihrer Probleme bringen wird. Die andern schlafen bereits oder sind eben dabei, sich zur Ruhe zu begeben: Leon auf dem hohen Findling am Eingang des Dorfes, Cynric im Zelt der Nomaden, wobei Korun, sein Schwiegervater ihm liebeswürdig versichert, dass er, wenn er erst eine seiner Töchter geheiratet habe, viel mehr Platz im Zelt bekäme, Bildugan, der von seiner Bauerntochter einen herzhaften Abschiedskuss gekriegt hat, und Arist. Im Morgengrauen erheben sich die Nomaden, die trotz der frühen Stunde unverschämt gut gelaunt sind und denen man ihre Alkoholexzesse überhaupt nicht ansieht. Sie wecken damit Cynric, können ihn aber zu ihrer Enttäuschung nicht zum Mitreiten bewegen. Bald 101 sitzen alle beim gemeinsamen Frühstück, sogar Biba kommt, obwohl noch immer sehr blass, zum Essen, das natürlich aus Fleisch besteht. Sie ist zunehmend gereizt über ihre Verletzung und ihre allgemeine Schwäche und fühlt sich als Klotz am Bein, etwas, das sie schlecht ertragen kann. Sie schlägt schliesslich vor, hier im Dorf zu bleiben, bis sie sich vollständig erholt hat. Bildugan spricht ihr, wieder ganz in seiner Rolle als Heiler, ermutigend zu, aber sie bleibt bei ihrer Meinung. Ja, sie will im Dorf bleiben, bis ihr Bein seine alte Beweglichkeit zurückgewonnen hat. Dann wird sie Edwin die Karte mit den Räubernestern bringen in der Hoffnung, dass dieser mit Cynric Gekritzel etwas anzufangen weiss. Letzterer wird plötzlich vom allgemeinen Gespräch abgelenkt, denn irgendetwas zwickt ihn unsanft in den Arm, und er hört eine Stimme seinen Namen rufen. Es ist die nach wie vor unsichtbare Aysha, die sich vernachlässigt fühlt! In dieser Hinsicht ist sie ganz die alte geblieben. Cynric hat eine Idee, wie man dem Dilemma entgehen könnte: Er schlägt vor, dass Aysha dasselbe Lied, das sie verwandelt hat, rückwärts singt. Aysha probiert dies sogleich aus, aber es scheint nicht zu funktionieren, zudem hat sie keine genaue Erinnerung an das, was sie zuvor gesungen hat. Jetzt brechen die Nomaden, herzlichst verabschiedet von den trinkfesteren Dorfbewohnern, auf. Cynric schmerzt der Abschied von ihnen doch ein wenig, er wird aber getröstet durch die Yarikflöte, die er als Geschenk erhält, um sein Tier in den Griff zu bekommen. 102 Sie grüssen auch den übernächtigten Lyssandro, der schon wieder auf der Suche nach der verschwundenen Aysha das Dorf durchstreift. Er ist unglücklich, weil er ihre Stimme nicht hören kann. Dass sie sich bei Cynric aufhält, kann er ja nicht ahnen. Zudem scheint niemand an seinen Sorgen teilzuhaben. Arist zum Beispiel ist damit beschäftigt, etwas Geld aufzutreiben, da sie alle eigentlich ziemlich blank sind. Schliesslich sollte Biba den Dorfbewohnern wenigstens eine kleine Entschädigung bieten können für ihre Gastfreundschaft. Ja, in der Tat, niemand scheint sich im Moment wirklich um Ayshas Verschwinden zu kümmern, und in Lyssandros Sorge mischt sich zusehends Zorn. Arist bemerkt schliesslich die Gewitterwolken, die sich über dem Kopf seines Freundes zusammenballen und spricht ihm erneut zu. Diesmal versucht er nicht, Lyssandro aufzurichten: Er glaubt, dass der Zauber, der Aysha verwandelt hat, endgültig ist. Kaum hat er dies ausgesprochen, spürt er, wie er heftig gekniffen wird: Dies ist Ayshas Art, ihren Unwillen zu demonstrieren. Sie ist verständlicherweise aufgebracht und verspürt keine Lust, in der Geisterwelt zu bleiben. Ihre Präsenz heitert jedoch Lyssandro auf: Diesmal ist er es, der sie tröstet und ihr Mut zuspricht. Vielleicht, so meint er, kann ja Rashun, der Zauberer, den sie aufsuchen wollen, helfen. Cynric unterdessen macht sich Gedanken, wie er das Yarik am besten dressieren soll. Schliesslich will er es ja als Reittier abrichten! Er hat sich folgende Strategie zurechtgelegt: Aufsitzen, Tröten und hoffen, dass sich 103 nichts und niemand dem Yarik in den Weg stellt. Denn für den Bremsvorgang des Kolosses hat er sich auf die Schnelle kein Vorgehen ausdenken können... Als ersten Antriebsversuch tritt er erst einmal nach dem friedlich grasenden Tier, eine Aktion, die sofort mit einem Gegentritt quittiert wird und ihm eine Drei-MeterGratis-Flugreise einbringt. „Wow! Ein Tier mit Biss!“ meint er begeistert, als er sich aufrappelt und das Gras von seinen Kleidern wischt. Der zweite Versuch besteht darin, dass Cynric auf das Yarik klettert und ihm mit seiner Tröte nicht allzulaut ins Ohr pustet. Das Yarik geht los wie eine Rakete, aber leider nicht auf die gewünschte Art und Weise. Das Tier verfolgt nicht wirklich eine Richtung, sondern rennt kreuz und quer in der Gegend herum. Sich auf seinem Rücken zu halten, stellt sich recht bald als eine ziemlich schmerzhafte Angelegenheit heraus. Als das Tier endlich anhält, erhält es von Cynric einige Streicheleinheiten und den Namen „Fränzi“. Ununterbrochen redet er dem Tier sanft zu, doch es bleibt zweifelhaft, ob dieses auch irgendetwas von dem, was er sagt, versteht. Auch der Versuch einer mentalen Kontaktaufnahme zu Fränzi scheitert. Jetzt steigt Cynric ab und umarmt das Tier, das ihm bereits ans Herz gewachsen ist. Die Zuneigung wird erwidert: Mit ihrer riesigen Schlabberzunge schleckt Fränzi Cynric daraufhin ab. Noch fünf Minuten später tropft ihr Sabber von Cynrics Kleidung. Ein weiterer Vorteil an Fränzis Besitz wird entdeckt: Sie ist ein wandelnder Schattenspender gegen die glühende Steppensonne. 104 Gutgelaunt wendet sich Cynric an die sie begleitende Aysha: Ob es denn cool sei, unsichtbar zu sein? Seine Gedankengänge kommen bei ihr nicht gut an: Zornig brüllt sie ihm ins Ohr, dass sie ja nicht unsichtbar werden wollte und auch keine Ahnung hat, wie sie das fertiggebracht hat. Ihre Worte begleitet sie mit einigen ganz und gar undamenhaften Ausdrücken. Es ist gut, dass Aysha sich im Augenblick bei Cynric und Fränzi aufhält, denn Arist unterhält sich gerade wieder mit Lyssandro, und was er zu sagen hat, würde ihr, falls sie es hören könnte, ganz und gar nicht gefallen. Arist sieht nur zu gut, dass Lyssandro leidet, und dies gleich doppelt: Obwohl er Aysha das Gegenteil erzählt hat, fürchtet auch er, dass ihre Verwandlung nicht rückgängig zu machen ist und dass er sie verliert. Zudem befindet er sich in einem Gewissenskonflikt und spürt instinktiv, dass er in seiner Beziehung zu Aysha zu sehr von seiner Beziehung zu Gott abgelenkt wurde, ja deswegen dessen Gebote gar gebrochen hat. Auch ist Arist der Ansicht, dass Aysha mit ihrem lockeren Lebenswandel eine Gefahr für den ernsten und sehr gewissenhaften Lyssandro sein könnte. Er bittet ihn, sich wieder ernsthaft seinem Gott zuzuwenden und sich zu überlegen, ob nicht vielleicht Aysha gar eine Prüfung sei, die von Gott an Lyssandro gesandt wurde. Gutmütig spöttelnd fügt Arist schliesslich noch hinzu, dass Lyssandro im Augenblick wohl mehr ein verliebter Trottel als ein gläubiger Mann sei. Lyssandro wiegt das Gesagte ernsthaft ab. Seinen Gegenüber sieht er plötzlich mit anderen Augen an: Solchen Tiefgang ist er 105 von Arist nicht gewohnt. Auch etwas, worüber sich nachzudenken lohnt! Während den Dressurversuchen an Fränzi und Lyssandros und Arists Unterhaltung sind die Gefährten ein schönes Stück vorwärtsgekommen. Unaufhaltsam rücken die mächtigen Berge näher, und schon geht es langsam bergauf. Fränzi, auf deren Rücken Cynric nun thront, bekundet Mühe mit der Steigung, sie schwitzt, ächzt und keucht. Ein Wasserfall, der kurze Zeit später vor ihnen auftaucht, bietet eine gute Gelegenheit für eine willkommene Rast. Trotz der ausgiebigen Schlemmereien der letzten Nacht meldet sich bereits der Hunger wieder. Leon versucht sogleich, einige Fische zu speeren, während Cynric mittels seiner Rüstung probiert, einiger Fische habhaft zu werden. Arist hingegen versucht dasselbe mit einer altmodischen, gewöhnlichen Angel und hat den grössten Erfolg zu verzeichnen: Er fängt einen fetten Fisch. Nach langem, langem Üben und erfolglosem Herumplantschen fangen auch Cynric und Leon einige kleine Fische. Unter diesen Jagdversuchen ist die Zeit vergangen, und schliesslich entscheidet man, am Wasserfall zu lagern, um am nächsten Tag mit neuen Kräften die wirklichen Steigungen des Berges in Angriff zu nehmen. Alle sind rechtschaffen müde und schlafen bald ein, ausser Lyssandro, der noch immer über Ayshas Verschwinden nachgrübelt, und Leon, der sich wieder einmal Washis Tagebuch ausleiht, um nach Hinweisen über seinen vermeintlichen Vater zu suchen, die er vielleicht übersehen hat. Lange nachdem auch Leon 106 schläft, ist Lyssandro noch immer voller Andacht in Gebete versunken. Er bittet seinen Gott darum, sich versöhnlich zu zeigen und seine Gnade an der verwandelten Aysha walten zu lassen. Wieder ist er aufgewühlt und voller Sorgen: Hat er nicht den ganzen Tag über nichts von ihr gehört oder gesehen? Endlich scheint er zu seiner Erleichterung eine Präsenz zu fühlen, aber sie ist so schwach, dass er lange glaubt, dass er einer hoffnungsvollen Täuschung erliegt. Erst ganz langsam wird die Präsenz stärker, und endlich ist er überzeugt, Aysha, auch wenn diese nach wie vor unsichtbar ist, vor sich zu haben. Aysha scheint tatsächlich guter Dinge: Sie meint, dass ihr das Unsichtbarsein sehr viel Spass mache, da sie jetzt tun und lassen könne, was ihr gerade einfällt. Das hat sie ja schon als Sichtbare getan, aber darauf will der verliebte Lyssandro nicht hinweisen. Er ist ob ihren Worten womöglich noch besorgter geworden: Ihre Worte klingen gefährlich nach einer allmählichen Versöhnung mit dem neuen Zustand. Mit rauer Stimme teilt er ihr mit, dass er und Arist zur Übereinstimmung gekommen sind, dass ihr Zustand tatsächlich irreversibel sein könnte. Zu seiner Erleichterung klingt Ayshas Stimme gleich darauf wieder äusserst besorgt, und bedrückt meint sie, dass ihr - ausser dem Rückwärtssingen, das sie schon mehrmals erfolglos praktiziert hat - nichts einfällt, um ihren Zustand zu ändern. Und da sei ja noch die andere Welt, die sie dauernd rufe. Gerade jetzt zum Beispiel. Lyssandro springt auf die Füsse: „Von welcher Welt sprichst Du, Aysha?“ Er erhält keine Antwort, und für einen Augenblick verliert er ihre Präsenz, bevor sich 107 diese zu seiner Erleichterung wieder, wenn auch deutlich geschwächt, wahrnehmen lässt. Auch Ayshas Stimme ist sehr dünn geworden, als sie erneut sagt, dass man sie ruft, und dass sie wohl nicht mehr lange bleiben könne. Ihre Stimme ist trotz des Unheimlichen, das sie sagt, sehr ruhig, und nur das hält Lyssandro davon ab, in Panik auszubrechen. Schliesslich ahnt er sehr wohl, dass er gerade dabei ist, seine Geliebte zu verlieren... Nur dass er es nicht wahrhaben will. Dann spürt er sie wieder, eine Präsenz in seiner Nähe, eine leichte Berührung auf der Wange, dann eine am Mund: Es ist Aysha, die sich von ihm verabschiedet. Sie erinnert ihn an das Versprechen, das er einst gegeben hat, und Lyssandro versichert, dass er sich immer an diesen Schwur halten wird. Was hätte er sonst auch sagen können? „Vielleicht sehen wir uns ja einmal, irgendwo und irgendwann, wieder...“ Das ist das letzte, das Lyssandro je von Aysha hören soll. „Ich liebe dich! Und ich werde nie eine andere Frau so wie dich lieben!“ ruft er mit erstickter Stimme hinter ihr her, und es ist ihm absolut ernst damit. Seine Augen sind gerötet, als sein Blick über die andern Schlafenden schweift, und nur mit eisernem Willen kann er die Tränen zurückhalten. Und da ist auch noch die Sorge um Ayshas Seelenheil... Selbst er, der sie aus verliebten Augen betrachtete, muss sich eingestehen, dass Aysha eine leichtfertige Person sein konnte, wenn ihr der Sinn danach stand. Doch tief in seinem Herzen weiss er, dass Aysha eine guter Mensch ist und deren „Leichtfertigkeiten“ in erster Linie ihrer Jugend zuzuschreiben ist. Jahwe, der in die Herzen der Menschen blickt, hat das sicher schon lange 108 erkannt... Diese Gedanken sind für Lyssandro im Augenblick kein richtiger Trost für den Verlust von Aysha, aber sie werden ihm helfen, mit seiner Trauer fertigzuwerden. Lyssandro setzt sich ans fast heruntergebrannte Feuer und starrt reglos in die Flammen. Viel zu früh wird es Morgen, und es gilt, den mächtig vor ihnen aufragenden Berg zu erklimmen. Nur scheint dazu niemand allzugrosse Lust zu haben, und alle scheinen ihr Bestes zu geben, den Aufbruch zu verzögern. So will Bildugan zuerst unbedingt noch ein ausgiebiges Bad nehmen, und Arist scheint Geschmack am Fischen gefunden zu haben. Seelenruhig wirft er die Angel aus und fischt. Cynric beschäftigt sich mit Fränzi und krault und kitzelt sie, Zärtlichkeiten, die sie grosszügig mit ihrer Schlabberzunge erwidert. Das Tier scheint wirklich grosse Zuneigung zu ihrem Besitzer zu empfinden. Lyssandro ist es, der die meuternde Mannschaft zum Aufbruch bewegen kann. Schliesslich haben sie eine Mission zu erfüllen! Langsam machen sie sich an den Aufstieg. Arist trägt seine Fische an einem Stock über seiner Schulter. Leider lockt ihr Geruch ungebetene Gäste an: Unter lautem Gekrächz kreisen plötzlich einige Raben um die verlockenden Fische. Nur unter wildem Herumgehopse kann Arist sie daran hindern, sich über das wohlschmeckende Futter herzumachen, sehr zur Erheiterung der andern. Auch Lyssandro lacht mit, es scheint ihm wirklich besser zu gehen. Von Arist darauf angesprochen, erzählt er alles, was er in der 109 Nacht zuvor von Aysha beziehungsweise ihrer Schattengestalt erfahren hat. Natürlich schmerzt ihn Ayshas Verlust noch immer, wird ihn vielleicht für immer schmerzen, aber Lyssandro wird darüber hinwegkommen, davon ist Arist überzeugt. Nach einer mehr als schweisstreibenden Kletterei, akustisch untermalt von Fränzis Gekeuche, gelangen sie endlich in die Nähe der Gipfelregion des Berges. Ein einzelner Felsen trennt sie noch von der Spitze, ein Felsen, der allerdings hoch aufragt und von dem malerisch ein Wasserfall herunterplätschert. Auf den ersten Blick sieht dieses neue Hindernis ziemlich unüberwindbar aus, aber auf den zweiten Blick lässt sich ein geräumig scheinender Spalt im Felsen, etwa 100 Meter vom Wasserfall entfernt, nicht übersehen. Ist das der Weg, der sie an die Spitze des Berges und damit zu ihrem Ziel bringt? Niemand kann dies recht sagen, und eine kurze Inspektion der Spaltes erbringt nur, dass dieser in eine Höhle mündet, die auf jeden Fall ins Innere des Berges zu führen scheint. Da sich kein besserer Weg anbietet, kommen die Gefährten überein, es mit diesem Höhlenweg zu versuchen. Sollte er sich als Irrweg erweisen, kann man ja immer noch umkehren. Cynric ändert seine Meinung jedoch ziemlich schnell, als er entdeckt, dass Fränzi nie und nimmer in diesen Spalt passt. Er will sich nicht von seinem geliebten Reittier trennen und reitet auf ihr der nahezu senkrechten Felswand entlang, um nach einem andern Weg auf den Berg zu suchen. Nach einer 110 geräumigen Weile kehrt er niedergeschlagen und erfolglos zurück. So betreten sie jetzt das Dämmerlicht der Felsspalte. Schon nach einigen Metern stolpert Arist über etwas, das am Boden liegt, und angeekelt bemerkt er, dass er auf einem weisslich glänzenden Skelett, an dem noch verrostete Rüstungsteile zu sehen sind, gelandet ist. Schnell ist er wieder auf den Füssen. Einer Eingebung folgend, zückt er seinen magischen Kompass, und er ist nicht wirklich erstaunt, als die Nadel dieses kostbaren Gegenstandes sofort Richtung Norden ausschlägt. Etwas Magisches muss folglich dort zu finden sein! Sie sind noch nicht tief in den Bauch der Höhle eingedrungen, als sie an den Fuss einer Wendeltreppe gelangen, die sich in undurchdringliche Finsternis aufwindet. Eine kurze Debatte folgt, ob man es wagen kann, dieser Treppe ins Unbekannte zu folgen. Da die Luft in der Höhle zwar etwas muffelig, aber keinesfalls stickig erscheint und zudem eine seltsame, unerklärliche diffuse Helligkeit, selbst im Innern des Berges, herrscht, beschliessen Arist, Lyssandro und Cynric, die Wendeltreppe zu erklimmen, während Bildugan und Leon, der durch seinen verknacksten Fuss noch immer etwas behindert ist, an ihrem Fusse warten. Ihr Aufstieg erfolgt in einem zunehmend beengtem, erstickenden Dunkel. Nur ab und zu dringt durch kleine, schartenartige Fensteröffnungen etwas Helligkeit ein und lässt verrostete Rüstungsteile, halbvermoderte Leichen und ähnlich Unangenehmes sichtbar werden. Nach einem scheinbar endlosen Anstieg von etwa 400 111 Metern gelangen sie plötzlich wieder ans Tageslicht. Die Wendeltreppe hat in eine ziemlich grosse, halbkreisförmige Plattform, umrahmt von Felsen, gemündet. Das Licht, das Arist, Lyssandro und Cynric empfängt, ist blendend, und ein beeindruckender Anblick erwartet sie. Gegen Süden gerichtet ist die Plattform mit Zinnen befestigt, und sie bietet eine atemberaubende Aussicht auf den Süden und Fränzi, friedlich am Fusse der Felswand grasend, auch das Dorf Glok und die Berge sind ersichtlich. Im Rücken der Gefährten windet sich die Treppe noch ungefähr 30 Meter hoch, um dann scheinbar im Nichts zu enden. Sie gelangen zu einem kreisrunden Innenhof, der mosaikartig geplättelt ist. Es ist jedoch nicht das Mosaik, dass die Blicke von Cynric, Lyssandro und Arist auf sich zieht, sondern eine gewaltige, schwarze Türe, die wiederum ins Innere des Berges zu führen scheint. Ein vorsichtiges Rütteln an der Türe erbringt, dass diese verschlossen ist. Cynric und Arist sehen dies als eine persönliche Herausforderung an, doch die Tür ist nicht unbewacht: Einige Meter darüber duckt sich eine grosse haarige Spinne, die aus misstrauisch zusammengekniffenen acht Augen zu ihnen niederspäht. Cynric eilt sofort auf sie los, obwohl Lyssandro ihn zurückzuhalten versucht. Das ist der Moment, in dem die Spinne, die sich vorsichtshalber ausser Cynrics Reichweite hält, zu sprechen beginnt. Sie stellt sich als Shirley, Wächter des Rashun vor. Den Namen Rashun zieht sie zischelnd in die Länge. Während sie noch spricht, versucht sich Arist, unbeeindruckt durch den 112 unschönen Anblick der Spinne, bereits am Schloss der Türe. Er kommt nicht weit, denn mit einem leisen Zischen schliesst sich ein klebriger und überaus massiver Spinnenfaden um sein Handgelenk. Sehr zum Leidwesen von Arist: So sehr er sich auch bemüht, seine Hand freizukriegen, es gelingt ihm nicht. Cynric, der mit unverkennbar kriegerischen Absichten noch immer versucht, in die Nähe der Wächterin des Rashun zu gelangen, fragt die Spinne nach ihrem Appetit, und sie beklagt sich jammernd, dass sie hier oben nie etwas Anständiges in die Zangen kriegt und schon ganz abgemagert sei. Sie wisse sehr wohl, dass es viel bessere Jagdgründe gäbe als dieser lausige Felsen, aber sie müsse nun einmal Rashun gehorchen und könne niemanden durch die Tür lassen. Es ist wohl ihrer Langeweile zuzuschreiben, dass sie schliesslich listig blinzelnd ein Spiel, genauer gesagt, ein Rätsel vorschlägt. Sie verlangt, dass Cynric, Arist und Lyssandro mindestens zwei von ihren drei Rätseln zu lösen vermögen, dann will sie sie (sehr zur Enttäuschung Cynrics übrigens) ungehindert durch das Tor marschieren lassen. Falls jedoch zwei oder mehr ihrer Rätsel ungelöst bleiben, will sie einen ihrer Kontrahenten verzehren dürfen. Sofort und ziemlich bedenkenlos überlegen sie sich, auf den Handel einzugehen, da Cynric mit charakteristischer Logik feststellt, dass man die Spinne im Ernstfall sowieso erledigen könne. Arist fügt hinzu, dass man dem Tier ja Fränzi, die noch immer am Fusse des Felsens grast und nichts von der Gefahr ahnt, in der sie so plötzlich schwebt, verfüttert. Dieser Vorschlag stösst bei Cynric 113 natürlich auf taube Ohren, und heftigst verteidigt er sein geliebtes Vieh. Er ist, Abmachung hin oder her, dafür, die Spinne sofort zu vernichten und beginnt, die Wand hinaufzuklettern, um an sie heranzukommen. Unterdessen ist es auch Arist gelungen, seine Hand zu befreien. Beide Entwicklungen werden von der Spinne misstrauisch beäugt. Zum Glück scheint sie nicht zu verstehen, worüber ihre Widersacher gerade streiten. Diese sind sich uneinig, ob man a) die Spinne sofort killen b) ihr auch ein Rätsel stellen oder c) Fränzi zum Frass vorwerfen soll, obwohl doch eigentlich die Spinne Herr der Situation zu sein scheint. Lauernd verharrt sie in ihrer abwartender Haltung, bis Arist, Lyssandro und Cynric endlich auf ihre Bedingungen eingehen. Dann stellt sie ihre erste Frage: Was geht zuerst auf allen Vieren, dann auf Zweien, zuletzt auf Dreien ? Sie kann nicht einmal ganz zu Ende sprechen, ist die Antwort bereits heraus: Der Mensch. Etwas irritiert stellt sie ihr nächstes Rätsel: „Im Süden selten, im Norden oft, der Bauer regelmässig auf ihn hofft“. Auch die Antwort auf diese Frage ist sehr schnell gefunden: Der Regen. Wütend zischend verkündet die Spinne ihr letztes Rätsel: „Grau und nicht so schlau, meistens störrisch, hört nie zu, weisst Du es nicht, dann bist es Du!“ Gross ist ihre Enttäuschung, als die Lösung ihres Rätsels locker aus dem Ärmel geschüttelt wird: Ein Esel. Mit einem metallischen Klirren fällt der Schlüssel zur Türe den Gefährten vor die Füsse, und rasch schliesst Cynric diese auf, bevor Arist noch länger seine Fähigkeiten als Taschendieb üben kann. Die Spinne scheint derweil zu schmollen und zieht sich zurück. 114 Cynric marschiert sogleich forsch drauflos, ohne sich mit irgendwelchen Bedenken nach den Risiken des unbekannten Weges aufzuhalten, und Arist schliesst sich ihm an. Lyssandro bleibt – vorerst noch - zurück . Ein lauter Ruf von ihm hält Arist und Cynric schliesslich auf. Leon ist es am Fusse des Felsens unterdessen zu langweilig geworden, und zusammen mit Bildugan hat auch er sich an den kräftezehrenden Aufstieg gemacht. Die treue Fränzi war noch bis zur Wendeltreppe mitgeschleppt worden, blieb dann aber in einer der Anfangswindungen stecken. Dieser Ausgang wird also in Zukunft nicht mehr als Fluchtweg dienen können, sollte plötzlich ein überstürzter Abgang nötig werden! Doch Vorsicht scheint hier unangebracht, die Tür führt ziemlich direkt auf die Spitze des Berges, wo sich Rashun aufhalten soll. Eigentlich kann man nicht wirklich von Spitze sprechen, denn vor den Gefährten öffnet sich ein grosses, waldbewachsenes Plateau. Dieses macht einen friedlichen, wenn nicht sogar idyllischen Eindruck: Zwitschernde Vögel, blühende Blumen und Bäume, plätschernde Bäche, Licht und Sonne, wohin man auch blickt. Zudem lässt sich auch ein schmaler Weg ausmachen, der in den Wald hinein führt. Arist, durch den Anblick des Waldes sofort inspiriert, begibt sich auf die Suche nach ein paar Pilzen, muss diese aber bald erfolglos abbrechen. Lyssandro hält unterdessen Ausschau nach einem geeigneten Opfer, da er noch immer nicht für den Verzehr des unreinen Yarikfleisch gebüsst hat, aber 115 ausser ein paar schattengleich vorbeihuschenden Rehen erspäht er nichts Brauchbares. Die Rehe könnten wohl als Opfer dienen, aber die Tiere erscheinen flink, und für eine richtige Jagd fehlt leider die Zeit. Nach einer Stunde lichtet sich der ohnehin nicht allzu dichte Wald weiter und geht schliesslich in eine Lichtung über. Sie umrahmt eine gewaltige Höhlenöffnung, aus der fühlbar kühle Luft strömt. Sie ist so gross, dass man schon auf den ersten Blick einen Gang erahnen kann, der sich weiter hinten verschmälert und schliesslich nach links abbiegt. Ob die Höhle bewohnt ist, lässt sich nicht recht sagen, doch hat sie der Weg, dem sie gefolgt sind, ziemlich direkt hierhergeführt. Es liegt also nahe, auch diese Höhle etwas genauer in Augenschein zu nehmen! Schliesslich gilt es noch immer, Rashun zu finden. Im Innern der Höhle ist es jedoch mit der kühlen Luft vorbei, kaum haben sie sich, dem Höhlengang folgend, etwas nach links gewandt. Plötzlich weht ein glühendheisser Lufthauch auf sie zu, gefolgt von züngelnden Flammen: Ein riesiger blauer Drachen, den furchterregenden Rachen weit aufgerissen, taucht vor ihnen auf. Voller Begeisterung und Jagdfieber saust Cynric sofort auf ihn los, doch ein einziger Atemhauch des Drachen lässt ihn meterweit zurücktaumeln. Der missglückte Angriff scheint den Drachen zu reizen: Fauchend marschiert er langsam auf die Gefährten zu. Cynric hat sich bereits aufgerappelt und will, keinesfalls beeindruckt von seinem Misserfolg, erneut angreifen, doch Lyssandro hält ihn zurück. Eine Idee formt sich in seinem Kopf: Könnte es sich bei diesem unfreundlichen Lindwurm nicht gar um den gesuchten Rashun handeln? 116 Dies raunt er Cynric zu, und der befragt denn auch sofort den Drachen: „Nennst Du Dich Rashun?“ Dies lässt den Drachen innehalten, und augenscheinlich verblüfft antwortet er mit einem Ja. Darauf rennt Cynric erneut auf ihn zu, diesmal, um ihn vor Freude zu umarmen, hält dann aber doch inne und fragt vorsichtshalber nach, was Drachen denn so fressen. Die Antwort „Zum Beispiel Fränzis“ lässt ihn von weiteren Freudesbekundigungen absehen. Er denkt bei sich, dass Rashun sicher ganz anders ist als er sich Drachen im allgemeinen vorgestellt hat. Nun, solche Wissenslücken gilt es zu beseitigen, und sofort beginnt er, sein neugefundenes Opfer mit Fragen zu löchern: „Sind Drachen gut oder böse? Gibt’s noch grössere Drachen als dich?“ und dergleichen mehr. Arist weiss immerhin genug über Drachen, um zu wissen, dass diese Gedanken lesen können, und er bemüht sich, strikt nur an Fische und ans Angeln zu denken, rein vorsichtshalber. So ganz hat er seine Gedanken aber doch nicht unter Kontrolle, denn vor seinem inneren Auge schwimmen plötzlich muntere Goldfische hin und her. Zum Glück scheint dies dem Drachen nicht aufzufallen. Das Gespräch kreist schliesslich um den Extyrannen Fortor, der gestürzt wurde, und die Gefährten erzählen, dass an dessen Stelle jetzt König Edwin herrscht. Die Erzählung scheint den Appetit des Drachens zu wecken, denn dieser bekundet plötzlich Appetit auf ein paar Kühe. Er möchte Edwins Land einmal zwecks Nahrungsaufnahme besuchen. Das ist nun nicht gerade 117 im Interesse von Edwins Freunden: Einen herdenplündernden Drachen möchten sie ihm eigentlich ersparen, und deshalb lenken sie das Thema rasch auf den eigentlichen Grund ihres Kommens. Lyssandro spricht Rashun auf die skurrilen Invasoren an, gegen die Xirx etwas unternommen haben möchte. Cynric erhofft sich zudem, dass Rashun ihm dabei hilft , Fränzi zu dressieren, was der Drache nur zu gern verspricht, wobei seine Ansichten zur Yarik-Dressur wahrscheinlich ganz anders sind als die Cynrics. Der Drache stösst ein paar Denk-Rauchwolken aus und fragt dann nach der Gegenleistung für seine Mühen. Cynric schlägt vor, die „hässliche unnütze Spinne“, die vor dem Tor wacht, zu beseitigen, doch Rashun winkt mit einem Schmunzeln ab. Er mag Shirley als Wächter gegen die Orks, und obwohl sie ziemlich beschränkt ist, bekennt er, dass er sie liebend gerne ärgert. Doch trotz den fast freundschaftlichen Gesprächen scheint der Drache noch immer etwas misstrauisch und beunruhigt, als sie ihm tiefer in die Höhle folgen. Ist er ärgerlich, weil Arists Gedanken noch immer von golden glänzenden Fischen beherrscht werden? Im nächsten Gang der Höhle wechselt dieser jedenfalls lieber von imaginären Fischen auf ebenso imaginäre Vögel. Immerhin gibt es ja keine „Goldvögel“... Während sie im Dunkel der Höhle langsam voranschreiten, hat Cynric wiederum Gelegenheit, den Drachen mit ein paar weiteren Fragen zu löchern: „Haben alle Drachen einen Namen? Wie alt werden Drachen?“ (Denkpause des Drachens, gefolgt von einem Monolog über die 118 Stammbäume von Drachen und ihr ungefähres Alter). Auf die Frage nach seinem Geschlecht ist er mit der Antwort um einiges schneller parat: Unter verlegenem Gekicher bezeichnet er Cynric als Schlingel. Cynric ist es auch, der dem Drachen – im Namen der ganzen Gruppe, wie üblich, ohne die andern wirklich zu konsultieren – den gewünschten Gefallen zu erweisen verspricht. Darauf hat Rashun nur gewartet, um jetzt mit seinem Problem herauszurücken: Er hat familiäre Sorgen. Auf einer kleinen Insel im Nordosten, die den Namen Ormania trägt, lebt ein Neffe Rashuns. Respektlos wird der Drache aber gleich zu Beginn seiner Geschichte von Cynric mit der Frage unterbrochen, ob sie diesem Neffen das Fliegen beibringen sollen. Der Drache scheint ob Cynric Vermutung ziemlich geplättet, und erst nach einer Pause, in der er Cynric erstaunt mustert, fährt er fort zu erzählen. Sein Neffe namens Sharin, mit seinen gerade mal 100 Jährchen eigentlich noch ein Baby-Drache, wurde vom bösen Herrscher von Ormania gefangengenommen. Die Züge des Drachen werden bei der Erwähnung dieses Namens sichtlich düsterer und grimmiger. Zwar hat er schon die halbe Flotte des Herrschers mit seinem Feueratem verbrannt, doch damit hat er nichts für die Befreiung seines Neffen, der des Fliegens noch unkundig ist, erreichen können. Soll er, Rashun, ihnen ein wirksames Mittel gegen die Invasoren verraten, so sollen sie im Gegenzug seinen Neffen befreien. Gespannt schaut er in die Runde: Wird er seinen Willen bekommen? 119 Arist denkt für sich, dass sie Xirx ja nur versprochen haben, Rashun nach den eindringenden Pflanzen zu fragen. Auf Antworten oder irgendwelche Vorschläge brauchen sie gemäss des Versprechens also gar nicht zu warten! Die andern fühlen sich Xirx gegenüber zu etwas mehr Anstrengung verpflichtet. Dennoch haben auch Bildugan und Lyssandro Bedenken, diesen dubiosen Auftrag sofort anzunehmen. Nur Cynric steht nach wie vor zu seinem vorschnell gegebenen Versprechen. Der Drache verfolgt die aufkeimenden Diskussionen mit steigendem Zorn, schon raucht er bedenklich aus den Ohren. Er ist es nicht gewohnt, seinen Willen nicht zu bekommen. Bildugan bietet ihm ein zwecks Beruhigung ein Pflänzchen an, dies wird aber von Rashun unwillig sogleich abgefackelt, worauf sich ein aromatischer Duft auszubreiten beginnt. Arist erklärt dem Drachen telepatisch seine Theorie vom Versprechen an Xirx, scheint dann aber willig, dem Drachen gegen eine Bedingung zu helfen: Dieser soll seine, Arists Gedanken niemandem verraten. Zudem sucht Arist schon lange nach magischen Gegenständen eines berühmten Zauberers, und falls der Drache sich ein bisschen für ihn umhört, wäre er bereit dem Drachen zu helfen. Der Drache ist bereit, wenn er seinen Neffen dafür wieder in die Flügel schliessen kann, Arist auf der Suche nach einem solchen Gegenstand zu helfen. Von diesem Gedankenaustausch haben die andern nichts mitbekommen. Ihnen ist nicht bewusst, dass Drachen Gedanken lesen können und dass man auf diese Weise mit ihnen kommunizieren kann. Arist erzählt - wieder 120 so, dass es alle verstehen können - von seiner 166jährigen Versteinerung und möchte, dass der Drache einen Vertrag mit Edwyn schliesst, damit dieser das Land auf Kühesuche nicht total verwüstet. Rashun will zwar von einem Vertrag nichts wissen, aber er verspricht, im Küheverbrauch massvoll zu sein. Schliesslich will er ja seine eigene Nahrungsgrundlage nicht zerstören! Einzig Bildugan ist nicht bereit, dem Drachen das gewünschte Versprechen zu geben. Cynric sieht ihn darauf bereits gefressen oder als Höhlenputzer versklavt. Die Aussicht, als Höhlensklave alt und grau zu werden, behagt Bildugan ganz und gar nicht, trotzdem schaltet er auf stur. Eine Haltung, die er allerdings bereut, als der Drache kurz wütend auffaucht und ihn mit einer raschen Bewegung gegen die Höhlenwand quetscht. In seinem Klammergriff kann sich Bildugan kaum rühren, und ziemlich angstbleich im Gesicht erklärt er sich schliesslich doch bereit, seine Mission anzunehmen. Als Gegenleistung, so versichert ihm Rashun freundlich, will er ihn am Leben lassen. Nun ergibt sich die Frage, wo denn Ormania liegt. Man bittet den Drachen, den Weg dorthin zu beschreiben. Laut Rashun ist die Insel nicht weit entfernt, und er verspricht, am nächsten Tag eine Karte „aus seinem Vorrat“, wie er es nennt, zu liefern. Schliesslich beschliessen die Gefährten, sich schlafen zu legen. Cynric zieht ein kleines Wäldchen einer der Nebenhöhle des Drachens zum Schlafen vor, und Leon schliesst sich ihm an. Die andern verbringen die Nacht in einer der 121 dunkeln, doch angenehm trocken und warmen Höhlen Rashuns. Es könnte dies ja die letzte Nacht in so ruhiger und angenehmer Umgebung sein... 122 4. Spielsitzung , 16. Juni 2002 Auch Bildugan hat noch ein Anliegen, der Drache wendet sich ihm zu und Bildugan eröffnete ihm dass er seine Bedingungen nicht annehmen kann. Er verlangt eine Gegenleistung von ihm doch Rashun meinte er würde Xirx schon helfen. „Dass ist zuwenig!“ getraut sich Bildugan mit allem Mut von sich zu geben. Die Höhle fängt an zu wackeln durch das Gelächter von Rashun. Er geht nahe zu ihm hin und erklärt ihm dass man einem Drachen keine Bedingungen stellt. Eventuell könne er ihm eine kleine Bitte erfüllen wenn er seinen Job gut mache. Bildugan möchte seine Heilkunst verbessern doch auch das bringt die Höhle wieder zum wackeln durch Rashuns Gelächter. Doch der Drache würde ihm ein kleines Musikinstrument schenken wenn er etwas dazu beiträgt seinen Neffen zu retten. Was das denn für ein Instrument sei möchte Bildugan wissen und der Drache verdreht seine Augen und hört Arists Stimme die ihm gedanklich bestätigt dass er es hier mit einem Idioten zu tun hat. Leons Versprechen fehlt noch, denn auch er hat eine Bitte und möchte Informationen über eine gewaltige Explosion, die vor Jahren seine Heimat in Mitleidenschaft gezogen hatte. Ein grössenwahnsinniger Magier hatte experimentiert und eine Explosion verursacht. Es gab einen Dimensions-übergreiffenden Riss und viele Monster hatten sich in unsere Welt verirrt die jedoch innert Kürze ausgeschaltet werden konnten. 123 Doch der Drache hatte sich nie gross darum gekümmert da dieses Land weit im Norden liegt und es nichts Schönes dort hat. Leon gibt seine Zustimmung und meint es wäre eine Freude für ihn helfen zu können. Rashun ist zufrieden doch als die Frage nach der Karte auftauchte die er ihnen versprochen hatte runzelte er die Stirn und meint dass sie doch Abenteurer wären und diese keine Karte bräuchten. Den Rest könne man auch später noch regeln und er wendet sich am um sich schlafen zu legen. Doch Lyss fragt höflich, ob es nicht einen geeigneten Schlafplatz gäbe in oder ausserhalb der Höhle. Rashun ist erzürnt und im Begriff ihn zu grillieren wenn er ihm jetzt nicht gerade den Schwanz zugedreht hätte. Ein intensiver Schwefelgeruch macht sich breit und Lyss hat die Antwort durchaus verstanden. Auf leisen Solen und mit viel Herzklopfen verlassen sie die Drachenhöhle. Arist sucht sich im Wald einen Platz, genau wie Cynric und Leon. Arist bietet Lyss von seinem Parfüm an um den schrecklichen Gestank zu mindern doch Cynric hat Bedenken dass es nachher besser riecht. Lyss nimmt dass Angebot allerdings dankbar an. Während einige schon zu schlafen scheinen schaut sich Lyssandro um nach Tauben oder Zweizehern wie Gämsen oder Ziegen um. Doch es hat keine Spuren und selbst wenn es hätte könnte er sie nicht sehen weil es unterdessen dunkel geworden ist. Bildugan ist immer noch auf der Suche nach einem geeigneten Schlafplatz während Lyss am beten ist. Es gibt viele Dinge die ihn 124 beschäftigen für die er, mit Hilfe Javes, Klarheit sucht. Bei Cynric raschelt es weil der Nimmersatt das getrocknete Fleisch isst. Nach und nach schlafen alle. Es wird Morgen. Der Tau liegt noch in den Wiesen, aber der Morgennebel hat sich schon fast verzogen. Arist wacht auf. Er steht auf und zieht unbemerkt davon um sich zu erleichtern; wie es zumindest den Anschein macht. Er kehrt aber nicht zurück. Er geht zu der Türe wo sie hergekommen waren und hinter welcher die Spinne Shirley wacht. Es ist ein massives Metalltor und daneben führen steile Felswände in die Höhe. Arist zaubert eine Illusion, es sieht so aus als würde er da stehen doch in Tat und Wahrheit ist er dabei sein Werkzeug auszupacken um sich die Metalltüre vorzunehmen. Er betastet mit den Fingern das Schloss, es fühlt sich kompliziert an, er vergisst aber nicht auf seine Illusion aufzupassen und zu kontrollieren ob nicht von irgendwoher Gefahr lauert. Als er mit einem Stäbchen im Schloss stochert ertönt plötzlich ein „pling“ doch nichts hat sich getan. Er stösst und drückt und es fängt an zu knarren, er stösst und stösst und es knarrt entsetzlich doch die Türe ist offen. Shirley schein es sich irgendwo anders gemütlich gemacht zu haben, es ist auf jeden Fall niemand da. Kaum hat er sich umgesehen, fällt er in einen Sekundenschlaf. Er sieht einen Drachen auf sich zukommen bis er ganz nahe ist und er hört seine Stimme: „Verflixt und zugenäht, jetzt hört doch mal endlich auf meine Spinne zu ärgern!“. Arist kommt sogleich wieder zu sich. Er fühlt sich beobachtet. „Ich wollte mich doch nur im Schlösser125 knacken trainieren.“ Meint Arist ganz unschuldig. In diesem Moment sieht er die Spinne und Arist sucht das Weite. Zurück bei den andern ertönt auf einmal ein schrecklicher Angstschrei aus der Richtung der Drachenhöhle. Dann ein intensives Gebrüll dass nach Drache klingt. Es knackt in der Höhle und ein bleicher Cynric kommt gerannt. „Ohhh, ich glaube er ist wütend,“ meint er ganz verdattert. Ein Grummeln kommt aus der Höhle und eine Tanne fängt sich langsam an zu neigen. „Ich habe ihn gerufen. Ich dachte, vielleicht kann er Aysha helfen.“ „Nein Cynric! Was machst Du denn für dumme Sachen. Früh am Morgen den Drachen zu wecken,...“ sagt der aus dem Schlaf gerissene Lyssandro. Cynric erzählt: Ich habe so viele Monster gesehen, aber ich durfte sie nicht töten. Das ist so befremdend! Und dann ist mir in den Sinn gekommen, dass ich den Drachen fragen könnte, ob er Aysha helfen kann. Ich habe ihn nur ganz leicht angestupst mit dem Fuss und der Faust. Das hat ihm wohl nicht so gefallen. Doch Rashun beantwortete mir die Frage dennoch. Er sagte, dass nach dem Leben der Tod folgt.“ Darauf entsteht eine Diskussion zwischen Cynric und Lyssandro über das Leben und vor allem über den Tod. Cynric interessiert in erster Linie, ob es im Tod auch so spannend sei wie im Leben. Leon mischt sich ins Gespräch: „Cynric muss lernen was gut und was böse ist.“ Nach kurzer Denkpause fügt er an: „Gott ist der Weg und das Licht.“ Cynric hatte die Monster im Chaos bekämpft und ist dann selber zu 126 einem geworden. Lyss sagt: „Das Äussere hat nichts mit dem Charakter zu tun. Cynric möchte nicht böse sein, er möchte lieb sein.“ Cynric ist beleidigt. Er packt seine Sachen und marschiert los. Niemand bemerkt das. Die Diskussion geht zwischen Arist und Leon weiter. Nach langer Debatte über Gott und den Glauben und aus dem Gespräch heraus merkt Arist, dass Leon für einen Priester herzlich wenig Ahnung hat. Also gesteht ihm Leon dass er in Tat und Wahrheit ein Krieger ist. Er sei jedoch an das Gelübde gebunden nicht zu töten, aber das sei eine lange Geschichte. Er möchte aber das Geheimnis vor Lyssandro bewahren da ihn das Buch von Washi brennend interessiert denn er fürchtet, dass Lyssandro es ihm verweigern könnte wenn er seinen hässlichen Schwindel erfährt. Leon ahnt nicht, dass Lyssandro seinen Schwindel schon längst durchschaut hat. Nun drängt Leon endlich hier abzuhauen und dem Auftrag nachzukommen. Lyssandro ist auch der Meinung und ruft alle zusammen. Bildugan und Cynric fehlen. „Ich habe Cynric weggehen sehen.“ Sagt Leon. Da dämmert es Lyssandro und sagt: „Bleibt hier und wartet auf Bildugan. Ich gehe voraus und versuche Cynric einzuholen. Wir warten weiter vorne auf euch.“ Lyssandro rennt los, nach Cynric rufend. Er bekommt keine Antwort. Er geht mindestens zwei stunden Richtung Nordosten. Die Berge werden flacher und gelangt zwischen einer Klus hindurch in eine weite Hügellandschaft. „Das muss das Orkgebiet sein!“ denkt er sich. 127 Bildugan ist inzwischen wieder zum Vorschein gekommen. Leon staucht ihn zuerst gleich mal zusammen, weil sie so lange auf ihn warten mussten. Bildugan entschuldigt sich mit der Erklärung, er habe einige wichtige und seltene Kräuter gefunden. Leon kommt schnell von seiner Aufgebrachtheit herunter und gibt die Empfehlung nun Endlich loszuziehen. Lyssandro sieht auf einem Hügel eine Gämse. Er denkt sofort an ein Opfer und schleicht sich an das Tier heran. Er lässt sich aber nicht lange verleiten. Das Tier ist viel zu weit ab von der Route. Die andern könnten ihn verfehlen und sich verlaufen. Er kehrt um und wartet auf die andern. Nach knapp zwei Stunden haben sie ihn aufgeholt. Er hat sie schon von weitem durch die Klus kommen sehen. Gemeinsam gehen sie der Route nach weiter. Cynric ist schon weit im Orkgebiet. Er hat diese Klus schon vor einer halben Stunde passiert. Es gefällt ihm, alleine zu reisen. Aber dennoch besinnt er sich, dass er vielleicht mal auf seine Gefährten warten sollte. Er bleibt stehen und schaut zurück. Dann plötzlich erblickt er einige Gestalten. Sie kommen auf ihn zu. Cynric denkt sofort an Orks. Er ergreift seine Axt und rennt auf sie zu. Er brüllt. Die Orks wechseln nun auch in den Sturmangriff über. Sie sind zu fünft. Dem ersten Ork zertrümmert er mit einem schlag die Schulter, so dass der gleich kampfunfähig hinfällt. Zwei Orks ziehen ihre Keulen auf und dreschen auf Cynric ein. Er kann ausweichen. Die Orks müssen das Gleichgewicht wieder finden und Cynric haut mit seiner Axt in die 128 Beine des dritten Orks. Seine Beine sind gebrochen, er sackt zusammen und kann nicht mehr aufstehen. Cynric weicht etwas zurück um den Überblick zu behalten. Er geht rückwärts und bemerkt nicht, dass von hinten ein sechster Ork daher kommt. Der Ork zieht die Keule weit über seinen Kopf auf und brüllt laut, sodass Cynric fast weiche knie bekommt. Reflexartig dreht er sich um und schwingt seine Axt mit. Sie schlitzt dem Ork die Bauchdecke auf. Der Ork verliert gleich sein Bewusstsein. Cynric will zurückweiche, aber die Keule hat schon einen so grossen Impuls, dass sie ihn trifft und Cynric rücklings zu Boden schmettert. Kurze zeit wird ihm schwarz vor den Augen. Diesen Augenblick nützt einer der Orks aus und drescht seine Keule laut brüllend über Cynrics Brust herunter. Das Blut spritzt fontänenartig aus seinem Oberleib. Verkrampfte Zuckungen durchfahren seinen Körper. Er bleibt reglos, kreidenweiss und blutüberströmt liegen. Die Orks sind verschwunden und haben Cynric einfach am Boden liegen gelassen. Leon sieht als erstes den regungslosen Körper am Boden liegen. Schnell erkennt er auch, dass es sich um Cynric handelt. „Das ist Cynric!“ ruft er und rennt zu ihm hin. Die andern folgen ihm. Cynric liegt am Boden und ist nahe am Verbluten, er hat einen eingeschlagenen Brustkorb und ist bewusstlos. Bildugan sieht sich Cynric an, es sieht schlecht aus, er deckt ihn soweit zu, dass nicht noch mehr Schmutz in die Wunde gelangen kann. Lyssandro ist entsetzt er beugt sich über ihn. Er versucht mit ihm zu sprechen. 129 Bildugan will über seine Aura herauszufinden, wie gut, respektive wie schlecht es Cynric geht. „Jahve steh ihm bei“ Lyssandro steht etwas abseits und betet. Leon macht einen Verband mit dem Mantel von Lyssandro da der Mantel noch einen sauberen Eindruck macht. Er desinfiziert ihn mit Alkohol, legt ihn über die Wunde und lagert seine Beine hoch. Bildugan ist unterdessen umgekippt, ist kreidenweiss und hat glasige Augen. Leon hat die Kampfspuren untersucht und schätzt dass es sich bei den Gegnern um Orks handelte, und dass mindestens zwei Verletzt wurden. Das Gebiet ist hügelig, wenige Gebüsche und dürres Gras zeichnen die Landschaft. Das Wasser wird knapp werden, spätestens morgen. Lyssandro denkt aber vorerst noch immer an das überfällige Opferritual. Da entdeckt er plötzlich eine Gämse über dem Berghang. Lyssandro sagt „Arist und Leon geht und besorgt Wasser und Nahrung ich muss etwas erledigen.“ Lyssandro läuft los und kommt zu einem Bergsturz, wo es auch einen Wassergraben hat, er kraxelt auf der Seite so lautlos wie möglich hinunter den Gämsen hinterher. Die Gämse dreht den Kopf und wird misstrauisch. In diesem Moment kommt Lyssandro in den Sinn dass er gar keine geeignete Waffe dabei hat um das Wild zu erlegen. Die Gämse isst ruhig weiter, Lyssandro schleicht sich weiter heran, sein Rapier griffbereit in der Hand. Als er etwa auf 10m am Tier dran ist bemerkt ihn die Gämse doch und rennt davon. Lyssandro wirft sein Rapier und schiesst erwartungsgemäss daneben. 130 Lyssandro kehrt zurück und eine heftige Diskussion entsteht darüber wer jagen soll und wer Wasser zu organisieren hat, da alle drei noch immer um Cynric herum stehen. Arist meldet sich für die Jagd. Er will aber ohne fremde Hilfe Jagen, er besteht darauf, alleine loszuziehen. „Bildugan, halte ein Auge auf Cynric, bitte. Leon hilf du Arist bei der Jagd. Ich hole Wasser. Ich habe vorhin eine Quelle hinter dem Hügel gefunden“ bestimmt Lyssandro. „Ich kann meine Verbrechen nicht sprechen!“ Arist wollte das zwar nicht sagen aber genau das kam heraus beim Versuch zu erklären dass er seine Versprechen nicht brechen kann. Er bleibt beim Lager. Leon macht sich auf den weg. Lyssandro erinnert ihn nochmals daran, dass er für die Opferung unbedingt ein lebendiges Tier haben muss. Leon nimmt die Bemerkung zur Kenntnis. Er sieht die Gämsen in der Abenddämmerung auf einer Bergkuppe weiden. Einmal auf der Bergkuppe angelangt, schleicht sich Leon sorgfältig an die äsenden Tiere heran. Als erfahrener Jäger hält er sich immer ausserhalb dem Blickwinkel der Gämsen. Eine aufwendige Kletterei nimmt er dafür in Kauf. Eine Anhöhe oberhalb der Tiere erleichtert ihm sein Vorhaben enorm. Bald hat er sich auf 20m herangearbeitet. Als sich Arist alleine findet, reinigt Arist als erstes sein Blasrohr, das von Leon achtlos in die Erde gesteckt wurde, da er es wie erwartet für einen Wanderstock hielt. Dann sucht er etwas, womit er die Öffnungen des Blasrohrs stopfen kann, zur Erklärung, weshalb den 131 andern noch nicht aufgefallen ist, dass es sich bei seinem Wanderstock um ein Blasrohr handelt. Er will nicht preisgeben, dass er eine permanente Illusion darauf gelegt hat. Lyssandro hat unterdessen alle Wasserbehälter und Schläuche aufgefüllt. Frustriert über seine Hilflosigkeit, sucht er nach einem besseren Unterschlupf. Alles, was er findet, ist eine kärgliche Felsnase, die aber immerhin ein wenig Schutz bietet. Sorgfältig macht sich Lyss daran, eine Feuerstelle einzurichten. Leon unterdessen pirscht sich weiter an seine Beute heran. Auch er hat dasselbe Problem wie Lyssandro: Es fehlt eine weitreichende Waffe. Sein Wurfdolch muss ausreichen. Er konzentriert sich, spannt alle seine Sinne an und schleudert seine Waffe. Doch auch er hat kein Glück. Klirrend fällt der Dolch auf einen Felsen und flutscht ins Gras. In panikartiger Flucht jagen die Gämsen den Hang hinab. Schon das zweite Mal wird ihr Frieden jäh gestört. Es ist fraglich, ob sie sich in nächster Zeit wieder auf diesem Hang zeigen werden. Im stillen verflucht Leon sein Pech. Aber der Fehlschuss ist nicht weiter verwunderlich. 17 Meter sind auch für einen guten Werfer eine gewaltige Herausforderung. Leon findet seinen Dolch wieder und zu seiner Erleichterung ist er unbeschädigt geblieben. Sorgfältig entfernt Leon die haftenden Erd- und Grasreste und steckt den Dolch wieder in seine Scheide. Er sieht sich nochmals um, doch wie zu erwarten war, regt sich weit und breit kein Lebewesen. Erfolglos kehrt er zurück und erzählt von seinem Pech. 132 Lyssandro lässt nicht locker und bittet nun auch noch Arist um Hilfe, um endlich an sein langersehntes Opfer zu gelangen: „Hast du denn eine bessere Jagdmethode?“ „Ja,“ meint Arist, „das habe ich. Ich habe sie einfach noch nie in der Wildnis ausprobiert.“ „Gut,“ sagt Lyss erleichtert, „dann lass uns jagen gehen.“ Doch auch jetzt weigert sich Arist, Lyss zu begleiten. Arist will alleine gehen und lässt einen konsternierten Lyssandro zurück: „Weshalb bloss gibt sich Arist immer so geheimnisvoll?“ Inzwischen ist es dunkel geworden, doch der Mond spendet ein fahles Licht. Dieses reicht allerdings nicht aus, um wirklich Spuren von jagdbaren Tieren zu finden. So marschiert Arist weiter, möglichst lautlos, und späht dabei angestrengt nach allen Seiten. Unter den funkelnden Sternen hält er sich von der Gruppe weg und geht talabwärts. Als er nach einer Stunde nichts sichtet, beschliesst er, hangaufwärts zu klettern und sich dann nach rechts zu wenden, wo er nach knapp einer Stunde eine Kuppe erreicht. Etwas ausser Atem hält er weiterhin nach Gämsen Ausschau, dann entdeckt er etwas an einer gegenüberliegenden, sehr steilen und felsigen Wand. Es handelt sich aber weder um eine Gämse noch um ein sonst jagdbares Wild. Man erkennt ein flackerndes Feuer. Arist greift in seinen Beutel und nimmt eine art Zepter heraus. Er umschliesst es mit beiden Händen. Wie von der Welt verschluckt, wird Arist unsichtbar. Nur seine Fussspuren verraten seine Anwesenheit, aber es ist zu dunkel um sie zu erkennen. Er nähert sich dem Feuer und entdeckt bald 133 Höhleneingänge, vor denen sich das Feuer befindet. Zu seinem Erschrecken muss er feststellen, dass es sich bei den Gestalten, die vor dem Feuer sitzen, um Orks handelt. Zum Glück hat er sich nicht schon zu nah herangewagt, so dass er von einer Entdeckung bedroht gewesen wäre. Rasch und möglichst lautlos zieht er sich zurück. Erschrocken von seiner Entdeckung, will er die Suche nach einem Opfertier aufgeben und zum Lager zurückkehren. Doch jetzt sichtet er endlich seine langersehnte Gämse: Eine Mutter und ihr Kitz, die sich auf einem Podestplatz niedergelassen haben. Sie scheinen zu schlafen. Vergessen sind die Orks und er schleicht sich von hinten an die ruhenden Tiere an. Er hält vor dem Felsen kurz inne, um sich zu überlegen, wie man am besten auf den Vorsprung gelangt. Doch bevor er sich wirklich herangearbeitet hat, schreckt die Mutter auf. Lauschend stellt sie die Ohren, scheint sich dann aber wieder zu beruhigen. Doch jetzt hat sie die Augen offen, ab und zu dreht sie den Kopf, auch in Arists Richtung. Arist verharrt in einer unangenehm verkrampften Haltung im Felsen. Ein Krampf im linken Bein lässt ihn hoffen, dass die Gämse sich bald beruhigt. Lyss beginnt sich Sorgen um Arist zu machen: „Wo bleibt Arist so lange?“ Er blickt auf Leon, doch dieser blickt hypnotisiert in die Ferne und gibt keine Antwort. So hält Lyss weiterhin Wache. Arist ist mitten in seine Jagd vertieft. Endlich hält er den Kopf vorsichtig über die Kante und bringt sein Blasrohr in Position. Leise zischend schiesst er einen 134 Pfeil. Die Mutter jagt sogleich davon, doch das Kitz folgt ihr nicht. Es blökt zweimal leiser werdend und fällt hin. Zufrieden, aber völlig erschöpft hebt Arist jetzt seine wohlverdiente Beute und trägt das Kitz den anstrengenden Weg nach Hause. 135 5. Spielsitzung , 18. Juli 2002 Die Sonne ist schon seit einigen Stunden unter dem Horizont und es herrscht eine mysteriöse Dunkelheit. Die Monde lassen den trockenen Sand in einem silbern Glanz erscheinen. Von dem Feuerchen ist im Moment nur ein glühender Haufen Kohle sichtbar. Lyssandro hat die Glut so verdeckt, dass sie schon aus kurzem Abstand nicht mehr zu erkennen ist. Es ist ruhig um den Lagerplatz, wenn man überhaupt von einem Lagerplatz sprechen kann. Denn bislang hat sich noch niemand zur Gegenwärtigen Lage geäussert. Jeder geht seinen eigenen Interessen nach, und dass sie sich mitten in orkischem Territorium befinden scheint sie auch sehr zu beeindrucken - woher auch, Cynric hat es ihnen ja noch nicht sagen können. Cynric liegt nämlich noch immer regungslos am Boden. Dem Gefühl nach müsste schon bald Mitternacht sein. Bildugan wird von Leon schlafen geschickt: “Hau dich aufs Ohr, ich will die erste Wache schieben.“ Zu Lyssandro sagt er nichts. Der ist damit beschäftigt, die letzten Vorkehrungen für das Opferritual zu treffen. Er legt sein Messer bereit und sammelt Holz. Leon schaut ihm zu. Arist kommt von der Jagd zurück. Er trägt eine Gämse über der Schulter. „Hast du das Tier? Lebt es noch?“ fragt Lyssandro, bevor er Arist in der Dunkelheit richtig erkennen kann. Arist streckt ihm das gelähmte Tier entgegen: „Ja es lebt noch.“ Lyssandro strahlt über sein Gesicht, sodass der ganze Lagerplatz 136 erleuchtet wird. Er hält das Tier an den Hinterläufen und sagt: „Ein Prachtstier, danke Arist, jetzt bin ich in deiner Schuld.“ Lyssandro greift nach dem Messer. Er holt aus und Schneidet dem Tier mit Schwung die Halsschlagader auf. Dazu spricht er einige unverständliche Worte. Fontänenartig spritzt das Blut zu Boden. Es versickert sofort im staubigen Dreck. Es dauert einige Sekunden, bis der Druck des Blutstroms nachlässt. Lyssandro lässt das Tier bis auf den letzten Tropfen ausbluten. Arist würde dem Ritual gerne beiwohnen, aber er ist zu müde. Bevor er sich aber schlafen legt, nimmt er seinen Wanderstock und entfernt dessen beiden Enden. Der Wanderstock entpupt sich als das Blasrohr, mit dem Arist die Gämse gejagt hat. Er legt die Waffe neben seinen Schlafplatz mit der Absicht, dass jemand darauf aufmerksam wird. Lyssandro legt sein Opfertier auf den Boden. Er greift zum Messer und schneidet dem Tier die Bauchdecke auf. Sorgfältig nimmt er dem Opfer die Eingeweiden heraus und legt sie neben das Feuer. Mit zusätzlichem Holz lässt er das Feuerchen zu einem Feuer werden. Er schichtet das Holz so, dass sich ein Rost bildet. Sorgfältig legt er die Eingeweide auf das brennende Holz und kniet ins Feuer starrend hin. Er faltet die Hände und hält sie vor seine Brust. Man kann erkennen, dass er ein Gebet spricht. Dazu macht er Wippbewegungen mit seinem Oberkörper. Es dauert etwa zwanzig Minuten bis die Eingeweiden verbrannt sind, dann steht Lyssandro auf 137 und legt neues Holz an. Wieder tut er das so, dass das angelegte Holz eine Ablage bildet. Er schichtet es, damit möglichst viel Luft das Feuer unterstützen kann, denn so wird das Feuer heisser, und das Opfer brennt besser. Er nimmt das ausgeweidete Tier und legt es zu oberst auf das Feuer. Es beginnt zu brennen. Ein hässlicher Gestank geht durch die Luft von dem brennenden Fell und den Klauen. Lyssandro stört das nicht. Er kniet wieder hin und setzt die Gebete fort - die ganze Nacht. Am nächsten Morgen ist Leon der erste der aufsteht. Er wundert sich über die Ausdauer von Lyssandro, der noch immer am Opfern ist. Leon entfernt sich einige Schritte von der Gruppe. Er trainiert, genau wie es Washino Ocurimono damals getan hat. Er wirft Messer auf Baumstämme, schlägt Luftlöcher mit seinen Fäusten und Füssen und macht Beweglichkeitsübungen. Er trainiert nach einem gut eingeübten Schema - etwa eine Stunde lang. Danach setzt er sich im Schneidersitz unter einen Baum. Die aufgehende Sonne erhellt sein Gesicht. Er schliesst die Augen und meditiert. Zwischendurch unterbricht Lyssandro seine Opferung um neues Holz zu sammeln. Er bringt in kurzer Zeit wieder einen ansehendlichen Haufen zusammen. Er legt gleich vom neuen Holz etwas ins Feuer, kniet wieder hin und setzt, ohne ein Wort von sich gegeben zu haben, die Opfergebete weiter fort. Leon hat fertig meditiert. Er sieht, dass Arist noch immer schläft. Gleich fällt ihm - genau wie von Arist beabsichtigt - das Blasrohr neben ihm auf. Er ist sich 138 sicher, dass es ein Blasrohr ist, denn genau so sieht es aus, aber war das nicht Arists Wanderstock? Neugierig inspiziert Leon Arists Geheimwaffe, in diesem Moment erwacht Bildugan ein paar Meter daneben. Hurtig legt er den Stock wieder neben Arist, als hätte er nichts gesehen. Bildugan nimmt Leons Inspektionen nicht wirklich wahr. „Guten Morgen Bildugan, hast du gut geschlafen?“ fragt er Bildugan mit vorwitzig fröhlicher Stimmlage. Bildugen ist noch nicht gerade zum Frohlocken zumute: „Morgen Leon. Danke der Nachfrage, ich glaube schon.“ Er reibt sich die Augen und schaut um sich. Er sieht Lyssandro seine Gebete ins Feuer murmeln. Leon sitzt den Wanderstock bestaunend neben dem schlafenden Arist. Als seine Augen in Richtung Cynric schwenken, bleibt sein Blick fixiert. Er schreitet zu ihm hin um nach seinem Zustand zu schauen. Cynric liegt noch in der genau gleichen Lage da wie gestern. Er atmet ganz schwach und sein Puls ist kaum wahrnehmbar, aber er scheint noch immer am Leben zu sein. Er hat viel Blut verloren. Bildugan überlässt ihn wieder dem Schicksal, denn im Moment kann er nichts für ihn tun. „Ich geh auf Beerensuche, dann gibt’s mal was zwischen die Zähne,“ verkündet Bildugan und entfernt sich Richtung Hügel. „Dann bring noch einen Schlauch frisches Wasser mit!“ ruft ihm Leon hintennach. Davon erwacht jetzt auch Arist. „Tag Arist!“ sagt Leon. Arist wünscht auch Leon einen schönen Tag. „Ist etwas unvorhergesehenes passiert heute Nacht?“ Leon schüttelt den Kopf. „...und wie steht’s mit Cynrics 139 Zustand?“ fragt er nach, worauf Leon nur, „...weiss nicht, ich glaube gut, musst besser Bildugan fragen,...“ zu Antworten weiss. Arist geht zu Cynric hin mustert ihn und sagt: “Wenn er nicht bald wieder zu sich kommt, dann haben wir ein ernstes Problem, wenn wir das nicht jetzt schon haben.“ Er erwähnt aber nichts von den Orkspuren, die er letzte Nacht bei der Gämsenjagd entdeckt hatte. „Ja du hast recht, wir müssten schon längst weiterziehen. Ich geh mal die Umgebung etwas erforschen, vielleicht finde ich ja etwas nützliches,“ gibt Leon zur Antwort und Arist stimmt ihm zu: „Ja tu das, ich halte hier solange Wache.“ Leon ist keine 5 Minuten unterwegs, da findet er schon die ersten ungewöhnlichen Spuren im sandigen Boden. Er folgt der Spur. Zwischendurch scheint die Spur zu verschwinden, aber er findet sie immer wieder und folgt ihr weiter. Leon ist ein guter Spurenleser, jeder Andere hätte die Fährte schon längst verloren. Die Spur führt ihn zu einer Höhle. Er geht ein paar Schritte in die Höhle hinein. Es ist ihm aber zu finster und zu unheimlich, also beschliesst er, die Fährte irgendwo ausserhalb der Höhle wieder aufzunehmen. Vor der Höhle findet er Knochen und Gebeine von Tieren. Da scheint sich jemand genüsslich getan zu haben. Er vermutet, dass es sich um Orkspuren handelt, und dass hier nicht ein Ork ein Festmahl hatte, sondern mehrere. Leon erkennt, dass die Spur in einer andern Richtung noch weiterführt. Er folgt ihnen, aber nicht besonders lange, denn unterdessen ist er schon recht weit vom Lager weg. Er beschliesst zum Lager zurückzukehren. 140 Als Leon beim Lager ankommt ist auch Bildugan schon wieder da. Er hat einen Schlauch mit frischem Wasser und einen ganzen Korb voll Beeren. Sogar ein paar Nüsse hat er gefunden. Er stellt seine Beute erstmal hin und setzt sich neben Arist. „Du bist fündig geworden wie es aussieht.“ bemerkt Arist und blickt auf den vollen Korb. „Ja hinter dem Berg ganz in der Nähe der Quelle hat es Sträucher prall gefüllt mit süssen Beeren. Sie sind geniessbar, ich kenne sie. Probier doch mal!“ Arist nimmt ihn beim Wort. Er nimmt sich den Korb und kostet die Beeren. Sie schmecken ihm, und er hat Hunger: „Hmm, wirklich lecker. Ganz süss!“ Bildugan reisst ihm den Korb wieder weg: “He, nicht gleich alle wegessen. Mach uns lieber ein gutes Mittagsmahl daraus.“ Arist findet das eine hervorragende Idee. Aber er hat eine kleine Bitte: „Könntest du etwas gegen meine Blasen tun? Ich habe mir bei der langen Wanderung riesige Blasen an den Füssen zugezogen. Es tut so weh, ich kann kaum noch gehen.“ „Blasen?“ Bildugan lacht, „Gegen Blasen kann man leider nichts tun, ausser sie heilen zu lassen. Du musst halt ein wenig auf die Zähne beissen. Wenn sie dann geheilt sind entsteht daraus Hornhaut, und dann wirst du nie mehr Blasen bekommen.“ „Lach nicht! Ich sterbe vor Schmerz, hast du nicht wenigstens eine Salbe?“ Arist jammert, als liege er auf der Folter. Aber es zahlt sich aus. Bildugan gibt nach: „Na gut, ich habe ein Rezept, das dir die Schmerzen etwas lindern könnte, aber die Heilung geht dadurch nicht schneller!“ Er nimmt aus seinem Beutel ein paar Teeblätter und wirft sie in seinen Topf. Den Topf füllt er halb mit Wasser. 141 Nun muss er den Tee noch aufwärmen. Bildugan schaut rüber zu Lyssandro. Lyssandro ist voll in Trance vor seinem Opfer. Bildugan stört Lyssandro zwar nur ungern, aber er fragt ihn, ob es ihn störe, wenn er über seinem Feuer schnell den Tee heiss mache. Lyssandro gibt keine Antwort, er scheint Bildugan gar nicht wahrgenommen zu haben. Also macht sich Bildugan selbstautoritär und hält den Topf mit einer Stange über das Opferfeuer. Das Feuer ist heiss genug, um das Wasser in Kürze zum Kochen zu bringen. Der Tee löst sich langsam aus den Blättern. Um das Wasser wieder etwas abzukühlen gibt Bildugan noch den Rest vom kalten Wasser in den Tee. Zuerst füllt er alle leeren Wasserschläuche mit dem Tee ab. Was übrig bleibt gibt er Arist: „Hier! Bade deine Füsse darin, das betäubt deine Empfindungen von den Blasen.“ Arist stellt den Topf vor sich auf den Boden und taucht vorsichtig seine dreckigen Füsse hinein. Er geniesst das Fussbad, obwohl er dessen Wirkung ein wenig anzweifelt. Aber er sagt nichts. Tatsächlich, nach kurzer Zeit schon sind die Schmerzen weg. Bildugan nimmt ihm den Topf unter den Füssen weg, trocknet sie mit einem Tuch und sticht mit einer spitzen Nadel in die Blasen. Das Brandwasser ist unter Druck. Die Hälfte spritzt gleich von selbst heraus. Was noch unter der Blase bleibt presst er mit dem Finger heraus. Bildugan ist sehr geschickt bei seiner Arbeit. Er reinigt die Wunden mit einem sauberen Tuch, das er mit Alkohol getränkt hat und Verbindet die Füsse anschliessend. Arist bedankt sich einige Male bei Bildugan. Keine Ursache für Bildugan. Er hilft gerne wenn er kann. 142 Wie versprochen fängt Arist damit an, ein Mittagsmahl zu bereiten. Er schaut nach, was sie alles Essbares bei sich haben. Höflich fragt er nach Bildugans frisch gepflückten Beeren: „Ich könnte ein äusserst leckeres Gericht damit zaubern.“ „Natürlich, dazu sind sie ja da!“ erwidert Bildugan. Arist Kocht ein Gericht aus Beeren, Trockenfleisch, Mandeln und diversen Gewürzen und Kräutchen aus seinem Repertoire. Leon kommt gerade von seiner Tour zurück. Er wird als erstes von Arist angesprochen: „Was hast du entdeckt?“ „Nichts!“ ist seine Antwort und wechselt gleich das Thema: „Wie geht es Cynric?“ Arist und Bildugan werden gleich hellhörig und schauen nach dem Patienten. Cynric liegt noch immer in derselben Lage da wie vorhin, aber er hat plötzlich geöffnete Augen. „Er ist erwacht, schaut, er ist erwacht! Cynric kannst du uns hören?“ schreit Bildugan. Aber Cynric tut keinen Wank. Arist holt einen Schlauch mit Tee. „Cynric, wenn du mich hörst, dann blinzle mit den Augen!“ sagt Bildugan. Cynric blinzelt fast unmerklich. „Er leeebt! Cynric leebt, er hat mich verstanden!“ ruft Bildugan in den Himmel hinauf. Arist kommt mit dem Schlauch zurück und hebt den Kopf von Cynric etwas hoch. „Hier, du musst trinken, damit du nicht verdurstest. Du hast sehr viel Blut verloren.“ Er hält ihm die Öffnung an den Mund und Cynric trinkt mit ganz zaghaften Schlückchen von dem Tee. Er verschluckt sich. Davon ist er so erschöpft, dass er gleich die Augen 143 wieder schliesst und aufhört zu trinken. Arist legt Cynrics Kopf wieder ab. Arist schaut kurz nach seinem Gericht. Es scheint alles bestens zu sein, denn er Nickt mit dem Kopf, nachdem er mit dem Finger eine Kostprobe genommen hat. Er geht zu seinem Fussbad und hält seine Füsse wieder hinein. „Die Wirkung hält aber nicht gerade lange an,“ sagt Arist zu Bildugan. Leon trifft fast den Schlag, als er Arist im Tee baden sieht: „Seid ihr denn von Sinnen! Ihr verschwendet diesen kostbaren Tee für ein Fussbad! Das kann ja wohl nicht euer Ernst sein.“ Leon staucht Bildugan gehörig zusammen. Bildugan weiss sich nicht so richtig zu wehren dafür hilft ihm Arist: „Hör auf Leon, ich habe riesige Blasen an den Füssen. Das ist Medizin für mich.“ Er jammert Leon vor, wie sehr er schmerzen von den Blasen hat, und dass er ohne das Bad gar nicht mehr gehen kann. „Glaubst du ich hatte noch nie Blasen? Ein Mann sollte das verkraften können!“ gibt Leon zur Antwort. Der Streit zwischen den beiden geht los. Sie schreien sich gegenseitig an. Bildugan versucht zwischendurch den Konflikt mit lindernden Worten zu unterbrechen. Aber der Streit endet erst damit, dass Leon Arist eine deftige Ohrfeige knallt. Darauf ist es mäuschenstill. Bildugan ist nach gut fünf Minuten der erste, der wieder etwas sagt: „Was ist eigentlich mit Lyssandro?“ Er schaut zu ihm rüber. Just in diesem Moment sieht er, wie Lyssandro vor Erschöpfung zusammenklappt und regungslos am Boden liegen bleibt. Wie von einem Ork gejagt rennen die drei zum Opferfeuer um nach 144 Lyssandro zu schauen. Er hat Puls und er atmet. Glücklicherweise ist er nur ohnmächtig. Das war wohl etwas zu viel des Opferns. Leon legt Lyssandro in eine bequemere Lage, und lässt ihn schlafen. Arists Gericht ist mittlerweile fertig. Der Chefkoch ruft zum Essen. Es mundet. Der Hunger macht sich bemerkbar, sie essen alles restlos auf. Danach machen Arist und Bildugan ein Nickerchen. Leon hält solange Wache. Arist schläft unruhig. Schon nach einer halben Stunde erwacht er wieder. „Du hast geträumt Arist. Kannst du dich an den Traum erinnern?“ fragt Leon, der Arist bei seinen Zuckungen im Schlaf genau beobachtet hat. „Ich weiss nicht genau. Es war alles ganz verschleiert und undeutlich. Eine Horde von Ungeheuern kam auf mich zu, und schien mich zu überrennen. Ich glaube es waren Orks, ich konnte es aber nicht richtig erkennen, es war zu düster.“ „Du hast von Orks geträumt? Das ist ein schlechtes Ohmen.“ und Leon erzählt von dem Zehenabdruck, den er bei seiner Tour hinter dem nahen Hügel entdeckt hat. Sie philosophieren über die mysteriöse Botschaft und kommen zur Überzeugung, dass sie sich in grosser Gefahr befinden. Aber was sollten sie tun. Sie hätten einfach fliehen können, und die andern im Stich lassen, aber das wäre Feige. Es wird Abend und Bildugan und Leon werden von Arist schlafen geschickt: „Geht schlafen, ich halte so lange Wache, ich könnte jetzt eh nicht schlafen. Er sitzt 145 an das langsam ausgehende Opferfeuer von Lyssandro und schaut andächtig in die gläsern klirrende Glut. Es ist totenstill in der Umgebung. Die Feuerstellen sind am ausgehen. Allmählich beginnt Arist zu frösteln. Er hält es aber nicht für klug, das Feuer wieder zu entfachen. Stattdessen zieht er sich etwas wärmer an. Es wird schon langsam Morgen aber es ist noch immer dunkel, da sieht Arist am Horizont eine Lichterschlange erscheinen. Sie kommt über den Hügel, und wird immer länger. Es sieht so aus, als käme sie geradewegs auf das Lager zu. Als erstes weckt Arist die andern auf. Im ersten Moment ist Leon über die Aktion mitten in der Nacht ziemlich überrascht und ruft aus. Er wird aber von Arist zum Schweigen befohlen. Erst jetzt sieht auch er die nahende Lichterkette. „Was ist das?“ fragt er. Arist antwortet mit gedämpfter Stimme: „Ich weiss es nicht, aber es sieht genau so aus, wie in meinem Traum. Ich geh hin und finde es heraus.“ „Aber sei vorsichtig, geh nicht zu nah heran,“ bittet ihn Bildugan. Lyssandro kümmert sich bereits um Cynric: „Wenn du mich verstehst, dann gib mir ein Zeichen.“ Cynric nickt mit dem Kopf. „Gut,“ sagt Lyssandro. „Du hattest den grössten himmlischen Beistand, den man als irdisches Wesen bekommen kann, Eigentlich solltest du nach deinen Verletzungen tot sein. Was ist geschehen, wurdest du angegriffen?“ Cynric nickt. „Von Orks?“ Cynric nickt wieder. Auf diese Reaktion meint Lyssandro mit bedrückter Stimme nur: “Du musst einen aussergewöhnlich guten Schutzengel haben.“ „Der Kreis ist noch nicht geschlossen,“ gibt Cynric nach 146 kurzer Denkpause und mit ganz schwacher Stimme zur Antwort. Jetzt ist Lyssandro ein wenig überfordert. Er freut sich, dass Cynric spricht, weiss aber nicht genau, was er mit diesen Worten gemeint hat. „Ja, du hast recht, der Kreis ist für dich noch nicht geschlossen,“ und denkt dabei an den Lebenszyklus. Bildugan wird langsam unruhig, denn die Lichterschlange kommt immer näher. Er sieht, dass es sich um viele einzelne Wesen handelt, die eine Reihe bilden und Fackeln tragen. „Wir müssen hier weg! So formiert man sich, wenn man auf einer Treibjagd ist. Die Suchen etwas ganz bestimmtes. Ich hoffe, dass nicht wir ihr Jagdopfer sein sollen.“ sagt er. Leon ist derselben Meinung: „Wenn wir jetzt genau quer zu ihrer Treibrichtung gehen, dann ziehen sie an uns vorbei, vorausgesetzt, dass sie ihre Richtung nicht ändern.“ Er geht zur Feuerstelle hin und verwischt die mittlerweile ausgebrannte Asche. „Was machen wir mit Cynric? Und wir können doch Arist nicht einfach im Stich lassen,“ fragt Bildugan ganz verdattert. Lyssandro sagt: „Cynric legen wir auf meine Bettrolle und tragen ihn damit zu zweit. Arist findet uns schon wieder, keine Angst. Ich hoffe nur er kann sich verstecken.“ Leon, Bildugan und Lyssandro versuchen gemeinsam ganz vorsichtig den halbtoten Cynric auf die Bettrolle zu legen. Gleich als sie es geschafft haben kommt Arist zurück: „Es sind Orks. Viele Orks, sicher hundert. Und sie haben Fackeln. Ich konnte ihr Gerede leider nicht genau verstehen, aber sie diskutierten leise über irgendetwas, soviel weiss ich. Ich bin mir sicher, 147 dass sie etwas ganz bestimmtes suchen.“ „Wir müssen fliehen!“ warnt Arist, aber Cynric ist nicht einverstanden. Er spricht mit ganz zaghafter Stimme: „Halt, ihr könnt mich nicht so weit tragen, sie würden uns entdecken und einholen. Tragt mich zu den Felsbrocken dort drüben, dann könnt ihr euch unter meiner Tarnung verstecken!“ Tatsächlich hat es etwa vierzig Schritte vom Lager entfernt ein paar Felsbrocken rumliegen. Aber die Tarnfähigkeiten von Cynric und dessen Wirksamkeit stellen die andern zunächst in Frage und lehnen den Vorschlag ab. Cynric beharrt auf seinem Vorschlag. „Los versteckt euch. Ich will gar nicht wissen, was die Orks genau tun. Ich kann nicht ausschliessen, dass sie nach uns suchen. Und wenn sie uns suchen, dann möchte ich erst recht nicht wissen, was sie mit uns machen, wenn sie uns finden!“ Cynric wiederholt seinen Vorschlag. Er stösst nun doch auf Einverständnis, denn langsam beginnt die Morgendämmerung und die leuchtende Schlange kommt immer näher. Arist zaubert hurtig eine Illusion über den Lagerplatz, damit die Fussspuren und die Asche der Feuerstelle etwas erschwerter sichtbar sind. Lyssandro und Leon tragen Cynric hinter einen der Felsbrocken. „Legt euch ganz dicht neben mich und bewegt euch nicht!“ rät Cynric den andern. Lyssandro und Bildugan legen sich ganz dicht neben Cynric. Leon zieht es vor, auf einen Felsen hinauf zu steigen und sich auf diese Art zu verstecken. Der Mantel von Cynric beginnt zu mutieren und überdeckt seine beiden Gefährten und ihn 148 selbst. Die Tarnung ist perfekt. Der Mantel ist vom Stein nicht zu unterscheiden. Arist hat bedenken, dass ihre Fussspuren sie verraten würden. Sie legen eine Irrfährte von den Felsbrocken weg, weiter in die Ebene. Nach etwa hundert Metern lassen sie ihre Spur im Sand verlaufen. Dann kehren sie auf ihren eigenen Spuren zurück und steigen auf einen Felsen. Arist macht sich unsichtbar. Nach ein paar Minuten Ausharren hören sie die Truppe herannahen. Sie hören ihre Stimmen. Sie kommen näher, die Stimmen werden lauter und deutlicher. Man versteht sie nicht, sie sprechen eine andere Sprache. Sie sind jetzt bei den Steinen und halten inne. Die Linie verformt sich zu einem Klumpen. Einer redet, wahrscheinlich der Anführer. Jetzt sprengt sich die Gruppe auf. Die Orks marschieren von den Felsbrocken weg, in allen Himmelsrichtungen. Auch der Anführer. Sie löschen ihre Fackeln allmählich aus. Die Morgendämmerung ist soweit fortgeschritten, dass sie kein künstliches Licht mehr gebrauchen. Ein einziger Ork bleibt bei den Felsen zurück und mustert sie genau. Er sucht etwas. Er steht genau hinter den Stein unter dem sich Cynric befindet. Arist kann genau beobachten, wie er sein Geschlechtsorgan ergreift. Der Ork holt gerade tief Luft, da Ruft ihm ein Anderer etwas Unverständliches zu. Es scheint ihn zu beeindrucken. Er unterbricht sein Vorhaben und geht zu dem anderen Ork. Sie entfernen sich zusammen von den Felsen weg. Leon und Arist haben alles genau beobachtet. Sie müssen sich das Lachen auf den Stockzähnen 149 verbeissen. Sie warten, bis alle Orks ausser Sicht sind. Leon folgt sofort den Spuren, die von der grössten Orkgruppe erzeugt wurden um herauszufinden, wohin sie gehen und was sie suchen. Er folgt der Spur bis auf einen Hügel. Von Hügel herab hat er eine perfekte Aussicht, aber er kann ausser einer Spur, die bis zum Horizont zu führen scheint, nichts sehen. Vor allem keine Orks mehr. Er kehrt um. Arist ist unterdessen wieder sichtbar geworden und hat Entwarnung gegeben. Lyssandro und Bildugan kommen aus ihrem Versteck hervor. „Das ging noch mal gut!“ sagt er, und steigt auf einen Felsbrocken. Von weitem kann er Leon sehen. Er winkt ihm zu. 150 6. Spielsitzung , 15. August 2002 151 7. Spielsitzung , 8. September 2002 Schon von weitem ist sie sichtbar, die Trutzburg von Calos mit ihren mächtigen Bergfried, und die hohe Stadtmauer, in deren Schatten sich die unzähligen Häuser der Stadt eingenistet haben. Ihr Grau hebt sich deutlich von dem blendenden Blau des Ozeans ab, der sich hinter dem Städtchen, scheinbar endlos erstreckt. Es dauert noch eine ganze Weile, bis sie endlich ans Stadttor gelangen, das, eingerahmt von zwei Türmen, ihnen den Weg in die Stadt versperrt. Ihre Begleiter, augenscheinlich an das Reiten auf diesen seltsamen Kreaturen gewöhnt (und wahrscheinlich mit keinem Geruchsinn ausgestattet), sind einiges schneller aus dem Sattel gerutscht als unsere Abenteurer. Mit mehr oder weniger steifen Gliedern (Wie zum Geier soll man das ausdrücken ohne zweideutig zu werden?!?!?) dehnen und strecken sie sich, um die vom langen Ritt verkrampften Muskeln etwas zu lockern. Trotz diesen Unbequemlichkeiten sieht Lyssandro viel entspannter aus als seit langem schon; jetzt, da sie das Orcgebiet endlich hinter sich gelassen haben und die unmittelbare Gefahr überstanden ist. Obwohl er es sich selbst nicht hat eingestehen wollen, war die dauernde, doch unsichtbare Bedrohung durch die Orcs doch recht zermürbend gewesen. Mit ein paar freundlichen Worten verabschiedet er sich von ihren Begleitern. Beat ist zu ihm getreten. Lyssandro ahnt, um was ihn dieser gleich bitten wird, sein Gesicht wird plötzlich sehr nachdenklich. "Lyssandro, ich möchte mich euch 152 anschliessen!“ Genau das hat Lyssandro geahnt, oder besser gesagt, befürchtet. Beat muss seine Zurückhaltung wohl verspürt haben, denn er fährt fort: „Ich frage nicht für mich. Du erinnerst Dich, das ich noch ein Kind auf den Hacken habe, für das ich mich verantwortlich fühle.“ An Lyssandros Verantwortungsgefühl zu appellieren, ist kein dummer Schachzug, was Arist, der inzwischen nähergekommen ist und den letzten Satz mitbekommen hat, mit einem kurzen, anerkennenden Lachen quittiert. Lyssandro wirft ihm einen kurzen unfreundlichen Blick zu, bevor er mit einem Seufzen fortfährt: „Vielleicht erinnert ihr euch, dass einer unserer Freunde vor kurzem einem feigen Mord zum Opfer gefallen ist. Wir wissen noch immer nicht, wer dieses Verbrechen begangen hat. So ist es doch nur natürlich, vorsichtig zu...“ „Du verdächtigst mich des Mordes?!?“ fällt ihm Beat ins Word, augenscheinlich ziemlich aufgebracht. Lyssandro wirkt gequält, als er antwortet: „Ich verdächtige niemanden. Noch bin ich unsicher, was den Mord an Cynris betrifft. Doch da ist etwas an Dir... Etwas wie eine böse Aura...“ Er verstummt. Er kann seine Gefühle, deren er selbst nicht sicher ist, nicht in Worte fassen. Beat stampft kurz mit dem Fuss auf. „Und wegen Deiner... Vorahnungen, oder wie auch immer man deine Empfindungen nennen sollst, vernachlässigst Du Deine heilige Pflicht zu helfen?!? Darauf muss Lyssandro eine Antwort schuldig bleiben. Jetzt sind auch die andern auf diesen Austausch aufmerksam geworden; und selbst Arist zollt der Sache jetzt den Ernst, den sie eigentlich verdient. Er nestelt in einer seiner Taschen und bringt 153 schliesslich etwas zum Vorschein, das er sorgfältig in seiner Hand hält: Eine Feder. „Vielleicht habe ich hier eine Lösung zu unserem Problem.“ meint er trocken. „Diese Feder ist ein magischer Artefakt.“ Er geniesst die fragenden ( vielleicht auch ungläubigen) Blicke der andern, bevor er fortfährt: „Diese Feder kann über bestimmte Ereignisse ein Gedicht schreiben, wenn man sie darum bittet. Diese Zeilen werden wahr werden, bevor der Hahn dreimal kräht. Auf diese Weise sollte es uns möglich sein, denjenigen zu entlarven, der für das tragische Hinscheiden von Cynris verantwortlich ist.“ Und mit einer grossen Geste überreicht er die Feder Lyssandro, der sie nur zögernd in die Hand nimmt. Ihm ist die Warnung auf dem Artefakt nicht entgangen, und wenn er sie wirklich in seinen Gewahrsam nimmt, lastet die Verantwortung für das weitere Geschehen betreffend der Feder auf ihm, dessen ist er sich nur allzusehr bewusst. Beats Gesicht hat sich verdüstert. „Ihr wollt tatsächlich eine Feder darüber entscheiden lassen, was mit Yoshi und mir passiert?“ Sein Ton macht deutlich, was er von dieser Idee im allgemeinen und von der Feder im besonderen hält. „Ein Zauberspruch kann lügen.“ L achtet nicht auf seine Worte, aufmerksam dreht und wendet er die Feder in seinen Händen, untersucht sie sorgfältig. „Was ist das für ein Ding?“ fragt Yoshi, der ihn ungeduldig beobachtet hat. „Die Feder scheint antik, vielleicht 2300 Jahre alt, soweit ich das beurteilen kann.“ Antwortet L bereitwillig. „Sonst kann ich nichts besonderes daran entdecken. Woher hast Du diese Feder, Arist?“ „Aus einer Höhle.“ antwortet Arist auf 154 seine Frage, ziemlich lapidar. „Sie hatte nicht viele Bewohner. Ausser einem Drachen und ein paar Ratten.“ Lyssandro starrt zuerst ihn an, dann die Feder, bevor er sie schliesslich in seine Tasche steckt. „Danke.“ „Hört mal, wollen wir das wirklich hier diskutieren?“ kommt es vernünftig von Beat, der sich umgesehen hat. Es sind vor allem Bauern, die durch das Stadttor ein- und ausgehen, mit ihrem eigenen Tagwerk, ihren eigenen Sorgen beschäftigt, aber man kann ja nie wissen... Dann, leiser, sehr eindringlich warnt er L nochmals: „Glaube mir, solche Artefakte sind gefährlich. Ich würde davon abraten, sie zu benutzen, oder, falls es unbedingt sein muss, seine Aussage in Zweifel ziehen.“ Lyssandro nickt ihm zu. Er hat nicht vor, die Handhabung der Feder auf die leichte Schulter zu nehmen. Es ist Yoshi, der das aufkommende Schweigen schliesslich, mit glänzenden Augen, bricht: „Wow. Wir haben doch bisher noch nie irgendwelche Magie gebraucht! Ich kann ja gut kämpfen, wirklich, aber mit Zauberei... also, ich halte es für besser, den gesunden Menschenverstand zu benutzen!“ Ein leises Lächeln kräuselt Beat’s Lippen, als er antwortet: „Im Prinzip hast Du recht, Yoshi. Man sollte immer seinen gesunden Menschenverstand zuerst gebrauchen. Doch die Magie kann ein wertvolles Instrument sein, wenn es darum geht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Sie ist gewissermassen das i-Tüpfelchen auf den Worten, die Du mit deinen Taten schreibst.“ „Vielleicht sollten wir über den Gebrauch der Feder in der Gruppe entscheiden.“ meint Arist. „Aber nicht jetzt.“ Er weist mit dem Daumen über seine Schulter. Hinter ihnen, 155 beim Stadttor, haben die Wachen damit begonnen, die ein- und austretenden Bauern zur Eile anzutreiben. Sie wollen das Tor schliessen, bevor die Dämmerung, und mit ihr die Dunkelheit, vollends hereinbricht. Es sind stämmige, robuste, muskulöse Männer mit einer farbenprächtigen Uniform, die aus gelben Pluderhosen und einer ledernen Weste besteht. Ihre Gesichter sind unrasiert, und sie tragen ihre Waffen mit jener Lässigkeit, die den erfahrenen Kämpfer kennzeichnet. (Könnte ruhig viiiieeeeeel detaillierter beschrieben werden, wird dem Leser aber an dieser Stelle erspart! J) Ein misstrauischer Blick aus verkniffenen Augen trifft sie vom ersten Wächter, und sein „Woher kommt ihr?“ klingt nicht gerade freundlich, als sie näher ans Tor herantreten, doch seinem Kollegen sind bereits ihre vierbeinigen Begleiter ins Auge gestochen, und in halb gespielten, halb ernsten Entsetzen tritt er zurück. „Arghhh! Sie bringen diese stinkenden Lamas aus Zigmak! Die wollen ganz bestimmt zu Igur!“ Er macht ein Zeichen, dass sie passieren können, doch der andere Wächter versperrt ihnen mit seinem Speer den Weg. „Ich will trotzdem wissen, woher ihr kommt.“ sagte er. „Ich habe euch noch nie hier gesehen.“ „Wir sind Abgesandte des Königs von Trochäa!“ wirft Arist ein und weist mit dem Kind auf Beat und Yoshi. „Die da sind unsere Begleiter.“ „Ich stamme aus Meek, am Flusse Tabor.“ Ergänzt Beat, als er den forschenden, ja verächtlichen Blick des Wächters auf sich ruhen fühlt. Der Wärter gibt ein Grunzen von sich. „Wie lange gedenkt ihr zu bleiben, werte Herren?“ „Ein bis zwei 156 Tage.“ Diesmal ist es Leon, der antwortet. „Dann werden wir per Schiff weiterreisen.“ Fürs erste scheint das Misstrauen des Wächters beschwichtigt. Vielleicht ist er auch unsicher, wie er die Leute vor ihm einschätzen soll, und ob seine Grobheit ihm später Aerger einbringen könnte. So gibt er einigermassen bereitwillig Auskunft, als Beat ihn nach Gasthäusern fragt, die um diese Zeit noch Gäste aufnehmen. „Ha!“ meint er. „Da wäre das hüpfende Maultier zu empfehlen. Das Bier dort ist ausgezeichnet, und die Wirtin...“ offenbar ist sein Wortschatz zu beschränkt, um die Wirtin zu beschreiben, aber sein Gesicht hat sich zunehmend aufgeheitert. Ob dies dem Bier des „Maultiers“ oder dessen Wirtin gilt, ist schwer zu sagen. „Wenn ihr das Haus Igur’s sucht...“ wirft der zweite Wärter hilfreich ein. „Dann verfolgt gerade die erste Gasse rechts, wenn ihr zum Tor hineintreten. Dann braucht ihr nur eurer Nase zu folgen. Das Haus, das am meisten stinkt....“ Er lacht über seinen eigenen Witz und grunzt zufrieden, als er wie sein Kollege für ihre Auskünfte ein Kupferstück in die Hand gedrückt bekommen. Jetzt endlich steht dem Einzug in die Stadt nichts mehr entgegen. Ein starker Kontrast ist es, der sich den Gefährten jetzt bietet, nach all den weiten, einsamen Landschaften, die sie bisher durchschritten haben, denn sofort werden sie von der Stadt mit ihrem geschäftigen Betrieb mit Beschlag belegt. Haus an Haus reiht sich vor ihren Augen aneinander, sie rahmen den kleinen Platz ein, auf dem sie gerade stehen, und nur einige enge, gewinkelte 157 Gassen sorgen dafür, dass diese Steinfront nicht allzu bedrohlich, beengend wirkt. Trotz der fortschreitenden Dämmerung sind viele Leute unterwegs, so dass man rasch den Eindruck bekommt, in einem Ameisenhaufen gelandet zu sein. Es sind Händler zu sehen, die gerade ihre übriggebliebene Ware abräumen, und ihre Rufe und die Scherzworte, die sie einander zuwerfen, hallen durch die Nacht. Dazu das Lachen von Kindern, das Klappern von Pferdehufen, die unzähligen mehr oder weniger wohlriechenden Gerüche – die Stadt hat sie wieder und nimmt all ihre Sinne in Beschlag. Wie ihnen beschrieben wurde, folgen die Abenteurer jetzt der ersten Gasse nach rechts, und tatsächlich bereitet es ihnen keine Mühe, Igur’s Haus zu finden, wenn auch nicht aufgrund des Geruchs, sondern wegen des Stalls, der daneben steht. Da es das einzige Haus ist, das einen solchen aufweist, müssen sie den gesuchten Igur bereits gefunden haben. Dieser scheint, dem Haus nach zu urteilen, in dem er lebt, nicht gerade ein armer Mann zu sein, es ist zwar an vielen Stellen mit Holz statt mit Stein gebaut, macht aber dennoch einen robusten Eindruck. Bildugan klopft als erster an die holzige Türe, und sogleich erhebt sich eine energische Stimme: „Wer da?“, deren Lautstärke nicht zu verachten ist. „Wir bringen Lamas von Suismazz!“ ruft Bildugan zurück und tritt erschrocken einen Schritt zurück, als die Türe schwungvoll aufgerissen wird. Vor ihnen steht ein Wikinger wie aus dem Bilderbuch. Seine massige, vierschrötige Gestalt füllt den Türrahmen. Ein wilder, blonder Vollbart ziert sein Gesicht, in den sich die ersten grauen Strähnen mischen. Von seiner Stirn fallen 158 zerzauste Locken, so dass von seinem Gesicht eigentlich nur die gutmütig funkelnden Augen sichtbar sind; und die Spitze einer roten Knollennase, die von reichlich Alkoholgenuss spricht. Er trägt rote Stoffhosen, die von einem breiten Ledergürtel gehalten werden, doch sein Oberkörper ist nackt. (Dies könnte viiiiiiel länger beschrieben werden, aber... ihr kennt den Rest! J ) „Endlich sind die Lamas da!“ dröhnt er, und seine Stimme ist seiner gewaltigen Gestalt mehr als ebenbürtig. „Ich bin Igur.“ „Ich bin Kaitu.“ stellt sich dieser als erstes höflich vor und streckt dem Wikinger seine Rechte hin. Schweiss tritt auf seine Stirn, als Igur sie packt. Er hat das Gefühl, mit seiner Hand in einen Schraubstock geraten zu sein, dann quetscht er energisch zurück, was ein Grinsen auf das Gesicht seines Gegenübers zaubert. Als Igur seine Hand endlich loslässt, bewegt er probehalber die Finger, um zu überprüfen, ob sie noch alle dran sind. Bildugan und Leon erhalten dieselbe Behandlung, und auch ihr Gesicht verzerrt sich für einige Sekunden vor Schmerz. Dies scheint Yoshi ausreichend gewarnt zu haben, denn er verbeugt sich höflich vor dem Riesen, ohne ihm jedoch die Hand zu geben. „Ich bin Yoshi ben Vihas.“ Ein wohl gutgemeinter Klaps auf die Schulter von Seiten Igur’s lässt ihn in die Knie sinken. Arist versucht, diesen Behandlungen zuvorzukommen und gibt seinerseits dem Wikinger einen heftigen Begrüssungsschlag auf die Schulter, ist aber nicht schnell genug, der „Revanche“ auszuweichen, aber zu seiner Schadenfreude kann er jetzt immerhin beobachten, dass Lyssandro sowohl der Handschlag wie 159 auch das Schulterklopfen von dem zunehmend enthusiastischen Wikinger zuteil werden. „Ach ja, die Lamas.“ meint Igur dann. „Ihr könnt sie gleich hier hinüberbringen. Dann sind sie für die Nacht untergebracht.“ Er geht ihnen einige Schritte voran, um das Gatter zum Stall zu öffnen. Die Lamas folgen ihm willig, doch eines kann es nicht lassen, Arist zum Abschied anzuspucken. Dann zieht es sich mit unschuldiger Miene schleunigst hinter die anderen Lamas zurück. „Bin ich froh, diese Viecher endlich los zu sein." Meint L, lässt aber offen, ob er sich auf den Geruch oder das Spucken bezieht. Zum Glück hat er bereits genügend Abstand zu den Tieren, sonst wäre wohl eine unappetitliche Retourkutsche seitens der Tiere unmittelbar gefolgt. Igur lässt hinter ihnen das Gatter zuknallen und weist dann einladend auf sein Haus hin, dessen Türe noch immer offensteht. „Wollt ihr noch rasch in meine bescheidene Hütte eintreten?“ meint er. „Mein Haus steht euch offen, so lange ihr hierbleiben wollt.“ „Eigentlich wollen wir ja nach Ormanja.“ sagt Arist. „Doch ich bleibe gerne für eine Weile hier.“ „Eigentlich sollten wir doch sofort weiter!“ protestiert Lyssandro, doch jetzt desertiert „seine“ Truppe. „Ich muss noch meinen Kräutervorrat ergänzen!“ sagt er. „Wo ich doch einmal in der Stadt bin.“ Igur, der ihren Dialog amüsiert verfolgt, rät ihm: „Dann geh doch zur alten Lea an die Küste. Sie wird sich freuen, jemanden zum Fachsimpeln zu sehen, und dir gerne etwas von ihren Kräutervorräten abgeben.“ Leon hat unterdessen Lyssandro am Aermel gezupft, „ich muss weg, meditieren“ geflüstert, und ist 160 verschwunden, ohne diesem die Gelegenheit zu geben, dazu irgendetwas zu sagen. Nur Kaitu scheint vernünftiger: „Wir müssen noch für unsere Uebernachtung sorgen!“ erinnert er. „Diese Wirtin, die des „Maultiers“, Isabella, scheint ein guter Vorschlag gewesen zu sein!“ Das Grinsen, das bei diesen Worten auf seinem Gesicht liegt, scheint ihn sofort in Igur’s Achtung zu heben. Arist und Yoshi sind bereits Igur in dessen Haus gefolgt, und als auch Kaitu sich ihnen anschliesst, bleibt auch Lyssandro nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen. Das Hausinnere ist geräumig, offenbar aus einem einzigen Raum bestehend, und schlicht, aber nichtsdestotrotz behaglich eingerichtet. Ein hell loderndes Kaminfeuer erhellt den halbdunklen Raum, der zudem mit einem mächtigen Holztisch und den dazugehörigen Stühlen ausgestattet ist. An einer Wand sind grosse Fässer gestapelt. Igur winkt ihnen zu, sich an den Holztisch zu setzen, während er zu den Fässern eilt und sogleich damit beginnt, ein paar beachtliche Humpen mit einer goldenen Flüssigkeit zu füllen, die er ihnen dann schwungvoll vor die Nase setzt. „Mein bescheidenes selbstgebrautes Bier.“ meint er, doch der Stolz in seiner Stimme widerspricht seinen bescheidenen Worten. „Auf den Lamahandel!“ und er stösst der Reihe nach mit Lyssandro, Kaitu, Bildugan und Yoshi an, der sich abmühen muss, den Humpen halten zu können, ohne dazu zu zittern. Das Bier ist kühl und erfrischend, wenn auch etwas stark, und Igur nimmt ihre Komplimente dazu strahlend entgegen. Eine Weile trinken sie schweigend. „In meiner Heimat haben wir zum Biertrinken immer gespielt.“ unterbricht dann Arist 161 die Stille, ein sentimentaler Klang liegt in seiner Stimme. Igur klopft ihm lachend auf die Schulter. „Jawohl, gespielt.“ dröhnt er. „Und in meiner Heimat haben wir Lieder dazu gesungen, zotige Lieder, versteht sich.“ Ein dröhnendes Lachen erschüttert seinen mächtigen Körper. „Bei uns...“ ergänzt Yoshi, als Igur sich etwas beruhigt hat, „...würde man jetzt tanzen.“ „Ich helfe Dir!“ stellt sich Kaitu hilfreich zur Verfügung, erntet aber nicht mehr als einen skeptischen Blick von diesem. „Kannst Du das denn auch?“ fragt Yoshi nach. „Ich meine, du weißt, wie man Gesellschaftstänze tanzt?“ „Führst Du oder ich?“ versetzt Kaitu trocken, womit er wohl Yoshis respektlose Frage beantwortet hat. Nach einigen Anweisungen, die Yoshi bereitwillig abgibt, wagen die beiden ein Tänzchen, das nicht einmal allzu ungraziös aussieht. Igur hat unterdessen ihre Krüge wiedergefüllt, diesmal aus einem andern Fass. „So, dann wird ich wohl dann besser aufbrechen.“ sagt Bildugan, als ihm das Getränk vor die Nase gesetzt wird. „Wenn ich diese Lea noch aufsuchen will.“ Igur runzelt die Stirn. „Ich glaube nicht, dass Du die Stadt noch verlassen kannst.“ sagt er. „Es sei denn, Du möchtest über die Stadtmauer klettern. Du musst den Besuch wohl besser auf morgen verschieben... „Na schön.“ antwortet Bildugan etwas sauertöpfisch, da er seine Pläne durchkreuzt sieht, und misstrauisch betrachtet er das Getränk in seinem Krug. „Sag mal, Igur, hast Du auch etwas Wein da?“ Diesmal ist der Wikinger sichtlich amüsiert. „Nein, das trinken wir hier nicht. Höchstens die Herren vom Schloss sind es sich gewöhnt, diesen in die durstige Kehle zu 162 schütten.“ „Dafür hast Du hier ausgezeichnetes Met.“ Unterbricht Kaitu, der schon fleissig dabei ist, den Grund seines Kruges zu entdecken. „Nicht wahr?“ freut sich Igur. „Met von dieser Qualität kriegst Du sonst nicht so schnell. Hab mir extra ein paar Fässchen aus dem Norden schicken lassen dafür!“ Er macht sich daran, ein paar Geschichten aus seiner Heimat, dem Norden zum Besten zu geben, und Kaitu zeigt sich als interessierter und aufmerksamer Zuhörer, was ihm schliesslich einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter von Igur einbringt. „Weißt Du..“ meint dieser leutselig, „...du bist ja soweit ganz in Ordnung, auch wenn Du wie eine Frau aussiehst.“ Er grinst in sich hinein, während die andern offen lachen. Kaitu verzieht etwas gequält das Gesicht und ist nicht sicher, ob sich Igur über die Zweifelhaftigkeit seines Komplimentes im klaren ist. Die Stimmung wird schnell noch heiterer, als Yoshi, motiviert wahrscheinlich von der ihm ungewohnten Menge Alkohol, plötzlich fragt: „Lyssandro, bist Du ein Held?“ Vor allem Arist grinst sehr breit über diese Bemerkung. „Naja.“ weicht Lyssandro aus. „Helden lassen im allgemeinen ihre Taten für sich sprechen...“ „Und würdest Du Dich als Held bezeichnen?“ So leicht lässt sich Yoshi nicht abwimmeln. „Naja...“ wiederholt Lyssandro, doch da kommt ihm Arist zu Hilfe. „Helden bei uns in der Gruppe haben es schwer.“ meint er leichthin. „Sie müssen sich anpassen.“ „Und das gefällt Dir nicht?“ wendet sich Yoshi mit grossen Augen an Lyssandro. „Das ist schon in Ordnung.“ antwortet dieser 163 schliesslich und wirft Arist einen Blick zu, nicht sicher, was er von dessen Bemerkung halten soll. „Ich weiss.“ seufzt Yoshi. „Man muss überhaupt immer eine Rolle spielen.“ Obwohl er das sicher aus Erfahrung weiss, klingt es seltsam altklug aus seinem Mund. „Ueberhaupt ischt Tugend das Wichtigste, pardon, Loyalität die gröschte Tugend...“ gibt jetzt Kaitu zum Besten, seine Zunge stolpert dabei, als wäre er betrunken. Mit diesem Einwurf ist aber nicht allzu viel anzufangen, und so fährt Lyssandro nach kurzem Zögern fort: „Auch die Absichten sind es, die einen Helden ausmachen. Gute Absichten, das ist es, was ein Held hat. Ob diese dann auch in gute Taten umgesetzt werden können, die keine schlimmen Folgen nach sich ziehen, das liegt nicht immer im Ermessen des Heldens.“ „Ja, schon, aber...“ wendet Yoshi ein. Sein Bild eines Helden sieht ein wenig anders aus. Da dieser Kommentar aber nicht sehr aussagekräftig ist, platzt er schliesslich heraus: „Kannst Du mich kämpfen lehren, Lyssandro?“ Als Antwort darauf lacht Arist schallend, während Lyssandro ob so unverhohlener Bewunderung in Verlegenheit gerät. „L und kämpfen?“ spöttelt Arist, als er wieder zu Atem kommt. „Da wirst Du eher lernen, wie man ewig diskutiert!“ Selbst Bildugan, der versonnen neben ihnen gesessen hat, rauchend, muss über diese Bemerkung lachen. Die Zeit vergeht wie im Fluge, während weiter fleissig Bier und Met in ihren Krügen schäumen. Schliesslich scheint sich bei Igur zu dessen gewaltigem Durst auch noch der Hunger bemerkbar zu 164 machen, denn er fragt: „Nun, meine Freunde, was würdet ihr von einem kräftigen fetten Lamabraten halten?“ Er erhält einen anerkennenden Schlag, mit voller Wucht geführt von Kaitu, für diesen Vorschlag, aber falls Wikinger dabei etwas spürt, lässt er es sich jedenfalls nicht anmerken. „Ich hoffe jedenfalls...“ scherzt Arist, „...dass es sich hierbei nicht um MEIN Lama handelt.“ Igur wischt sich den Mund, wo sich der Bierschaum in seinem Schnurrbart verfangen hat. „Wieso? Willst Du als Lehrling bei mir einsteigen?“ Das Angebot ist durchaus ernstgemeint. „Würde mir das etwas bringen, besser mit Kaitu umzugehen?“ fragt Arist seelenruhig zurück und weicht einem wohlgezielten Krug Met aus, der in seine Richtung flieht. Kaitu verbeisst einen Fluch. „Mein Met!“ ruft Igur halb erschrocken, halb belustigt, und packt seinen Humpen fester, bevor Kaitu auch diesen als Flugwaffe benutzen kann. Durch seinen Fehlgriff verliert Kaitu seinen Halt und knallt von seinem Hocker, seine Landung ist mehr als etwas ungraziös. Igur steht jetzt auf und hilft ihm auf die Füsse. „Hilft mir jemand, unseren zukünftigen Braten zu schlachten. Für soviele Leute reicht meine alltägliche Verpflegung nicht!“ Kaitu, den die unsanfte Landung zu ernüchtert haben scheint, beginnt, seinen Oberkörper zu entkleiden, wobei einige kunstvolle Tätowierungen zum Vorschein kommen. (Dies könnte man viiiiiel länger beschreiben usw. usf. you know the rest) Tatbereit reibt er sich die Hände. Igur braucht nicht lange, um ein mächtiges Beil zum Vorschein zu bringen. Er verschwindet in den Stall, wo er die Lamas eingehend mustert, bevor er sich für 165 ein Tier entscheidet, das er dann in ein dem Stall angrenzendes Gebäude führt. Sorgfältig bindet er das Tier fest, das sich überraschend friedfertig verhält und nichts von seinem Schicksal zu ahnen scheint. Schliesslich schwingt er das Beil, und zumindest Yoshi wendet die Augen ab, denn es ist nicht jedermanns Sache, einer Schlachtung, die zudem auf ziemlich blutige Art und Weise vorgenommen wird, zuzusehen. Aber er nickt tapfer, als ihm Igur das blutverschmierte Beil mit einem kurzen „Putzen!“ reicht, und macht sich am Brunnen an seine unappetitliche Aufgabe. Allzusehr kann ihn die Sache dann aber doch nicht mitgenommen haben, denn anschliessend fragt er eifrig: „Und? Darf ich auch einmal zuhauen?“ Auch Kaitu kniet neben dem toten Lama. „Wie häutet man das Tier?“ fragt er interessiert, und Igur zeigt ihnen, wie man dabei vorgehen soll. Dann reinigt Yoshi, begierig, etwas Neues zu lernen, das Tier von seinen Gedärmen, was erneut eine im wahrsten Sinne des Wortes eine bluttriefende Angelegenheit ist. Kaitu unterstützt ihn, achtet aber sorgfältig darauf, dass kein Blut an seine Hosen gerät. Dennoch lassen sich ein paar Spritzer auf seiner Hose nicht vermeiden. Während Kaitu und Yoshi also Igur unterstützen, ihren Braten zuzubereiten, erinnert Arist Lyssandro noch einmal an die Feder, die sie bei sich tragen: „Wir sollten darüber abstimmen, wann und ob wir die Feder benutzen wollen! Ich denke, das beste wäre morgen, wenn wir alle ausgeschlafen sind!“ Lyssandro nickt zustimmend. „Ich werde sie bis morgen sicher verwahren.“ „Ich glaube nicht, dass Kaitu böse ist...“ meint Bildugan nachdenklich, der 166 ihnen zugehört hat. „Aber das Messer... ich weiss nicht...“ Aber das ist nicht etwas, das die beiden andern jetzt diskutieren wollen. Zudem haben Kaitu und Yoshi gerade ihre Arbeit beendet und waschen sich unter Prusten und Aechzen das Blut von den Händen und vom Körper. „He, Igur! Hast Du eine Drahtbürste?“ fragt Kaitu mit einem wehleidigen Tonfall in der Stimme. „Meine Hose hat etwas abgekriegt!“ Igur besitzt tatsächlich eine, obwohl er sie wohl kaum dazu benutzt, seine Kleider sauberzubürsten. Nachdem Igur dem Tier ein Stück Braten heruntergeschnitten hat, dass wohl ausreichen würde, eine ganze Legion zu ernähren, begeben sie sich zurück ins Haus, froh, der abendlichen Kühle zu entrinnen. Hier zeigt Yoshi sein wahres Talent bei der Fleischzubereitung. Er übernimmt sofort das Zepter in Igurs Küche und fügt ihm einige Kräuter hinzu, wobei er sich bei dem Wikinger darüber beklagt, dass kein radix orcus foetissimus vorhanden sei, was den ganzen Braten verderben könne. Daneben erkundigt er sich, ob man den Lamakopf essen könne, das Herz, die Gedärme und so weiter, und Igur nickt jedesmal. Bald schon dreht sich ein gewaltiger Spiess mit dem so vorbereiteten Braten über einem kleinen Feuer, sorgfältig bewacht von Yoshi. Eine willkommene Gelegenheit für Igur, lauthals zu verkünden, dass die Vorfreude auf eine kräftige Mahlzeit unheimlichen Durst in ihm auslöse und dass er gezwungen sei, sowohl seine eigenen als auch die Krüge seiner Gäste nochmals zu füllen! Er ist gerade damit beschäftigt, als eine Welle kühle Luft von der Tür her ihn aufblicken lässt. Es ist Leon, der von seiner nur Lyssandro bekannten 167 Unternehmung zurückgekehrt ist. Er reibt sich für einen Augenblick die Hände, um sie zu wärmen, und neigt dann grüssend den Kopf, während seine Augen die Szene vor ihm überfliegen. „Immer her mit Dir!“ brüllt Igur und macht und breitet seine Arme aus. „Da scheine ich einen guten Riecher gehabt zu haben.“ meint Leon leichthin. „Wie mir scheint, liegt der Duft nach Braten in der Luft. Ich komme wohl gerade rechtzeitig zum Essen!“ Er setzt sich zu den andern an den Tisch. Tatsächlich ist er hungrig. Er hat die Stadt, kaum dass er sie betreten hat, gleich wieder verlassen, ohne daran zu denken, etwas Essbares mitzunehmen. Was vielleicht auch besser so war, denn Leon wollte, wie er Lyssandro angekündigt hatte, einen ruhigen Ort für sich suchen, an dem er seinen aufgewühlten Geist beruhigen, meditieren und mit seinem Meister in Kontakt treten konnte. Er hat diesen Ort auch gefunden, in der Form eines kleinen Olivenhains, wo er sich hingesetzt hat unter einen dieser uralten, knorrigen, dunklen Bäume, nur beobachtet von einem misstrauischen Bauern, der nicht recht wusste, was er von Leons seltsamen Verhalten halten solle. Seine Gedanken sind beherrscht von einem Gedanken: Dem an Cynris Tod, und wer dafür verantwortlich sein könnte. Er hat inbrünstig gehofft, dass sein Meister ihm in dieser Hinsicht etwas erzählen würde... Doch obwohl er sehr schnell seine Umgebung, die Olivenbäume samt dem knurrigen Bauern und seinen hungrigen Magen vergisst, ist es ihm nicht recht gelungen, eine eigentliche Antwort auf seine drängendsten Fragen zu erhalten. Ist dies, weil er – trotz all seiner Bemühungen – viel zu aufgewühlt ist? Oder weil es ihm nicht gelingt, seinen 168 Meister zu erreichen? Schliesslich hat Leon die Sinnlosigkeit seines Vorhabens erkannt und aufgegeben, für den Moment jedenfalls. Er wird später wieder versuchen, von seinem Meister Rat zu erhalten. Erst jetzt bemerkt Leon, dass Lyssandro, der zu seiner Rechten sitzt, ihn fragend anschaut. Er zwingt sich ein rasches Lächeln ab und erzählt in kurzen Worten, was er diesen Abend erlebt hat. Arist, von der anderen Seite des Tisches her, mischt sich in ihre leise Unterhaltung ein. „Jetzt, da wir alle endlich wieder vollzählig versammelt sind, können wir auch überlegen, wie lange wir denn eigentlich hier in Calos bleiben wollen. Wir müssen uns wirklich für eine Weile ausruhen! Ich halte drei Tage für angebracht.“ „Ja, ich denke, wir bleiben hier für drei Tage.“ Lyssandro ist ganz Arists Ansicht. „Gut.“ versetzt dieser mit funkelnden Augen. „Dann können wir ja jetzt auch darüber entscheiden, wann wir mein kleines Artefakt, die Feder, einsetzen wollen.“ „Jetzt.“ meint Lyssandro und vergewissert sich, dass Kaitu noch immer mit dem Reinigen seiner Hose beschäftigt ist und ihnen nicht zuhören kann. Und zwar will ich nur wissen, ob der Mörder sich noch in unserer Gegenwart aufhält.“ Unbewusst wandert sein Blick noch einmal in Richtung Kaitu. „Vielleicht waren es ja auch böse Trolle!“ mischt sich Yoshi ein, der seinen Braten für einen Augenblick unbewacht lässt. Seine Stimme klingt aufgebracht. "„Wenn ihr wirklich denkt, dass Kaitu euren Freund ermordert habt, dann überlegt lieber, wie ihr diese extreme Anschuldigung rechtfertigen wollt!“ 169 Glücklicherweise ist er nicht zu aufgeregt, seine Stimme so gedämpft zu halten, dass Kaitu ihn nicht hören kann. „Du meinst kleine Arists?“ wirft Arist leichthin ein, um den aufgeregten Jungen zu besänftigen, jedoch ohne Erfolg. Yoshi wendet sich sogleich an Leon. „Und wo hast Du eigentlich die ganze Zeit gesteckt?“ fragt er. „Sich einfach so davonzustehlen!“ Leon blickt ihn irritiert an, macht sich aber dann doch die Mühe, sein Verhalten zu erklären: „Ich brauchte dringend noch ein bisschen frische Luft. Um meine Gedanken zu orden.“ „Um deine Gedanken zu ordnen!“ äfft ihn Yoshi nach. „Konntest Du denn das nicht auch hier tun?“ Er ist jetzt wirklich in Fahrt! Was die andern von Kaitu denken, scheint ihm am Herzen zu liegen. Seine Inbrunst beschämt Lyssandro etwas. Tatsächlich scheinen seine unguten Gefühle gegen Kaitu rational nicht begründbar, sondern rein persönlich motiviert... Zudem gefällt es ihm, wie der junge Mann vor ihm seinen Freund verteidigt. Im Gegensatz zu Arist gelingt es jetzt Igur, die Stimmung etwas zu lockern. „Die Gedanken ordnen ist eine gute Tätigkeit für einen jungen Mann.¨ und begleitet seine Rede mit einem schwungvollen Hieb auf Leons Schulter. „Das tun wir in unserer Heimat auch immer. Aber es lohnt sich jedenfalls nicht, sich von seinen Gedanken traurig machen zu lassen!“ Er sieht Leon forschend an, welcher darauf ein breites Grinsen auf sein Gesicht zaubert. Igur ist augenscheinlich zufrieden gestellt und macht sich daran, auch Leon einen Humpen Bier zu bringen. „Ich bin dagegen, dass wir den Artefakt schon jetzt benutzen.“ nimmt jetzt Arist den fallengelassenen Faden wieder auf. Jetzt wird 170 Lyssandro aufmerksam. Vorher hat Arist die ganze Zeit auf die Benützung des Artefakts gedrängt, und jetzt will er sie auf einmal aufschieben. Er wirft diesem einen forschenden Blick zu. „Nun mal raus mit der Sprache, Arist!“ sagt er. „Was spricht dagegen, dass wir den Artefakt schon jetzt...“ Er verstummt, als er einen warnenden Blick von Arist auffängt, doch zu spät. Die Stimme Kaitus in seinem Rücken – er hat ihn nicht näherkommen hören – meint anklagend: „Ihr diskutiert also, WANN der Artefakt benützt werden soll? Ich dachte, es wäre noch nicht einmal entschieden, OB dies der Fall sein wird!?!“ Das Schweigen, das seiner Frage folgt, ist beredt genug. Finster zieht Kaitu die Brauen zusammen. Yoshi zieht sich schleunigst zu seinem Braten zurück. Lyssandro sieht ein, dass es keinen Wert hat, ihre Unterredung länger vor Kaitu zu verbergen. „Ja, was ist mit dem Artefakt?“ wiederholt er. „Arist scheint auf einmal einen Widerstand dagegen zu entwickeln, ihn zu benutzen! Du denkst also, dass es jemand von unserer Gruppe war.“ Arists Augen blicken so finster wie die Kaitus. „Sogar ich könnte es gewesen sein.“ Es ist leichthin hingeworfen, soll aber davon ablenken, dass Arist tatsächlich Bedenken hat, die Feder zu benutzen. Er ist sich über die Fähigkeiten dieses Gegenstandes nicht recht bewusst, da er ihn sich auf nicht ganz alltägliche ( und ehrliche ) Art und Weise beschafft hat. Vielleicht ist die Feder magisch, vielleicht auch nicht, vielleicht entfesselt man mit ihrer Benutzung Mächte, mit denen man nicht gerechnet hat... Er gedenkt die Feder sowieso auf eine andere Art und Weise zu nutzen. Sollte jemand sie aus Lyssandros Besitz 171 entfernen, dann hat jemand aus ihrer Mitte reichlich Grund, den Artefakt zu fürchten... Wieder entsteht eine seltsame Stille. „Wisst ihr...“ verkündet Leon...“ich fühle mich so schuldig wegen Cynris Tod. Ich hatte damals die Wache übernommen... Ich muss eingeschlafen sein...“ Hat ihn das Gedankenordnen nicht sentimental gemacht, dem Met ist es gelungen. Igur klopft ihm tröstend auf die Schultern, was Leon aber die Tränen in die Augen treibt, wenn auch aus andern Gründen als Igur vermutet. „Am besten ist es, wir schlafen noch einmal darüber.“ beschliesst Lyssandro. Er ist es leid, das Thema weiter zu diskutieren. Arist hat schlussendlich seinen Willen, was die Benutzung der Feder betrifft, bekommen. Endlich, als ihre Mägen aufgrund des verheissungsvollen Geruchs, der in der Luft liegt, schon zu knurren beginnen, verkündigt Yoshi mit verheissungsvollem Gesicht, dass der Braten jetzt „gerade gut durch“ sei. Es herrscht ehrfürchtiges, jedoch beredtes Schweigen, als sich alle hungrig darüber hermachen, die Stille wird nur ab und zu durch ein „Hmm, ausgezeichnet!“, „Köstlich“ oder „Schneid mir noch mal ein, zwei Happen von dem Braten runter!“ unterbrochen. Schliesslich, als alle sich zufrieden zurücklehnen und mehr oder weniger verstohlen den Hosenbund lockern, und Igur den letzten Happen Fleisch in seinem Mund verschwinden lässt, meint er mit einem anerkennenden Klaps auf Yoshis Schulter: „Gut gemacht, Bub! Ich könnte dich direkt als meinen 172 Leib-Lama-Koch einstellen.“, und auch die andern zollen vor allem der ausgezeichneten Würze des Fleisches ihre Anerkennung. Yoshi sonnt sich in der allgemeinen Bewunderung, an der nur Kaitu nicht teilnimmt, da er inzwischen vollkommen betrunken sein muss. „Der Raum... schwankt die ganze Zeit.“ beklagt er sich weinerlich. „Muss wohl... krank sein.“ Er macht Anstalten, aufzustehen. „Muss mehr Met holen... ausgezeichnete Medizin gegen Schwindel...“ Niemand beachtet ihn vorerst, denn Igur hat gerade begonnen, ein, zwei Geschichtchen aus seiner Heimat zu erzählen, die nicht weniger zotig sind als seine Lieder. „Thorhammer“ ist eines der Worte, das jedenfalls ziemlich häufig fällt... Auch Lyssandro hört den amüsanten Geschichten Igurs zu, doch seine Gedanken beginnen nach und nach abzuschweifen, und sein Blick wandert. Er hat von all den Anwesenden wohl weitaus am wenigsten getrunken – nicht ohne Bedauern, denn die Qualität von Igurs Met lässt nichts zu wünschen übrig – Und er ist wohl der erste, der bemerkt, dass Kaitu vielleicht nicht so betrunken ist, wie er vorgibt zu sein, auch wenn er gerade wieder eine hervorragende Vorstellung abliefert. Taumelnd ist er von seinem Sessel aufgestanden, verlangt mit gebieterischer Stimme zu wissen, wo er denn pinkeln könne – dringender Fall! – bevor seine Knie unter ihm und er unsanft gegen einen Stützpfosten knallt. Er gibt würgende Geräusche von sich. Arist steht jetzt auf, um wie Kaitu die Toilette aufzusuchen. Nur Yoshi ist in der letzten Zeit immer 173 stiller geworden. Er stützt seinen Kopf auf, und ab und zu rutschen seine Lider, und es gelingt ihm nur noch mit Mühe, sich aufrecht zu halten. Der Junge hat tapfer mindestens 1 ½ Liter von Igurs starken Gebräu intus, eine Menge, die selbst den Erwachsenen zu schaffen machen würde, zudem ist er eine solche Menge Alkohol nicht gewöhnt. Es ist eine Frage der Zeit, bis er mit dem Kopf unsanft auf die Tischplatte knallen wird. Leon ist es, der sich schliesslich seiner erbarmt. Spielerisch stupst er Yoshi an, um dann zu verkünden: „Ziemlich hinüber.“ Kaitu hat sich unterdessen erholt und ist mit blassem Gesicht an den Tisch zurückgekehrt. Oder hat er nur die Schauspielerei aufgegeben? „Wir sollten vielleicht besser aufbrechen, wenn wir bei Isabella noch ein Quartier finden wollen. Was meint ihr?“ Lyssandro nickt zustimmend, ebenso die andern, nur Igur, beflügelt vom Met, zieht ein trauriges Gesicht. Viel hätte nicht gefehlt, und die Tränen wären über seine Wangen gekullert. „Was, ihr wollt schon gehen?“ fragt er ungläubig. „Aber das geht doch nicht.. Die gute Isabelle wird euch schon noch einlassen... Ja, Isabella...“ Seine Stimme verstummt. Wahrscheinlich ist Isabella fähig, sogar ihn das fürchten zu lehren, denn er erhebt plötzlich keine weiteren Einwände mehr, sondern verabschiedet sich brüderlich von ihnen und hilft sogar Leon, den betrunkenen Yoshi auf die Füsse zu zerren. „Mein Haus ist euer Haus, das wisst ihr!“ ruft er ihnen nach, als Leon, Lyssandro, Yoshi, Kaitu, Arist und Bildugan endlich vor seiner Türe stehen, und er winkt ihnen nach, als sie – langsam und mehrheitlich schwankend – die Gasse zurück zum Hauptplatz gehen, 174 begleitet vom unmelodiösen Gesang von Yoshi und Kaitu, die zeitgleich falsch und inbrünstig zwei unterschiedliche Melodien intonieren. Auch Lyssandros energisches „Pssst!“ bringt sie nicht zur Ruhe. Auch Arist ist ihm keine Hilfe. Schwer lehnt er sich gegen Lyssandro und ruft, ebenfalls ziemlich lautstark: „Lass uns jetzt die Feder schreiben lassen, wer Cynris‘ Mörder ist!“ „Nein!“ versucht ihn Lyssandro gereizt zum Schweigen zu bringen. „Ich will bloss wissen, ob der Mörder noch unter uns ist, wie schon tausend mal gesagt!“ Dies wird verhindern, dass Leon sich verpflichtet fühlt, sich an dem Mörder zu rächen, der inzwischen längst über alle Berge sein kann, fügt er gedanklich hinzu. „Naja, so ein Artefakt...ganz schön gefährliche Sache!“ sagt Arist, dicht neben seinem Ohr, dann steht er wieder von alleine. Lyssandro ist sich über den Grad seiner Trunkenheit nicht ganz sicher... Sie brauchen nicht lange nach dem „Hüpfenden Maultier“ zu suchen. Auf dem Marktplatz gibt es nur ein Haus, dessen Fenster noch immer hell erleuchtet sind, und aus dem Gelächter und das Geklirre von Gläsern zu hören ist. Sieht das Haus von aussen schon sehr einladend aus, mit seinen dunklen Balken, den weissverputzten Wänden und dem goldenen Wirtschschild, innen ist es noch einladender. Den Eintretenden erwartet ein heller Raum mit weissgetünchten Wänden, in dem runde Holztische kunterbunt verteilt sind, und ein offenes Kaminfeuer spendet dem Rastsuchenden freundliche Wärme. Dass das Wirtshaus gefüllt ist mit Leuten mit lachenden 175 Gesichtern und roten Nasen, ist ein sicheres Zeichen dafür, dass es hier in der Regel feuchtfröhlich zugeht und dass gute Getränke ausgeschenkt werden. Es ist ein buntes Wirrwarr an Leuten, das sich den Blicken unserer Gefährten bietet. An zwei, drei Tischen scheint es sich die städtische Nachtpatrouille bequem gemacht zu haben. Sie sind –trotz des schon fortgeschrittenen Abends – noch ziemlich nüchtern und wirken recht bedrohlich in ihren gelben, weit geschnittenen Hosen, zu denen sie nun, nachts, ein schweres Kettenhemd tragen. In ihren Ledergürteln staken metallisch schimmernde Dolche, ihre Hellebarden sind nicht weit von ihnen an die Wand gelehnt. (Irgendwann werde ich das ganze WIRKLICH ausführlich beschreiben, OH YES!) Die Gruppe Bauern, die sich ebenfalls im „Hüpfenden Maultier“ eingefunden hat, hält jedenfalls gebührend Abstand von Ihnen, während sie heissblütig irgendeine Sache diskutieren, vielleicht die sinkenden Kartoffelpreise, vielleicht eine Rebellion... Weiter haben sich drei Edelleute hier eingefunden, und edel sind sie, ihren prächtigen, reichverzierten, fellgeschmückten Kleidern nach zu urteilen, und der gelangweilten, überheblichen Miene, die sie zeigen, so, als wären sie über das sonstige gewöhnliche Wirtshauspack erhaben. Zu ihrer Selbstsicherheit dürfte die Tatsache beigetragen, dass sie einen bewaffneten Begleittrupp, in voller Rüstung, bei sich führten, mit denen nicht gut Kirschen essen zu sein schien. Es gab einen Tisch mit einigen Handwerkern und ein zwei 176 Lehrlingen, die ihre Sache besonders gut gemacht hatten und ihren Meister nach Feierabend noch ins Gasthaus hatten begleiten dürfen. Ein junges Mädchen wuselt flink zwischen den Tischen herum. Sie ist etwa in Yoshis Alter, und die Uebung, mit der sie Berge von Tellern und Gläser zugleich mit sich herumschleppt und etwaigen tatschenden Händen ausweicht, beweist, dass sie wohlgeübt als Kellnerin ist. Bei ihrem Anblick erhellt sich Yoshis Gesicht, und er lallt etwas undeutliches. Eine Frau steht hinter dem Tresen und zapft Bier, und obwohl sie sich keinenfalls auffällig verhält, dominiert sie auf ihre Art und Weise diesen Raum, so dass sie sofort die Blicke der Neuankömmlinge auf sich zieht. Sie ist eine grosse, mütterlich wirkende Frau, einzelne silberne Strähnen in ihrem prächtigen dunklen Haar verraten ihre Jahre, aber ihr Gesicht ist apart, und das Funkeln in ihren lebhaften Augen macht sie zu einer Schönheit. Sie ist unverkennbar Isabelle, die Wirtin des Maultiers, von der alle so geschwärmt haben. Isabelle hat die Ankömmlinge bemerkt, unterbricht ihre Arbeit und blickt ihnen lächelnd entgegen: „Hallo, Reisende!“ begrüsst sie sie freundlich, ihre Stimme ist dunkel und warm und passt zu ihrer Erscheinung. „Womit kann ich dienen?“ „Hallo!“ grüsst Yoshi zurück und hätte wohl noch mehr gesagt, wäre er nicht von einem Schluckauf unterbrochen worden. Ein leicht tadelnder Blick schleicht sich in die Augen der Wirtin, als sie Lyssandro fragt: „Ist das Dein Sohn?“ „Nein!“ ruft dieser entsetzt, um dann etwas gemässigter zu 177 wiederholen: „Nein. Nur jemand, der sich schleunigst schlafen legen sollte.“ „Ihr habt ihm Met gegeben?“ fragt Isabelle mit hochgezogener Augenbraue. Irgendwie konnte man sich in ihrer Gegenwart schon wie ein Schuljunge vorkommen... „Gnädige Frau!“ unterbricht jetzt Kaitu mit ausgesuchter Höflichkeit. „Wir sind auf ihre Hilfe angewiesen. Wenn sie vielleicht ein paar Zimmer frei hätten für uns...“ Isabelle wirkt besänftigt. „Ich habe leider nur noch wenige Zimmer frei.“ meint sie. „Doch mit drei Zweierzimmern könnte ich den Herren wohl dienen!“ Yoshi schaut unterdessen mehr als fasziniert in ihr Mieder. Falls sie es bemerkt, verzieht sie jedenfalls keine Miene. Leon zerrt ihn schliesslich weg, als die Sache allzu indiskret wird. Er schüttelt ihn, um ihn zur Vernunft zu bringen, was Yoshi aber unbeeindruckt lässt. „Wie heisst das Mädchen?“ fragt er und weist mit dem Finger auf die Kellnerin, die flink zwischen den Tischen herumhuscht. „Das ist Sandrine.“ antwortet Isabelle bereitwillig. „Ein Findelkind, das mir hier hilft, wenn mir die Arbeit über den Kopf wächst. Nehmen sie die Zimmer?“ Mit einem Kopfnicken erklärt sich Kaitu, nachdem er sich fragend nach den andern umgesehen hat, einverstanden. Yoshi, von keinem Mieder mehr abgelenkt, scheint unterdessen im Stehen halb einzuschlafen, als sich Isabelle seiner erbarmt. „Sandrine!“ ruft sie. „Zeig den Herren hier doch rasch ihre Zimmer!“ Dann beweist Isabelle ihre Geschäftstüchtigkeit, indem sie auf Vorausbezahlung für die Uebernachtung besteht, die aus 10 Kräutern pro Nacht und pro Zimmer 178 besteht, ein moderater Preis, falls die Zimmer das hielten, was der Schankraum versprach. Kaitu bezahlt ihr den geforderten Preis. Unterdessen steht Sandrine wartend neben ihrer Chefin, sie wirft scheu ein paar unverkennbar anhimmelnde Blicke auf Yoshi, der sie seinerseits anstrahlt. Leichte Röte breitet sich daraufhin auf ihren Wangen aus. Leon macht Anstalten, Yoshi erneut zu stützen, um mit ihm so Sandrine zu ihren Zimmern zu folgen, doch Yoshi reisst sich energisch los. Vermutlich hält er es für unwürdig, vor den Augen Sandrines, von der er sichtlich beeindruckt ist, gestützt zu werden. Leon lässt ihm seinen Willen, und so stolpert er los, wobei ihn seine schwankenden Füsse überraschend weit tragen. Aber nicht weit genug. In der zweiten Hälfte des Raumes schwankt Yoshi plötzlich, stolpert über seine eigenen Füsse und fällt gegen einen der Zecher. Dieser hat gerade einen Krug Bier zum Mund führen wollen. Durch Yoshis Stoss ergiesst sich dieses aber sowohl auf den Tisch als auch die Hose des Schmieds, und der Mann muss sich auf die Lippen gebissen haben, denn als er sich wütend herumwirft, sich zu seiner vollen Grösse von annähernd zwei Metern aufrichtet und Yoshi grob packt, verleiht ihm das Blut, das von seinem Kinn tropft, ein kriegerisches Aussehen. Das Gelächter seiner Freunde am Tisch mag nicht dazu beigetragen haben, ihn zu beruhigen. Er schüttelt Yoshi wie eine Ratte, so dass dessen Zähne klackend aufeinanderschlagen. „Na, lass mal gut sein, Egon!“ ruft einer seiner Zechkumpane, doch der mit „Egon“ angesprochene hört nicht auf ihn. Kaitu, versucht, der Sache ein Ende zu machen, bevor eine wirkliche 179 Schlägerei ausbricht, ruft: „He, Isabelle, bring Egon hier noch ein Bier auf unsere Kosten, zur Entschuldigung.“ Doch auch seine Geste hat nicht die gewünschte Wirkung, denn der Schmied verstärkt nur seinen Griff um Yoshis Kragen. Sein Gesicht ist rot vor Zorn, und er hebt seine mächtige Faust, um diesem gebührend Ausdruck zu geben. Zwei Leute fallen ihm in den Arm, Kaitu und einer der Gäste des Wirtshauses. So plötzlich, wie er aufgeflackert ist, scheint sich der Zorn des Mannes zu legen, denn nach ein, zwei tiefen Schnaufern lässt er den Arm wieder sinken, und sein Griff um Yoshis Hals lockert sich, was diesem die Gelegenheit gibt, ein atemloses „Verzeiht, mein Herr!“ hervorzubringen. Der Schmied wischt sich mit dem Handrücken das Blut vom Kinn. „Lasst ihn.“ sagt der fremde Gast mit ruhiger Stimme. Er ist sitzen geblieben, und es ist wohl niemandem aufgefallen, dass er mit dem Daumen den dunklen Griff einer Waffe etwas verschoben hat. Er ist grossgewachsen, nur etwas kleiner als der wütende Schmied, trägt eine schwarze Hose mit Falten und eine gleichfarbige Jacke mit weiten Aermeln. Seine Haare sind zu einer kunstvollen Samuraj-Frisur geschnitten. Ob es nun die Worte des Gastes sind oder nicht, jedenfalls lässt der Schmied jetzt Yoshi endgültig los, ohne auf das gemurmelte „Feigling“ vom ewig provokativen Arist zu achten. Als Isabelle, die bereits wartend hinter ihnen gestanden hat, einen Krug ihres allerbesten Biers, wie sie versichert, bringt, scheint er schon wieder ganz gelassen. Als Kaitou dieses und noch ein weiteres Bier für den Schmied im voraus bezahlt, grinst dieser schon wieder, 180 verzieht dann aber schmerzhaft sein Gesicht, in dem seine Oberlippe schon ziemlich aufgeschwollen ist. Die zuvor geladene Atmosphäre entspannt sich sichtlich, nach und nach setzen auch die Gespräche an den Nebentischen wieder ein. Isabelle und L atmen zeitgleich erleichtert auf, und Kaitu klopft dem Schmied zum Abschied vertraulich auf die Schulter. „Na, nichts für ungut!“ meint er. „Wir waren ja auch mal jung!“ Dann zieht er sich mit dem Fremden, der er immer wieder interessiert gemustert hat, an einen frei gewordenen Tisch zurück. Lyssandro überlegt, ob er sich neben sie setzen soll, entscheidet sich dann aber dagegen. Zuerst muss erst einmal Yoshi ins Bett gebracht werden, bevor er noch mehr Unheil anrichten kann! Sandrine scheint diese Aufgabe zwar willig übernommen zu haben, doch vielleicht ist es besser, trotzdem nach dem Rechten zu sehen... Leon, Arist, und Bildugan schliesslich scheinen des Feierns, oder zumindest des Trinkens, noch nicht müde, denn sie setzen sich an einen der wenigen noch freien Tische und lassen sich von Isabella ebenfalls eines ihres „besten Bieres“ bringen. Bildugan, der seine Zurückhaltung, wohl aufgrund des Alkohols, mehr und mehr verloren hat, hält, wie er ziemlich grosspurig verkündet, Ausschau nach Frauen, muss aber zu seinem Leidwesen erkennen, dass ausser Isabella selbst keine mehr anwesend ist, was in Anbetracht der Uhrzeit ja auch nicht weiter verwunderlich ist. Zu seinem Glück scheint Isabella lebhaftes Interesse an ihnen gefunden zu haben, denn sie setzt sich, wenn die Zeit es ihr erlaubt, immer 181 wieder an ihren Tisch, so dass Bildugan wenigstens einigermassen auf seine Kosten kommt. Kaitu und der Fremde sind sehr schnell in eine persönliche Unterhaltung vertieft und schenken ihrer Umgebung keine Beachtung mehr. Der Fremde stellt sich Kaitu mit dem Namen Tsurajuki Takeshi vor, eine Höflichkeit, die Kaitu sofort erwidert. Dann verbeugen sie sich formell voreinander, was Kaitu nochmals Gelegenheit gibt, sein Gegenüber genau ins Auge zu fassen. Augenfällig ist vor allem das Schwert, dass dieser an seiner rechten Seite trägt, und Kaitu verbeugt sich auch vor diesem noch einmal, bevor er ehrerbietig fragt: „Darf ich Dein Schwert einmal genauer ansehen?“ Der Fremde zögert vielleicht einen Augenblick, dann sieht er Kaitus ernstes Gesicht, und er tut ihm den Gefallen und reicht ihm das Schwert. Kaitu dreht und wendet es ehrfürchtig und betrachtet dessen Signet, bevor er es seinem Besitzer zurückreicht. „Bist Du ein Rococcen?“ fragt er dann, während seine Augen interessiert aufblitzen. „Der Schnitt deines Gesichtes verrät, dass Du aus dieser Gegend stammen könntest.“ Der Fremde schüttelt den Kopf und blickt fragend, so dass Kaitu erklärend hinzufügt: „Ich suche nach einem Land mit diesem Namen, von dem ich weiss, dass es irgendwo existieren muss, auch wenn ich von dieser Existenz nur geträumt habe. Es hätte ja sein können, dass deine Heimat diesem benachbart ist. Hast Du übrigens schon einmal von meiner Heimat, Mekk, gehört?“ Und ihre Unterhaltung wendet sich anderen Dingen zu. 182 Auch wenn der Fremde im Bezug auf Rococco Kaitu enttäuschen musste, hört dieser doch interessiert zu, was dieser über seine Heimat zu erzählen weiss. So erfährt er auch, nach und nach, dass sein Gegenüber keinem Kaiser dient, sondern ein Schwertschüler auf Wanderschaft ist und sich in Askese übt. Sandrine hat es unterdessen geschafft, Yoshi in eines ihrer Zimmer zu bringen. Ein verzücktes Grinsen liegt auf dessen Gesicht, und er stützt sich mehr auf das Mädchen, als es eigentlich notwendig wäre. Es scheint Sandrine nichts auszumachen. Wahrscheinlich ist Yoshi für sie der Inbegriff ihrer Träume; ein fahrender Ritter, der sie aus ihrer Rolle als Schankmagd befreit. Doch sie ist erfahren genug, diese Träume für das zu nehmen was sie sind, und verneint lachend, als Yoshi sie fragt, ob sie ihm noch eine Weile Gesellschaft leisten wolle. Seine Zunge stolpert noch immer. „Isabelle und viele durstige Kehlen warten auf mich!“ meint sie, winkt Yoshi zu und geht nach unten. Sekunden später ist Yoshi bereits eingeschlafen und schnarcht vernehmlich. Später erkundigt sich Lyssandro unterdessen bei Isabelle, ob das Wirtshaus nachts sicher verschlossen wird. „Nein!“ meint sie. „Der Hinterausgang bleibt auch nachts offen, für den Fall eines Feuers oder ähnliches.“ Lachend fügt sie hinzu: „Das wissen nur die Leute hier aus der Gegend. Und von denen würde keiner wagen, bei mir etwas zu stehlen. Er würde sich den Zorn aller hier zuziehen!“ Nachdem sich Lyssandro diesbezüglich erkundigt hat, geht er nach oben, um noch einmal nach Yoshi zu 183 sehen und findet diesen selig schlafend vor. Da er jetzt selber rechtschaffen müde ist, zieht er sich ebenfalls in sein Zimmer zurück, in dem Leon seine Sachen schon ausgepackt hat. Er findet diesen auf dem Bett sitzend, in einer sehr nachdenklichen Stimmung. „Einen Penny für Deine Gedanken.“ meint er halb ernst- halb scherzhaft, und er erhält ein kurzes Lächeln Leons zurück. „Ich habe gerade den ganzen Nachmittag damit verbracht, meine Gedanken zu ordnen.“ meint dieser. „Aber noch bin ich mir selber immer noch nicht ganz im Klaren, wie ich mich verhalten soll.“ Er ist aufgestanden und blickt zum kleinen Fenster ihres Zimmers hinaus. Er wendet Lyssandro den Rücken zu, als er weiterspricht. „Cynris‘ Tod, verstehst Du? Er hat mir doch das Leben gerettet! Ich war unsicher, ob ich verpflichtet bin, seinen Tod zu rächen.“ Er wirft sich herum. „Natürlich wüsste ich, was ich tun würde, stünde der Mörder jetzt hier vor mir. Aber soviel hat mein Meister mir immerhin mitgeteilt: Die Rache für Cynris ist der Mission unterzuordnen.“ Es ist ein kaltes Licht in seinen Augen, das keinen Zweifel an seinen Worten aufkommen lässt. Leon dreht sich wieder zum Fenster hin, aber es ist zweifelhaft, ob er irgendetwas sieht. „Aber wir kennen den Mörder nicht, und wir haben eine Mission zu erfüllen. In eurer Abwesenheit habe ich meinen Meister befragt, ob ich die Rache für Cynris Tod unserer Mission unterordnen kann. Ich glaube, der Meister hat ja gesagt, aber seine Präsenz war nicht deutlich zu spüren. Nur... über den Mörder hat er nichts, gar nichts verlauten lassen.“ Er setzt sich aufs Bett, wie Lyssandro das getan hat. "„Der Gedanke, dass sich der Mörder 184 vielleicht unerkannt unter uns befindet, beschäftigt mich von Tag zu Tag mehr.“ Lyssandro blickt nachdenklich. Ihm geht es nicht anders. Und da ist ja noch der Dolch, der ihn jetzt gar in seinen Träumen heimsucht. Unwillkürlich seufzt Lyssandro. Warum geraten eigentlich immer sie in einen solchen Schlamassel? Leon redet weiter, und es klingt, als würde er eher seine Gedanken ordnen als wirklich mit Lyssandro reden: „Einer unserer alten Begleiter kommt – meiner Ansicht nach – als Täter nicht in Frage. Er hätte früher Gelegenheit gehabt, Cynris zu töten, auf unauffälligere Weise.“ Leons Stimme wird leiser, und er senkt den Kopf. „Warum sollte auch jemand von ihnen Cynris töten? Es ergibt einfach keinen Sinn.“ „Yoshi halte ich zu jung für einen Mord.“ Wirft Lyssandro ein, froh, mit jemanden seine Gedanken teilen zu können, und Leon nickt zustimmend. „Auf Kaitu hingegen würde ich nicht wetten.“ „Ja.“ fügt Leon hinzu. „Er war mir von Anfang an nicht ganz geheuer. Und da ist da noch sein Artefakt, der Dolch, den er überall mit sich trägt und im Schlaf noch zu bewachen scheint...“ „Er ist eine Gefahr, die ganz und gar unnötig wäre.“ pflichtet L ihm bei. Plötzlich ist ihm kalt. „Er kommt mir vor wie ein Magnet des Bösen.“ Leon denkt pragmatischer. „Gibt es einen Weg, einen solchen Artefakt zu vernichten?“ L blickt nachdenklich, als versuche er, sich an etwas zu erinnern. „Es gibt Rituale, die, wenn sie exakt ausgeführt werden... aber es darf nichts dabei schiefgehen, wenn man diese anwendet! Magie kann sich immer auch gegen den selbst richten, der sie auszuüben versucht, vor allem, wenn er dies mit 185 unerfahrenen Händen macht...“ Leon schaut ihn gespannt an. „Hast Du so etwas schon einmal gemacht?“ „Nein.“ meint Lyssandro. „Aber bei meinem Lehrmeister habe ich so etwas schon beobachtet. Bei IHM sah alles sehr einfach aus...“ Leons Gedanken wandern zurück zu Yoshi, und er bemüht sich, dem Gespräch eine weniger ernste Wendung zu geben. „Was hältst Du davon, Yoshi mit uns ziehen zu lassen?“ fragt er. „Er, mit seiner leichten Art, und seinem Rapier, könnte eine Bereicherung für unsere Gruppe sein!“ „Er ist zu zierlich für diese Waffe!“ versetzt Lyssandro trocken. „Aber die Idee finde ich nicht schlecht.“ Danach wendet sich ihr Gespräch andern Dingen zu. Trotz der fortschreitenden Nacht beschliessen sie, noch einmal nach unten zu gehen, um zu sehen, was die andern so treiben. Sie finden Kaitu noch immer im Gespräch mit dem Fremden. Dieser erhebt sich gerade und sagt: „Wir haben die Zeit vergessen. Ich muss noch einen Platz für meine Schlafmatte finden.“ Isabella, die sich noch immer mit Bildugan unterhält, erhebt sich und meint bedauernd: „Leider sind im Augenblick alle Zimmer vergeben. Wenn ihr mit einer Dachkammer oder dem Keller vorlieb nehmen wollt...“ „Das ist doch kein Problem.“ mischt sich Kaitu ein. „Ihr könnt bei uns im Zimmer schlafen, bei mir und Yoshi. Die Kammer ist ausreichend geräumig. Zu Isabella gewandt, macht er eine kleine Verbeugung und meint: „Wir werden dafür natürlich extra bezahlen. Isabellas Gesicht hellt sich auf. „Ich werde Decken bringen lassen und Waschgeschirr extra.“ Verspricht sie. 186 Arist hat sich unterdessen zu den würfelspielenden Soldaten gesellt und sieht ihnen eine Weile schweigend zu. „Kann ich mitspielen?“ fragt er schliesslich, bemüht, seine Vorfreude nicht zu zeigen. Ein halbes Dutzend misstrauische Blicke sind sofort auf ihn gerichtet, abschätzend, ob er als Opfer überhaupt etwas hergibt. Arist lässt die Musterung ohne mit der Wimper zu zucken über sich ergehen. Schliesslich winkt ihm einer der Soldaten, sich zu setzen, an den Platz eines Offiziers, der so betrunken ist, dass er nicht mehr mitwürfeln kann. Rasch werden ihm die Regeln des Spiels, das gerade im Gange ist, erklärt, und Arist zückt seine Würfel, um mitzuhalten. Sofort ist das Misstrauen der Soldaten wieder erwacht. Eigene Würfel? Hier könnte es sich um jemanden handeln, der kein so leichtes Opfer zum Ausnehmen ist. „Die Würfel meines Onkels mütterlicherseits.“ meint Arist erklärend, der die Verstimmung der Soldaten wohl bemerkt hat. „Er war ein begnadeter Spieler, seinerzeit.“ „Gut, gut!“ unterbricht ihn einer der Soldaten ungeduldig. „Willst Du jetzt spielen oder was? Zum doppelten Preis?“ Die Gier in seinen Augen ist unverkennbar, doch Arist willigt bereitwillig ein. Sie würfeln. Die finsteren Gesichter der Soldaten hellen sich zunehmend auf, als Arist die erste, dann die zweite Runde verliert. Einer von ihnen versteigt sich dazu, enthusiastisch der Glücksgöttin zu danken. Es ist jedoch fraglich, ob die Dame seinen Slang versteht, denn dann wendet sich das Blatt. Arist gewinnt, mehrmals hintereinander, was für zunehmend rote Köpfe bei den Soldaten sorgt. Unter 187 gemurmelten Flüchen bestehen sie darauf, dass von jetzt an wieder ihre eigenen Würfel verwendet werden. Während sie würfeln, brennen die Kerzen langsam immer weiter hinunter. Stunde um Stunde vergeht, und weder Arist noch die Soldaten zeigen Neigung, ihr Spiel zu unterbrechen. Arist, weil er eine Glückssträhne hat, die Soldaten, weil sie ihre Verluste zurückgewinnen wollen. Doch langsam beginnen die Soldaten, zuerst murmelnd, dann immer deutlicher, dass bei Arist nicht nur die Glücksgöttin für sein Würfelglück verantwortlich ist. Es ist sein Glück, dass plötzlich einem von ihnen auffällt, dass ihre Rückmeldung in der Kaserne erwartet wird. Die Soldaten erheben sich eilig, wobei sie vor sich hinfluchen, raffen eilig ihre Waffen zusammen, packen ihre betrunkenen Kameraden unter den Armen und machen sich mehr oder weniger schwankend zum Ausgang hin. Ein drohender Händel wird dadurch vermieden, und mehr als zufrieden packt Arist seine Würfel ein – und einen beträchtlichen Gewinn dazu. Jetzt, da die Soldaten das Gasthaus verlassen haben, halten sich nur noch unsere Freunde im Gasthaus auf, die Freude darüber, endlich wieder einmal in der Stadt zu sein, lässt sie noch immer keine Müdigkeit verspüren. Selbst Isabella zieht sich jetzt zurück, sehr zum Bedauern Bildugans, der von ihr hingerissen scheint. Bildugan benutzt die Gelegenheit, Takeshi zu gratulieren, dass es ihm gelungen ist, den Streit zwischen dem Schmied und Yoshi im Keim zu 188 ersticken, bevor sich ein ernsthaftes Problem daraus entwickelt hat. Ihre Unterhaltung nimmt jetzt wieder privaten Charakter an. Wie immer, wenn dies der Fall ist, kommen rasch zwei Themen zur Sprache: Der Mord an Cynris oder der Artefakt, die Feder. Wiederum ist es Arist, der diese als erster in den Mund nimmt, sehr zum Missvergnügen Kaitus, der, wütend darüber, dass Lyssandro ziemlich offen seine Vorbehalte gegenüber ihm deutlich gemacht hat, alles dafür tut, einen etwaigen Verdacht von ihm abzulenken. So hat er am Nachmittag gegenüber Yoshi erwähnt, dass er Leon für sehr verdächtig hält, und jetzt meint er: „Kann sich eigentlich jemand von unserer Gruppe unsichtbar machen? Vielleicht ist ja Leon bei seiner Wache gar nicht eingeschlafen?“ Bei der Erwähnung seines vermeintlichen Versagens blickt Leon gequält. „Ich verstehe bis heute nicht, wie das passieren konnte.“ brummt er. „Noch weniger verstehe ich, dass mich mein Meister, der mich kämpfen lehrte, nicht vor dem Mord an Cynris gewarnt hat!“ „Das hast Du also heute nachmittag unternommen.“ Wirft Arist ein. „Du hast deinen Meister befragt, stimmt’s?“ Leon nickt. „Wenigstens habe ich seine Präsenz noch gespürt. Ich hatte schon Zweifel bekommen, ob ich den Meister noch erreichen kann. Aber zu dem Mord hat er mir nichts – oder nicht viel – sagen können.“ „Was genau hat er dann gesagt?“ fragen Arist und Kaitu wie aus einem Munde, beide vielleicht etwas zu schnell. Leon zuckt die Achseln. „Ich erinnere mich nicht an den 189 genauen Wortlaut. Es war alles so verworren... Wie dem auch sei, zur Zukunft hat der Meister nichts, aber auch gar nichts verlauten lassen.“ Er senkt seinen Blick für einen Augenblick auf die Tischplatte, nicht bereit, mehr zu diesem Thema zu sagen. Die andern scheinen ihn zu verstehen, denn sie bohren nicht weiter nach. „Lyssandro glaubt nicht, dass es Yoshi war.“ wirft er ein, vielleicht, um von sich selber abzulenken, was ihm auch gelingt, denn Arist runzelt unwillig die Stirn. „Lyssandro sollte niemandem vertrauen.“ meint er. „Mir nicht, Dir nicht und auch Yoshi nicht, so jung und harmlos er scheinen mag. Jeder von uns könnte Cynris ermordet haben. Bildugan, um einen Behandlungsfehler seinerseits zu verbergen, ein Gegenstand, den jemand von uns bei sich trägt und der sich verselbstständigt hat, selbst Lyssandro, weil er seine Position als Führer gefährdet sah!“ Arist wäre nicht Arist, würde er nicht die wütenden Blicke, die ihm nun von allen Seiten zufallen, geniessen... Verträumt fährt er fort: „Falls so was der Fall wäre, dann droht uns weitere Gefahr... Vielleicht sollten wir die Feder doch benützen...“ Lyssandro hat das ewige Hin und Her um die Feder satt. „Das ganze Theater hält uns doch nur auf!“ meint er grob. „Und überhaupt: Woher können wir wissen, dass keine Gefahr mit der Benutzung der Feder verbunden ist? Und ob wir glauben können, was dieses Ding schreibt?!?“ „Etwas genau zu wissen, ist immer mit Gefahr verbunden.“ Kommt es sanft von Leon, aber Lyssandro hat jetzt wirklich genug. Mit einem kurzen Gruss verlässt er die Runde, um sein Zimmer aufzusuchen. Sein Aufbruch hat Signalwirkung. Zwar 190 fragt Leon Kaitu noch: „Was hältst eigentlich Du von dieser Feder?“ erhält aber nur ein unwilliges Knurren als Antwort. Dass Kaitu nichts, aber auch gar nichts von dieser Feder hält, ist offensichtlich. Bildugan ist unterdessen Lyssandros Beispiel gefolgt, und auch Kaitu und Takeshi ziehen sich zurück. Yoshi schläft tief und fest, wobei er leise schnarcht, und so muss Takeshi seine Vorstellung auf den Morgen verschieben. Leon folgt Lyssandro aufs Zimmer. Er ist noch immer aufgewühlt genug, dass er es vorzieht, seine Decken zu holen und auf dem Dach zu schlafen. Der Nachthimmel über ihm übt eine beruhigende Wirkung auf ihn aus. Als er ihr Zimmer betritt, bemerkt er, dass es Lyssandro ähnlich ergeht, denn dieser hat sich zum Ausgehen angezogen. „Ich möchte noch einen Augenblick alleine sein, um zu beten.“ meint er, und Leon nickt verständnisvoll. Das, was in den letzten Tagen passiert ist, lässt sich nicht so einfach verarbeiten. Das hat er am eigenen Leib erfahren. Kurze Zeit später verlässt Lyssandro das Gasthaus durch den offenen Hinterhof. Beim Klang seiner Schritte klirrt plötzlich eine Kette; und aus einem kleinen Holzhäuschen auf dem Hof lässt sich plötzlich ein dumpfes Grollen vernehmen. Ein Hund, fast so gross wie ein Kalb, erhebt sich von dem Platz, an dem er bisher geschlafen hat. Noch bellt er nicht, aber seine entblössten Zähne sind im Mondlicht deutlich sichtbar. Lyssandro muss unwillkürlich grinsen. Also verlässt sich Isabella doch nicht nur auf ihren Ruf, um ihren Gasthof gegen Diebstahl zu feien! Der Hund erweist 191 sich als gut trainert – oder er ist an einiges gewöhnt. Da Lyssandro vom Gasthof her kommt, knurrt er nur weiterhin dumpf, bricht aber weder in wildes Gebell aus, noch versucht er Lyssandro anzuspringen, als dieser ihn passiert. Dann steht Lyssandro auf der rauh gepflasterten, jetzt menschenleeren, von mannigfaltigem Abfall übersäten Gasse. Er blickt sich suchend um. Einen Kirchturm kann er von hier aus nicht ausmachen, überhaupt kein höheres Gebäude profaner Natur wie einen Bergfried oder einen Wachtturm. Lyssandro seufzt und wickelt sich fester in seinen Mantel, während er die Gasse entlang schlendert und weiterhin Ausschau nach einer heiligen Städte hält. Sein Bedürfnis nach einem Gebet ist so gross, dass er selbt die Kälte der Nacht in Kauf nimmt, um es zu stillen. Und andere Gefahren. Er ist so in seine Suche versunken, dass er die Schritte hinter sich, die ihm seit geraumer Zeit folgen, völlig überhört hat. Erst ein energisches „Halt! Wer da?“ weckt ihn aus seiner Träumerei. Lyssandro dreht sich rasch um und sieht sich einer Gruppe Soldaten gegenüber, gleich gekleidet der, die sich die Zeit ihrer Nachtwache mit Würfeln im „Hüpfenden Maultier“ vertrieben hat. Nun, diese Patrouille hier scheint ihre Pflicht ernster zu nehmen. Ihr Anführer, ein noch junger, bulliger, muskulöser Mann, dem seit einer Schlägerei beide Vorderzähne fehlen, hat diese Worte gesprochen und blickt ihn misstrauisch an. Ein Misstrauen, das durchaus berechtigt ist, muss sich Lyssandro eingestehen, wenn man bedenkt, um welche Uhrzeit er es sich in den Kopf gesetzt hat, eine Kirche zu finden. „Guten Abend!“ meint er und versucht, seiner 192 Stimme einen gelassenen Klang zu geben. „Ich halte nach einer Kirche Ausschau, in der ich beten könnte. Vielleicht könnt ihr mir helfen.“ Einer der Soldaten bricht darauf in schnaubendes Gelächter aus, wird jedoch von seinem Kommandanten mit einer raschen Bewegung zum Schweigen gebracht. Dieser mustert Lyssandro noch immer mit durchdringendem Blick. Anscheinend fällt diese Musterung zugunsten Lyssandros aus, denn der Hauptmann meint schliesslich. „Ihr müsst die Burgkapelle aufsuchen, welche, wie es Gott vorschreibt, die ganze Nacht geöffnet ist.“ Er grinst. „Nur die Burg, die ist es nicht. Ihr könnt heute nicht mehr zur Kapelle gelangen.“ Er blickt plötzlich finster. „Wenn ich euch einen Rat geben darf: Kehrt zu eurer Unterkunft zurück. Die Strassen sind um diese Zeit nicht sicher. Für euch oder wegen euch.“ Lyssandro verzieht das Gesicht, aber der Rat des Hauptmanns ist vernünftig, und so beschliesst Lyssandro, mit dem Hinterhof des Gasthauses als Gebetsstädte vorlieb zu nehmen. Er lauscht den verklingenden Schritte der Soldaten, dann macht er sich auf den Rückweg. Der Hund wacht bei seiner Rückkehr erneut auf, knurrt, milde diesmal, und richtet seine dunklen Augen unverwandt auf Lyssandro, als sich dieser im Schneidersitz hinsetzt, um seine Gebete zu beginnen. So sitzt er vielleicht für eine Stunde, ohne die Kälte wahrzunehmen, betet, beschreibt das Dilemma, in dem sie sich befinden, ohne jedoch eine konkrete Frage bezüglich der Zukunft zu stellen. Er ist tief in Gedanken versunken, während die Bilder der letzten Tage vor seinem innern Auge wieder erstehen und die Gedanken 193 in seinem Kopf durcheinander purzeln. Seine Gebete haben nichts klares, wohlgeordnetes an sich, und dennoch ist Lyssandro überzeugt, dass sein Gott ihn versteht und ihm helfen wird, seine Probleme zu lösen. Vor allem Yoshis, Kaitus und Arists Gesichter tauchen immer wieder in seinen Gedanken auf. Den ersteren hält Lyssandro für unschuldig, bei den andern beiden ist er sich nicht so sicher. Zu extrem, zu unnatürlich kommt ihm Kaitu vor, so verdächtig zwiespältig benimmt sich Arist, obwohl Lyssandro nicht wirklich überzeugt ist, dass Arist etwas mit dem Mord zu tun haben könnte. Die Zwiespältigkeit gehört zu seinem Wesen. Ob dies nun eine Antwort seines Gottes ist oder einfach das Resultat seiner geordneten Gedanken: Lyssandro fühlt auf einmal neue Tatkraft in ihm erwachen, und er beschliesst, der Nachtzeit zum Trotz, Kaitu aufzusuchen. Dieser öffnet auf sein Klopfen auch tatsächlich die Tür zu seinem Zimmer, sein Gesicht ist aber nicht eben freundlich, schliesslich ist es noch immer mitten in der Nacht. Vielleicht ahnt er auch aufgrund von Lyssandro’s ernstem Gesicht, was dieser von ihm will, und sein Gesicht wird noch düsterer, als dieser unverblümt zum Kern seines Anliegens kommt: „Kaitu, ich möchte, dass Du deinen Dolch herausgibst!“ „Nein.“ knurrt er, augenscheinlich unbeeindruckt. „Das werde ich nicht tun. Ich bin der Wächter des Dolches.“ Seine Stimme ist fest, er wird von diesem Entschluss nicht abweichen. Lyssandro seufzt innerlich. Er hat nichts anderes erwartet. „Darf ich ihn wenigstens nochmals sehen?“ Schweigend holt 194 Kaitu darauf den Dolch aus seiner Scheide, beobachtet dabei aber aufmerksam Lyssandro’s Gesicht, angespannt und wachsam. Lyssandro bemerkt dies nicht, seine Augen sind unverwandt auf den Dolch gerichtet, und so sehr er diese Waffe auch verabscheut, weil er ihre Verderbtheit instinktiv spürt, schon immer gespürt hat, fühlt er dennoch eine seltsame Anziehungskraft von ihm ausgehen. Fast unbewusst versucht er, mit seiner Rechten danach zu fassen. Kaitu zuckt mit einer hastigen Bewegung zurück, blitzschnell, in einer weiten Bewegung, so, als hätte sich der Dolch auf einmal selbstständig gemacht, und steckt ihn wieder in seine Umhüllung. Lyssandro erwacht wie aus einer Trance, und er bemerkt den kleinen Kratzer an Kaitus Hals, aus dem jetzt einige Blutstropfen quillen und in Kaitus Kragen rinnen. Dieser scheint das nicht zu bemerken. Er atmet schwer. „Der Dolch ist verflucht.“ Sagt Lyssandro mit einer Stimme, die fremd klingt selbst in seinen Ohren. „Beseelt.“ widerspricht Kaitu. Er sieht sich rasch um in dem verlassen wirkenden Schankraum, dann packt er Lyssandro am Arm und schiebt ihn auf den Hinterhof des Gasthauses. Es ist offensichtlich, dass er bei dem, das er weiter zu sagen hat, keine Zeugen braucht. Dort lässt Lyssandro Kaitu dieselbe Behandlung angedeihen. Sein Griff um dessen Arm ist fast schmerzhaft. „Was ist das Problem dieses Dolches?“ zischt er wütend. Er hat ja nicht geschlafen die letzte Zeit. „Weshalb weigerst Du dich, ihn auch nur einmal aus der Hand zu legen?“ „Ich würde töten, damit genau das nicht geschieht.“ Antwortet Kaitu, und man kann am Klang seiner Stimme erkennen, dass er genau 195 das meint, was er sagt. Lyssandro lässt seinen Arm los. „Ich habe über deinen Dolch nachgedacht. Und meditiert.“ Für einen Augenblick scheint er gedanklich weit weg zu sein, mit einer Hand berührt er unbewusst seine Schläfe. „Ich habe schreckliche Visionen gehabt. Dein Dolch hat immer die Hauptrolle gespielt. Ich werde zu verhindern wissen, dass diese wahr werden.“ „Dann haben wir ja dasselbe Ziel.“ Noch immer scheint Kaitu gelassen. „Gut. Dann lass uns den Dolch irgendwo vergraben.“ Lyssandro hat eine unruhige Wanderung auf dem Hof aufgenommen. Drei Schritte hin, drei Schritte zurück. „Das geht nicht. Der Dolch würde schreien, bis ein anderer Besitzer sich seiner annimmt. Nicht jeder ist dazu geschaffen, diesen Dolch zu tragen. Was, wenn es sich um eine schwache Person handelt? Ich kenne die Seele dieses Dolches. Sie würde den unglücklichen Finder vernichten, und käme frei. Ich habe das Schreien gehört.“ Als Kaitu nicht weiterredet, fragt Lyssandro: „Woher hast Du denn diese seltsame Waffe? Wenn wir sie nun dorthin zurückbringen, wo sie herkommt? Und – in Gottes Namen – von was für einer Seele sprichst Du?“ Seltsamerweise fällt es ihm aber nicht ein, an Kaitus Worten zu zweifeln. Zum ersten Mal verliert Kaitus Gesicht seine Gleichgültigkeit, und seine Augen blicken gequält. „Um Deine Fragen zeitgleich zu beantworten: Es handelt sich um die Seele eines Mannes aus Mekk. Von dort stammt auch der Dolch. Ich nehme nicht an, dass Du von dieser Stadt schon gehört hast, obwohl sie mächtig ist, und schön, sein Volk zwar verwegen und wild, misstrauisch gegenüber Fremden, aber grosszügig und edelmütig.“ 196 „Und wie bist Du an den Dolch gekommen?“ wiederholt Lyssandro seine erste Frage, ahnend, dass Kaitu letztere bewusst nicht beantwortet hat. „Ich habe ihn gestohlen.“ „Also doch!“ ruft Lyssandro spontan aus, verstummt aber, als Kaitu mit monotoner Stimme fortfährt. „An dem Tag, an dem ich den Dolch stahl, ist Mekk gefallen. Seine Schlösser, seine Häuser, seine Höfe, sie alle wurden noch am selben Tag von den wilden Horden aus dem Norden dem Erdboden gleichgemacht. Es war das Ende der Welt; als wäre der Himmel über Mekk eingestürzt. Ich bin schuld daran.“ Es ist eine einfache Feststellung, doch ein kalter Schauer überläuft Lyssandro. Er kann sich vermutlich nicht einmal vorstellen, wie es wäre, für eine solche Tat verantwortlich zu sein, wie sie Kaitu andeutet. Abgründe müssen in dessen Seele lauern... (Meine Güte, ich hab definitiv zu viele Kitschromane gelesen, macht die verantwortlich, nicht mich J ) Unwillkürlich weicht er zurück. Die Visionen, die er zuvor gehabt hat... Bilder von brennenden Häusern, Plünderungen, Raub, Morde, Vergewaltigungen... sie alle bekommen plötzlich Sinn. „Das Volk von Mekk.“ sagt er, plötzlich seltsam atemlos. „Sind das ihre Schreie, die man hört, wenn der Dolch vergraben wird? Und meine Visionen... Ich glaube, ich habe die Qualen des Volkes von Mekk gesehen...“ „Du hast sie nicht einmal berührt.“ Versetzt Kaitu, obwohl er eigentlich nicht ahnen kann, was Lyssandro mit seinen kryptischen Anmerkungen meint. Ein unheimliches Grauen hat Lyssandro bei dieser ganzen Unterredung gepackt. Ob vor Kaitu, dem Dolch oder dessen Geschichte, vermag er nicht zu sagen. 197 Mühsam reisst er sich zusammen, bemüht, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen, auch kein Mitleid, weil er sicher ist, dass dies Kaitu nicht willkommen wäre. „Nun denn.“ meint er. „Unsere Mission hat für uns noch immer Vorrang. Wenn du uns begleiten willst... Wir müssen sicher sein vor deinem Dolch.“ Kaitu fixiert ihn noch immer aus schmalen Augen. Für einen Augenblick fühlt sich Lyssandro erneut wie gelähmt, er hat das seltsame Gefühl, als könne Kaitu seine Gedanken lesen. „Die Seele des Dolches ist in ihm gefangen. Solange dieser in seiner Scheide steckt, ist er ungefährlich.“ „Und wenn Du ihn aus der Scheide ziehst? Oder jemand anders das tut?“ „Dann wird er gegen den Dämon des Messers kämpfen müssen. Er hat die Macht der gefangenen Seele entfesselt, und wird den Preis dafür zahlen müssen.“ Lyssandro klammert sich hartnäckig an seine ursprüngliche Idee fest: „Und wenn wir den Dolch mitsamt der Scheide verstecken?“ „Das Risiko ist zu gross!“ braust Kaitu auf. „Das habe ich Dir doch schon einmal erklärt. Wenn der Dolch nun gefunden wird und in unwürdige Hände gerät... Er würde nur noch mächtiger werden! Möchtest Du das verantworten?!?“ „Und es gibt keine Möglichkeit, den Dolch zu exorzieren?“ Kaitu scheint die Idee zu erwägen, dann erbittet er sich Bedenkzeit. Etwas, dass Lyssandro nicht genau erklären kann, scheint in ihm vorzugehen. „Hältst Du dich für stark genug, so etwas zu tun?“ fragt er dann. „Bedenke, es ist eine mächtige Seele, die der Dolch beherrbergt...“ „Ja.“ Antwortet Lyssandro nur, doch die Zuversicht in seiner Stimme scheint ermutigend auf Kaitu zu wirken. „Vertraust Du 198 mir?“ hakt Lyssandro erneut nach. „Vielleicht nicht mit meinem Leben.“ Antwortet Kaitu, als wäre er selber davon überrascht. „Ein bisschen.“ Aber er hält etwas zurück, das fühlt Lyssandro genau, und deshalb wartet er geduldig, bis Kaitu schliesslich auch damit herausrückt. „Der Dolch ist ein Teil auch meines Wesens geworden, damals, als ich ihn ohne seine Scheide ergriffen habe. Wenn du ihn exorzierst... dann wird auch ein Teil von mir davon betroffen sein.“ „Wenn dein Wunsch nach... nach...“ Lyssandro sucht nach dem richtigen Wort...“Heilung gross genug ist, wirst du es überstehen.“ „Nein.“ antwortet Kaitu und zerstört damit jählings die beginnenden Hoffnungen Lyssandros, dem verfluchten Dolch ein Ende zu machen. „Ich bin damals aus Mekk nur entkommen, weil ein Freund von mir sein Leben dafür geopfert hat. Er hat mir so ermöglicht, wenigstens die Seele des Dolches zu bannen.“ „Aber wenn wir nun den Dolch und dich exorzieren...“ Lyssandro ist verzweifelt. „Du verstehst nicht.“ unterbricht ihn Kaitu. „Dann war das Opfer meines Freundes vergeblich. Auch seine Präsenz ist irgendwo da, mit der Existenz des Dolches verknüpft. Darüber hinaus: Woher nimmst Du bloss die Zuversicht, den Dolch kontrollieren zu können? Es wird dir nicht gelingen.“ „Das ist alles verdammt nochmal so kompliziert!“ ruft Lyssandro, und in seiner Frustration wird er laut. Er ist müde, und sein Kopf schwirrt von dem, was er alles erfahren hat. „Ich muss zumindest wissen, ob es dieser verfluchte Dolch ist, der Cynris auf 199 dem Gewissen hat!“ Kaitu bringt ihn mit einer wilden Geste zum Schweigen. „Leise!“ zischt er. „Der Dolch hat, glaube ich, nichts damit zu tun. Ausserdem war Cynris‘ Zunge zerschnitten.“ „Was soll das denn wieder heissen?“ „Es ist das traditionelle Zeichen, mit dem man einen Lügner oder Verräter straft.“ antwortet Kaitu. „Das ist unmöglich!“ wirft ihm Lyssandro, dessen Augen zornig aufblitzen, an den Kopf. „Du hast Cynris ja kaum gekannt.“ „Das habe ich nicht.“ pflichtet Kaitu ihm bei. „Ich weiss nicht, was da passiert ist.“ Es hört sich irgendwie hilflos an, und Lyssandros Wut fällt in sich zusammen, hinterlässt ihn müde und aufgewühlt. „Ich glaube, es hat keinen Sinn, das hier noch länger zu diskutieren.“ meint er. „Ich werde mich zurückziehen, um über das Gehörte nachzudenken. Gute Nacht.“ Und er lässt Kaitu stehen, ohne dessen Antwort abzuwarten. „Ich auch.“ sagt Kaitu zu Lyssandros Rücken. „Und es ist ohnehin schon morgen.“ Es ist auf jeden Fall verständlich, dass Lyssandro nach diesem mehr als aufwühlenden Gespräch lange keinen Schlaf findet. Als er endlich einschlummert, dämmert bereits der Morgen. So ist er gerade erst eingeschlafen, als der Frühaufsteher Leon, der ohnehin nicht viel Schlaf braucht, seine Decken auf dem Dach zusammenrollt und sich in den Hinterhof begibt, um dort sein mörgentliches Training zu absolvieren. In Takeshi scheint er einen Artverwandten zu haben, denn auch dieser gesellt sich nach einer Viertelstunde zu ihm, so dass der Hofhund, dessen Schlaf diese Nacht schon mehrfach unterbrochen 200 wurde, zu seiner Verwunderung zwei statt einem umherhüpfenden Menschen zusehen kann. Er hat längst aufgegeben, das Verhalten der Zweibeiner verstehen zu wollen. Bildugan ist unterdessen auch aufgestanden. Er ist ein wenig grau im Gesicht und fühlt sich von den Strapazen der letzten Tage wie gerädert. Vor allem die Anstrengung des Hebens eines Metkruges hat ihn gewaltig mitgenommen. Er klagt sein Leid Isabella, die schon geschäftig dabei ist, frisches Brot für den heutigen Tag bereitzustellen und neue Fässer Bier anzuzapfen, und diese erbarmt sich seiner prompt. Sie heisst Sandrine an, das vorbereitete warme Wasser, das sie für alle Fälle immer morgens bereit hält, in die Wanne zu giessen; und ein Bad für Bildugan vorzubereiten. Sie lächelt zufrieden, als Bildugan’s Gesicht sich bei dem Gedanken an ein gemütliches Bad aufhellt. Etwas länger wird sein Gesicht allerdings, als Bildugan bemerkt, dass sein Bad in aller Oeffentlichkeit, in einer Ecke der Gaststube stattfinden wird, und dass Isabella von ihm zu erwarten scheint, dass er sich gleich hier und jetzt umzieht. In dieser Hinsicht scheint man es hier jedenfalls ziemlich locker zu halten. Er wartet, bis zumindest Sandrine die Gaststube für einen Augenblick verlässt, zieht sich dann rasch aus und lässt sich erleichtert in die Wanne mit dem wohlig warmen Wasser sinken. Er ist jedoch nicht in Sicherheit, denn dann nähert sich Isabella, ganz die perfekte Gastgeberin, um ihm mit einer rauhen Seife den Rücken zu schrubben. Die Röte der Verlegenheit schiesst Bildugan in die Wangen, doch er kann nicht leugnen, dass das warme Wasser, das Gefühl der 201 Sauberkeit, das Schrubben Isabellas (an dezenten Plätzen, versteht sich) und vor allem ihre Nähe, angenehme Empfindungen in ihm auslösen. Die Verlegenheitsröte auf seinen Wangen vertieft sich, als die Empfindungen angenehmer und angenehmer werden, doch Isabella erspart ihm zumindest die Verlegenheit, etwas zu diesem Thema zu sagen. Ihr wissendes Grinsen kann er ja nicht sehen, da er ihr den Rücken zuwendet. Ein viel kälteres Bad nimmt zu diesem Zeitpunkt gerade Leon, der sein Training beendet hat und in die Nähe des Hafens marschiert ist, um sich mit einem Bad im Meer den Schweiss vom Körper zu spülen. Takeshi ist ihm gefolgt und tut es ihm nach. Als sich beide genug erfrischt haben, beginnt Leon, Takeshi neugierig über die verschiedenen Formen seines Training auszufragen, da er genügend Gelegenheit hatte, dieses aus den Augenwinkeln zu beobachten. Takeshi gibt ihm bereitwillig Auskunft, während sie zum Gasthaus zurückkehren, während der Wind ihre nassen Haare trocknet. Unterdessen ist auch Bildugan wieder vollständig entkleidet, froh, seiner etwas peinlichen Situation entronnen zu sein, und setzt sich mit dem eben erschienen Kaitu an den Frühstückstisch. Dessen Augen sind vom mangelnden Schlaf dunkel umrandet, doch er verkündet voller Tatendrang, dass er bald in die Stadt aufbrechen wird. „Ich begleite dich.“ meint Bildugan. „Ich möchte ja die alte Lea aufsuchen, um von ihr einige Kräuter zu erhalten.“ Kaitu hat nichts dagegen einzuwenden, und nach einem spärlichen Frühstück – 202 Ihr Hunger ist nach dem Festmahl bei Igur, sehr zur Enttäuschung Isabellas, nicht allzu ausgeprägt – brechen sie gemeinsam auf. Bildugans Unternehmung wird nicht von Erfolg gekrönt sein: Er wird zwar Leas Hütte auffinden, doch auf sein Klopfen wird niemand reagieren, und so wird er unverrichteter Dinge wieder zurückkehren. Vielleicht ist Lea gerade auf Kräutersuche, oder sie ist bereits so taub, dass sie Bildugans Klopfen nicht gehört hat. Was Kaitu in der Stadt will, hat er nicht verlauten lassen, und er kehrt auch sehr bald wieder ins „Hüpfende Maultier“ zurück, gerade als Yoshi aufgestanden ist und etwas mürrisch die Treppe hinunterpoltert. Sein Kater ist nicht von schlechten Eltern, doch Yoshi bemüht sich männlich, dies nicht zu zeigen. Er beginnt sogar, einige Uebungen mit dem Rapier zu machen, beifällig beobachtet von Kaitu, er muss jedoch immer wieder innehalten, um sich mit kaltem Wasser zu erfrischen, seinen „unerklärlichen“ Durst zu löschen und mit äusserlichen Anwendungen sein Kopfweh zu behandeln. Nur von Arist oder Lyssandro ist noch weit und breit nichts zu sehen, während Leon und Takeshi jetzt auch gerade von ihrem Badeausflug zurückkehren. Nachdem sich Leon noch einmal richtig gestreckt hat, fühlt er sich fit genug, den Tag zu beginnen. Sein Blick fällt auf Yoshi, der etwas blass um die Nase ist und sein Waschen gerade unter Gepruste und Geächze beendet hat. Sein Gesicht hellt sich auf. „He, Yoshi!“ ruft er. „Was hälst Du davon, ein wenig zu trainieren? Bis alle von uns aufgestanden sind, wird es ohnehin 203 noch eine ganze Weile dauern. Du mit deinem Rapier, gegen mich. Ich werde mich ohne Schwert verteidigen.“ Yoshi zieht eine Schnute, was wohl eine beleidigte Miene darstellen soll. „Das würde total unfair sein!“ entgegnet er empört, da er seine Fähigkeiten durchaus nicht gering einschätzt. Leon grinst kurz, was nicht dazu beiträgt, Yoshis gerechten Zorn zu mildern. Er macht sich für das Duell bereit, mustert Yoshi wachsam, der unterdessen sein Rapier geholt hat. Dieser scheint das Duell zu geniessen, und zumindest eines ist er ganz und gar nicht: Zögerlich. Schon in der ersten Sekunde greift er Leon direkt an, und dieser muss seine ganze Beweglichkeit aufwenden, um dem gezielten Stoss von Yoshis Waffe auszuweichen. Unbeeindruckt schlägt Leon gleich darauf zurück; doch Yoshi ist ebenso beweglich, wie er zielgerichtet ist: Mit einem Hüpfer bringt er sich vor Leons schwingenden Armen in Sicherheit. Dies macht für Leon deutlich, falls ihm dies nicht schon vorher klar gewesen ist, dass er es hier mit einem beachtlichen Gegner zu tun hat. Man darf Yoshi, trotz seines jugendlichen Alters, als Kämpfer nicht unterschätzen... Nun geht es Stich auf Stich, Schlag auf Schlag, ohne dass es einem der beiden Kontrahenten gelingt, den andern in wirkliche Bedrängung zu bringen, und zwischendurch weichen beide zurück, umkreisen sich lauernd, beobachten sich mit schmalen Augen, darauf lauernd, dass der andere sich eine Blösse gibt. Ihr Kampf hat unterdessen ein paar interessierte Zuschauer angezogen. Gerade hat Yoshi einen etwas wilden Stoss versucht, der Leon mit einem wahrscheinlich schmerzhaften Schwinger auf Yoshis Rapierarm 204 quittiert. Er verzieht schmerzhaft das Gesicht, aber er hält seine Waffe, seine Knöchel weiss vor Anstrengung. „Yoshi, Yoshi!“ kommt es ermunternd von Kaitu, und wie durch diese Rufe beflügelt, weicht Yoshi einem weiteren Schlag von Leon blitzschnell aus, hebt sein Rapier und piekst seinerseits gegen Leons rechten Arm, spielerisch, um seinen Treffer zu markieren. „Yippieh!“ schreit er dann triumphierend und wirft jubelnd die Arme hoch. Leon ist kein schlechter Verlierer. „Gratuliere!“ meint er zu Yoshi. „Schade, dass Lyssandro nicht hier ist. Ich würde zu gern sehen, wie Du dich gegen ihn schlagen würdest. Gut, ohne Zweifel.“ Dann wird Yoshi auch von Kaitu beglückwünscht: „Ein schöner Kampf! Obwohl ihm natürlich die Seele eines wirklichen Duells fehlte...“ Dann tritt er zurück, da Leon nun seinerseits Yoshi ein paar Griffe zeigt, wie man sich auch ohne Waffe verteidigen kann. Begierig schaut Yoshi zu. Solche Verteidigungskünste sind für einen zukünftigen Helden sicher mehr als wertvoll! Auch Lyssandro hat Leon und Yoshis morgendliches Training, zumindest dessen Ende, interessiert verfolgt. Leon ist wohl dabei, den „Neuen“ auszutesten! „Ah, Lyssandro!“ meint denn dieser auch mit einem Zwinkern. „Möchtest Du nicht auch Dein Glück an Yoshi probieren?“ „Jawohl!“ ruft Yoshi begeistert und hebt sein Rapier, als würde Lyssandro schon kampfbereit vor ihm stehen. Dieser zögert aber noch, erklärt sich schliesslich aber doch bereit. 205 Nach einer höflichen Verbeugung voreinander beginnen sich die beiden Gegner lauernd zu umkreisen, beide abwartend, ob der andere den ersten Schritt, den ersten Angriff wagen würde. Lyssandro hat eine ziemlich klare Vorstellung von Yoshis Können, nachdem er dessen Vorstellung mit Leon beobachtet hat, und nimmt deshalb die Begegnung nicht auf die leichte Schulter. Doch das schützt ihn nicht davor, nach einigen kleineren Gefechten mit Yoshi von diesem einen Stich abzukriegen; heute morgen zeigt sich der Junge in blendender Form. Seine Flinkheit erweist sich als sehr wertvoll, Lyssandros Degen (?!?) auszuweichen, sie ist ein Ausgleich zu Yoshis Zierlichkeit und noch fehlender Kraft. Schweratmend, nichtsdestotrotz freudestrahlend, hält Yoshi schliesslich inne, während Leon und Lyssandro einen beifälligen Blick austauschen. Als Lyssandro Yoshi auch noch beglückwünscht, platzt er beinahe vor Stolz. Leon verkneift sich ein Grinsen: Er ist nicht der Einzige, der heute morgen Prügel abgekriegt hat! Er fragt Yoshi: „Sag mal, was hältst Du davon, wenn wir Deine Bewaffnung noch ein wenig vervollständigen?“ Yoshi blickt plötzlich grimmig. „Du bist zwar ausgezeichnet mit dem Rapier, dieses ist aber als Fernwaffe (und für Gamsjagd) ungeeignet.“ Yoshi blickt besänftigt. „Wie wäre es zum Beispiel mit einer Armbrust für Dich? Ich könnte gerade hier in der Stadt eine für dich machen lassen!“ Yoshi blickt begeistert. „Wirklich?“ fragt er atemlos. Endlich erlebt er jene Abenteuer, von denen er schon so lange träumt! Und wenn er eine Waffe wie eine Armbrust von Leon erhält, so heisst das wohl, dass 206 man ihn vielleicht länger bei der Gruppe behalten will... Er wird aus seinen hochfliegenden Plänen abgelenkt, als Lyssandro ihn fragt: „Hast Du uns eigentlich schon mal von deiner Familie erzählt? Wer waren denn deine Vorfahren?“ „Aithan! Der grosse Held Aithan!“ sprudelt es sofort aus Yoshi heraus. „Ich meine, das ist der berühmteste meiner Vorfahren. Mein Onkel. Sicherlich habt ihr schon von ihm und seinen Heldentaten gehört!“ Weder Lyssandro und Leon bringen es übers Herz, Yoshi zu erzählen, dass ihnen dieser Name keinesfalls geläufig ist. „Er ist mein grosses Vorbild. Ich will so werden wie er.“ „Und deshalb reist Du allein durch die Gegend? Um ein Held zu werden?“ erkundigt sich Lyssandro vorsichtig. Diese Sache ist ihm schon immer ein wenig suspekt gewesen... Yoshis Gesicht verdüstert sich schlagartig. „Nein!“ meint er zögernd, dann entscheidet er, dass er Leon und Lyssandro vertrauen will, und rückt endlich mit seiner wahren Geschichte heraus. Sie ist alles andere als fröhlich und lässt den Jungen plötzlich in einem andern Licht erscheinen, als jemanden, der schon sehr viel mitgemacht hat in seinem Leben. „Aufgewachsen bin ich mit meinen Eltern auf einem grossen Gutshof in Sihrl, den wir von unserem Grossvater geerbt hatten. Es hat mir dort sehr gut gefallen. Wir konnten reiten und fechten lernen, hatten viele Freunde in der Umgebung und ein schönes, geräumiges Haus, in dem wir Feste geben konnten. Doch später wurden wir von einem meiner Onkel von unserem Hof verjagt.“ Sein Gesicht verzieht sich. „Mein 207 Vater hatte vier Brüder. Er war der drittälteste. Der älteste war schon lange von zu Hause weggegangen, und niemand wusste, wo er steckte, und Aithan, mein Lieblingsonkel, fand es auf dem Gutshof viel zu langweilig, wie er sagte. Er ist lieber um die Welt gezogen, um Abenteuer zu erleben.“ Was natürlich die einzig wahre Lebensart in den Augen Yoshis darstellt. „Dann ist mein ältester Onkel zurückgekehrt und hat den Hof übernommen, ohne uns irgend etwas zum Leben zu lassen. Wir hätten lange genug auf seinen Gütern geprasst, meinte er.“ Die gerechte Empörung über dieses erlittene Unrecht schwingt noch immer in seiner Stimme. „Von da an waren wir oft unterwegs. Ja, und auf einen dieser Reisen lernte ich dann SIE kennen.“ Das „Sie“ wurde in einem anbetenden Ton gesprochen, und Yoshi bekommt einen verklärten Glanz in die Augen. „SIE ist die Lippe meines Lebens. War die Lippe meines Lebens.“ Der letzte Satz klingt so traurig, dass es Leon, Lyssandro, und Arist, der jetzt auch sehr interessiert zuzuhören scheint, davon abhält, darüber zu lächeln, dass ein 14-Jähriger erzählt, er habe die Liebe seines Lebens getroffen. Yoshis Gesicht nach zu urteilen, ist es dem jungen Mann jedenfalls sehr ernst damit. Seine Schultern sind nach unten gesunken. „Wir haben geheiratet, da sie mich natürlich auch geliebt hat.“ Die überraschten Gesichter seiner Zuhörer scheint er zu übersehen. Er schweigt für eine Weile, aber niemand drängt ihn darauf, weiterzusprechen, da er sichtlich mit seinen Gefühlen kämpft. Schliesslich strafft Yoshi die Schulter. „Sie wurde entführt, mitten in Sihrl, und von da an habe ich nichts mehr von ihr gehört 208 oder gesehen, obwohl wir verzweifelt nach ihr gesucht haben, ich und meine Familie und auch ihre Familie. Die Entführer müssen sehr geplant vorgegangen sein und viele Helfer gehabt haben...“ Yoshi schiebt das Kinn hoch, doch seine Stimme ist brüchig, als er schliesslich abschliessend meint: „Deswegen will ich ein Held werden. Um SIE zu finden.“ Darauf wissen die andern nichts zu sagen. Inzwischen ist es Mittag geworden, und Isabella hat eine Menge hungriger Gäste zu versorgen. Sie bewirtet „die fremden Abenteurer“, wie sie sie bezeichnet, mit Hühnchen in Gemüsesauce, frischem Brot und Kartoffeln, und findet dennoch genügend Zeit, um hier und da mit ihren Gästen zu schwatzen. Nach dem Essen vertreibt sich Arist die Zeit auf eine für ihn übliche Weise: Er holt seinen magischen Kompass und überprüft, ob in seiner Umgebung vielleicht ein magischer Gegenstand zu finden sei. Natürlich hat er sich zu diesem Zweck etwas von den andern abgesetzt, um bei seinen Aktivitäten unbeobachtet zu bleiben. Der Hinterhof des „Maultiers“ scheint ihm dazu passend, denn wiederum beobachtet ihn da nur Isabellas riesiger Hund, der jetzt genüsslich an einem Knochen, der der Grösse nach von einem Elefanten stammen muss. Tatsächlich schlägt der Kompass aus, und zwar in der Richtung, in der Arist die Trutzburg weiss, obwohl man sie von hier aus nicht sehen kann, wie Lyssandro schon nachts festgestellt hat. Er beschliesst, dass es an der Zeit ist, der Burg einen Besuch abzustatten. Ohne die andern vorher zu 209 informieren, macht es sich auf den Weg zur Burg, die nur eine Viertelstunde weit entfernt ist. Als er zum eisernen Tor kommt, das über den mit fauligen, stinkenden Wasser gefüllten Burggraben führt, sieht er, dass dieses von ungewöhnlich vielen Soldaten bewacht wird. Sie tragen dieselben Pluderhosen und Westen wie ihre Kollegen von der Stadtwache, nur sind ihre Hosen rot, um sie als Burgwachen auszuzeichnen. (Endlich wieder mal was über Uniformen!!!) Arist beschliesst, unbefangen an ihnen vorbeizuschlendern, ein Vorhaben, dass aber im Keim erstickt wird, als fünf oder sechs Speere sich vor ihm kreuzen und so seinen Weg wirksam blockieren. Arist seufzt. Er hat sich seine Unternehmung einfacher vorgestellt. „Nun, meine Herren...“ meint er. „Ich glaube nicht, dass eine solche Be...“ „Wohin des Wegs, mein Herr?“ wird er barsch unterbrochen. „Zum Gottesdienst, in die Kirche.“ Versetzt Arist spontan, ohne mit der Wimper zu zucken. Der Anführer der Soldaten, derjenige, der gesprochen hat, grinst hämisch. „In die Kirche wollt ihr, so?“ meint er, während seine Stimme vor Bedauern trifft. „Es tut mir leid, ihnen zu sagen, dass diese schon angefangen hat. Und da ihr zu spät kommt, kann ich nicht erlauben, dass ihr den Ablauf der Heiligen Messe durch euer Hereinplatzen stört.“ Seine Untergebenen grinsen, und Arist runzelt unwillig die Stirn. Ob der Soldat ihn aus purem Vergnügen schikaniert, ob er einfach einen schlechten Tag hat oder ob ihm Arists Anblick nicht gefällt, lässt sich schwer sagen, doch eines ist sicher: Auf diesem Weg ist es Arist unmöglich, in die Burg zu gelangen. Mit einem aufblitzenden Lächeln zieht er sich 210 zurück, während das Gelächter der Soldaten hinter ihm herschallt. Der Zorn beflügelt jetzt seine Schritte, so dass Arist ziemlich rasch ans westliche Meer gelangt, auf die Rückseite der Burg. Hat er gehofft, auf dieser Seite leichter (und auf illegale Weise) in die Burg zu gelangen, so sieht er sich getäuscht: Calos Burg ist eine Wehrburg, die ihrer Umgebung nichts als hohe, unerklimmbare Wände bietet. Zudem sind sämtliche Mauervorsprünge und Zinnen mit Wachen besetzt, die deutlich sichtbar sind, da ihre Rüstungen gelegentlich hell in der Sonne aufblitzen. Unverrichteter Dinge kehrt Arist schliesslich zu den andern zurück. !!!Hier sind meine Notizen unklar: Gespräch Yoshi/Lyss!!! Leon macht unterdessen sein Versprechen war, dass er Yoshi gegeben hat, und macht sich auf, für diesen eine Armbrust auszusuchen. Unterwegs trifft er auf Arist, der von seiner Artefakt-Suche zurückgekehrt ist, und der sofort beschliesst, ihn zum Schmied zu begleiten. Nach einigem Suchen werden sie auch fündig: In der Nähe der Burg finden sie ein grosses Haus, das an der Front das Zeichen der Schmiedezunft trägt, dem Baustil nach ist sein Besitzer kein armer Mann. Das Klingen von Metall und beissender Rauchgeruch verraten ihnen, dass hier tatsächlich ein Schmied gerade bei der Arbeit ist. Sie betreten das dämmerige Haus, das gefüllt ist mit unzähligen Waffen aller Art, die, ordentlich gestapelt, den Besitzer als 211 einen Mann mit grossem Ordnungssinn ausweisen. Alle sind sie blank poliert; offensichtlich ist ihr Hersteller jemand, der stolz auf sein Handwerk ist. Dies wird er auch gleich unter Beweis stellen. Das Hämmern im Hinterzimmer ist beim Klang ihrer Schritte verstummt, und ein ziemlich kleiner, aber enorm breitschultriger Mann mit mächtigen Muskelwülsten auf den Armen baut sich vor ihnen auf. Sein Oberkörper ist unbekleidet und von Schweiss überströmt. Obwohl er augenscheinlich bei der Arbeit gestört wurde, lächelt er freundlich. „Ich bin Argus, der Schmied.“ stellt er sich höflich vor. „Was kann ich für euch tun?“ „Ich möchte eine Armbrust erstehen.“ antwortet Leon. „Von denen es hier, wie ich sehe, genügend gibt.“ „Die Waffe eines Feiglings!“ fügt Arist hinzu, aber beide, sowohl Leon als auch der Schmied, entschliessen sich, diese Bemerkung geflissentlich zu überhören. Der Schmied straft jedenfalls in der Folge Arist mit vollkommener Nichtbeachtung und wendet sich während des ganzen Gesprächs nur an Leon. „So, eine Armbrust wollt ihr kaufen.“ wiederholt er. „Ich hoffe, ihr könnt eure Wünsche noch etwas präzisieren, denn ich habe eine Menge Armbrüste hier, und jede hat ihre persönlichen Vorteile und Nachteile.“ Er ist zu den aufgereihten Armbrüsten hingetreten und tätschelt die vorderste von ihnen, als wäre sie eines seiner Kinder. Stolz glänzt in seinen Augen, berechtigter Stolz, soweit Leon dies beurteilen kann, denn die Waffen sind alle wunderschön gearbeitet. „Bedenkt: Eine Waffe ist kein Spielzeug. Sie muss zu seinem Besitzer passen." Er kommt ins Dozieren. „Hier seht ihr eine Armbrust mit grosser 212 Durchschlagskraft, die, von einem guten Schützen geführt, sogar vermag, einen Kettenpanzer zu durchschlagen. Sie ist jedoch sehr schwer zu spannen. Hier haben wir eine, die leicht spann- und handhabbar ist, ihre Reichweite und ihre Durschlagskraft ist jedoch dementsprechend geringer.“ Er geht einen Schritt weiter. „Und hier haben wir eine Hebelarmbrust... Doch sagt jetzt, was für Anforderungen stellt ihr an eure Waffe?“ „Es ist nicht meine Waffe.“ versetzt Leon. „Sie ist für einen jungen Burschen gedacht, der mit dieser Waffe noch keine Uebung hat. „Ein junger Bursche, sagt ihr.“ wiederholt der Schmied nachdenklich und holt schliesslich eine Armbrust von weiter hinten. In seinen riesigen Händen, die dennoch sehr kunstvolle Dinge herstellen können, macht sich die Waffe beinahe zierlich aus. „Da hätte ich dieses Modell zu empfehlen. Es ist eine Spezialanfertigung für eine junge Frau, die Nichte eines ansässigen Edelmannes, die unbedingt die Waffen erlernen wollte. Ich habe für sie ein leicht tragund spannbares Modell hergestellt. Dumm nur, dass das verwöhnte Gör, als ich sie fertiggestellt hatte, nichts mehr vom Armbrustschiessen wissen wollte und statt dessen Schwertunterricht nehmen wollte.“ Er knurrt bei diesen Worten erbost. Offensichtlich hält er nicht allzuviel von dieser edlen Nichte. „Also eine Armbrust für Schwächlinge!“ kommt es wiederum von Arist, was den Schmied noch einmal knurren lässt, bevor er sich an Leon wendet. „Die Waffe ist auf 50-70 Meter brauchbar und vermag einen Lederpanzer, oder einen schlechten Spiegelpanzer glatt zu durchschlagen – immer vorausgesetzt, die Hand, die sie führt, ist geübt. Was 213 meint ihr dazu?“ Leon wiegt die Waffe in seiner Hand. „Es scheint mir ein gutes Modell zu sein.“ meint er. „Was verlangt ihr für sie?“ „Da es sich um eine Spezialanfertigung handelt, muss ich schon 15 Goldstücke für sie verlangen.“ Kommt es bedächtig vom Schmied. „15 Goldstücke?“ gibt Leon zurück. „Wahrlich ein fürstlicher Preis!“ „Bedenkt, dass ihr dazu einen Köcher mit speziellen Bolzen erhalten werdet!“ „Was für spezielle Bolzen?“ wirft Arist spitz ein. „Vielleicht vergoldete?“ Der Blick, mit dem der Schmied diese Bemerkung quittiert, hätte Eisen zum Schmelzen bringen können. „Sie sind aus Olivenholz gefertigt.“ erklärt der Schmied, nun endgültig verstimmt, und er spart sich die weiteren Erklärungen dazu. „Wie wäre es mit sieben Goldstücken?“ fragt Arist ungerührt. „Für sieben Goldstücke könnt ihr eine der schweren Armbrüste haben, wie sie von der Burgwache getragen wird. Eine Massenanfertigung. Ich bezweifle allerdings, dass euer junger Bursche sie wird heben können.“ Er lächelt verhalten. „Nun gut, kommen wir später mit Yoshi nochmal vorbei.“ Entscheidet Leon schliesslich. „Es ist am besten, wenn er die Waffen selbst einmal in die Hand nimmt, um sie auszuprobieren. Schliesslich muss er sie ja für den Rest der Reise bei sich tragen.“ Der Schmied brummt zustimmend, während sein Blick besorgt an Arist hängt, der jetzt in der Schmiede herumwandert und vor den Langbögen stehenbleibt. „Oder sollen wir Yoshi einen Bogen kaufen?“ ruft er über die Schulter zurück. „Der Bogen ist eine Waffe für einen Meister!“ weist ihn der Schmied zurecht. „Es sind besonders wertvolle Stücke, 214 die ich nicht jedem in die Hand gebe.“ „So?“ meint Arist interessiert. „Darf ich einen ausprobieren?“ „Ihr seid ein Meister des Bogens?“ fragt der Schmied ungläubig, aber bevor Arist antworten kann, erhebt sich draussen plötzlich ein lautes Geschrei, das schnell näherkommt. Instinktiv greift der Schmied nach seinem Dolch, während Leon seinen Schwertgriff berührt, doch der kleine Junge, der plötzlich wie eine Kanonenkugel ins Innere der Schmiede schnellt, stellt für niemanden eine Bedrohung dar. Sein Gesicht ist vor Aufregung gerötet. „Euer Bruder! Euer Bruder!“ japst er aufgeregt. „Sein Schiff ist gerade angekommen. Er bringt euch Erz mit und Eibenholz und...“ er gerät ins Stottern, da er noch immer kurzatmig ist von der Anstrengung, vom Hafen hierher zu eilen. Wenigstens wird sie gebührend belohnt, denn der Schmied vergisst nicht, ihm eine Münze in die schmutzige Hand zu schieben, bevor er eine Jacke packt und zum Hafen eilt, als Belohnung für die Benachrichtigung. Vor der Schmiede haben sich bereits eine Menge Leute eingefunden. Calos ist klein genug, als das die Rückkehr einer der Ihrigen von den Gefahren des Meeres ein Volksereignis bedeutet. Der Junge strahlt glücklich. „Der Laden ist geschlossen!“ ruft der Schmied über die Schulter zurück. „Ich muss meinen Tunichtsgut von einem Bruder begrüssen. Kommt morgen wieder!“ Und weg ist er. Leon und Arist sehen sich an. In der Tat können sie hier nichts mehr kaufen, so beschliessen sie, es dem Schmied gleichzutun und ebenfalls den Hafen – den grossen Hafen, denn in Calos gibt es auch einen kleinen Hafen, der ausschliesslich Fischerbooten vorbehalten ist – 215 aufzusuchen. Sie brauchen nur der aufgeregten Meute samt Schmied zu folgen. Calos Hafen ist nicht riesig, und neben den unzähligen, bunten Fischerbooten gibt es nur wenige grössere Handelsschiffe oder hochseetaugliche Segler. Dennoch fasziniert er den Betrachter mit seinen Farben, seinem quirligen Leben, den verschiedenen Menschenschlägen, die hier ihren Geschäften nachgehen, den unzähligen Spelunken, die um die Matrosen wetteifern, und das Kreischen der Möwen vermischt sich mit einem babylonischen Sprachgewirr, und der Geruch nach Salz und Fisch erfüllt die Luft. Leon und Arist schlendern durch das Getümmel; sie sind auf der Suche nach einem Schiff, das sie nach Ormanja bringen kann. Eine ganze Weile sehen sie sich vergeblich nach einem passenden Schiff um, dann stechen ihnen zwei grössere Schiffe ins Auge. Ein bauchiger Zweimaster, deren Besatzung gerade dabei ist, ihre Ware auszuladen, schaukelt gemächlich neben einem schlanken, wendigen Einmaster auf den Wellen. Leon und Arist brauchen nicht lange zu überlegen, kurzentschlossen klettern sie an Bord des Einmasters. Dieser scheint verlassen, erst nach kurzem Suchen entdecken sie einen kleinen Jungen, der gedankenverloren und ohne allzu viel Energie dabei ist, das Deck zu schrubben, das ohnehin schon ziemlich sauber ist, im Gegensatz zu dem Jungen selbst, der in zwar farbenfrohe, doch salzverkrustete Lumpen gekleidet ist. Als er ihre Schritte hört, schreckt der Junge hoch und mustert sie aus runden Augen. Ihr 216 Anblick scheint ihn aber zu beruhigen, denn sein Mund verzieht sich zu einem Grinsen. „Was ist Euer Begehr, meine Herren?“ ruft er und macht eine jungenhafte Verbeugung. „Wir möchten den Kapitän dieses Schiffes sprechen.“ Informiert ihn Leon. Der Junge verzieht das Gesicht, kratzt sich hinter dem Ohr und spuckt auf das sauber geputzte Deck. „Meister Andiamus ist ein viel beschäftigter Mann. Er unterhält sich nicht mit jedem“ Meint er bekümmert. „Er ist in seinem Gemach und widmet sich seinen Studien. Ich glaube nicht, dass er euch empfangen kann!“ „Vielleicht hilft das, Andiamus für uns empfänglicher zu machen.“ Meint Arist trocken und schiebt dem Jungen zwei Kupferstücke in die zweifelhaft saubere Hand. Das Gesicht des Jungen erhellt sich sofort. „Meister Andiamus ist noch immer ein vielbeschäftigter Mann!“ strahlt er. „Aber vielleicht kann ich ihn überzeugen, euch anzuhören!“ Und er flitzt davon, Richtung Schiffbauch, und verschwindet über eine Treppe. Leon und Arist hören ein Pochen, ein ärgerliches „Wer stört mich denn nun schon wieder?“ und ein hastiges Gemurmel des Jungen, der den Grund seines Klopfens erklärt. Leon und Arist warten geduldig, und werden schliesslich damit belohnt, dass Meister Andiamus persönlich vor ihnen steht. Er ist ein grosser, hagerer mann in weiter, teurer Kleidung, die allerdings um seine Gestalt schlottert. Sie muss einiges gekostet haben. Er hat ein langes, ebenso hageres Gesicht, umrahmt von schulterlangen Haaren. Auf dem Kopf trägt er einen kleinen Hut mit zwei Federn, im selben dunkelgrün gehalten wie sein Wams, und in seiner Hand hält er eine kleine zierliche Lesebrille. Auf 217 seinem Gesicht liegt ein wehleidiger Ausdruck, als er Leon und Arist mustert. „Ich liebe es ganz und gar nicht, gestört zu werden.“ Sagt er, er hat eine hohe, durchdringende Stimme. „So frage ich Euch denn: Was ist euer Begehr, Fremde?“ Unter dem hochmütigen Blick des „Meisters“ platzt Leon sogleich heraus: „Wir suchen eine Ueberfahrt nach Ormanja. Wann fahrt ihr?“ Ein schockierter Ausdruck breitet sich auf Andiamus Gesicht aus, er hebt seine Brille und beäugt Leon ausgiebig durch diese. Mit spitzer Stimme weist er Leon dann zurecht: „Ihr befindet euch auf keinem gewöhnlichen Passagierschiff, sondern auf dem „Eilenden Schwan“, dessen Kapitän ich bin. Und ich bin mein eigener Herr. Ich werde diese Gestade verlassen, aber erst, wenn die kulturellen Bedürfnisse dieser Leutchen hier befriedigt sind. Ich bin ein fahrender Poet, müsst ihr wissen.“ Mit affektierten Schwung wirft er seine Haare zurück. Leon scheint nicht besonders beeindruckt von dieser Zurechtweisung. „Und wann dürfte dies etwa der Fall sein?“ Dies scheint Andiamus in Rage zu bringen, denn er fährt fort: „Ich und meine Kunst, wir packen die Leute bei der Seele. Nirgends, ich wiederhole, nirgends wollen sie mich überhaupt je wieder gehen lassen! So zügelt eure Ungeduld, mein Freund! Habt ihr keine Ehrfurcht vor der Kunst?“ Auch diese Standpauke verfehlt jedoch die gewünschte Wirkung auf Leon. Gnädig fügt dann der Künstler noch hinzu: „Fragt doch den Händler da, nebenan. Er ist, soviel ich weiss, unterwegs nach Ormanja. Er wird vielleicht bereit sein, euch 218 mitzunehmen. Soweit alles klar?“ Eine abschätzige Geste auf den Zweimaster, der neben ihm vor Anker liegt, folgt. „Ich werde mich jetzt jedenfalls wieder meinen Studien widmen, Gentlemen.“ Das „Gentlemen“ ist eine Spur zu spitz betont. „Wenn sie jetzt den „Eilenden Schwan“ verlassen würden... Ich glaube nämlich, dass ich das Grundbedürfnis dieser Leute hier – unter uns gesagt, sie sind ziemliche Barbaren – bereits gestillt habe; und deswegen bald aufbrechen werde – ohne Euch. Ich liebe die Seefahrt, weil sie mir Ruhe, Musse und Einsamkeit bringt – und genau das brauche ich für meine Kunst!“ „Ihr solltet Euch Eure Entscheidung noch einmal überlegen.“ meint Arist. „Leute abzuweisen, die eurer Hilfe bedürfen, scheint mir – mit Verlaub – ebenso barbarisch, wie die Kulturbedürfnisse der Einwohner von Calos euch scheinen mögen. Ihr solltet euch als der galante Herr verhalten, als den euch eure Flagge auszeichnet.“ Er weist auf die beachtliche Flagge, die den einen Mast des „Eilenden Schwans“ schmückt. Andiamus ist ob dieser Zumutung blass geworden. „Wenn ihr meine Flagge gesehen habt...“ meint er, „... so wisst ihr, dass ihr es mit einem Künstler zu tun hat, der nicht nur die Poesie, sondern auch die Heraldik versteht. Also jemanden, der weit über euch steht!“ „Ich sehe die Flagge eines Wichtigtuers.“ versetzt Arist lächelnd. Andiamus verschlägt es die Sprache. Als er sie widerfindet, explodiert er fast: „Das ist ein Affront!“ brüllt er. „Ein Affront gegen den „Eilenden Schwan“ und mich selbst! Wärt ihr ein Edelmann, hätte ich schon lange Genugtuung von euch verlangt!“ Sein hageres Gesicht 219 ist vor Zorn rot überlaufen. „Ach ja? Wie wäre es dann mit einem Wettstreit, in dem ihr euch auch mit jemand unter eurem Stand messen könnt? Zum Beispiel, wer von uns beiden das längere Gedicht über eine berühmte Sage erdichten kann?“ versetzt Arist ungerührt. Andiamus hat sich jetzt wieder gefasst. Seine Stimme ist kalt, als er antwortet: „Ich bin in berühmten Tempeln und gar vorn Königshöfen aufgetreten. Ich gebe mich nicht mit Pöbel und Hergelaufenen ab. Schaff Dir erst einen Namen, bevor Du dich mit mir messen willst!“ „Hast du etwa Angst vor wahrer Kunst?“ erhält er postwendend die Retourkutsche von Arist, doch diesmal lässt sich Andiamus nicht mehr auf Diskussionen ein. „Runter von meinem Schiff.“ befiehlt er eisig. „Bevor ich die Wachen rufen lasse.“ Leon hat genug von Andiamus und dessen Hochmut, hier werden sie garantiert nichts erreichen. Er packt Arist am Aermel. „Lass uns gehen.“ meint er. „Hier erreichen wir sowieso nichts.“ Arist lässt sich mitziehen, während er im Herzen finstere Rachepläne schmiedet. ... Yoshi und Lyssandro kommen vom Übungsplatz zurück zum Gasthaus, wo sie zur Zeit gerade logieren. Die Kirchturmuhr schlägt sechs mal. Im Gasthaus ist viel Betrieb. Die meisten Leute verköstigen sich gerade. Auch die Gefährten sind da und haben schon für alle bestellt. Yoshi und Lyss setzen sich hinzu. Abendessen ist angesagt. Es gibt Schaffleisch und Rübenwürfel, garniert mit Kandover, einem streng nach Knoblauch riechenden einheimischen Gewürz. Es schmeckt 220 vorzüglich. Alle Mahlzeiten sind im Übernachtungspreis inbegriffen. Sie informieren sich gegenseitig über ihre heutigen Taten. Sie beschliessen am Abend dann noch einmal zum Hafen zu gehen und nach einer Mitfahrgelegenheit nach Ormania zu suchen. Vor allem den komischen Künstler namens – wie hiess er denn? – wollen sie unbedingt nochmals besuchen. Yoshi, Kaitou und Bildugan sind ganz neugierig auf diesen komischen Kauz, nachdem, was Arist und Leon über ihn berichtet haben, besonders Kaitou. Kaum fertig gespeist machen sie sich auf die Socken zum Hafen. Sie steuern gleich zuerst auf das Schiff des Künstlers zu. Sein Gehilfe ist am Steg. Er ordnet Bänke in einem Halbkreis an. „Gebt ihr heute Abend eine Vorstellung?“ fragt ihn Yoshi. „Ja, heute Abend. Kommt vorbei und seht es euch an,“ antwortet der Junge. „Wie oft habt ihr denn eine Vorstellung an einem Ort?“ will Arist wissen. Der Junge antwortet mit leiser Stimme: „Meistens nur eine. Die Euphorie der Zuschauer hält sich in engen Grenzen. Am zweiten Tag hat es meistens zu wenig Zuschauer, dass es sich lohnt eine Vorstellung zu machen. Aber kommt doch heute Abend und überzeugt euch selbst.“ Yoshi bedankt sich: „Gut, dann bis später.“ Etwas entfernt halten sie die Köpfe zusammen. Sie sind sich einig, dass das Schiff des Künstlers das schönste ist im Hafen und besonders Arist würde gerne mit diesem Schiff nach Ormania reisen. Yoshi sieht drei Möglichkeiten. Entweder sie schauen seine Vorstellung 221 und streichen ihm anschliessend gehörig Honig um den Mund, so dass er Weich wird, oder sie Buhen ihn aus und schleichen sich an Bord, oder sie Kapern das Schiff mit Gewalt. Der Samurai hat noch einen weiteren Vorschlag: „Ich könnte ihm eines meiner Gemälde anbieten. Wenn er etwas von Kunst versteht, dann gefallen sie ihm bestimmt, und er wird uns mitnehmen.“ Lyssandro will mit der ‚Organisation’ eines Schiffs nichts zu tun haben: „Bitte entschuldigt mich, ich muss noch was erledigen. Ich überlasse es euch, eine Überfahrgelegenheit nach Ormania zu beschaffen.“ Er entfernt sich Richtung Zentrum. Arist überlegt sich kurz, ihm zu folgen. Aber er wird von den andern gleich zum nächsten Schiff gerufen. Lyssandro geht zur Burg, denn da befindet sich die Kirche. Vor dem Tor ist eine Wache, die ihn zurückdrängt und will ihn zuerst nicht in die Kirche hinein lassen. Nachdem Lyssandro aber von seiner Beziehung zu Jahwe und der Wichtigkeit seiner Präsenz in der Kirche gesprochen hat lässt ihn die Wache mit entschuldigenden Worten durch: „Im Normalfall werden keine Fremdlinge in die Kirche gelassen. Nichts für Ungut.“ Lyssandro geht durch das Kirchentor. Der Priester hält gerade eine Messe. Lyss setzt sich in die hinterste Reihe und wartet, bis die Messe vorbei ist. Die andern debattieren gerade mit dem Kapitän des einen Handelsschiffs: „Ihr wollt 5 Goldstücke für die Überfahrt und auf dem anderen Schiff bezahlen wir nur zwei Goldstücke. Mach uns ein besseres Angebot!“ Der Kapitän ist verdutzt: „Na gut, ein Goldstück pro Person 222 und ihr könnt mit mir mitreisen. Das ist mein letztes Angebot.“ Auch ein Goldstück pro Person erachten sie als Wucher. Klar, Reisen ist teuer, aber doch nicht so. Sie schlagen vorerst nicht ein und beschliessen zurück zum Gasthaus zu gehen, um noch eins zu trinken. Die Suche nach einem Schiff können sie morgen wieder fortsetzen, die Motivation für heute scheint verbraucht zu sein. Ausserdem ist Heute nicht mehr lange, die Kirchenglocken schlagen halb zwölf. Arist trennt sich heimlich von der Gruppe ab. Er will zuerst Lyssandro suchen, um das Ritual zu vollziehen. Er weiss, dass Lyss ein der Kirche sein muss. Er geht zur Burg um ihn abzuholen. Die Messe in der Kirche ist unterdessen vorbei. Lyssandro geht nach vorne und spricht den Priester an: „Dürfte ich vielleicht euren Altar benutzen? Ich bräuchte ihn für ein Ritual. Ich muss mein gewissen mit Jahwe in Einklang bringen.“ Der Priester ist skeptisch: “Nun, ihr müsst verstehen, dass ich den Altar nur geweihten Personen überlassen kann, seid ihr ein Priester?“ „Nein, bin ich nicht...“ gibt Lyss ehrlich zur Antwort. „Ihr könnt gerne bei mir eure Beichte ablegen, und euer Gewissen so ins Reine bringen. Aber den Altar kann ich euch nicht zur Verfügung stellen.“ Lyssandro ist einverstanden und erzählt dem Priester die Vorfälle im Orklager, die Sache mit der Feder, seine Vision von dem Dämon und dem besessenen Dolch von Kaitou. Der Priester hört ihm aufmerksam zu. Nach ausführlicher Beichte ist er von der Geistlichkeit Lyssandros überzeugt und gewährt ihm nun doch, den 223 Altar zu benutzen. Lyss ist erfreut. Er macht sich gleich an die Arbeit. Er zündet auf dem Altar sechs Kerzen an, die er kreisförmig anordnet. Dann nimmt er einen Büschel geweihte Gämsenhaare aus seinem Beutel und streut sie auf den Altar. Er kniet nieder, faltet die Hände und beginnt mit wippendem Oberkörper zu beten. Er versucht die gleichen Worte und Gedanken zu formulieren wie letzte Nacht im Hinterhof. Nur dass er diesmal die konkrete Frage anfügt, ob sich der Mörder unter den Gefolgsleuten befindet. Diesmal ist die Stimme ganz deutlich guter Natur. Aber sie macht lange Zeit keine klare Aussage. Aber plötzlich und für ganz kurze Zeit ist Lyss der vollen Überzeugung, dass sich der Mörder nicht in seinen Reihen befindet. In diesem Moment spürt er Fingertipper auf seiner Schulter. Ein Wachmann steht neben ihm und will Lyss mitteilen, dass ein gewisser Arist vor der Kirche auf ihn wartet. Lyss räumt seine Sachen zusammen, bedankt sich herzlich beim Priester für seine Dienste und geht zur Tür. Da steht Arist ganz ungeduldig: „Endlich hab ich dich gefunden. Die Kerle wollten mich einfach nicht in die Kirche hinein lassen. Komm lass uns das Ritual vollziehen. Dann wissen wir endlich, wer der Mörder ist.“ Lyssandro schüttelt den Kopf: „Nein Arist, wir werden das Ritual nicht durchführen. Es ist nicht mehr nötig. Ich weiss, dass sich der Mörder nicht unter uns befindet!“ Arist wird lauter: „Was soll das, wir haben abgemacht, dass wir das Artefakt befragen werden. Gib mir die Feder! Dann tu ich es eben alleine.“ Lyssandro gesteht, dass er die Feder nicht bei sich trägt, aber dass sie sich an einem sicheren Ort befindet, der aber 224 unerreichbar ist: „Das Artefakt ist unschädlich, aber es ist unerreichbar.“ Arist wird wütend und beschimpft Lyssandro: „Ich habe dir vertraut. Ausgerechnet du missbrauchst mein Vertrauen.“ Er geht mit schnellen Schritten zurück zur Gaststube. Lyssandro versucht ihm noch nachzurufen, aus welchem Grund er die Feder nicht mehr bei sich trägt. Aber Arist ist zu zornig um Lyss’ Worte zu hören und ignoriert ihn. In der Gaststube angekommen fragt er jeden der Gruppe, den er findet, ob er mitkomme das Artefakt nach dem Mörder zu befragen. Er hat Lyssandro nämlich ein falsches Artefakt gegeben. Die Feder wäre eigentlich nur ein Trick gewesen, um den mutmasslichen Mörder zu verleiten die Feder Lyssandro zu entwenden und zu vernichten. Das richtige Artefakt hat er immer noch bei sich. Leon und der Samurai begleiten ihn. Kaitou, Yoshi und Bildugan bleiben in der Gaststube. Als Lyssandro in der Gaststube ankommt gönnt er sich als erstes einen Krug Bier nach so einem anstrengenden Tag, der aus seiner Sicht erfolgreich zu Ende ging. Schliesslich ist er jetzt überzeugt, dass keiner der Begleiter die Sünde begangen hat. Leon und der Samurai stehen unterdessen auf einem Platz in einem Hinterhof. Es ist dunkel und Arist vermutet unbeobachtet zu sein. Er legt das Artefakt – es verkörpert eine Schriftrolle – auf den Boden und zieht einen Notizzettel aus seiner Westentasche. Er wiederholt noch einmal, wie das Artefakt funktioniert. Man kann ihm eine Frage in dichterischer Form stellen und die Erfüllung hält so lange, bis der Hahn drei mal 225 Kräht. Der Samurai möchte wissen, wo denn der Haken an dem Artefakt sei. Arist meint, es gäbe keinen. Er verschweigt Kaitou, dass mit einer geringen Wahrscheinlichkeit der Dämon, der in der Schriftrolle gefangen ist, befreit werden kann. Arist kniet vor das Artefakt und spricht seine Verse: Blabla...(Matter fragen) Es ist still. Die Schrift rolle beginnt zu qualmen. Sie wird rotglühend und empor schiesst eine Gestalt des Schreckens. Ein Dämon. Zur gleichen Zeit in der Gaststube spürt Lyssandro einen fürchterlich stechenden Schmerz auf der Brust. „Böses ist in der Stadt!“ Er rennt aus der Gaststube. Er folgt der Herkunft des Schmerzes. Kaitou folgt ihm. Lyss rennt immer schneller, denn die Präsenz wird immer stärker. Um die dritte Hausecke sieht er das rote Licht, das der Dämon ausstrahlt. Er hört seine Gefährten, wie sie mit ihren Waffen erfolglos auf den Dämon einschlagen. „Flieht!“ ruft Lyssandro durch die Gasse, die er her gerannt kommt. Er packt sein Buch mit beiden Händen und streckt es aus, so dass das Bild auf seinem Buch, ein sechszackiger Stern, genau auf den Dämon zeigt. Mit dem Buch macht er sternförmige Bewegungen. Der Dämon bemerkt ihn sofort. Er lenkt seine volle Aufmerksamkeit auf Lyssandro. Lyssandro verlangsamt seine Schritte, und er beginnt unverständliche Phrasen zu sprechen: 226 Exorcizo te, omnis spiritus immunde, in nomine Dei Jahve omnipotentis, et in nomine Domini et Judicis nostri, et in virtute Spiritus Sancti, ut descadas ab hoc plasmate Jahve, Daemon quod Dominus noster ad templum sanctum suum vocare dignatus est, ut fiat templum Dei vivi, et Spiritus Sanctus habitet in eo. Per eumdem Jahve Dominum nostrum, qui venturus est judicare vivos et mortuos, et saeculum per ignem... Diese Worte wiederholt er fortlaufend. Es macht den Anschein, als hätte der Dämon Schmerzen. Er reckt sicht und fuchtelt mit seinen Pranken um sich. Es macht den Anschein, als versuche er auf Lyssandro zu zugehen, aber irgendetwas hält ihn ab. Hie und da wirft Lyss von den geweihten Gämsenhaaren auf den Dämon. Wenn er das tut, dann heult das Biest laut auf, als hätte es unheimlichen Schmerz. In der Aufruhr merkt Lyssandro nicht, wie sehr er selbst von Schmerzen geplagt ist, als würde es ihm den Brustkorb zerquetschen. Kaitou stösst Lyss zur Seite und wirft Reis auf den Dämon. „Was soll das?“ fragt Lyss. „Jetzt muss er zuerst die Reiskörner zählen! Das hält ihn auf!“ gibt er zur Antwort. Lyssandro schüttelt den Kopf und fährt mit seinem Austreibungsritual fort. Auf einmal spürt er Fingertipper auf seiner Schulter und eine knöchrige alte Hand streckt ihm ein Pfännchen 227 entgegen. Lyssandro schaut zurück; der Priester von der Kirche. „Das ist Weihwasser!“ Lyssandro nimmt das Gefäss und sprüht Tropfen von Weihwasser auf den Dämon. Dazu spricht er fortwährend diese unverständlichen Verse. Es nützt, die Kraft des Dämonen lässt nach. Minuten Später befindet sich an dem Ort, wo der Dämon stand noch ein Häufchen qualmender Asche. Lyssandro fällt in die Knie. Er atmet heftig und man kann den schnellen Puls in seinen aufgeblähten Blutadern sehen. Der Priester klopft ihm auf die Schulter und verschwindet alsbald in der Gasse Richtung Burg, ohne ein Wort zu sagen. Arist, Leon, der Samurai und Lyss starren wie paralysiert auf die Asche. 228