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Ernährungsmanagement bei Essstörungen – von der Evidenz zur Therapie Essstörungs-Kongress Prien am Chiemsee 2015 Dr. oec. troph. Verena Haas Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Campus Virchow-Klinikum, Charité-Universitätsmedizin Berlin Urban Food Art Installations by Peter Pink Ernährungsmanagement bei Essstörungen Positionspapier American Dietetic Association Ernährungsstatus ● Gewichtsanamnese; BMI/BMI-Perzentile; Anthropometrische Tests ● Interpretation Laborwerte /Elektrolyte ● Analyse Ernährungsprotokoll (Makro/Mikronährstoffe) Ernährungsintervention ● Ernährungsplan ● Modellessen ● Protokoll: Regelmäßige Nahrungsaufnahme, Erweiterung der Nahrungsvielfalt, Beratung zur Lebensmittelauswahl ● Hunger- und Sättigungswahrnehmung trainieren Ernährungsmonitoring ● Festlegen der erforderlichen Energie- und Makronährstoffaufnahme ● Verlauf der Wiederernährung mit dem Team kommunizieren ● Informationen für andere Gesundheitsfachkräfte, Patienten, Familie Position of the Position of the American Dietetic Association: Nutrition Intervention in the Treatment of Eating Disorders. J Am Diet Assoc. 2011 Ernährungstherapie in den Leitlinien Patientinnen sollten im Hinblick auf eine angemessene Nahrungsmenge und -zusammensetzung beraten werden (S3-Leitlinien) Voraussetzung: umfangreiche Erfahrungen im Umgang mit essgestörten Patientinnen + engmaschige Abstimmung mit dem Psychotherapeuten (S3-Leitlinien) Ernährungsberatung sollte nicht als alleinige Behandlung angeboten werden3,4 (S3, NICE) Für die meisten AN-Patientinnen sollte eine durchschnittliche wöchentliche Gewichtszunahme von 0,5 - 1 kg (stationäre Behandlung) bzw. 0,5 kg (ambulante Behandlung) angestrebt werden. Dies erfordert ungefähr 3500 - 7000 Extra-Kalorien pro Woche. 3Serfaty et al.: Cognitive Therapy Versus Dietary Counselling in the Outpatient Treatment of AN; Eur Eat Disord Rev 1999; et al.: Cognitive behavior therapy in the posthospitalization treatment of anorexia nervosa. Am J Psychiatry 5 2003; NICE clinical guideline 9, www.nice.org.uk/cg9 4Pike Energiebedarf bei AN: „Extra-Bedarf“ an Kalorien zur Gewichtszunahme nicht genau ermittelbar [Methodik: Formeln, Energieaufnahme, Gewicht] Durchschnittlich stecken bei AN ca. 8000 Kalorien in einem zugenommenen kg Gewicht AN Excess kcal/kg BW synthesis Walker et al., 197910 6401 ± 1627 Dempsey et al., 198411 9768 ± 4212 Kaye et al., 198812 8301 ± 2272 (2272 – 12723) 9Walker et al.: Caloric requirements for weight gain in AN; AJCN. 10Dempsey et al.: Weight gain and nutritional efficacy in AN, AJCN; 11Kaye et al.: Relative importance of calorie intake needed to gain weight and level of physical activity in AN, AJCN. Energieumsatz und Energiebedarf bei AN: 3000 kcal/d akut, ambulant6: DLW Beginn stationäre Therapie: Empfehlungen 2000 kcal/d AN 1000 kcal/d C Risiko RS AN AN8 AN AN7 6Casper et al.: Total daily energy expenditure and activity level in anorexia nervosa, AJCN 1991; 7NICE guidelines; 8Kohn et al.: Refeeding in anorexia nervosa: increased safety and efficiency through understanding the pathophysiology of protein calorie malnutrition. Curr Opin Pediatrics 2011. Energiebedarf während der Therapie9 9Marzola et al. BMJ Psychiatry, 2013 38 kg 1900 kcal 42 kg 3360 kcal 46 kg 2300 kcal GEO: auf 80 Tellern um die Welt Der Asket: 800 kcal/d Das Model: 2400 kcal/d Der Surfer: 3500 kcal/d Ernährungstherapie bei AN in spezialisierten Zentren Beispiel 1: Sydney (stationäre Behandlung von Jugendlichen) - Maudsley Family Therapy , keine Ernährungsberatung - Nasogastrale Sonde zu Beginn der Behandlung, 2000 kcal/24h - Kontinuierliche, langsame Nahrungszufuhr (auch über Nacht) - Niedriger Glucosegehalt, Phosphat-Supplementation, Elektrolytkontrolle ( Risiko RS) - Stufenweise Einführung von oraler Nahrung Beispiel 2: Berlin/Charité (stationäre Behandlung von Jugendlichen) - DBT, multimodale Therapie inkl. Ernährungsberatung - Essenspläne (800 – 3400 kcal) - 1. Plan wird individuell festgelegt (häufig: 1500 kcal/d) - Steigerung im 200kcal-Schritten bei Gewichtsstillstand - Sonde nur in seltenen Ausnahmefällen Effekt unterschiedlicher Strategien auf outcome: unklar! Ernährungstherapeutische Strategien bei AN Die ideale Nahrungszusammensetzung für die Realimentation bei AN (Makronährstoffzusammensetzung, geeignete Lebensmittel) ist unbekannt Ernährungstherapeutische Strategien bei AN ● Eicosapentaensäure-Derivat (1g/d über 3 Monate) führte in einer Pilotstudie (n = 7 AN-Patientinnen) zu gutem outcome im Hinblick auf Gewichtsrekonstitution (deskriptiv)10 Aus ernährungsphysiologischer Sicht günstig, aber nicht evidenz-basiert: ● hohe LM-Vielfalt und Energiedichte ● Betonung auf Nährstoffbedarf statt Kalorien (Anspannung)9 ● Protein mit hoher biologischer Wertigkeit9 ● essentiellen Fettsäuren Lipide (Membranfunktion, neuronale Vernetzung v.a. im Gehirn) ● Flüssignahrung bei bestimmten Patientinnen und Phasen kann gastrointestinale Beschwerden reduzieren9 10Ayton AA, A, Horrobin D: A pilot open case series of ethyl-EPA supplementation in the treatment of anorexia nervosa. Prostaglandins. Leukot Essent Fatty Acids 2004, 71(4):205–209. Ernährungstherapie bei AN: Vorgehensweise12 Anonyme Befragung von Experten (21 RD’s, min. 5 Jahre Erfahrung mit Essstörungen) Ergebnis: insgesamt wurde zu den ernährungstherapeutisch sinnvollen Vorgehensweisen nur moderater Konsens erreicht Konsens - Ziel ist die medizinischen Stabilisierung der Patientinnen - Verwendung von Perzentilen für Kinder und Jugendliche - Psychoedukation zu Mangelernährung/biologisches Erklärungsmodell - Arbeit an verzerrten Vorstellung zu Lebensmitteln, Gesundheit, Gewicht und Stoffwechsel - Hilfe bei der Auseinandersetzung mit der Körperschemastörung - Bei „behandlungsresistenten“ Patientinnen: Motivation, langfristige Ziele, und hinderliche Wirkung der Essstörung besprechen 12Mittnacht et al.: Best Nutrition Counseling Practices for the Treatment of AN: A Delphi Study. Int J Eat Disord 2015 Ernährungstherapie bei AN: Vorgehensweise12 Kein Konsens - Zielgewicht; Anlehnung des Zielgewichts an Wiedereinsetzen der Menstruation - Essenplan - Art der anzuwendenden psychologischen Gesprächstechniken Methodische Schwächen Individuelle vs. generelle Vorgehensweise mit den Patientinnen Likert Skala „don‘t know / depends“ Doppeldeutige Formulierungen in den Fragen Unklarheit bezüglich Alter/Schweregrad Zusammensfassung Der Energiebedarf bei AN ist hochgradig variabel, und selbst für erfahrene Experten nicht genau einschätzbar Aktuelle Leitlinien sind in diesem Punkt nicht hilfreich Der unklare Wissensstand beeinträchtigt die Entwicklung von evidenzbasierten Leitlinien zur Ernährungstherapie bei AN. Es besteht dringender Bedarf an ernährungswissenschaftlicher Grundlagenforschung, um effektive Wiederernährung-Strategien zu etablieren. Maßnahmen und Methoden der Ernährungstherapie - überschneiden sich mit Themen aus der Psychotherapie - Kommen nicht in konsistenter Weise zur Anwendung Ernährungstherapie in der Praxis Ernährungstherapie: Stoffwechseltest Befund Indirekte Kalorimetrie O2 und CO2 gemessen Alter 10 bis 13 13 bis 15 15 bis 19 19 bis 25 25 bis 51 51 bis 65 über 65 männlich 2300 2700 3100 3000 2900 2500 2300 weiblich 2000 2200 2500 2400 2300 2000 1800 Ernährungstherapie: biologische Gesundheitsmarker 1. Messung (Aufnahme): 38,2 kg 2. Messung (Entlassung): 44,5 kg Gruppenberatung: Nährstoffe, Funktion & Mangel Fette Funktion Mangel Energiespeicher Energiemangel Lieferant fettlöslicher Vitamine Vitaminmangel, Hautveränderungen, Haarausfall Organpolster Organverletzung bei Sturz Isolierschicht Leichtes Frieren Essentielle Fettsäuren: Aufbau Zellmembran auch in Gehirnu. Nervenzellen Konzentrationsstörungen, Schwierigkeiten beim Lernen, Emotionale Labilität, Depression, Anspannung, Stimmungsschwankungen, Wutanfälle, Schlafstörungen Die Ernährungsgruppe: Entlassungsmanagement Klinik 6:00 7:00 Frühstück 8:00 9:00 Zwischenmahlzeit 10:00 11:00 12:00 Mittagessen (warm) 13:00 14:00 15:00 Kaffeemahlzeit 16:00 17:00 18:00 Abendbrot (kalt) 19:00 20:00 21:00 Spätmahlzeit Schultag 1. Ideen sammeln Die aktive Ernährungsgruppe 3. Einkaufen 4. Zubereiten 5. Essen 2. demokratische Abstimmung 6. Feedback Ernährungsmanagement bei Essstörungen – von der Evidenz zur Therapie Fragen?