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Reiseblatt
Seite R 4 / Donnerstag, 24. Januar 2002, Nr. 20
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Terminal
Stationen
Füll deinen Beutel mit Geld oder Reisen in
der Mark ist alles andere eher als billig
„Die Bülows und die Arnims sind zwei
ausgezeichnete Familien, aber wenn sie
morgen von der Bildfläche verschwinden,
ist es für Preußen ganz gleichgültig, und
die Müllers und Schultzes rücken in die
leergewordenen Stellen ein.“ Theodor
Fontane konnte 1894 nicht ahnen, daß die
Bülows fünfzig Jahre später tatsächlich
verschwinden mußten. Im April 1945
rückten in Groß Ziethen vor den Müllers
und Schultzes allerdings zunächst einmal
Soldaten ein.
Als die Rote Armee genesen und das
Schloß geplündert war, wurden Flüchtlingsfamilien einquartiert. In die Salons
zogen Konsum, Kindergarten, Kulturraum, und im Schloßpark installierten
Müllers und Schultzes später die Schup-
rockzeit erhalten ist. Aus dieser Zeit
stammt auch der zweigeschossige Mittelbau, an dessen Außenseiten 1898 dreigeschossige Eckpavillons angebaut wurden.
Die großen Rundbogenfenster der früheren Orangerie und das flache Kuppeldach
geben dem hellgelben Bau das Charakteristische.
Die Eigentümerliste liest sich wie eine
Landesgeschichte. Je jünger, desto kürzer hielten die Besitzer durch. Während
die Bredows das Anwesen von 1355 bis
1649 besaßen, brachte es die Nachfolgerfamilie von der Lütke nur auf die Jahre
1649 bis 1776. Es folgten in immer kürzeren Wechseln die von Schlippenbachs,
von der Asseburgs, von Massows und
von Bülows bis 1945.
Was man nicht sieht: den mittelalterlichen Keller und die Küche aus dem Barock Foto Hotel
pen für ihre Trabis sowie eine Mülldeponie. Mensch sei Mensch, meinte Fontane,
aber weder der neue Mensch noch die
Kultur auf dem Lande konnten verhindern, daß mit der Wende ein baufälliges
Ensemble in der Gegend stand.
Bis aus Cyten im Jahre 1313 Grossen
Cieten, Groten Cziten, Zitten, Cziten und
Grossen Zieten endlich Groß Ziethen
wurde, vergingen Jahrhunderte. Man
sieht es dem neuklassizistischen Herrensitz der Jahrhundertwende nicht an, daß
im Innern neben einem mittelalterlichen
Kellergewölbe eine Küche aus der Ba-
Prominentester Besitzer wurde Fürst
Blücher, 1799. Aus Fontanes Bericht über
die Försterei Brieselang erfährt man, daß
der Vater des Försters „in Diensten beim
alten Blücher war, der dazumal Groß-Ziethen hatte“. Sein Sohn „habe oft auf des
alten Feldmarschalls Knie geritten“. Fayence-Öfen mit Blaumalerei soll es im
Schloß gegeben haben, französische Gobelins und jene Kutsche Napoleons, die
dem Feldherrn in der Schlacht bei Waterloo als Siegestrophäe zugefallen war.
Das alles ist nicht mehr. Gut und
Schloß wurden mit der Bodenreform ent-
eignet. Es fügte sich, daß sich in den neunziger Jahren die Familie von Thüngen für
die heruntergekommene Immobilie interessierte. Obwohl nicht alle Bürger das
Herrenhaus als Zentrum des Dorfes begreifen, hat man sich gegen Abriß und für
Rekonstruktion ausgesprochen. Mensch
sei Mensch, meinte Fontane, und daher
ist es kurios, daß ausgerechnet Müllers
und Schultzes sich 1995 als ABM-Truppe
daranmachten, daraus wieder einen „Erholungsort für Dorfbewohner und Gäste“
zu schaffen.
Die Gemeinde wurde Eigentümer,
der Landkreis förderte die Sanierung,
und die von Thüngens erhielten von der
Gemeinde einen Pachtvertrag über achtzig Jahre für das „Hotel Schloß Ziethen“. In den neuen „Anziehungspunkt“ wurden sechs Millionen Mark investiert. Edith Freifrau von Thüngen
führt die Geschäfte. Das ist nicht einfach. Wer weitab vom Berliner Zentrum
ein Hotel mit dreißig Zimmern betreiben will, muß berücksichtigen, daß es
höchstens während der großen Messen
ausgelastet ist. Es gibt reizvollere Landschaften als das Kremmener Luch, und
die Ruppiner und Oranienburger Kanäle sind nicht die beliebtesten Wasserstraßen Brandenburgs. Eine Golfanlage, ein
Sportflugplatz und die Wochenend-Berliner machen den Kohl nicht fett.
Wie ein normales Hotel ist das Haus
also nicht zu führen. Es erwartet den Besucher ein typisches märkisches Herrenhaus mit Vestibül, fünf ineinander übergehenden Salons und Terrassen zum Park.
Das Restaurant in der ehemaligen Orangerie, die Bibliothek mit der begehbaren
Galerie, schwere Teppiche, alte Möbel, historische Gemälde und ab und an Konzerte vor den lodernden Kaminen geben
dem Haus seine Note.
„Wenn du das Wagstück wagen willst,
füll deinen Beutel mit Geld. Reisen in der
Mark ist alles andere eher als billig.“ Fontane ist immer aktuell. Das gilt auch für
die Speisekarte von Groß Ziethen. Preiswerter ist es bei den Investitionen wohl
nicht zu machen. Ein Einzelstück hat seinen Preis. Intim ist es hier dafür, ruhig, gediegen, charmant und diskret. Man setzt
auf das, was die Herrenhäuser einst waren, der gesellschaftliche Mittelpunkt auf
dem Land, ein Refugium nicht weit von
der Großstadt. Das Hotel im Schloß oder
das Schloß als Hotel. Was hätte man anderes tun können? Ein Baudenkmal ist erstPETER HAHN
mal gerettet.
*
Hotel Schloß Ziethen, 16766 Groß Ziethen bei
Kremmen, Telefon 03 30 55/9 50, Fax 95 59.
E-Mail: info@schlossziethen.de, Internet: www.
schlossziethen. de. Die Übernachtung kostet einschließlich Frühstück ab 77 Euro im Einzelzimmer und ab 87 Euro im Doppelzimmer.
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Abbildung aus dem besprochenen Band
Unbeschreiblich weiblich: forsche Frauen
Frauenforschung tut not. Daß sie noch immer in den Anfängen steckt, beweist ein
Band wie „Frauen erkunden die Welt“ –
das Ergebnis zweier forschender Frauen
über forschende Frauen in den vergangenen zweitausend Jahren. Er stellt vierundachtzig Damen vor, von denen die wenigsten der Ruhm erreicht hat, den ihre Arbeit
verdient, und deren Namen selbst in Fachkreisen auf ein Stirnrunzeln treffen. Daß
jenseits der üppigen Bebilderung die biographischen Ausführungen knapp bleiben
und teils recht naiv formuliert sind, Analysen zudem gänzlich fehlen, liegt allerdings
keineswegs an einem Mangel von Material.
Milbry Polk und Mary Tiegreen haben sich
schlicht übernommen. So ist ihr Band weniger Nachschlagewerk als Appetitmacher;
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„Frauen erkunden die Welt“ von Milbry Polk und
Mary Tiegreen. Frederking & Thaler Verlag, München 2001. 256 Seiten, zahlreiche Abbildungen.
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Therapie
was sich dankenswerterweise in einer umfangreichen Literaturliste niederschlägt.
Was nun das genuin Weibliche an den
Abenteuern und wissenschaftlichen Expeditionen zwischen Tiefsee und Weltall angeht, halten sich die Autorinnen bedeckt.
Denn hätte sich nicht auch ein Mann in Venezuela als erster Mensch den Weg durch
den Dschungel zum Fuß des Salto Angel
schlagen können, des höchsten Wasserfalls
der Welt? Sicher. Hat aber keiner! So war
es die Fotografin Ruth Robertson (unsere
Abbildung); im Jahr 1949.
F.L.
Es gibt drei Arten von Rodlern: Rennrodler, Spaßrodler und Straßenrodler. Die
ersten sind ernsthaft, die zweiten lustig und
die dritten verrückt. Entsprechend sehen
die jeweiligen Homepages im Internet aus.
Das Rennrodelwesen wird dort von verschiedenen Organisationen wie dem Bobund Schlittenverband für Deutschland
(www.bsd-portal.de), dem Bayerischen
Bob- und Schlittensportverband (www.
kreuth.de/rck/BBSV-Sportarten.htm) und
der Fédération Internationale de Luge de
Course (www.fil-luge.org) vertreten. Auf
diesen Seiten erfährt man alles über Wettkampftermine, Kaderathleten, Klassements, Reglements, nationale Rennrodelverbände, internationale Rennrodelbahnen und die Geschichte des Rodelsports,
der 1883 mit einem ersten Rennen auf einer Straße zwischen Davos und Klosters begann. Damals gewannen mit derselben Zeit
ein australischer Student und ein einheimischer Postbote.
Im engeren Sinne handelte es sich bei ihnen freilich um Spaßrodler, denn etwas anderes als ebendiesen wollten sie nicht haben. Ihren Nachfolgern geht es genauso.
Sie sind auf den Pisten in allen Altersklassen und im Internet mit Websites wie
http://geowww.uibk.ac.at/~strv/seitenblicke/
rodeln/bericht.html vertreten, die die Überschrift „Rodelwahnsinn“ trägt und von einem nächtlichen Rennen bei Innsbruck mit
viel Bier und noch mehr Jux berichtet. Für
Spaßrodler hält das Netz aber auch handfestere Informationen bereit. So findet man
bei www.rodeln.com oder www.rodeltipp.de detaillierte Beschreibung von Schlittentouren in den bayerischen Alpen inklusive Länge, Höhenunterschied und Schwierigkeitsgrad der Bahnen sowie Links zu
den örtlichen Tourismusämtern. Ähnliche
Verzeichnisse von Schlittenbahnen, die
kaum einen Buckel auslassen, gibt es für
die Schweiz (www.schlitten.ch), für Österreich (www.tiscover.at) und Südtirol (www.
transkom.it/wasistlos/sport/rodeln.htm).
Die österreichischen Bahnen sind auch
in dem Webkatalog www.phone-soft.at/cyber-world/make-frame.php3?framename=
0530.htm verzeichnet, der außerdem Links
zu Seiten von Straßenrodlern, sogenannten
Street Lugers, gesammelt hat. Das sind vor
allem in Amerika lebende Menschen, die
auf Asphaltrodlern aus Flugzeugaluminium mit mehr als hundert Kilometern pro
Stunde als eine Art lebendige Seifenkiste
die Straßen von San Francisco oder Rio de
Janeiro hinunterrasen, weil ihnen alle anderen Extremsportarten zu zahm sind. Wie zu
hören ist, soll dieser interessante Zeitvertreib für Ganzjahresspaßrodler diesen Sommer auch in Europa Fuß fassen.
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Reiseblatt
erscheint am 31. Januar 2002
Anzeigenschluß: Montag, 28. Januar 2002, 9.00 Uhr
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