Brasilien 1889-1985
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Brasilien 1889-1985
Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Brasilien 1889-1985 Die vorliegenden Texte wurden in Zusammenhang mit einer Überblicksvorlesung zur Geschichte Brasiliens "Brasilien 1500-2000. Eine tropische Geschichte in atlantischer Perspektive" erstellt, die im Wintersemester 2002/03 von der Autorin zusammen mit a.o. Univ. Prof. Thomas Fröschl am Institut für Geschichte der Universität Wien abgehalten wurde. Die Autorin erarbeitete den Abschnitt von 1889 bis 2003. 1 Einleitung Im Jahr 2000 beging Brasilien den fünfhundertsten Jahrestag seiner "Entdeckung" durch Pedro Alvares Cabral am 22. April 1500. Wurden die fünf Jahrhunderte in offiziellen, hoch subventionierten Feiern als gelungener Prozess einer ethnischen Vermischung dargestellt, der zu einer " neuen tropischen Zivilisation" geführt habe, so organisierten marginalisierte Gruppen wie amazonische Indiovölker, die nichts zu feiern hatten, Gegenveranstaltungen. Zahlreiche Intellektuelle nahmen das Datum zum Anlass einer kritischen Selbstreflexion über Modernität, Defizite, Ungerechtigkeiten, Utopien und notwendige Änderungen im politischen, ökonomischen und soziokulturellen Kontext Brasiliens (vgl. Rampinelli 1999). Der international bekannte Wissenschafter und zweimalige Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso (1995-2002) behauptete zu Recht, dass Brasilien kein unterentwickeltes, sondern ein ungerechtes Land sei. Erste und dritte Welt der seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion viertgrößten Demokratie der Welt, dem größten katholischen Land und der achtgrößten Volkswirtschaft liegen dicht nebeneinander. Auch die Gesellschaft basiert auf einer Polarisierung zwischen Mangel und Privilegien. Die Metropole São Paulo ist mit ihren 24 Millionen Einwohnern ein bedeutendes Zentrum der Informationsökonomie und High-Tech-Lieferant für Lateinamerika. Im Bereich der 1 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Kommunikationstechnologie und -forschung, in der Auto-und Flugzeugindustrie verfügt Brasilien über ein hohes technologisches Niveau. Der gesetzliche Mindestlohn liegt bei cirka 100 Dollar monatlich, mehr als 60 % der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, 50% der Einkommen fallen auf 10% der reichsten BrasilianerInnen. Zwischen der Möglichkeit des sozialen Aufstiegs und der Hautfarbe besteht noch immer ein enger Konnex; gleichzeitig hält sich der in den dreißiger Jahren mit staatlicher Unterstützung geformte Mythos der konfliktfreien pluriethnischen Gesellschaft, die sich aus der indigenen Bevölkerung, den Nachkommen europäischer und asiatischer Einwanderer sowie afrikanischer Sklaven zusammensetzt, bis heute. Nahezu die Hälfte des 850 Millionen Hektar großen Staates sind nutzbares Land, von dem wiederum nur etwas mehr als die Hälfte bewirtschaftet wird. Die für die Schuldenrückzahlungen aufzubringenden Summen betragen zur Zeit etwa eine Milliarde Euro wöchentlich. Nicht nur die ungerechte Landverteilung, die Konzentration von Großgrundbesitz, der Rassismus, sondern auch die politische Kultur haben ihre Wurzeln in kolonialen Strukturen, die mit anderen Mitteln in der modernen kapitalistischen Weltwirtschaft weitertradiert werden. Auch nach 1889 spielen Parteien in der politischen Landschaft des 1822 von Portugal unabhängig gewordenen Brasilien eine geringe Rolle; parteipolitischer Regionalismus, Klientelismus, Korruption und autoritäre Strukturen kennzeichnen die politische Kultur, der es oft an "good governance", einem Grundkonsens in Bezug auf Werte, Normen und Spielregeln mangelt, obwohl die aktuelle Verfassung von 1988 diese festgelegt hat, und das positivistische Credo von "Ordnung und Fortschritt" bis heute aufrechterhalten wird. Habe nach Hartmut Sangmeister die koloniale Wirtschaftsorganisation dazu gedient, Überschüsse für die Kapitalkonzentration in Portugal abzuschöpfen, so gehe die von brasilianischen Eliten forcierte Einbindung Brasiliens in den Weltmarkt ab den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts ebenfalls mit einem permanenten Abzug von Ressourcen einher, die nun der heimischen Gesellschaft nicht mehr zur Verfügung stehen, obwohl Brasilien im Laufe des 20. Jahrhunderts eine bedeutende wirtschaftliche Entwicklung realisierte. Die wirtschaftliche und soziale Situation des Landes lässt sich nicht einfach als unausweichliches Ergebnis der Wirkung außenbestimmter Faktoren oder als fatale Konsequenz der Einbindung in das Weltmarktsystem interpretieren (vgl. Sangmeister 2000). Es sind - wie auch Fernando Henrique Cardoso in seiner Rolle als Wissenschafter in seinem differenzierten grundlegenden Beitrag zur Dependenzdebatte einbezog - die brasilianischen politischen und ökonomischen Eliten für Ungleichheit und "Entwicklungs"-Defizite mitverantwortlich, die überwiegend keine Wettbewerbseliten, sondern Rentier-Eliten waren, den Staat für zusätzliche Einkommen nutzten und ihre Privilegien absicherten. Brasilien nimmt in Lateinamerika aufgrund seiner Größe, seines Wirtschaftspotentials eine Führungsrolle ein - so dominiert es im 1991 gegründeten Wirtschaftsbündnis Mercosul (Mercosur). Dass es keineswegs Spielball großer Mächte wie der USA war, die es als regionale Macht stets repektierten und Konflikte vermieden, sondern eine flexible, pragmatische Außenpolitik - etwa in den Beziehungen zu afrikanischen Staaten - betrieb und betreibt, lässt sich anhand der Beziehungen im 20. Jahrhundert veranschaulichen. Beim Aufbau einer eigenen High-Tech-Industrie, oder jüngst in der, von der internationalen Pharmaindustrie heftig bekämpften Produktion einheimischer Medikamente zur Bekämpfung von AIDS, bewies Brasilien seine Machtposition. Mit der Wahl des aus den Unterschichten stammenden Chefs der Arbeiterpartei und Mitorganisator von Metallarbeiterstreiks gegen die Militärdiktatur von 1978, Luís Ignacio Lula da Silva, zum Staatspräsidenten Brasiliens (seit 1. Jänner 2003) konzentriert sich Brasilien wieder stärker auf seine führende Position in Lateinamerika. Lulas angestrebte Regierungspolitik, der unter anderem auch Frauen aus den Favelas wie Marina Silva und Benedita da Silva angehören, markiert eine Wende 2 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at brasilianischer Politik, die nun versucht, die Fronten zwischen "erster" und "dritter" Welt im eigenen Land aufzuweichen. 2 Überblicksdarstellungen zur Geschichte Brasiliens BETHELL, Leslie (Hg.), The Cambridge History of Latin America, Vols. I, II, III, V Cambridge 1984-1986. BERNECKER, Walther L. et. al. (Hg.), Handbuch der Geschichte Lateinamerikas, 3 Bde. Stuttgart 1994-1996). BERNECKER, Walther L. /PIETSCHMANN, Horst/ ZOLLER, Rüdiger, Eine kleine Geschichte Brasiliens. Frankfurt a.M. 2000. BRIESEMEISTER, Dietrich u.a. (Hg.), Brasilien. Politik, Wirtschaft, Kultur heute. Frankfurt a.M. 1994. CALDEIRA, Jorge et. al., Viagem pela História do Brasil. Rio de Janeiro 1999. FAUSTO, Boris, A Concise History of Brazil. Cambridge 1999. LEVINE, Robert M. , The History of Brazil. Westport, London 1999. SCHELSKY, Detlev/ ZOLLER, Rüdiger (Hg.), Brasilien. Die Unordnung des Fortschritts. Frankfurt a.M. 1994. SEVILLA, Rafael /RIBEIRO, Darcy (Hg.), Brasilien. Land der Zukunft?. Bad Honnef 1995. SKIDMORE, Thomas E. / SMITH, Peter H., Modern Latin America. New York, Oxford, 5. Aufl. 2001. SKIDMORE, Thomas E., O Brasil visto de fora. São Paulo 1994. WÖHLCKE, Manfred, 500 Jahre Brasilien. Die Entstehung einer Nation. Strasshof 2000. Internetlinks: http://lanic.utexas.edu http://www.umich.edu/~port 150/ 3 Das republikanische Brasilien Am 15. November 1889 wurde in Brasilien die Republik ausgerufen. Die Diskussionen um die Abschaffung der seit 1822 von Portugal unabhängigen brasilianischen Monarchie war eng mit der Abschaffung der Sklaverei als der letzten der Welt auf britischen Druck im Jahr 1888 durch das "Goldene Gesetz" ("Lei Aurea") verbunden. Der stärker werdende Einfluss der Republikanischen Partei, die Forderung nach einer föderalistischen Verfassung für das geographisch und ökonomisch so heterogene Land und die Überzeugung positivistischer Intellektueller, dass eine Monarchie in der westlichen Hemisphäre nicht mehr zeitgemäß sei und der Modernisierung entgegenstehe, vergrößerten das Widerstandspotential gegen die Krone der Braganças. Kaiser Pedro II. (seit 1831 beziehungsweise nach seiner Mündigkeit seit 1840 an der Macht), dankte am 16. November 1889 ab und ging ins französische Exil. Geistiger Vater der republikanischen Politik war Benjamin Constant (1836-1881), Dozent an der Offiziersakademie und führender Positivist, 3 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at der 1876 die Positivistische Vereinigung ins Leben gerufen hatte. Die Maximen des Positivismus, die Grundlage der Menschheitsreligion sei die Ordnung und ihr Ziel der Fortschritt, sind in der Flagge Brasiliens (mit den Farben grün und gelb) bis heute mit den Schlagworten Ordem e Progresso (Ordnung und Fortschritt) festgeschrieben. Technischer Fortschritt, Modernisierung, Industrialisierung, ökonomischer Interventionismus, eine starke Exekutive sowie der Einfluss der Militärs in die politische Gestaltung des Staates waren zentrale Elemente positivistischer Politik, die in Brasilien bis 1985 Kontinuität hatten. Im lateinamerikanischen Kontext war Brasilien der Staat, der am stärksten das positivistische französische Credo umzusetzen verstand. 4 Die Rolle der Militärs in der Ersten (Alten) Republik Bereits in den ersten Jahren der Republik, unter der provisorischen Regierung von Marschall Manoel Deodoro da Fonseca (1889 -1891), spielte das Militär als politische Macht eine zentrale Rolle. Neben positivistisch beeinflussten Militärs gehörten noch Eliten des kaiserlichen Heeres der Regierung an. Militärs bekleideten mehr öffentliche Ämter als zur Kaiserzeit. Zentren ihrer Ausbildung waren die 1827 gegründeten juridischen Fakultäten in São Paulo und Pernambuco sowie die Militärakademien, da es bis 1920 keine Universität in Brasilien gab. Brasilianische Eliten hatten vorwiegend im portugiesischen Coimbra studiert, die dort aufgebauten Netzwerke vermochten sie oftmals in Brasilien zu nutzen. Das Militär gliederte sich in das Heer und die Marine. Die Marine betrieb in Rio de Janeiro eine eigene Eliteschule, bis 1889 war sie eine Ausbildungsstätte für Führungsschichten des Landes und wurde von Söhnen reicher, kaisertreu gewesener Pflanzereliten, frequentiert. Die großteils monarchistisch orientierte Marine bildete eine Gruppe mit dem Selbstbewusstsein einer Elite, während das Heer durch das Angebot kostenloser Ausbildung eine ideale Aufstiegsmöglichkeit für städtische Mittelschichten, für niedere Beamten, aber auch für freigelassene Sklaven bot. Nach dem gegen Paraguay gewonnenen Krieg (1864/65-1870) erlebte das brasilianische Heer, dessen Stärke mit 20 000 Soldaten eher gering war, einen finanziellen Aufschwung. Positivistische Ideen wurden vor allem von jüngeren Offizieren übernommen, für die eine starke, diktatorische Regierung am ehesten eine stabile, prosperierende Republik gewährleiste (vgl. Hentschke 1994). Die bis zur Verfassung von 1891 agierende provisorische Regierung versuchte den neuen Zeitgeist durchzusetzen. Kirche und Staat wurden getrennt, Religionsfreiheit und Zivilehe eingeführt, der Adel abgeschafft, einige soziale Maßnahmen wie Höchstgrenzen für Preise und Mieten durchgeführt. Allerdings schufen die Machthaber einen eigenen Rechtsparagraphen zur Kontrolle der religiösen Praktiken von Ex-Sklaven, die als Formen der "Hexerei" in den Strafkodex von 1890 aufgenommen und polizeilichen Repressionen ausgesetzt wurden. Afrikanische Trommelformationen (batuques) wurden 1905 verboten. Die Vernichtung eines Großteils der Dokumente über die Sklaverei sollte einen republikanischen Neubeginn symbolisieren, stellt jedoch einen unwiederbringlichen Verlust für die historische Forschung dar. 5 Die brasilianische Verfassung von 1891 Die Verfassung des Jahres 1891 wurde stark vom Finanzminister Rui Barbosa geprägt und orientierte sich an der Verfassung der USA. Diese hatten die Republik 1890 anerkannt und 4 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at 1891 ein beiderseitiges Handelsabkommen mit Brasilien geschlossen, seinem wichtigsten Kaffeelieferanten seit 1865. Großbritannien, noch immer die führende ausländische Wirtschaftsmacht in Brasilien, entschloss sich erst im Mai 1891 zur Anerkennung der neuen Republik. Brasilien wurde als ein föderalistischer Bundesstaat (República dos Estados Unidos do Brasil) mit 20 Teilstaaten (die früheren Provinzen) umgestaltet. Die Teilstaaten erhielten umfangreiche Kompetenzen, sie konnten ihre eigene Steuerpolitik verfolgen, ein eigenes Militär aufstellen, ihre Einwanderungspolitik gestalten. Die Gewaltenteilung wurde durch einen Obersten Gerichtshof als Judikative, ein Abgeordnetenhaus und einen Senat als Legislative sowie dem Präsidenten als Exekutive bestimmt. Die während der Kaiserzeit (1822-1889) durch den brasilianischen Herrscher symbolisierte vierte, ausgleichende Gewalt (poder moderador) wurde theoretisch obsolet, praktisch jedoch durch das Militär ausgeübt, das sich als Ordnungsmacht begriff und regelmäßig intervenierte. Da in Brasilien bis heute Parteien regional verankert sind, da keine Partei auf nationaler Ebene dominierte und dominiert, reklamierte das Militär am Beginn der Republik den Anspruch, eine national integrierende und ordnende Kraft zu sein. Der Artikel 1 der Verfassung legte das Heer als permanente nationale Institution fest, die das Vaterland verteidigt. Der Artikel 3 definierte den Plan einer neuen, strategisch besser gelegenen Hauptstadt im Landesinneren. Dies wurde erst 1960, mit der Anlage der Hauptstadt Brasília, eingelöst, die Rio de Janeiro als Hauptstadt (1763-1960) ablöste. Das in der Verfassung festgelegte Wahlrecht verdeutlicht die elitären Demokratievorstellungen: Das Wahlrecht erhielten lediglich alle lese- und schreibkundigen Männer über 21 Jahren mit Vermögen. Bei einer sehr hohen Analphabetenrate von 85% waren bei den Präsidentschaftswahlen des Jahres 1891 nur 2,2% der Bevölkerung wahlberechtigt. Der Präsident wurde für 4 Jahre gewählt (vgl. Zoller 2000, vgl. Wöhlcke 2000). 6 Der Bürgerkrieg als Beispiel politischer und geographischer Heterogenität Die Macht des Militärs und divergierende politische Auffassungen (Monarchisten gegen Republikaner) kennzeichneten der Erste (Alte) Republik (1889-1930). Obwohl die Phase der Transition unblutig verlaufen war, eskalierten rivalisierende politische Vorstellungen um die Gestaltung der Republik. Man dachte an die Konzeption eines zentralistisch-autoritären Staates mit stark positivistischer Prägung oder an einen föderativ, repräsentativ-demokratisch und liberal regierten Staat, wie es die Verfassung vorgesehen hatte. Während der Präsidentschaft des Militärs Floriano Peixoto (1891-1894) brach ein Bürgerkrieg aus (18931895). Er nahm im südbrasilianischen Staat Rio Grande do Sul durch einen Aufstand seinen Ausgang (Revolução Federalista), den ein ehemaliger kaiserlicher Politiker vom uruguayischen Exil aus gegen den Gouverneur des Staates anführte. Anhand des Konfliktes wird die Heterogenität der politischen Vorstellungen und der soziogeographischen Konstellationen sehr deutlich, wobei abgesehen vom Gegensatz Republikaner - Monarchisten drei Interessensgruppen unterschieden werden können: Die erste Gruppe bildeten die liberalen und föderativen republikanischen Eliten: die Plantagenbesitzer des reichen Kaffeestaates São Paulo, die positivistischen Eliten der Hauptstadt Rio de Janeiro und des Staates Minas Gerais, des führenden Produzenten von Milchprodukten. Eine zweite Gruppe bildeten die in zwei Lager gespaltenen politischen Eliten im Staat Rio Grande do Sul (die gaúchos), die ihre besondere regionale Identität und ihre kulturellen wie ökonomischen Bindungen zu Teilen Argentiniens und Uruguays hervorhoben. In Rio Grande do Sul 5 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at dominierte die Viehzucht, dorthin richteten sich die ersten größeren Gruppen europäischer Einwanderer, denen die Etablierung einer autonomen Bauernschaft gelang. Die Eliten Rio Grande do Suls, in dem die republikanische Partei des Positivisten und Gouverneurs Julio de Castilhos dominierte und sich gegen eine monarchistische Opposition durchsetzte, pochten auf größere Autonomie. Eine dritte Gruppe bildete die monarchistische Marine. Der Marineminister führte die Flotte in eine Revolte gegen den Staatspräsidenten Floriano Peixoto an und blockierte von September 1893 bis März 1894 den Hafen von Rio de Janeiro. Diese Blockade scheiterte nach einem halben Jahr durch das Eingreifen der USA, die auf dem Prinzip der Freiheit der Schifffahrt bestanden. Floriano Peixoto ließ den Aufstand der Opposition in Rio Grande do Sul gegen Castilhos niederschlagen und wurde zum "Retter der Republik" stilisiert, gleichzeitig jedoch aufgrund seines autokratischen Führungsstils als "eiserner Marschall" bezeichnet. Der Bürgerkrieg endete schließlich unter der Präsidentschaft des Paulistas Prudente José de Morais (1894-1898) im Jahr 1895 mit der Entscheidung für die Verfassung von 1891. Er leitete auch eine Phase ziviler Präsidenten ein, die bis 1910 dauerte (vgl. Hentschke 1994). 7 Der Krieg von Canudos Die Zerstörung der im Sertão im Staat Bahia gelegenen Stadt Canudos im Jahr 1897 gibt ein Beispiel für die rivalisierenden politischen Konzepte am Beginn der brasilianischen Republik. Das Massaker an den Bewohnern von Canudos wurde überregional durch die literarische Verarbeitung in Euclides da Cunhas Werk "Os Sertões" (1902) (dt.: "Krieg im Sertão") sowie in Mario Vargas Llosas Roman "El guerra al fin del mundo (1981) (dt. "Der Krieg am Ende der Welt" 1987) bekannt. Anfang der 1890er Jahre erlangte im Sertão der fanatische Wanderprediger Antonio Conselheiro (=Ratgeber), mit wirklichem Namen Antonio Maciel, Popularität, weil er das Evangelium und das nahe Ende der Welt predigte, Dorfkirchen instandsetzte und alle offiziellen Autoritäten ablehnte. Er weigerte sich zudem, Zölle und Steuern zu zahlen. 1893 erreichte er mit seiner Gefolgschaft von Landlosen, entlaufenen Sklaven und vertriebenen Indios nach zwanzigjähriger Wallfahrt das Dorf Canudos. Sie begannen mit dem Bau einer Kirche und der Pflege von Friedhöfen, deren Instandhaltung seit 1889 in der Verantwortlichkeit des Staates lag, was lokale Großgrundbesitzer sowie die katholische Kirche gegen ihn aufbrachte. Canudos wurde Anziehungspunkt für Taglöhner, die von Fazenden geflohen waren; 1895 war es bereits auf 25 000 Einwohner angewachsen. Am 21. November 1896 eröffnete die brasilianische Zentralregierung den Krieg gegen Canudos mit dem Argument, eine monarchistische Sekte beseitigen zu müssen. 12 000 Soldaten aus 18 brasilianischen Bundesstaaten wurden in vier Militärexpeditionen in Marsch gesetzt. Die Waffen für Canudos kamen aus den deutschen Waffenwerken Krupp und vermutlich auch aus den österreichisch-ungarischen Skoda-Werken, die in jenen Jahren ein großes Kontingent von Waffen nach Brasilien exportierten. Nach einem fast einjährigen Widerstand fiel die Stadt am 5. Oktober 1897. Die Bewohnerschaft wurde fast zur Gänze ermordet. Nachrichten des Massakers erreichten auch Europa: Die Berliner "Vossische Zeitung" schrieb am 8. Oktober 1897 auf der ersten Seite: "Die brasilianische Regierung läßt offiziell verkünden, ihre Truppen hätten die Stadt Canudos im Staate Bahia genommen und den Führer der Fanatiker, Conselheiro, gefangen. Bestätigt sich diese Nachricht - und sie tritt diesmal in sehr bestimmter Form auf -, so kann sich die Republik zu dem Erfolge beglückwünschen, denn noch vor wenigen Tagen waren die Regierungstruppen vor Canudos zurückgeschlagen worden. Die sogenannte Fanatikerbande gefährdete ernstlich die Republik, sie stand mit der 6 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at monarchistischen Partei in engen Beziehungen." (zit. nach da Cunha 2000, S. 757). Bis heute lebt Canudos, an dessen Stelle sich heute ein Stausee befindet, im kollektiven Gedächtnis der Region nördlich von Bahia fort und wird gelegentlich bei religiösen Messen thematisiert. 7.1 Euclides da Cunhas "Krieg im Sertão" Das Massaker an den Bewohnern von Canudos ging rasch in die brasilianische Historiographie durch das 1902 publizierte Buch des Militäringenieurs Euclides da Cunha (1866-1901) "Krieg im Sertão" ein, der als Kriegsberichterstatter und Journalist die Stadt bereiste und mit seinem Buch eine detaillierte sozio-geographische Schilderung des für ihn völlig unbekannten, kargen und semiariden Sertão, einer lebensfeindlichen Landschaft und seiner Bewohner bot. Euclides da Cunha klagte die Armee des vorsätzlichen Massenmordes an, weil die junge Republik über einen rückständigeren Teil ihrer eigenen Bevölkerung mit gnadenloser Gewalt hergefallen war. Das von Zeitgenossen zur Bibel der Nation erkorene Buch wurde ein Bestseller aufgrund seiner Mischung aus einfühlsamer Geschichtsschreibung und Dichtung. Es gilt bis heute als klassisches Grundwerk brasilianischer Literatur. Zudem bündelt es Stimmungen der Jahrhundertwende: "Os Sertões" ist eine Selbstkritik der Nation durch die Beschreibung einer für brasilianische Intellektuelle unbekannten Region und ein wichtiges Beispiel nationaler Selbsterkundung. Es stellt den Beginn einer brasilianischen intellektuellen Bewegung dar, die auf die Überwindung der Europafixiertheit zielte, sich mit der eigenen Bevölkerung im Hinterland zu befassen und sie in eine Nationalkultur einzugliedern begann. Der Sertanejo, der Bewohner des Hinterlandes, wurde zumindest theoretisch aufgewertet. Euclides da Cunha bewertet die Mestizen und Mulattenbevölkerung zwar als "Nachzügler", aber nicht mehr als Makel für die Entwicklung des brasilianischen Volkes. Das Werk bot damit eine Möglichkeit der Überwindung des Selbsthasses, des Minderwertigkeitskomplexes der BrasilianerInnen, lediglich Kolonisierte und Imitatoren europäischer Kunst und Kultur zu sein. Euclides da Cunha fragte zudem auch nach der Position und der Zukunft Brasiliens im internationalen Konkurrenzkampf der europäischen Mächte und der USA (vgl. da Cunha 2000, S. 757ff.). 8 Die europäische Einwanderung als bedeutender gesellschaftlicher Veränderung in Brasilien Faktor Im Jahre 1808 hatte das portugiesische Kolonialreich seine Grenzen für Einwanderer geöffnet und diese ein Dezennium später zu fördern begonnen. Der 25. Juli 1824, der "dia de colono", symbolisiert für die heutige deutschbrasilianische Bevölkerung den Beginn "deutscher" Einwanderung. Die Gründung des Dorfes São Leopoldo in der südbrasilianischen Provinz später dem Staat - Rio Grande do Sul ist auf die Bestrebungen der Tochter des habsburgischen Kaisers Franz I., Leopoldine, zurückzuführen, die in deutschen Staaten und der Habsburgermonarchie heftig die Werbetrommel für die Einwanderung etwa von entlassenen Soldaten und von Landwirtefamilien rührte. Die Besiedelung auf einer stillgelegten Hanfpflanzung hatte neben ökonomischen Gründen auch politisch-militärische Funktion der Grenzsicherung zur Provinz Cisplatina, dem heutigen Uruguay. Die 1824 und 1825 eskalierenden Grenzkonflikte zwischen Argentinien und Brasilien führten zur Unabhängigkeit Uruguays im Jahr 1828. Im Jahr 1835 wurde auf Vorschlag des 7 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at brasilianischen Kongresses eine Gesellschaft zur Propagierung der Einwanderer gegründet (vgl. Prutsch 1996). 8.1 Einwanderer als Sklavensubstitut Europäische Einwanderer dienten als Sklavensubstitut. Schon 1823 schrieb José Bonifacio, einer der heftigen Befürworter der Abolition, dass noch vor Ende der Sklaverei die Einwanderung weißer Europäer gefördert werden müsse, um die Produktivität der Plantagen zu gewährleisten. Die Einwandererwerbung war an alle politischen Projekte zur Abolition geknüpft und spiegelte die Vorstellung wider, dass "weiße Arbeitskraft" effizienter als schwarze wäre; zudem verkörperte sie zunehmend die von sozialdarwinistischen Theorien geprägte Fortschrittsidee. Die verstärkte Einwanderungswerbung ab 1850 beruhte auf der vom Senator Nicolau Vergueiro realisierten Idee, ab dem Ende des transatlantischen Sklavenhandels im Jahr 1850 europäische Migrationswillige für die expandierende Kaffeewirtschaft Brasiliens zu gewinnen. Zwischen 1830 und 1850 waren noch über 400 000 Sklaven nach Brasilien transportiert worden. Zu den ersten größeren Einwanderergruppen gehörten Schweizer und Deutsche, die in der Provinz São Paulo und in Küstengebieten siedelten. Das anfängliche Projekt der Regierung, Einwanderer neben Sklaven auf den Plantagen arbeiten zu lassen, scheiterte oftmals, weil sich die Einwanderer massiv zur Wehr setzten (vgl. Hofbauer 2000, vgl. Maxwell 2000). 8.2 Die Rolle der Einwanderungspropaganda Falta de braços (Mangel an Arbeitskräften) bildete ab 1850 ein Leitthema der brasilianischen Ökonomie. Nicht nur der Kaiser, ab 1889 die Bundesregierung, sondern auch die Staatsregierungen und private Siedlungs- und Eisenbahngesellschaften betrieben - zunächst vor allem durch britische Kredite - Kolonisationspolitik, in dem sie vorzugsweise Arbeiter für Fazenden sowie Landwirtefamilien mittels Netzwerken von Agenten und Subagenten in Europa anwarben. Dort wurden meist bereits Arbeitsverträge unterzeichnet, den Auswanderern die Passagekosten vom europäischen Ausschiffungshafen bis zu den jeweiligen brasilianischen Häfen vorgestreckt. Pro angeworbenem Auswanderer kassierten die Agenten Kopfgeld. Auch Schifffahrtsgesellschaften engagierten Personal, das in Gaststätten, Reisebüros, Bahnhöfen, mittels Plakaten, Zeitungsannoncen und Werbezetteln, die sie in Gebetbücher steckten, für die Auswanderung warb. Die Wanderungswerbung war gerade für Schifffahrtsgesellschaften lukrativ, weil die Schiffe mit Kaffee beladen nach Europa fuhren und auf dem Rückweg Einwanderer als Zwischendeckpassagiere mitnahmen. Europäische Staaten mussten aufgrund der immer größeren Abwanderungszahlen Maßnahmen gegen die Auswanderungspropaganda ergreifen. Die Agenten nützen auch ethnische Konflikte aus, um mit ihrer Werbung Erfolg zu haben. Die Berichte des Brasilienreisenden Thomas Davatz über die schlechten Arbeitsbedingungen in den Fazenden und tropische Kranken bewirkten, dass von 1859 bis 1896 Preussen die Immigration seiner BewohnerInnen nach Brasilien verbot. Die Auswanderungspropagandisten agierten verstärkt in der österreichisch-ungarischen Monarchie und der Schweiz. Um 1893 gab es im österreichischen Galizien einen Prozess gegen Propaganda, weil Agenten behauptet hatten, Brasilien sei eine von Kronprinz Rudolf, dem 1889 verstorbenen Sohn Kaiser Franz Josephs, beherrschte Provinz, wohin der Kaiser selbst die Auswanderung empfehle. Ein anderer Werbetrick gab vor, dass Kaiserin Leopoldine von Habsburg nach ihrem Tod mit Unterstützung des Papstes den polnischen 8 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Bauern Land vermacht habe. Es kam nicht selten vor, dass Auswanderer schließlich in Regionen oder Staaten landeten, in die sie gar nicht zu migrieren beabsichtigten (vgl. Prutsch 2000). Ein österreichischer Auswanderer berichtete an das österreichische Wanderungsamt: "Im Frühjahr 1925 fuhren wir 8 österreichische Familien mit dem Dampfer Flandria des königl[ich] holl[ändischen] Lloyd von Amsterdam ab. Von den Agenten der Gesellschaft in Wien wurden uns verschiedene Annehmlichkeiten auf der Bahnfahrt und am Schiffe versprochen, doch war das Gegenteil der Fall.. [In Sao Paulo] kamen hernach auch zwei angebliche ungarische Fazendenarbeiter in den Saal, welche das Leben und den Verdienst auf den Kaffeefazendas belobten (Lockvögel). Es wurde uns nun gesagt, die österr[eichischen] und deutschen Familien können auf eine deutsche Kolonie im Süden des Staates Sao Paulo [...] [wir] kamen [...] auf einer Kaffeefazenda an der Grenze des Minas Saraes [sic] an. Kein Mensch auf dieser Fazenda sprach deutsch." (vgl. Prutsch 1996). Statistik: Ausgaben der Einwanderungswerbung Jahr 1884 1888 1905 Zentralregierung Zentralregierung 977.061 Milreis 3, 853.281 Milreis 194.278 Milreis und des Staates Sao Paulo für Ausgaben von Sao Paulo 374.287 Milreis 2, 893.168 Milreis 3, 172.489 Milreis 8.3 Einwanderer für die Kaffeefazenden Als besonders effizient für die Anwerbung von europäischen Einwanderern erwies sich die Praxis, die der Staat (vor 1889 Provinz) São Paulo von 1884 - vier Jahre vor der Abolition der Sklaverei - bis zum Jahre 1926/27 anwandte: nämlich Landwirtefamilien mit mindestens drei arbeitsfähigen Personen zwischen 12 und 50 Jahren die Überfahrt vorzustrecken; diese war über einen Zeitraum von fünf bis acht Jahren abzuzahlen. Die Familien wurden als Kolonisten oder als Plantagenarbeiter auch aufgrund der geringeren Flexibilität bevorzugt, denn sie 9 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at hielten in Krisenzeiten länger in der Kolonie bzw. in den Plantagen durch als individuelle Arbeiter. Die brasilianische Verfassung von 1891 regelte zudem die staatliche Eigeninitiative der Einwanderungsförderung. Eine zweite Möglichkeit waren Rufkarten ("Cartas de Chamada"). Der Staat gestattete Landwirten, beim Staatssekretariat für Ackerbau um solche Karten für namentlich genannte Verwandte und Bekannte anzusuchen und sie zu bezahlen. Das Budget São Paulos sah riesige Ausgaben für Werbung vor, da Brasilien ab den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts in den USA und in Argentinien zwei starke Konkurrenten der Einwanderungswerbung besaß und zudem mit einem schlechten Image zu kämpfen hatte: dem des ausbeuterischen Fazendasystems, den Gelbfieberepidemien und des für Zentral- und Nordeuropäer schwer erträglichen Klimas. Da São Paulo bis zur Jahrhundertwende konstant in die Kaffeeproduktion und Ausweitung seiner Plantagen investierte, benötigte es eine immer höhere Anzahl außerbrasilianischer Arbeitskräfte. 1887 waren 60 - 70 000 Einwanderer (vor allem Italiener und Italienerinnen) in São Paulo, dagegen nur mehr 50 000 Sklaven, 1888 hatte sich ihre Zahl um 10 000 verringert. 1878 hatte São Paulo lediglich 9, 2% der gesamtbrasilianischen Einwanderung erhalten, 1901 bereits 84 % (vgl. Prutsch 1996). Die KaffeearbeiterInnen arbeiteten zunächst vorwiegend nach dem Parcería-System, nach dem die Hälfte des geernteten Kaffees abgegeben werden musste, danach bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts nach dem sogenannten "Colonato-System"; das heißt sie betreuten eine festgesetzte Anzahl von Kaffeebäumen nach einem bestimmten Monatslohn, durften daneben aber einen kleinen Landstreifen zwischen den Kaffeereihen zur Subsistenz bewirtschaften. Der Vorteil dieses Systems bestand in Zeiten der Kaffeeabsatzkrise in der Gebundenheit an die Familie; die zusätzlich angebauten Nahrungsmittel halfen über Zeiten mit niedrigen Preisen für die cash-crop Kaffee hinweg und ermöglichte ihnen sogar durch den Verkauf der produzierten Nahrungsmittel, Land zu erwerben. Mit dem Zusammenbruch des Kaffeemarktes im Jahre 1929 wurden viele "colonatos" Besitzer kleinerer Fazenden. Das "Glück" der Kaffeearbeiterfamilie hing von deren Gesundheit, dem "Goodwill" des Fazendeiros, den Ernten und vom Kaffeeweltmarktpreis ab. Plantagenbesitzer wandten auch oftmals die Praxis an, den Landerwerb der Pächter durch hohe Lebensmittelpreise im fazendaeigenen Kaufhaus (der venda) oder durch Kreditzinsen von 12% für die geleisteten Subsidien zu verhindern. Das Verlassen der Fazenda vor Abzahlung der Schulden war bei hoher Strafe verboten (vgl. Stolcke 1989). 8.4 Einwanderer als Landwirte Die sich nach europäischen Modellen orientierenden politischen Eliten Brasiliens (wie auch Argentiniens) versuchten, die oktroyierte und selbstempfundene Rückständigkeit im Zusammenhang mit der beginnenden Nationalstaatsbildung ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts durch eine forcierte Immigrations- und Siedlungspolitik zu überwinden. Sie sollten die "brachen" Gebiete des über acht Millionen Quadratmeter großen Landes besiedeln. Gleichzeitig drängten die Einwanderer die indigene Bevölkerung in die weniger fruchtbaren Gebiete zurück und dezimierten sie. Einwanderer sollten der Modernisierung, dem Fortschritt und der "Rassenverbesserung" dienen. Bis zur Jahrhundertwende kam es wiederholt zu blutigen Zusammenstössen zwischen Kolonisten und Indios (in den Quellen werden sie meist als Botokuden bezeichnet, die als Synonym für alle "wilden Indianer" galten und denen Kannibalismus zugeschrieben wurde). Die der Landwirtschaft zugedachten Familien sollten die ihnen zugeteilten Lose in der Größe von 25 ha ("Kolonien") bewirtschaften, die sich um ein Koloniezentrum gruppierten, entlang von Eisenbahnlinien lagen oder oftmals Kilometer von einander entfernt verstreut angeordnet waren. Auf diesen Ländereien, die bis zu einer 10 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at bestimmten Frist abzuzahlen waren, standen im Idealfall bescheidene Kolonistenhäuschen. Saatgut und Werkzeuge wurden ebenfalls meist kostenlos bis zur ersten Ernte vorgestreckt. In den brasilianischen Südstaaten, wo die Kaffeeplantagenwirtschaft eine marginale Rolle spielte, entwickelten sich durch staatliche und private Kolonisation Dörfer und Städte auf kleinbäuerlicher Grundlage neben den Viehfazenden. Da diese weniger Arbeitskräfte als die monokulturellen Kaffeefazenden benötigten, bedeuteten die Kolonien der deutsch-, italienisch- und polnischsprachigen Siedler keine wirtschaftliche Konkurrenz. Diese transferierten auch ihre Siedlungsformen nach Brasilien 8.5 Landgesetzgebung in Brasilien seit 1850 Die brasilianischen Einwanderer waren beim Erwerb von Land weit weniger bevorzugt als die Einwanderer in den USA. Dort ermöglichte das Lincoln-Gesetz des Jahres 1862, die Homestead-Act, jeder Familie den Besitz von 65 Hektar. Es legalisierte den Besitz der Familien, die in den Westen (frontier) gezogen waren und schuf damit eine grosse Gruppe freier Bauern. Diese mussten sich lediglich verpflichten, ihr Grundstück für mindestens fünf Jahre hindurch zu bebauen. In Brasilien verhinderte die Institution der Fazenda mit ihrer handelskapitalistischen Produktionsweise innerhalb einer sklavenhaltenden Gesellschaft die Entwicklung eines freien Bauerntums auf breiter Basis und damit die Entstehung einer ländlichen Mittelschicht. Da die Fazenda exportorientiert war und für internationale Märkte produzierte, übersprang sie oftmals lokale Interessen. Am 18. September 1850 wurde das Landgesetz (Lei de Terras) verabschiedet, das die Möglichkeit des Landerwerbs durch Inbesitznahme beendete. Die Preise für neues Land wurden viel höher angesetzt als der Wert es schon legalisierten Eigentums, notarielle Eintragungen waren teuer. Das Gesetz machte es einem brasilianischen Bauern praktisch unmöglich, seinen Besitz rechtlich zu beurkunden. Ehemalige Sklaven und Landarbeiter nahmen das Brachland einfach durch Bebauung in Besitz, ohne Titel dafür vorweisen zu können, bis sie von den europäischen Einwanderern oder brasilianischen Behörden vertrieben wurden. Diese Politik zeigt deutlich den Glauben der brasilianischen Regierung an die Inferiorität der einheimischen Bevölkerung. Auch europäischen Einwanderern wurde der Kauf freien Landes gleich nach Ankunft in Brasilien erschwert, sie mussten oft 30 Jahre lang Raten abzahlen. Von Landspekulanten erwarben nicht wenige Einwanderer Land, das jene nicht besaßen (vgl. Galeano 1983, vgl. Novy 2001). 8.6 Herkunft der Einwanderer Die Einwanderer stammten zunächst vor allem aus deutschen Kleinstaaten, ab 1871 dem Deutschen Reich, der Schweiz, der österreichisch-ungarischen Monarchie, aus Italien, Spanien, Portugal, aus dem Libanon, Syrien und ab 1908 aufgrund von Regierungsvereinbarungen auch zunehmend aus Japan, sodass sich heute die größte japanische Bevölkerungsgruppe außerhalb ihres Heimatlandes in Brasilien befindet. Von den 1890er Jahren an bis 1914 nahm Österreich-Ungarn die fünfte Stelle unter den Einwanderungsstaaten ein. Die italienische Einwanderungsbewegung, die ab 1888 auch durch die rascheren Transportmittel und geringeren Transportkosten massiv einsetzte und jährlich etwa 50 000 Auswanderer nach Brasilien brachte, war besonders gut organisiert. Nicht wenige pendelten für ein halbes Jahr nach Brasilien oder Argentinien, zahlten dort ihre Ersparnisse auf eigene Banken, die das Geld nach Italien transferierten und kehrten wieder zurück 11 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at (Schwalbenwanderung). Die von den Auswanderern erwirtschafteten Geldreserven unterstützen die heimischen europäischen Volkswirtschaften. Die Rolle der italienischen und spanischen Einwanderung, die Existenzbewältigung im Aufnahmeland und der Sprachwechsel wurde im Jahr 2002 in einer der beliebten Fernsehserien (der Telenovelas) unter dem Titel Esperanza (Hoffnung) thematisiert. Der italienische Einwanderer Francisco Matarazzo gilt bis heute als Symbol gesellschaftlichen Aufstieges durch Mobilität. Nachdem er sich zuerst in Schweineschmalzerzeugung, in Getreideproduktion und -handel, durch Textilfabriken und in der Metallindustrie Reichtum erwirtschaftet hatte, avancierte er nicht nur zum reichsten Brasilianer, sondern war um 1910 der größte lateinamerikanische Industrielle seiner Zeit. Die Einwanderungspolitik wirkte sich deutlich auf das Bevölkerungswachstum aus. 1905 hatte Brasilien 20 Millionen Einwohner, 1930 bereits 30 Millionen. Im Laufe der Alten Republik (1889-1930) waren in jeder Dekade eine halbe bis eine Million Menschen nach Brasilien immigriert. Das Jahr 1913 bildete mit 192.683 Einwanderern den Höhepunkt der Brasilienwanderung. Zwischen 1884 und 1939 wurden offiziell knapp über 4 Millionen Einwanderer registriert. In Rio de Janeiro und Sao Paulo lebten um 1914 bereits jeweils eine Million Menschen. Die europäischen und asiatischen Einwanderer spielten eine bedeutende Rolle im Kaffeeboom Sao Paulos und der Besiedlung Südbrasiliens.Sie veränderten nicht nur das ethnische Gesellschaftsgefüge eminent, sondern trugen auch wesentlich zur Urbanisierung, zum Aufbau einer verkehrstechnischen Infrastruktur bei, sie transferierten Kapital, Technologie, kulturelle Codes ihrer Gesellschaften, politische Ideologien und gesellschaftstheoretische sowie sozialrechtliche Modelle (wie den Anarchosyndikalismus) in den größten lateinamerikanischen Staat (vgl. Caldeira 1999, vgl. Bernecker 2000, vgl. Zoller 2000). Transfer gesellschaftlicher Konzepte und kultureller Codes Von den im Jahre 1900 im Staat São Paulo registrierten Arbeitern waren 92% AusländerInnen, davon 81% ItalienerInnen. Diese dominierten auch in der Textilwirtschaft. Viele waren ursprünglich als KaffeearbeiterInnen gekommen. 1920 waren in Brasilien 300 000 IndustriearbeiterInnen registriert. Vor allem durch die italienischen und spanischen EinwandererInnen wurden anarcho-syndikalistische, gewerkschaftliche Ideen und Konzepte transferiert. Aufgrund der fehlenden einheimischen Arbeiterschicht konstitutierten sich keine radikalen Bewegungen. Streikerfolge konnten durch ethnische Konflikte gemindert werden. Eine Ausnahme war der Streik für die Durchsetzung des 8-Stunden-Tages, den 10 000 Arbeiter unterstützten. Eine Arbeiterpartei gab es in Brasilien seit 1890 (vgl. Hall 1975). Da die Einwanderer in den Gebieten, in denen sie siedelten, eine schwach ausgeprägte Infrastruktur und meist keine religiösen und schulischen Einrichtungen vorfanden, brachten sie ihre Geistlichen und Lehrer mit, beziehungsweise gründeten eigene Schulen. Neben ethnischen Konflikten, die ins Aufnahmeland transferiert wurden, manifestierten sich auch religiöse Konflikte - etwa zwischen Protestanten und Katholiken -, in der "Neuen Heimat". Mit den Einwanderern aus dem Osmanischen Reich und Japan erhöhte sich der Grad der Plurikonfessionalität. Das Fehlen brasilianischer Institutionen förderte die Bildung von sprachlichen Enklaven, die die Bundesregierung durch pluriethnische Koloniebildungen vermeiden wollte. Die Bildungs- und Nationalisierungspolitik der ersten Regierung von Getúlio Vargas (1930 - 1945) legte ihr Augenmerk auf eine rasche Etablierung schulischer Institutionen, die Nationsgefühl und Identität formen sollten (vgl. Gertz 1980). Einwanderervereine hatten neben ihren Hauptaufgaben, Ersatzfunktion für verlorengegangene Bindungen zu sein und Traditionen aufrechtzuerhalten, oftmals auch die Tendenz, einen 12 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Wertekanon kulturellen Überlegenheitsgefühls gegenüber der einheimischen Bevölkerung zu kultivieren, das auch zur Bewältigung der psychisch belastenden Situation diente, die Heimat meist aus ökonomischen Gründen verlassen zu haben (vgl. Prutsch 1996). 8.7 Brasilien als Einwanderungsland für österreichische MigrantInnen (1875-1942) In der österreichisch-ungarischen Monarchie stellte die Auswanderung zwischen 1880 und 1918 eine wahre "Massenbewegung" dar. Um 1900 stand sie an erster Stelle aller Auswanderungsstaaten in Europa. Im Laufe des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges wanderten über 3, 5 Millionen Menschen aus der k.u.k. Monarchie aus. Statistiken wurden ab 1875 geführt. Schon in den europäischen Seehäfen, in denen sich die Auswanderer einschifften (Triest, Hamburg, Bremen, Le Havre etc.), aber auch in den brasilianischen Häfen wurden in die Statistiken oft falsche Eintragungen gemacht, Einwanderer wurden nach ihrer Sprache kategorisiert. Sprach jemand deutsch, wurde er oftmals unabhängig von seiner staatlichen Zugehörigkeit als "Deutscher" eingestuft. Manche Österreicher gaben dann selbst an, Deutsche, das heißt Deutschsprachige zu sein. Das deutsche Reichskommissariat für Auswanderungswesen kannte beispielsweise nur drei Schemata der Zuordnung: Böhmen, Ungarn und sonstige Österreicher. Deserteure umgingen oft die Behörden, hatten falsche Pässe bei sich. Während die k.u.k. Armee, Industrie und Großgrundbesitzer großes Interesse an einer möglichst effizienten Einschränkung der Auswanderung hatten, wurde sie von Landesbehörden und den Regierungen in Wien und Budapest oftmals als eine Möglichkeit der "Lösung" sozialer und wirtschaftlicher Probleme gewertet. Denn die Auswanderungswilligen kamen meist aus jenen Kronländern, die gerade von den Auswirkungen der Industrialisierung und Modernisierung betroffen waren. Wanderten in den 1870er und 1880er Jahren Österreicher aus Böhmen, aus Mähren, aus Tirol, Oberösterreich und der Steiermark aus, so kamen die Migranten der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg vor allem aus Südtirol, dem Trient und den sogenannten Armenhäusern der Habsburgermonarchie, aus Dalmatien, Galizien und der Bukowina, wo zwischen 70 und 80% der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig waren. Aufgrund des besonderen Erbrechts in Galizien betrug die Grundstücksgröße der Ländereien oft nur ein Hektar. Galizien und die Bukowina wiesen zudem einen hohen Grad an Analphabeten und eine schwache Infrastruktur auf. In diesen Gebieten fielen nun die Propagandastrategien der sogenannten Auswanderungsagenten, das heißt von Personen, die von Schifffahrts- und Siedlungsgesellschaften in den USA und Lateinamerika bezahlt wurden und in Europa auswanderungswillige Personen anwarben, auf fruchtbaren Boden. Auswanderungsinteresse hielt in der Ersten Republik Österreich (1918-1938) an. Bis 1926/27 profitierten Auswanderungswillige von den vorgestreckten Passagen des Staates São Paulo. Waren es unmittelbar nach Kriegsende ehemalige k.u.k. Armeeangehörige, zählten abgebaute Staatsangestellte, Beamte und Industriearbeiter zum Gros der Migranten. Sie zählten zu den in Brasilien nicht bevorzugten Berufsgruppen, was ihnen die Bezeichnung "Zylinderhutkolonisten" einbrachte. Viele der für Kaffeeplantagen abgeworbenen MigrantInnen scheiterten relativ rasch aufgrund der harten und ungewohnten Arbeitsbedingungen und klimatischen Verhältnissen, sie wanderten in die urbanen Zentren ab. 13 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Von 1921 (ab diesem Jahr wurden Statistiken geführt) bis 1937 wanderten über 75 000 ÖsterreicherInnen nach Übersee aus, davon fast 14 000 nach Brasilien (31. 000 gingen in die USA, 11 000 nach Argentinien). Der größte Teil der Auswandernden in der Ersten Republik verließ das Land aus sozioökonomischen Gründen in der Annahme, dass das "geschrumpfte" Österreich auch in weiterer Zukunft nicht die Stabilität zur Schaffung einer Existenzgrundlage bieten könne und dass die Arbeitslosigkeit kein vorübergehendes Problem darstelle. Ein wesentlicher Faktor waren die Aktivitäten der Agenten von Regierungen, Schifffahrts- und Siedlungsgesellschaften, die das Auswanderungsinteresse durch falsche Informationen erhöhten, indem sie die Erwartungshaltung von einem raschen wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg verstärkten. Ein Drittel der Brasilienwanderer wählte die vorteilhafte Form der geschlossenen oder Gruppen-Wanderung. Die oft gewaltige Diskrepanz zwischen den durch Mythen genährten Vorstellungen und der Realität konnte meist erst durch eine sehr lange physisch und psychisch belastende Durststrecke in den Fazenden, Kolonien oder urbanen Zentren bewältigt werden. Zu geringe Bargeldreserven für die Finanzierung der Investitionen im Land oder für die Rückreise führten in vielen Fällen zu einer Verlängerung der Aufenthaltsdauer, denn Auswanderung wurde auch bei einer solchen Distanz nicht durchwegs als definitive Migration geplant. Vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Anschluß Österreichs an Deutschland im März 1938 (mit diesem Datum enden die Statistiken) migrierten 15 513 Personen aus Österreich nach Brasilien. Der Migrationsstrom hörte allerdings nicht auf, denn vereinzelt ab 1934, verstärkt zwischen 1938 und 1942, kamen trotz der immer stärker antisemitisch orientierten Immigrationspolitik Brasiliens politisch verfolgte jüdische Hitlerflüchtlinge nach Brasilien. (vgl. Prutsch 2000, vgl. Prutsch 1996). 14 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at 8.7.1 Die "Aktion Gamillscheg" Diese erste Auswanderungsaktion wurde unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkrieges vom ehemaligen k.u.k. Rittmeister Othmar Gamillscheg konzipiert, um seinen Kollegen, der von wirtschaftlicher Not betroffenen Offizieren zu helfen. Er griff handelspolitische Motive der deutschnational geprägten, österreichischen Kolonialgesellschaft auf. Sie war 1902 gegründet worden und hatte versucht, Auswanderung von Deutschsprachigen aus der Monarchie mit der Gründung von handelspolitischen, genossenschaftlich organisierten Kolonien zu verbinden und so neue Absatzmärkte zu schaffen. Sein Enthusiasmus, einer Gruppe zum erträumten Erfolg zu verhelfen und damit das eigene, angeschlagene Selbstwertgefühl zu heben, entfachte ein Auswanderungsfieber, das ansteckend wirkte und irrationale Hoffnungen erweckte. Ein Gesetz vom 6. Februar 1919, das vorläufig keine Stellungspflicht festlegte, beendete zudem die bürgerlich-rechtliche Ausnahmestellung von Offizieren. Gamillscheg gründete Ende 1918 sein Unternehmen "Neue Heimat" und hatte bis Mai 1919 bereits 1000 Personen (davon waren 400 ehemalige Armeeangehörige) angeworben. Da Brasilien Landwirtefamilien den Vorzug gab, und Offiziere großteils unverheiratet waren (man benötigte eigene Dispens, um heiraten zu können), warben Mitglieder der GamillschegAktion in Zeitungsartikeln interessierte Frauen an, die mit ihnen das Brasilien-Abenteuer wagen würden (vgl. Prutsch 1996, vgl. Doppelbauer 1988). 15 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Um seine Auswanderung zu finanzieren, wurden mit Hilfe des "Silbernen Kreuzes" (einer Hilfsaktion für Militärpersonen) zwei Spendenaktionen in den Niederlanden, in Großbritannien, Schweden und der Schweiz durchgeführt. Im Mai 1919 unternahm Gamillscheg eine Studienreise nach Brasilien. Während er mit brasilianischen Regierungsstellen und Siedlungsgesellschaften um Ländereien verhandelte, fuhren die ersten beiden Gruppen - des Wartens müde - aus Wien bereits los, da Gamillscheg positive Berichte über seine Verhandlungserfolge nach Wien gesandt hatte, die vage Zugeständnisse als Beschlüsse darstellten. Nachdem der dritte Transport von 300 Personen im Oktober 1919 von Triest abgefahren war, unterzeichnete Gamillscheg überstürzt mit einer Regierung von Sao Paulo einen Vertrag über die Bearbeitung der Kaffeefazenda "Boa Vista" bei Corumbathay. Nach einer sechsmonatigen Lehrzeit wurden den Kolonisten Lose in Aussicht gestellt. Schriftlich fixierte Erinnerungen eines Mitgliedes illustrieren die Vorstellung von Brasilien und die Reaktionen der brasilianischen Behörden: Denn bei ihrem Aufenthalt in der Immigrationsbehörde im Paulistaner Stadtteil Braz erregten die Gagisten "in ihrer halbmilitärischen Kleidung der schlecht umgearbeiteten Uniformen, den schweren Stiefeln, Wickelgamaschen und feldgrauen Reithosen Aufsehen. Bei der Zollrevision nahm man ihnen zahlreiche Militärwaffen ab. Dass in Brasilien portugiesisch gesprochen wurde, hatten viele erst auf dem Schiff erfahren. Bereits nach den ersten Arbeitstagen der Gamillscheg-Mitglieder auf der verwahrlosten, inmitten eines Buschwaldgebietes liegenden Fazenda Boa Vista waren die Auswanderer an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gestoßen. Ein Teil wanderte rasch in größere Städte ab, während bis Anfang 1920 neue Siedler - insgesamt waren es 850 - nach Brasilien kamen. Ein Problem stellte für die Organisation der Frauenmangel dar - bei der ersten ausgewanderten Gruppe vwaren von fast 400 Personen nur 72 Frauen und 20 Kinder. In der Zeitung "Der Auswanderer", dem Propagandaorgan einiger österreichischer Auswanderervereine, warb Gamillscheg per Annonce Ende 1919: "Die ersten Tage bisher in der Kolonie verlaufen recht zufriedenstellend, die Mitglieder inclusive der Frauen sind voll Arbeitslust, fügen sich zu 90% willig und gern meiner manchmal recht strengen Leitung, deren Notwendigkeit im Interesse unseres Gedeihens sie einsehen (...) Frauen müssen kochen, waschen und wenn sie dies nicht können, es noch vorher lernen (...) Sie werden in kürzester Zeit unter uns Junggesellen einen Mann finden." 16 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Die militärischen Mitglieder der Aktion Gamillscheg geben auch ein gutes Beispiel dafür, dass Auswanderer ihre Erinnerungen als "kulturelles Gepäck" in das Aufnahmeland mittrugen. Denn noch im Jahr 1921 begingen die Gamillscheg-Kolonisten in den Kaffeeplantagen von São Paulo den Geburtstag von Kaiser Franz Joseph in ihren Uniformen, die sie als Symbol ihrer Identität mitgebracht hatten. Als Migranten transferierten sie kulturelle Codes, die an Gedächtnisinhalte gekoppelt und oft mit den Gefühlen von "Heimweh" wie Nostalgie verbunden sind (vgl. Doppelbauer 1988, vgl. Prutsch 1996). 8.7.2 Auswanderungsinteresse in der Nachkriegszeit Die gescheiterte Aktion Gamillscheg, das gesteigerte Auswanderungsinteresse, von dem auch Vereine und Agenten profitierten, die uninformierte, finanzschwache Österreicher zu einer voreiligen Migration überredeten, machten staatliche Kontrolle in Österreich notwendig. Nicht nur die heimgekehrten Soldaten zählten zur Menge der 130 000 Arbeitslosen der frühen Nachkriegszeit, sondern auch eingewanderte deutschsprachige Verwaltungsbeamte aus allen Teilen der ehemaligen Habsburgermonarchie, die ins Zentrum der neugegründeten Republik Österreich, nach Wien strömten. Da der extrem verkleinerte Staat den Verlust des alten Wirtschaftsraumes, die Rückkehr auf Friedensproduktion, die Kriegszerstörung zu bewältigen sowie den nach 1918 überdimensionierten Apparat von Verwaltungsbeamten, von Angestellten bei Post, Bahn und Banken zu reduzieren hatte, vergrößerte diese Situation das Heer der Arbeitslosen und Stellungsuchenden. Die Politik des Stellenabbaus wirkte sich auch auf die Auswanderung aus. Die im Februar 1920 gegründete amtliche Auskunftsstelle für Auswanderer wurde 1921 als Wanderungsamt dem Bundeskanzleramt unterstellt. Das Wanderungsamt beriet in Auswanderungsfragen, über die notwendigen Dokumente und Barmittel, Auswanderungsziele und Arbeitsangebote. Die Errichtung der österreichischen Gesandtschaft in Rio de Janeiro im Jahr 1925 zeigt, dass Brasilien als Aufnahmeland für Österreicher in der Zwischenkriegszeit Bedeutung erlangt hat. Das Jahr 1925 bildete auch den Höhepunkt der Brasilienwanderung. 56, 5 Prozent der Überseewanderer wählten Brasilien als neues Heimatland, das damit die USA für zwei Jahre vom ersten Platz der Einwanderungsländer verdrängte. Dieser Höhepunkt der Brasilienwanderung hängt mit der restriktiven Einwanderungspolitik der USA zusammen, die im Jahr 1924 die Einwanderung drastisch limitierten. 8.7.3 Migrationspolitik und -kontrolle in der Zwischenkriegszeit Die österreichische Wanderungspolitik der Nachkriegsjahre verfolgte im allgemeinen keine klare Linie. Sie traf in Einzelfällen gebotene Maßnahmen, subventionierte im Regelfall Auswanderungsprojekte nicht, um im Falle des Scheiterns keine Verantwortlichkeit übernehmen zu müssen. Doch galt die Auswanderung bis Mitte der 1920er Jahre als ein akzeptiertes, wenn nicht letztes Mittel zur Entlastung des Arbeitsmarktes. Um an die begehrten Freipassagen des Staates Sao Paulo zu kommen, trugen sehr viele österreichische Passwerber in ihre Passanträge mit Unterstützung der österreichischen Beamten den Beruf "Landwirt" ein, ohne welche zu sein. Diese Angaben bildeten dann die Grundlage der Statistik, die die berufliche Ausbildung der Auswanderer festhalten sollte. Allerdings betrieben Arbeiter oftmals kleine Hausgärten oder und verfügten über landwirtschaftliche Kenntnisse. 17 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Auch nach 1920 erreichten geschlossene Auswanderungsorganisationen nach Brasilien dasselbe Schicksal wie die Aktion "Neue Heimat" von Gamillscheg. Der "Kolonisationsverband für Arbeiter und Angestellte", dessen Mitglieder vor allem aus den Industrie-Krisenregionen der Steiermark kamen, warb 1926/27 für Cananea, eine der Paulistaner Küste vorgelagerte Insel mit subtropischem Klima. Die klimatischen Bedingungen, Malaria, mangelnde landwirtschaftliche Eignung und die geringen Absatzmöglichkeiten ließen die aus dem steirischen Mur- und Mürztal kommenden Industriearbeiter scheitern. 1931 lebte noch eine Familie dort. Vor der Auswanderung war an alle Mitglieder des Vereins in Österreich ein Rundschreiben ergangen, dass sämtliche Papiere und Pässe der Steirer auf Landwirt oder landwirtschaftliche Arbeiter zu lauten haben. Die Anwerbung war auf privater Initiative in Brasilien erfolgt. Denn die Paulistaner Regierung hatte gleich nach Kolonisationsbeginn die Subventionen zurückgenommen, da sie die ÖsterreicherInnen als sogenannte Zylinderhut-Kolonisten einstufte und ein zweites "Gamillscheg-Desaster" verhindern wollte. Die aus den Kolonien mit schlechten Böden und abgewirtschafteten Plantagen abgewanderten Familien zogen meist in lokale urbane Zentren, die auch durch zunehmende innerbrasilianische Migration wuchsen und der Baubranche zu Konjunktur verhalfen. 120 Wiener Bauarbeiter bekamen 1929 auch Arbeitsverträge für Belo Horizonte, was die Wiener Presse mit Kritik wertete. Sie verurteilte es, "fähige Bauarbeiter in die Gluthölle Brasiliens" zu schicken, während in Wien Häuser verfallen". Die Temperatur in Brasilien wurde in der Presse mit 60-70 Grad Celsius angegeben. Die Weltwirtschaftskrise, die sich 1930 auch auf Brasilien auswirkte, bewirkte eine Einstellung vieler urbaner Bauvorhaben. Die gebotenen Unterstützungen der brasilianischen Regierung für Kolonisten, die geschickte Propaganda, die den Glauben vom Mythos des "Goldlandes Brasilien" verbreitete, die hohen Wachstumsraten in Brasilien und vor allem die bis 1927 bezahlten Freipassagen des Staates São Paulo ermöglichten vielen ÖsterreicherInnen bis Ende der zwanziger Jahre die Auswanderung nach Brasilien, die sie sonst nicht hätten finanzieren können. Eine Schiffspassage kostete um 1928 600 bis 800 Schilling, das entsprach 2 bis 3 Monatslöhnen eines Industriearbeiters. So stellte das Wanderungsamt für das Jahr 1923 fest, dass nur ein Drittel der fast 2000 ausgewanderten Personen die Passagen selbst finanzierte (vgl. Prutsch 1996). 8.7.4 Die Lebensverhältnisse der ÖsterreicherInnen Zwischen 3 und 6 000 ÖsterreicherInnen - die Statistiken sind vage und Melderegister wurden erst ab 1934 geführt - lebten als Geschäftsleute, Gewerbetreibende, Handwerker oder Angestellte bei deutschen Firmen in São Paulo und Rio de Janeiro, wo sie einen Teil des unteren und schließlich gehobeneren Mittelstandes bildeten. Anfangs übten wenige schichtkonforme Berufe aus. Da für akademische Berufe Nostrifikationsprüfungen in portugiesischer Sprache verlangt wurden, gaben eingewanderte Architekten oft den Beruf "Maurer" an, Ärzte gaben sich als "Krankenpfleger" aus und legten ihre Prüfungen später ab. Die brasilianischen Reallöhne waren zwar niedriger als die österreichischen Durchschnittslöhne, die Einwandernden genossen aber Steuerfreiheit. Allerdings fehlten zunächst die seit 1918 in Österreich errungenen sozialpolitischen Sicherheiten und arbeitsrechtliche Möglichkeiten. Streikbeteiligung konnte die Ausweisung zur Folge haben. Die schlechte Quellenlage läßte exakte Angaben über Zahl und räumliche Verteilung der ÖsterreicherInnen in den brasilianischen Bundesstaaten nicht zu. Außerdem ordneten die deutsch-brasilianischen Publikationen oftmals Österreicher zur "volksdeutschen Gruppe". Gerade in den Österreicher-Vereinen manifestierte sich auch der Transfer politischer 18 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Ideologien, die politische Kontroversen und Konflikte auslösten. Ab 1933, als der "Volksbund für das Deutschtum im Ausland" massiv nationalsozialistisches Propaganda- und Schulmaterial an deutsche Firmen und Schulen in Brasilien zu versenden begann, zeigte sich das politische Bekenntnis zur alten Heimat Deutschland deutlich in den symbolischen Instrumentarien. Auf Sportplätzen der Turnvereine wurden Hakenkreuzfahnen gehisst. Auch der 1913 gegründete österreichische Verein Donau, mit ca. 1000 Mitgliedern ein bedeutendes Kommunikationszentrum für die in São Paulo lebenden Österreicher und ÖsterreicherInnen, bekannte sich ab 1935 immer deutlicher zum Deutschtum und zu nationalsozialistischen Ideen, er behielt aber das Symbol des Stephansdomes als Emblem auf den Vereinsmitteilungen bei. 1935 spaltete sich eine proösterreichische Gruppe von der Donau ab und gründete den Verein "Babenberg". 8.7.5 Die österreichische Brasilienwanderung in den dreißiger Jahren Die Weltwirtschaftskrise stellt eine deutliche Zäsur in Migrationspolitik- und verhalten dar. Die Auswanderung aus Österreich nach Brasilien verringerte sich deutlich. Zwischen 1930 und 1937 betrug sie nur mehr 13,4% der Überseewanderung. Im Jahr 1930 war Brasilien, bedingt durch das rapide Fallen der Kaffeepreise (Kaffee machte 70% des Exportes aus), die Weltwirtschaftskrise, Importsenkungen und geringen Zolleinnahmen, bankrott. Es baute daher notwendigerweise eine importsubstituierende Wirtschaft auf und entwickelte sich durch die Etablierung des Estado Novo im Jahre 1937 zu einer Modernisierungsdiktatur, zu deren Zielen die Verbreitung eines gesamtbrasilianischen Identitätskonzeptes zählte. Das Projekt der Nationalstaatsbildung sah unter anderem vor, dass in Betrieben zwei Drittel aller Arbeiter und Angestellten Brasilianer sein mussten. Innerbrasilianische MigrantInnen, die in die Städte abwanderten, machten Migration aus Europa nicht mehr nötig. Die Einwanderungsgesetze wurden verschärft. In Österreich ging die Auswanderung deutlich zurück. Im Jahr 1931 wies die österreichische Arbeitslosenstatistik 334 000 Arbeitslose auf, 1933 mehr als eine halbe Million. Die Industrieproduktion verringerte sich, die Inlandsverschuldung stieg um das Dreifache. Die österreichische Regierung sah für die Bewältigung der gravierenden wirtschaftlichen Einbrüche und der Massenarbeitslosigkeit nun nicht mehr Auswanderung, 19 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at sondern Kurzarbeit und innenkolonisatorische Projekte vor. Diese passten auch besser in das Konzept des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß, der Reagrarisierung und Entproletarisierung der Arbeiterschaft propagierte, um "gesunde" Besitzverhältnisse auf dem Land zu schaffen und den Bevölkerungsrückgang einzudämmen (vgl. Prutsch 1996). Vor diesem Hintergrund ist es doppelt erstaunlich, dass die einzig wirklich erfolgreiche geschlossene Gruppenwanderung von Österreichern nach Brasilien zwischen September 1933 und Jänner 1938 abgewickelt wurde. In diesem Zeitraum migrierten in vierzehn Transporten fast 800 Personen, großteils Tiroler Landwirtefamilien nach Santa Catarina (in die Nähe von Joacaba), wo der ehemalige Landwirtschaftsminister Andreas Thaler für sie Ländereien ausgewählt hatte. Über 63 % der Brasilienwanderer in diesem Zeitabschnitt gehörten zur Organisation Thalers. 8.7.6 Das Projekt Thaler - Dreizehnlinden Von 1927 bis 1933 hatte der ehemalige Landwirtschaftsminister Andreas Thaler bei der österreichischen Regierung vergeblich interveniert, um Subventionen für seine Auswanderung zu erhalten. Denn er hatte sich zum Ziel gesetzt, den vom Tiroler Erbrecht des Erstgeborenen, den von hoher Arbeitslosigkeit, vom Preisverfall für landwirtschaftliche Produkte und 1933 von der 1000-Mark-Sperre Adolf Hitlers Betroffenen in Lateinamerika eine Existenz zu sichern. 1931 demisionierte er, um den Aufbau einer genossenschaftlich organisierten Siedlung katholischer Landwirte- und Handwerkerfamilien in einen Staat zu leiten, wo die "Wahrung des Volkscharakters" (Tradition, Glauben, Bräuche) und der Sprache nicht durch Assimilationsdruck gefährdet sei. Arbeiter waren als Kolonisten eher unerwünscht, weil sie zu unerfahren seien. Die Ländereien für Thaler hatte Walther von Schuschnigg ausgesucht, der mit der Gamillscheg-Aktion nach Brasilien gekommen und im westlichen Santa Catarina konsularische Agenden für Deutschland übernommen hatte. Der Auswanderungsplan wurde von Thaler und Schuschnigg mit einem kulturmissionarischen Anspruch versehen, da Schuschnigg weitere Immigrationsschübe italienischsprachiger Siedler in der dortigen Region verhindern wollte und Thalers Kolonisationsprojekt als Verbindungsglied zwischen dem deutschsprachigen Siedlungsgebiet in Rio Grande do Sul und jenem in Santa Catarina wertete. Daß Andreas Thaler trotz erheblicher politischer Widerstände in Österreich sein großangelegtes Projekt Dreizehnlinden (Treze Tilias), das für 20 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at 10 000 Personen konzipiert war, verwirklichen konnte, liegt in seiner Freundschaft zu Bundeskanzler Dollfuß begründet, der ihm eigenmächtig die Hälfte des Jahresbudgets für Siedlungswesen, (500 000 S, heute 2,9 Millionen Euro) für Landerwerb, Reise und technische Ausrüstung zur Verfügung stellte, mit der Auflage, die Geräte in Österreich zu erwerben. "Die Aktion ist eine ‚Führer-Aktion' [...] eine genauerer Projektüberprüfung kann daher nicht stattfinden [...]da die Aktion lediglich auf das dem Herrn Bundesminister Thaler entgegengebrachte Vertrauen des Herrn Bundeskanzlers aufgebaut ist." (vgl. Prutsch 1996). Thaler war für die Verwendung der Gelder niemandem Rechenschaft schuldig. Die erste Gruppe kam im Oktober 1933 mit 80 000 kg Gepäck nach Brasilien. Die gewährte Geldsumme reichte nicht aus. Denn Thaler benötigte aufgrund großzügiger Darlehen für finanzschwache SiedlerInnen, den raschen Aufbau kultureller und infrastruktureller Einrichtungen in der Kolonie, für überteuerte Landkäufe und -reservierungen, wegen sehr hoher Investitionen in Maschinen und Geräte eine neuerliche Subvention von 357 000 Schilling. Der Siedlungsaufbau wurde anfänglich straff genossenschaftlich organisiert, Arbeitsleistungen wurden zur Hälfte in Gutscheinen ausbezahlt, Prämien für Akkordarbeit gewährt. Nach Protesten gab Thaler dieses Prinzip zugunsten von Reprivatisierung und Verpachtung auf, die SiedlerInnen erhielten Land zugeteilt. Bis in die achtziger Jahre fristete der Ort mit seinem Nebenweiler Dollfuß ein kärgliches Dasein, da die Straße nach Joacaba schlecht und damit der Absatz für landwirtschaftliche Produkte erschwert war. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich versuchte dieses mit Hilfe der in Brasilien aktiven NSDAP die Kolonie zu annektieren und plante eine Siedlungsaktion Sudetendeutscher in diesem Gebiet. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs, Probleme der gesetzlichen Legitimierung dieses Annexionsversuches, Widerstände in der Kolonie sowie der Abbruch der brasilianischen diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ließen die Vereinnahmung scheitern. Andreas Thaler war 1939 bei einem Hochwasser ums Leben gekommen. Im Jahr 1959 konnte die seit 1933 mit der Verwaltung und Abwicklung der Transporte betraute österreichische Auslandssiedlungsgesellschaft in Innsbruck aufgelöst werden, nachdem sie einen Ablösebetrag von 400 000 S von der brasilianischen Regierung erhalten hatte. In den vierziger Jahren hieß Dreizehnlinden "Papuan", da der nation-buildingprocess und die Politik gegen ehemalige Bewohner der Achsenmächte zu zahlreichen 21 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Namensänderungen von Einwandererdörfern geführt hatte. 1961 wurden in Treze Tilias die restlichen Besitztitel vergeben. Heute ist es mit ca. 5000 Einwohnern ein prosperierendes Munizip, das auch aufgrund der Subventionen der Tiroler Landesregierung, kontinuierlicher, temporärer Migrationen zwischen Tirol und der Ortschaft und der gestiegenen Attraktivität als exotisches Tourismusziel in den letzten Jahren profitieren konnte. 9 Die Sklaverei in Brasilien Sklaverei ist nicht nur ein ökonomisches Phänomen, sondern steht mit spezifischen Sichtweisen der Welt in Zusammenhang. In ihnen sind Begriffe wie Abhängigkeit, Macht, Gewalt, soziale Außenseiter oder Fremde enthalten (vgl. Hofbauer 2000, S. 42f.). Im Laufe von 400 Jahren importierte Brasilien mehrere Millionen afrikanischer Sklaven und Sklavinnen zunächst für die Zuckerrohrplantagen (engenhos). Der Sklavenhandel war ein lukratives Geschäft; das Halten von Sklaven galt lange als Zeichen des Reichtums und bedeutete einen "sozialen Wert". Die Sklaven stellten keineswegs eine homogene "soziale Klasse" und ethnische Gruppe dar. Die Zwangsintegration in die Kolonialgesellschaft bedeutete einen tiefen Einschnitt in das Leben und die kulturellen Traditionen der Sklaven und Sklavinnen, die nicht nur oftmals die Sprache ihrer Herrn lernen, sondern auch vordergründig die katholische Religion praktizieren mussten. Die Kirche stellte die Institution der Sklaverei nicht in Frage. SklavInnen gleichen ethnischen Ursprungs wurden an verschiedene Sklavenherren verkauft. Ebenso gab es eine Art von "interner Sklavenhierarchie". Das von extremen körperlichen Anstrengungen geprägte Leben der Plantagensklaven unterschied sich wesentlich von demjenigen der privilegierteren Haussklaven, die im Herrenhaus (casa grande) arbeiteten. Den in urbanen Zentren arbeitenden Leihsklaven boten sich die besten Chancen, einen Sklavenfreibrief (carta de alforria) zu erhalten. Der Sklavenalltag war allerdings nicht immer von ständiger physischer Gewaltausübung gekennzeichnet, sondern auch oftmals durch ein paternalistisches SchutzAusbeutungs-Verhältnis geprägt. Viele Sklaven entzogen sich dem unmenschlichen Arbeitssystem durch Flucht, die durchschnittliche Überlebensdauer eines Sklaven im 17. und 18.Jahrhundert betrug cirka sieben Jahre. Es bildeten sich mehrere Widerstandsdörfer bzw. "Sklavenrepubliken" 22 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at (Quilombos), von denen der Sklavenstaat Palmares (im 17. Jahrhundert) in Pernambuco mit 30 000 Einwohnern als Symbol des Widerstands im kollektiven Gedächtnis der afrobrasilianischen Einwohner Brasiliens besonders verankert blieb. Nach jahrzehntelanger Resistance gegen die Regierungstruppen wurde er von einem 6000 Mann starken Heer schließlich zerstört. Die Sklaverei wurde auch von den Quilombos und afrobrasilianischen Religionen nicht in Frage gestellt. Der Prozeß der Abschaffung der Sklaverei (Abolição) setzte mit der Unabhängigkeit Brasiliens 1822 ein, da Großbritannien ihre Anerkennung an die Bedingung der Abolition knüpfte. 1850 wurde der Import von Sklaven effektiv verboten; das "Lei do Ventre Livre" von 1871 bestimmte, dass alle Kinder von Sklavinnen als Freie geboren werden. Das "Goldene Gesetz" vom 13. Mai 1888 kam zu einem Zeitpunkt, als die Sklaverei ökonomisch ihre Relevanz verloren hatte; "lediglich" eine halbe Million Sklaven wurde nun in die Freiheit entlassen. Der Sklavenfreibrief sowie die Abolition änderten das Leben der Sklaven meist nicht radikal, die befreiten Sklaven arbeiteten oftmals bei denselben Herren als Lohnarbeiter weiter (vgl. Hofbauer 1995, Hofbauer 2000, vgl. Hofbauer 2002, vgl. Carneiro 1966, vgl. Viotti da Costa 1997). 10 Stadt und Stadtsanierung in der Belle Époque Die zum Teil aus Kaffeefazenden abgewanderten Einwanderer, freigelassene Sklaven und brasilianische Migranten strömten um die Jahrhundertwende in die Städte und beschleunigten den Urbanisierungsprozess. Afrikanische, europäische, asiatische Kulturen sowie zahlreiche innerbrasilianische kulturelle Ausdrucksformen beeinflussten sich gegenseitig. Die städtischen Zentren São Paulo, Rio de Janeiro und Porto Alegre orientierten sich städtebaulich an europäischen Mustern. Der Bürgermeister von Rio de Janeiro, Pereira Passos, leitete 1903 gemäss der Losung "Rio zivilisiert sich" ("O Rio civiliza-se") ein an die urbanistischen Maßnahmen des französischen Baron Haussmann angelehntes, umfangreiches Projekt der Stadtsanierung ein, dem große Teile der kolonialen Häuser, die vor allem von Unterschichten bewohnt waren, zum Opfer fielen. Die arme Bevölkerung wurde gezwungen, auf die Hügel (morros) um Rio zu ziehen; den ersten Siedlungen mangelte es an Strassen und Wasserleitungen. Die Favelas breiteten sich seit der Jahrhundertwende kontinuierlich aus. Städtisches Symbol der Modernisierung während der Präsidentschaft von Rodrigues Alves war die neuerrichtete Avenida Central (heute Avenida Rio Branco). Die Sanierung von Bauten wurde mit Gesundheitsprojekten gekoppelt. Gegen die autoritär verordnete Pockenimpfung setzte sich ein Teil der 23 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Bevölkerung heftig zur Wehr. Der berühmte brasilianische Arzt Oswaldo Cruz avancierte zum Pionier der Bekämpfung von Epidemien. Im zweiten Dezennium des 20. Jahrhunderts finanzierte die US-amerikanische Rockefellerstiftung Projekte zur Malaria- und Gelbfieberbekämpfung in Rio de Janeiro und im Amazonasgebiet. Noch stärker als Rio de Janeiro versuchte die als Stützpunkt zwischen den Kaffeeplantagen und dem Hafen Santos groß und reich gewordene Stadt São Paulo die Stadtplanung von Paris nachzuahmen. Die koloniale Struktur wurde weitgehend ruiniert (vgl. Velloso 1996). 11 Importe aus Europa versus nationale Eigenständigkeit Europa bot bis zum Ersten Weltkrieg die Referenzkulturen für die brasilianischen Eliten. Intellektuelles Vorbild war Frankreich; Französisch galt als Sprache der brasilianischen Oberschichten und des Bildungsbürgertums, bis in die 1940er Jahre wurden französischsprachige Texte in Zeitschriften abgedruckt. Auch die Mode der "Belle Époque" Brasiliens griff auf französische und britische Vorbilder zurück, obwohl der Kleidungsstil den tropischen Temperaturen keineswegs entsprach. 1897 wurde die Brasilianische Akademie für Literatur (Academia Brasileira de Letras) nach dem Vorbild der Academie Française gegründet, ihr erster Präsident, Machado de Assis, zählt zu den bedeutendsten brasilianischen Autoren. In den Kaffeehäusern wie dem berühmten Papagaio der Rua Ouvidor, deren Fin de Siècle Flair und Gepräge sich wie das vieler Strassen im ehemals kolonialen Zentrum nicht erhalten hat, trafen sich die Schriftsteller und Bohemiens, pflegten akademische Rituale, die in Karikaturen der vielen, oft kurzlebigen Zeitschriften festgehalten wurden. Die Kaffees bildeten die Schnittpunkte zwischen öffentlichem und privatem Raum. Die Strassen waren Orte der Populärkultur, der Feste, der Capoeira (dem von den Sklaven importierten SpielTanz-Sport-Kampf-Ritual). Die Orientierung an außerbrasilianischen Vorbildern führte zu einem steigenden Nationalismus und der Suche nach einer Nationalkultur. Ein ausgeprägtes Beispiel des "Hurrapatriotismus" lieferte der Schriftsteller Afonso Celso mit seinem Text "Warum bin ich stolz auf mein Vaterland?" (1900). Als Modelle der intellektuellen Distanz von der alten Kolonialmacht boten sich zunächst die tropische Natur und die indianischen Kulturen der Vergangenheit an; wie Exponate im Nationalmuseum für naturkundliche und ethnographische Sammlungen verdeutlichten. Das Kultivieren des Nationalen, die Rekonstruktion einer idealisierten Vergangenheit sowie der Kult des Schönen der Jahrhundertwende, der Unterschichtenelend verdeckte, wurde von Lima Barreto 1911 im Werk "O triste fim do Policarpo Quaresma" (Das traurige Ende des Policarpo Quaresma" karikiert. 11.1 "Das traurige Ende des Policarpo Quaresma" als Beispiel eines literarischen Hauptwerkes Der Roman zählt heute zu den Schlüsselwerken des brasilianischen Selbstverständnisses, dessen Autor im Rahmen der 500-Jahr-Gedenkfeiern im Jahr 2000 gewürdigt wurde. Mit der Figur des Protagonisten beschreibt der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Mulatte Barreto (1881-1922), der einen Beamtenposten bekleidete und nie in die brasilianische Akademie für Literatur aufgenommen wurde, einen aufrechten Patrioten, der unermüdlich brasilianische Rückständigkeit zu überwinden und die Nachlässigkeit der Verantwortlichen in der Verwaltung aufzudecken versuchte. Die Romanfigur Quaresma ging in ihrer Vaterlandsliebe soweit, anlässlich der Verfassung von 1891 die Einführung der Sprache des 24 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Tupi-Guarani anzuregen, da Quaresma das brasilianische Portugiesisch als kolonialen Import wertete: die indigene Bevölkerung hingegen sei das Ideal des Brasilianertums, das keine ausländischen Beimischungen enthalte. Es waren lange philosophische Spaziergänge [...] Nach längstens einer Stunde pflegte er wieder in der Bibliothek zu sein und sich in die Zeitschriftenbände des HistorischGeographischen Instituts zu vertiefen, in die Chronik des Fernão Cardim, in die Briefe des Paters Nóbrega, in die Jahrbücher der Nationalbibliothek [...]. Er studierte die Indianer [...]. Um seine Beweggründe recht zu verstehen, muss man berücksichtigen, dass für den Major nach dreissig Jahren des patriotischen Meditierens, der Studien und Reflexionen nunmehr die Zeit der Ernte anbrach. Seine grosse Vaterlandsliebe und seine schon immer gehegte Überzeugung, dass Brasilien das erste Land der Welt sei, nahmen nun praktische Gestalt an und trieben ihn zu bedeutsamen Unternehmungen [...]. Es [Brasilien, Anm.U.P.] hatte alle Klimazonen, alle Früchte, alle Bodenschätze, alle Nutztiere, die besten Ackerböden, die tapfersten, gastfreundlichsten, klügsten und sanftesten Menschen der Welt – was brauchte es weiter? Nur Zeit und ein wenig mehr Ursprünglichkeit. Wenn ihn also auch keine Zweifel mehr an der Zukunft Brasiliens plagten – die an der Ursprünglichkeit seiner Sitten und Gebräuche waren keineswegs verflogen (Baretto 2001, S. 26,S.27) 12 Politik und Ökonomie um 1900 Die ökonomische und politische Struktur veränderte sich in der "Alten Republik" (bis 1930), die um 1905 20 Millionen Einwohner zählte, wenig. Das liberal-konservative, elitäre System wurde von den Staatspräsidenten und mächtigen Gouverneuren von São Paulo und Minas Gerais sowie von einer kleinen Beamtenschicht getragen, die ihre Ausbildung in den juridischen Fakultäten von São Paulo und Pernambuco (gegründet 1827) genossen. Die Macht der Kaffeepflanzer-, Export- und Finanz-Eliten wurde durch ein ausgeklügeltes System politischer Patronage geregelt und auf lokaler Ebene von den ansässigen Notablen, den sogenannten Coroneis (Oberste der Nationalgarde) ausgeübt, die gleichzeitig oftmals über Großgrundbesitz verfügten. Der Coronelismo war durch fehlende Gewaltenteilungen, Wahlfälschungen, parteiische Gesetzesanwendungen und Attacken gegen politische Gegner und durch Klientelismus charakterisiert. Bis 1930 spricht man von einer Politik der Gouverneure, wobei meist die beiden wirtschaftlich mächtigsten Staaten São Paulo (Kaffeewirtschaft) und Minas Gerais (Milchwirtschaft) die Staatspräsidenten stellten. Diese Praxis ging als "Kaffee mit Milch (café com leite) - Politik" in die brasilianische Geschichte ein. Trotz akzelerierter Urbanisierung und Industrialisierung in einigen Regionen blieb Brasilien bis in die sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts ein agrarisch geprägter Staat, obwohl es 1907 bereits über 600 000 Industriearbeiter zählte. 1917 lähmte ein erster Generalstreik, der höhere Löhne und Sozialleistungen forderte, die Wirtschaft São Paulos. Von den über 17 Millionen Einwohnern lebten um 1900 noch zwei Drittel am Land. Die wichtigsten Exportgüter Brasiliens (Quelle: Zoller 2000, S. 228). Zeitraum Zucker Kautschuk 1891-1900 1901-1910 1911-1920 6,0 1,2 3,0 15,0 28,2 12,1 Kaffee 64,5 51,3 63,0 25 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at 1921-1930 1,4 2,6 69,6 Brasiliens außenwirtschaftliche Abhängigkeit mit exportorientierter Wirtschaft und semifeudalen Plantagenstrukturen blieb stark. Großbritannien dominierte bis zur Jahrhundertwende zwar noch die Wirtschaftspolitik, lieferte Konsumgüter, besaß Handelsprivilegien, hatte den größten Anteil an der Konstruktion von Eisenbahnen und Telegraphennetzen und genoss wichtige Privilegien beim Abbau von Mineralien. Die Handelsbeziehungen mit den USA, den Hauptabnehmern des brasilianischen Kaffees, erlebten einen deutlichen Aufschwung und wurden von Brasilien in ihren politischen Interessen und Bestrebungen der Dominanz der westlichen Hemisphäre unterstützt. An der Seite der USA versuchte der größte lateinamerikanische Staat, seine Position als führende Macht in Lateinamerika zu stärken. 12.1 Kaffeeanbau Mit Hilfe seiner Kaffeeproduktion erreichte der Staat São Paulo eine ökonomische Vormachtstellung, die sich auch im Industrialisierungsprozess verdeutlichte. Seine Interessen wurden durch die Staatspräsidenten Prudente de Morais (1894-1898) und Campo Salles (1898-1902) gefördert, die beide die Kaffeepflanzeroligarchie unterstützten. Der sich seit 1870 in jeder Dekade verdoppelnde Kaffeeexport bescherte Brasilien auch vier Jahrzehnte ökonomischen Wachstums und Prosperität. Zwischen 1875 und dem Ende der zwanziger Jahre kontrollierte der Staat São Paulo 70% des Weltkaffeemarktes. Die Staatseinnahmen waren allerdings weitgehend von Importzöllen abhängig. Die Plantagenwirtschaft, die landwirtschaftlichen Kolonien in Südbrasilien machten einen Ausbau der Infrastruktur (von Strassen, Eisenbahnen, Telegraphenleitungen) notwendig, die - wie die Märkte - großteils von den Briten finanziert wurden, die auch die Kreditmärkte beherrschten. Als der Weltmarktpreis aufgrund der brasilianischen Überproduktion einbrach, verwendete der Staat São Paulo als weltgrößter Produzent Auslandsanleihen, um die Ernten aufzukaufen und die Exporte zu limitieren. Dadurch provozierte er Preiserhöhungen. Schließlich verhängte Staat São Paulo für fünf Jahre einen Anbaustopp für neue Plantagen. Das Abkommen von Taubaté im Februar 1906 zwischen der Bundesregierung und den wirtschaftlich dominanten Regierungen von Rio, São Paulo und Minas Gerais legte die Stützung des Kaffeepreises fest. Sie beschlossen, eine Anleihe von 15 Millionen Pfund Sterling für den Kauf von Kaffee in Brasilien aufzunehmen und ihn nur um 32 Milreis (bis 1927 die brasilianische Währung) pro Sack zu verkaufen. Nunmehr wurde öffentliches Geld der Bundesregierung direkt zur Stützung des Kaffeepreises mittels Spekulationen verwendet (vgl. Novy 2001). 12.2 Kautschuk Neben dem Kaffee, der um die Jahrhundertwende 75% des Weltmarktproduktion ausmachte, gerät die Kautschukproduktion am Amazonasgebiet in einen Boom. Sie war der letzte weltmarktorientierte Rohstoffzyklus Brasiliens (nach dem Brasilholz, Zucker, Gold und Kaffee). Der aus Gummibäumen im Amazonasgebiet gewonnene Rohstoff stellte um 1890 nach Kaffee das zweitwichtigste Exportprodukt Brasiliens dar. Kautschuksammler spielten bei den Grenzstreitigkeiten zwischen Brasilien und Bolivien eine Rolle. 1899 hatten brasilianische Kautschuksammler, die im Zuge des Kautschukbooms nach Westen vorgedrungen waren und dort die bolivianische Autorität über das Territorium von Acre nicht 26 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at anerkannten, zunächst die Unabhängigkeit an. Die etwa 60 000 Brasilianer strebten die Angliederung des Gebietes an Brasilien an, das 1903 auch von Außenminister Baron von Rio Branco (1845-1912) gewonnen werden konnte. (vgl. Caldeira 1999). Vor dem Ersten Weltkrieg beherrschte Brasiliens Kautschuk den Weltmarkt. Ein Kautschukbaron ließ sich 1989 in Manaus ein prächtiges Opernhaus, das Teatro Amazonas, mit italienischem Marmor bauen. Die Konkurrenz südasiatischer Plantagen reduzierte Brasiliens Produktion bis 1918 auf 25%. In den zwanziger Jahren spendete die Regierung des Bundesstaates Pará dem US-amerikanischen Autokonzern Ford aus Detroit 10 000 km zur Produktion von Naturkautschuk für die Herstellung von Autoreifen. Innerhalb weniger Jahre entstand im Amazonasgebiet mit Fordlândia eine Industriestadt mit 8000 Arbeitern. Nach dem Eintritt Brasiliens auf der Seite der USA im zweiten Weltkrieg wurde die Kautschukproduktion bis zur Herstellung synthetischen Gummis angekurbelt. 12.3 Marschall Rondôn - Ansätze einer indigenen Politik Die gesellschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten für die schwarze und indigene Bevölkerung waren äußerst gering. Die indigene Bevölkerung diente - aus ihrem historischen und kosmogonischen Kontext gelöst - als Matrix für die Suche nach den eigenen Wurzeln. Ansätze einer indigenen Politik setzte der aus Mato Grosso stammende Militär Cândido Rondon durch. Von der Regierung beauftragt, im Bundesstaat Mato Grosso zwischen 1892 und 1910 Telegraphenleitungen zu installieren, hatte er regelmäßig Kontakt mit der indigenen Bevölkerung, die er zu respektieren lernte. Morrer se preciso for, matar um índio, nunca, war seine Maxime (lieber sterben, als einen Indio töten). Rondon organisierte Expeditionen im Gebiet des heutigen nach ihm benannten Territoriums Rondônia. 1910 wurde auf seine Anregung hin die brasilianische Indianerschutzbehörde (Serviço de Proteção ao Indio, SPI) gegründet. Die einzige Strategie, um die indigene Bevölkerung zu schützen, bestand für ihn in der Demarkation von Territorien durch die Regierung als Nationalparks. 1952 setzte er die Gründung des ersten brasilianischen indigenen Nationalparks im Gebiet von Xingú durch. 13 1922 - Woche der Modernen Kunst, feministische Bewegung Der Erste Weltkrieg beeinflusste nicht nur ökonomisch Brasilien, der Zusammenbruch des Vorbildes Europa wirkte sich auch psychologisch aus. Es beschleunigte die Nationsbestrebungen und die Suche nach eigenem, kreativem Potential. Zu den Pressure groups zählten die jüngere Generation positivistisch geschulter Offiziere (tenentes), die mit einer nationalen Neuorientierung und Überwindung sozialer Rückschrittlichkeit die Missstände im eigenen Land zu überwinden trachteten, sowie auch eine Gruppe der modernistischen Avantgarde um Oswald de Andrade und Mário de Andrade. Das Jahr 1922 war für Brasilien in vielerlei Hinsicht herausragend: 1922 feierte Brasilien den 100. Jahrestag seiner Unabhängigkeit von Portugal. Symbolische Bedeutung für die Distanzierung vom Vorbild Europa erhielt die durch private Mäzene finanzierte Woche der Modernen Kunst in São Paulo von 11. bis 17. Februar 1922, die im Teatro Municipal als Festival mit MusikerInnen, LiteratInnen, MalerInnen und Bildhauern begangen wurde. Sie erteilten der Orientierung an portugiesischem und französischem Kulturkolonialismus eine Absage. Die Woche der Modernen Kunst wurde nicht zufällig in der boomenden Industriestadt abgehalten, in der soziale, feministische Bewegungen, neue Formen 27 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at politischen, kulturellen und künstlerischen Ausdrucks die Formen traditioneller bürgerlicher Politik und deren Kulturvorstellungen zu konkurrenzieren begannen. Die künstlerische Selbstdarstellung während der Semana de Arte Moderna entlud ein starkes Protestpotential. Zu den Protagonisten zählten der Schriftsteller und Musiktheoretiker Mário de Andrade (1893-1945), der Schriftsteller Graciliano Ramos (1892-1953), die Malerin Anita Malfatti (1896-1964) und der Komponist Heitor Villa-Lobos (1887-1959). Sie hatten um 1910 noch europäische Kunstströmungen wie Dadaismus, Surrealismus, Expressionismus und Futurismus rezipiert, doch entwickelten sie einen eigenen, sehr heterogenen brasilianischen Modernismus, der sogar Züge eines xenophoben Kulturnationalismus trug. Der 29jährige Mário de Andrade, der Vater der brasilianischen Moderne, forderte im Namen aller Künstler das Recht auf Selbstbestimmung der ästhetischen Werte, die Aktualisierung der brasilianischen Kunst sowie die Bildung eines kreativen Nationalbewusstseins. Europa hatte als Kristallisationspunkt der Referenzkulturen somit seine Vormachtstellung eingebüßt (vgl. Williams 2001). Am 7. September 1922 wurde in Rio de Janeiro die Internationale Ausstellung zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeit eröffnet. Sie war eine Leistungsschau brasilianischer Industrie und wurde von 3, 6 Millionen Besuchern gesehen. Auch die Ausstellung vermittelte, dass Brasilien nicht länger die Belle Epoque in Paris nachzuahmen brauchte, um international beachtet zu werden. 1922 war auch ein Schlüsseldatum für die feministische Bewegung Brasiliens, die von der Biologin Bertha Lutz (1894-1976), einer Paulista, entscheidend gefördert und geprägt wurde. Bertha Lutz studierte während des Ersten Weltkriegs an der Pariser Sorbonne Biologie und kehrte 1918 nach Brasilien zurück, wo gerade die englische Frauenbewegung rezipiert wurde. Im selben Jahr publizierte sie in der Zeitung "Revista Semana" einen kritischen Artikel gegen männliche Macht und die diskriminierende Behandlung von Frauen. 1919 gründete sie die Liga der Intellektuellen Emanzipation der Frauen (Liga para a Emancipação Intelectual da Mulher, später Federação Brasileira para o Progresso Feminino) und organisierte 1922 den Ersten Internationalen Feministinnenkongress, an dem auch die US-Repräsentantion Carrie Chapman Catt teilnahm. Als primäre Ziel der Politik wurde das Frauenwahlrecht definiert. Bertha Lutz avancierte zudem zu einer der renommiertesten Erforscherinnen amazonischer Frösche und Kröten und arbeitete am Museu Nacional in Rio de Janeiro. 1921 konstituierte sich übrigens die erste Frauenfußballmannschaft Brasiliens; sie wurde während der Diktatur des Estado Novo aufgelöst. 1932 wurde schließlich während der provisorischen Regierungszeit von Getúlio Vargas das Frauenwahlrecht per Dekret beschlossen. 13.1 Macunaíma von Mário de Andrade In seinen literarischen Texten sucht der brasilianische Schriftsteller und Schlüsselfigur der "Modernistas" Mário de Andrade nach neuen Erzähltechniken und einer Erneuerung der portugiesischen Sprache. Ein herausragendes Beispiel gibt der 1928 publizierte Roman Macunaíma, der alle innovativen Züge der modernistischen Poetik erstmals in sich vereinte. Idee und Titel entlehnte Andrade dem Reisebericht des deutschen Ethnologen Theodor KochGrünberg aus den Jahren 1911 bis 1913 im Grenzgebiet zwischen Brasilien und Venezuela "Vom Roroima zum Orinoco". Koch-Grünberg hatte während dieser Reise zahlreiche Märchen und Legenden gesammelt. Macunaíma (= großer Bösewicht) war ein Stammeshäuptling und Gott der Taulipang- und Arekuná-Indianer. Als vielschichtige Persönlichkeit war er ehrlich, verlogen, feige und mutig zugleich, eine Mixtur, "der Held ohne jeden Charakter" ("O Herói Sem Nenhum Caráter"), wie der Untertitel des Buches lautet. Er sollte den brasilianischen Menschen mit all seinen Vorzügen und Nachteilen darstellen, der 28 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at noch dazu ein brasilianisches Portugiesisch spreche, das sich von den starren Sprachregelungen Portugals distanziere. Macunaíma, ein Beispiel für Hybridisierungsprozesse in Brasilien und im lateinamerikanischen Kontext, gehört bis heute zum Kanon der Standardwerke brasilianischer Literatur (vgl. Ertler 2002). 14 Entdeckung des barocken Erbes Im Laufe der zwanziger Jahre spielten nicht nur die Modernisten um Mário und Oswaldo Andrade eine wichtige Rolle, es kristallisierte sich auch eine konservative Richtung um den Folkloristen Gustavo Barroso heraus. Beide Bewegungen konzentrierten sich auf das koloniale Erbe der brasilianischen Vergangenheit, das sie als Beginn einer brasilianischen Volkskunst werteten. Für die Gruppe um Gustavo Barroso, einem Journalisten aus Ceará, entstanden die barocken Juwele in Minas Gerais genau zu dem Zeitpunkt, an dem die europäische Kunst zu einer brasilianischen mutierte. Zudem symbolisierten die barocken Bauwerke für Barroso noble luso-katholische koloniale Vergangenheit. Der Kulturpolitiker Barroso, der Anfang der 1930er Jahre mit Plinio Salgado zur Leitfigur der faschistischen integralistischen Partei avancierte, erhob den Neokolonialismus zu einem bedeutenden architektonischen Stil der Zwischenkriegszeit. 1922 überzeugte er den Präsidenten Epitácio Pessoa (1919-22), das erste historische Nationalmuseum zu gründen. Zu Ostern des Jahres 1924 pilgerte die links-liberale Gruppe von Modernisten, unter ihnen Oswald de Andrade und Mário de Andrade nach Ouro Preto und anderen kolonialen Städten in Minas Gerais, um die "verlorene Vergangenheit" wieder bewusst zu machen und dadurch die Moderne zu verstehen. Der Konflikt zwischen Traditionalisten und Modernisten beherrschte die Kulturpolitik der zwanziger und dreißiger Jahre (vgl. Williams 2001). Im Jahr 1928 publizierte Oswald de Andrade sein "Kannibalistisches Manifest" (Manifesto Antropófago). Er benützte in ironischer Form die Metapher des amerindischen Kannibalen und empfahl, in kannibalistischer Manier die wertvollsten, bereicherndsten Teile der europäischen Kultur einzuverleiben, sie zu transformieren, sich anzueignen und den Rest zu verwerfen.Helden europäischen Geisteslebens wie Johann Wolfgang von Goethe waren zu entmythifizieren. "Tupi or not tupi" war für ihn die entscheidende Frage. 15 Politische Manifestationen gegen das Establishment 1922-30 Am 5. Juli 1922 organisierten junge Militärs (tenentes) einen Aufstand in der Festung Copacabana in Rio de Janeiro, der sich gegen die, von älteren Offizieren unterstützte Regierung und gegen die militärische Hierarchie richtete. Die sozialrevolutionäre Bewegung der tenentes kritisierte die Korruption, Wahlschwindel, die soziale Rückständigkeit, regionale Disparitäten und fehlende Sozialpolitik für die BrasilianerInnen, die unter der Armutsgrenze lebten. Sie plädierten deshalb - basierend auf ihrem elitären Machtverständnis - für eine Revolution von oben nach unten sowie für eine modernistische Erziehungsdiktatur mit einer fähigen Technokratenbürokratie. Diese durch Demonstrationen und kleine revoluciones, durch Sabotageakte auf Fabriken und Bahnlinien sowie zum Teil durch blutige Aufstände agierende Erneuerungsbewegung wird als tenentismo bezeichnet. Die 1924 in São Paulo von tenentes mitgetragene dreimonatige Revolution war von Frustration gegen das herrschende Regime und die rudimentäre Sozialstruktur geprägt, Arbeiter trugen sie kaum mit. Der während der Revolution aus der Stadt geflohene Gouverneur ließ sie einen Monat lang mit 29 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Artillerieflugzeugen ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung bombardieren (vgl. ILA, Juli 2001). 15.1 Die Coluna Prestes Die sich aus der Stadt Sao Paulo zurückziehenden Revolutionstruppen von 6000 Soldaten des Jahres 1924 zogen Richtung Westen. Die Hälfte von ihnen erreichte Mato Grosso. 1925 schlossen sich Militärs aus Rio Grande do Sul den Aufständischen aus São Paulo unter der Führung von Luis Carlos Prestes (1898-1990) sowie andere militärische Gruppen an. Diese cirka 2000 Personen zählende Kolonne von Prestes (Coluna Prestes) zog binnen zweier Jahre über 25 000 km durch 13 brasilianische Bundesstaaten (Goias, Maranhão, Piauí, Ceara, Rio Grande do Norte, Paraíba, Pernambuco, Bahia), wurde immer wieder von Regierungstruppen verfolgt. Die übriggebliebenen 600 Überlebenden setzten im Februar 1927 nach Bolivien über, wo sie um Asyl ansuchten. Während ihres "langen Marsches" durch das brasilianische Hinterland wurde vielen Tenentes ländliches Elend und die Kluft zwischen boomenden Industriestädten mit einer selbstbewussten Arbeiterschaft und dem Hinterland besonders vor Augen geführt. Alle herausragenden Sprecher der militärischen Untergrundbewegung bis zum Revolutionsjahr 1930 stammten aus dieser Kolonne von Prestes. Dieser konvertierte zum Marxisten und Kommunisten, emigrierte über die uruguayische Hauptstadt im Jahre 1931 in die Sowjetunion, wo er bis 1935 blieb. Carlos Luis Prestes zählte bis 1945 zu den unermüdlichen Oppositionellen gegen die 1930 einsetzende Vargas-Regierung (vgl. Zoller 2000). 16 Die Weltwirtschaftskrise Die Weltwirtschaftskrise von 1929 fiel in die Präsidentschaftsperiode von Washington Luis (1926-1930). In den USA bewirkte sie einen Rückgang der Industrieproduktion um 30% und zeitigte auch massive Auswirkungen in Brasilien. 1930 fielen Brasiliens Terms of Trade um 37,8%, das Importvolumen verringerte sich um über 60%. Die Währungsreserven wurden 30 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at aufgezehrt, die Zinsen für die großzügig gewährten britischen, US-amerikanischen Anleihen konnten nicht mehr zurückgezahlt werden. 1930 war Brasilien, dessen Exporte zu 60 bis 70% aus Kaffee bestanden, bankrott. Der vielzitierte Satz "O café da para tudo" ("der Kaffee kommt für alles auf"), hatte seine Gültigkeit verloren. Aufgrund von Fabrikschließungen wurden zwei Millionen BrasilianerInnen arbeitslos. Massiv von der Krise war der Kaffeeexport betroffen; der Preis pro Sack sank von August 1929 bis Jänner 1930 auf ein Zehntel und konnte von der Regierung nicht mehr gestützt werden. Wurden auf dem nationalen Markt im Jahr 1929 für einen Sack Kaffee noch 67, 3 Pfund Sterling bezahlt, so waren es 1932 nur mehr 26, 2 Pfund. Die Krise von 1929 und die Schwäche der internationalen Geldgeber USA, Großbritannien und Frankreich bewirkten eine ökonomische und politische Neuorientierung (vgl. Zoller 2000, vgl. Novy 2001). 17 Die Revolution von 1930 Trotz vorprogrammierter Widerstände und entgegen der politischen Praxis engagierte sich der brasilianische Staatspräsident Washington Luis (1926-1930), ein Paulistaner, für einen Präsidentschaftskandidaten des eigenen Bundesstaates, für Júlio Prestes. Als Oppositionskandidat trat mit Unterstützung des Staates Minas Gerais der Südbrasilianer Getúlio Vargas, Gouverneur von Rio Grande do Sul gegen Prestes an. Mit ihm sollte erstmals ein Politiker aus Rio Grande do Sul an die politische Spitze gelangen. Der Jurist Getúlio Vargas (1883-1954) stammte aus einer wohlhabenden Viehzüchterfamilie aus São Borja, aus Rio Grande do Sul an der argentinischen Grenze. Er war vom positivistischen Kreis von Júlio de Castilhos beeinflusst und hatte sich politische Erfahrungen in der bundesstaatlichen Regierung als Finanzminister in der Regierung Washington Luis geholt (1926 bis 1928). Ab 1928 war er Gouverneur des südlichsten Bundesstaates. Vargas wurde von jungen tenentes unterstützt sowie von einer politisch heterogenen Gruppe um die sogenannte Alianca Liberal. Als Júlio Prestes am 1. März 1930 mit Stimmenmehrheit - die Wahlbeteiligung lag bei 5, 7% - die Wahlen gewann, warf ihm die Opposition die Fälschung des Wahlresultates vor. Die Ermordung des an der Seite von Vargas aufgestellten Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten war nur das äußere Signal für die Revolution, deren Zentren in Rio Grande do Sul, in Minas Gerais und im Nordosten Brasiliens lagen. Der konservative Militär Pedro Aurelio Gois Monteiro, einer von Vargas Mitstreitern, setzte den Beginn der Revolution exakt am 3. Oktober 1930, um 17 Uhr 15 an, einem Zeitpunkt, wo in den Kasernen aufgrund des Schichtwechsels von Tag- auf Nachtwache am wenigsten Aufmerksamkeit gegeben war. Die revolutionären Truppen setzten sich - mit wenigen Tagen Zeitdifferenz -brasilienweit an verschiedenen Orten in Bewegung. Das Oberkommando in Rio de Janeiro setzte den Präsidenten Washington Luis ab, um die Macht des Militärs aufrechtzuerhalten. Am 1. November zog Getulio Vargas, der praktisch kaum militärische Erfahrung hatte, als Kommandant einer siegreichen "Revolution von oben" in Rio de Janeiro ein. Die Rebellen banden ihre Pferde an den Obelisken am Ende der Avenida Rio Branco und reklamierten damit das Symbol der bürgerlichen Republik für sich. 31 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Die Flagge, die sie mit sich führten, schenkte Vargas im November, am Tag der Flagge, dem Historischen Museum. Diese Liebe für Symbolik und Inszenierungen hat Vargas im Laufe seiner Regierung noch besonders entfaltet. Am 3. November 1930 übernahm Vargas die Macht. Die Weltwirtschaftskrise von 1929, an deren Bewältigung die Regierung Washington Luis scheiterte, war der auslösende Faktor einer langen Unzufriedenheit und Kritik an der politischen Spitze. 18 Die Innen- und Wirtschaftspolitik von Vargas Vargas beendete die Erste beziehungsweise Alte Republik und leitete die Neue Republik ein, die von 1930 bis 1945, seiner ersten Regierungszeit, von einer staatsinterventionistischen, zentralistischen Nationalisierungspolitik geprägt war. Einige seiner Revolutions-Mitkämpfer und Studienkollegen bekleideten wichtige Ämter in der neuen Regierung: Pedro Aurelio Gois Monteiro wurde Chef des Generalstabes, Eurico Gaspar Dutra Kriegsminister (1936-1945), Filinto Müller Chef der politischen Polizei (1933-1942), Mauricio Cardoso, der Großonkel Fernando Henrique Cardosos Justizminister (1931-1932), Oswaldo Aranha wurde Botschafter in den USA (1934-37), danach Aussenminister (1937-1945). Gois Monteiro und Filinto Müller waren Bewunderer europäischer Faschismen, Oswaldo Aranha hingegen war proamerikanisch und demokratisch gesinnt. Am 11. November 1930 wurde die Verfassung der Ersten bzw. Alten Republik außer Kraft gesetzt, Vargas vereinigte die Autorität des Staates auf seine Person. Sein sozial- und wirtschaftspolitisches Programm war auf alle möglichen Koalitionspartner und Gruppierungen zugeschnitten. Zu den bedeutendsten politischen Strategien während seiner Regierung zählte es, sich die Unterstützung der unterschiedlichsten Gruppen zu versichern, sie gegeneinander auszuspielen und durch geschicktes Lavieren den größtmöglichen Vorteil herauszuholen, ohne sich selbst auf eine Position festzulegen. Durch Lohnerhöhungen für Militär- und Marineangehörige, durch Erhöhung der Importzölle, 50%ige Schuldenreduktionen in der Landwirtschaft und den Aufbau einer verstaatlichten Industrie sicherte Vargas seine Position in Industrie, Landwirtschaft und Politik. Durch die importsubstituierende, staatliche gelenkte Wirtschaftpolitik versuchte Brasilien die außenwirtschaftliche Abhängigkeit zu reduzieren und die verheerenden Folgen der Krise von 1929 zu überwinden. 1930 stellte Vargas auch kurzfristig die Zahlungen der Auslandsschulden ein. Das Primärgüter-Exportmodell sollte abgelöst und die Industrie zu einem wesentlichen Faktor der Modernisierung aufgebaut werden, damit Brasilien zu den kapitalistischen Staaten aufschließen könne. Trotz der Hoffnungen vieler Liberaler, die politische Neuorientierung würde zu einer Demokratisierung führen, schlug die Provisorische Regierung die positivistische Linie eines autoritär nationalistischen Staates ein. Föderale 32 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Prinzipien wurden zurückgenommen. Vargas ließ den Kongress, die Parlamente der Einzelstaaten (assembleias estaduais) und Gemeindevertretungen schließen und ersetzte die Gouverneure der Bundesstaaten durch Interventoren. Für 1933 waren Wahlen für eine Konstituente festgesetzt, deshalb wurde rasch 1932 das Frauenwahlrecht eingeführt, um die Zahl der Wähler und Wählerinnen zu erhöhen. Durch den Verlust der finanziellen Autonomie büssten die Staatsregierungen deutlich an Macht ein. Seit 1931 durften sie auch keine ausländischen Anleihen mehr aufnehmen. Die Bundesregierung behielt sich die absolute Kontrolle über den Außenhandel vor. Die zentrale Bank, die Banco do Brasil, erhielt das Monopol über den Kauf und Verkauf von Devisen. Grosse Industriezweige wie der Bergbau, die Energiegewinnung wurden staatlich gefördert und kontrolliert. Ende der dreißiger Jahre hatte Brasilien bei der Konsumgüterproduktion fast die Selbstversorgung erreicht. Da Vargas Konzept der Nationsbildung und Modernisierung langfristig gedacht und konzipiert war, wurden in einer Verfassunggebenden Versammlung von 1933 eine Verfassung für 1934 konzipiert. Die am 16. Juli 1934 verabschiedete Verfassung, die sich auch an der österreichischen und portugiesischen orientierte, bestätigte Vargas als Präsidenten für die Amtsperiode zwischen 1934 und 1938. Somit hatte er seine Position an der Staatsspitze gesichert. 18.1 Die Politik der Kaffeevalorisierung Die zentralistische Politik traf einflussreiche Staaten, wie den Kaffeestaat São Paulo besonders stark, da nun die politische Macht der Kaffeeplantagenoligarchie beschnitten wurde - etwa die Politik der Kaffeepreisstützung mit öffentlichem Geld. Die Kaffeeproduzenten hatten sich trotz des Verbots der Neuanlage von Plantagen über die Regelung hinweggesetzt. 1931 entschied die provisorische Regierung von Getúlio Vargas, die jahrelang gelagerten Kaffeeüberschüsse zu übernehmen und nahm dafür auch Kredite auf. Nachdem Versuche, Kaffeebohnen als Heizmaterial für Lokomotiven oder als Grundstoff für die Plastikerzeugung fehlgeschlagen waren, entschloss sich die Bundesregierung zur Verbrennung des überschüssigen Kaffees. Von 1931 bis 1944 wurden insgesamt 78 Millionen Tonnen des nicht absetzbaren Kaffees vernichtet. 1933 entstand das Brasilianische Kaffee-Institut (Instituto Brasileiro de Café). 1929 stammten noch über 70% der internationalen Kaffeeproduktion aus Brasilien. Sie fiel in der Folge auf 45, 5% im Jahr 1953. Diese radikale Lösung der Vernichtung von Kaffeeüberschüssen verringerte die Abhängigkeit Brasiliens von der Kaffeeproduktion als Devisenquelle. 19 Die Revolution in São Paulo Der Verlust an politischer und ökonomischer Autonomie der Kaffeepflanzer entlud sich im Staat São Paulo in einer zweiten Revolution im Juli 1932. Sie wurde durch den Tod von vier Studenten bei Anti-Regierungs-Demonstration im Mai 1932 ausgelöst. Minas Gerais und Rio Grande do Sul unter seinem Interventor Flores da Cunha unterstützten die Paulistas, die auch das Radio erstmals als Propagandamedium in ihrer Kriegserklärung an die Zentralregierung einsetzten. Der Paulistaner Grossindustrielle Roberto Simonsen, Vorsitzende der Industriellenvereinigung von São Paulo, unterstützte die Waffenproduktion. Getúlio Vargas ließ - wiederum mit Hilfe seines Freundes und Revolutionskameraden von 1930, Gois Monteiro - die Revolution niederschlagen. Der Widerstand der ohnehin durch die massive Kaffeekrise geschwächten Wirtschaftseliten war gebrochen. Nach einem Luftangriff auf 33 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Truppen São Paulos durch die Truppen der Zentralregierung nahm sich der brasilianische Flugpionier Alberto Santos Dumont im Juli 1932 das Leben. 20 Die kommunistische Partei, die Nationale Freiheitliche Allianz Die Kommunistische Partei Brasiliens wurde 1922 gegründet und von Russland unterstützt. Mit dem Eintritt des fast mythischen Anführers der Coluna Prestes der Jahre 1925 bis 1927, Luís Carlos Prestes, verbreiterte die Partei ihre Basis, übte wiederholt an der Macht des britischen und US-amerikanischen Kapitals in Brasilien Kritik und wurde von der VargasRegierung attackiert. Prestes beschuldigte die tenentes, ein vages Programm der Bourgeoisie für die Bourgeoisie formuliert zu haben. 1934 wurde die nationalistische, gemäßigte Parteienallianz Aliança Nacional Libertadora (ANL) gegründet und bot Prestes die Ehrenmitgliedschaft an. 1935 kam Prestes mit seiner deutschen jüdischen Frau Olga Benário aus der Sowjetunion zurück. Ende 1935 organisierten die Kommunisten und die kurz zuvor verbotene links-liberale Aliança Nacional Libertadora einen von der Sowjetunion unterstützten Aufstand, der sofort von der Regierung Vargas niedergeschlagen wurde. Kommunisten und führende Mitglieder der ANL flohen ins Exil. Olga Benário und die Frau eines anderen deutschen Kommunistenführers wurden 1936 wurde vom Chef der politischen Polizei, Filinto Müller, ins Deutsche Reich ausgeliefert, wo sie in einem Konzentrationslager umkamen. Diese Auslieferung wurde von den demokratischen Staaten heftig kritisiert. Prestes wurde 1936 verhaftet und zu 46 Jahren Gefängnis verurteilt, im Frühjahr 1945 allerdings amnestiert. Vargas ging in der Folge vehement gegen linke und linksliberale Gruppen mit staatsterroristischen Mitteln (Folter, Gefängnis) vor. Filinto Müller, ein Bewunderer Adolf Hitlers, bekam besondere Vollmachten. Um diesen links-liberalen Aufstand niederzuschlagen, nahm Getúlio Vargas die Hilfe der Bewegung der Integralisten in Anspruch. Die Kommunistische Partei und die Partei der Integralisten waren die einzigen modernen Programmparteien Brasiliens im zwanzigsten Jahrhundert. 21 Die Partei der Integralisten Die ökonomische und politisch-ideologische Krise förderte 1932 die Etablierung der integralistischen Partei (Açao Integralista Brasileira) des Lehrers und Journalisten Plinio Salgado. Salgado nahm an der Woche der Modernen Kunst 1922 in São Paulo teil; sein 1926 veröffentlichtes Buch "Der Fremde" war innerhalb weniger Wochen vergriffen. Unter Berufung auf "eigene brasilianische Wurzeln" wandte sich Salgado gegen die "wachsende Überfremdung von außen", gegen den atheistischen Kapitalismus und propagierte die Loslösung von kulturellen Vorbildern kapitalistischer Staaten. Der Integralismus wollte eine dynamische, antidemokratische Bewegung sein. Salgado untermauerte ihn mit dem Konzept eines christlichen Synkretismus, einer ganzheitsbezogenen Weltvorstellung mit faschistischen Elementen. Nach der angestrebten Auflösung der korrupten Parteien plante er die Beseitigung regionaler, sozioökonomischer Unterschiede durch eine "national-korporative, ständestaatliche Ordnung". Der Glaube an Gott, das Vaterland und die Familie waren die Säulen des integralistischen Systems. Salgado verteidigte einen ökonomischen Antisemitismus. Nach ihren militärischen Uniformen wurde die paramilitärische, nach dem Führerprinzip organisierte Bewegung der Integralisten auch Grünhemden genannt; als Gruß entlehnten sie das Wort "Anauê" aus der Tupi-Sprache ("Du bist mein Bruder"), als Symbol verwendeten sie das Sigma-Zeichen, das die Welt als unteilbares Ganzes versinnbildlichte. 34 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Die Bewegung fand im katholischen Klerus ihre Stütze. 1933 organisierten die Integralisten ihren ersten Aufmarsch in São Paulo, 1934 gründeten sie ihr Journal "A Offensiva". Im selben Jahr beteiligten sich bereits 4000 Menschen an Aufmärschen, 1935 zählten sie nach eigenen Angaben 400 000 Mitglieder in Brasilien. Im selben Jahr unterstützten sie Vargas gegen die links-liberale Aliança Nacional Libertadora. In der DDR-Forschung wurde lange Zeit diskutiert, ob die Integralisten finanzielle Unterstützung von der NSDAP erhielten. Die Integralisten unterhielten Kontakte zu NSDAP, wandten sich aber gegen die Charakterisierung ihrer Bewegung als brasilianische Variante des Nationalsozialismus, da sie vor allem die These der völkischen Überlegenheit ablehnten und den Mestizen (caboclo) als Symbol der neuen Rasse hochstilisierten. Die Integralisten entwarfen ebenfalls ein hierarchisches Bild der Ethnien und argumentierten rassistisch. Viele Deutschbrasilianer, die mit dem seit 1933 in Brasilien propagandistisch aktiven Nationalsozialismus sympathisierten, hatten als brasilianische Staatsbürger keinen Zugang zur NSDAP und schlossen sich den Integralisten wegen Parallelen in der Konzeption an, ebenso viele Kinder von Italienern der starken Immigrantenbevölkerung von São Paulo, die für Mussolini sympathisierten. Einer der einflussreichsten Integralisten war der konservative Modernist Gustavo Barroso. Bis zum Jahre 1938 versicherte sich Vargas der Unterstützung der faschistischen Integralisten gegen die linksliberalen Gruppierungen (vgl. Benzaquen de Araújo 1987, vgl. Sanke 1966, vgl. Trindade 1988). 22 Das Projekt eines "Neuen Brasilien" 1930-1937 Mittels eines riesigen Verwaltungsapparates, neuer Institutionen und Ministerien, durch Sozial- und Infrastrukturpolitik sollte die agrarische Gesellschaft auch im "Hinterland" erfasst werden (marcha para oeste). Vargas setzte auf eine soziale Mobilisierung der Bevölkerung, die gleichzeitig gefördert und kontrolliert wurde. Brasilien sollte durch eine intensive Bildungs- und Wissenschaftspolitik, sowie durch Schul- und Universitätsgründungen modernisiert werden, um möglichst viele Adressaten einer identifikatorischen Kulturpolitik zu schaffen. Zudem benötigte Vargas für sein "political engineering" Intellektuelle, da er in positivistischem Sinne von der Lösbarkeit ökonomischer und sozialer Probleme mittels einer kompetenten Technokratengeneration überzeugt war. Wissen und Kultur wurden zum Machtfaktor des Estado Novo. Neue Medien wie Radio und Film wurden als Distributoren des nationalen Projektes eingesetzt. Institutionen und politische Inszenierungen dienten erstens der Konstruktion kollektiver Identität und einer "imaged community"; zweitens sollten sie durch die Unterbindung sozialer Konflikte und die Verwischung gesellschaftlicher Disparitäten den ökonomischen Modernisierungsprozess beschleunigen. Zum Projekt von Vargas und seinem Erziehungs- und Gesundheitsminister Gustavo Capanema zählte die Schaffung eines neuen, gesunden brasilianischen Menschen als Stütze des Staates und eines brasilianischen Identitätsgefühls, der Brasilidade (vgl. Hentschke 1996, vgl. Williams 2001, vgl. Prutsch 1999). 22.1 Sozialpolitik - Frauenpolitik Zu den ersten Maßnahmen der Provisorischen Regierung zählte die Gründung des Arbeits-, Industrie- und Handelsministeriums am 26. November 1930. Die aufstrebende Industriearbeiterschaft der urbanen Zentren wollte Vargas durch eine Sozialgesetzgebung als treue Anhänger der neuen Politik gewinnen und gleichzeitig durch die staatliche Kontrolle der 35 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Gewerkschaften befrieden. Die neuen Arbeitsgesetze legten gesetzlich geregelten Urlaub, Mindestlöhne für Arbeiter, Pausen, Richtlinien für Frauen- und Kinderarbeit, den AchtStunden-Tag, medizinische Versorgung, Stellen zur Regelung von Konflikten sowie Maßnahmen zur sozialen Fürsorge fest. Jeder Arbeiter/jede Arbeiterin erhielt einen Berufsausweis (carteira profissional). Das 1932 durchgesetzte Frauenwahlrecht wurde 1933 erstmals ausgeübt. Der Anteil von Frauen bei höherer Schulbildung stieg an. 1937 betrug der Anteil von Frauen in Bildungsstätten bereits 47%. Frauen durften ohne Einwilligung ihrer Ehemänner jedoch nicht länger als 6 Monate arbeiten; bei Heirat ging ihr Eigentum in das der Ehemänner über. Bis in die 1970er Jahre blieb die Regelung aufrecht, dass Frauen für Auslandsreisen die schriftliche Bestätigung ihrer Ehemänner benötigten und kein Bankkonto auf ihren Namen eröffnen durften. Mit Ausnahmen galt für Frauen das Verbot der Nachtarbeit (vgl. Levine 1997, vgl. Besse 1996). Die Gewerkschaften mussten vom Arbeitsministerium genehmigt sein und wurden von ihm besteuert. Diese Steuerregelung gab der Regierung eine wirksame Kontrolle über die Gewerkschaften. Regierungsbeamte hatten das Recht, bei Versammlungen anwesend zu sein. Politische Agitation in Gewerkschaften war untersagt, deren Führer durften nur geborene Brasilianer sein. Auf nationaler Ebene entstand der Gewerkschaftsbund der Industriearbeiter. Diese rigide Politik hielt Streiks in Grenzen. Aufgrund der Wirtschaftskrise wurdeninländische Arbeiter bevorzugt. Ein "Zweidrittelgesetz" von 1930 bestimmte, dass in Handel und Industriebetrieben zwei Drittel der Arbeiter und Angestellten geborene Brasilianer sein mussten. Ausländer, die mit Brasilianern verheiratet waren und seit 10 Jahren in Brasilien lebten, wurden geborenen Brasilianern gleichgestellt, Nostrifikationsprüfungen für Immigranten erschwert. Ab 1934 gestaltete sich die Einwanderungsgesetzgebung zunehmend restriktiver und orientierte sich an US-Gesetzen. Der Einwandererstrom durfte jährlich nicht mehr die Grenze von 2% der Gesamtzahl von Einwanderern einer Nation in Brasilien überschreiten. 22.2 Bildungs- und Gesundheitspolitik 1930 gründete Vargas das Bildungs- und Gesundheitsministerium, das unter dem Minister Gustavo Capanema zu einer zentralen Institution ausgebaut wurde. Gustavo Capanema (19001985), Enkel des Österreichers Wilhelm Schüch de Capanema, der mit Leopoldine von Habsburg nach Brasilien kam und die erste Telegraphenlinie in Brasilien 1855 installiert hatte, wurde 1934 Bildungs- und Gesundheitsminister. In seinen Bereich fielen nicht nur die Gesundheitsversorgung und medizinische Forschung, sondern auch die gesamte Bildungs-, Kultur- und Kunstpolitik. Capanema sah in einer öffentlichen Bildungspolitik das beste Vehikel für soziale und kulturelle Veränderungen. Getúlio Vargas brachte sich kaum selbst aktiv in Kultur- und Kunstdiskussionen ein. 36 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Die Nationspolitik zielte auf das Schulwesen, die wichtigste Institution für die Schaffung von Selbst- und Fremdbildern neben Kirche, Presse und Vereinen. Die Regierung begann mit dem Aufbau brasilianischer Schulen und griff in das Schulsystem der fremdsprachigen Privatschulen der Einwanderer (deutsche, italienische, polnische Ethnien etc.) ein, die oftmals ihr Schulmaterial und ihre Subventionen vom Ausland erhielten. Im Jahre 1934 gab es etwa 2000 deutsche Schulen. 1930 wurden diese Subventionen beschränkt; das Erziehungsministerium griff in die sprachliche Gestaltung des Unterrichts ein. Die Fächer Geschichte und Geographie durften nur mehr in portugiesischer Sprache unterrichtet werden. Brasilianische Geschichte und Portugiesisch waren verpflichtend, um die junge Generation zu patriotischen Bürgern heranzuziehen. Der Bildungsminister etablierte nicht nur ein Sekundärschulwesen, sondern auch ein Netz von berufsbildenden Schulen. Richtige Ernährung, Körperhygiene und Sport waren wesentliche Bestandteile für die Schaffung eines "neuen, brasilianischen Menschen". Während des Estado Novo (1937-1945) wurde Sport durch den Einfluss der Militärs auf die Konzeption des Unterrichts verstärkt auf Disziplin und Wehrhaftigkeit ausgerichtet. Widerstand gegen die neue Körperkultur kam von Seiten der katholischen Kirche, dem einflußreichen Partner des Regimes. Fußball wandelte sich in den dreißiger Jahren vom Eliten- zum Massensport. Der bekannte Fußballclub von Fluminense in Rio de Janeiro, der auch Konzertreihen organisierte, zwang die schwarzen Mitspieler, ihre Gesichter mit Reispulver einzureiben, um die Regelung, nur weiße Spieler zu engagieren, zu umgehen. 22.3 Universitätspolitik Im Jahr 1920 wurde die erste brasilianische Universität in Rio de Janeiro gegründet, die nicht lange Bestand hatte. 1931 wurde das erste Universitätsgesetz beschlossen. 1934 erfolgte die staatliche Gründung der Universität von São Paulo, der größten in Brasilien. Die 1935 errichtete Universität in Rio de Janeiro diente vor allem der Etablierung einer politisierten Intellektuellenschicht als Stütze des Regimes. 1934 reiste der Rektor der neuen Universität 37 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at von São Paulo, Theodoro Ramos, nach Deutschland, um etablierte und junge - meist jüdische - WissenschafterInnen anzuwerben. Sie waren vom NS-Regime zwangspensioniert worden, bzw. hatten aufgrund des grassierenden universitären Antisemitismus nicht die Chance auf eine universitäre Laufbahn gehabt. Der Landwirtschaftssekretär des Staates São Paulo engagierte Agronomen, Geologen, Botaniker und Radiologen. Sie leisteten Grundlagenforschung, bauten Infrastrukturen auf. Deutsche bauten das erste zoologische Department in São Paulo auf, waren führend in Agrarforschung und Biochemie. Deutsche ImmigrantInnen etablierten die Psychologie und Vorschulerziehung. Emigranten halfen auch beim Ausbau privater Forschungsorganisationen, wie dem Forschungszentrum und Schlangeninstitut Butantã in São Paulo, das führend in der Entwicklung von Gegengiften war. Die Politik, europäische Immigranten für die brasilianische Forschung anzuwerben, wurde bis 1941 fortgesetzt. 1939 wurden etwa die französischen Anthropologen Roger Bastide und Claude Levi-Strauss nach Brasilien geholt. Bastide führte in den 1950er Jahren im Rahmen eines von der UNESCO angeregten Projektes Studien zur Eingliederung der schwarzen Bevölkerung in die brasilianische Gesellschaft durch. 1941 immigrierte der Wiener Chemiker Fritz Feigl nach Brasilien und baute die Laboratorien von Orquima zur Nutzung brasilianischer Naturressourcen auf. Sie geben ein gutes Beispiel des Pragmatismus dieser Vargas-Regierung, trotz Bevorzugung der eigenen Bevölkerung und einer zunehmend restriktiven und antisemitischen Einwanderungspolitik europäische jüdische Intellektuelle ins Land zu holen, sie einzugliedern und dem System nutzbar zu machen. Hier wird auch die Rekonzeptualisierung jüdischer Stereotypen deutlich: Juden brächten Geld, Wissen und Technologie - und das zu einem niedrigen Preis. (vgl. Prutsch 1999, vgl. Schwartzman 1994, vgl. Lesser 1994b). Die Universität von São Paulo behielt während des Estado Novo - auch aufgrund der Distanz zum Machtzentrum Rio - eine größere Autonomie bei als diejenige von Rio, deren Lehrende in das Nationalstaats-Projekt eingebunden und damit stärkerer Kontrolle unterworfen waren. 22.4 Wiederaneignung des historischen Erbes Ein wichtiger Bereich von Gustavo Capanemas Bildungs- und Erziehungsministerium war Kulturmanagement zur Betreuung des kulturellen und historischen Erbes, das im Nationalstaatsprojekt legitimationsstiftend eingesetzt wurde. So gründete Capanema 1937 den nationalen Dienst des historischen und künstlerischen Erbes sowie das Nationalmuseum der Schönen Künste. Ein eigens gegründetes Institut wurde beauftragt, eine brasilianische Enzyklopädie zu verfassen. 1937 gründete man ein Nationales Institut des Buches (Instituto Nacional do Livro), das bedeutende Texte brasilianischer Schriftsteller und Historiker wieder auflegte und kanonbildend wirkte. Zu bedeutenden Elementen der Propaganda und Erziehung gehörten der Lehrfilm und das Radio. Beim Aufbau blickte man in die USA und Richtung Europa, um die brauchbarsten Elemente herauszufiltern. Mit dem Radio als Medium sollten Bevölkerungsschichten erreicht werden, die im Hinterland Brasiliens lebten. 1937 wurde auch ein nationales Filminstitut gegründet. Zu den ersten Lehrfilmen zählten ein Bericht über die Feiern des Unabhängigkeitstages und die Entdeckung Brasiliens ("O descobrimento do Brasil"). Der Staat wertete Kulturmanagement als öffentlichen Auftrag (vgl. Williams 2001). 22.5 Einbindung von Intellektuellen und Künstlern 38 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Da Gustavo Capanema überzeugter Katholik und ein Freund vieler Modernisten der zwanziger Jahre war, band er sie und einige katholische Reformpolitiker in seine Kulturpolitik ein. Der Schriftsteller Carlos Drummond de Andrade wurde Capanemas Kabinettschef, der südbrasilianische Schriftsteller Augusto Meyer wurde Chef des nationalen Buch-Institutes, der Paulista Mário de Andrade war wichtiger Kulturkonsulent, der Komponist Heitor Villa-Lobos Konsulent für Musikerziehung, Oscar Niemeyer avancierte zum Stararchitekten. Der Staat fungierte als wichtiger Auftraggeber für Künstler und Intellektuelle und schuf sich ein Staatskünstlertum, das am Nationsprojekt mitwirkte. Bis zum Beginn des Estado Novo wurden auch politisch linksorientierte Intellektuelle akzeptiert. Capanema distanzierte sich auch von europäischen Totalitarismen oder Faschismen. Das vom Urbanisten Lúcio Costa und dem Architekten Oscar Niemeyer 1940 errichtete Bildungs- und Gesundheitsministerium wurde zu einem architektonischen Symbol des neuen Brasilien. Ende der dreißiger Jahre hatte die Vargas Regierung ein großes Netzwerk von miteinander verbundenen Institutionen gegründet, die Kultur managten: philosophische, wissenschaftliche und literarische Produktion, Kunst, Denkmalpflege, intellektuellen Austausch, Förderung der Massenmedien sowie geistige und körperliche Erziehung. Viele dieser Institutionen wurden in die Organisation von Feiern, von patriotischen Gedenktagen eingebunden, die Feiern selbst wurden wieder verfilmt bzw. über Radio kommentiert. Es gab durchaus Rivalitäten zwischen den Ministerien und Instituten. Begriff sich das Bildungs- und Gesundheitsministerium von Gustavo Capanema als Hort demokratischer und liberal-reformerischer Kräfte, so erwies sich das Justizministerium, dem die Propagandabehörden unterstanden, als Zensor kultureller Produktion (vgl. Schwartzman 1994, vgl. Williams 2001). 39 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at 22.6 Gilberto Freyre und der Mythos der "Rassendemokratie" Der aus Recife stammende Soziologe und Historiker Gilberto Freyre (1900-1987) galt als junger Starintellektueller der Vargas-Zeit. Im Gegensatz zu vielen anderen Söhnen der Oberschicht hatte er seine Ausbildung nicht in Europa, sondern in den USA (Columbia University) genossen, zudem war er Protestant. Seine Dissertation "Social Life in Brazil in the Middle of the 19th Century" bildete die Grundlage für seine späteren soziologischen, von seinem Lehrer Franz Boas beeinflussten, Arbeiten. 1926 gründete er in Recife den ersten Regionalistischen Kongress, wo er ein Programm einer an die Gegebenheiten der unterschiedlichen Regionen orientierten, brasilianischen Nationalliteratur aufstellte. Im Laufe der dreißiger und vierziger Jahre entwarf er eine brasilianische Melting-pot-Theorie, die er nach 1945 wenig modifizierte. In seinen Werken beschäftigte er sich mit dem lusitanischen Erbe, den Transfers afrikanischer Kulturelemente durch die SklavInnen aus verschiedensten afrikanischen Staaten sowie dem Kulturtransfer durch europäische und asiatische Einwanderer. Sie hätten aus Brasilien den plurikulturellen Staat schlechthin geformt, der besser als jeder andere Staat in Lateinamerika mit seinen Minderheiten umgehen könne. 1934 organisierte Freyre den ersten Kongress für Afrobrasilianische Studien, bei dem auch Strategien für eine größere Akzeptanz der afrobrasilianischen Religion des Candomblé diskutiert wurden. Die Anthropologen um Freyre brachten die Bedeutung der schwarzen Bevölkerung in Brasilien erstmals intensiv in eine Diskussion ein. Freyres 1933 geprägter Begriff der "ethnischen Demokratie", der egalitäre ethnische Hybridisierung vorgab, jedoch dem typischen Muster kultureller Hierarchien entsprach, bildete einen festen Bestandteil des offiziellen brasilianischen Selbstverständnisses, das auch erfolgreich in die USA exportiert wurde. Der von Freyre formulierte und dem Selbstbild der Vargas-Jahre entgegenkommende Mythos der "Rassendemokratie" wurde etwa durch Schulbücher bis in die sechziger Jahre tradiert, die vermittelten, dass die SklavInnen in Brasilien im allgemeinen gut behandelt worden seien und dass sie schon in Afrika in Sklaverei gelebt hätten. Der Mythos verhinderte zudem eine kritische Auseinandersetzung mit dem Erbe der ehemaligen Sklavenhaltergesellschaft Brasiliens, wo sich im Gegensatz zur viel rassistischer agierenden Gesellschaft in den USA keine Bürgerrechtsbewegung etablierte. Bis heute versteht sich die brasilianische Gesellschaft als gewaltlos und konfliktfrei (vgl. Hofbauer 1995, vgl. Freyre 1990). 22.6.1 Gilberto Freyres "Herrenhaus und Sklavenhütte" 40 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Mit seinem historisch soziologischen Erstlingswerk "Herrenhaus und Sklavenhütte" ("Casa grande e senzala" 1933) schuf Freyre eine Art "Ursprungsmythos" (Hofbauer 1995, S. 91) der Nation. Er konzentrierte sich auf die Analyse der Haussklaverei und beschrieb euphemistisch die Rolle der Mulattinnen als Geliebte und Kinderfrauen; die soziale und ökonomische Rolle der Plantagensklaverei ließ er außer acht. Was "Casa grande e senzala" so bedeutend machte, war die Abkehr von positivistischen und sozialdarwinistischen Sichtweisen hin zu einer (idealisierten) Interpretation der Frauen afrikanischen Ursprungs. In seinen Analysen arbeitete er stark mit Klischees und Zuschreibungen von Charaktereigenschaften für bestimmte Ethnien. Die "Sinnlichkeit der Indianerinnen" und das "Ungestüm der portugiesischen Herren" begünstigten für Freyre die Rassenmischung und Anpassung an die neue Umwelt. In der Mestizierung lag für Freyre die Chance, soziale Differenzen zu überwinden. Machtverhältnisse stellte Freyre allerdings nicht in Frage, die Sklaverei wurde als notwendig im "großartigen Projekt" der Portugiesen in der Zivilisierung Brasiliens angesehen (vgl. Freyre 1992, S. 244). 23 Brasilien unter Eurico Gaspar Dutra 1946 bis 1951 regierte Eurico Gaspar Dutra, Vargas' ehemaliger Kriegsminister, Brasilien, das 1946 eine neue Verfassung erhielt - sie blieb mit häufigen Änderungen bis 1967 in Kraft. Die Verfassung stellte Meinungsfreiheit, die individuellen Bürgerrechte und die Gewaltenteilung wieder her. Die Amtszeit des Präsidenten wurde um ein Jahr auf 5 Jahre ohne Wiederwahl verlängert. Die Einzelstaaten erhielten wieder ihre Autonomie. Nach dem Zweiten Weltkrieg flauten die Beziehungen zu den USA ab, doch ökonomisch versuchten die Vereinigten Staaten nach wie vor Brasilien als Markt für ihre in Kriegszeiten aufgeblähte Produktionskapazität, für überschüssige Güter zu erhalten. Zum Imperativ der amerikanischen Außenpolitik - auch gegenüber Lateinamerika - wurde die Eindämmung des Kommunismus erklärt, dem der "American Way of Life" als vorbildliche gesellschaftliche Organisationsform entgegenzuhalten war. 1947 wurde der Rio-Vertrag (Rio Treaty) abgeschlossen und die panamerikanische Solidarität zu einer geeinten westlichen Front gegen den Kommunismus umgemünzt. Ende der vierziger Jahre erlebte Brasilien eine Wirtschaftskrise und hoffte, von den Wirtschaftsinvestitionen zu profitieren, welche die USA gegenüber Europa im MarshallPlan anwandten. Die 1950 gegründete "Joint-Brazil-United States Economic Development Commission" arbeitete in der Folge umfassende Wirtschaftspläne für Brasilien aus. 24 Zweite Regierungszeit Vargas 1951-54 1951 kehrte Getulio Vargas als demokratisch gewählter Präsident auf die politische Bühne zurück und versuchte wirtschaftspolitisch auch an den Estado Novo anzuknüpfen. Die politischen Konstellationen bewirkten nicht nur eine intensive Allianz mit den USA, die Brasilien auch für eine ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vorschlugen. Sie machten Brasilien auch zum bevorzugtesten Staat in Lateinamerika für die USA. Brasilien wurde der verlässlichste lateinamerikanische Verbündete der UNO, die größte Militärmacht in Lateinamerika und blieb wichtigster Rohstofflieferant der USA. Trotz des US-Druckes weigerte sich Vargas jedoch, an der Seite der USA in den 1950 begonnenen Korea-Krieg (1950-1953) einzutreten. Der Staat übernahm wieder stärker planerische Funktionen: 1952 gründete Vargas die Entwicklungsbank BNDE (Banco Nacional do Desenvolvimento Económico), bis heute Brasiliens wichtigste Entwicklungsbank, ein Jahr 41 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at später die bis heute zu 51% verstaatlichte Öl-Gesellschaft Petrobrás - ein wichtiger Financier brasilianischer Kulturpolitik (wie Filme, Architektur, Museen, Austellungen). Der Industrie gewährte Vargas Kredite. Vargas hoffte noch immer auf die US-Investitionen. Im Jahr 1953, als sich die Wirtschaftskrise massiv auf die Handelsbilanz und auf Investitionen auswirkte, reisten Vargas' Tochter Alzira und Ihr Gatte Ernani do Amaral Peixoto in die USA, um die Zahlung der versprochenen Subventionen und Kredite zu erwirken. 1953 hatte ein schwerer Frost 40% der Kaffee-Ernte zerstört und die Preise an der New Yorker Warenbörse hochschnellen lassen. Vargas ließ den Exportmindestpreis nun mit 10 Cent unter dem des gehandelten Preises festsetzten, was einen Boykott der Kaffeemakler gegenüber Brasilien auslöste; diese bevorzugten nun Kaffee der afrikanischen Staaten. Vargas' Entscheidung erhöhte das Zahlungsbilanzdefizit Brasiliens noch mehr. In der Folge wurden Werbekampagnen lanciert, um zum Konsum von brasilianischem Kaffee anzuregen ("Ask your grocer for the good neighbor coffee.)" Auch gegenüber der Arbeiterschaft praktizierte Vargas eine ähnliche Politik wie im Estado Novo, indem er sie "von oben" zu mobilisieren versuchte. Auf die Verteuerungen der Lebenserhaltungskosten und auf Reallohneinbußen reagierten die Arbeiter aber mit Streiks. Denn die versprochenen Minimal-Lohnerhöhungen um 100% hatte Vargas nach Protesten der Militärs und Industriellen wieder zurückgenommen, nach neuerlichen Protesten doch eingeführt. "Er versuchte, Unversöhnliches zu versöhnen, die vormoderne mit der modernen Gesellschaft, die er als Übergangsfigur beide gleichermaßen verkörperte. Sein Scheitern nahm bereits das Ende des populistischen Paktes vorweg, den nur sein Selbstmord auf Zeit verlängern half." (Hentschke 1996, S. 571, vgl. Prutsch/Zeyringer 1997). 24.1 Mythisierung eines Populisten - Vargas' Selbstmord Den Vorwürfen der Opposition nach aufgedeckten Korruptionsaffären, Spannungen mit der Armee und deren Rücktrittsforderungen nach einem missglückten Attentat auf den prominenten Vargas-Gegner Carlos Lacerda, der Vargas praktisch politisch zu Fall gebracht hatte, entzog sich Vargas am 24. August 1954 durch Selbstmord. Er erschoss sich und hinterließ eine begonnene Rede, die als Abschiedsbrief an die brasilianische Bevölkerung gewertet wurde. Er beendete den an die brasilianische Bevölkerung gerichteten Text, in dem er die internationalen Mächte anklagte, gegen sein Regime gekämpft zu haben, das soziale Freiheit gebracht habe, mit den Sätzen: "I have given you my life. I gave you my life. Now I offer you my death. Nothing remains. Serenely, I take my first step on the road to eternity and I leave life to enter history." Diese Entscheidung, aus dem Leben zu gehen, passte zum Mythos und verstärkte ihn. Vargas, der mit Inszenierungen gearbeitet hatte, inszenierte sich nochmals. Der Selbstmord stilisierte ihn zum nationalen Märtyrer und soldatischen Kämpfer für das Vaterland hoch. Als die Nachrichten von Vargas Selbstmord in den Zeitungen abgedruckt wurden, stürmten aufgebrachte Brasilianer den Präsidentenpalast, andere setzten die Verlagsgebäude der Zeitungen "O Globo" und "Diário de Notícias" in Brand. Der liberale Demokrat Carlos Lacerda entzog sich den Attacken der Vargas-Verteidiger durch Flucht ins Ausland. (vgl. Levine/Crocitti 1999, S. 222f.). 25 Die Regierungen Kubitschek und Goulart Juscelino Kubitschek (1956-1961), Nachkomme einer tschechischen Einwandererfamilie, Mitglied des Partido Democrático Social, vertrat ein ambitioniertes Fortschrittsprogramm mit 42 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Bau von Strassen und Kraftwerken, definierte Entwicklungsprogramme für den Nordosten, das Armenhaus Brasiliens. Die Maßnahmen erinnerten an den kulturellen und politischen Nationalismus der zwanziger Jahre. Sein "Neues Brasilien" sollte Selbstbewusstsein und Modernität vermitteln, um das Attribut, ein "Schwellenland" zu sein, loszuwerden. "50 Jahre Entwicklung sollten in fünf " zu erreichen sein. Kubitschek stützte die Industrieproduktion. Blieb der traditionelle Sektor in den Händen einheimischer Unternehmer, so wurde die Entwicklung des modernen Industriesektors wesentlich von Filialen ausländischer Mächte getragen (vgl. Hentschke 1996). Die Politik der Produktionszuwächse - das Wirtschaftswachstum war dreimal größer als in den übrigen lateinamerikanischen Staaten wurde mit der Modernisierung großer Ländereien verbunden. Um eine Landreform, eine Politik der Reduktion von Großgrundbesitz zu umgehen, setzten Modernisierungstheoretiker der fünfziger Jahre auf die Technisierung der Landwirtschaft, um aus den daraus erwirtschafteten Gewinnen auch die Subsistenz treibenden und für lokale Märkte produzierenden Bauern unterstützen zu können. 1959 gründete Kubitschek die Regionalentwicklungsbehörde für den Nordosten Brasiliens (SUDENE). Die Krönung seiner Entwicklungsziele bildete das Großprojekt der Hauptstadt Brasília im Hochland zwischen Goiás und Minas Gerais auf 1060 Metern, deren Planung in der Verfassung von 1891 verankert und 1956 im Kongress diskutiert wurde. Die Investitionen von Juscelino Kubitschek führten zwar zu steigender Wirtschaftsleistung, gleichzeitig zu einem Schuldenberg. Die Regierungen Jânio Quadros, der nur 7 Monate im Amt blieb und João Goulart (1961-1964), dem ehemaligen Arbeitsminister unter Vargas, versuchten die Krise mit unpopulären Sparmassnahmen, wie Geldabwertung, Kürzung von Subventionen, Regierungsausgaben und Steuererhöhungen zu verringern. Zudem kündigte Goulart eine Agrarreform und politische Reformen wie das Wahlrecht für Analphabeten und die Legalisierung von Bauernorganisationen an, gegen die sich die politisch konservativen Eliten stellten. 1964 erreichte die Inflation mit 100% einen historischen Höhepunkt. Externe Investoren, allen voran die USA, übten massiven Druck auf die Regierung aus, unter anderem, weil sie private Ölfirmen verstaatlichte und gegenüber Kuba eine von den USA unabhängige Position verteidigte. Die Streitkräfte stürzten Goulart schließlich 1964 und übernahmen als Korporation die Macht. 25.1 Fussball, Musik und Theaterkultur 1956 fand die erste Fußballdirektübertragung im brasilianischen Fernsehen statt, sie wurde von einer Million Menschen gesehen - Brasilien hatte damals circa 55 Millionen Einwohner und zum nationalen Ereignis hochstilisiert. 1950 hatte Brasilien das Fernsehen als erstes Land in Lateinamerika und sechstes weltweit eingeführt - noch vor Österreich. Rüdiger Zoller schreibt treffend, dass Radio und Fernsehen Brasilien einten, bevor es ein umfassendes Straßennetz gab. 1958 wurde Brasilien erstmals Fußballweltmeister in Schweden. Die Spieler Pelé, der zwei Tore schoss, und Garrincha stiegen zu Stars auf; zudem hatte man bewusst die Mannschaft " brasilianisiert", das heißt, den Vorrang weißer Spieler relativiert. Die demokratischen fünfziger Jahre führten zur Entwicklung eines neuen Musikstiles, der "Bossa Nova", einer Mischung aus traditionellen Sambarhythmen und dem Spiel zwischen Solisten und Begleitung sowie musikalischen Einflüssen des US-amerikanischen Jazz und seiner instrumentalen Begleitung durch Klavier, Schlagzeug und Violine. Zu den großen Vertretern der Bossa Nova zählen João Gilberto, Tom Jobim und Sérgio Mendes. In den Satellitenstädten von Rio de Janeiro und São Paulo bildete sich die "Jovem Guarda", die eine brasilianische Form des Rock und Roll etablierte. Ihre wichtigsten Vertreter waren Roberto 43 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at und Erasmo Carlos, Tim Maia und Jorge Ben. Roberto Carlos, der sich in São Paulo etablieren konnte, avancierte zu einem brasilianischen Idol, zum Plattenbestseller und Filmschauspieler. In São Paulo betrieb die Nationale Studentenvereinigung (União Nacional dos Estudantes, UNE) ein Kulturzentrum (Centro Popular de Cultura) mit einer Theatergruppe. Die Studentenvereinigung sollte im Widerstand gegen die Militärdiktatur eine wichtige Rolle spielen. Zu den Autoren der Theatergruppe zählte Augusto Boal, der während der Militärdiktatur ins Exil fliehen mußte. Die US-Kulturpolitik der vierziger Jahre mit ihren Investitionen in Kinotechnik sowie europäische Spezialisten verhalfen dem brasilianischen Kino der fünfziger Jahre zu Aufschwung. Das Cinema Novo brachte Regisseure wie Gláuber Rocha hervor. Sein Film "Terra em Transe" gewann 1967 einen Preis auf dem Filmfestival von Cannes. Theaterautoren wie Nelson Rodrigues, die bürgerliche Doppelmoral entlarvten, wurden international bekannt. 25.2 Afrobrasilianische Kulturen und Studien Im Jahr 1948 wurde von Hafenarbeitern aus Salvador de Bahia die Karnevalsgesellschaft "Söhne von Gandhi" (filhos de Gandhi) als eine der ältesten Karnevalsgesellschaften (= Afoxé, auch ein Rhythmusinstrument) gegründet. Sie zählt heute 9000 Mitglieder. Die westafrikanische Religion des Candomblé als Form von "kulturellem Widerstand" konnte sich erstmals freier entfalten. Zwar war er in den vierziger Jahren bereits toleriert worden, seine Anhänger bekannten sich jedoch offiziell zum Katholizismus. In den fünfziger Jahren etablierten sich zudem die Sambaschulen. Deren Präsidenten übten oftmals gleichzeitig die Kontrolle über das 1946 verbotene und beliebte Glücksspiel "Jogo do Bicho" aus und spielten im Drogenhandel wichtige Rollen. Die Samba-Schulen in den Favelas (Armutsvierteln) wurden in ein kriminelles Umfeld verstrickt. Der Karneval, eine wichtige Möglichkeit der Demonstration sozialen Zusammengehörigkeitsgefühls, wurde nun systematisch vermarktet und subventioniert (vgl. Hofbauer 1995). 1951 gab die brasilianische Regierung eine englischsprachige Broschüre heraus, die die friedlichen interethnischen Beziehungen im Vergleich zu den USA, die eine Politik der Apartheid betrieben, hervorhob. Im selben Jahr verbot das erste brasilianische Antidiskriminierungsgesetz von Afonso Arinos die Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung, nachdem ein brasilianisches Hotel einer afro-amerikanischen Sängerin die Beherbergung verweigert hatte. Die Bevorzugung "weißer" Arbeitskräfte wurde etwa durch Inserate kaschiert, die "Personen mit gutem äußeren Erscheinen" suchten (Hofbauer 1995, S. 97). In den fünfziger Jahren führte der ehemalige französische Emigrant und Anthropologe Roger Bastide mit seinem brasilianischen Kollegen Florestán Fernandes im brasilianischen Industriezentrum von São Paulo eine UNESCO-Studie über die Integration von schwarzen Brasilianern in verschiedene Bereiche sozialen Lebens durch. Für die UNESCO war Brasilien als Modell für eine andere Beziehung zwischen Ethnien als etwa in den USA besonders interessant, sie regte deshalb Studien über interethnische Beziehungen an. Die Soziologen Fernandes begründete die "Escola Paulista de Sociologia" - bewiesen durch ihre Arbeiten, dass Hautfarbe sehr wohl ein wesentlicher ideologischer Faktor zur Absicherung alter Machttverhältnisse sei, ebenso wurde die historische Kontinuität von Rassismus deutlich; Vorurteile seien im kapitalistischen System jedoch neu definiert worden (vgl. Ianni 1988, S. 159-175). Auch der bedeutende brasilianische Anthropologe Arthur Ramos wies in einer, von der UNESCO finanzierten Studie nach, dass dunklere Haut einen niedrigeren sozialen Status bedeute, auch wenn die "Rassen"segregation in Brasilien nie US-amerikanische Ausmaße erreichte. Die Studie brachte erstmals soziologisch geprägte Interpretationsweisen zum 44 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Durchbruch und stellte Freyres harmonisierenden Mythos der Rassendemokratie" in Frage. Florestán Fernandes brachte die fehlende Bewältigung des historischen Erbes auf den Punkt: "In Brasilien herrscht das Vorurteil, daß es kein (Rassen-) Vorurteil gibt" (Hofbauer 1995, S. 95, vgl. Levine 1997, S. 18f.) Die US-amerikanische "Black-Power-Bewegung" der sechziger Jahre wurde durch brasilianische Sportler und Musiker auch nach Brasilien transportiert. 25.3 Der Bau von Brasília Brasília verkörperte den Traum des modernen, urbanen Brasiliens. Die Konstruktion der neuen Hauptstadt im Grenzgebiet zwischen Goiás und Minas Gerais durch den Urbanisten Lúcio Costa und den Stararchitekten Oscar Niemeyer hatte zunächst einheimischen Firmen Grossaufträge beschert. Der Grundriss, der sich über städtebauliche Regeln hinwegsetzte, gleicht einem Flugzeug, dessen Rumpf eine fünf Meter lange Monumentalachse bildet. Sie mündet in den Platz der drei Gewalten (Praça dos Tres Poderes) - er vereinigt Parlament, Präsidentenpalast und das Oberste Gericht. Die Ministerien und Verwaltungsgebäude wurden von den Wohnbereichen strikt getrennt angelegt. Die Siedlungen der durch den Bau hinzugezogenen Arbeiter wuchsen rasch zu ärmlichen Satellitenstädten heran. Das Entwicklungskonzept, durch die neue Hauptstadt das dünn besiedelte Hochland ökonomisch attraktiver zu machen, funktionierte nicht, da internationale Firmen die strategisch besser gelegenen urbanen Zentren an den Küsten vorzogen. 1960, im Jahr der Einweihung, symbolisierte der Platz der drei Gewalten ein neues, selbstbewusstes und demokratisches Brasilien, dessen Verfassung vier Jahre später durch die einsetzende Militärdiktatur wieder abgeändert wurde. 26 Die Militärdiktatur 1964-1985 45 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Die seit 1963 von den Militärs diskutierten Pläne der Entmachtung von João Goulart aufgrund seines "zu linksgerichteten und populistischen politischen Stils" wurden am 1. April 1964 realisiert. Das Militär übernahm für 21 Jahre die Macht. Der Putsch wurde zwar von den USA unterstützt; US-Präsident Jimmy Carter prangerte allerdings Mitte der siebziger Jahre die Menschenrechtsverletzungen in Brasilien heftig an. Da Regimewechsel in Brasilien (1889, 1930, 1945) meist ohne blutige Konflikte, sondern durch Gesetzesnotstände vor sich gingen, mit denen neue Regierungen gerechtfertigt wurden, wird in Brasilien der "Mythos der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Gewaltlosigkeit" bis heute weitertradiert. Mit dem Machtwechsel von 1964, der zunächst erstmals von einer breiteren Bevölkerungsschicht befürwortet worden war, entfaltete sich die institutionalisierte Gewalt (violencia institucional) in Brasilien in besonderem Maße; staatlicher Terrorismus, die Verfolgung Oppositioneller nahmen rapid zu. Mit der Unterzeichnung des Ersten Institutionellen Aktes (AI-1) am 9. April 1964, der die Verfassung veränderte und einschränkte, die parlamentarische Immunität aufhob und Abgeordnetenmandate auf Bundes-, Staats-, und Kommunalebene einziehen konnte, wurden die neuen politischen Spielregeln festgelegt. Am 11. April wurde Humberto de Alencar Castelo Branco (1964-1967) zum ersten Präsidenten der Militärdiktatur gewählt. Die Diktaturen der Militärs Humberto de Alencar Castelo Branco (1964-1967), Artur da Costa e Silva (1967- 1969), Márcio de Souza e Mello (1969), Emílio Garrastazu Médici (1969-1974), Ernesto Geisel (1974-1979) und João Baptista Figueiredo (1979-1985) bauten auf dem Administrationsapparat der Vargas-Regierungen auf und etablierten eine neue Generation von regimeabhängigen Technokraten und Bürokraten. Die Jahre demokratischer Erfahrungen in Brasilien waren zudem kurz. Vom Tenentismo der dreißiger Jahre hin zur Militärdiktatur bestand eine Kontinuität in ideologischer Hinsicht: der Zeitabschnitt von 1964 bis 1985 ist von einer Politik des militärischen Selbstverständnisses als Ordnungsmacht und als Elite geprägt. Der Ex-Tenente Juárez Távora rechtfertigte den Putsch von 1964 mit den Worten: "1930 verhielten wir uns zurückhaltend, indem wir nicht die direkte Kontrolle der Regierung übernahmen. Wir planten, Zivilisten an die Regierung zu bringen und sie zu beeinflussen. Es war eine Illusion." (Hentschke 1996, S. 584f.). 1964 wollten die Militärs die Regierung dominieren. Ihre Vertreter kamen aus der 1949 gegründeten Obersten Kriegsschule (Escola Superior de Guerra). Sie verbanden einen tradierten militärischen Wertekanon mit Fortschrittsgläubigkeit, progressive Konzepte mit einem messianischen Sendungsbewusstsein, die nur durch die Gewährleistung der "inneren Sicherheit" und der Ausschaltung politischer Widerstände wie potentieller kommunistischer Verschwörungen durchführbar seien. Den Kommunismus, der seit dem Sieg der kubanischen Revolution von 1959 als besonders virulent angenommen wurde, erklärten die Militärs zum Hauptfeind und Verantwortlichen eines "revolutionären, subversiven Krieges" gegen die innere und äußere Sicherheit. Die USA waren in den ersten Jahren der Militärdiktatur ein verlässlicher Verbündeter gegen die "kommunistische Bedrohung". 1965 brach Brasilien die Beziehungen zu Kuba ab. Für die elitäre Führungsgruppe von Techno- und Bürokraten, Unternehmern und Militärs blieb der Hauptteil der brasilianischen Bevölkerung eine weit entfernte, wenig greifbare Realität, ein potentieller Hort von Subversion und Opposition. 26.1 Gewalt, Terror, Verlust von Bürgerrechten Einige Tage nach der Machtübernahme rollte bereits eine Welle der Gewalt durch das Land: cirka 50 000 Oppositionelle bzw. Verdächtige, unter ihnen Gewerkschaftsführer, oppositionelle Politiker, Führer katholischer und kommunistischer Organisationen, 46 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at studentischer Gruppen wurden bis 1979 interniert, 300 fanden den Tod; zahlreiche gingen ins Exil. Über 9000 Staatsbedienstete und Offiziere wurden entlassen, hochrangige Politiker ihrer politischen Rechte beraubt. Oscar Niemeyer, bis heute erklärter Kommunist, ging ebenfalls seiner politischen Rechte verlustig. Terror und Gewalt waren ein zentraler Bestandteil der Regime bis 1985 und erlebten ihre Höhepunkte zwischen 1969 und 1973. Namenslisten von Verschwundenen veröffentlichte die Erzdiözese von São Paulo in ihrer Bestandsaufnahme der Menschenrechtsverletzungen ab 1964 in der Publikation "Brasilien: Niemals wieder" ("Brasil: nunca mais"). Mehr als die Hälfte der Ermordeten waren StudentInnen oder Schüler der (zum überwiegenden Teil weißen) Mittelschicht. Nach den ersten Phasen der Gewalt und ökonomischen Fehlschlägen polarisierten die Militärs mit der Einführung des Zweiten Institutionellen Aktes (AI-2) vom Oktober 1965 die politische Landschaft. Sie schufen ein Zweiparteienwesen "von oben", um Einflüsse familiärer lokaler Interessen auf die politischen Parteien auszuschließen. Dem Lager der bedingungslosen Unterstützer des Regimes (die Regierungspartei), die durch Ämter und Gelder belohnt wurden, stand das oppositionelle demokratische Lager (Movimento Democrático Nacional, MDP) gegenüber. Der Zweite Institutionelle Akt AI-2 ermöglichte die völlige Einschränkung persönlicher Freiheit und die Ausrufung des Belagerungszustandes ohne Zustimmung des Kongresses. Die Regierungspartei der Aliança Renovadora Nacional (Arena), die sich aus ehemaligen Mitgliedern der Parteien União Nacional Democrática und Partido Social Democrático zusammensetzte, bildete die Machtzentrale. Die Präsidenten gingen jeweils aus einem kleinen Kreis der militärischen Elite hervor, da die Direktwahl des Präsidenten mit dem Ersten Institutionellen Akt vom 9. April 1964 außer Kraft gesetzt worden war. In den Jahren 1968 bis 1973 erlebte Brasilien die härteste Phase der Diktatur mit weiteren Säuberungswellen. Der im Dezember 1968 beschlossene unbefristete Fünfte Institutionelle Akt (AI-5) ermöglichte dem Präsidenten Costa e Silva die bislang größte Machtkonzentration, indem er über Teile der Legislative verfügte. Er konnte Richter absetzen, die politischen Rechte jedes Staatsbürgers für die Dauer von zehn Jahren aussetzen und Disziplinarverfahren anhängen. Die Verfassung wurde aufgehoben; künstlerische, kulturelle Entfaltungsmöglichkeiten waren mit dem AI-5 massiv eingeschränkt (vgl. Caldeira 1999). 26.2 Geheimdienste und paramilitärische Gruppen 1964 wurde der zentrale militärische Geheimdienst (Serviço de Segurança Nacional, SNI) gegründet, dem Präsidenten unterstellt und als "Hilfsmittel zur effizienteren Ausübung der exekutiven Gewalt" in das Gesamtkonzept der "Doktrin der Nationalen Sicherheit und Entwicklung" gestellt, das bereits in der 1949 gegründeten Eliteschule des Militärs (ESG) erarbeitet worden war. Der SNI übernahm Nachrichtenbeschaffung und Gegenspionage. Zwei Leiter des SNI, João Batista Figueiredo und Emilio Médici, wurden zu Präsidenten Brasiliens gewählt. Heer, Marine und Luftwaffe entwickelten ihre eigenen Geheimdienste, auch die Abteilungen des SNI arbeiteten bis Ende der sechziger Jahre für sich. Jeder Bürger konnte ein potentieller Spitzel eines Nachrichtendienstes sein. Mit der Eskalation der politischen Gewalt im Jahr 1968 erfolgten der Ausbau der Sicherheitsdienste und erhebliche Verschärfungen in der Gesetzgebung. Der Versammlungs- und Pressefreiheit wurde ein Ende gesetzt. Die Institutionellen Akte 14 und 15 gaben 1969 die Todesstrafe frei. 1969 und 1970 wurde ein Flugblatt verteilt, auf dem auf einer Seite die Nationalhymne abgedruckt war, auf der Rückseite ein Sicherheitskatalog mit 10 Hinweisen zur Denunziation auffälliger Mitbürger und Mitbürgerinnen. Seit 1971 konnten Inhaftierungen vorgenommen werden, ohne dass der Betroffene die Gründe seiner Verhaftung erfuhr. Zivile Polizeiformationen - wie die DOPS (später DEOPS, Abteilung für politische und soziale Ordnung) - wurden aufgebaut, genossen 47 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at weite Autonomien, bewegten sich zum Teil in der Illegalität, kämpften gegeneinander und zettelten Verschwörungen an, um ihre Vorgangsweise gegen "Subversion" und Demokratisierungstendenzen zu legitimieren. Die 1969 gegründete paramilitärische Formation von Sao Paulo nannte sich Operação Bandeirantes (Oban) und entlehnte ihren Namen von den Paulistaner Sklavenjägern des 17. Jahrhunderts. Ihre Finanzierung erfolgte auch durch internationale Unternehmen wie Ford und General Motors. Neben militärischen und zivilen Polizeiorganisationen agierten rechtsradikale Untergrundorganisationen. Zu Beginn der siebziger Jahre waren über 70 Organisationen der Geheimdienste im Einsatz. Um Folterungen zu verschleiern, legten die Geheimdienste ihre Opfer nicht selten auf die Strasse, um Schiessereien und einen Tod im Kampf vorzutäuschen (vgl German 1991, vgl. Caldeira 1999). 26.3 Die Wirtschafts- und Technologiestrategien der Militärdiktatur Die Militärdiktatur rühmte sich ihrer Wirtschaftskompetenz aufgrund der industriellen Produktionskapazität. In den ersten beiden Regierungsjahren wurde durch eine Kombination von Ausgabenkürzung und Steuererhöhung das Haushaltsdefizit verringert, die Mindestlöhne sowie viele Preise waren durch eine automatische, periodische Indexierung angepasst, um den Brasilianern das Leben mit der Inflation zu erleichtern. Während der Regierung Costa e Silva vollzog sich ein Wechsel zu einer expansiveren Wirtschaftspolitik durch Grossaufträge, die sich rasch in höheren Wachstumsraten niederschlug. Das auch im Ausland rezipierte und als Modellfall in der Entwicklungspolitik diskutierte brasilianische Wirtschaftswunder der Jahre 1969 bis 1973 (Milagre brasileiro) resultierte aus der engen Verquickung zwischen dem Staat als Hauptauftraggeber, Unternehmer und Investor in oftmals überdimensionierte Projekte und den von ihm abhängigen staatlichen und privaten Unternehmen, die langfristige und günstige Kredite, Subventionen und Aufträge erhielten. Damit führten die Militärs die unter Getúlio Vargas begonnene staatsinterventionistische Wirtschaftspolitik fort. Die Zuwendungen an abhängige Betriebe waren wiederum nur durch Auslandsanleihen finanzierbar, die zu höherer Verschuldung führten. Die Bereiche Telekommunikation, Agro-Industrie, Bauunternehmen, Chemie-, Stahl- und Autoindustrie sowie die Herstellung von Haushaltsgeräten profitierten besonders von Investitionen. 1970 hatte die Wirtschaft ein Wachstum von 8,3 %, 1973 sogar von 14% zu verzeichnen. Parallel zum Wachstum stieg die Auslandsverschuldung. Betrug sie 1970 noch 5,2 Milliarden US-Dollar, so waren die Schulden im Jahr 1979 auf 49,9 Milliarden Dollar gestiegen. Seit 1968 stiegen die Importe von Maschinen und Konsumgütern; Agrargüter machten allerdings noch immer einen Grossteil der Exporte aus. Brasilien begann ab Mitte der sechziger Jahre mit dem massiven Anbau von Soja und produzierte intensiviert Orangensaft für den Export. Das in überdimensionierte Projekte im Rahmen der "Nationalen Integration", eine Freihandelszone in Manaus, Industrieanlagen im Amazonasgebiet, Staudämme (Itaipú in Südbrasilien) für die Energiegewinnung, sowie für die Ausweitung des Beamtenapparates geflossene Geld fehlte im Sozial- und Bildungsbereich. Ebenso errichteten die Militärs die Raketenbasis Alcântara in Maranhão, die aufgrund ihrer Äquator-nahen Lage als weltweit beste geschätzt wird, da die Raketen auf eine ideale Umlaufbahn gebracht werden können. Die USA haben massives Interesse daran, die Basis ab dem Jahr 2003 zu mieten. Die Erdölkrise von 1973 und die rapide Preissteigerung bewirkten eine Reduktion der brasilianischen Erdölförderung - und damit Einkommensverluste. Auch Brasilien investierte in die Entwicklung alternativer Brennstoffe und produzierte Alkohol aus Zuckerrohr (Proálcool) durch die Petrobrás. 1988 fuhren 80% der neu gefertigten 48 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Autos mit Alkohol. Heute sind ca 10% der Autos in Brasilien mit Alkohol betrieben. Der Prozentsatz schwankt, weil bei erhöhten Zuckerpreisen die Plantagenbesitzer den Zucker wegen besserer Erträge lieber an die Spirituosenerzeugung abliefern, als an die Treibstofferzeuger. 26.3.1 Kernenergie und Rüstungspolitik Der 1974 gewählte Präsident Ernesto Geisel, ein ehemaliger Manager von Petrobrás, investierte in friedliche und militärische Nutzung der Kernenergie, um seinen Traum der starken Militärmacht Brasilien, die führend in der Produktion nuklearer Waffen werde, als Teil der nationalen Entwicklungsstrategie zu verwirklichen. Nachdem die USA wenig Kooperationsbereitschaft für technische Zusammenarbeit und Beratung gezeigt hatten, schloss Brasilien mit Deutschland 1975 ein Abkommen für die friedliche Nutzung von Atomkraft, das ihm das technisches Know How für den Bau eines Kernkraftwerkes sowie Uran versprach. Kernenergie bedeutete zudem nach der Erdölkrise von 1973 eine alternative Energieform zu Erdöl. Von den angestrebten drei Kernkraftwerken ist eines noch im Bau (in Angra dos Reis). Die Kosten stiegen auf astronomische 13 Milliarden Dollar und brachten nicht die angestrebte Energieleistung. Die Militärs investierten in Programme zur Herstellung von Atomwaffen und experimentierten damit. Heute betont Brasilien, keine Atomwaffen zu besitzen. Den Atomwaffensperrvertrag von 1968 für eine atomwaffenfreie Zone in Lateinamerika ratifizierte Brasilien nicht, erst 1994 wurde der Vertrag von Tlatelolco zur Ächtung von Atomwaffen in Lateinamerika unterzeichnet, seit 1996 ist Brasilien Mitglied der Nuclear Suppliers Group (NSG). Auch der weltmachtpolitische Gesichtspunkt und die traditionelle Konkurrenz zu Argentinien spielte in der Aufrüstungsfrage eine wichtige Rolle. Brasilien exportierte Kriegsgerät in den siebziger Jahren für den libysch-ägyptischen Grenzkrieg und ab 1980 für den Golfkrieg. Die Atompolitik Brasiliens, die zur Abwendung von den USA und zur Hinwendung zu Deutschland führte, ist ein gutes Beispiel für eine aktive Außenpolitik. Als der US-Präsident Jimmy Carter 1977 die Menschenrechtsverletzungen in Brasilien anklagte, kündigte Brasilien das während der zweiten Regierungsperiode von Getúlio Vargas im Jahr 1952 unterzeichnete Militärabkommen. 26.4 Land ohne Menschen für Menschen ohne Land 1970 begann die Regierung Médici mit der Konstruktion der Transamazônica-Strasse, um den "leeren Raum" Amazonas zu erobern und damit eine Landreform zu umgehen. Die geplante 5000 km lange Trasse quer durch Brasilien (von Westen nach Osten), die das Amazonasgebiet als Besiedlungsmöglichkeit attraktiver gestalten sollte, wurde nie ganz fertiggestellt und war auch nie zur Gänze befahrbar; in den achtziger Jahren war die BR - 364 zum Teil vom Regenwald überwachsen. Circa 1200 km asphaltierte Straße im südlichen Teil Amazoniens blieb befahrbar und ist auf Satellitenaufnahmen als Schnitt durch den Amazonas deutlich erkennbar. Der Straßenbau leitete eine massive, staatlich gelenkte Binnenmigration ein. Die "Eroberung" großer Regenwaldgebiete durch MigrantInnen, durch oftmals illegale Diamanten- und Goldsucher (garimpeiros), durch Kleinbauern und Viehfazendeiros beschleunigte die Reduktion des Waldbestandes. 80% des abgeholzten Gebietes im Staat Rondônia erfolgten nach dem Bau der Transamazônica. Das parallel zum Straßenprojekt 49 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at formulierte Wachstumspol-Programm (Polamazonia) richtete die ökonomischen Interessen auf die territoriale Aufteilung der Peripherie und führte zur Errichtung zahlreicher Rinderfarmen und zur Landspekulation. Die Produktion von Holzkohle, der Bergbau, die Energiegewinnung durch hydroelektrische Großkraftwerke sind zusätzlich für die Dezimierung des tropischen Baumbestandes verantwortlich. Die Einwohnerschaft des Staates Rondônia stieg seit den siebziger Jahren von 100 000 auf 1, 5 Millionen Menschen. Der Staat, dessen Namen auf Cândido Rondon, Begründer der Indianerschutzbehörde zurückgeht, greift - obwohl viele Kleinbauern aufgrund der geringen landwirtschaftlichen Eignung des Gebietes abwanderten -, mittels illegaler Rodungen weiterhin in das fragile Ökosystem ein und gefährdet die Lebensgrundlage von indigenen Stämmen. Von den cirka 1500 Stämmen, die in Amazonien vor 500 Jahren lebten, sind heute noch über 200 (z.B. tukanos, suruí, EnaweneNawé etc.) existent. In den durch die Transamazônica erschlossenen Gebieten spielen sich Konflikte zwischen Kleinbauern, nationalen und internationalen Unternehmen der Holzextraktion, den Sojaproduzenten und Viehfazenden ab. 1970 unterstützten die USA Brasilien technisch bei dem Projekt RADAM (Radar na Amazônica), das Radaraufnahmen im Amazonasgebiet im Umkreis der TransamazônicaStrasse machte. Brasilianer wie US-Amerikaner erhielten ausgezeichnete Informationen über Ressourcen im Amazonasgebiet. Das Programm RADAM wurde 1985 eingestellt. 26.5 Fussball und Karneval als Elemente der Identität Da die Diktatur durch Repression und Gewalt, elitäre Politik und verfehlte Wirtschaftsprogramme wenig Identifikationsmöglichkeiten zu bieten hatte, das kulturelle Leben durch Exilierungen und Zensur eingeschränkt war, bot sich Fußball als zentrales identifikatorisches Element an. 1970, im Jahr der Fußballweltmeisterschaft in Mexiko, verbuchte die Militärdiktatur von Médici einen politischen Erfolg, da sie im wiedereröffneten Parlament nach manipulierten Wahlen die Mehrheit bekam. Das Fußballteam, das nach modernsten psychologischen Methoden trainiert wurde, mußte sich von der Diktatur vereinnahmen lassen: es sollte Brasilien nun ins Zentrum der Weltöffentlichkeit lenken und Imageverbesserung garantieren. Eine Parallele bietet die Weltmeisterschaft von 1978 in der Hauptstadt des diktatorischen Argentinien, in Buenos Aires. Die Phase der Vorbereitung, die Investitionen des brasilianischen Militärs in Medientechnik, um die Spiele via Satellit und in Farbe zu übertragen, machen die Verquickung zwischen Politik, Sport und Medien deutlich. 1970 verfügten bereits über 40% der brasilianischen Haushalte über einen Fernsehapparat. Mit Pelé, dem Star des Fußballteams, wurde Brasilien nach dem gewonnen Endspiel gegen Italien zum dritten Mal Weltmeister. Der Empfang des siegreichen Teams in der Hauptstadt Brasília wurde zum medialen Ereignis. Im Jahr 1965 produzierte die Sambaschule Salgueiro ihre erste Langspielplatte. Der Karneval, für den die ersten Tribünen und 1983 schließlich ein eigenes Stadion in Rio de Janeiro (das sambódromo) errichtet wurden, avancierte zu einem großen medialen und touristischen Geschäft. 26.6 Aussenpolitik in der Militärdiktatur Während der gesamten Phase der Militärdiktatur lag die Außenpolitik in Händen von Zivilisten. In der brasilianischen Außenpolitik gab es immer wieder markante Kurswechsel. 1964 begann eine Phase der "speziellen außenpolitischen Allianz" mit den USA in der 50 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at gemeinsamen Bekämpfung des Terrorismus. Der brasilianische Botschafter in Washington, Juracy Magalhães, prägte den Ausdruck, was gut für die USA sei, sei auch gut für Brasilien. Ende der sechziger Jahre konzentrierte sich Brasilien auf das große nationale Projekt einer aufsteigenden Weltmacht, die sich in die "entwickelte" Welt integriere. 1969 unterzeichneten die Militärs den La-Plata-Becken-Vertrag, einen Vorläufer des 1991 unterzeichneten Wirtschaftsbündnisses der Mercosur/Mercosul-Verträge in Asunción zwischen Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Die Beziehung mit den USA wurde - wie propagandistisch zu Vargas' Zeiten - als eine Freundschaft unter gleichen gewertet. Ernesto Geisel hingegen kritisierte die imperialistischen Attitüden der USA und demonstrierte das brasilianische Interesse Mitte der siebziger Jahre, eine Führungsposition in der "Dritten Welt" zu spielen. Nachdem US-Präsident Jimmy Carter die Menschenrechtsverletzungen in Brasilien angeklagt hatte, kündigten die Militärs im Jahr 1977 das seit 1952 (während der zweiten Regierungszeit von Vargas beschlossene) bestehende Militärabkommen. 1978 unterzeichnete Brasilien mit Bolivien, Ecuador, Guayana, Kolumbien, Peru, Surinam und Venezuela einen Kooperationsvertrag über den Amazonas, um etwaige US-Interessen zu unterbinden. Gegenüber dem ehemaligen Mutterland Portugal behielt Brasilien die gute Beziehungen bei, gewährte Politikern nach dem Übergang von der Diktatur zur Demokratie Asyl, unterstützte dann aber die Unabhängigkeitsbestrebungen der portugiesischen Kolonie Angola, die 1975 unabhängig wurde. Während des Falkland-Krieges im Jahr 1982 zwischen Argentinien und Großbritannien positionierten sich die USA an der Seite des Nato-Partners Großbritannien. Brasilien unterstützte Argentinien und warb nun für eine atomwaffenfreie Zone im Südatlantik. Anfang der achtziger Jahre kritisierte Brasilien bereits die USamerikanische Kuba-Politik und verweigerte sich den Wünschen der USA bei der Kontrolle des Drogenhandels. Brasiliens Außenpolitik ist ein Beispiel für dessen Machtposition in Lateinamerika. Brasilien ließ sich in seiner Außenpolitik nie von den USA lenken beziehungsweise instrumentalisieren, die es als Großmacht in Lateinamerika respektierten, auch, indem sie stets Konfrontationen vermieden. Brasilien betrieb auch nie eine dezidiert anti-US-amerikanische Außenpolitik. Bis heute stehen die USA als Handelpartner und Kreditgeber an erster Stelle, gefolgt von Deutschland (seit dem Nuklearvertrag von 1975). 26.7 Sozial- und Bildungspolitik Das auf die Zusammenarbeit mit einer Wirtschaftselite zugeschnittene monolithische Konzept der Militärdiktatur vernachlässigte den Hauptteil der brasilianischen Bevölkerung wie Angestellte und Arbeiter, die einen bedeutenden Anteil der Steuerleistung erbrachten. Es verbesserte kaum die Situation der Bauern und Landarbeiter. Die Regierungen strebten die Gewinnung neuen Landes im Amazonasgebiet an, um einer Agrarreform und damit Konfrontationen mit den Agrareliten als wichtigen Trägern des Regimes auszuweichen. Eben so wenig integrierte die Militärdiktatur die pauperisierten Migranten in den Großstädten, obwohl sie mit den Versprechen, eine radikale Verbesserung bestehender sozialer Gegebenheiten zu garantieren, die Herrschaft angetreten waren. Die soziale Problematik war für die Militärs nicht durch Umverteilung, sondern über den Weg der Erschließung neuer Ressourcen lösbar. Die Bekämpfung materieller Notstände trat zudem hinter die Bekämpfung der "Subversion" zurück.1970 überwog erstmals der Prozentsatz der urbanen Bevölkerung: 56% der Brasilianer lebten in Städten. 51 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Seit 1964 wurden mehrere Stadtplanungsprojekte initiiert, die als zentralisiertes Machtmittel ebenfalls eine Legitimationsfunktion für die Regierungen fungierten und Experimentierfelder technokratischer Träume waren. Entpolitisierte Experten wurden eingestellt. U-Bahnbauten, großangelegte Straßenzüge wie die Avenida Paulista im Zentrum der Metropole São Paulo, sich überkreuzende Stadtbahnen, Hochhäuser und Einkaufsmärkte veränderten das Stadtbild, öffentliche Räume wurden reduziert.(vgl. ILA, Juli 2001, vgl. Novy 2001). Städtische Armut, Kriminalität und Drogenhandel stiegen seit den siebziger Jahren kontinuierlich. Der Anteil der bäuerlichen Bevölkerung ging auf 47% zurück. Allerdings startete man Alphabetisierungskampagnen auf dem Land. 26.8 Fernando Henrique Cardoso als Dependenztheoretiker Der von 1964 bis 1968 im chilenischen Exil lebende und bei der CEPAL arbeitende brasilianische Soziologe und Politikwissenschafter Fernando Henrique Cardoso veröffentlichte mit Enzo Faletto 1969 eines der ersten Bücher zur Dependenztheorie, das die entwicklungspolitische Diskussion der siebziger Jahre mitprägte: "Abhängigkeit und Entwicklung in Lateinamerika" (dt. Frankfurt am Main 1976). Cardoso hatte in den fünfziger Jahren seine Dissertation über "Sklaverei und Kapitalismus im südlichen Brasilien" verfasst. 1968 kam er nach Brasilien zurück, erhielt einen Lehrstuhl an der Universität von São Paulo und gründete 1969 das Forschungsinstitut Centro Brasileiro de Análise e Planejamento 52 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at (Cebrap), ein bis heute bedeutendes Zentrum zur Analyse und Planung sowie Sammelpunkt kritischer Intellektueller, das auch von Organisationen wie der Ford-Foundation gestützt wurde. Sein mit dem chilenischen Soziologen Enzo Faletto verfasstes Buch gilt als eines der komplexesten zur Dependenztheorie, die in den siebziger Jahren als kritischer, auch von marxistischen Theorien beeinflusster Ansatz zu Modernisierungstheorien Bedeutung erlangte. Die Dependenztheorie stellte Entwicklungsoptimismus in Frage. Cardoso und Faletto untersuchten die durch die Einbindung lateinamerikanischer Staaten in kapitalistische Prozesse hervorgerufenen strukturellen Abhängigkeiten (der Zentrum-Peripherie-Diskurs der Weltsystemtheorie fließt hier ein). Den Entwicklungsbegriff reduzieren Cardoso und Faletto nicht auf ökonomische Komponenten, sondern stellen den politischen Charakter von Transformationsprozessen in den Vordergrund. Zudem wehren sie sich gegen Dichotomien, dass Entwicklung immer die Moderne und Unterentwicklung die Traditionen bedeute. Auch Entwicklung und Abhängigkeit stellen für Cardoso keinen Widerspruch dar. Entwicklungsdefizite sind für Cardoso ein Resultat eines komplexen Systems, dass großteils von externen Faktoren (Bindung an den Weltmarkt), aber auch von internen Faktoren abhängt (von Interessensbündnissen heimischer Gruppen, die auch nach außen - durch wirtschaftliche Verflechtungen - über gute Netzwerke verfügen). Dies lässt sich eben sehr gut am Beispiel der Wirtschaftspolitik der brasilianischen Militärs darstellen. Durch starke Berücksichtigung interner historischer und soziopolitischer Faktoren erweist sich Cardosos Ansatz als eine sehr plurikausale Argumentation. 26.9 Die Schuldenkrise von 1982 1982 erreicht die internationale Verschuldungskrise, die auch zum Kollaps der mexikanischen Währung führte, in Brasilien ebenfalls dramatische Ausmaße (sie betrug 70 Milliarden Dollar und zwei Jahre später 91 Milliarden Dollar): Inflation und Arbeitslosigkeit stiegen, die Löhne sanken, die Einkommensschere weitete sich beträchtlich. Brasilien erhöhte die Exporte und schränkte die Importe ein. Trotzdem griff nun der Internationale Währungsfonds ein und verlangte eine Änderung der protektionistischen, autoritären und paternalistischen Wirtschaftsstrategie, die Entstaatlichung der Wirtschaft und die Adaptierung der brasilianischen Wirtschaft an globale Strategien. Die Rechnung der Militärs, große staatliche Entwicklungsprojekte würden das Land reformieren, die Wirtschaft florieren lassen und die Unpopularität des Regimes übertünchen, gingen aufgrund der Überdimensioniertheit, der politischen und unternehmerischen Verflechtungen und Korruption nicht auf. 1983 war der Staat nicht mehr in der Lage, beschäftigungslosen Arbeitern Unterstützungen zu zahlen, da die dafür budgetierten Gelder für Administration aufgewendet wurden. Ebenso bediente sich der Staat der Einkünfte der Pensionsversicherungsfonds. 1983 hatten 50% der Bevölkerung einen Anteil von 12,2% des Inlandskapitals. Ebenso erhöhte sich der Anteil der Kapitalflucht enorm. Zwischen 1976 und 1985 wurden circa 10 Billionen Dollar legal außer Landes transferiert. Unter dem letzten Militärdiktator Joao Baptista Figueiredo brachen die Fronten auf, die illegal agierende Opposition gewann an Macht. In den achtziger Jahren hatte die brasilianische Wirtschaftspolitik des "autarken Modells", der Importsubstituierung ihr Ende gefunden. 26.10 Militärischer Widerstand gegen die Diktatur 53 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Der bewaffnete Kampf von städtischen Guerillagruppen begann sich 1964 zu formieren und orientierte sich auch an den Strategien des 1967 in Bolivien ermordeten Kubaners argentinischer Herkunft, Ernesto Ché Guevara. Eine der aktivsten Guerilla-Gruppen nannte sich VAR-Palmares (Vanguarda Armada Revolucionaria - Palmares) - nach dem berühmtesten "Staat" entflohener Sklaven des 17. Jahrhundert, dem Quilombo Palmares. Die Entführung des US-amerikanischen Botschafters Charles Elbrick im Jahr 1969 durch die Guerilla-Gruppen Ação Libertadora Nacional und MR- 8 ( (Movimento Revolucionário 8 de Outubro) führte zur Zerschlagung der Guerilla. Der Anführer der ALN, Carlos Marighela, wurde 1969 erschossen. Guerillos überfielen Banken, verübten Bombenanschläge, entführten Flugzeuge nach Kuba bzw. entführten Diplomaten, um die Enthaftung von Gefangenen zu erpressen. Die kleinen Guerillagruppen um Marighela dienten der Regierung als Alibi für die Zerstörung studentischer Opposition. 26.11 Zivilgesellschaftlicher Widerstand Durch die Reglementierung von Politik und Wirtschaft blieb zunächst das kulturelle Feld als Vehikulationsmöglichkeit von Unzufriedenheit und Widerstand übrig. In den ersten Jahren der Militärdiktatur und beeinflusst durch die internationale achtundsechziger Bewegung boomten noch Musik, Kino und Theater, bis Zensur und Verbote des Jahres 1968 (unter Costa e Silva) mit der beginnenden Eskalation politischer Fronten den kulturellen Äußerungen die Kritikmöglichkeit nahmen. 1967 fand noch das Dritte Festival der Música Popular Brasileira in São Paulo statt. 1968, mit der Einführung des Institutionellen Aktes (AI-5) entschlossen sich die beiden berühmten Vertreter der von Mittelschichten sehr geschätzten Musikrichtung des Tropicalismo, Caetano Veloso und Gilberto Gil, für eine Flucht nach London, wo sie mit Vertretern der westlichen Beat- und Rock-Szene zusammenarbeiteten (vgl. Walger 1992). Obwohl die Kreativität und die Ausdrucksmöglichkeiten der brasilianischen Theaterszene durch die Vorzensur der Texte sowie durch weitere Zensurschritte nach den Premieren ständig offiziell beschnitten, obwohl Karrieren zerstört wurden, blieb das Widerstandspotential des Theaters hoch. Es stellte eine der wichtigsten Formen zivilgesellschaftlichen Widerstandes während der Militärdiktatur dar. 1971 flüchtete auch der Theaterregisseur und -autor Augusto Boal nach Verhaftung und Folter zunächst nach Argentinien, dann ins portugiesische und schließlich ins französische Exil, wo er 1981 das Erste Internationale "Theater der Unterdrückten" (Teatro do Oprimido) gründete; 1986 kehrte er wieder nach Brasilien zurück. Die zentrale Botschaft des Theaterkonzeptes von Boal war, die Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderung zu vermitteln, die nur mit der Abschaffung von gesellschaftlichen Unterdrückungsstrukturen einhergehen kann (vgl. Brenneis 2003). Zu den heftigen Kritikern der Militärregierung 1964 zählte der ehemals konservativ katholische österreichische Immigrant Otto Maria Carpeaux, der zum bedeutendsten brasilianischen Literaturkritiker avancierte. Er wurde wiederholt mit Redeverbot belegt. Im Jahr 1968 geriet das Begräbnis eines, bei einer Demonstration in Rio de Janeiro erschossenen Studenten zum Protestmarsch von über 100 000 Menschen gegen die Militärdiktatur. Der studentische Widerstand formierte sich. In São Paulo bekämpften sich im selben Jahr Studenten der philosophischen Fakultät der Universidade de São Paulo (USP), seit ihrer Gründung im Jahre 1934 ein Hort der Liberalität und Regierungskritik, mit Studenten der rechten Universidade Mackenzie. Die USP hielt sich als Ort des Widerstandes. In geheimen Treffen las man Texte, die durch die Zensur verboten worden waren. Der Widerstand brachte im Musiksektor die Entwicklung des brasilianischen Protestsongs hervor, der sich auch gegen die Rock and Roll-Epigonen richtete. Die Lieder des Sängers Chico Buarque, der einige Jahre 54 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at bis 1971 im italienischen Exil verbrachte, wurden regelmäßig verboten. 1975 wurde die Vorzensur aller Zeitungsartikel festgelegt. Der Estado de São Paulo füllte die zensurierten Stellen mit Gedichten. Ab 1974 (unter der Diktatur Geisel) institutionalisierte sich der studentische Widerstand. Illegale Gremien wurden organisiert, Streiks und Proteste auf den Unicampuses veranstaltet. 1976 getrauten sich die Studenten mittels eines Protestmarsches in São Paulo erstmals seit 1968 wieder auf die Straße. 1977 konstituierte sich die seit 1964 aufgelöste União Nacional de Estudantes und agierte in der Illegalität. Zur Galionsfigur des katholischen Widerstandes avancierte der Bischof von Recife, Dom Helder Câmara; 1970 prangerte er im Fußballstadion von Paris vor 10 000 Menschen die Folterungen politischer Gefangener an. Bis 1977 wurden ihm öffentliche Medienauftritte untersagt. 1985 musste er seinen Posten auf Anweisung des Vatikan verlassen (vgl. Caldeira 1999). 26.11.1 Gewerkschaftliche Bewegungen, Arbeiterpartei Das Jahr 1978 war durch eine Fülle von Streikwellen gekennzeichnet. Die Metallarbeitergewerkschaft ABC organisierte im Industriegürtel von São Paulo, in dem 45% der Industrieproduktion konzentriert sind, ihren ersten Streik, der die Autoproduktion kurzfristig lahm legte. Mit der Organisation der Streiks legte Luis Ignácio Lula da Silva, seit 1. Jänner 2003 Präsident Brasiliens, den Grundstein zu seiner politischen Karriere. Der zweimalige Chef die Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT) hatte sie mitbegründet. Für sein Engagement wurde Luis Ignácio Lula da Silva im Jahr 1988 der KreiskyMenschenrechtspreis in Wien verliehen. Aus dem Streik entwickelte sich die Neue Gewerkschaftsbewegung, einer der wesentlichen Motoren der Redemokratisierung und des Widerstandes gegen die Diktatur; die Bewegung vermochte sich aus der staatlichen Umklammerung zu lösen. 1979 waren bereits mehr als drei Millionen Arbeiter im Streik. 1983 wurden die unabhängige Arbeitergewerkschaft CUT sowie die gemäßigtere Confederação Geral dos Trabalhadores (CGT) gegründet und von einzelnen Unternehmern unterstützt. Die Gewerkschaftsbewegungen zielten aus der Widerstandsposition auf die politische Notwendigkeit eines Parteizusammenschlusses. Von der legalen Opposition während der Militärdiktatur konnten sie sich keine Unterstützung erwarten. Nach Kontroversen um ihre Gestaltung einigten sich ehemalige Guerilleros, kommunistische und marxistische Intellektuelle sowie Mitglieder sozialer Bewegungen im Jahr 1979 zur Gründung der Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT) als einer "Partei des Alltagslebens". Die Beibehaltung von Basisarbeit, die soziale Veränderungen von "unten nach oben" erwirke, zählte zu den wichtigsten Agenden. Viele der PT-Aktivistinnen kamen aus den Elendsvierteln und aus christlichen Basisgemeinden. Die Arbeiterpartei unterstützte auch die Landlosenbewegung von Anfang an und thematisierte das Problem der Landverteilung. Das Modell PT hat internationales Interesse hervorgerufen. Zwischen der durch die Wirtschaftspolitik der Militärs gestärkten Arbeiterschaft und den neuen sozialen und bürgerlichen Bewegungen entstand ein Oppositionsblick, der vor dem Hintergrund der Schuldenkrise von 1980 das Ende der Diktatur beschleunigte (vgl. Wolf 1994). 26.11.2 Frauenpolitik im Widerstand Widerstand formierte sich auch in den Basisgemeinden der Kirche, wo sich die Schwarzen-, Frauen-, Landarbeiter- und Stadtviertelbewegungen trafen. Die US-amerikanische Frauenbewegung hatte Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre auch die brasilianische 55 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at feministische Diskussion beeinflusst. 1978 wurde in São Paulo der erste brasilianische Frauenkongress abgehalten, zwei Jahre später der zweite; die Forderungen beinhalteten trotz der Heterogenität der Gruppen die rechtliche Gleichstellung mit Männern. Themen wie Asymmetrien der Geschlechterverhältnisse, sexistische Verhaltensweisen, strukturelle Gewalt, die Negation der Arbeitsleistung im reproduktiven Bereich, die Familienplanung und Abtreibung wurden diskutiert; die Frauen forderten aber auch die uneingeschränkte politische Amnestie. In verschiedenen Städten wurden ab 1980 Frauenzentren, Notrufgruppen (SOSMulher) sowie Frauenpolizeistellen in großen urbanen Zentren nach dem Motto "Wer liebt, der tötet nicht" eingerichtet. Nach der Vorkämpferin der brasilianischen Frauenbewegung, Bertha Lutz, wurde ein politischer Kongress benannt. Während sich die feministisch orientierten Gruppen eher aus der städtischen Mittelschicht rekrutierten und akademisch gebildet waren, formierten sich die Frauen der Unterschichten auf der Ebene der Stadtviertel, um Sanierungen, Gesundheitsversorgung und Kindergärten zu erkämpfen, Fortbildungskurse zu organisieren und Volksapotheken einzurichten. 1983 wurde das Frauennetzwerk "rede mulher" gegründet, das im Kultur- und Bildungsbereich vielfältige Initiativen, von Theateraufführungen bis zu Radiosendungen startete. Viele gesellschaftliche Forderungen der Frauenbewegung wurden als antizipatorischer Akt in die Verfassung von 1988 aufgenommen, sie werden in der sozialen Wirklichkeit allerdings nur in Ansätzen eingelöst. Gerade die Alltagserfahrung armer Frauen ist nach wie vor stark von struktureller und sexueller Gewalt, von sozialer und ethnischer Diskriminierung geprägt, was sich im Lohnniveau und dem Zugang zu Bildung manifestiert (Caipora 1991, Rott 1994). 1997 hatten Frauen 7% der Sitze in der Deputiertenkammer und 7,4% im Senat. 26.11.3 Afrobrasilianische Kultur in der Militärdiktatur 1978 trafen sich verschiedene "schwarze Gruppen" in São Paulo zur Gründung einer "Geeinten Schwarzen Bewegung gegen Rassendiskriminierung" (Movimento Negro Unificado Contra a Discriminação). Die schwarze Bewegung, die sich zum Teil bewußt zu reethnisieren beginnt, entwickelt sich zur breiten Plattform gegen fast fünfhundertjährige Unterdrückung, gegen Rassismus und neokoloniale Ausbeutung. Im Jahr war 1975 zog zum ersten Mal die von der US-amerikanischen "Black Power"-Bewegung beeinflusste afrobrasilianische Karnevalsgruppe (bloco afro) von Ilê Aiyê aus. Ihre bewußt auf das afrikanische Erbe und die Bewahrung schwarzer Identität ausgerichteten Veranstaltungen mit Rasta-Look und afrikanischen Gewändern provozierte die Kritik der bürgerlichen Presse, die ihr kommunistische Absichten unterstellte (vgl. Walger 1992, vgl. Hofbauer 1995). 1979 wurde in Salvador de Bahia, einem ehemaligen Zentrum des Sklavenhandels, die afrobrasilianische Musikgruppe und Kulturvereinigung Crupo Cultural Olodum gegründet. Die Musik von Olodum (= Allmächtiger), die stark von Perkussionsinstrumenten geprägt ist, hat identifikatorische Funktion und wurde in Verbindung mit Olodums sozialem Engagement ein positiver integrierender und politischer Faktor in der schwarzen Bewegung Bahias. In seinen Räumen beherbergt Olodum auch ein Zentrum von SOS Racismo. Olodum präsentiert sich nicht nur musikalisch offen für externe musikalische Einflüsse - die Gruppe arbeitete etwa mit dem Sänger Paul Simon zusammen -, sondern akzeptiert auch andere Ethnien in ihrer Organisation. Durch die Wahl der Themen im Karneval Bahias und in ihren Liedern aktiviert Olodum das Interesse für die Wiederaneignung des historischen Erbes durch den Rekurs auf Helden der schwarzen Bewegung wie Nelson Mandela, Desmond Tutu und den legendären König des Widerstandsbollwerkes Palmares des 17. Jahrhunderts, Zumbi. Das Datum seines Todes, der 20. November, erlangte als Gedenktag mittlerweile mehr Bedeutung 56 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at als der 13. Mai, der Jahrestag der Abolition der Sklaverei im Jahr 1888, weil Rassismus Kontinuität hat. Afrobrasilianisches Selbstbewusstsein erlebte im Laufe von dreißig Jahren einen deutlichen Aufschwung. Noch Anfang der fünfziger Jahre hatte es einer Samba-Schule in Rio de Janeiro widerstrebt, sich zum Thema "Zumbi dos Palmares" als Sklaven zu verkleiden. Afrobrasilianische Musik ist stark mit Religion verwoben. Der Umbanda-Kult wurde als Anknüpfungspunkt politischer Interessen genutzt: in den siebziger Jahren mehrten sich die Umbanda-Großveranstaltungen trotz Kritik einiger katholischer Würdenträger (vgl. Walger 1993, vgl. Hofbauer 1995). 26.11.4 Die Landlosenbewegung Anfang der achtziger Jahre begannen sich soziale Bewegungen zu formieren, wie die Landlosenbewegung (Movimento dos Trabalhadores Rurais sem Terra (MST), heute die bestorganisierte soziale Organisation Brasilien. 1984 wurde im Bundesstaat Paraná ein erstes Treffen abgehalten, 1985 fand der erste nationale Kongress mit 1600 Delegierten statt. In den folgenden Jahren entwickelte sich der MST in Rio Grande do Sul zu einer politisch bedeutenden Gruppierung. Im Jahr 1991 wurde sein soziales Engagement durch die Verleihung des alternativen Nobelpreises gekrönt, den er mit der Kommission für Landpastoral der katholischen Kirche teilte. Ihr Hauptziel, eine Landreform mit Reduktion des Großgrundbesitzes und Besiedlung brachen Landes, das sind 120 Millionen Hektar, d.h. mehr als die Hälfte des nutzbaren Landes, durchzusetzen, verbindet sie mit einem Konzept nachhaltiger Landwirtschaft. 26.12 Redemokratisierung - Ende der Diktatur Präsident Ernesto Geisel, der als Vertreter der "weichen Linie" (linha branda) galt, obwohl er 1975 aufgrund von Stimmengewinnen der Oppositionspartei in den Kongresswahlen von 1974 Verfolgung und Folter hatte intensivieren lassen, leitete eine politische Öffnung ein. In einem 1993 geführten Interview mit brasilianischen Historikern betonte er allerdings die Sinnhaftigkeit von Folter in gewissen Situationen, etwa zur Geständniserpressung. Sein Nachfolger Figueiredo erließ im August 1979 ein umfassendes Amnestiegesetz zugunsten von Oppositionellen, das einen wichtigen Schritt der Öffnung darstellte. Im Jahr 1982 wurden direkte Gouverneurswahlen zugelassen. Im Jänner 1984 wurde anlässlich einer Massenversammlung in São Paulo am Jahrestag der Stadtgründung die Direktwahl des Präsidenten (Diretas já!) festgelegt, obwohl die Militärs das Ausmaß der Feierlichkeiten durch Zensur und Kooptierung von Organisatoren einzuschränken trachteten. 300 000 Brasilianer nahmen an der Versammlung teil. Das Militär scheiterte mit der Durchsetzung seines Kandidaten in einem manipulierten Wahlmännergremium. Tancredo Neves, Kandidat der Opposition und ehemaliger Mitarbeiter von Vargas, gewann die Wahlen am 15. Jänner 1985, starb jedoch vor der Amtsübernahme. Als Nachfolger und erster Präsident der Neuen Republik, in die in ökonomischer, sozialer und rechtlicher Hinsicht hohe Erwartungen gesetzt wurden, fungierte der als Vizepräsident vorgesehene José Sarney (1985-1989); er hatte während der Militärdiktatur hohe Ämter bekleidet. Der Einfluss diktatorischer Politik erschwerte den Übergang zu wirklich demokratischen Verhältnissen. Am 5. Oktober 1988 wurde die bis heute gültige Verfassung verabschiedet. Sie beschnitt die Macht der Regierung, stärkt Parlament und Justiz, dezentralisiert die Macht zugunsten der Gemeinden. Das Wahlrecht wurde auf 16 Jahre herabgesetzt, das Streikrecht ausgebaut. Die Verfassung enthält 57 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at das Recht jedes Bürgers, kostenlos in die über ihn von staatlichen Stellen angelegten Akten Einsicht zu nehmen. Sie respektiert zudem erstmals theoretisch das nationale Naturerbe wie das Amazonasgebiet oder den Pantanal im Bundesstaat Mato Grosso. Mit den Naturräumen wurde auch der Schutz der 215 indigenen Völker mit ihren 330 000 Menschen in der Verfassung festgeschrieben. Die Verfassung verbot auch die Pressezensur und setzte die Amtsdauer des Präsidenten auf fünf Jahre fest (vgl. Zoller 2000, vgl. Caldeira 1999). 26.13 Das Erbe der Diktatur Die zivilen Organisationen waren im Gegensatz zu Argentinien nach Ende der Militärdiktatur nicht stark genug, um eine systematische Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur zu fordern. Obwohl Brasilien mit umfangreicheren Amnestien schon während der Diktatur eine Ausnahme im Vergleich zu anderen Militärdiktaturen in Lateinamerika darstellte, war der Putsch von 1964 kein Gegenstand gerichtlicher Untersuchung. 1987 wurde erstmals ein höherer Offizier des Mordes an drei Oppositionellen angeklagt. Da das Militär nach wie vor Schlüsselpositionen in den Ministerien für Armee, Luftwaffe, Geheimdienst und dem Obersten Generalstab einnimmt, da pensionierte Offiziere Spitzenpositionen der Wirtschaft besetzen und Brasilien in der Rüstungsindustrie bedeutend ist, setzten Umdenkprozesse spät ein (vgl. Heinz 1991). Im Jahr 1992 beklagte der brasilianische Schriftsteller Ignacio Loyola Brandão noch, dass die brasilianische Historiographie zwar über die Militärdiktatur schrieb, doch aussparte, was sich hinter den Fassaden abspielte. Die durch die Diktatur hervorgerufene Selbstzensur habe das revolutionäre Potential der sechziger Jahre gerade bei StudentInnen verschüttet (Brandão 1992). Zum Thema der Zensur brasilianischer Tageszeitungen, ihrer Rolle als Sprachrohr der Militärdiktaturen und ihrer Haltung, aus vorauseilendem Gehorsam ihre Ausgaben noch vor der Kontrolle staatlicher Zensoren gleich selbst zu zensurieren, sind Publikationen entstanden, deren Ergebnisse die mediale Öffentlichkeit nicht allzu transparent machen will (vgl. Medienmanipulation, in: ILA, September 2002). Eine TV-Dokumentation des Mediengiganten "Rede Globo" thematisierte unter dem Titel "Rebellische Jahre" die Diktatur und den studentischen Widerstand Anfang der neunziger Jahre. Mitte der neunziger Jahre änderte sich die Forschungslandschaft zugunsten einer größeren Transparenz und besseren Zugangs zu Dokumenten. Ein bedeutender Schritt in diese Richtung wurde durch die Familie des 1996 verstorbenen Ernesto Geisel gemacht. Seinen seit dem Jahr 2000 öffentlich zugänglichen Nachlass von über 20 000 Dokumenten bewahrt die renommierte Forschungsinstitution Fundação Getulio Vargas auf (vgl. Castro/D'Araujo 2002 a+b). Im Jahr 1995 wurden unter der Präsidentschaft Fernando Henrique Cardosos staatliche Entschädigungen beschlossen und 1996 an 112 Angehörige der Opfer ausbezahlt; erstmals fanden in diesem Jahr keine militärischen Feierlichkeiten zum Jahrestag des Militärputsches von 1964 statt. 27 Der Estado Novo 1937-1945 Im Jahre 1938 hätte es in Brasilien Wahlen gegeben, nach der Verfassung hätte Vargas aber nicht mehr kandidierten dürfen. Da er sein Nationsbildungskonzept, das die Einbindung der verschiedensten politischen Gruppen und sozialen Schichten verlangte, nur durch seine Person gewährleistet sah, zielte er auf die Etablierung diktatorischer Verhältnisse. Deshalb 58 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at täuschte er aufgrund von gefälschten Unterlagen eine kommunistische Verschwörung vor (Plan Cohen). Er liess im Oktober 1937 den Kriegszustand ausrufen und am 10. November 1937 den Kongress von der Militärpolizei auflösen. Dieses Datum leitete die Ära des Estado Novo (Neuen Staates) ein. Viele Politiker und Intellektuelle der ersten Phase der VargasRegierung - wie Jorge Amado - gingen ins Exil. Der linke Schriftsteller Graciliano Ramos verbrachte die Zeit im Gefängnis. Am 10. November 1937 setzte Vargas durch einen Staatsstreich die Verfassung von 1934 außer Kraft, verbot alle Parteien und machte sich zum Diktator des Staates. Da Vargas seit Ende 1937 Exekutive und Legislative in seiner Person vereinigte, wurde die brasilianische Rechtspraxis undurchsichtig und willkürlich. Vargas regierte nun mittels Regierungsdekreten. Die Bundesstaaten wurden weiterhin von Interventoren regiert. Die Zentralisierungspolitik erlebte einen weiteren Höhepunkt. In einem symbolischen Akt wurden in Rio de Janeiro alle Flaggen der Bundesstaaten verbrannt (Queima das Bandeiras), damit deren Identität und individuellen Rechte zugunsten einer gesamtbrasilianischen aufgegeben werde. Die Grundzüge der Verfassung des Neuen Staates wurden von Finanzminister Francisco Campos ausgearbeitet, der sich Anleihen vom portugiesischen gleichnamigen Modell Salazars und beim polnischen Staat holte. Weder kann man das Regime als totalitär, noch faschistisch im Sinne des italienischen Faschismus oder des deutschen Nationalsozialismus bezeichnen, doch sind Gemeinsamkeiten zu katholischen, ständestaatlichen Diktaturen der dreißiger Jahre zu finden: Autoritarismus, Antikapitalismus, Antiparlamentarismus, faschistische Ordnungsvorstellungen, Korporatismus, Versuche der Etablierung einer Massenbewegung, Rassismus. Die Vargas-Regierung reichte nicht in Bereiche des privaten Lebens, verzichtete auf Parteien. Nur ein Teil der Regierungsmitglieder waren Militärs. Bis zur klaren außenpolitischen Orientierung an den USA ab Anfang der 1940er Jahre waren einige Politiker an der Macht, die große Sympathien mit den Regierungen Adolf Hitler und Benito Mussolini hegten: Polizeipräsident von Rio, Filinto Müller, Chef des Propagandadepartements Lourival Fontes und der Chef des Generalstabes Pedro Aurelio Gois Monteiro. Ein Ausspruch Gois Monteiros über seine politischen Vorbilder zeigt zudem die Komplexität der Anlehnungen an außerbrasilianische Modelle: 1937 erklärte er, dass es seinen Vorbildern Mussolini, Hitler, Stalin, Mustafa Kemal Pascha, Roosevelt und Salazar" gelungen sei, neue staatliche Organe und Institutionen zu schaffen und so den Staat in die Lage zu versetzen, die innere Krise zu überwinden" (vgl. Bernecker et.al. 1996, 61). Vargas ließ sich als paternalistische Führerfigur feiern, die Administration wurde durch eine Technokratengeneration ausgeweitet und geleitet. Klientelismus und Nepotismus waren Teil des Systems. Im März und Mai 1938 versuchten die mittlerweile illegalen Integralisten zweimal, Vargas zu entmachten und griffen wenig erfolgreich den Präsidentenpalast an. Ihr Chef, Plinio Salgado ging ins portugiesische Exil. Die Etablierung des Estado Novo verursachte im demokratischen Ausland, vor allem in den USA und in Großbritannien, heftige Kritik (vgl. Capelato 1998, vgl. Rocha 1998). 27.1 Politik gegen deutschsprachige Einwanderer Die Kulturpolitik des Estado Novo verwischte ethnische Disparitäten und versuchte, einen idealisierten kulturellen Mix verschiedenster Einflüsse nach dem Prinzip des Melting Pot zu kreieren. Schon am 10. November 1937 wurde der fremdsprachige Unterricht für Kinder unter 12 Jahren verboten. Im Gesetz vom 4. Mai 1938 wurden Fremdsprachen aus den Lehrplänen gestrichen, Lehrer und Schulleiter durften nur mehr geborene Brasilianer sein. Ein Dekret vom 18. April 1938 verbot die politische Betätigung von Ausländern. Diese 59 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Gesetzgebung richtete sich erstmals gegen politische Agitationen der seit 1931 in Brasilien bestehenden NSDAP, die kulturelle Identität der deutschbrasilianischen Bevölkerung zu schützen vorgab. Das Deutsche Reich sandte NS-Schulmaterial und Propagandamaterial für deutsche Firmen sowie Zeitungen und UFA-Filme nach Brasilien. Deutsche Schulen, Turn-, Gesangs- und Geselligkeitsvereine hissten Hakenkreuzflaggen und benützten NS-Symbole zur Dekoration von Vereinsheimen. Die NSDAP zählte in Brasilien 5000 Parteimitglieder, Vereine waren Ziele ihrer Gleichschaltung; nicht wenige - politisch und wirtschaftlich führende - Kreise der deutschbrasilianischen Einwanderer sympathisierten mit der nationalsozialistischen Ideologie aus der Distanz, engagierten sich vor allem wegen der räumlichen Abgeschiedenheit und politischem Desinteresse jedoch kaum und distanzierten sich offiziell von ihr. In der deutschbrasilianischen Presse war das Wiedererstarken Deutschlands allerdings 1933 bejubelt worden. Die Erinnerung an die antideutschen Ressentiments während des Ersten Weltkriegs, in den Brasilien nach der Torpedierung von vier brasilianischen Schiffen durch deutsche U-Boote eingetreten war, waren noch präsent. Zwischen der Abteilung der NSDAP in Brasilien und dem deutschen Außenamt (der Wilhelmstrasse) gab es zudem ständig Differenzen wegen offizieller und subversiver politischer Aktivitäten, die 1938 auch zu ernsten diplomatischen Spannungen mit Brasilien führten (vgl. Gertz 1980, vgl. Hilton 1981, vgl. Gaudig/Veit 1997). 27.2 Immigrationspolitik zwischen Antisemitismus und Akzeptanz Die neue politische Linie Brasiliens war ein deutliches Signal für den steigenden Assimilierungsdruck gegenüber Einwanderern. Die restriktive Einwanderungsgesetzgebung ab Mai 1938 machte die Eintrittskarten nach Brasilien sehr teuer und gewährte fast ausschließlich Landwirten und landwirtschaftlichen Arbeitern Visen. Die Organisation der "gelenkten Einwanderung" (imigração dirigida) übernahm das Departamento Nacional de Imigração. Nationen wurden nach dem Grad ihrer Assimilierbarkeit eingestuft; die Immigrationspolitik richtete sich gegen asiatische ImmigrantInnen. Im Jahr 1945 unterzeichnete Getúlio Vargas jedoch wieder ein Dekret, das die "weiße" europäische Einwanderung stimulieren sollte, um die "vorteilhaftesten Eigenschaften in der ethnischen Zusammensetzung unserer Bevölkerung aufrecht zu erhalten und weiter zu entwickeln" (zit. n. Hofbauer 1995, S. 91). Trotz der immer antisemitischeren Immigrationsgesetze, die Politiker und einflussreiche Gruppen beruhigen sollten, die antijüdische und eugenische Konzepte vertraten, kamen bis 1942 aufgrund von gefälschten Touristenvisen und teuer erkauften Rufkarten, sowie durch Einladungen durch die Regierung Emigranten, vor allem jüdische Flüchtlinge, ins Land. Zwischen 1933 und 1941 immigrierten zwischen 15 und 19 000 deutschsprachige Flüchtlinge, von denen zwischen 80 und 90% jüdisch waren, cirka 1500 waren ÖsterreicherInnen. Schon im Juni 1937 hatte die brasilianische Regierung in geheimen Depeschen angeordnet, dass Immigranten, die ihre jüdische Zugehörigkeit angeben, Visa zu verweigern seien. Einwanderer, die 300 US-Dollar nachweisen konnten, bekamen problemlos ein Visum. Von den 3000 Visen für christliche "Nicht-Arier", die Papst Piux XII. vermittelte, wurden lediglich 170 vergeben. Eine spektakuläre Aktion gelang dem katholischen Philosophen Hermann Matthias Görgen, der 1934 von Deutschland nach Österreich emigriert war und mit einer Gruppe von 45 deutschen und österreichischen Flüchtlingen nach Brasilien floh. Aufgrund des diplomatischen Verhandlungsgeschicks des ehemaligen österreichischen Gesandten in Brasilien, Anton Retschek, wurde die österreichische Exilgruppe "Comité de Proteção dos Interesses Austríacos no Brasil" von der brasilianischen Regierung im Jahr 1943 als offiziöse Vertretung der Österreicher anerkannt und durfte Identitätspapiere ausstellen. Mittels kleiner, auf Portugiesisch gedruckter Broschüren wie "Österreich wird 60 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at wiederauferstehen" versuchten ihre Mitglieder, die brasilianische Öffentlichkeit für die Wiedererrichtung eines unabhängigen Österreich zu sensibilisieren. Nach Argentinien nahm Brasilien die zweitgrößte Gruppe von politisch und "rassisch" verfolgten EmigrantInnen auf (vgl Lesser 1994b, Exil 1994) 27.2.1 Stefan Zweig im brasilianischen Exil Prominentester österreichischer Emigrant in Brasilien wartefan Zweig. Dem weltberühmten Schriftsteller, der 1936 nach dem PEN-Kongress in Buenos Aires kurz in Brasilien gewesen war, wurde ein permanentes Aufenthaltsvisum angeboten. Er brachte insgesamt cirka ein halbes Jahr in Brasilien zu und publizierte 1941 den kulturpolitischen Essay "Brasilien ein Land der Zukunft" (Brasil, país do futuro). Das Buch, das die Auslagen vieler Buchhandlungen in Rio schmückte, wurde vom Vargas-Regime beworben, von einigen brasilianischen Intellektuellen wie Jorge Amado jedoch aufgrund seiner idealisierenden Sichtweise als Auftragswerk angesehen. Zweig hatte zwar kein Honorar vom Presse- und Propagandadepartement bekommen, jedoch das Angebot der Finanzierung einer Reise nach Pernambuco sowie einen Übersetzer akzeptiert. Lourival Fontes betrachtete das Buch als Dienst an der "Nation." Dass einer der international erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit dem Land einen gesellschaftspolitischen Persilschein ausstellte, musste der Estado Novo für sich nützen. Viele Zweig-Fans interpretieren den Essay, der den harmonisierenden "Rassenmythos" von Gilberto Freyre aufnahm, als eine Form des "wishful thinking", das mehr als Utopie eines besseren Europa denn als populärwissenschaftliche Darstellung brasilianischer sozialer, politischer und kultureller Gegebenheiten gewertet werden könne. Die Literaturwissenschafterin Susanne Thimann schliesst sich den kritischen Stimmen an, indem sie bemerkt, dass die Zustände im Estado Novo nur auf jemanden wie Zweig magisch gewirkt haben können, der keine Details und inneren Zusammenhänge gekannt habe oder kennen wollte. Der Selbstmord Stefan Zweigs in der Nacht vom 22. zum 23. Februar 1942 in seinem Haus in Petropolis war nicht nur für die in Brasilien lebenden deutschsprachigen ExilantInnen ein Schock. Diktator Vargas ordnete ihm zu Ehren ein Staatsbegräbnis an. Zweigs Werke werden bis heute - auch aufgrund des Engagements seines brasilianischen Verlegers Koogan - in Brasilien rezipiert (vgl. Prutsch/Zeyringer 1997, vgl. Thimann 1989). 27.3 Die "cultura popular" Der Estado Novo förderte die Volkskultur in unpolitischer, von Sozialkritik gereinigter Form und versuchte deren Niveau durch Verschulung zu heben. Samba und Karneval wurden als Ausdruck einer brasilianischen Identität sehr stark gefördert, gleichzeitig aber zensuriert und kontrolliert. Der Karneval (carnaval) gelangte als "entrudo"-Fest durch die portugiesische Kolonisation nach Brasilien. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich parallel zum großen Karneval der Oberschicht der Kleine Karneval der Unterschichtenbevölkerung. 1929 zog die erste Sambaschule, die 1917 gegründet worden war, durch Rio de Janeiro. Mitte der dreißiger Jahre wurden die mittlerweile für die Karnevalsumzüge charakteristischen Gruppierungen entwickelt (eine Fahnenträgerin, ein Tanzmeister, eine Gruppe von Bahianerinnen). In der Phase des Estado Novo mussten Tage vor dem Karneval die Sambatexter ihre Lieder abliefern, damit sie auf politische Inhalte oder Sozialkritik untersucht wurden. Die dargestellten Themen hatten sich auf die brasilianische 61 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Geschichte zu beziehen. Auch auf die Kultiviertheit der Sprache wurde im Sinne der Volkserziehung Wert gelegt; Slangausdrücke waren untersagt. Deshalb versuchte der Estado Novo, die vielschichtige Samba (der Mittelschicht und der Favelas) in eine Schule zu pressen und für seine Lobpreisung zu instrumentalisieren - etwa durch Sambas wie "Salve 19 de Abril" ("Hoch lebe der 19. April", [der Geburtstag von Getúlio Vargas]). Angesichts der Fülle unterschiedlicher Sambaformen ist dem Estado Novo ihre "Domestizierung" nicht gelungen. Sambas wurden im staatlich geförderten Radio gespielt. Das Selbstbild einer harmonischen, antirassistischen Gesellschaft in tropischer Natur wurde mittels Tourismusförderung nach außen getragen. Dazu zählte auch die Capoeira, ein Kampf-Tanz-Spiel-Sport, der durch die Sklaverei nach Brasilien importiert wurde. Er verbindet Kampf, Tanz, Gewalt und Ästhetik, Spiel und Ernst, Ritual und Lebensphilosophie. Um die Jahrhundertwende war Capoeira noch strafrechtlich verfolgt worden, 1937 integrierte das Erziehungsministerium sie in den Turnunterricht. Afrobrasilianische Religionen wie Candomblé und der Umbanda-Kult, der in "weiße" Bevölkerungsgruppen Eingang fand, erfuhren eine positive Imageveränderung. 1941 wurde der erste "Umbanda-Kongress" einberufen. Politische Manifestationen schwarzer Bewegungen wurden vom Vargismus jedoch unterdrückt. Die 1931 gegründete und aktive "Schwarze Brasilianische Front" ("Frente Negra Brasileira") erhielt 1936 Parteienstatus, im Estado Novo wurde ihr offenes politisches Engagement untersagt (vgl. Hofbauer 1995, vgl. Williams 2001). 27.4 Der Umgang mit der Sklavenvergangenheit Im Jahr 1938 jährte sich zum fünfzigsten Mal der Jahrestag der Abolition. Arthur Ramos, beauftragter Zeremonienmeister der Feierlichkeiten und bedeutender Anthropologe, hatte zunächst eine soziale Studie über die Integration der schwarzen Bevölkerung in die brasilianische Gesellschaft, die vertikale Mobilität und Lebensbedingungen vorgesehen. Da das Ergebnis triste auszufallen drohte, wurde die Abolitionsfeier ihrer sozialen Komponente entledigt, um lediglich die Beiträge der schwarzen Bevölkerung in der Volkskultur herauszustellen. Vorstellungen von der Grausamkeit der Sklaverei waren durch Gilberto Freyres Hauptwerk "Herrenhaus und Sklavenhütte" (1933) getilgt worden. Stefan Zweigs Bemerkungen zur Sklaverei in seinem 1941 in Brasilien publizierten Buch "Brasilien ein Land der Zukunft" ("Brasil, país do futuro") übernahmen Freyres euphemistische Interpretationen. Auch bei seiner Selbstdarstellung im brasilianischen Pavillon der Weltausstellung von 1939 in New York vermied der Estado Novo es, Elend, Favelas und 62 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at schwarze Brasilianer darzustellen. Das Bild Café des berühmten Muralisten Cándido Portinari, das Alltagsszenen des schwarzen Landproletariats verewigte, wurde nicht in die Ausstellung aufgenommen. Das mangelnde Interesse an einer historisch kritischen Aufarbeitung der Sklaverei zeigte sich auch anhand der schwachen Besucherzahlen einer großen Ausstellung von Aquarellen des Malers Jean-Baptiste Debret. Dieser war 1816 mit einer französischen Mission von Künstlern nach Brasilien gekommen, wo er bis 1831 blieb. Debrets Alltagsszenen brasilianischen Lebens sowie der Züchtigungen von Sklaven zählen heute zu den wichtigsten piktographischen Quellen des 19. Jahrhunderts in Brasilien. 360 der zwischen 1834 bis 1839 in Paris unter dem Titel "Voyage Pittoresque et Historique au Brésil" veröffentlichten Bilder und Zeichnungen waren 1939 von einem Brasilianer erworben und 1940 mit anderen Debret-Werken aus Privatsammlungen erstmals ausgestellt worden. Da Debret im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit der an Europa orientierten brasilianischen Maler des 19. Jahrhunderts die verschiedensten Ethnien Brasiliens darstellte, wurden seine Kunstwerke als bedeutender künstlerischer Beitrag zur Dokumentation des pluriethnischen Brasilien gewertet (vgl. Williams 2001). 1950 allerdings inszenierte eine Samba-Schule eine Hommage an Debret. 27.5 Industrialisierung und Sozialpolitik Der Staat band neben der sich formierenden Industriearbeiterschicht auch Industrielle und nationale Unternehmer noch enger an sich. Der Anteil ausländischer Investitionen fiel, der Nationalisierungsgrad der Unternehmen in den Bereichen Energiegewinnung, Bankensektor und Bergbau stieg vor allem nach dem Abbruch der Beziehungen zu den Achsenmächten. 1942 verstaatlichte die Vargas-Regierung etwa das Bergbauimperium Companhia Vale do Rio Doce, dessen staatliche Anteile 1997 unter der zweiten Präsidentschaft von Fernando Henrique Cardoso privatisiert wurden. Die Vargas-Regierung kontrollierte die Importe. Auf der Basis positiver Handelssalden hatte Brasilien 1945 über 800 Millionen US-Dollar angehäuft (vgl. Hentschke 1996). 63 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Die Arbeiterschaft war eine wichtige Säule des Regimes. Die 1934 festgelegten Sozialgesetze für ArbeiterInnen wurden 1943 zur Consolidação das Leis do Trabalho (CLT) erweitert. In der Erarbeitung dieses umfassenden Arbeitsgesetzbuches war der österreichische Immigrant und ehemalige Mitarbeiter des Internationalen Arbeitsamtes in Genf, Rudolf Aladar Metall, maßgeblich beteiligt. Die gesetzliche Einführung des Mindestlohnes im Jahr 1936, der 1940 erstmals ausgezahlt wurde und die Grundbedürfnisse eines Arbeiters decken sollte, ist bis heute ein wichtiges Element im kollektiven Gedächtnis der Brasilianer in der positiven Gesamtbewertung der Vargas-Regierung. Im Jahr 2001 betrug der "Salario Mínimo" 200 Reais, im Jahr 1940 hingegen umgerechnet über 550 Reais. Die Gewerkschaften waren im Estado Novo allerdings noch stärkerer staatlicher Kontrolle ausgesetzt als Anfang der dreißiger Jahre. Die einzelnen Industriezweige hatten sich syndikalistisch zu organisieren. In den vierziger Jahren entwickelten sich Rio de Janeiro und Sao Paulo zu Metropolen. Hatte die Weltwirtschaftskrise den Strom der europäischen Migranten gestoppt, so zogen Migranten aus dem agrarisch strukturierten Nordosten in die boomenden Städte. Die billigen nationalen Arbeitskräfte konnten zudem in den Städten vom Vargas-Regime besser kontrolliert werden. 1950 lebten bereits mehr als 2 Millionen Nordestinos (Bewohner des Nordostens von Brasilien) außerhalb ihrer Heimatstaaten; sie siedelten vielfach in Favelas. Projekte des Gesundheitsministeriums, für die Favelabewohner billige Holzhäuser aufzustellen, funktionierten angesichts der Migrantenströme und der schlechten Löhne nicht. Getúlio Vargas Sozialprojekt bezog die städtischen, jedoch nie die Landarbeiter ein (vgl. Weinstein 1996). 27.6 Offizielle Mythenkonstruktion: Das Presse- und Propagandadepartement DIP Beim Aufbau eines Propagandaapparates bediente sich Brasilien faschistischer Vorbilder. Der Direktor des 1939 aus Vorgängerorganisationen etablierten Presseund Propagandadepartements (Departamento de Imprensa e Propaganda, DIP), Lourival Fontes, reiste 1937 nach Italien, um sich Anregungen für eine effiziente Institution zu holen, deren Funktion es war, die Meinungsbildung zu manipulieren, die Medien zu kontrollieren und den Estado Novo außenpolitisch zu vertreten. Das DIP wurde zu einer mächtigen Organisation ausgebaut und direkt der Präsidentschaftskanzlei unterstellt. Mit seinen fünf Abteilungen "Verbreitung" nationalen Gedankensguts in Schulen und durch Feiern, Radio, Kino und Theater, Tourismus sowie Presse - zentralisierte, koordinierte und überwachte das DIP als oberste Zensurbehörde das kulturelle und politische Leben. Regime-distanzierte Blätter wie der "Estado do Sao Paulo" oder der "Diario Carioca" bekamen die Macht des DIP zu spüren, indem es ihnen für einige Tage Druckverbot erteilte, wenn sie in ihren Artikeln zu weit gingen. Das DIP nützte auch modernste Instrumente der Massenkommunikation wie Radio und Film. Das Radio gab es in Brasilien seit den zwanziger Jahren und wurde in den dreißiger Jahren vom Regime zu einem Lehrmedium ausgebaut. Der Estado Novo investierte auch in die Filmförderung. Die technische Ausstattung der Filmstudios war allerdings bei weitem nicht so gut wie in den USA, weshalb Brasilien als alliierter Kriegspartner der USA ab 1942 auch US-Techniker engagierte. Seine Mission trug der Estado Novo auch über die tägliche Radiosendung, die Hora do Brasil, die sich übrigens in demokratischer Form bis heute hält, - ins In- und Ausland. Lautsprecher, die auf den öffentlichen Plätzen angebracht waren, übermittelten täglich zu strategisch günstiger Stunde die offiziellen Nachrichten und ein Kulturprogramm: zwischen 19.00 und 20.00 Uhr (vgl. 64 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Benzaquen de Araújo 1996, vgl. Burns 1980, vgl. Williams 2001, vgl. Prutsch/Zeyringer 1997). 27.6.1 Das DIP als Konstrukteur des Vargas-Mythos Diktaturen benötigen stärker als demokratische Regierungssysteme Symbolkonstruktionen zur Mythosbildung. Eine zentrale Aufgabe hatte das DIP in der Konstruktion des Mythos von Vargas als dem "gütigen Patriarchen", "Vater der Armen". Im Gegensatz zu europäischen faschistischen Führerfiguren, die militärische Härte und Strenge vermittelten, ließ sich Vargas meist lächelnd, immer in zivilem Gewand abbilden. Hagiographien beschrieben ihn als Staatsmann, Redner und Mann des Herzens. Ein beliebtes Kinderbuch dieser Zeit trug den Titel "O sorriso do Presidente" (Das Lächeln des Präsidenten). Vargas-Porträts hingen in Geschäften, Hotels, Bahnstationen, Büros. Solche Zuschreibungen übernahmen dann oft Vargas-Biographen der sechziger und siebziger Jahre. "Vargas was an extremely cautious man [...]. He continued to smile amicably at everyone", beschreibt ihn der BrasilienHistoriker Frank D. Cann (vgl. Prutsch/Zeyringer 1997, S. 215). Sein Lächeln, sein Charisma, sein Taktieren, seine intellektuelle Überlegenheit waren wiederkehrende Bilder. Das DIP gab Schulbücher und zahlreiche Hagiographien zur Formung des Vargas-Mythos in Auftrag, wobei auch einige europäische Intellektuelle, meist Hitler-Flüchtlinge, mitwirkten. Herausragendes Beispiel ist der österreichische Emigrant Paul Frischauer, der die StandardHagiographie "O Presidente" verfasste. Sie wurde an Schulen, Betriebe und brasilianische Auslandsvertretungen verteilt. Frischauer verglich darin Vargas mit dem österreichischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuss, der die faschistische Gefahr mittels eines diktatorischen Regimes bannte. Er stellte Vargas als akademisch gebildeten, außergewöhnlichen Menschen und großzügigen Politiker dar, der sich für den Frieden einsetzte. Die Publikationen des brasilianischen Presse- und Propagandadepartements und die Biographie von Paul Frischauer legitimierten für die brasilianische Bevölkerung nach dem Eintritt Brasiliens an der Seite der USA in den Zweiten Weltkrieg a posteriori die Kehrtwendung Brasiliens vom Sympathisanten faschistischer Regime hin zum solidarischen panamerikanischen Kämpfer gegen die faschistische Bedrohung nach innen und außen. Europäische Immigranten schrieben auch in der bedeutendsten theoretischen Zeitschrift des Estado Novo, der Cultura Política, die ab März 1941 erschien (vgl. Benzaquen de Araújo 1996, vgl. McCann 1973, vgl. Frischauer 1944, vgl. Goulart 1990). 27.7 Brasiliens Beziehungen zu Deutschland Zwischen 1933 und 1938 intensivierten sich die Handelsbeziehungen Brasiliens zum Deutschen Reich, das sich vom nordamerikanischen Raum abkoppeln wollte und im autoritären Vargas-Regime einen idealen Partner sah. Es avancierte nach den USA zum zweitwichtigsten Importeur von Baumwolle und Kaffee. Deutschland selbst verfolgte eine protektionistische Wirtschaftspolitik und arbeitete mit bilateralen Verträgen. Es zahlte seine Importe nicht mit Devisen, sondern mit Blockmark. Der Handelspartner musste entweder deutsche Mark kaufen oder in ein Land importieren, das ebenfalls mit Deutschland Handel trieb. 1938 betrugen die deutschen Importe aus Brasilien bereits 25%. Im selben Jahr importierte Brasilien deutsche Waffen. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erklärte Brasilien seine Neutralität. Bis Mitte 1940 wurden weiterhin Handelsverträge zwischen Brasilien und Deutschland abgeschlossen, die Lieferungen gingen teils - um der britischen Seeblockade im 65 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Krieg zu entgehen - über Italien. Diese Entwicklung verfolgten die USA besorgt (vgl. Silva Seitenfus 1985). 27.8 Brasilien und die USA Ab den zwanziger Jahren versuchten die USA massiv, ihren ökonomischen und politischen Einfluss in Lateinamerika zu forcieren, um neue Märkte zu erreichen. Die 1913 gegründete Rockefeller-Foundation finanzierte Gesundheitsprojekte, um den Lebensstandard zu erhöhen und damit die Zahl der potentiellen KonsumentInnen in der südlichen Hemisphäre zu vermehren. Die Inter-Amerikanischen Konferenzen von 1936 in Buenos Aires und 1938 in Lima gaben dem US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt Gelegenheit, das Konzept einer Politik der "guten Nachbarschaft" als wirksame Verteidigungsstrategie der westlichen Hemisphäre gegenüber den totalitären Ideologien in der "Alten Welt" anzukündigen. Sie löste die "Big-Stick-Politik" zugunsten eines Modells der politischen und ökonomischen Integration, der Modernisierung und Stabilisierung unter US-amerikanischer Führung ab. Dazu zählte die Etablierung eines interamerikanischen Sicherheitssystems. Statt die unilaterale Präsenz einer paternalistisch agierenden Supermacht auszuweiten, propagierte die Roosevelt-Politik nun das Modell einer politischen, ökonomischen und kulturellen Zusammenarbeit von Partnern. Die US-Außenpolitik gegenüber Brasilien verfolgte mehrere Ziele: Erstens wollten die USA den ökonomischen Rivalen Großbritannien ablösen, zweitens Frankreich aus seiner Domäne in Bildungspolitik und Militärausbildung verdrängen. Drittens wuchs aufgrund der aggressiven nationalsozialistischen Politik in Europa die Gefahr, dass der Einfluss faschistischer Gruppen innerhalb der italienisch-, deutsch- und japanischsprachigen Migrantenbevölkerung in Lateinamerika an politischem Gewicht gewinnen würde. 1939 gewährten die USA - auch aufgrund des Verhandlungsgeschickes des brasilianischen Außenministers Oswaldo Aranha - dem lateinamerikanischen Staat Kredite im Wert von 70 Millionen Dollar. Der Chef des US-amerikanischen Generalstabs, George Marshall, besuchte im selben Jahr Brasilien, um über den Ausbau militärischer Stützpunkte im Nordosten des Landes zu verhandeln. Nach dem deutschen Überfall auf Frankreich im Juni 1940 und der Ausweitung des Krieges auf Nordafrika im Sommer desselben Jahres befürchteten die USA, dass deutsche Truppen von Nordafrika aus nach Brasilien übersetzen könnten. Im Juni 1940 schockierte Vargas die USA und Großbritannien mit einer achsenfreundlichen Rede, in der er von den autoritären, starken Regierungen als den einzig zeitgemäßen sprach. Er näherte sich in seiner Strategie des Lavierens nochmals an das Deutsche Reich an, um den Preis seiner Allianz und damit die Finanzhilfe der USA zu erhöhen. Diese investierten tatsächlich aufgrund ihrer Furcht vor einer "fünften Kolonne" verstärkt in Brasilien und in (allerdings veraltete) Kriegsgüter.1940 übernahm Nelson Rockefeller die Leitung der neugegründeten Organisation Office of the Coordinator of Inter-American Affairs, das in enger Zusammenarbeit mit dem State Department (kultur-)politische mit wirtschaftlichen Maßnahmen verband, um anti-amerikanische Ressentiments zu beseitigen und Brasilien zum solidarischen panamerikanischen Kämpfer heranzubilden (vgl. Moniz Bandeira 1978, vgl. Faoro 1987, vgl. Prutsch 2002). 27.8.1 Brasilien im Zweiten Weltkrieg Zwischen Juli 1940 und Dezember 1941 erhöhten die USA ihre militärischen, technischen und finanziellen Angebote. Zahlreiche bilaterale Verträge fixierten die außenpolitische Linie 66 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Brasiliens. Im Februar 1941 erklärte Vargas dem US-Amerikanischen Botschafter, dass Brasilien im Sinne der Monroe-Doktrin die USA unterstützen würden, wenn ein nichtamerikanischer Staat den USA den Krieg erklären würde. Anlässlich der Außenministerkonferenz amerikanischer Staaten in Rio de Janeiro im Jänner 1942, die unter dem Eindruck des Angriffs Japans auf Pearl Harbor im Dezember 1941 und der Kriegserklärung des Deutschen Reiches an die USA stand, brachen alle lateinamerikanischen Staaten mit Ausnahme von Chile und Argentinien die Beziehungen zu den Achsenmächten ab. Im Juli 1942 wurden brasilianische Handelsschiffe vor der eigenen Küste durch deutsche U-Boote torpediert, worauf Brasilien dem Deutschen Reich und Italien am 22. August desselben Jahres den Krieg erklärte. 1942 wurden auch diejenigen Minister demonstrativ ihrer Ämter enthoben, die mit der Politik der Achsenmächte bis zuletzt sympathisiert hatten: der Direktor des Presse- und Propagandadepartements Lourival Fontes und der Chef der politischen Polizei Filinto Müller. Da in Brasilien seit August 1942 die Ausübung von Fremdsprachen verboten war, wurde das exilpolitische und literarische Leben der ImmigrantInnen stark eingeschränkt. Ab Jänner 1942 musste jede Reise eines Emigranten innerhalb Brasiliens polizeilich bestätigt werden. Die Polizei kontrollierte, ob Ausgangssperren eingehalten wurden, deutschsprechende Brasilianer wurden denunziert und bestraft, Razzien sollten NS-Spione und Agenten aufdecken. Die außenpolitische Einschätzung von Vargas änderte sich z.B. in Großbritannien rapid: War er für die Briten um 1940 noch ein oligarchischer Diktator, der mit einer Handvoll "gauchos" regierte, so wandelte er sich zum braven Pan-Amerikaner und zum beeindruckenden politischen Talent: Der britische Botschafter Charles schrieb an Sir Anthony Eden: [Vargas] successfully repressed communism and integralism, is brave, a persuasive orator and a genius in the art of political manoeuvre. Der britische Botschafter Knox schrieb sogar: "Vargas' Regime practises no doubt, corruption and some minor injustice, but of major injustice, terrorism and persecution, I have seen no sign." (vgl. Prutsch/Zeyringer 1997, S. 211ff). Als alliierter Kriegspartner erhielt der südamerikanische Staat umfangreiche US-Unterstützung in Form von (Militär)-Technologie und Krediten. Es wurde nicht nur amerikanisches TrainingsAreal für Wirtschafts- und Technologieprogramme, sondern ein potentieller Markt für den "American Way of Life". 1941 begannen die USA mit der Finanzierung des riesigen Stahlwerkes Volta Redonda nahe Rio de Janeiro, des bedeutendsten Symbols brasilianischer Modernisierung. Die USA erließen Brasilien 1943 auch seine Schulden. Für die USA war Brasilien erstens ein wichtiger Rohstofflieferant für die Kriegsindustrie. 1941 verpflichteten sich die USA, Brasilien Kriegsgerät in der Höhe von 1 Mrd. Dollar zu liefern und Kredite zu gewähren, Brasilien verpflichtete sich hingegen, seine gesamte Produktion von Bauxit, Berill, Eisen-Nickel, Industriediamanten, Mangan, Glimmer, Quarzen, Kautschuk, Titan etc. in die USA zu liefern. Seit 1942 hatten die USA Militärbasen in Nordostbrasilien; in Natal trafen sich Vargas und Roosevelt 1943. Die Waffenbrüderschaft wirkte sich auf die brasilianische Aufrüstung aus. 1942 machten die Militärausgaben 36,5% des Budgets der Zentralregierung aus. Mit den finanziellen und technischen Segnungen der USA baute Brasilien seine Vormachtstellung in Lateinamerika vor allem gegenüber Argentinien - aus. Aufgrund des US-amerikanischen Drucks entzog Brasilien auch deutschen und italienischen Firmen, angefangen von den Fluglinien Lufthansa und LATI, die Bewilligung (vgl. Silva Seitenfus 1985). 27.8.1.1 Brasiliens aktiver Kriegseinsatz 67 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Seit 1942 drängten einige brasilianische Gruppen um Vargas auf einen Einsatz von Soldaten im Weltkrieg, stießen aber bei einem Teil der brasilianischen Militärs auf Ablehnung, die keine Einmischung der USA in Strategien der Brasilianer, noch eine militärische Abhängigkeit von den USA wünschten. Zudem stieß der Kriegseinsatz auf die Kritik Churchills. Andere Gruppen wünschten eine bessere militärische Ausbildung gerade gegen das autoritäre Argentinien und gegen Bolivien. Teile der Zivilbevölkerung, wie die politisch aktiven Studenten, hielten einen aktiven Kriegseinsatz und damit den Verlust von Menschen für überflüssig. Vargas, Außenminister Aranha und Teile des Militärs meinten, dass man Brasilien dafür kritisieren würde, nicht aktiv eingegriffen zu haben. Franklin D. Roosevelt ermutigte Vargas im Februar 1943 bei ihrem Treffen in Natal zu einem militärischen Engagement. Ab 30. Juni 1944 wurde die Força Expedicionaria Brasileira (FEB), eine Gruppe des brasilianischen Heeres in der Stärke von 26 000 Mann, von den US-Amerikanern ausgebildet, trainiert, ausgerüstet, einer US-Einheit eingegliedert und kam in Italien zum Einsatz. Hatten die Brasilianer und die USA um 1940 noch einen Übergriff der Deutschen über Nordafrika nach Brasilien befürchtet, so nahm die Allianz der beiden Alliierten nun den umgekehrten Weg. Über 650 Brasilianer kamen in Italien um, das ihnen gesetzte Denkmal in Rio de Janeiro wurde von Oscar Niemeyer konzipiert. Brasilien erhielt drei Viertel der gesamten US-Militärinvestitionen für den lateinamerikanischen Raum während der Kriegsjahre (vgl. McCann 1993). 27.9 Opposition gegen Vargas, Parteiengründung Ab 1943 hatte sich die Opposition gegen Vargas in den Reihen der Studentenschaft vor allem an der Universität von São Paulo (USP), aber auch in den Reihen demokratischer Brasilianer und bei Teilen des Militärs verstärkt. Die Opposition kritisierte in einem "Manifesto dos Mineiros" im Oktober 1943 den aktiven Kriegseinsatz Brasiliens und wies auf die Widersprüchlichkeit hin, daß eine Diktatur propagandistisch Schlagworte wie jene des gemeinsamen Kampfes der Demokratien gegen die Achsenmächte wiederholte. Klientelismus und Korruption zählten zu den Kritikpunkten, da bekannt geworden war, dass der Bruder des Präsidenten, Benjamin Vargas, Teile des US-Kriegsgerätes verscherbelte, das über Argentinien und Spanien nach Italien, und damit zu den Kriegsgegnern gelangte. Als der Chef des Generalstabes, Gois Monteiro, sich für liberale Ideen einzusetzen begann, spaltete er das Militär. Seit 1943 hatte Vargas Wahlen nach Kriegsende und einen Übergang zur Demokratie versprochen. Im Frühjahr 1945 lockerte er die Zensurbestimmungen. Der Anführer der Coluna Prestes und prominente Vargas-Gegner, Luis Carlos Prestes, wurde ebenfalls amnestiert und engagierte sich politisch an der Seite von Vargas. Politische Parteien wurden wieder zugelassen, wobei Vargas gleich zwei Pateien gründete: die Sozialdemokratische Partei (Partido Social Democrático) und die Arbeiterpartei (Partido Trabalhista Brasileiro, PTB). Die Arbeiterschaft war diejenige gesellschaftliche Schicht, die sich am klarsten für den Verbleib von Vargas in der Politik einsetzte ("Queremisten", von querer: wollen). 1945 konstituierte sich zudem die Kommunistische Partei neu (Partido Comunista Brasileira, PCB), die jedoch zwei Jahre später wieder aufgelöst wurde (vgl. French 1994). Die bürgerlich-konservativen Vargas-Gegner vereinigten sich in der Demokratischen Nationalen Union (União Democrática Nacional). Im März 1945 gewährte Vargas Amnestien für politische Häftlinge und rief Wahlen für Dezember 1945 aus. Bei diesen Wahlen ging der Kriegsminister Eurico Gaspar Dutra als siegreicher Kandidat hervor. Die Kommunistische Partei erhielt eine halbe Million Stimmen und war mit ihrem Mitgliederstand von 180 000 bis 200 000 Personen die stärkste kommunistische Partei in Lateinamerika dieser Zeit. Die 68 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at Militärs zweifelten an Vargas' Abdankungsplänen und interpretierten die Wahlen als Versuch des Präsidenten, im Amt zu bleiben. Ende Oktober wurde Vargas zum Rücktritt gezwungen und zog sich in seine Heimat Rio Grande do Sul zurück, wo er einen Senatorensitz übernahm (vgl. Zoller 2000). Vargas' politisches Geschick des Lavierens, der durch die Medien verbreitete Mythos der charismatischen, paternalistischen Führerfigur (Getulismo) machte ihn mit Juan Perón zu den Meistern des Populismus in Lateinamerika. Der Mythos von Vargas ist im kollektiven Gedächtnis der Arbeiter besonders wegen des gesetzlich festgelegten Mindestlohns - eine USamerikanische Erfindung - bis heute verankert (vgl. Weffort 1980). 27.10 Heldenverehrung und Konstruktion von Geschichte Der Estado Novo veränderte den Festkalender. Vargas' Geburtstag, der 19. April, wurde zum Feiertag erklärt, ebenso der 10. November, die Geburtsstunde des Estado Novo. "Die Woche des Vaterlandes" um den Unabhängigkeitstag, den 7. September, wurde mit Aufmärschen, Paraden gefeiert. In der "Stunde der Unabhängigkeit" versammelte der Komponist Heitor Villa Lobos 20 000 Schulkinder, die unisono den Estado Novo und Getúlio Vargas besangen. Die Vargas-Regierung fand unzählige Möglichkeiten, Helden der Vergangenheit zu würdigen. Im Estado Novo kamen Revolutionäre der Inconfidência Mineira, eines antimonarchistischen Aufstandes von 1789 zu Ehren; deren sterbliche Überreste wurden nach Brasilien transferiert und dort im eigens 1942 errichteten Panteon der Revolutionäre bestattet, der genau am Todestag von Tiradentes, der Leitfigur des Aufstandes, eingeweiht wurde. Die Revolution von 1789 war für das Vargas-Regime Symbol für Patriotismus, Pflicht, Opferbereitschaft für das Vaterland und Ablehnung regionalistischen Denkens. Vargas entledigte den Aufstand seines ursprünglichen Kontextes und stilisierte Tiradentes und seine Mitkämpfer zu Märtyrern am Projekt des Neuen Brasilien hoch. Frauen spielten übrigens in der Heldenverehrung des Estado Novo keine Rolle. Zu den Helden glorreicher Vergangenheit wurde der brasilianische Kaiser Pedro II. gemacht, der 1891 im Pariser Exil verstorben war. In den dreißiger Jahren begann die historische Forschung sich mit den Bragancas zu 69 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at beschäftigen. Unter dem Estado Novo wurde Pedro II. ein Platz im nationalen Gedächtnis als Held, Patriot und Mann des Geistes geschaffen. Man repatriierte ihn und seine Gemahlin Tereza Cristina und errichtete ihnen ein Mausuleum (1939). Der Pedro-Kult gipfelte in der Einweihung des Imperialen Museums (Museu Imperial) in den Räumen von Pedros Sommerresidenz in Petropolis, das 1943 eingeweiht wurde. Im Museum wurden diverse Insignien der Bragancas ausgestellt, aber auch Objekte des 19. Jahrhunderts, die nie in Petropolis in Verwendung waren, sondern von wohlhabenden Familien gesponsert wurden. Museen sind bedeutende Orte nationalen Gedächtnisses und gute Beispiele für Geschichtskonstruktion und die Positionierung von Vargas in der Reihe der Imperatoren (vgl. Williams 2001). Die Nationalisierungspolitik benötigte das Erbe der eigenen Vergangenheit zur Legitimierung brasilianischer Kreativität und Grösse. Unter Vargas wurde 1937 eines der modernsten Denkmalschutzgesetze der damaligen Zeit festgelegt: das Gesetz zum Schutz des nationalen historischen und künstlerischen Erbes (SPHAN). Die Vargas-Regierung restaurierte die Juwele des barrocken Katholizismus von Ouro Preto, Diamantina, Mariana und anderen Städten in Minas Gerais. Den Werken des Bildhauermeisters Aleijandinho, eines Autodidakten, der an Lepra litt, wurde besondere Aufmerksamkeit zuteil. Seine Arbeiten wurden aufgenommen, Gipsabdrücke wurden angefertigt und archiviert. Zu den ersten Restaurationsprojekten des SPHAN zählte die Jesuitenreduktion Sao Miguel in Rio Grande do Sul. 70 Brasilien 1889-1985 – Ursula Prutsch http://www.lateinamerika-studien.at 28 Bibliographie zu Brasilien 1889-1985 ABREU, Marcelo de Paiva (Hg.), A ordem do progresso. Cem anos de política econômica republicana, 1889-1989. Rio de Janeiro 1989. AZEVEDO, Fernando de, Brazilian Culture: An Introduction to the Study of Culture in Brazil. New York 1950. BANDEIRA, Moniz, Presença dos Estados Unidos do Brasil. Rio de Janeiro 1978. BARTELT; Dawid, 'Fünfte Kolonne' Ohne Plan. Die Auslandsorganisation der NSDAP in Brasilien, 1931-1939. In: Ibero-Amerikanisches Archiv 19, Nr.1-2 (1993), S. 3-35. BASTIDE, Roger, Les religions africaines du Brésil. Paris 1960. BERNECKER, Walther L., Europäische Auswanderung nach Lateinamerika: das 19. und frühe 20. Jahrhundert. 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