Brüder, zur Sonne zur Freizeit!

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Brüder, zur Sonne zur Freizeit!
Erschienen in:
Die Woche vom 16. März 2001
Brüder, zur Sonne zur Freizeit!
Gut zehn Jahre nach Ende des Bürgerkriegs
öffnet sich Nicaragua für den Tourismus –
und hofft auf Impulse für die kaputte
Wirtschaft
von Christiane Zwick
Sternhagelvoll lehnen Sie an der Theke der
„Rancho Bar“ unter Palmwedeln: die ersten
Vier-Sterne-Touristen Nicaraguas. „Wenn ich
daheim erzähle, ich war in Nicaragua, das hat
was. Das klingt aufregender als Urlaub in der
Dom Rep.“ Richard, ein blonder Surfer aus
Bayern, leert seinen Pappbecher. Der Nationalrum Flor de Caña geht hier nicht zur Neige. Lau
schwappt der Pazifik über den Zuckersand von
Montelimar.
Auf dem Felsen über der Bar leuchtet die Villa
des 1979 aus dem Land gejagten Diktators
Anastasio Somoza. Nach der sandinistischen
Revolution wurde sein kilometerlanger Privatstrand sozialisiert. Heute gehören die Villa, der
Strand und ein 290-Betten-Bungalow-Komplex
der Barceló-Gruppe. In Somozas flamingofarbener Sommerfrische rollt abends die
Roulettekugel.
Nicaragua, nach Haiti das zweitärmste Land
Amerikas, hat sich dem Weltmarkt geöffnet, hält
Ausschau nach betuchten Urlaubern und hat
zur Förderung des Tourismus das Gesetz Nr.
306 verabschiedet. Wer seither in das
Reiseland Nicaragua investiert, wird von
Importsteuer, Luxus- und Mehrwertsteuer teilweise oder ganz befreit. Der neoliberale
Präsident Arnoldo Alemán malt das Bild einer
rentablen touristischen Destination an der Seite
Costa Ricas, das er in den nächsten 15 Jahren
verwirklichen will. Die Auswirkungen des
Gesetzes sind vor allem in der Hauptstadt
Managua zu bestaunen, hier werden die
höchsten Vergünstigungen vergeben: Kräne
wuchern in den Himmel über der Metropole. Sie
ziehen Einkaufszentren hoch und Hotels. Ein
zweites „Intercontinental“, ein „Holiday Inn“, ein
„Princess“. Inseln des Luxus in einem Meer
einfachster Hütten. Ein knappes Drittel der 4,5
Millionen Nicaraguaner wohnt in der Hauptstadt
ohne Straßennamen. Taxifahrer orientieren sich
an zentralen Gebäuden, sie finden Adressen
wie „einen Block südlich vom alten 'Continental'
und zwei Richtung See“. Selten chauffieren sie
Urlauber, denn die Sehenswürdigkeiten Managuas erschöpfen sich in wenigen Denkmälern
und den quirligen Märkten wie dem Mercado
Oriental, auf dem Bäuerinnen und städtische
Arbeitlose, Rüschenschürzen um die Hüfte, ihr
Auskommen suchen. Das Dutzend Guaven
kostet weniger als eine Mark, einen Aufschlag
für Ausländer verlangt auch im zehnten Jahr der
freien Marktwirtschaft niemand. Die Arbeitseinsätze der internationalen Hilfsbrigaden in
den 80er Jahren sind nicht vergessen.
Wohlfeile Attraktionen hätten die riesigen
Wandgemälde der Sandinisten sein können, die
Landreform und Alphabetisierungskampagnen
feierten, doch die regierenden Konservativen
lassen die Zeugnisse der Revolution eines nach
dem anderen tilgen. Polit-Touristen und Globetrotter mit schmalem Geldbeutel, die für zehn
Mark in den traditionellen Hospidajes nächtigen,
gehören ohnehin nicht zur neuen Urlauberzielgruppe. Um wohlhabende und sicherheitsbewusste Europäer anzulocken, gilt es, das
Stigma des Bürgerkriegslandes loszuwerden.
Noch hindert es die großen Reiseanbieter,
Nicaragua in ihre Kataloge aufzunehmen –
auch wenn hier nicht weniger Regenwald
wuchert und nicht weniger Vulkane rauchen als
bei den Nachbarn.
Die Klimaanlage im Bungalow des nicaraguanischen Tourismus-Instuts rattert wie ein
Vorortzug. Marketing-Direktor Raul Calvet preist
lautstark die Kolonialstädte León und Granada,
die zu den ältesten Mittelamerikas gehören, den
Gran Lago mit seinen Archipelen und den
weltweit einzigartigen Süßwasserhaien, die
Nebelwälder am erloschen Mombacho. Doch
seine Slogans klingen eher vage: „Unsere Natur
ist unser Kapital. Wir setzen auf Ökotourismus.“
Immerhin, die Nationalflagge mit den fünf
Vulkanen passt dazu.
Verganges Jahr zelebrierte Nicaragua die
Ankunft des ersten Kreuzfahrtschiffs und freute
sich über insgesamt eine halbe Million
Touristen, bei einer jährlichen Zuwachsrate von
20 Prozent – allerdings wurden dabei in die
USA ausgewanderte Nicaraguaner auf Verwandtenbesuch mitgezählt. Dennoch ist der
Tourismus schon jetzt zur zweitwichtigsten
Größe der nicaraguanischen Wirtschaft geworden.
Die leidet unter dem Verfall der
Weltmarktpreise für Kaffe und Baumwolle und
baut darauf, dass der Internationale Währungsfonds einen Erlass von Staatsschulden
genehmigt, die zum Großteil noch aus der Zeit
der
US-Handelsembargos
gegen
die
Sandinisten stammen.
Die USA sind in Nicaragua allgegenwärtig, als
Traum der Emigranten und als Schatten über
der nationalen Politik. Nicaragua gehöre zum
„Hinterhof der USA“, verkündete einst Ronald
Reagan, mächtigster Gegner der Sandinisten.
„In unseren Geschichtsbüchern findet die
Revolution nicht mehr statt“, ärgert sich der
Schuhmacher Marvin Mendoza und hämmert
auf einen Absatz ein. An der Wand kleben alte
Pressefotos gefolterter Sandinisten. Der
Schuhmacher
unterhält
in
León
sein
persönliches Museum. Ein fleckiger „Carlos
Marx“ prangt neben einenm selbst gepinselten
Strauß roter Nelken, darunter Bruce Lee und
der Papst. Im Türrahmen hängen verrostete
Revolver und Unformen von Sandinisten und
Contras. Sofas laden zur Lektüre umfangreicher
Zeitungsordner ein. „Alles selbst gesammelt.
Einer muss das machen.“, erklärt der schwergewichtige Ex-Combattante. Sein Museum geht
mit der Zeit. Jede Partei, die in den
vergangenen Jahrn zur Wahl antrat, ist durch
ihre Werbe-Baseballkappe auf einem Ständer
vertreten. Auch die der regierenden Alianza
Liberal.
Am nächsten Tag läd Entwicklunghelfer Klaus
Lengefeld zu einer Fahrt über Land. „Wenn ich
frei habe, bade ich im Kratersee des Xiloa“,
schwärmt er. Lengefeld entwickelt Tourismuskonzepte. Er kennt die schönsten Plätze des
Landes, plant einen Flug zur Pearl Lagoon an
der englischsprachigen Karibikküste Nicaraguas und danach einen Trip auf die Corn
Islands. Gerade ist er mit dem Dienstwagen auf
der Panamericana unterwegs. Mitten auf der
Piste werfen Kinder Sand in Schlaglöcher und
halten für ihre „Reparatur“ die Hand auf. Am
Straßenrand werben Riesentafeln für Arnoldo
Alemán: „Taten statt Worte.“ Seine sandinistischen Gegner haben im November bei den
Kommunalwahlen in Managua gewonnen,
Daniel Ortega macht sich noch einmal
Hoffnungen auf die Präsidentschaft. Es ist
wahrscheinlich, dass er es schafft. Lengefeld
interpretiert die Zahlen so: „Wir haben in
einigen Regionen 60 Prozent Arbeitslosigkeit.
Auf zwei Hotelzimmer kommt ein Angestellter,
3500 Zimmer stehen in Nicaragua zur
Verfügung. Das ist ausbaufähig.“ Der Entwicklungshelfer lässt seine Phantasie schweifen:
“Warum nicht River-Rafting im Rio Coco, LavaSurfing am Cerro Negro oder ein VulkanMarathon, sechs Vulkane in zehn Tagen?“
Action am Krater – das ist bislang den grünen
Papageien vorbehalten, die bei Sonnenaufgang
krakeelend aus ihren Schlaflöchern im Schlund
des Santiago flattern. Von hier oben schweift
der Blick weit über die Kordillieren. In den Duft
warmer Gräser mischt sich kratzender
Schwefeldunst. Diktator Somoza, erzählt man
sich, habe hier Regimegegner vom Hubschrauber aus, in den Krater werfen lassen.
Der Deutsche Immanuel Zerger erzählt seinen
Gästen am Kraterrand von politischen Legenden und seiner Zeit im Dienste der Revolution,
in der er an 15 Schulen mitbaute und die
Sandinista Nubia Arcia heiratete. Heute führt er
mit ihr das Hotel „Mancarron“ auf der Insel
Solentiname.
Von den kleinen Bungalows ist es nur ein
Krötensprung bis in den Tropenwald. Im
„Mancarron“ füllen Zerger und seine Frau den
Gedanken von Reisen als Entwicklungshilfe mit
Leben: Jeder auf Solentiname kann mitbestimmen, wie er aussehen soll, der sanfte
Tourismus. Jeder soll Gelegenheit haben, zu
profitieren. Fischer rudern Einzelreisende und
kleine Gruppen über den von Mangroven
gesäumten
Urwaldfluss
Papaturro
im
Naturschutzgebiet von Los Guatuzos, Angler
liefern den schmackhafte Guapote in der
Hotelküche ab. Und wenn die die Sonne
untergeht, holen Glühwürmchen den Sternenhimmel auf die Erde. Sterne, die weder zählbar
noch bezahlbar sind.