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Reiseblatt
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DON N E RS TAG , 1 5 . J U L I 2 0 1 0 · N R . 1 6 1 · S E I T E R 5
Rudern für
Ihre Majestät
Royal Regatta“ ist dort in schwarzen Buchstaben auf den hellgrünen Stoff der
Klappstühle gedruckt. Jedes Jahr seit 1839
findet in dem verträumten Städtchen Henley, eine Autostunde von London entfernt, einer der traditionsreichsten internationalen Ruderwettbewerbe der Welt
statt. Im Jahr 1851 übernahm Prinz Albert
die Schirmherrschaft und machte das Rennen damit „royal“. Heute ist die Queen
Schirmherrin.
Der Besuch der Regatta ist ein Ausflug
in die Vergangenheit. Zwar dürfen seit einiger Zeit auch Frauen an der Regatta
teilnehmen, ansonsten aber hat sich
nicht viel geändert. Das einhundertfünfzig Jahre alte Ölgemälde im TrophäenRaum zeigt dasselbe Szenario wie das
Foto, das am Vortag in der Zeitung „Henley Standard“ erschienen ist: elegant gekleidete Menschen mit Hüten. Darauf ist
man stolz.
Wie eh und je sind die Ruderer bei wohlhabenden Privatleute untergebracht. Es
gibt zu wenig Hotels in Henley, und auf private Atmosphäre wird Wert gelegt. Zur
„Stewards‘ Enclosure“, dem VIP-Bereich
am Zieleinlauf, haben nur Mitglieder oder
deren Gäste Zugang. Ob ein Ruderer Mitglied werden kann, entscheidet ein Gremium. Die meisten von ihnen waren früher
in den Teams von Eliteschulen wie Eton,
Cambridge oder Oxford.
Normalsterbliche wie die Millers – er
ist Autohändler, sie Kassiererin im Supermarkt – beobachten das Geschehen vom
Wasser aus oder suchen sich einen Platz
in der Nähe der Startlinie, wo Bauern
ihre Wiesen als Park- und Picknick-Plätze
vermieten. Bis zu einhundertfünfzigtausend Menschen reisen aus London und
dem Umland an und feiern hier ein riesiges Open-Air-Festival. Aber davon bekommen die sechstausend Besucher im
VIP-Bereich wenig mit: Drei Meter hohe
weißen Zeltplanen schützen vor Blicken.
Am Eingang stehen Herren in schwarzem Anzug und Melone und überprüfen
den Dresscode der Gäste. Ihr Kopfschütteln ist dezent und höflich, ihr Nein unumstößlich. Es wird darum gebeten, sich
„in Übereinstimmung mit der bewährten
Tradition“ zu kleiden, heißt es in der Einladung. Das bedeutet: knielange Kleider
für die Damen, kein Jeansstoff. Die Her-
Die „Henley Royal Regatta“ auf der Themse
ist eine der traditionsreichsten Ruderwettbewerbe der Welt. Man
trägt Hut, isst Erdbeeren, trinkt Champagner
und bleibt am liebsten
unter sich.
Von Gaby Herzog
ike Miller ist startbereit. Als
der Schiedsrichter die Fahne
zum Start senkt, greift er nach
der Sektflasche vor ihm im
Schlauchboot. Er schenkt zwei Gläser ein
und reicht eines davon seiner Frau. Durch
das Fernglas beobachtet er dann, wie die
beiden Ruderboote mit kräftigen Schlägen
näher kommen. Maye Miller lächelt zufrieden unter dem geblümten Regenschirm
hervor – er dient als Sonnenschutz. Neben
ihr flattert die englische Fahne. Der Wind
kommt von Norden, es sind beste Bedingungen für ein schnelles Rennen. „Cheers,
God save the Queen!“, ruft Mike Miller
und hebt sein Glas.
Keine vier Minuten später ist es leer,
Maye Miller brüllt: „Go, go, go!“ Der
Deutschland-Achter, dicht gefolgt vom kanadischen, zieht am Schlauchboot der Millers vorbei. Die Anweisungen des Steuermanns an seine Crew sind deutlich zu hören. Die Athleten stöhnen, während sie
die Skulls durch das Wasser ziehen. Hinter
ihnen fährt die „Ulysses“, in deren Bug
der Schiedsrichter steht. Auf die Brusttasche seines blauen Jacketts ist ein Steuerrad genäht, die goldenen Knöpfe blinken
wie bei Käpt‘n Iglo.
Das Boot der Millers gerät ins Schwanken. Als sich die Wellen der Themse gelegt haben, greift Mike Miller wieder nach
der Sektflasche. „Wir haben hier die besten Plätze, ich möchte gar nicht bei den anderen sitzen“, sagt er und zeigt zum gegenüberliegenden Ufer. „HRR“ für „Henley
M
Nur für Mitglieder: Wer hier sitzt, hat einen einflussreichen Papa.
ren tragen Schlips und Jackett. Nur dreimal in den vergangenen einhunderteinundsiebzig Jahren wurde ihnen gestattet,
das Jackett abzulegen. Damals kletterte
das Thermometer auf über dreiunddreißig Grad.
Auch Telefonieren mit dem Handy ist
verboten. Dafür beschäftigen sich die Besucher umso intensiver mit Champagnerund Pimm‘s, einem Longdrink aus gewürztem Gin, Limonade, Erdbeeren und Gurke. Man knüpft Kontakte, pflegt bestehende Netzwerke. Der Halbfinal-Sieg des
Foto Gaby Herzog
Deutschland-Achters gegen Kanada – der
amtierende Weltmeister gegen den Olympiasieger – spielt nur eine Nebenrolle.
Die „Henley Royal Regatta“ gehört zu
den wichtigsten britischen Sportveranstaltungen der Schönen und Reichen des Landes. Wie beim Tennis in Wimbledon und
beim Pferderennen in Ascot trägt die Upper Class auch hier ganz selbstverständlich Hut. Eine zierliche Person, die unter
einem wagenradgroßen Schattenspender
à la Scarlett O‘Hara fast verschwindet, stöckelt vorbei. Ihre Freundin balanciert ein
aufwendiges Federensemble auf dem
Kopf, das an ein explodiertes Moorhuhn
erinnert und bei jedem Schritt hin und her
wackelt. Damit sie mit ihren Stöckelschuhen nicht im Rasen versinken, stecken die
Absätze der beiden Ladys in Plastik-Hütchen mit breitem Sockel. Ihre männlichen
Begleiter tragen Strohhüte, die an jene der
venezianischen Gondolieri erinnern.
It‘s Tea Time. Das Rennen wird unterbrochen. Im Schatten unter einer Platane
sitzen Callum Macpherson und Martina
Merten und halten Händchen. Sie trägt
ein schickes goldenes Kleid und eine Sonnenbrille von Dior, er ein abgeranztes Jackett und eine mit Flecken übersäte Hose.
Dennoch scheint er sich in den Fetzen
wohl zu fühlen. „Ich habe in Cambridge
studiert“, sagt der Banker, und seine rote
Haartolle wackelt. Der dicke rote Vogel
auf seiner Krawatte sind das Symbol des
Pembroke College. Er trage den Blazer
schon seit 1996, erklärt er stolz und
nimmt einen großen Schluck aus seinem
Pint. Jeder Fleck erzähle die Geschichte eines feuchtfröhlichen Gelages. Ein alter
Herr mit weißem Bart, der ein paar Stühle
weiter sitzt und ein Schälchen frische Erdbeeren genießt, lächelt. „Good boy“, kommentiert er. Sechsundachtzig Jahre sei er
alt und sammele auf seinem Jackett schon
seit dem Jahr 1948 Flecken, Brand- und
Mottenlöcher. Noblesse oblige.
Die schwergebeutelte britische Upper
Class rückt in Zeiten der Wirtschaftskrise
enger zusammen – Tradition verbindet. So
eng, dass jedoch nur jene mitspielen dürfen, die schon über Generationen dazu gehören. Die Angst, alte Privilegien zu verlieren, ist groß. Dass nach der vergangenen
Wahl erstmals eine Regierungskoalition
gebildet werden musste, sei für viele ein
Schock gewesen, sagt Martina Merten. Sie
stammt aus Hannover, lebt seit zehn Jahren in Großbritannien und arbeitet für das
Bankhaus Lloyds. „Die Elite versucht, die
bestehenden Verhältnisse zu konservieren
und ihre eigenen Leute zu protegieren“,
sagt sie. Als Ausländerin, obwohl gut ausgebildet und mehrere Sprachen sprechend, halte man sie gezielt klein. Zwar
darf sie in die „Stewards‘ Enclosure“, aber
tatsächlich dazu gehören tut sie nicht.
„Wirklich vom Netzwerk profitiert nur
der, dessen Eltern und Großeltern schon
Mitglieder waren. Das zählt mehr als ein
sehr guter Uni-Abschluss.“
Die Blaskapelle spielt die ersten Takte
der Nationalhymne. Alle Blicke wandern
zum Fluss. Vor zwei Tagen wurde Prinzessin Anne in einem prunkvollen Boot mit
königlichen Ruderern über den Fluss geschippert. Doch heute sind offenbar keine
Royals anwesend. Stattdessen jagen zwei
Vierer-Ruder-Boote vorbei: Zwei College-
Tradition in Henley
쐽 Anreise: Per Flugzeug nach London Heathrow, dann weiter mit dem
Zug oder dem Taxi. Die Taxifahrt
nach Henley dauert etwa vierzig Minuten und kostet umgerechnet etwa
120 Euro. Etwa 45 Euro kostet es,
wenn man vorher ein privates Taxi
mietet, etwa bei Henley Taxis, Telefon:
00 44/ 14 91 57 42 22, Internet:
www.taxisinhenley.com
쐽 Übernachtung: Es gibt nur wenige
Hotels in Henley. Deshalb empfiehlt
es sich, für die Regatta im Voraus zu
buchen. Empfehlenswert und direkt
an der Regatta-Strecke liegt zum Beispiel das Red Lion Hotel, Oxfordshire
RG9 2AR, GB-Henley-on-Thames,
Telefon: 00 44/14 91 57 21 61, Internet:
www.redlionhenley.co.uk.
쐽 Informationen: Im kommenden
Jahr findet die Regatta vom 29. Juni
bis zum 3. Juli statt. Auskunft gibt die
Internetseite www.hrr.co.uk.
teams, die Newcastle University und die
University of Yale; Großbritannien gegen
die Vereinigten Staaten – wer liegt vorne?
Digitale Anzeigetafeln gibt es nicht, auch
keine elektronische Zeitmessung. Gemessen wird mit der guten alten Hand-Stoppuhr. Mit einer Flüstertüte aus Blech gibt
der Zeitnehmer dem Mann an der Anzeigentafel die Zeiten weiter. Der zieht daraufhin zwei kleine Täfelchen nach oben
und zeigt dem Publikum so den Abstand
zwischen den Booten an – so hat man es
schon im Jahr 1839 gemacht. Nach einem
Testlauf vor einigen Jahren entschied man
sich gegen die Direktübertragung der Rennen im Fernsehen.
Es wird Abend. Die Massen strömen
von der Themse über die alte steinerne
Brücke in die Stadt. Das Mädchen mit
dem Scarlett-O‘Hara-Hut hat den ganzen
Tag in der Sonne Pimm‘s getrunken. Jetzt
wagt sie in der Dämmerung einen Handstand vor der Kapelle und präsentiert dabei ihre Unterwäsche. Mike Miller rudert
an Land, seine Gattin stolpert von Bord.
In den Pubs wird bis zum Morgengrauen
gemeinsam weiter getrunken werden.
Am nächsten Tag geht der Ruderzirkus
weiter. Der Deutschland-Achter tritt im
Finale gegen Neuseeland an und gewinnt. Statt wie sonst üblich, nämlich
barfuß und in verschwitzten Trikots, erscheinen die Sieger in dunklen Anzügen
auf der Empore und nehmen den ein Meter hohen Pokal entgegen. Maye Miller
sitzt im Schlauchboot und winkt.
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