Printversion 17.6 MB - Historische Archäologie

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Printversion 17.6 MB - Historische Archäologie
Historische
Archäologie
Jahrgang 2010
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Historische
Archäologie
Thomas Küntzel
Der Stadtwall in den Gärten:
Neue Gedanken zu den historischen Hintergründen der
Verlegung der Stadt Hitzacker um die Mitte des 13. Jahrhunderts
Summary
This essay tries to explain the historical context of the „Landgraben“, an impressive ditch and bank west to the city centre of Hitzacker. It first deals with
the development of the settlement, of which the castle-mound of the “Weinberg” already gained importance since the 9th century. This was underlined by
excavations in the area of the Lanke-gardens and the street line south of Hitzacker, proving the rise of the settlement in the 10 th / 11th centuries and the flourishing in the 12th century. Obviously in the first half of the 13th century the area
in the south of Hitzacker was abandoned, probably in connection with the
construction of the “Landgraben” (ca. 1230?). Yet the exact date and historical
ascription is uncertain, especially whether the Welfish dukes or the princes of
Ascania built it – one may even suppose the building of the “Landgraben” (or
parts of it) to have taken place at the beginning of the 14th century. Nevertheless, the area within the “Landgraben” was inhabited for a longer time than
the area in the Lanke-gardens, most probably up to 1258/60, when the town
was moved to the island in the Jeetzel, where the historical city-centre is situated up to now. During the late 13th century Hitzacker (in this time still strategically important) gradually lost meaning, mainly because of dynastic troubles.
Not before early modern times with the town serving as secondary seat to the
court of the Welfs will it be of any significance again.
Zusammenfassung
Der Artikel versucht, den „Landgraben“, eine mächtige Wallanlage westlich
des Stadtkerns von Hitzacker historisch einzuordnen. Er beginnt mit der hochmittelalterlichen Entwicklung des Siedlungskomplexes Hitzacker, der mit der
Burg auf dem Weinberg bereits im 9. Jahrhundert eine wichtige politische
und zunehmend auch ökonomische Bedeutung besaß. Dies unterstreichen
die Grabungen in den Lanke-Gärten und auf der Straßentrasse am Südrand
von Hitzacker, die den Aufstieg der Siedlung seit dem 10./11. und die Blütezeit
im 12. Jh. erkennen lassen. Wohl in der ersten Hälfte des 13. Jh.s wurde das
Gelände im Süden aufgegeben. Dies geschah eventuell im Zusammenhang
mit dem Bau des Landgrabens (um 1230?). Die genaue zeitliche Einordnung
und somit die historische Zuordnung der Baumaßnahme zu den Welfen oder
Askaniern ist jedoch aufgrund unzureichender Vergleichskomplexe dieser
Epoche noch ungewiss. Eventuell ist sogar eine Datierung des Landgrabens in
seiner letzten Form an den Beginn des 14. Jh.s zu erwägen. Abgesehen davon
ist aber das Gelände innerhalb des Landgrabens an der Jeetzel (Adler-Apotheke) anscheinend länger besiedelt gewesen: vermutlich bis um 1258/60, als
die Stadt auf die Jeetzelinsel verlegt wurde. Seit dem späten 13. Jahrhundert
gerät das - strategisch immer noch sehr wichtige – Hitzacker aus dynastischen
Gründen zunehmend in eine Abseitsposition. Erst in der Neuzeit wurde es als
welfische Nebenresidenz wieder bedeutsam.
Einleitung
Die historischen Relikte der Vergangenheit wollen erklärt sein – dies macht
einen wesentlichen Teil ihres Reizes aus, stellt aber die Wissenschaft und alle,
die sich darum bemühen, oft auch vor große Probleme. Die Epoche zunehmender Schriftlichkeit im 13. und 14. Jh. bietet die Chance, ausgehend von der
Ereignisgeschichte Modelle zu entwickeln, mit denen bestimmte Sachzeugnisse „zum Sprechen gebracht“ werden können. Eine lange Zeit rätselhafte Spur
in die Vergangenheit stellte der sogenannte „Landgraben“ in Hitzacker dar,
eine mächtige Wall-Graben-Anlage, die sich am Rande des historischen Ortskerns der Stadt Hitzacker durch moderne Gärten, den Friedhof und bis zur
ehemaligen Jugendherberge erstreckt (Abb. 1). Seine Interpretation schwankte zwischen „Grenzmarkierung“, „frühgeschichtlicher Wehranlage“ und Landwehr (Wachter 1998 a, 23; Wolf 1958, 23). Im Zuge der Inventarisation der
archäologischen Denkmäler der Region wurden Hildegard Nelson, Hans-Wilhelm Heine und Jan-Joost Assendorp vom Niedersächsischen Landesamt für
Denkmalpflege auf die Anlage aufmerksam und erkannten die Bedeutung des
Landgrabens als ehemaligen Stadtwall. Im Dezember 2003 erfolgte eine Begehung, um die noch erhaltenen Abschnitte zu erfassen (Heine / Küntzel / Nelson 2006). Die spätmittelalterliche Stadt Hitzacker liegt allerdings auf einer
Insel bzw. Halbinsel nordöstlich, also jenseits der Jeetzel und war von eher
bescheidenen Ausmaßen, so dass der „Landgraben“ nicht mit ihr in Verbindung gebracht werden kann. Stadtnahe Landwehren des 13./14. Jahrhunderts,
die sich vereinzelt im Vorfeld von Stadtwüstungen erhalten haben, besitzen
sehr viel kleiner dimensionierte Querschnitte, wie der Vergleich mit der Stadtwüstung Blankenrode oder – unter dem Vorbehalt der schwierigen Datierung
– Nienover zeigt (Küntzel 2004; Küntzel 2009, 232 ff.). Aus den Schriftquellen
kann man jedoch auf die Verlegung der Stadt Hitzacker bald nach Mitte des
13. Jh.s schließen. Demnach wäre der „Landgraben“ eventuell das Relikt einer
Stadtwüstung, die sich auf dem linken, westlichen Jeetzelufer erstreckt. Stadtwüstungen galten lange als eher exotische Anlagen, sind aber nach neuen
Untersuchungen sehr viel häufiger als angenommen (Küntzel 2008; Küntzel
im Druck). Die Ausgrabungen in verschiedenen Stadtwüstungen erbrachten
in den vergangenen Jahren eine Fülle neuer Erkenntnisse zur regionalen Geschichte des 13. Jh.s, aber auch zum Aussehen von Stadtanlagen dieser Epoche.
Die Idee, dass es sich beim „Landgraben“ von Hitzacker um einen Stadtwall
des 13. Jh.s handelt, wurde zuerst 2006 in den „Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte“ vorgestellt. Anlässlich der 750-Jahr-Feier der Stadt Hitzacker 2008 wurde der Verfasser von Herrn Klaus Lehmann, Hitzacker dankenswerterweise gebeten, über die Ergebnisse der Untersuchungen zu berichten.
Bei der Vorbereitung des Vortrages ergaben sich zahlreiche neue Aspekte zur
historischen Situation im Umfeld der Stadtverlegung, die die enorme Tragweite dieser Maßnahme illustrieren. Aus den Urkunden des späten 13. und 14.
Jh.s lassen sich rückblickend Schlüsse auf die herausragende Position von Burg
und Stadt Hitzacker im 12. und 13. Jh. gewinnen.
I. Der Landgraben - Verlauf und Ausdehnung
Der Landgraben erstreckte sich vom Meeschenberg, einer 60 m über die Elbe
aufragenden Kuppe im Norden bis zum Osterberg im Süden (ehemals als „Hinrichsberg“ bezeichnet, Höhe ca. 47,5 m ü. NN, Elbniveau heute 10 m ü. NN). Der
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Graben bog dort wahrscheinlich nach Osten zur Jeetzel hin ab. Beim Bau der
ehemaligen Jugendherberge soll sein Profil in der Baugrube beobachtet worden
sein (Heine / Küntzel / Nelson 2006; vgl. auch Saile 2007 a, 108). Der weitere
Verlauf wird durch das Hotel „Zur Linde“, das beiderseits der Grenze zwischen
der Stadt Hitzacker und dem adeligen Gut Dötzingen steht, und den östlich
anschließenden Straßenzug markiert. In der Grabungsfläche „Lanke-Gärten“
trat der Landgraben nicht in Erscheinung, dürfte also unmittelbar nördlich gele-
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Abb. 1: Historische Topographie von Hitzacker. Blau: heutige Wasserläufe; hellblau: Wasserläufe um 1776 bzw. Hunte-Bach durch die
Stadtinsel bis zum 17. Jahrhundert; grün: Böschungen, Berge und der Verlauf des „Landgrabens“ (dunkel: erhaltene/ feststellbare Böschung des Grabens, hell: rekonstruiert); rot: Gebäude und wichtige Fundstellen von Keramik; gestrichelte Linie: Grabungsschutzgebiet; grau: Grabungsflächen mit ausgewählten slawischen und mittelalterlichen Befunden. 1: Weinberg, 2: Meeschenberg, 3: Johanniskirche auf dem Berge, 4: Langenberg, 5: Osterberg mit der ehemaligen Jugendherberge, 6: mutmaßliche Tore im „Landgraben“, 7:
Fundstellen an der „Adlerapotheke“, 8: Fundstelle an der Volksbank, 9: Fundstelle „Kaddatz“, 10: ehemalige Burg auf der Stadtinsel,
11: Johanniskirche, 12: Zollhaus, 13: ehemaliges Rathaus, 14: Drawehnertor, 15: Marschtor, 16: Grabungsfläche „Lanke-Gärten“, 17: Grabungsfläche Straßentrasse, 18: Grabungsfläche Klärwerk; 19: Dötzinger Friedhof.
Fig. 1: Historical topographical map of Hitzacker. Blue: waterstreams today; light blue: waterstreams around 1776 and Hunte-stream running
through the city until 17th century; green: slopes, mounds and track of the "Landgraben" (dark: preserved; light: reconstructed / supposed); red:
buildings and main sites with ceramic findings; broken line: excavation reserve; grey: excavation areas with selected slavic and medieval features. 1: Weinberg, 2: Meeschenberg, 3: Johanniskirche on the hill, 4: Langenberg, 5: Osterberg with former youth hostel, 6: supposed gates
of the „Landgraben“, 7: sites at the „Adlerapotheke“, 8: site at the "Volksbank", 9: site „Kaddatz“, 10: former castle on city island, 11: Johanniskirche, 12: custom house, 13: former town hall, 14: Drawehnergate, 15: Marschgate, 16: excavation area „Lanke-Gärten“, 17: excavation area
road tracks, 18: excavation area of the wastewater treatment plant; 19: Dötzinger cemetery.
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Abb. 2: Südteil des Siedlungskomplexes
Hitzacker mit den Grabungsflächen LankeGärten und Straßentrasse. Farben und Nummern wie Abb. 1, wobei 6 ein mutmaßliches
Tor im Landgraben beim Hotel „Zur Linde“
markiert; ergänzende Farben in den Grabungsflächen: blau: Brunnen und „Schlämmanlagen“, rosa: Gebäudereste, gelb: Gruben,
orange: Öfen; A: Drainagegraben, B: Grube
mit Töpfereiabfall, C: Grube mit Schmiedeschlacken.
Fig. 2: Southern part of Hitzacker with the excavation areas of the Lanke-gardens and the road
tracks. For the numbers and colours comp. fig.
1 with "6" pointing to the "Landgraben" at the
hotel "Zur Linde"; further colours within the excavation areas: blue: wells and "flotation areas"; pink: house remains; yellow: pits; orange:
ovens; A draining ditch; B pit with remains of a
pottery; C pit with smithing remains.
1 Vgl. die Ortsakte Hitzacker, FStNr. 113 im
Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege Hannover. Ich danke Frau Dr.
Hildegard Nelson und Herrn Dr. HansWilhelm Heine für zahlreiche Hinweise.
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gen haben (vgl. Abb. 2). Folgt man dieser Rekonstruktion, muss der Landgraben
von der ehemaligen Jugendherberge aus zunächst 90 m weit nach Ostnordost
gezogen sein, um dann um etwa 20° nach Ostsüdost umzubiegen. Einen ähnlichen Knick weist auch der nördliche Schenkel des Landgrabens am Meeschenberg auf – bei gleicher Länge des Grabenabschnitts von der Nordwestecke des
Landgrabens bis zur Knickstelle! Die jeweils östlich davon nach Norden bzw.
Süden ausbiegenden Wallschenkel queren rechtwinklig die dort austretenden
Straßen (Dr.-Helmut-Mayer-Weg, Drawehnertorstraße). Sie mögen zuerst angelegt und nachträglich durch den etwa 660 m langen Nord-Süd-Wall zu einem einheitlichen System verbunden worden sein. Man hätte dann anfangs nur
die Straßen selbst bis an den Fuß der steileren Berghänge von Meeschen- und
Osterberg gesichert. Im Bereich des Nord-Süd-Walles existierten ehemals vermutlich zwei Tore: Im Süden am Treffpunkt von Herzog-August- und Bergstraße sowie im Norden am Breedestieg. Ungefähr in der Mitte besitzt der lange
Nord-Süd-Wall einen Knick, der sich durch die hier befindliche Kuppe erklären
lässt, die in die Verteidigungsanlage einbezogen werden sollte. Auf einer Skizze
des Landgrabens hat der einstige Leiter des Museums von Hitzacker, Walter
Honig, an dieser Stelle eine „Bastion“ eingetragen, die nach Westen vorspringt.
Diese Vermutung resultiert offenbar aus der Position und der eigenartig quadratischen Form des Dötzinger Friedhofes (46 x 40–46 m). Der Friedhof kann
aber auch einfach auf einem nicht nutzbaren Flurstück angelegt worden sein.
Im Norden bildet der Meeschenberg einen Gegenpart zum Weinberg, auf
dem sich seit dem 8./9. Jh. ein slawischer Burgwall und später eine „deutsche“
Burg befand (kritisch Saile 2006; Wachter 1998 a). Deutlich zu erkennen sind
Graben und Vorwall des „Landgrabens“ noch am Nord- und Westhang des
Meeschenberges sowie im Bereich des Friedhofes. Südlich des Friedhofes ist
der Wallgraben in den 1940er Jahren weitgehend überbaut worden, östlich
des Osterberges zur Sandgewinnung für den Bau des Hamburger Freihafens
abgegraben 1. Die Gesamtbreite des Wallgrabens von der Kuppe des Vorwalles
bis zur Schulter der Innenböschung erreicht streckenweise 15 m, bei einer Höhendifferenz von bis zu 4 m. Landwehren besitzen z.T. Höhendifferenzen von
nur 1–1,5 m, selten auch von 2 m, vor allem im Bereich von Wegesperren. Die
Dimension des „Landgrabens“ ist hingegen bei Stadtbefestigungen des 13. Jh.s
nicht unüblich. Mehr noch: Vermutlich existierte ehemals auch eine Stadtmauer. Walter Honig, beobachtete beim Neubau eines Parkplatzes für das Hotel
„Waldfrieden“ 1969–72 Mauerreste an der oberen Böschungskante der Grabeninnenseite. Eine solche Stadtmauer konnten sich im 13. Jh. nur wohlhabendere
Städte leisten.
Die Erinnerung an die einstige Bedeutung des Stadtgrabens ging jedoch mit
der Zeit verloren. 1716 wird der Landgraben nurmehr als „bekandte rechte
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Scheidung zwischen Dötzingen und Hitzacker“ erwähnt. Er war also zu einem bloßen Grenzgraben geworden. Eventuell leitet sich auch der Name des
„Meeschenberges“ von dieser Funktion ab (vgl. russ. Meжa = Grenze, Rain,
meznik = tschech. Grenzstein), sofern er nicht auf die Kirchmesse in der Johanniskirche Bezug nimmt. Die Funktion als Grenzgraben bewahrte die Anlage jedoch vor der völligen Zerstörung. Im Süden, im Bereich des Hotels „Zur
Linde“ wurde zumindest die Linienführung des Landgrabens durch die Grenze weiter tradiert, obwohl moderne Eingriffe sämtliche überirdisch sichtbaren Spuren beseitigt haben.
Rein rechnerisch war das Gelände, das von dieser Anlage eingegrenzt wird,
etwa doppelt so groß wie die spätere Stadt auf der Insel: Ohne die Burg auf
dem Weinberg kommt man auf etwa 13–14 ha, mit Burg und „Landgraben“ zusammen auf etwa 25 ha. Das Stadtgelände auf der Insel ist etwa 9 ha groß,
einschließlich des Schlossplatzes. Vom Areal innerhalb des Landgrabens ist
allerdings wegen des unruhigen Geländereliefs nur ein Teil zu bebauen. So
gibt es einen schmalen Streifen am Ufer der Jeetzel (Straße „Am Weinberg“),
einen größeren Platz südlich davon (Straße „Am Langenberg“, nördlicher Teil
der „Hauptstraße“) sowie ein etwa 200 x 400 m großes Geestplateau westlich
des „Langenberges“, das auf 30–48 m ü. NN ansteigt. Das nördliche Drittel
dieses Plateaus wird heute vom städtischen Friedhof eingenommen, der Rest
ist mit Einfamilienhäusern bebaut. Im Bereich des Friedhofes befindet sich
auch die Ruine der einstigen Stadtkirche, der „Bergkirche St. Johannis“.
Unklar ist, ob die Geestfläche zwischen Osterberg und Meeschenberg im
13. Jh. mit Häusern bestanden war, oder ob der Stadtwall gewissermaßen
ein projektiertes, aber nie ganz ausgefülltes Stadtareal umschloss (bzw. Weide- und Gartenflächen mit schützte). Da die langjährigen Begehungen und
Fundbeobachtungen von Bernd Wachter keine näheren Hinweise auf eine
Besiedlung ergaben, scheint eher letzteres der Fall zu sein (Wachter 1998 a,
24; Wachter 1982/83, 51). Interessant ist hierbei, dass die Siedlungsfläche im
Tal, am Ufer der Jeetzel, ungefähr den gleichen Raum einnimmt wie die Fläche, die auf der Jeetzelinsel zur Verfügung steht. Zu berücksichtigen ist überdies das spätslawisch bis „frühdeutsch“ besiedelte Gelände im Bereich der
„Lanke-Gärten“ und des Archäologischen Freilichtmuseums, die seit 1969
bzw. 1978 durch Grabungen untersucht wurden. Diese Frage wird bei der
Betrachtung der historischen Quellen noch eine wichtige Rolle spielen. Als
überholt muss mit den neueren archäologischen Befunden und der jüngsten
Interpretation des „Landgrabens“ als Stadtwall die negative Einschätzung von
Siegmund Wolf gelten, der Siedlung Hitzacker sei „bis 1258 keine besondere
Bedeutung“ zugekommen (Wolf 1958, 23).
II. Die Stadtverlagerung Hitzackers
2 UB Braunschweig (Hzge.) I, Nr. 46; UB
Brandenburg B, 1, Nr. 84; UB Brandenburg C, 3, Nr. 1; Steudener 1895, 109 f.
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Die Übersiedlung der Bürger von Hitzacker erfolgte um das Jahr 1258 herum. Eine regelrechte Gründungsurkunde existiert dazu leider nicht; erst 1268,
also zehn Jahre später erfahren wir aber aus einer Urkunde der askanischen
Herzöge Johann I. und Albrecht II. von Sachsen-Lauenburg, dass die Bürger
der Stadt Hitzacker von ihrem Vater, Herzog Albrecht I. von Sachsen einst
verschiedene Privilegien verliehen bekommen hatten, weil sie auf die Insel
übergesiedelt waren, insbesondere Zoll- und Abgabenfreiheit in Hitzacker,
Bleckede und Lauenburg (UB Braunschweig [Hzge.] I, Nr. 65; vgl. Wolf 1958,
20. Zu Johann I. Koppe 1974 a). Herzog Albrecht I. starb Ende 1260 oder Anfang
1261, also muss die Übersiedelung vorher erfolgt sein (Mundhenke 1953; vgl.
Steudener 1895, 112) 2 . Am 28. Februar 1258 hatte er Streitigkeiten mit den Herzögen von Braunschweig um die Besiedlung der Elbmarschen und die Rechte in Bleckede, Hitzacker und Artlenburg beigelegt, was vielleicht den Weg
für die Neugründung der Stadt ebnete – oder, diese Streitigkeiten waren aus
der Übersiedelung erwachsen (die dann sogar schon 1257 erfolgt sein kann).
Denkbar wäre auch, als dritte Möglichkeit, dass die Befestigung der ersten
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Stadt um Meeschen- und Osterberg die braunschweigischen Herzöge provozierte, und die Verlegung im Zuge der Auseinandersetzungen durchgeführt
wurde. Als vierte Möglichkeit ist schließlich zu erwägen, dass der Stadtwall
erst lange nach der Verlegung auf die Jeetzelinsel entstand, gewissermaßen
im Rahmen eines Neubeginns der Stadt auf dem linken Jeetzelufer.
Eine solche, „stecken gebliebene“ Stadtgründung war die Stadt Freyenstein in
der Prignitz: westlich der heutigen Stadt befand sich ein 25 ha großes Gelände,
dessen Name „alte Stadt“ auf den Standort der ursprünglichen Gründungsanlage hindeutet. Geophysikalische Prospektionen ergaben im Zentrum dicht
mit Kellern besetzte Straßenfluchten, während die Befunde in den äußeren
Zonen stark ausdünnen. Die 1287 neu in der Niederung angelegte zweite Stadt
war kaum halb so groß (Schenk 2009; Schenk 2004; Schenk /Plate 2004; Plate
1989). Ebenfalls eine Insellage in der Ilmenauniederung wurde bei der Gründung der Stadt Uelzen aufgesucht. Die ursprüngliche Stadt befand sich auf dem
„Bindelkamp“ beim Kloster Oldenstadt, einem Ausläufer der Geest am Bach
Wipperau. Die Verlegung erfolgte auf Initiative des Grafen und Klostervogtes
Gunzelin von Schwerin in den 1260er Jahren, also bald nach der Neugründung
der Stadt Hitzacker (Vogtherr 1997, 16 ff.; Vogtherr 1992; Schilling 1987). Die
Grafen von Schwerin besaßen enge Kontakte zu den Dannenberger Grafen, also
auch zum Wendland. Die Verlegung der Stadt Hitzacker könnte somit als Vorbild für die Neuanlage von Uelzen gedient haben. Graf Gunzelin nutzte in diesem Fall wohl den Konflikt zwischen den Bürgern der ersten Stadt Uelzens und
ihrem Stadtherren, dem Abt des Klosters, aus, indem er den Bürgern größere
Freiheiten versprach, als der Abt sie gewähren wollte. Der Abt konnte später immerhin gewisse Rechte und Abgaben durchsetzen, die die „davongelaufenen“
Bürger an ihn zu leisten hatten. Die Grafen von Schwerin verloren Uelzen hingegen bald danach durch eine Fehde an die braunschweigischen Herzöge. Die
Stadt Celle wurde vom Lüneburger Herzog Otto dem Strengen 1292 selbst verlegt (UB Celle, Nr. 1; vgl. zur Archäologie Altencelles jetzt Küntzel 2010; Busch
1990; Moeller 1992). Das Stadtgelände im heutigen „Altencelle“ befand sich
nördlich des Dorfkernes mit der Herzogsburg. Geomagnetische Prospektionen
durch den Physiker Dr. Christian Schweitzer aus Burgwedel lieferten 2007 ein
überraschend scharfes Bild der einstigen Hauptstraße der Stadt. 2008 konnte
durch Ausgrabungen ein querschnitthafter Einblick in die Bebauung gewonnen
werden. Genau untersucht wurde ein abgebrannter Holzkeller; innerhalb der
Grabungsfläche lagen zudem eine Straße mit seitlichen Drainagegräben und
ein weitere Keller. Altencelle war bis 1292 unbefestigt; allenfalls eine Palisadenwand könnte die Höfe nach Westen hin abgeschirmt haben. Dennoch verfügte
der Ort bereits über eine Ratsverfassung. Die neue Stadt entstand, ganz wie in
Hitzacker und Uelzen, auf einer Insel in der Niederung, an der Mündung der
Fuhse in die Aller. Zwei parallel in enger Nachbarschaft existierende Städte sind
theoretisch ebenfalls als Siedlungsmodell denkbar. Dies zeigt der Vergleich mit
der Doppelstadt Höxter-Corvey. Die Stadtwüstung Corvey wurde vor allem
von Prof. Hans-Georg Stephan untersucht. Sie wurde von einem mächtigen
Stadtwall umgeben, verfügte über gepflasterte Straßen, eine große Weserbrücke aus Holz und steinerne Häuser bzw. Keller. 1265 überfielen die Bürger der
benachbarten Stadt Höxter den Ort, im Bund mit dem mächtigen Bischof Simon von Paderborn, der das reichsfreie Kloster seiner Diözesangewalt unterwerfen wollte (Stephan 2000; Stephan 2002). Die Bürger von Höxter besaßen
eher ein Interesse daran, eine gewerbliche Konkurrentin auszuschalten, denn
Markt und Weserbrücke in Corvey machten natürlich dem eigenen Markt Konkurrenz, der durch Zollabgaben einer möglichst großen Besucherzahl finanziert sein wollte.
III. Das Siedlungsgebiet Hitzackers ab dem 8. Jahrhundert
Hitzacker steht somit am Anfang einer ganzen Reihe von Stadtverlegungen
in Niedersachsen in der zweiten Hälfte des 13. Jh.s. Es fungierte hierbei offenwww.histarch.org
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bar als erfolgreiches und nachahmenswertes Vorbild. Allerdings ist die Siedlungsentwicklung in Hitzacker sehr viel komplizierter, wie die Grabungen im
Bereich der Lanke-Gärten und des Freilichtmuseums („Hitzacker-See“), aber
auch auf dem Weinberg zeigten. In slawischer Zeit gehörte Hitzacker zusammen mit Dannenberg zu einer Siedlungskammer an der unteren Jeetzel. Der
Weinberg, ein exponierter Ausläufer des Endmoränenzuges der Dannenberger Hohen Geest (Elbdrawehn, osthannoversche Kiesmoräne) am bis zu 40 m
hohen Prallhang der Elbe, liegt an einem strategisch günstigen Platz, denn er
kontrolliert sowohl den Siedlungsraum an der unteren Jeetzel, wie auch den
Verkehr auf Elbe und Jeetzel, mit einem Ausblick bis zum Höhbeck und auf
die Jabelheide im Osten 3. Die Slawen in dieser Region gehörten wohl zum
Stamm der Linonen, denen in zeitgenössischen Quellen sieben Burgbezirke
zugerechnet werden, darunter wohl auch Hitzacker 4. Den ältesten Burgwall
meinte Bernd Wachter, mit Hilfe von Holzkohle in das 7./8. Jahrhundert datieren zu können (Wachter 1998 a, 36 f., 107 f.), was allerdings von anderen
Wissenschaftlern in Zweifel gezogen wurde 5. Die Keramikzusammensetzung
in den untersten Schichten der Weinberg-Burg entspricht eher der Keramik
von der dendrochronologisch auf 810–840 (?) bzw. 850-857, also in die Mitte
des 9. Jahrhunderts datierten Oerenburg (Wachter 1998 b, 243 mit Abb. 4;
vgl. Saile 2003, 96; Saile 2007 a, 95 ff., 178, 181 ff.). Nördlich der Elbe, eventuell auch am Höhbeck setzt die slawische Besiedlung tatsächlich schon in der
zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts ein (Messal 2009, 134 f.; Biermann/Gossler 2009, 142; vorsichtig Schneeweiss 2009, 126 Anm. 15).
3 Wachter 1998 a, 15; vgl. zur naturräumlichen Gliederung des Wendlandes Nüsse
2002, 91 f.; zur Siedlungsstruktur Dulinicz 1991.
4 Saile 2007 a, 68, 181 ff.; Saile 2007 b, 91,
94; kritisch Willroth 1999, 88 f.; Saile
2003, 98; Hardt 2002, 97 ff., bes. 102; kritisch Biermann/Gossler/Kennecke 2009,
38.
5 Saile 2007 a, 105 ff., 176 ff.; kritisch auch
Willroth 1999, 88; Hübener 1993, 187;
Hübener 1989, 251; zustimmend noch
Harck 1972/73, 148.
6 Vgl. Wachter 1998 a, 138; Saile 2007 a,
68; zum Verdener Bischof als Lehnsherr
im Wendland UB Mecklenburg I, 163.
7 Saile 2007 a, 67; Tempel 1991; Gröll 1994;
vgl. auch Miesner 1937; Freiherr von Hammerstein 1871; kritisch Saile/Lorz/ Posselt 2001, 227 f.; Saile 2007 a, 67; Willroth 1999, 89; Linnemann 2007, 70 ff.
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Seit den Kriegszügen Karls des Großen gegen die Sachsen gehörte das
Wendland nominell zum Fränkischen bzw. später zum Deutschen Reich, aber
die Abhängigkeit der dortigen Bevölkerung hielt sich bis in das 12. Jahrhundert in Grenzen. Das fränkische Kastell auf dem Höhbeck musste wohl bald
vor dem feindlichen Druck der Linonen geräumt werden (Saile 2007 a, 66 ff.;
Biermann/Gossler 2009, 137 f.; vgl. Saile 2003, 94 ff.; Hardt 2002, 96 ff.). Von
deutschen Grafen oder anderen Herrschaftsträgern im Wendland ist erst
um die Mitte des 12. Jh.s wieder die Rede. Im 10. Jh. erstreckte sich zwar die
Hoheit der Markgrafen Gero und Herrmann Billung formal über die ganze
Ostmark und die Abodriten nördlich der Elbe, aber ihre konkrete Wirksamkeit im Elbwinkel an Jeetzel und Aland bleibt ungewiss (Schultze 1957, 82;
Wachter 1998 a, 128 ff.; Meyer [-Seedorf] 1911, 71). Der Verdener Bischof, dem
das Wendland kirchlich unterstellt war, kümmerte sich kaum um den entlegenen Winkel seiner Diözese 6. Zahlreiche Aufstände und Kämpfe stellten
die deutsche Herrschaft wiederholt in Frage; 929 konnten sich die Sachsen
bei Lenzen behaupten, 955 erneut an der Raxa (Recknitz?), mussten aber ab
983 immer wieder Einfälle der revoltierenden Liutizen hinnehmen, unter anderem im Bardengau und in Hamburg (Schubert 1997, 117 ff., 177; Biermann/
Gossler 2009, 138). Hitzacker dürfte damals zu den Hauptstützpunkten der
Slawen gezählt haben. Mitte des 10. bzw. Anfang des 11. Jahrhunderts verfügten zwar Kaiser Otto I. und Graf Bernhard von Sachsen über slawische Orte
im Drawehn, etwa Clenze, aber der deutsche Zugriff beschränkte sich wohl
auf Orte südlich der Landgrabenniederung, also die Region um Salzwedel
(Saile 2007 a, 69 f., 184; Rossignol 2007, 239; vgl. zur Lokalisierung der “Marca
Lipani” Schultze 1957, 92 f.).
Möglicherweise kann Hitzacker mit einem immer wieder gesuchten Handelsort in Verbindung gebracht werden, der im 9. Jahrhundert als „Schezla“ in
den Quellen auftaucht, und an welchem der Handel mit den Slawen gestattet
war 7. Schon 1928 assoziierte der Burgenforscher Carl Schuchhardt den Namen mit der Jeetzel; Wolf-Dieter Tempel stützte darauf seine Annahme, dass
„Schezla“ bei Hitzacker gelegen haben könnte. Allerdings kämen auch Seßlach bei Coburg oder andere Plätze in Frage. Sprachwissenschaftlich ist die
Ableitung von „Schezla“ von dem Fluss „Jeetzel“ wohl nicht haltbar (Wachter
1989, 166; vgl. zum Flussnamen „Jeetzel“ Schmitz 1999, 88 f.). Die Verbreitung
bestimmter Lanzenspitzen, also eines damals eventuell verhandelten WafThomas Küntzel | Der Stadtwall in den Gärten
7
fentyps, lässt zwar nach Berndt Wachter das Wendland als „Drehscheibe“
deutsch-slawischer Händler hervortreten; denkbar wäre allerdings auch ein
kriegerischer Hintergrund für dieses Verbreitungsbild. Die karolingerzeitlichen Funde sind in Hitzacker bisher recht mager; anscheinend erfolgte der
eigentliche Aufstieg des Ortes als Handelsplatz erst im Laufe des 10. bzw. 11. Jh.s (Linnemann 2009, 160).
Immerhin lässt sich aber Handel anhand der Keramikfunde von der Burg auf
dem Weinberg belegen. Schon in den frühen Schichten fand sich sächsische
und deutsche Importkeramik, die wohl ihren Weg von Hamburg kommend
die Elbe aufwärts fand. Der Anteil an „deutscher“ Keramik steigt kontinuierlich vom 10. bis zum 11./12. Jh. an: von bis zu 9 % im 9. Jh. über 17 % im 11. Jh.
auf über 41 % im 11./12. Jh. (Wachter 1999, 106, 109; Wachter 1998 a, 79 Tab.
7). Die Einbindung Hitzackers in das damalige Handelsnetz belegen Münzen
des 11. Jh.s, wie Sachsen- oder Wendenpfennige, außerdem eine niederlothringische (belgische, kölnische oder friesische) Silbermünze von der Grabung Hitzacker-See (Linnemann 2007, 57; vgl. Berghaus/Mäkeler 2006, 22 ff.). Neben schlichten, manchmal auch pingsdorfartig bemalten Kugeltöpfen
ist Importkeramik aus dem belgischen Raum, sogenannte Andennen-Ware
nachgewiesen (Wachter 1998 a, 80 f.). Die Funde sind allerdings bei den Ausgrabungen überwiegend in einem slawisch-deutschen Übergangshorizont
gefunden worden, also wohl erst dem 12./13. Jh. zuzuweisen.
8 Assendorp 1997; Assendorp 1994; Sommerfeld 1992; Assendorp 1991; Voss 1969.
Ausgewählte mesolithische und jungsteinzeitliche Funde werden von Daniela
Wittorf M.A. in einer Promotion bearbeitet.
9 Vgl. Linnemann 2007, 26 (Befund 9520:
Eisenschlacke und Erzbrocken), 31 (Grubenhaus, Befund 10224: Webgewichtsfragment; Grubenhaus, Befund 9243:
Bronzeschmelzklumpen), 36 (Brunnen,
Befund 9300, Gusstiegel), 48 (insgesamt
27 Webgewichtsfragmente, 2 vollständige Webgewichte), 110 (Befund 9361, Bleischmelze).
10 Lüdtke 1980/81, 94 ff.; Linnemann 2007,
45 (Befund B 216), 153 (Straßentrasse, Befund 1).
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Die slawische Vorgängersiedlung der Stadt Hitzacker erstreckte sich zu
Füßen des Weinberges mindestens etwa 400 m entlang der Jeetzel (möglicherweise sogar 650 m, wenn die Siedlung an den Fuß des Burgberges heranreichte), wie Fundbeobachtungen durch den Gymnasiallehrer Berndt
Wachter (Wachter 1998 a, 24; Wachter 1982/83, 51) und die Ausgrabungen
im Bereich der „Lanke-Gärten“ sowie der Straßentrasse zeigen (Abb. 2). Auch
die spätere Stadtinsel war schon in spätslawischer Zeit bewohnt. Etwas spätslawische Keramik und viel hoch- und spätmittelalterliche Kugeltopfware
wurde z.B. 1966/67 beim Bau der Adler-Apotheke am Weinbergsweg sowie
1972 auf dem südlich benachbarten Grundstück gefunden. Unter der grauen
Irdenware des späten Mittelalters befinden sich geriefte und ein mit Rollrädchenmuster verziertes Stück (Landesamt für Denkmalpflege Hannover, Fundstellenarchiv, FStNr. Hitzacker 12). Mittel- und spätslawische Funde stammen
auch vom Grundstück der Volksbank Am Langenberg 4, mittelalterliche Keramik von der Drawehnertorstraße 27 (Haus Kaddatz, ehemals Hauptstraße).
Die slawischen und frühdeutschen Befunde auf dem Siedlungsgelände am
„Hitzacker See“ wurden von Sophie Linnemann im Rahmen einer Magisterarbeit an der Universität Göttingen ausgewertet (Linnemann 2007; ich danke
der Autorin für die freundliche Möglichkeit zur Einsichtnahme; vgl. jetzt Linnemann 2009). Der Platz wurde schon in der Jungsteinzeit, der Bronzezeit und
in der Eisenzeit aufgesucht 8. Die slawischen und mittelalterlichen Befunde
reichen von der mutmaßlichen Fluchtlinie des „Landgrabens“ (Hotel „Zur Linde“) etwa 80-90 m weit nach Süden. Die mittelalterliche Besiedlung beginnt
in frühslawischer Zeit, also im 8./9. Jh. (Linnemann 2007, 20). Der Schwerpunkt liegt im 10./11. bis 12. Jh.. An handwerklichen Tätigkeiten sind Weberei,
Schmieden und Eisenverhüttung sowie Bronze- und Bleiverarbeitung nachgewiesen 9. Aus dem 13. Jh. stammt ein Töpferofen, aus dem späten 12. bis
Anfang/Mitte des 13. Jh.s eine Grube mit Töpfereiabfall 10. Der geringe Anteil
der entwickelten grauen Irdenware und das Fehlen von Frühsteinzeug deutet möglicherweise darauf hin, dass die Siedlung schon vor Mitte des 13. Jh.s
(spätestens um 1220/30) verlassen wurde – vorausgesetzt, die südniedersächsische Keramikchronologie ist auf das Wendland zu übertragen (vgl. den
Töpferofen vom Negenborner Weg in Einbeck, Heege 1998, 14; König 2009,
S. 21 ff.) allerdings ist ein weiterer wichtiger Komplex von der Burg Rödersen
bei Wolfhagen bislang vermutlich um 30 Jahre zu spät angesetzt worden). Auf
dem flachen Standboden einiger „slawischer“ Gefäße, die in einem Graben
gefunden wurden, sind z.T. kreuzförmige Marken zu sehen, die vielleicht als
Thomas Küntzel | Der Stadtwall in den Gärten
8
11 Wolf 1958, 30; Ludat 1936, 17, Tabelle Nr. 70A, 212; nach Krüger 1962, 84 ff.
besteht zwar eine Bindung der Kietze an
slawisch-frühdeutsche Burganlagen sowie die Lage im Vorfeld deutscher Stadtgründungen, ein ursprünglich von Fischerei dominiertes Gewerbe ist jedoch
mangels Quellen für das Mittelalter nicht
explizit zu belegen. Immerhin liegen aber
die meisten älteren Kietze in Gewässernähe (wie dies auch in Hitzacker der Fall
wäre), so dass die Ausübung der Fischerei begünstigt wird; vgl. auch Ludat 1936,
79, 96 f., bes. 131 ff. Bemerkenswert ist
das konzentrierte Vorkommen im Kerngebiet der askanischen Mark Brandenburg, Krüger 1962, 99 ff.
12 Linnemann 2007, Katalog und Tafeln 6 a,
b, 9 a, 11, 15, 16; Nikulka/Wachter 1992,
88 ff.; vgl. zur ähnlichen Situation auf
dem Weinberg Wachter 1998 a, 73.
13 Nüsse 2002, 187 mit Abb. 123; sie stammen nach anderen Angaben aus der
Jeetzel, Saile 2007 a, 179 mit Kat. Nr. 135,
266.
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Töpfermarken interpretiert werden können (Nikulka/Wachter 1992). Die
Befunde umfassen Grubenhäuser, eventuell Holzkeller, Brunnen, Wandgräbchen und Drainagegräben, die z.T. auf über 46 m (58 m?) Länge verfolgt
werden konnten und vielleicht Grundstücksgrenzen oder Straßengräben repräsentieren (Linnemann 2009, 155 f.). Die Baureste orientieren sich ungefähr
nach den Himmelsrichtungen und nicht parallel zur heutigen Drawehnertorstraße. Eine gedachte Straßenachse mitten durch das Grabungsareal würde
jedoch genau auf den Platz am Zusammentreffen von Drawehnertorstraße,
dem Weinbergsweg und der Straße Am Langenberg zulaufen. Ein Drainagegraben im Süden des Siedlungsareals war mit holzkohlehaltigem Sand und
vielen Fischschuppen, Gräten und anderem Abfall verfüllt (Nikulka/Wachter
1992, 81 ff.; Linnemann 2007, 45). Auch in anderen Gruben wurden Fischgräten und Fischschuppen beobachtet, was auf die wichtige Stellung des Fischfangs hinweist. Möglicherweise gehört das Areal zu einem slawischen Kietz,
also einer Fischer- und Hörigensiedlung im vorstädtischen Bereich, wie sie
östlich der Elbe, insbesondere im Havelland häufig vorkommen. Nach einer
im 17. Jh. aufgezeichneten Überlieferung soll Hitzacker tatsächlich anfangs aus
einigen Fischerhütten bestanden haben 11. Interessant ist, dass vielfach deutsche und slawische Gefäße nebeneinander auftreten, und zwar wohl seit dem
11. Jh. 12 . Offenbar lebten in Hitzacker Slawen und Deutsche gemeinsam, oder
es erfolgte ein intensiver Austausch, etwa durch Handel (so Wachter 1989,
169). Berndt Wachter stellte zudem Mischformen zwischen „slawischer“ und
„deutscher“ Keramik fest (Wachter 1998 a, 66 ff., bes. 71; Wachter 1999, 106).
Einige Gruben, die für eine „Salzgewinnungsanlage“ in Anspruch genommen
wurden, dienten wohl eher der Gerberei oder stellen eine besondere Form
von Brunnen dar (vgl. Sommerfeld 1992, 168 ff.; kritisch Linnemann 2007, 38,
67 ff.). Angebliche Salzsiede-Keramik daraus gehört in die Bronze- oder frühe Eisenzeit. Hitzacker war also in der slawischen Zeit kein Salzsiedeort, wie
man zeitweise vermutete. Salz könnte aber in der Fischindustrie eine wichtige Rolle gespielt haben. Zwei angebliche karolingische „Kreuzfibeln“ konnten durch Sophie Linnemann als kreuzförmige Riemenverteiler vom Pferdegeschirr bestimmt werden (Linnemann 2007, 52). Parallelstücke stammen von
einer Burg bei Neudorf-Kahlberg, Stadt Weismain auf der fränkischen Alb
(Haberstroh 2000). Als Schmuckanhänger ist die Form in Nordrussland überliefert (Zaitseva 2002, Fig. 3). Ein Kreuzanhänger aus einem spätslawischen
Befund bezeugt die Rezeption christlichen Gedankenguts in der Bevölkerung
(Linnemann 2007, 53 ff.).
IV. Aspekte der Ortsnamenforschung
Angesichts der slawischen Wurzeln überrascht der deutsche Name „Hitzacker“. Wolfgang Laur, Friedhelm Debus und Antje Schmitz deuteten ihn als
„Hiddis Acker“, also Feld des „Hiddi“, einer Abkürzung für Namen wie Hilderich, Hiltbert oder ähnlich (Laur 1960, 240; Schmitz 1999, 84 f.; Linnemann
2007, 72). Ortsnamen mit „Hiddi“ kommen bereits im 8./9. Jh. vor; zu verweisen ist etwa auf Hitzhusen bei Bad Bramstedt, das allerdings erst um 1283 genannt wird. Eine frühe Entstehung des Ortsnamens ist nicht ganz ausgeschlossen, wie die Kartierung früher deutscher Ortsnamen im Wendland zeigt: Es
gibt etwa zwei Dutzend Ortsnamen, die auf -heim, -stedt, -leben oder -ingen
enden, alles Endungen, die in die Völkerwanderungszeit (5./6. Jahrhundert)
zurückreichen (Willroth 1999, 84 f.; Debus 1993, 48 ff.). In der Nachbarschaft
von Hitzacker befinden sich mehrere solcher Orte: Dötzingen, Harlingen,
Metzingen und Sarchem. Für Nebenstedt östlich von Dannenberg ist durch
einen Hortfund mit Goldbrakteaten auch archäologisch eine Besiedlung im
6. Jh. bezeugt. Auch die übrigen archäologischen Zeugnisse aus dem Wendland sprechen für ein Weiterbestehen der Besiedlung in der Völkerwanderungszeit, eventuell mit einer Konzentration auf wenige Zentren (Nüsse 2002,
80 f.; kritisch Saile 2007 a, 179). Am Westhang des Osterberges (etwa in der
Mitte der Bergstraße, oder auf dem Langenberg?) wurden zwei Lanzenspitzen
Thomas Küntzel | Der Stadtwall in den Gärten
9
des 6./7. Jh.s gefunden, die eine sechskantig facettierte Tülle besitzen 13. Die
Tradition der Ortsnamen beweist eine Kontinuität über die slawische Landnahme hinweg. Schon in der römischen Kaiserzeit befand sich in Marwedel
bei Hitzacker ein Gehöft germanischer Großbauern oder von Angehörigen
des „Kriegeradels“, die vielleicht im römischen Reich als Legionäre gedient
hatten und reich in die Heimat zurückkehrten. Ihre Gräber, die 1928 bzw.
1944 entdeckt wurden, enthielten wertvolles Bronzegeschirr, Glas, Münzen
und Terra Sigillata, das „Porzellan“ der Römerzeit. Die Grabungen von HansJörg Nüsse haben die Reste der zugehörigen Siedlung in Form von Grubenhäusern zutage gebracht 14.
Der ursprüngliche, slawische Name des Ortes ist im Drawehnopolabischen
als Lgautzgi überliefert. Er wird von dem Personennamen „Ljutek“ oder „Ljutow“ abgeleitet, den Kurzformen für „Ljutobor“ oder „Ljutomer“ (Schmitz
1999, 85, 116 f.; Schmitz 1993, 112). Falls dies der ältere Name für die Burg und
die Siedlung gewesen ist, könnte er in der Kolonisationszeit durch einen neuen, deutschen Namen ersetzt worden sein (ähnlich wie bei Dannenberg). Andererseits ist auch eine Übersetzung des deutschen Namens denkbar: Der
Name ist nicht weit vom drawehnopolabischen Lgundi für „Acker“ entfernt
(vgl. Olesch 1967, 82) – oder beruht das deutsche „-acker“ auf einem Missverständnis des drawehnopolabischen Namens?
14 Nüsse 2006; Harck 2000, 157; Nüsse
2002, 70, 76, 185 f. (Fundstelle Scharfenberg); Laux 1992; Harck 1972/73, 98 f.,
vgl. auch 113.
15 Kneschke 1973, 386; vgl. Wolf 1958, 17.
Zur Ministerialität in Niedersachsen
Schubert 1997, 378 ff., 403 ff.
16 Schubert 1997, 393; dagegen lässt Gaettens 1937, 1 die Geschichte der Grafschaft
Lüchow erst 1158 beginnen; vgl. auch
Krüger 1874/75, 270; Schulze 1963, 78 ff.
analog hielt Meyer (-Seedorf) 1911, 74 f.
den Beleg für die Grafschaft Dannenberg zu 1145 für unsicher und vertrat die
Auffassung, sie sei erst um 1152–54 eingerichtet worden (allerdings unter dem Paradigma, die Grafschaften gingen auf die
Initiative des großen Kolonisators Heinrich den Löwen zurück); vgl. auch Schulze 1963, 90 f.; das Auftreten der Grafen
von Dannenberg und von Lüchow ist
nicht nur vor dem Hintergrund spezifisch wendländischer Entwicklungen zu
sehen, sondern auch durch die allgemeine Tendenz zur Ausbildung „gräflicher“
Herrschaftsbereiche im Reich zu erklären, vgl. Schubert 1997, 369 ff.; Wachter
1998 a, 140.
17 Vgl. Schniek 2003, 17; zur „Ostpolitik“
Heinrichs des Löwen allgemein auch
Schubert 1997, 431 ff., Schultze 1953.
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Für die Entstehung des Ortsnamens „Hitzacker“ gibt es aber noch eine andere Möglichkeit, die auf eine weitere Verlegung des Ortes Hitzacker schließen lässt. Ansatz dieser These ist der Vergleich mit einem weiteren Ort, Hermannsacker am Südharz. Hermannsacker dürfte durch den Thüringischen
Landgrafen Hermann I. angelegt worden sein, der von 1190 bis 1217 regierte,
also grob um 1200. Der Ortsname Hitzacker könnte demnach ebenfalls recht
jung sein, nicht viel älter als die älteste Erwähnung im Jahre 1162. Aber wo
befand sich „Hiddis Acker“? Das slawische Siedlungsgelände in den LankeGärten lag in der Neuzeit in einer sumpfigen Uferzone, die öfters von ElbeHochwassern heimgesucht wurde. Diese Hochwasser sind mit der Eindeichung der Elbmarschen im 12. und 13. Jh. deutlich angestiegen (Linnemann
2007, 5; Lüdtke 1980/81, 86; Voss 1969, 50). Es wäre also denkbar, dass man
das Niederungsgebiet deshalb verlassen musste und auf die Geesthöhe bzw.
den Hang zwischen Meeschenberg und Osterberg umsiedelte, und dort hätte
dann auch „Hiddis Acker“ gelegen. Das Gelände war zwar eigentlich weniger
siedlungsgünstig, denn es ist teils hängig, teils liegt es oberhalb der lebenswichtigen Wasserquellen. Dafür lässt es sich besser von der Burg auf dem
Weinberg aus kontrollieren, was die Umsiedlung als herrschaftliche Maßnahme erscheinen lässt. Für die Bestätigung dieser These sind jedoch weitere Erkenntnisse zur frühen Siedlungstätigkeit entlang der Jeetzel erforderlich.
Folgen wir der These von der Verbindung des Ortsnamens mit der Geesthöhe zwischen Meeschen- und Osterberg, muss die angenommene Umsiedlung aus der Jeetzel-Niederung auf die Geesthöhe am Meeschenberg
zumindest ansatzweise vorher erfolgt sein. Der 1162 genannte Dietrich von
Hitzacker war ein Ministerialer, d.h. ein unfreier Dienstmann Herzog Heinrichs des Löwen, und Stammvater der langlebigen Adelsfamilie von Hitzacker. Die Ministerialen, aus denen später der Ritterstand hervorging, gewannen im 12. Jahrhundert unter dem Sachsenherzog große Bedeutung für die
Herrschaftsausübung 15. Heinrich der Löwe eroberte ab 1147 weite Gebiete
östlich der Elbe. Eventuell kam es bereits vorher, parallel zu den Kriegszügen
Albrechts des Bären in der Prignitz 1136–38, bzw. 1138/39 bei der Unterwerfung der holsteinischen Wagrier und Polaben, auch zur Durchsetzung deutscher Machtansprüche im Wendland. So ist die Grafschaft Lüchow schon
1144 bezeugt, vielleicht auch die Grafschaft Dannenberg 16. Die herzogstreuen Grafen von Lüchow und von Dannenberg dürften die Feldzüge gegen die
Abodriten, die bis in die 1170er Jahre hinein erfolgten, tatkräftig unterstützt
haben 17. Allerdings besaßen die Grafen von Dannenberg und von Lüchow
Thomas Küntzel | Der Stadtwall in den Gärten
10
Abb. 3: Nordteil des Siedlungskomplexes
Hitzacker mit dem Weinberg und der Bergkirche St. Johannis. Farben und Zahlen wie
Abb. 1.
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Fig. 3: Northern part of the settlement site
Hitzacker featuring the Weinberg and the hill
church St. Johannis. Numbers/colours comp.
fig. 1.
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auch Lehen der askanischen Markgrafen von Brandenburg. Die Grafen von
Dannenberg stammen sogar aus deren Herrschaftsbereich, denn sie waren
Vögte in Salzwedel. Sie könnten bereits Ende der 1130er Jahre in das Wendland gekommen sein, während der Slawenfeldzüge Albrechts des Bären 18.
Im Unterschied zu Dannenberg und Lüchow blieb die Burg Hitzacker aber
in unmittelbarer Verfügungsgewalt Heinrichs des Löwen. Neben dem Ministerialen Dietrich von Hitzacker amtierte 1169 und 1171 ein herzoglicher Burgvogt Heinrich in Hitzacker. Ähnliche Burgvögte vertraten die Welfen auch in
Lüneburg, Bardowick und Artlenburg, wobei der Vogt von Hitzacker 1169 in
einer Zeugenreihe sogar vor dem Vogt von Lüneburg genannt wird, ihm also
zumindest rangmäßig ebenbürtig war 19.
18 Zillmann 1975, 156 ff.; Meyer (-Seedorf)
1911, 73 ff.; vgl. Partenheimer 2007, 66 ff.;
Saile 2007 a, 73 f.
19 MGH DD Heinrich der Löwe, Nr. 81, Nr.
89, 90, 91. Nach Gerhard Streich gehörten die Burgvögte zur Familie der Herren
von Hitzacker (Streich 1995, 490). Dafür
spricht, dass Burggraf Heinrich 1171 zu
den Ministerialen gerechnet wird.
20 Saile 2007 a, 72 ff., 212 ff.; allgemein
Gringmuth-Dallmer 2006; Schniek
2003, bes. 17 ff., 146 ff.; Schubert 1997,
554 ff.; Wachter 1998 a, 141 f.; Meibeyer
1964, 1991, 2001; Partenheimer 2007, 78.
21 UB Mecklenburg I, Nr. 150; Zillmann
1975, 160; Enders 1996, 36 f. (demnach
soll die Übertragung der Gebiete an die
Grafen von Dannenberg schon 1142 erfolgt sein); Meyer (-Seedorf) 1911, 86.
22 Enders 1996; Partenheimer 2007, 78 ff.;
vgl. aus archäologischer Sicht Kirsch
2005; Schniek 2003.
23 Vgl. zu Schartau Roessle 2006, 312; zur
ähnlich dimensionierten Dorfkirche von
Winnefeld im Solling Stephan 2007, 218 f.,
226 ff.
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Bei der Neustrukturierung des Wendlandes im 12. Jh. spielte die deutsche
(und slawische) Kolonisation eine wichtige Rolle 20.In den nordwestdeutschen Küstengebieten und in Westfalen wurden ab Mitte des 12. Jh.s verstärkt
Siedler angeworben, etwa 1162 für die Grafschaft Ratzeburg (das spätere Herzogtum Lauenburg). 1190 überließ der Ratzeburger Bischof den Grafen von
Dannenberg die Länder Jabel und Weningen nördlich der Elbe zur Kolonisation mit deutschen Siedlern 21. Damit einher ging die intensive christliche Mission sowie die Errichtung von Pfarrkirchen (Wachter 1998 a, 137 f.; Michael
2001). Eine ähnliche Situation gab es in der Prignitz, in Brandenburg und den
übrigen Ländern östlich der Elbe. Dort wie im Wendland herrschte damals
quasi „Goldgräberstimmung“ 22 .Verglichen mit den übrigen ostelbischen
Landschaften blieben Wendland und Prignitz aber relativ isoliert, was das
Fortbestehen slawischer Siedlungselemente begünstigte (Saile 2007 a, 73).
Wohl im 12. Jh. wurde am Meeschenberg gegenüber der Weinbergburg
eine große Feldsteinkirche errichtet, die sogenannte „Bergkirche“ St. Johannis (Abb. 3, 4). Sie wurde Ende der 1950er Jahre unter Leitung von Siegmund
Wolf teilweise ausgegraben. Es handelt sich um eine Saalkirche von über 35
m Länge und 9,20 m Breite (Wolf 1958, 21; Wachter 1998 a, 24). Die spätere
Stadtkirche St. Johannis im Tal ist um 3 m kürzer, wobei der heutige Bau allerdings erst nach dem Stadtbrand 1668 entstand. Die Bergkirche übertrifft auch
alle vergleichbaren Dorfkirchen in der Altmark und den Gebieten östlich der
Elbe: die sehr stattliche Kirche von Dambeck südlich von Salzwedel misst z.B.
nur 32 m in der Länge; die Kirche von Schartau nördlich von Magdeburg erreicht mit einem später angefügten Turm 36,40 m 23. Anders als in Dambeck
fehlte in Hitzacker der Turm. Die noch erhaltene Westmauer der Bergkirche
ist nur etwa 1,30 m dick, während Turmmauern von Feldstein-Dorfkirchen
oft 2 m mächtig sind (insbesondere, wenn das Erdgeschoss eingewölbt war,
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11
Abb. 4: Rekonstruktion der „Bergkirche“ St.
Johannis.
Fig. 4: Reconstruction of the hill church St. Johannis.
24 Vgl. Wolf 1958, 21 f., der aber eine Quelle
von 1400, die von „der von Hydsacker
Kercken up den Berge“ spricht, auf die
Bewohner der Stadt Hitzacker bezieht.
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Roessle 2006, 46). Wahrscheinlich besaß die Bergkirche einen zierlichen Giebelturm. Solche Giebeltürme kommen recht häufig im Raum Magdeburg und
im Fläming vor. Sie bestehen nur aus einer Mauerzunge auf der Spitze des
Giebels und einem dahinter gesetzten Glockenhaus in Fachwerk. Nicht selten
hat man sie später mit einem „richtigen“ Turm umbaut, so dass sich der romanische Giebel samt Turm im Mauerwerk erhalten hat, etwa bei der Kirche von
Zeddenick (Roessle 2006, 68 f.). Der Bau eines großen Westquerturmes war
nicht zuletzt eine Kostenfrage; sein Fehlen in Hitzacker könnte aber auch damit zusammenhängen, dass man gegenüber der Weinbergburg kein höheres
Gebäude haben wollte, das Angreifern als Stützpunkt dienen konnte. Die zunächst ebenfalls ohne Westquerturm konzipierte Kirche von Schartau dürfte
schon um 1156 errichtet worden sein. Auch in der Mark Brandenburg entstanden viele Dorfkirchen in den 1160–70er Jahren (Cante 2009, 286 mit Anm.
18). Ein derart frühes Baudatum ist auch bei der Kirche in Hitzacker denkbar:
1162 ist mit Dietrich von Hitzacker der erste, namentlich bekannte Bewohner
von Hitzacker bezeugt. Die Herren von Hitzacker betrachteten die Bergkirche im 14. Jahrhundert als ihre eigene Hauskirche 24. Sie war aber wohl nicht
der älteste Kirchenbau in Hitzacker. Siegmund Wolf zufolge ruhten die Mauern auf älteren Bestattungen, die vielleicht zu einer Holzkirche gehörten. Ein
Wehrturm, den Siegmund Wolf vermutete, wird dort jedoch nicht gestanden
haben. Die erste Kirche oder Kapelle errichtete vielleicht der christliche Slawenfürst Gottschalk, der in Oldenburg, Alt-Lübeck, Mecklenburg und Lenzen
residierte, aber 1066 von heidnischen Rivalen ermordet wurde. Zwei Buchbeschläge von der Burg auf dem Weinberg betrachtete Ingo Gabriel als Belege
für ein örtliches Skriptorium, denn die Beschläge sind „werkstattfrisch“ und
nicht an einem bereits fertigen Buch in die Burg gekommen (Gabriel 1991).
Der Slawenfürst Gottschalk war im Michaeliskloster in Lüneburg ausgebildet
worden und gründete um die Mitte des 11. Jh.s zahlreiche Kirchen und Klöster, unter anderem in Lenzen (Schubert 1997, 175 f.). Hierfür benötigte er viele
liturgische Handschriften, die vielleicht zum Teil auf dem Weinberg hergestellt wurden. Ob der erste Sakralbau daher auf dem Meeschenberg stand
oder in der Burg, ähnlich wie in Oldenburg (Holstein) und Alt-Lübeck, bleibt
der Spekulation überlassen. Neuen Anschub erhielt die Christianisierung erst
wieder mit der Aussendung des Missionars Vicelin durch Herzog Lothar 1126.
Aber die christliche Lehre wurde nur zögerlich aufgenommen; besonders im
13. Jahrhundert lassen sich durch archäologische Grabungen auf Gräberfeldern abergläubische Praktiken nachweisen, wie die Sitte des Charonspfennigs (Saile 2007 a, 75; Peters 1966, 229 ff.; Berghaus 1966). Viele wendländische Dorfkirchen scheinen nach neuen Dendrodaten erst nach 1300 errichtet
worden zu sein, etwa 1305 jene in Zeetze (Wübbenhorst 2006). Dem Bau der
Bergkirche kommt demnach eine besondere Bedeutung zu. Vorsicht ist allerThomas Küntzel | Der Stadtwall in den Gärten
12
dings bei der Klassifizierung der Kirche als „Dorf-“ oder „Stadtkirche“ geboten. S. Wolf erkannte zwar bereits, dass die Johanniskirche auf dem Berge größer ist als die Johanniskirche in der späteren Stadt, sah in ihr aber doch eine
„regelrechte Dorfkirche“ (Wolf 1958, 21). Man sollte jedoch bedenken, dass
auch andere, städtische Siedlungen des 11./12. Jh.s anfangs eher bescheidene
Saalkirchen besaßen, wie Altencelle oder Verden (von Lührte 2000; Boeck/
Marschalleck 1965–69, 72).
V. Hitzacker zwischen Welfen und Askaniern
Herzog Heinrich der Löwe wird 1180 in einem spektakulären Gerichtsverfahren entmachtet und sein Herrschaftsbereich zwischen dem Kölner Erzbischof und dem askanischen Fürsten Bernhard von Anhalt aufgeteilt. Der
Erzbischof erhielt Westfalen (mit Engern), Bernhard Sachsen. Die wendländischen Grafen von Dannenberg, von Lüchow sowie die Grafen von Schwerin
und von Ratzeburg huldigten 1182 in Artlenburg dem neuen Herzog Bernhard
(Marcus 1993, 105 ff.). Bernhard war aber letztlich ebenso wenig wie der Kölner Erzbischof in der Lage, die Herrschaft in den ihm unterstellten Gebieten
wirklich durchzusetzen. Hierzu fehlten ihm die unmittelbaren Herrschaftsstützpunkte, die weiterhin die Welfen besetzt hielten. Das sächsische Herzogtum zerfiel aufgrund dieses Machtvakuums in eine ganze Anzahl kleinerer
Herrschaften, insbesondere in der Peripherie, entlang der Weser, die deshalb
bald als „freier Strom der Grafen“ galt, und zwischen Harz und Elbe (Schubert
1997, 525 ff.). Auch die Grafen von Dannenberg und von Lüchow erreichten
eine gewisse Unabhängigkeit.
25 MGH Script. rer. Germ. 32, Helmold von
Bosau (1937), 3. Buch, 4. Kapitel; vgl. zu
diesem Ereignis Schubert 1997, 490.
26 Dass eine städtische Entwicklung Hitzackers im späten 12. Jh. nicht ausgeschlossen ist, zeigt ein Vergleich mit Lüchow
und Werben in der Altmark: Lüchow
wird auf einem Brakteaten der Zeit um
1200 als „civitas Wernerus“ bezeichnet,
Gaettens 1937, 16 ff.; in Werben, das 1225
als „civitas“ (Stadt) von Bürgern („burgenses“) bewohnt war, ist archäologisch
schon für die 1170er/80er Jahre die Anlage von Bohlenwegen nachgewiesen,
Gildhoff 2006.
27 Wolf 1958, 23. Die Zahl von 20 Hufen erscheint relativ gering, nimmt man
die Ausstattung der wendischen Bistümer Ratzeburg, Oldenburg und Schwerin zum Vergleich: Sie erhielten (theoretisch) je 300 Hufen, in der Praxis aber
auch weniger, Schubert 1997, 441.
28 Leibniz 1711, 626 ff., Nr. 144, 145, 852 ff.,
Nr. 351, 352; Schubert 1997, 495 f.; Pischke 1987, 12 ff.; Meyer (-Seedorf) 1911, 90.
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Hitzacker scheint in dieser Situation erneut eine Sonderrolle zugekommen
zu sein. Wenn wir dem Chronisten Arnold von Lübeck Glauben schenken,
zog Kaiser Friedrich Barbarossa es nach der Verurteilung Heinrichs des Löwen zunächst ein. Hitzacker besaß damit vorübergehend den Status einer
Reichsburg. Schon bei dem Huldigungstag in Artlenburg 1182 gab Friedrich
Barbarossa Hitzacker aber wieder aus der Hand, und zwar im Tausch gegen
Lübeck, das Herzog Bernhard von Anhalt damals eigentlich gerne bekommen
hätte 25. Hitzacker muss also ein akzeptables Äquivalent für die aufstrebende Hafenstadt an der Trave gewesen sein, selbst wenn Barbarossa noch 20
Hufen drauflegte – soviel wie ein mittelgroßes Dorf im Altsiedelland zählte.
Dieser Tausch unterstreicht nachhaltig die strategische und ökonomische Bedeutung Hitzackers in dieser Zeit 26. Die zusätzlichen Hufen sollten eventuell
die wohl schon damals kleine Ortsgemarkung ergänzen, die mit 331 Hektar
einem kleineren Dorf entspricht 27.
Schaut man auf die politische Landkarte des 13./14. Jh.s, wird klar, dass
Hitzacker auch für die Askanier bedeutsam sein musste: Ihre Besitzungen im
Lauenburgischen bzw. in der Grafschaft Ratzeburg lagen weitab der askanischen Kernlande um Wittenberg und Bernburg, und so war jeder Stützpunkt
auf dem Wege dazwischen willkommen. Die Brandenburgischen Askanier
hatten sich 1170 mit der Teilung unter Herzog Bernhard und seinem Bruder
Otto abgespalten und blieben seitdem eigenständig. Sie besaßen aber natürlich auch ein Interesse an dem strategisch wichtigen Burgplatz an der unteren Jeetzel, denn Hitzacker lag unmittelbar vor den Toren ihrer Handelsstadt
Salzwedel.
Die Kinder Heinrichs des Löwen hielten allerdings an ihren Ansprüchen im
Wendland fest. Als die drei Brüder Pfalzgraf Heinrich, König Otto IV. und Wilhelm 1202 die Güter der Familie unter sich aufteilten, wurde Hitzacker Wilhelm zugesprochen, der seine Residenz in Lüneburg nahm 28. Wie Hitzacker
wieder in den Besitz der Welfen gekommen war, ist nicht nachvollziehbar, aber
der Herrschaftswechsel wurde offenbar von Bernhard von Anhalt akzeptiert:
sein Sohn Albrecht I. unterstützte offen König Otto IV (Steudener 1895, 9 f.;
Thomas Küntzel | Der Stadtwall in den Gärten
13
Mundhenke 1953). Nach dessen Tode wechselten die Askanier allerdings zeitweise zur staufischen Partei. 1201/02 hatten überdies die Dänen unter König
Knud sowie die Fürsten Heinrich Borwin und Nikolaus Holstein einschließlich Lübeck und Lauenburg erobert, wodurch Hitzacker an der Grenze des
deutschen Reiches zum dänischen Ostseereich zu liegen kam (Gaethke 1994,
84 ff.; vgl. Meyer [-Seedorf] 1911, 91, 95 f.). Das weiterhin expansive Vorgehen
Dänemarks führte 1223 zur Gefangennahme des dänischen Königs Waldemar
II. durch den Grafen Heinrich von Schwerin, der ihn auf der nahe gelegenen
Burg Dannenberg inhaftierte (Gaethke 1996, 8; Meyer [-Seedorf] 1911, 97 ff.;
Grundmann 1954, 357; Biermann 2007, 572 ff.). Kaiser Friedrich II. forderte
schließlich für die Freilassung, dass Waldemar Nordalbingien räumen und
die deutsche Lehnshoheit anerkennen solle. Dessen Versuch, dieses Schicksal durch militärische Mittel abzuwenden, scheiterte vor Bornhöved (Gaethke
1996, 37; Neumeister 2001, 47; vgl. Steudener 1895, 32 ff.). Hierbei geriet aber
Otto das Kind in Gefangenschaft. Um sich aus der Gefangenschaft auszulösen, musste er 1229 Hitzacker Herzog Albrecht I. von Sachsen überlassen 29.
Weder die Dänen noch die Welfen gaben allerdings ihre Besitzansprüche
auf: Letztere versuchten, Hitzacker zurückzuerlangen, die dänischen Könige,
ihre Herrschaft bis an die Elbe auszudehnen – dieser Konflikt wirkte sich bis
weit in das 14. Jh. hinein auf die Entwicklung von Hitzacker aus.
Nach der Erhebung der Welfen zu neuen Herzögen in Braunschweig und
Lüneburg 1235 intensivierten diese die Rückerwerbung verloren gegangenen Machtbereiche (Zillmann 1975; Patze 1971). Auch die alten Ansprüche
an Hitzacker wurden wieder ausgegraben. Im Februar 1258 einigten sich die
Welfen und die askanischen Herzöge von Sachsen erneut über die Burg Hitzacker, die Marschen entlang der Elbe, außerdem über Bleckede und Artlenburg. In der Urkunde wird eigens betont, dass der braunschweigische Herzog
Albrecht I. dem askanischen Herzog Albrecht I. (seinem Schwager) schon seit
längerem damit in den Ohren lag. Fürderhin versprachen die braunschweigischen Herzöge, von allen Aktionen gegen und Forderungen an Hitzacker
abzusehen. Dies lässt darauf schließen, dass es zu Handgreiflichkeiten gekommen war, in deren Zuge auch eine Befestigung der Siedlung am Meeschenberg durch den Landgraben plausibel erscheint. Da die Angriffe der
Welfen und ihrer Verbündeten offenbar andauerten, entschlossen sich die
Askanier schließlich, Hitzacker auf die Insel an der Jeetzelmündung zu verlegen. Eine Inselfestung war mit damaligen Waffen nur schwer zu bezwingen:
Ein Reiter konnte die breite Jeetzel nicht einfach so überspringen, die Ritter
in ihren schweren Panzern waren zu unbeweglich zum Hinüberschwimmen,
und mit Belagerungstürmen oder Miniertunneln konnte man ihr auch nicht
beikommen.
29 MGH Dt. Chroniken 2, Sächs. Weltchronik, 248; vgl. Meyer (-Seedorf) 1911, 113;
Steudener 1895, 47 ff.
30 Möglicherweise erklärt dies auch die geringe Ausdehnung der Stadtgemarkung,
vgl. Wolf 1958, 23: Sie umfasst nur 331 ha
(Dannenberg: über 781, Lüchow: über
779 ha). Die Askanier konnten eventuell zur Zeit der Stadtgründung nicht über
das Land von Dötzingen verfügen, das
sie Hitzacker hätten zuschlagen müssen.
31 „Cum Ciuitatem sub monte sitam, magnis
laboribus et expensis, vltra yesnam construxerunt“,– „als sie [die Bürger] die unter
dem Berge gelegene Stadt mit vielen Mühen jenseits der Jeetzel errichteten“ UB
Braunschweig (Hzge.) I, Nr. 65; vgl. in diesem Sinne schon Mithoff 1877, 95.
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VI. Hitzacker als "Stadt"
In der Schlichtungsurkunde zwischen Welfen und Askaniern von 1258 werden die Stadt Hitzacker und ihre Bürger nicht erwähnt (im Unterschied zu Bleckede und Artlenburg, die als „oppida“, lat. Stadt, Flecken bezeichnet werden,
und Witzenhausen und Allendorf, die sogar das Prädikat „civitas“ erhielten),
weshalb man lange dachte, dass die Stadt erst danach gegründet worden
sein kann. Allerdings wird in mittelalterlichen Urkunden nicht immer alles
erwähnt, was dem Historiker aus heutiger Sicht wichtig erscheint. Wenn die
Stadt damals als askanische Gründung verstanden wurde, hätten die Welfen
keine Anrechte daran gehabt. Das „oppidum“ Bleckede war 1209 von ihnen
selbst als „Löwenstadt“ mit Stadtrechten ausgestattet worden; für Artlenburg
ist die Urkunde von 1258 der erste Beleg als Stadt 30. In der Urkunde von 1269
werden die Bewohner von Hitzacker ganz selbstverständlich schon vor der
Stadtverlegung als „Bürger“ klassifiziert, was jedoch einfach ungenau formuliert sein kann 31. Sollte das Auflassen der Siedlung an den Lanke-Gärten mit
der Befestigung der Kernsiedlung innerhalb des Landgrabens einhergeganThomas Küntzel | Der Stadtwall in den Gärten
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gen sein, lässt dies auf die Befestigung in den 1220er/30er Jahren schließen
(um 1229/30?). Die Lesefunde von der Adler-Apotheke sprechen für einen
späteren Zeitansatz der Siedlungstätigkeit innerhalb des Landgrabens bzw.
westlich der Jeetzel unter dem Langenberg, was mit dieser Deutung übereinstimmen würde. Die nach der Verlegung an die Bürger vergabten Privilegien
müssen nicht das erstmalig verliehene „Stadtrecht“ sein, sondern es handelt
sich, soweit in der Urkunde benannt, um steuerliche und Zollvergünstigungen, die die finanziellen Einbußen und Aufwendungen für die Übersiedlung
kompensieren sollen. Andererseits ist aus der Bezeichnung als „civitas“ nicht
notwendigerweise auf eine Befestigung zu schließen – und somit auch nicht
auf die Existenz des „Landgrabens“ als Stadtwall. Die Stadt Celle, die erst 1292
von Altencelle an die Stelle der späteren Altstadt verlegt wurde, war bis zu
diesem Zeitpunkt ebenfalls unbefestigt, wie die Untersuchungen 2007 und
2008 ergaben (Küntzel 2010). Die neue Siedlung auf der Jeetzelinsel war allerdings schon aufgrund ihrer Lage im Fluss leicht zu verteidigen.
Die Inselstadt bestand nach den Forschungen von Siegmund Wolf aus einem bürgerlichen Teil im Süden und einer mit Adelshöfen bestandenen Insel im Norden (Wolf 1958, 25 ff.). Der südliche und der nördliche Teil wurde
den durch einen Graben, die Hunte, voneinander getrennt. Dieser Graben
ist erst im Dreißigjährigen Krieg zugeschüttet worden. Die „Bürgerstadt“ soll
nach Wolf 49 Hofstellen umfasst haben. Dies wird aus der Anzahl an Berechtigungen in der Stadtfeldmark erschlossen. Die meisten Grundstücke lagen
in Form von „Handtuchparzellen“ an der Elbstraße und der Hauptstraße.
Einige kleinere Grundstücke befanden sich auf dem schmalen Streifen zwischen den beiden Straßen, darunter der Platz des einstigen Rathauses. Es
stand dem Zollhaus gegenüber. Die These, dass dieser Baublock ursprünglich
zum Marktplatz gehörte und erst später bebaut wurde, verwarf Wolf mit dem
Hinweis auf die Zahl der „ursprünglichen“ Hausstellen, die aber erst in der
Neuzeit greifbar werden. Berücksichtigt man die lange Zeitspanne seit dem
13. Jahrhundert, ist aber eine nachträgliche Bebauung dieses Geländes durchaus denkbar. Im Südosten der Stadt befand sich eine Burg bzw. das spätere
Schloss (Wolf 1958, 32 ff.). Es war zunächst relativ klein, wurde aber im 16.
Jh. durch Hinzunahme von Bürgerparzellen stark erweitert, bis es mit seinen
Nebengebäuden fast das gesamte Eckquartier einnahm. Nach der Zerstörung
des Schlosses wurde ein Teil des Geländes wieder mit Bürgerhäusern bebaut,
wodurch die Rosenstraße, die Marienstraße und die Brauhofstraße entstanden. S. Wolf vertrat weiterhin die Ansicht, das Drawehnertor im Süden der
Stadt habe ursprünglich weiter östlich gelegen, in gerader Verlängerung der
Elbstraße. Erst im Zuge der Schlosserweiterung sei es an die spätere Stelle verlegt worden. Für diese Theorie gibt es jedoch keine weiteren Hinweise, und
angesichts der Anbindung der Hauptstraße an die südlich sich fortsetzende
Landstraße ist eine solche Position auch ziemlich unwahrscheinlich – die Elbstraße hätte dann geradewegs in die Jeetzel-/ Lankeniederung geführt. Die
Ausrichtung der Befunde in den Grabungsflächen „Lanke-Gärten“ spricht
auch eher dafür, dass der Hauptplatz der Siedlung ursprünglich direkt südlich
der heutigen Jeetzel-Brücke gelegen hat (s.o.).
Die Bewohner der neuen Stadt verfügten 1271 über ein Siegel, bildeten also
eine rechtsfähige Gemeinde (UB Mecklenburg II, Nr. 1219; vgl. Thurich 1969,
182 ff.; Wolf 1958, 39). Zwei Adelige, Jerrich van Berskamp und Heinrich von
Wittenlog verwendeten damals in Ermangelung eines eigenen Siegels dasjenige der Stadt. 1289 gaben die Ratsherren von Hitzacker eine Erklärung über
das Erbe eines gewissen Ghyseke Knolle ab, was auf ihre Funktion als Schiedsrichter in Erbfragen hindeutet, einem wichtigen Bereich des Stadtrechtes (UB
Hamburg I, Nr. 849). Fünf Ratsherren werden sogar namentlich aufgezählt, und
dazu neun Bürger, teilweise mit Berufsangaben. Die Bürger gehörten vielleicht
im Vorjahr dem Rat an, dessen Mitglieder, wie andernorts üblich, regelmäßig
ausgetauscht worden sein dürften. Unter den Ratsherren befand sich ein Bäcker Martin, unter den weiteren Zeugen ein Schneider Heinrich, ein Fleischer
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Thomas Küntzel | Der Stadtwall in den Gärten
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Herrmann und ein Schmied Johann. Ein weiterer Heinrich (oder seine Vorfahren) stammte offenbar aus Hameln, und die Beinamen zweier Bürger lassen
auf slawische Herkunft schließen: Eckhard „Swobiz“ und Johann „Swolnic“. Die
Namen verweisen eventuell auf einen slawischen Stamm jenseits der Elbe: die
polabischen Smolinzer oder Smeldinger, die zwischen Dömitz und Boizenburg
siedelten (von russisch „swolotsch’“, Gauner, wird man den Beinamen kaum
ableiten wollen, allenfalls noch von „smola“, Teer, oder der Lerche, drawenopolabisch „Sswörnack“ bzw. dem Schwein, polabisch svainą) 32. Ein Ratsherr
Heinrich wurde nach seinem Vater, einem Johann Rutcheres bezeichnet; dessen Beiname, Rutcheres, ist ebenfalls von einem Vornamen, Rüdiger oder Rotger abgeleitet. Den gleichen Namen, nur in einer Verkleinerungsform, trägt der
Ratsherr Rottheke (vgl. Gottschald 2006, 260 ff.; Cascorbi 1933, 266 ff., 410).
Auch der Beiname eines Bürgers Heinrich, „Voco“ dürfte von einem Vornamen
abstammen, Volker bzw. Fulculf. Im Friesischen ist Focko noch ein geläufiger
Name (Gottschald 2006, 509; Brechenmacher 1960–63, 481; Cascorbi 1933,
203 f.). Der Name Bernhard „Swerze“, vom Mittelhochdeutschen „swinde,
swint“, bedeutet soviel wie „stark, kräftig, schnell (geschwinde)“ (Gottschald
2006, 484, 453; Cascorbi 1933, 471). Ein weiterer Beiname, Dusere, taucht
sowohl unter den Ratsherren (Heinrich D.) als unter den Bürgern (Herrmann
D.) auf und hat demnach schon die Qualität eines Familiennamens erreicht. Er
bedeutet „ungeduldiger Mensch“ oder „still, schüchtern“. Der Name ist auch
in Stendal und Tangermünde bezeugt, was möglicherweise auf familiäre Kontakte hinweist (Brechenmacher 1960–63, 367; UB Brandenburg, Register 1, 388;
Gottschald 2006, 164). In das Nordharzvorland deutet auch eine Bronzeschmuckscheibe von der Burg auf dem Weinberg hin; falls sie nicht über die
Elbe eingehandelt wurde, dürfte sie auf Kontakte der Herren von Hitzacker zu
anderen welfisch-askanischen Herrschaftsträgern zurückgehen 33.
VII. Hitzacker ab dem 13. Jahrhundert
32 Vgl. zu den „Smolinzern“ Meyer (-Seedorf) 1911, 71; zum Drawenopolabischen
Olesch 1967, 81; Polański/Sehnert 1967,
142.
33 Wachter 1998 a, 93; der Adel im Wendland betätigte sich nachweislich im
13./14. Jh. aktiv als Kaufhändler, vgl. Meyer (-Seedorf) 1911, 127.
34 Die Einschätzung Wachters, mit der
Stadtverlegung 1258 habe der Niedergang von Burg und Stadt begonnen, wird
den Quellenzeugnissen nicht gerecht,
Wachter 1998 a, 142.
35 Mohrmann 1975, 22 ff., bes. 24; Meyer (-Seedorf) 1911, 141 f.; von Kobbe 1836–
37, Teil 2, 18 ff.; zu Johann II. Koppe 1974 b;
von Heinemann 1969 (1881).
36 Vgl. Busch o.J. 32. Um 1340 gehörte die
Burg Herzog Erich I. von Sachsen-Lauenburg, dem sie als Alterssitz diente (von
Kobbe 1836–37, 80).
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Nach dem Tod Herzog Albrechts I. von Sachsen 1260/61 rückte Hitzacker erneut gegen Ende des 13. Jh.s in das Zentrum der norddeutschen Territorialpolitik 34. Seit 1285 war die Burg Sitz des Ritters Herrmann Ribe, der nach dem Tod
Herzog Johanns I. von Sachsen-Lauenburg durch dessen Bruder Albrecht II. von
Sachsen-Wittenberg zum Vormund für die Söhne Johanns, Johann II. und Albrecht III. eingesetzt worden war 35. Herzog Albrecht II. kümmerte sich selbst nur
wenig um das Herzogtum, sondern hielt sich vor allem am Hofe König Rudolfs
von Habsburg auf, seinem Schwiegervater, dem er als Reichserzmarschall diente. Herzog Albrecht II. zählte damals zu den mächtigsten Männern des Reiches.
Er war seit 1277 Reichsvikar für Norddeutschland und zeitweise Verwalter des
Kaisers in Lübeck, ein finanziell sehr einträgliches Amt (vgl. von Freeden 1931,
86 f.; Mohrmann 1975, 45 ff.; Krieger 2003, 125). Herrmann Ribe genoss als sein
Truchseß, d.h. Verwalter und Stellvertreter große Freiheiten. Er nutzte sie vor allem im Interessen des relativ mächtigen, lauenburgischen Adels gegenüber den
umliegenden Städten. Viele Adelige in Lauenburg und Mecklenburg waren bei
Lübecker Bürgern verschuldet und wurden von der Stadt im Zuge ihrer Expansionspolitik unter Druck gesetzt (vgl. Schulze 1957, 43 ff., 59 ff.; Münch 1992, 30 f.).
Herrmann Ribe errichtete neue Burgen und erhob Zölle an Handelswegen und
auf der Elbe. Sein Name hat sich noch in der Riepenburg bei Hamburg erhalten,
für die er 1289 als Besitzer genannt ist 36. Der Burg Hitzacker brachte Ribes Politik
bald den Ruf eines Raubritternestes ein. 1291 wurde Hermann Ribe mit seinen
Verbündeten gefangen, aber wieder freigelassen, nachdem er den Abriss etlicher Burgen versprochen hatte (UB Mecklenburg III, Nr. 2104; vgl. Schulze 1957,
S. 45; Struve 1983). Sein Verwandter, Peter Ribe, war 1288/89 gehängt worden
(UB Mecklenburg III, Nr. 2036; Schulze 1957, Anm. 108; von Kobbe 1836–37, Teil
2, 21.
Die Klagen der Städte mögen begründet gewesen sein, aber man muss
auch bedenken, dass der Vorwurf des „Raubrittertums“ ein beliebtes Mittel
Thomas Küntzel | Der Stadtwall in den Gärten
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zur Denunzierung politischer Gegner war. Der Stadt Lübeck waren die vielen
herzoglichen Zollstellen und Burgen natürlich ein Dorn im Auge. Auch Herzog Otto von Lüneburg kämpfte anfangs gegen den „Raubritter“ Ribe. Schon
bald, 1306, erscheint aber ein Heinrich von Ribe unter den Rittern Ottos, übrigens neben Jordanus von Hitzacker 37. Man nahm es also mit dem Prädikat
„Raubritter“ nicht so genau; auch viele Städte nahmen ehemalige Raubritter
gerne in ihre Wachmannschaft auf, wenn sie die Seite gewechselt hatten. Die
„Detmar-Chronik“, die wohl Ende des 14. Jahrhunderts von dem Lübecker
Rats-Chronisten (!) und Franziskaner-Lesemeister geschrieben wurde, urteilt
dementsprechend sehr positiv über den Ritter Ribe (Detmar-Chronik, 371 Nr.
378):
„he was wis, vrome unde milde, des so denede eme manich riddere unde
knecht under sime schilde; zo welik vorste ene hebben mochte to sinen orloghe, de was vil vro“.
Damit werden Herrmann Ribe gleich mehrere Kardinaltugenden der Ritterlichkeit zugeschrieben: politische Klugheit, religiöser Eifer und Mildtätigkeit
gegenüber seinen Untergebenen, außerdem kriegerischer Erfolg und eine
große Anhängerschaft.
37 UB Brandenburg C, 3, Nr. 14, 15. Zum Begriff „Raubritter“ Schubert 1997, 649. Kaiser Karl IV. brandmarkte 1375/76 auch
das damals lüneburgische Schloss Dannenberg als Raubschloss, was die askanischen, gerade in den Erbfolgekrieg mit
Herzog Magnus von Braunschweig verwickelten Askanier im Bunde mit Lübeck
umgehend zu dessen Zerstörung nutzten.
38 Schon im August 1308 führte der Ritter
Gottschalk Ribe eine Gesandtschaft der
Herzöge Johann II. und Albrecht III. von
Sachsen-Lauenburg an, die ein Wahlbündnis mit dem Kölner Erzbischof zugunsten des Kandidaten Heinrich von
Luxemburg abschloss, Mohrmann 1975,
32 f. Es handelt sich um eine politisch
eminent wichtige Mission, die ein großes Vertrauen der Herzöge in Gottschalk
Ribe bezeugt.
39 UB Brandenburg A, 8, Nr. 133; vgl. allgemein Assing 1995, 96 ff.; Schultze 1961 a,
212 ff.; Mohrmann 1975, 34 f.; Escher
1999; von Heinemann 1970 (1886). Die
Exkommunikation erfolgte, nachdem
Markgraf Otto widerrechtlich in Gebieten der Bistümer Brandenburg und Havelberg Steuern erheben wollte.
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Das Blatt der Ribes wendete sich 1295/96, als die Vormundschaft Herzog Albrechts II. für seine Neffen endete. Sachsen-Lauenburg wurde nun ein eigenständiges Herzogtum (Mohrmann 1975, 5 ff.; Schulze 1957, 28). Die Herzöge
Johann II. und Albrecht III. verfolgten im Gegensatz zu Hermann Ribe eine
stadtfreundliche Politik, erteilten Lübeck sogleich großzügige Privilegien und
stießen deshalb mit Ribe aneinander, der nicht auf seine mächtige Stellung als
Verwalter des Landes verzichten wollte (von Kobbe 1836–37, 35; Meyer [-Seedorf] 1911, 142). 1296 kam es zu einer großen Belagerung der Burg Hitzacker.
Unter den Belagerern fanden sich auch der Landfriedensrichter Markgraf
Otto von Brandenburg, Herzog Otto von Lüneburg und Markgraf Herrmann
von Brandenburg. Sie nutzten die Gelegenheit, ihren frischgebackenen herzoglichen Nachbarn, dem gerade mündig gewordenen Johann und dem erst
elfjährigen Albrecht, zu Hilfe zu eilen, und teilten bei diesem Anlass die Burg
unter sich auf (UB Braunschweig [Hzge.] I, Nr. 146; UB Brandenburg C, 3, Nr. 7;
von Freeden 1931, 89). Die Belagerung läutete einstweilen das Ende der Ribes
in Hitzacker ein. Herrmann Ribe der Ältere starb bald darauf, und sein Sohn
Herrmann der Jüngere musste 1298 aus der Burg Glasin vor den Herzögen
flüchten (von Kobbe 1836–37, Teil 2, 32 f.). Wie angedeutet, war dies nicht das
Ende der Familie schlechthin; lediglich in Sachsen-Lauenburg mussten sie vorübergehend ihre Positionen räumen 38.
An der schwachen Stellung der Herzöge von Lauenburg gegenüber ihren
mächtigen Nachbarn, die sich bei der Belagerung offenbart hatte, änderte
sich auch zu Anfang des 14. Jahrhunderts nichts. Herzog Albrecht III. bemühte sich intensiv, aber erfolglos um die Kurwürde. Er starb im Oktober 1308,
einen Monat vor der Königswahl Heinrichs von Luxemburg (Mohrmann 1975,
S. 35). Herzog Johann II., der einen Teil des Herzogtums regierte, war blind,
gebrechlich und friedliebend, überdies verheiratet mit der eigenmächtig
agierenden Elisabeth, einer Schwester des holsteinischen Grafen Gerhard,
dem sie die Herrschaft Mölln, später auch Bergedorf und den halben Sachsenwald verpfändete (von Kobbe 1836–37, 44 ff.; vgl. Mohrmann 1975, 38 f.;
Koppe 1974 a). Johanns Bruder Erich I., der zunächst eine geistliche Laufbahn
eingeschlagen hatte, musste ab 1308 die Herrschaft mit seiner Mutter, der
Witwe Albrechts III., Margarethe von Brandenburg teilen, die gleichfalls als
herrschsüchtig verschrien war (von Kobbe 1836–37, 69 ff.). Als Verbündeter
war auch Markgraf Otto von Brandenburg „mit dem Pfeil“, der noch 1296
mit vor Hitzacker gelegen hatte, zu dieser Zeit keine Stütze mehr, denn er
geriet mit verschiedenen Adeligen und Bischöfen in seinem eigenen Land
in Konflikt, wurde sogar 1302 von Hitzacker aus durch den Lübecker Bischof
Thomas Küntzel | Der Stadtwall in den Gärten
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Konrad exkommuniziert 39. Schon vor seinem Tode traten der anfangs noch
unmündige Markgraf Johann und der „große“, politisch sehr agile Waldemar
an seine Stelle (von Sommerfeld 1971 [1896], bes. 678 f. Kritisch zu Markgraf
Waldemar Schultze 1961 a, 216). 1309 versprachen sie recht eigenmächtig ihrem Verwandten, Herzog Otto von Lüneburg, die Wälle von Burg und Stadt
Hitzacker zu schleifen (UB Braunschweig [Hzge.] I, Nr. 209; UB Brandenburg
B, 1, Nr. 361). Mit dem „Grauen des huses vnde der Stat“, der eingeebnet werden solle, ist wohl der Graben gemeint, der im Osten der Stadt die Jeetzel
mit einem Seitenarm nördlich der Stadt verbindet. Prinzipiell denkbar wäre
allerdings auch, dass die Passage sich auf den Landgraben bezieht. War er
erst in den Jahren um 1300 angelegt worden? Weshalb drängten die Herzöge von Lüneburg plötzlich auf die Einebnung des Stadtgrabens, wenn dieses
schon 1296 hätte durchgeführt werden können? Verteidigungstechnisch war
der Graben im Osten der Stadt ohnehin von begrenztem Nutzen, da er nur
eine kleine Insel von der Stadtinsel abriegelte: Bis in das 19. Jahrhundert hinein teilte sich die Jeetzel oberhalb von Hitzacker und umfloss die Stadt auf
beiden Seiten. Der nordöstliche Jeetzelarm scheint allerdings so flach gewesen zu sein, dass man ihn über eine Furt bequem durchqueren konnte. Oder
war die Position der Herzöge von Sachsen-Lauenburg erst jetzt so schwach
geworden, dass die Einebnung des Stadtgrabens im neuen Hitzacker realistischerweise verlangt werden konnte? Hatte es zwischenzeitlich ein neues
Stadtprojekt gegeben, vielleicht gar unter Waldemar selbst, weshalb Hitzacker eine neue Gefahr für die Lüneburger Herzöge geworden war? Die Herzöge von Sachsen-Lauenburg werden in dem Vertrag von 1309 tatsächlich gar
nicht mehr genannt, was ein bezeichnendes Licht auf die Machtverhältnisse
wirft. Markgraf Waldemar hatte schon 1308 das Land Bleckede an den Lüneburger Herzog verkauft, das nach dem Vertrag von 1258 ebenfalls eindeutig
den Herzögen von Sachsen gehörte (UB Braunschweig [Hzge.] I, Nr. 204; vgl.
hierzu Zillmann 1975, S. 153 f.). Diese benötigten die Brandenburger als Verbündete in ihrem Bemühen um die Kurwürde, die sie der Wittenberger Linie
streitig machten (Mohrmann 1975, 34 ff.; vgl. Schulze 1957, 34). Sie konnten
Waldemar also nicht offen entgegentreten.
Das Versprechen, Burg und Stadt Hitzacker zu entfestigen, wurde allerdings
von Markgraf Waldemar nicht eingehalten, denn der Ort behielt seine zentrale strategische Stellung. Der dänische König Erich Menved strebte damals
die Ausdehnung seiner Herrschaft bis an die Elbe an, während Waldemar das
Land Stargard beanspruchte, und die Stadt Stralsund für sich gewinnen konnte. Die Burg Hitzacker diente dem brandenburgischen Markgrafen offenbar als wichtige Bastion gegen die Dänen und Heinrich II. von Mecklenburg
(Mohrmann 1975, 39; Schultze 1961 a, 223 ff.). 1314 versprach Markgraf Waldemar dem dänischen König, die Burg Hitzacker abzureißen, verstärkte sie aber
statt dessen noch weiter (UB Brandenburg B, 1, Nr. 491). Auch als Markgraf
Waldemar 1317 bei Gransee eine wichtige Schlacht gegen Mecklenburger und
Dänen verloren hatte und einmal wieder die Zusage erneuerte, Hitzacker zu
brechen, wird dies wohl nicht realisiert worden sein (UB Brandenburg B, 1, Nr.
500; vgl. von Sommerfeld 1971 [1896], 681). Allerdings besaß die Stadt in der
frühen Neuzeit – dem Merianstich nach – weder eine Stadtmauer noch eine
Palisade. Nur auf dem Stadtsiegel ist eine Mauer mit drei Türmen und einem
Tor zu sehen (Vgl. Dt. StB 3,1, Nieders. StB, 201; Wolf 1958, 39).
Im Krieg zwischen Dänemark und Brandenburg wechselte Herzog Erich
von Sachsen-Lauenburg schließlich im April 1315 zu den Gegnern Markgraf
Waldemars, was sich für sein weiteres Schicksal als äußerst fatal erweisen
sollte: 1316 wurde er von den Stralsunder Bürgern, die Waldemar unterstützten, gefangen und drei Jahre in Gefangenschaft gehalten. Das Lösegeld betrug 16.000 Mark Silber, eine damals unglaublich hohe Summe, rechnerisch
etwa 3,7 Tonnen. Herzog Erich war hierdurch völlig überschuldet und wurde jeglicher politischen Handlungsspielräume beraubt (von Kobbe 1836–37,
74 ff.; Schultze 1961 a, 228; vgl. von Sommerfeld 1971 [1896] 681). Nun konnte
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er noch weniger als zuvor dem Zugriff seiner askanischen Verwandten auf die
Besitzungen an der Elbe entgegentreten. Herzog Rudolf von Sachsen-Wittenberg verpfändete Stadt und Schloss Hitzacker schließlich 1323 an die Herren
Heinrich und Ulrich von Warmstorf sowie einen gewissen Tamme Loser 40.
Nur anderthalb Jahre später verpfändeten Heinrich von Warmstorf und Tamme Loser das Schloss weiter an die Herzöge Otto und Wilhelm von Lüneburg
(UB Braunschweig [Hzge.] I, Nr. 407). Drei Jahre später, 1328, erwarben die
Lüneburger Herzöge auch die übrigen Anteile der Burg (UB Braunschweig
[Hzge.] I, Nr. 436, 526, 527). Damit waren die Welfen doch noch, wenn auch
auf einem Umweg in die Gewalt des Schlosses Hitzacker gekommen. Als ihren Verwalter setzten sie nun den Ritter Wasmut Kind ein (UB Braunschweig
[Hzge.] I, Nr. 463, 464).
Wahrscheinlich hatte das Aussterben der askanischen Markgrafen von
Brandenburg 1319/20 den Weg für diese Verschiebung der politischen Verhältnisse geebnet. Die Mark Brandenburg wurde von König Ludwig dem Bayern nicht an die mit den Brandenburgern verwandten Herzöge von Sachsen
vergeben, sondern er belehnte seinen eigenen Sohn Ludwig damit. Herzog
Rudolf von Sachsen-Wittenberg, der den glücklosen Gegenkönig Friedrich
den Schönen von Habsburg unterstützt hatte, kämpfte zunächst um die Herrschaft in der Mark, musste aber schließlich seine Positionen räumen (Mohrmann 1975, 62 ff.; Beck 2000, 202 ff; Schultze 1961 b, 9 ff.). Er befand sich nun
in einer schwierigen Lage, die von den braunschweigischen Herzögen offenbar zum Erwerb der Burg Hitzacker ausgenutzt wurde. Sie hatten schon 1303
die Grafschaft Dannenberg und 1320 die Grafschaft Lüchow gekauft 41. Mit
dem Erwerb Hitzackers gelang ihnen die Abrundung ihres Besitzes im Wendland. Knapp zehn Jahre später, 1336, erkannte Herzog Rudolf von Sachsen
den faktischen Besitzwechsel an, indem er selbst Burg und Stadt Hitzacker an
die Herzöge Otto und Wilhelm von Lüneburg verpfändete (UB Braunschweig
[Hzge.] I, Nr. 598). Zugleich verhinderte er damit, dass die Herzöge von Sachsen-Lauenburg in den Besitz der Burg kamen. Sie errichteten vermutlich als
Ersatz um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Burg Neuhaus im Darzing 42 . 1339
wurde Hitzacker dann als Leibgedinge für die Frau Herzog Ottos von Sachsen, Elisabeth von Braunschweig ausgelobt (UB Braunschweig [Hzge.] I, Nr.
657, 674).
40 UB Braunschweig (Hzge.) I, Nr. 384. H.
W. H. Mithoff ging davon aus, dass Hitzacker bei der Teilung der askanischen
Güter 1295/96 Herzog Albrecht II. und
damit der Wittenbergischen Linie zugefallen war (Mithoff 1877, 95); zu Herzog Rudolf I. von Heinemann 1970 (1889);
Beck 2005.
41 Schubert 1997, 734 f.; Zillmann 1975,
165 f., 174; Meyer (-Seedorf) 1911, 144; Gaettens 1937, 3.
42 Vgl. die Erwähnung von 1369, UB Braunschweig (Hzge.) III, Nr. 401; Sänger/Frühauf 2001, 48; Mithoff 1877, 220; Hüls
1993, 91; Gehrke 2004.
43 Schubert 1997, 755 ff.; Behr 1964, 16 ff.;
Patze 1971, 59 ff.; Beck 2000, 205 ff.; Reinecke 1933, 123 ff.
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Die Burg blieb seitdem letztlich in welfischer Hand. Daran konnten auch
die schweren Wirren des Lüneburger Erbfolgekrieges in den 1370er/ 80er Jahren nichts ändern. Der erbenlose Herzog Wilhelm von Lüneburg hatte das
Fürstentum seinem Schwiegersohn, Herzog Magnus „Torquatus“ (mit dem
Halsring) von Sangerhausen bzw. Braunschweig übertragen, während Kaiser
Karl IV. das Herzogtum Lüneburg den askanischen Herzögen von SachsenWittenberg zuerkannte 43. Auch die Bürger von Hitzacker wurden aufgefordert, den Herzögen von Sachsen-Wittenberg zu huldigen (UB Braunschweig
[Hzge.] IV, Nr. 11, vgl. Nr. 219). Ob sie diesem Aufruf Folge leisteten, ist zweifelhaft, denn noch behielten die Braunschweiger die Oberhand. Herzog Magnus verbündete sich allerdings mit den Herzögen von Sachsen-Lauenburg
und dem dänischen König Waldemar, wodurch er in scharfen Gegensatz zu
den Hansestädten und insbesondere der Stadt Lüneburg geriet. Anfang Januar 1371 unterstellte sich Lüneburg den Herzögen von Sachsen-Wittenberg
und erhielt im Gegenzug sehr weitreichende Privilegien, unter anderem die
Erlaubnis, die herzogliche Burg auf dem Kalkberg zu zerstören. Herzog Magnus hatte Lüneburg zuvor alle Privilegien entzogen, die Stadt Braunschweig
hingegen begünstigt, und die beiden Städte so gegeneinander aufgebracht.
Hitzacker gehörte zu den wichtigen Stützpunkten des Herzogs im Norden
und wurde von einer Mannschaft unter Hans von dem Berge und Heinrich
von Dannenberg gehalten (UB Braunschweig [Hzge.] IV, Nr. 254, 255). 1372
verpfändete Herzog Magnus Hitzacker allerdings an seinen Schwiegersohn,
Herzog Erich von Sachsen-Lauenburg, zusammen mit Bleckede und Schnakenburg (UB Braunschweig [Hzge.] IV, Nr. 329). Im Jahr darauf starb Herzog
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Magnus im Kampf bei Leveste am Deister (nach anderen Quellen vor Schloss
Ricklingen, südlich von Hannover). In einem Friedensvertrag wurde daraufhin
ein turnusmäßiger Wechsel der Herrschaft zwischen den Herzögen Wenzel
und Albrecht von Sachsen-Wittenberg sowie Friedrich und Bernhard von
Braunschweig, den Söhnen des Herzogs Magnus, vereinbart, und das Bündnis durch wechselseitige Heiraten bestärkt. Die Herzöge Wenzel und Albrecht verpfändeten Hitzacker schon im April 1374 zusammen mit Bleckede
und dem Sülzzoll in Lüneburg für 3900 Mark Silber (UB Braunschweig [Hzge.]
V, Nr. 14; vgl. Behr 1964, 21 f.; Schubert 1997, 771). 1375 erhielt Kurt von Saldern
das Schloss Hitzacker zur Bewachung; 1378 lösten ihn die Herren Manegold
und Maneke von Estorff ab, 1380 bekamen es Ludolf von Estorf und Hartmann
Sporeke, 1381 der Knappe Dietrich von Hitzacker, genannt Marschall, und
1386 der Knappe Barthold Kind 44. Schließlich muss Hitzacker an die Stadt
Lüneburg verpfändet worden sein (UB Braunschweig [Hzge.] VII, Nr. 98; UB
Lüneburg [Stadt] III, Nr. 1293).
44 UB Lüneburg (Stadt) II, Nr. 849, 917, 933,
950, 956, 1034; Behr 1964, 23 ff. mit Anm.
50. Vgl. auch die historische Übersicht
bei Mithoff 1877, 96.
45 UB Braunschweig (Hzge.) VII, Nr. 98; UB
Lüneburg (Stadt) III, Nr. 1293. Zur „Sate“,
dem zugrundeliegenden „Verfassungsvertrag“ des Fürstentums Lüneburg
Schubert 1997, 771 ff.; Reinbold 1987.
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Allerdings kehrte vorerst noch kein Frieden im Land ein. Nach dem Tode des
Herzogs Albrecht (ebenfalls vor Schloss Ricklingen, durch ein Wurfgeschoss)
brachen die Gegensätze zwischen den Familien erneut auf, bis im Frühjahr 1388
auch Herzog Wenzel vor Celle starb. Ende Mai kam es zu einem letzten Gefecht bei Winsen an der Aller, wo die Stadt Lüneburg mit ihren Verbündeten
gegenüber der Stadt Braunschweig und Herzog Heinrich unterlag. Die Herzöge
Heinrich und Bernhard teilten sich nun die Herrschaft im Fürstentum Lüneburg,
während Friedrich Braunschweig übernahm. Die herzoglichen Kassen waren
allerdings durch die langen Kämpfe leer. Erst 1392 hatte sich die Finanzlage der
braunschweigischen Herzöge soweit gefestigt, dass sie mehrere Schlösser bei
der Stadt Lüneburg wieder auslösen konnten, insbesondere Bleckede, Hitzacker, Lüdershausen und Rethem 45. In der Stadt Lüneburg hatte man Hitzacker
wohl verkehrsstrategisch wie finanziell keine besondere Bedeutung beigemessen. Andere Pfandschlösser spielten eine wichtigere Rolle in der kommunalen
Wirtschaftspolitik, etwa Bleckede und Lüdershausen (Behr 1964, 32). An einer
Förderung von Handel und Gewerbe in der Stadt an der Jeetzel hatte man an
der Ilmenau ohnehin kein sonderliches Interesse. Nur die ungehinderte Schifffahrt für die Lüneburger Schiffe auf der Jeetzel ließ man sich 1392 von den
Herzögen zusichern, da mittlerweile wohl etliche Fischwehre die Passage für
größere Schiffe erschwerten (UB Lüneburg [Stadt] III, Nr. 1292; vgl. auch Hauptmeyer 1997, 1196 f.). Den damals regen Warenverkehr im Wendland belegt eine
Urkunde von 1374, in der sich Friedrich von Bülo mit der Stadt Salzwedel über
Zoll und Geleit in Dannenberg und Hitzacker einigte (UB Brandenburg A, 14, X,
Nr. 433). Betroffen war die Ein- und Ausfuhr von Hering, Honig, Butter und anderen Fetten, „tröghes Gud“ (wohl Getreide), Laken und Leinwand, soweit sie
mit Schiff und Wagen transportiert wurden. Die Abgaben für Zoll und Geleit auf
den Schiffahrtsrouten von Salzwedel nach Hamburg bzw. Lübeck waren schon
1248 von Herzog Albrecht I. von Sachsen geregelt worden. Neben Hitzacker
werden dabei als Zollstellen noch Lauenburg, Bleckede und Mölln aufgezählt.
Gehandelt wurde damals unter anderem mit Kupfer, Zinn, Eisen, Blei, Leinwand,
Wolle (gesponnen, ungesponnen und verwebt), Häuten von Rindern, Ziegen,
Schafen und Lämmern, Feigen und anderen Spezereien, Wachs, Honig, gesalzenen Fischen, verschiedenen Fetten, Treibarbeiten, Töpfen und Kesseln (UB
Hanse I, Nr. 357). Das Spektrum an verhandelten Waren war also deutlich größer als ein Jahrhundert später. Ob dies mit den veränderten wirtschaftlichen
Gegebenheiten oder der Verlagerung der Handelswege zusammenhängt, ist
schwer zu beurteilen. Ein Teil der Rohwaren, die 1248 offenbar nach Hamburg
und Lübeck ausgeführt wurden, verarbeitete man 1374 vielleicht in Salzwedel
selbst, und produzierte die zuvor importierten gewerblichen Erzeugnisse an
Ort und Stelle, etwa die aufgeführten Metallgefäße.
Das politische Hin und her, der ständige Herrschaftswechsel, schließlich die
Verpfändung der Burg an immer neue Adelige und ihre Aufteilung in einzelne Besitzteile waren der Prosperität des Ortes nicht sehr zuträglich. Als sich
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während des Erbfolgekrieges im Fürstentum eine selbständige Ständevertretung herausbildete, unterschied man bei den städtischen Siedlungen führende „Haupt“-Städte und kleinere Flecken bzw. „Weichbilde“. Hierbei wird
Hitzacker 1388 nur noch als „Weichbild“ eingestuft (UB Lüneburg [Stadt] III,
Nr. 1132; vgl. UB Braunschweig [Hzge.] VI, Nr. 216). Dies bedeutet gegenüber
dem 13. Jh. eine Statusminderung, denn eine „civitas“, wie Hitzacker von 1268
bis 1289 bezeichnet worden war, galt mehr als ein „Weichbild“. Der Name
besagt, dass der Ort zwar über ein besonderes Ortsrecht verfügte, aber ansonsten nur begrenzte Autonomie besaß. In diesem Sinne wird er schon 1386
auf Hitzacker angewendet (UB Lüneburg [Stadt] II, Nr. 1034). Tatsächlich dürfte der Bedeutungsverlust durch den Wechsel von der askanischen zur welfischen Herrschaft bedingt gewesen sein, da weder die tonangebende Stadt
Lüneburg noch die welfischen Herzöge – die sich damals eher auf Dannenberg stützten – ein Interesse am Wachstum der Stadt besaßen, von den einträglichen Zolleinnahmen auf der Elbe einmal abgesehen. Die askanischen
Herzöge hatten die Stadt gefördert, weil sie ihnen als Stützpunkt gegen das
benachbarte Braunschweig-Lüneburg, die Grafen von Dannenberg und von
Lüchow sowie gegen die Altmark willkommen war.
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Jahre 1373 (Hannover 1864).
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Urkundenbuch der Stadt Lüneburg. Band 2: W. F. Volger, Von 1369 bis 1387 (Hannover 1875).
UB Lüneburg (Stadt) III: Urkundenbuch des Historischen Vereins für Niedersachsen
10, Urkundenbuch der Stadt Lüneburg. Band 3: W. F. Volger, Von 1387 bis April 1402
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Thomas Küntzel | Der Stadtwall in den Gärten
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Dr. Thomas Küntzel M.A.
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Impressum
Imprint:
ISSN 1869-4276
Editing:
Ulrich Müller, Kiel
Layout design:
Holger Dieterich, Kiel
Technical editing:
Ines Reese, Kiel
Copyright see:
www.histarch.org
www.histarch.org
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Historische
Archäologie
Claudia Theune
Historical archaeology in national socialist
concentration camps in Central Europe 1
This paper is dedicated to Johan Callmer on the occasion
of his 65th birthday whose deep understanding of archaeology
has enriched my own work in the discipline
1 This new version of the paper (March
2011) has been slightly modified and ad­
justed.
Historians have been dealing with the Nazi regime, its crimes and the Nazi
terror sites for a long time. Since the late 1980s, more and more archaeo­
logical excavations and research have been carried out at these places and
a highly productive interdisciplinary exchange is developing. In this regard,
the Convention of Valetta/Malta was a milestone for archaeology (http://
conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/143.htm; retrieved December
2010). This repealed the time limit often defined by laws to do with heritage
and the preservation of ancient monuments – archaeological sites younger
than the medieval period had not been recognised previously. In Article 1 it is
acknowledged that archaeological monuments are a source of common and
collective European memory. These archaeological remains and objects are
to be from past times; they are supposed to help retrace the history of man­
kind and its relationships. Buildings, archaeological remains and archaeologi­
cal finds from the period of National Socialism certainly meet these criteria.
It is becoming more and more evident that the four different sources in­
volved, text documents, pictures, oral history and archaeology, have very
different declarative potentials (see also Myers 2008). Only if we take a com­
plementary view of all sources, will we get as complete an image of the sites
of the Nazi crimes as possible. Thus the archaeological sources can tell us a
lot about everyday life, while the written sources, especially those from the
National Socialist offenders, only show us the official view, but not the real
terror for the victims. For the extermination or death camps in Poland there
are hardly any other sources than the archaeological remains, hence excava­
tions are the main sources of information in terms of the Malta convention.
A further important aspect concerns the special meaning of material cul­
ture. Each period and culture uses material culture not only as functional ob­
jects with contextual properties and with a special biography belonging to
the object and its owner (Hahn 2006, 59 ff.), but also as symbols or carriers of
meaning for something not clearly visible, for a mental image or an idea. In this
way, objects in former concentrations camps can become objects of power
or relics of powerlessness, of repression and humiliation (Donald 1998), or
they demonstrate how the prisoners attempted to retain their individuality.
Sometimes it is possible to decipher objects as specific symbols, especially
when different sources for the context are available. As for the archaeology
of the former concentration camps, it is in any case possible to ascribe the
relics – buildings and their furnishings or small finds – to offenders or victims.
2 Examples for research projects in Po­
land: extermination camp Bełżec (Kola
2000; Gileadi / Haimi / Mazurek 2009)
– extermination camp Chełmno-onNer (Pawlicka-Nowak 2004 a; Pawlic­
ka-Nowak 2004 b) – extermination camp
Sobibór (Kola 2001; O’Neil 2006; Mau­
rice Greenberg Center for Judaic Stud­
ies 2010). Examples for research projects
in Germany: concentration camp Ber­
gen-Belsen (Assendorp 2003) – concen­
tration camp Buchenwald (Hirte 2000)
– concentration camp Dachau (David
2001) – concentration camp Flossen­
bürg (Ibel 2002) – concentration camp
Rathenow (Antkowiak / Völker 2000)
– women concentration camp Raven­
sbrück (Antkowiak 2000) – concentra­
tion camp Sachsenhausen (Antkowiak
2000; Weishaupt 2004; Theune 2006;
Müller 2010) – Soviet special camp
Sach­senhausen (Theune 2006; Müller
2010; Reich 2006). Examples for research
projects in Austria: euthanasia centre
Hartheim (Klimesch 2002) – concen­
tration camp Mauthausen (Artner et al.
2004; Theune 2010 a; Theune 2010 b). See
also e. g. Antkowiak / Völker 2005; Kok
2009.
www.histarch.org
22010
Fig. 1. Fig. 1. Map of camps mentioned in the text. 1 Bełżec (Poland, extermination
camp); 2 Chełmno-on-Ner (Poland, extermination camp); 3 Sobibór (Poland, ex­
termination camp); 4 Auschwitz (Poland, concentration and extermination camp);
5 Bergen-Bels­en (Germany, concentration camp); 6 Buchenwald (Germany, con­
centration camp); 7 Witten-Annen (Germany, sub-camp of Buchenwald concentra­
tion camp); 8 Dachau (Germany, concentration camp); 9 Hebertshausen (Germany,
shooting place); 10 Flossenbürg (Germany, concentration camp); 11 Rathenow (Ger­
many, sub-camp of Sachsenhausen concentration camp); 12 Ravensbrück (Germany,
women concen­tration camp); 13 Sachsenhausen (Germany, concentration camp and
Sowjet special camp); 14 Hartheim (Austria, euthanasia centre); 15 Mauthausen (Aus­
tria, concentra­tion camp); 16 Amersfoort (The Netherlands, transit camp) (map by
Department of Prehistory and Historical Archaeology, University of Vienna).
Abb. 1. Karte mit den im Text erwähnten Lagern. 1 Bełżec (Polen, Vernichtungslager);
2 Chełmno-on-Ner (Polen, Vernichtungslager); 3 Sobibór (Polen, Vernichtungslager);
4 Aus­
chwitz (Polen, Konzentrationslager und Vernichtungslager); 5 Bergen-Belsen (Deutschland, Konzentrationslager); 6 Buchenwald (Deutschland, Konzentrationslager); 7 Witten-Annen (Deutschland, Nebenlager des Konzentrationslagers Buchenwald); 8 Dachau (Deutschland, Konzentrationslager); 9 Hebertshausen (Deutschland,
Erschießungsplatz); 10 Flossenbürg (Deutschland, Konzentrationslager); 11 Rathenow
(Deutschland, Konzen­trationslager); 12 Ravensbrück (Deutschland, Frauenkonzentrationslager); 13 Sachsen­hausen (Deutschland, Konzentrationslager und Sowjetisches Speziallager); 14 Hartheim (Österreich, Euthanasie-Anstalt); 15 Mauthausen (Österreich, Konzentrationslager); 16 Amersfoort (Niederlande, Durchgangslager) (Karte Institut für Ur- und
Frühgeschichte, Universität Wien).
In addition to a functional or chronological classification, the objects can be
interpreted according to their wider context.
Archaeological excavations have been conducted in the large former con­
centration camps since the late 1980s, but also at prisoner-of-war camps, bat­
tlefields, bunkers and some of the smaller sub-camps, especially in Poland and
Germany. Excavations have been taking place in camps in Austria since 2000
(Fig. 1) 2. Only little research has been carried out in the neighbouring western
European countries, although there are numerous concentration camps or
sub-camps in the Netherlands, Belgium and France, on the occupied Channel
Islands (Alderney), in Denmark or in Norway. Research is now starting slowly
Claudia Theune | Historical archaeology in concentration camps
2
here, with a trial excavation in Amersfoort for example (Schute / Wijnen 2010).
In this case, the priority is to record still existing remains in order to get a plan
of the camp. This can be the start of further research or contribute to memo­
rial projects as has often been the case in Germany and Poland for example.
The reason for the late beginning of investigations in countries other than
Poland and Germany might be seen in a different nexus of cultural memory
regarding the Holocaust and the National Socialist regime. Poland was the
biggest victim of the Nazi terror regime, hence places of terror are particu­
larly important there as scenes of remembrance, to be anchored in collective
memory. Archaeology is clearly able to contribute to this. Germany, however,
as successor state of the so-called Third Reich, took the blame for the terror
in Europe and the world. Here too, a great interest exists in grappling with
history. These locations were not, in Germany, place of remembrance which
reflected a positive national memory. Rather they are places of warning about
the National Socialism dictatorship. They are Holocaust memorials, places of
admonition and places of learning and political education.
Because of the better state of the source material, research results in Ger­
many, Austria and Poland will be examined here more closely.
The entire range of archaeological methods has to be applied for investi­
gations in these places. In addition to geophysical prospection, aerial pho­
tography and of course excavations, concerning features and finds below the
present surface, buildings archaeological investigations must also take place.
Collaboration with colleagues in archives and with historians assist the inter­
pretation and evaluation of the features and finds discovered.
Apart from excavations in former concentration camps and extermina­
tion or death camps, investigations have also taken place in prisoner-of-war
camps (e. g. Antkowiak 2001; Drieschner / Schulz 2007; Drieschner-Schulz
2008; Drieschner / Krauskopf / Schulz 2001; Kamps / Schulenberg 2007),
forced labour camps (e. g. Grothe 2006), on battle fields (e. g. Beran 2005),
along the Siegfried Line (Westwall) (e. g. Smani / Tutlies 2007; Trier 1997), in
armament factories (e. g. Antkowiak 2002) and in bunkers (e. g. Kernd’l 1990
− 1992; Kernd’l 1995; Hopp / Przybilla 2007), often because of amendments to
cultural heritage preservation laws in Germany and Austria. The excavations
in Buchenwald, Sachsenhausen, Dachau and Mauthausen are all examples
(see footnote 1). The investigations were frequently initiated in order to draw
accurate plans of these places.
Archaeological excavations in these concentration and extermination or
death camps take place for various reasons. On the one hand, any building
measures in former camps in Germany and Austria are in principle accom­
panied by archaeology. This means that the building projects in the ground
or in the remaining buildings are accompanied by an archaeological excava­
tion and documentation. On the other hand, the public is no longer aware of
some of the former camps, since they were demolished, built over and forgot­
ten after World War II. Initiatives have now been taken to return these places
to the collective memory. In this case, the outlines of barracks are at least
made visible, and these places turned into memorials. Another aspect is re­
lated to specific questions from historians addressed to archaeologists; here
excavations help to clarify certain issues.
As already mentioned, the state of the source material for the six death
camps in Poland is particularly bad. Written or pictorial documents hardly ex­
ist, and there were very few survivors from these camps (Benz / Distel 2008).
While several plans from the time of the camp exist from the concentration
camp in Sachsenhausen (Müller 2010, 86), not a single plan exists from the en­
tire duration of the death camp in Bełżec. Two plans of nearby residents from
the post-war period differ clearly from the plan drawn by a survivor after the
war (Kola 2000, fig. 2 − 4; Stensager 2007, fig. 6 − 7). The Nazis tore down most
of the camp and removed the traces above ground in December 1943 when
the Red Army was approaching. Archaeological prospection techniques and
excavations offer virtually the only chance to learn about these places.
From the 1990s onwards, it has also become important that the results
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22010
Claudia Theune | Historical archaeology in concentration camps
3
Fig. 2. Map of the investigated area at Bełżec,
Poland, with bore holes and building re­
mains (from Kola 2000, 72).
Abb. 2. Plan des Vernichtungslagers Bełżec,
Polen, mit Eintragungen der Bohrungen und
den Gebäudeüberresten (nach Kola 2000, 72).
of such archaeological activities are used for political education (Darma­
nin / Mootz 2006). In youth camps, often lasting several weeks, young peo­
ple learn about the terror of the Nazis. Since there are only a few survivors
who can report about the terror in the camps, it is necessary to rely on other
sources such as material culture.
Examples from Central Europe
The camp in Witten-Annen, a sub-camp of Buchenwald, Germany, was a
forgotten place (Isenberg 1995). Back in 1988, the city of Witten asked the Of­
fice for Preservation of Ancient Monuments to carry out excavations in the
area of the camp. Before this, pupils from Witten visiting the Buchenwald me­
morial saw on a memorial plate that Witten-Annen, their home town, was
listed as a sub-camp, a fact they had not known. So interest in this forgotten
place and in once again making it visible increased. The aim was to determine
the extent of the remains of the camp, study living conditions there and to
place the remains under protection. At the same time, written sources were
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22010
Claudia Theune | Historical archaeology in concentration camps
4
Fig. 3. Iron fetter form the firing squad facil­
ity at Hebertshausen, Germany (from David
2003, Fig. 71).
Abb. 3. Eisenfessel vom Erschießungsplatz He­
bertshausen, Deutschland (nach David 2003
Abb. 71).
investigated in order to explore the history of the camp as comprehensively
as possible.
Research has shown that in 1945 the camp was cleared and that soon all the
buildings were demolished to the level of the foundations, a residential and
commercial area been built on the site. Only a small area remained unde­
veloped, in which however the foundations of some barracks as well as the
concrete pillars of the camp fence were still visible. During the archaeological
investigations the plans available in the archives were compared with the still
visible foundations and remains in the soil in order to match them up or to
highlight inconsistencies. Then, the function of rooms was investigated. Many
finds were also uncovered which were initially meant to be shown in an exhi­
bition. Today, a memorial stone and a fence remain at the former concentra­
tion camp.
Similar studies were carried out in other former concentration camps. Here,
the main interest often lay in the renewal or extension of a memorial site to
show clearly the structures of the camp. This is especially true for the death
camps in Poland mentioned above. A first comprehensive archaeological in­
vestigation was carried out by A. Kola (2000) in Bełżec. Core drillings in the
entire area of the camp helped make visible the structures still preserved in
the ground. In this way, it was possible to locate the remains of the buildings
and the mass graves (Fig . 2). The camp was modified once during its lifetime
when the gas chambers were installed, a building of several phases. The first
phase the building was situated in the centre of the camp, while in a second
phase it lay in the northern area. The camp did not have a crematorium. The
murdered were at first laid in mass graves uncremated, cremation started
later.
Further excavations were carried out in Sobibór (Kola 2001) and in
Chemłmo (Pawlicka-Nowak 2004 a; Pawlicka-Nowak 2004 b) for example.
Archaeological excavations have also begun in Auschwitz only recently (My­
ers 2007).
A very successful excavation was carried out in Hartheim in Upper Aus­
tria (Klimisch 2002). This was a euthanasia centre of the Nazis in 1940 − 1944.
Here, the question was again, what remains were still in situ after the war,
because it was known that there had been many changes. First, a buildings
archaeological expertise noticed massive interventions in the structures.
Significant finds of the victims and many cremated remains were found in a
trench during an archaeological investigation. The personal belongings of the
murdered were found in a pit. The contents of the pit were dug en bloc and
placed in the present memorial.
Hebertshausen was a shooting place nearby Dachau (Germany; David
2003). The excavations carried out in 2001 indicate in a very specific way vio­
lence and death in concentration camps. As in other concentration camps
Soviet prisoners of war were killed in Dachau in the winter of 1941 – 42 in mass
shootings. The complex is characterised by two walls. The border is a wooden
wall and a bullet trap. In front of the wooden wall, which could be detected
in ruins, there were still traces of the post to which the prisoners were tied. An
iron fetter further verifies this procedure (Fig. 3). There were also numerous
bones, mainly from skulls, proving the shootings. The findings of these inves­
tigations clearly surpass available knowledge from other sources.
Sachsenhausen
The model camp Sachsenhausen just outside Berlin was built in 1936, while
the Olympic Games were taking place in Berlin (Benz / Distel 2006 a). The
triangular shape of the camp was considered to be perfect for control pur­
poses, representing the geometry of terror. The entire inner semicircle could
be seen from Tower A on the south-east edge of the camp. The headquarters
and the SS area were situated south of the camp. There were also numerous
extensions of the complex, beginning in 1938. The camp was liberated on the
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22010
Claudia Theune | Historical archaeology in concentration camps
5
Fig. 4. The sorting machine and the various
heaps with the finds from the large garbage
pit in Sachsenhausen (photograph by Clau­
dia Theune).
Abb. 4. Die Rüttelmaschine und die unter­
schiedlichen Haufen mit den Funden aus der
großen Müllgrube in Sachsenhausen (Foto von
Claudia Theune)..
Fig. 5. An aluminium star with a little hole,
like a Christmas star, found in the garbage
pit at Sachsenhausen (photograph by AnneKathrin Müller).
Abb. 5. Ein Aluminiumstern (wie eine
Weihnachtsstern) mit einer kleinen Aufhäng­
eöse, gefunden in der Müllgrube in Sachsen­
hausen (Foto von Anne-Kathrin Müller).
Fig. 6. A small wooden heart from the gar­
bage pit at Sachsenhausen (photograph by
Anne-Kathrin Müller).
Abb. 6. Ein kleines Holzherz aus der Müll­
grube in Sachsenhausen (Foto von Anne-Kath­
rin Müller).
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22010
22nd / 23rd April 1945. Later, from August 1945 until 1950, it was a Soviet spe­
cial (detention) camp. The Soviets used all the facilities except the killing area,
the so-called Station Z of the Nazis. Z as the last letter of the alphabet was
taken literally by the Nazis, as the absolute end of everything.
From 1950 – 1960 Sachsenhausen was used by the Nationale Volksarmee
(GDR army) as a training camp and material store and many buildings fell into
disrepair. Station Z was blown up in 1952 / 53 and the national memorial of
the GDR was located on this site from 1961 onwards (Morsch 1995). The place
underwent various structural changes and numerous buildings still existing at
that time were demolished. The Memorial and Museum Sachsenhausen has
been located there since 1993. One of the aims of the memorial is to commu­
nicate all aspects of the Nazi concentration camp, the Soviet Special camp
and also of the GDR memorial.
The contents of exhibitions and visitors’ tours in the memorial had to be
revised after 1990 which led to a series of archaeological investigations. The
different time levels were meant to remain visible, it being clear that not only
structures and findings from the time of the concentration camp would be
found.
The excavations covered the area around Station Z (Weishaupt 2004). How­
ever, it has to be stressed that the killing area, which was built during the win­
ter of 1941 − 42, the gas chamber, built in 1943, the installations for execution
and the crematorium were not directly affected by the excavations. Only a
ring foundation was installed in the south-east corner of the new Station Z
memorial, leading to the excavation of a certain amount of cremated remains,
but of no other structures. Moreover, the former paving of the gas chamber
was uncovered, revealing teeth of the victims between the bricks.
The ash deposit was situated behind the crematorium. In this case, the
structure connecting the furnaces in the building and the ash deposit was
found outside of the complex. The ash from the furnaces was dumped there
and after the deposition area was full the cremated remains were dumped in
large pits.
Photographs taken in May 1945 show that large deposits of cremated hu­
man remains were stored in Station Z. When excavating human remains in
former concentrations camps Jewish religious burial customs have to be re­
spected. One of the most fundamental Jewish beliefs, the sanctity of the sleep
of the dead, determines that graves last forever. It is forbidden to disturb the
Jewish grave in the “house of eternity”. This principle is respected as much as
possible during excavations in the former concentration camps. It means that
anthropological analysis of the cremated or skeletal remains is never carried
out and that the remains are quickly re-buried.
In 2006, a large garbage pit was recovered on the site where a museum
for the Soviet special camp was planned. In 2000 geophysical survey had re­
Claudia Theune | Historical archaeology in concentration camps
6
Fig. 7. So-called sugar-bowls of the Soviet
special camp at Sachsenhausen, where pris­
oners got small rations of food such as sugar
or jam. Many of them are decorated (photo­
graph by Claudia Theune).
Abb. 7. Sogenannte Zuckerdosen vom Sowje­
tischen Speziallager Sachsenhausen, in denen
Häftlinge kleine Essensrationen wie Zucker
oder Marmelade aufbewahrten. Zahlreiche
weisen Dekorationen auf (Foto von Claudia
Theune).
vealed that there was a very large garbage pit of 30 x 5.6 m and 2 − 3 m depth
at this point. The contents of the pit could not be excavated properly, but an
excavating machine brought the contents to the industrial area of the memo­
rial, depositing them in 13 large heaps. The finds were recovered from these
heaps in a four-week campaign (Theune 2006; Müller 2010). A sorting ma­
chine with different strengths screened the material, which was then divided
into three smaller groups (Fig. 4): finds of more than 10 cm in size, finds that
were 5 − 10 cm in size and objects smaller than 5 cm. The remaining soil was
sieved again through even smaller screens. Small finds such as coins or but­
tons were collected in this way.
All in all, there were finds with a total weight of 5,556.3 kg. As is often the
case in archaeology, a first sorting criterion is the material of the artefacts.
The weight of the iron objects was about 3.000 kg, bottles and other glass ob­
jects weighed 800 kg and porcelain weighed nearly 300 kg. It soon became
clear that these material-based groups were not suitable for the evaluation of
camp life or the general circumstances of offenders and victims and instead
a functional classification in the following groups was established (Müller
2010, 109 ff.): construction, clothing, toiletries, household, militaria, coins,
and other. Each group was further divided into several sub-groups.
The clothing group includes e. g. belts, shoes, buttons or gloves; medical
objects such as vials, ampoules, pills, prostheses, medical utensils and similar
objects, but also combs, toothbrushes, shaving utensils or eyeglasses belong
to the toiletries group. A very wide-ranging group is that of household ob­
jects comprising candle sticks, flower pots, plates and dishes, cooking ware
and storage vessels, each made of different materials, and also toys, jewellery,
smoking accessories, pocket knives and many other accessories. The objects
can be ascribed to offenders or victims quite safely. Hand-made combs or
small vessels, in particular, doubtlessly belonged to the victims and prisoners.
The same applies to most pieces of a considerable number of spoons made
of aluminium. Only few forks and knives were found, most of them made of a
finer material.
The objects write their own history and are also closely connected to their
possessor’s biography. If we look at the buildings of the SS, the walls of a con­
centration camp or the barracks of the prisoners, the plates or dishes of the
offenders or the victims or at other finds – all of them embody history and
become symbols for the structures and events of terror. Some of the finds
belonged to the prisoners. These objects stand for the powerlessness and
humiliation of the people imprisoned but sometimes also for their self-asser­
Fig. 8. Georadar map from the hospital camp
at Mauthausen with the foundations of the
barracks (by Archaeo Prospections®).
Abb. 8. Plan der geophysikalischen Prospektion
(Georadar) des Sanitätslager in Mauthausen
mit den Fundamenten der Baracken und weit­
erer Gebäude (Archaeo Prospections®).
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22010
Claudia Theune | Historical archaeology in concentration camps
7
Fig. 9. Excavating Barracks No. 6 in the hos­
pital camp of Mauthausen (photograph by
Claudia Theune).
Abb. 9. Ausgrabung der Baracke 6 im San­
itätslager von Mauthausen (Foto von Claudia
Theune).
Fig. 10. Prisoners’ dishes in the hospital
camp, Barracks No. 6, Mauthausen (photo­
graph by Claudia Theune).
Abb. 10. Essgeschirr eines Häftlings aus dem
Sanitätslager, Baracke 6, Mauthausen (Foto
von Claudia Theune).
tion. On the other hand a lot of the artifacts can be related to the perpetrators
and therefore have to be interpreted as symbols of their power.
Many objects formerly belonging to prisoners are decorated, some of
them allowing an insight into everyday life in the camp (Fig. 5 − 6). However,
many pieces simply have decorative patterns. Still, some of them can hint at
whether they were used during the time of the concentration camp, or during
the period of the Soviet special camp (Fig. 7). Finds from the special camp in
particular are marked with the date. All the finds have now been entered in
a database. They are listed under the classifications mentioned, and details
such as description, measurements and a picture are added. This database
will be used for educational work with pupils and students (Theune 2006;
Müller 2010).
A similar database was created for the abundant finds from an excavation
of a garbage pit in Buchenwald (Hirte 2000), available online (http://www.
buchenwald.de/media_de/fr_content.php?nav=digisammlung&view=ct_di­
gisammlung.html; retrieved December 2010) and in use for educational work
in the Buchenwald Memorial. Functional criteria were applied here too. How­
ever, these are different from the criteria used to classify the Sachsenhausen
finds (camp, international, location, work, health, hygiene, food, jewellery,
religion, leisure, function, prisoners, women, children, numbers, name, trans­
port and death).
Mauthausen
Fig. 11. The drilling machine at work at the ash
heap at Mauthausen (photograph by Clau­
dia Theune).
Abb. 11. Bohrungen im Bereich der Aschehalde
in Mauthausen (Foto von Claudia Theune).
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22010
Research in the Austrian concentration camp of Mauthausen has to do with
new plans for the memorial. Again, it was necessary to revise the exhibition
from the 1970s. The visitors had previously only seen the main camp built in
1938 (Benz / Distel 2006 b). The prisoners of the concentration camp had to
break granite stones in the nearby quarry for buildings in Linz, Vienna and
other locations. Soon after the liberation in May 1945, many areas of the camp
and many buildings were torn down. In 1947, the camp was handed over to
the Austrian state, with an obligation to build a memorial there (Perz 2006).
At that time, the concept foresaw that the preservation of only the central
areas and the parade ground. The other, outer areas were not regarded as
Claudia Theune | Historical archaeology in concentration camps
8
Fig. 12. Drilling core with ash from the ash
heap at Mauthausen (photograph by Clau­
dia Theune).
Abb. 12. Bohrkern mit Asche aus der Aschehal­
de von Mauthausen (Foto von Claudia Theune).
Fig. 13. The anteroom of the gas chamber
of Mauthausen with the closed hole of the
former gas injection apparatus (Archaeo
Prospections®).
Abb. 13. Der Vorraum zur Gaskammer in Mau­
thausen mit dem mit 16 Kacheln verschlossenen
Loch, hinter dem die Apparatur der Gaseinfül­
lung angebracht war (Archeao Prospections®).
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22010
Claudia Theune | Historical archaeology in concentration camps
9
historically worth preservation and were transformed into a park landscape.
It is particularly clear in this case that memorials are not only authentic plac­
es, but also memorials, museums and places of learning. Space was very re­
stricted in the concentration camps, it was loud, there was a bad smell, and at
least during the final phase, the camps were very dirty. Today the memorials
give the impression of being almost clinically clean, and due to wide undevel­
oped areas they resemble parks.
Aerial photographs from the 1940s clearly show the entire extent of and
the lack of space in the camps with their numerous outer areas. Making
these outside areas visible again and thus showing the size of the camp is
part of the new concept at Mauthausen. First, a comprehensive geophysi­
cal survey was carried out in these areas (Theune 2010 a; Theune 2010 b).
This affected the so-called hospital camp, the tent camp and the area of the
workshop buildings, where the first firing squad facility was situated. The
so-called Camp III will be surveyed in 2011. Geophysical prospection has for
instance made visible all foundations of the barracks in the hospital camp
(Fig. 8). In the tent camp the location of the tents could also be detected.
The traces of the poles can be seen clearly, but the interiors of the tents do
not show anomalies.
The first excavation took place in the hospital camp in 2009. As in other
former concentration camps, it was necessary to review the condition of the
relics in the soil. One end of Barracks No. 6 was excavated (Fig. 9). The foun­
dations were found directly beneath the grass, consisting of large stones and
a brick base. Inside, the barrack was divided into three parts. The post-marks
were clearly visible. Traces of a stove were also detected and the entrance
area was paved carefully. Among the finds are many objects belonging to the
building itself, meaning nails and door fittings. Still, some personal items such
as dishes of prisoners were uncovered (Fig. 10).
A question to archaeologists raised by historians concerned the so-called
ash heap. It was to be investigated how much ash and cremated remains had
been placed here. Core drillings were made (Fig. 11) and immediately docu­
mented. The finds were recovered and the cores then placed into the ground
again without delay (Fig. 12). Larger ash layers were found in the rear of the
area than in the front by the path. The area had already been levelled by the
Nazis to deposit the ashes and between the ash layers further levelling layers
were recorded. The cores also included some finds, such as personal belong­
ings of prisoners.
An important aspect of research in Mauthausen is buildings archaeology.
The examination of all standing buildings is planned. One important building
was Barracks No. 1. This housed the camp clerks, but also a camp brothel.
The walls and ceilings in the sex-cabins had been painted over with a yellow
colour in the post-war period, but a colourful decorative scheme, which had
visually embellished the brothel, was found under this paint. The NS-period
colour scheme has also been discovered under modern layers in many other
camp buildings.
Other buildings archaeological investigations took place in the killing area.
The gas chamber and the small room in front of the gas chamber where the
apparatus to funnel the gas was found are situated here. Different tiles are
clearly visible on the wall where the apparatus to funnel the gas was originally
installed. A photograph taken shortly after the liberation shows repair work
with nine tiles and a hole. Presumably, the Nazis dismantled the device and
sealed the hole with these nine tiles. When the Americans wanted to investi­
gate the site, they reopened the place and were also able to see the hole. The
site was then closed again with 16 tiles (Fig. 13). Georadar clearly shows this
mended hole.
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22010
Claudia Theune | Historical archaeology in concentration camps
10
Conclusion
In contemporary historical archaeology, the archaeological heritage of the
monuments and memorial sites of the Nazi period is increasingly considered
and cared for. The offices for preservation of ancient monuments recognise
the importance of these places and sites and carry out excavations when
necessary, as is the case at sites of older periods. Much research is carried
out in connection with other historical and museological disciplines at the
memorial sites. Many valuable insights into the structure of the camps, the
crimes and everyday life are obtained by archaeology. Together with other
disciplines, they help to analyse the historical image of the camps. Of particu­
lar importance is the impact of archaeology in the use of objects for political
education. With the help of archaeology, the memorials are sites for learning
about National Socialism and the Holocaust.
Acknowledgements
I would like to thank Ivar Schute for valuable information on the research
at Amersfoort, and Andrzej Kola on the research at Auschwitz. I also wish to
thank Paul Mitchell and Günther Buchinger, who carried out the building ar­
chaeology at Mauthausen, for their kind cooperation throughout the work.
Ulrike Fornwagner and Paul Mitchell translated the paper.
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13
Prof. Dr. Claudia Theune
Institut für Ur- und Frühgeschichte
Universität Wien
Franz-Klein-Gasse 1
A-1190 Wien
E-Mail: claudia.theune@univie.ac.at
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Impressum
Imprint:
ISSN 1869-4276
Editing:
Natascha Mehler, Wien
Technical edition and Layout:
Holger Dieterich, Kiel
Copyright see:
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Historische
Archäologie
Jörg Harder
Segmentgürtel mit mehrteiliger
Anhängekombination –
Ein Frauenschmuckgürtel der Renaissance
Einleitung
Mitteleuropäische Schmuckgürtel der Renaissance, im Besonderen so genannte „Brautgürtel“, spielten in der archäologischen Forschung bislang eine
eher untergeordnete Rolle. Vereinzelt wurden einige vollständigen Stücke
vorgestellt, sei es als Teil eines Schatzfundes oder im Rahmen einer Ausstellung bzw. Zusammenstellung kunsthandwerklicher Schmuckgegenstände
(Adam 1870, 43; Zander-Seidel 2007, 234; Schroeter 1991, 50 – 57; Lindahl
1988, 59 ff.; Krabath 2006, 49). Die bisher einzige umfassende Monographie
zu Gürtelformen und -typen legte 1971 Ilse Fingerlin vor, die sich zeitlich auf
das hohe und späte Mittelalter konzentrierte und spätere Gürteltypen nur
am Rande erwähnte. Auch in der Kostüm- und Trachtenforschung werden
Gürtel erwähnt und hauptsächlich mit dem Hochzeitsbrauch in Verbindung
gebracht, wobei der Begriff „Brautgürtel“ recht pauschal Verwendung findet
(Deneke 1971, 132 ff.; Beitl 1974 Taf. 27 a – c; Selheim 2005, 262 ff.; Brückner
1952, 38 – 41; Jegel 1953, 248 f.).
Das Fundmaterial
1 Dem vorliegenden Artikel liegt meine Magisterarbeit zu Grunde, die am 14.01.2009
an der Humboldt-Universität zu Berlin am
Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte des
Institutes für Geschichtswissenschaften
der Philosophischen Fakultät I eingereicht
wurde. Die Arbeit trägt den Titel „Untersuchungen an so genannten Brautgürteln
der Renaissance aus dem Raum BerlinBrandenburg“ und wurde von Prof. Dr.
Claudia Theune-Vogt vom Lehrstuhl für
Ur- und Frühgeschichte der Universität
Wien betreut.
Aufgrund des unzureichenden Forschungsstandes und der Tatsache, dass in
der Regel nur Einzelteile und Fragmente von Gürteln bei Ausgrabungen oder
Feldbegehungen geborgen werden können, ergeben sich Schwierigkeiten
mit der korrekten Ansprache dieser Fundstücke. Im Rahmen dieser Arbeit 1
ergab sich nun die Möglichkeit, mit Funden aus der Region Berlin-Brandenburg als Materialbasis, diesen Gürteltyp unter verschiedenen Aspekten hinsichtlich der Formmerkmale, Herstellungstechnik, ornamentalen Gestaltung
sowie der zeitlichen Einordnung und kulturhistorischen Relevanz zu untersuchen. Das Fundmaterial besteht aus zwei vollständig erhaltenen Gürteln und
insgesamt 24 Fragmenten, die eine unterschiedlich hohe Anzahl von erhaltenen Segmenten vorweisen. Sie wurden vornehmlich als Lesefunde in den
Brandenburger Landkreisen Prignitz, Ostprignitz-Ruppin, Havelland, Oberhavel, Kreis Jericho, Oder-Spreekreis, Dahme-Spreewald, Uckermark und in
Berlin am Mühlendamm / Spreegrund geborgen (Abb. 1). Von drei Stücken ist
die Herkunft nicht geklärt, da sie Anfang des 20. Jahrhunderts bei Auktionen
8
5
3
4
2
11
Abb. 1. Karte mit den im Text erwähnten
Orten: 1 Berlin, 2 Brandenburg, 3 Triglitz, 4
Rohrlake, 5 Perleberg, 6 Zehdenick, 7 KönigWusterhausen, 8 Danzig, 9 Stuer, 10 Göttingen, 11 Münster, 12 Schwalm, 13 Nürnberg, 14
Augsburg, 15 Regensburg, 16 Gunskirchen, 17
Gröden (© Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität Wien).
9
7
6
1
17
10
12
13
14
15
16
Fig. 1. Map with places mentioned in the text: 1
Berlin, 2 Brandenburg, 3 Triglitz, 4 Rohrlake, 5
Perleberg, 6 Zehdenick, 7 König-Wusterhausen,
8 Danzig, 9 Stuer, 10 Göttingen, 11 Münster, 12
Schwalm, 13 Nürnberg, 14 Augsburg, 15 Regensburg, 16 Gunskirchen, 17 Gröden (© Institut für
Ur- und Frühgeschichte, Universität Wien).
Abb. 2. Ein vollständiger Kettengürtel aus Triglitz, Lkr. Prignitz, 1550–1630 (Abbildung Jörg
Harder).
Fig. 2. A complete chain girdle from Triglitz,
district Prignitz, 1550- 1630 (illustration by Jörg
Harder).
2 Der Begriff bezeichnet einen kurzen Gürtel mit Beschlägen in unterschiedlicher
Breite, der knapp um die Hüften passte
und ausschließlich von Frauen getragen
wurde. Die Gürtelenden standen sich
stumpf gegenüber und wurden mit einer
Kette verschlossen.
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von dem Sammler Rudolf Lepke angekauft wurden und unter unbekannten
Umständen in das Märkische Museum Berlin gelangten. Als singulärer Grabfund ist ein vollständig erhaltener Gürtel aus Perleberg anzuführen. Die Fundstücke lagern heute vorwiegend im Märkischen Museum Berlin, im BLDAM
Brandenburg, im Heimatmuseum König-Wusterhausen und im Heimatmuseum Perleberg.
Bei dem untersuchten Material handelt es sich hauptsächlich um Frauenschmuckgürtel des 16. und 17. Jahrhunderts. Es sind, technisch gesehen,
Segmentgürtel, die in drei verschiedenen Ausführungen gefertigt und getragen wurden: als Kettengürtel, Gliedergürtel und Gürtel mit einer Textiloder Lederborte (Abb. 2 – 4). Ihr formaler Aufbau ist durch stumpf endende
Schließen ohne flexible Längeneinteilung und einer mehrteiligen Anhängekombination auf einer Hüftseite charakterisiert. Schließen und Anhängekombinationen sind nicht selten aus einer unterschiedlich großen Anzahl von
Segmenten gefertigt. Die Segmente unterscheiden sich in den Ausmaßen,
der Ausführung und der Herstellungsart. Vollständige Gürtel können dabei
aus Segmenten verschiedener Varianten zusammengesetzt sein. Auf ihnen
finden sich ebenfalls unterschiedlich ausgeführte Ornamente in den Dekors
der Schauseiten, während die Rückseiten durchweg unverziert blieben. Die
typologische Entwicklung der hier untersuchten Gürtelform ist nicht eindeutig geklärt. Nach Ilse Fingerlin (1971, 133 f.) könnte sie sich von „demi-ceint“ 2
Gürteln des 14. Jahrhunderts ableiten, die sich von beschlagenen Textilgürteln zu metallenen Gliedergürteln entwickelten. Da jedoch auch Kettengürtel und solche mit Leder- oder Textilborte unter den Segmentgürteln erhalten geblieben sind, wird mit mehreren Entwicklungssträngen gleichzeitig zu
rechnen sein, die zwar im Einzelnen schwer nachzuweisen sind, sich jedoch
in den oben erwähnten Formmerkmalen der drei Ausführungsarten wieder
finden. Es ließen sich drei verschiedene Varianten der Herstellung am Untersuchungsmaterial feststellen:
Variante I: Massiver Guss, bei dem die einzelnen Segmente mit Scharnierhülsen und Dekor in einem Stück gegossen wurden (Abb. 5).
Variante II: Geschmiedete Bleche (Blechstärke > 0,10 cm) mit geprägtem und
Jörg Harder | Segmentgürtel mit mehrteiliger Anhängekombination
2
Abb. 3. Ein vollständiger Gliedergürtel, der
Fundort ist unbekannt, 1570–1670 (Abbildung
Jörg Harder).
Fig. 3. A complete segmented girdle, the locality is unknown, 1570–1670 (illustration by Jörg
Harder).
Abb. 4. Ein Gürtel mit Textilborte aus Süddeutschland (17./18. Jahrhundert) (nach Ritz
1978 Abb. 192).
Fig. 4. A girdle with textile trimming from
southern Germany (17th/18th centuries) (from
Ritz 1978 Fig. 192).
ziseliertem oder graviertem Dekor, bei denen vorhandene Scharnierhülsen
durch Zurückbiegen des Bleches um eine Seele und Ausschneiden der Hülsenbreite gefertigt wurden. Der Blechrest wurde dabei stets auf der Vorderseite vernietet und verziert (Abb. 6).
Variante III: Geschmiedete oder gewalzte Bleche (Blechstärke < 0,10 cm) mit
geprägtem oder gepresstem Dekor, bei denen die Segmente mit zwei Blechen zu einem Kasten zusammengesetzt, sowie auch durch mittiges Falten
als Doppelblech verarbeitet wurden (Abb. 7).
Die untersuchten Stücke bestehen alle aus verschiedenen Kupferlegierungen und zeigen unterschiedlich starke Gebrauchsspuren. Es lassen sich
zusätzlich auch Spuren in Form von Feilrillen, Sägeeinschnitten, Gussrückständen und Schlagvertiefungen beobachten, die auf die Herstellungsart
schließen lassen. Materialstärke, Dekorausführung und technische Details
konnten ebenfalls zur Rekonstruktion der Fertigung der Objekte herangezogen werden.
Die Untersuchung zeigte, dass die nach Variante I gegossenen Stücke im
Vergleich qualitativ hochwertiger waren als die Exemplare der Varianten II
und III. Ein gegossenes Stück garantierte nicht nur Stabilität und Haltbarkeit,
es war auch dem Gewicht und Material entsprechend wertvoll und bedeutete eine nicht geringe Kapitalanlage. Zeugnis davon geben einige in Muse-
Abb. 5. Dreiteilige Anhängekombination der
Zeit 1570–1670 (Fundort unbekannt) (Abbildung Jörg Harder).
Fig. 5. A three-part pendant construction dating
to 1570–1670 (locality unknown) (illustration by
Jörg Harder).
Abb. 6. Ein Gürtelfragment aus Rohrlake, Lkr.
Ostprignitz-Ruppin, 1570–1670 (Abbildung
Jörg Harder).
Fig. 6. A girdle fragment from Rohrlake, district
Ostprignitz-Ruppin, 1570–1670 (illustration by
Jörg Harder).
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Jörg Harder | Segmentgürtel mit mehrteiliger Anhängekombination
3
Abb. 7. Eine dreiteilige Anhängekombination
aus Berlin, 1570–1670 (Abbildung Jörg Harder).
Fig. 7. A three-part pendant construction from
Berlin, 1570–1670 (illustration by Jörg Harder).
en ausgestellte Frauenschmuckgürtel, die in der Hauptsache aus Silber gegossen und nicht selten vergoldet oder mit Edelsteinen geschmückt wurden
(Pechstein 1987 Kat. 209; Ritz 1978 Abb. 189, 192 – 194; Stolleis 1977 Abb. 97;
Deneke 1971 Abb. 121; Zander-Seidel 2007, 234 Abb. 212 – 213). Gegossen wurde nach Modellen aus Holz, anderen Metallen, sowie auch Ton. Nach Hans
Drescher (1978, 90 f.) war dabei das Gravieren und Schneiden tiefer Negative
in die Gussformen üblich. Als Nachweis führt er in Schweden und Norwegen
erhaltene Goldschmiede- und Gürtlermatrizen aus Kupfer an. Solche Matrizen oder auch Gussformen zirkulierten unter den Goldschmieden Europas
und wurden oft weitergegeben (Lindahl 1988, 255; Pechstein 1966, 240; ders.
1985, 420; Irmscher 2005, 124 f.). Im Gegensatz zu wenigen erhaltenen Gussformen sind unzählige Modelle in Form von Bleiplaketten überliefert. Vor
allem Goldschmiede wie Ludwig Krug, Wenzel Jamnitzer, Hans Jamnitzer,
Hans Petzold und der Bildschnitzer Peter Flötner in Nürnberg, sowie Matthias Wallbaum, Bons Ullrich und Paul Hübner in Augsburg entwarfen Bildwerke und Reliefdarstellungen, mit denen sie nicht nur Goldschmieden, sondern
auch Zinngießern, Geschütz- und Glockengießern und anderen Gewerken
Modelle und Vorlagen für deren Arbeiten lieferten (Weber 1975, 24).
Als Ausgangsprodukt der Blechherstellung bei Variante II haben vermutlich
gegossene, flache Planschen gedient, die mit Kugel- und Planierhämmern auf
die gewünschte Stärke gehämmert wurden. Eng mit dieser Entwicklung ist
auch die verstärkte Nutzung der Wasserkraft mit Hammerwerken verbunden
(Lietzmann u. a. 1984, 144; Gimpel 1980, 44). Die nach dieser Variante hergestellten Gürtelteile haben zum Großteil einen funktionalen Aspekt. Es sind
in der Regel die Segmente der Schließen, für die offensichtlich ein stärkeres
Blech verwendet wurde, da diese durch häufiges Öffnen und Schließen einer
höheren Belastung ausgesetzt waren als die übrigen Bestandteile eines Gürtels (Abb. 6).
Für die Segmente der Variante III können ebenfalls gegossene, flache Planschen als Ausgangsmaterial angenommen werden. Auch hier ist der Einsatz
von Hammerwerken zur Herstellung der Bleche denkbar. Allerdings sollten
zur Weiterverarbeitung auch frühe Walzwerke in Betracht gezogen werden.
Laut Herbert Maschat (1988, 109) wurden bereits Walz- und Schneidewerke
zur Herstellung von Eisenflachstäben ab 1532 in Nürnberg verwendet. Schriftliche Quellen belegen zudem den Einsatz von Walzen zur Münzprägung
1565 in Tirol, 1575 in Sachsen, um 1600 in Berlin und 1602 in Zellerfeld (Uhlhorn / Bamberg 1935, 3 f.; 12). Nach Variante III hergestellte Segmente dienten
zumeist als Anbindungsglieder zwischen Kette bzw. Borte und den Schließen
oder Anhängekombinationen (Abb. 7).
Die figürliche und ornamentale Ausschmückung von wertvollen Gold- und
Silberschmiedearbeiten wurde von darauf spezialisierten Handwerkern vollzogen. Oftmals waren an einem größeren Auftrag gleich mehrere spezialisierte Handwerksbetriebe beteiligt, die als Zulieferer von vorproduzierten
Einzelteilen fungierten (Irmscher 2005, 181 ff.; Buhlmann / Stinzendörfer
2004, 27; Schürer 1985, 72; Lockner 1982, 73 ff.). Zu diesen Einzelteilen gehörten auch Modelle zur Prägung von Blechen, die im 16. Jahrhundert in ganz
Deutschland Verbreitung fanden. Goldschmiedemodelle, wie Ornamentwww.histarch.org
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Jörg Harder | Segmentgürtel mit mehrteiliger Anhängekombination
4
Abb. 8. Detail eines Gürtelfragments aus Berlin, 16./17. Jahrhundert (Abbildung Jörg Harder).
Fig. 8. Detail of a girdle fragment from Berlin,
16th/17th centuries (illustration by Jörg Harder).
oder Zierstücke, Laubwerk, Zwischenstücke, Profilleisten oder vollplastische
Figuren sind mit den Gesellen von Ort zu Ort gewandert und wurden schon
früh zum begehrten Sammlerobjekt im Fundus von Goldschmieden (Pechstein 1985, 420).
Die hier untersuchten Gürtel und Gürtelteile stehen allerdings in starkem
Gegensatz zu den wertvollen Gold- und Silberschmiedearbeiten. Unvollständige Dekors, tiefe Feilrillen, Sägeeinschnitte und Guss- und Gravurfehler sind
auffällige Bearbeitungsspuren. Sie sind aber auch gleichzeitig ein Hinweis auf
das handwerkliche Niveau der Hersteller. Je deutlicher sie zu erkennen sind,
umso geringer die Qualität des Werkstückes und umso geringer die Sorgfalt,
die aufgewendet wurde. Eine massenhafte Produktion ist daher für die meisten Stücke anzunehmen. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass die
produzierenden Werkstätten nicht auf die Gürtelherstellung spezialisiert waren, sondern dies nur ein Produkt unter vielen darstellte. So wurde zumeist
mit den gefalteten Blechen oder Kästen der Variante III die einfachste Form
der Anbindung an eine Kette oder eine Textil- oder Lederborte gewählt. Unvollständige Dekors deuten darauf hin, dass die Prägeformen nicht speziell
für die Gürtelsegmente, sondern für Objekte unterschiedlicher Größe gefertigt wurden, z. B. für Beschläge aller Art. Sie zeigen oft nur einen Ausschnitt
einer Dekorfolge (Abb. 8).
Abgrenzung zu Buchschließen
3 Freundlicher Hinweis von Georg Adler.
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Gürtel- und Gürtelteile kommen bei Ausgrabungen oder archäologisch
begleiteten Baumaßnahmen zumeist nur als Fragmente zu Tage. In der Regel
werden einzelne Segmente aus Schuttschichten geborgen oder vom Abraum
aufgelesen. Aufgrund der Ähnlichkeit mit Buchschließen oder Beschlagbändern von Bucheinbänden der Renaissance werden solche Fragmente, die als
Einzelstücke keine Vergleichsmöglichkeiten bieten, oftmals als Buchschließen interpretiert. Um die Materialansprache genauer zu definieren, sollen im
Folgenden einige Möglichkeiten der Abgrenzung von Gürtelteilen zu Buchschließen vorgestellt werden.
Verschlüsse und Beschläge sollten ein Buch hauptsächlich vor Feuchtigkeit
und Beschädigungen schützen. Daher war es notwendig, sie exakt an die Dicke eines Buches anzupassen. In der Renaissance wurden im deutschsprachigen Raum dafür Ösen- und Hakenverschlüsse verwendet, die entweder
als Riemenbefestigungen oder als Ganzmetallschließen mit Scharnier ausgeführt waren 3. Letztere waren im Hinblick auf Genauigkeit und Anbringung an
das Buch wesentlich aufwendiger herzustellen. Das Schließblech mit Haken
oder Öse musste genau auf die Buchdicke abgestimmt werden, da die Anbindung an die Scharnierplatte des Buchrückens keinen Spielraum dafür ließ.
Das Scharnier ließ zudem nur ein Auf- und Zuklappen des Schließbleches zu.
Hakenverschlüsse sind seit dem 14. Jahrhundert nachgewiesen und wurden
zu dem am meisten verwendeten Typ (Szirmai 1999, 251).
Jörg Harder | Segmentgürtel mit mehrteiliger Anhängekombination
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Abb. 9. Detail einer Gürtelschließe aus Perleberg, Lkr. Prignitz, 16./17. Jahrhundert (Abbildung Jörg Harder).
Fig. 9. Detail of a fastening from Perleberg,
district Prignitz, 16th/17th centuries (illustration
by Jörg Harder).
Abb. 10. Funktionsweise eines Knebelverschlusses (Abbildung Jörg Harder).
Fig. 10. Operation of a toggle fastening (illustration by Jörg Harder).
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Vor allem die Konstruktion der Schließmechanismen lässt sich nun für eine
Abgrenzung gegenüber Gürteln heranziehen. Eine Möglichkeit ist in der
Funktionsweise des Knebelverschlusses gegeben, der eindeutig an Gürteln
Verwendung fand (Abb. 9). Das Schließblech besitzt eine spatenförmige Aussparung zur Aufnahme eines Knebelhakens, der aus einer nach hinten gerollten oder geklappten Querrolle besteht. Um diesen Verschluss zu schließen,
muss das Blech mit Knebel um 90° gedreht und von unten in die spatenförmige Öffnung des Schließbleches eingeschoben werden, so dass der Knebel durch den schmalen Fortsatz der Aussparung passt. Sobald der Knebel
durchgeschoben ist, wird er wieder zurückgedreht und auf Zugspannung
gebracht. Er bildet dann eine optische Einheit mit dem Schließblech (Abb.
10). Dies lässt sich nur bewerkstelligen, wenn die Segmente über genug Spielraum verfügen und sich um mindestens 90° drehen lassen. Das ist bei einer
Buchschließe mit Scharnier nicht möglich, da sie sich nur auf- und zuklappen
lässt. Der benötigte Spielraum würde zudem einen korrekten Verschluss des
Buches verhindern. Diese Verschlussweise setzt also eine flexible Drehbewegung der Schließenden voraus. Gleichzeitig lässt sie keine Möglichkeit, die
Länge des zu schließenden Objektes zu beeinflussen. Somit wäre eine Verwendung bei Riemen- oder Pferdegeschirrteilen, die eine flexible Längeneinteilung voraussetzen, ebenfalls nur schwer vorstellbar. Das gleiche Prinzip
lässt sich auch bei Schließen mit pilzförmiger Aussparung und ebensolchem
Hakenaufsatz nachweisen. Die klare Zugehörigkeit dieser Verschlussart zu
Gürteln ist zudem mit dem vollständigen Stück aus Perleberg, Lkr. Prignitz,
und einigen Gürteln aus den von Fritze Lindahl (1988, 60 Abb. 60 – 61) vorgestellten dänischen Schatzfunden abgesichert.
Eine weitere Möglichkeit der Unterscheidung von Buch- und Gürtelschließen liefern Schließteile mit einfach gebogenem Haken und Scharnierhülsen
nach Variante II. Der Haken des Schließbleches ist dabei nach hinten, zum
Buch hin, gebogen. Wäre er nach vorne gebogen, würde er eventuell überstehen und damit ein versehentliches Öffnen des Buches ermöglichen. Zudem
müsste die Aussparung des Hakenlagers größer als der Biegedurchmesser
des Hakens sein, denn er müsste hindurch passen, um von hinten in das Lager zu greifen. Folglich sind in den meisten Fällen die Haken nach hinten in
Klapprichtung gebogen, was den Schließvorgang erheblich vereinfacht. Bei
Gürtelschließen mit einfach gebogenem Haken verhält es sich genau anders
herum. Sie sind nach vorn zur Schauseite gebogen, da sie sich stets hinter
den Schließblechen mit Aussparung einhaken. Dies lässt sich auch bei den
Knebelverschlüssen oder Schließenpaaren mit pilzförmigem Hakenaufsatz
beobachten.
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Datierung
Abb. 11. Detail einer Dolchscheide von Heinrich Aldegrever, 1537 (nach Jessen 1924, 74).
Fig. 11. Detail of a dagger sheath by Heinrich Aldegrever, 1537 (from Jessen 1924, 74).
Abb. 12. Ein Gürtelfragment aus Zehdenick,
Lkr. Oberhavel, 1515–1540 (Abbildung Jörg
Harder).
Fig. 12. A girdle fragment from Zehdenick,
district Oberhavel, 1515–1540 (illustration by
Jörg Harder).
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Die Fundumstände der hier vorgestellten Gürtel und Gürtelteile lassen keine eindeutigen Aussagen über deren Herstellungszeitpunkt zu. Um diesen
näher einzugrenzen, konnten jedoch mehrere Möglichkeiten zur Interpretation mit einbezogen werden. So ist die stilistische Entwicklung der renaissancezeitlichen Ornamente anhand von Vorlageblättern zeitgenössischer Künstler
und Goldschmiede, der so genannten „Kleinmeister“, gut dokumentiert. Zudem bieten das 16. und 17. Jahrhundert eine Fülle von datierbaren Holz- und
Kupferstichen, sowie Ölgemälde mit weitgehend naturrealistischer Darstellung von Personen, von denen einige Gürtel tragen, die typgleich zu den hier
behandelten sind. Die Datierung der bildlichen Darstellungen ermöglicht
hierbei einen Rückschluss auf die zeitliche Relevanz dieses Gürteltyps. Bei
dem stilistischen Vergleich der Ornamente auf den Schauseiten der Gürtelsegmente mit den Vorlageblätter der „Kleinmeister“ konnten vor allem drei
Ornamenttypen ermittelt werden: das Hopfenblatt, die Rahmenkartusche in
Beschlagwerkausführung und das Schweifwerk.
Das Hopfenblatt als eigenständiges Ornament beschränkt sich geographisch auf Mitteleuropa und zeitlich auf die Jahre 1515 bis 1540. Als Ornamentbestandteil aus Italien kommend, erscheint es in Augsburg spätestens
um 1515, vermutlich erstmals als Druck des Künstlers Daniel Hopfer. Dann
folgt es als flächendeckendes Ornament in Arbeiten von Georg Pencz, Hans
G. Beham und Bartel Beham in Nürnberg und um 1520 bei Heinrich Aldegrever in Münster (Irmscher 2005, 101). Die ornamentale Gestaltung auf dem Entwurf einer Dolchscheide von Heinrich Aldegrever aus dem Jahre 1537 zeigt
deutliche Parallelen zu den Verziehrungen dreier Schließensegmente des
Untersuchungsmaterials (Abb. 11 – 12). Der Datierungsvorschlag dieser Stücke
orientiert sich deshalb an der Ornamentlaufzeit von 1515 bis 1540.
Auf fünf verschiedenen Gürtelsegmenten des Untersuchungsmaterials sind
abstrahierte Formen der Rahmenkartusche zu erkennen. Nach der Definition von Günter Irmscher (2005, 94) sind Rahmenkartuschen autonome, eigenplastische Körper, die eine klar vom Rand abgesetzte Binnenfläche vorweisen. Ab 1520 werden diese Konturen auch mit so genanntem „Rollwerk“
verziert, welches sich durch mehrschichtigen Aufbau und der Durchsteckung
von Bändern kennzeichnet. Eine neue Formgebung vollzog sich mit der Applikation von Beschlagwerk auf die Rahmenkartuschen. Die Entwicklung ging
von den plastischen, mehrschichtigen und sich aufbiegenden Bändern des
Rollwerks hin zu flachen, einschichtigen, wie Beschläge wirkenden Bändern.
Eingefügte Löcher oder kleine plastische Hügel, die Nagelköpfe andeuten,
unterstreichen den Beschlagcharakter. Ganze Druckserien, vornehmlich niederländischer Künstler wie Cornelius Floris, Jakob Floris, Hans Vredemann de
Vries und Frans Huys, machten die neue Ornamentform vor allem in Nordeuropa bekannt. Sie blieb von 1550 bis um 1630 im Sujet der Künstler und
Handwerker (Irmscher 2005, 96) (Abb. 13). Die Datierung der genannten Gürtelteile mit Beschlagwerk-Rahmenkartusche folgt auch hier der Ornamentlaufzeit von 1550 bis 1630, da nicht nachweisbar ist, wie lange solche Vorlagen
weitergenutzt wurden.
Auf etlichen Gürtelteilen finden sich Ornamentelemente des Schweifwerks, die verschieden ausgeführt und zum Teil stark abstrahiert sind. In
seiner Dissertation arbeitete Günter Irmscher (1978, 10 – 18) Merkmale dieses Ornamenttyps heraus, die diesen als eigenständigen Stil definieren. Die
Hauptphase umfasste die Jahre 1570 / 80 und 1620 / 30. Frühe Formen zieren
Einfassungen von Erasmus Hornick um 1560 in den Niederlanden. Ab 1600
dominiert das Schweifwerk als Primärornament der nordeuropäischen Goldschmiedekunst und Schreinerarbeiten. Zum gleichen Zeitpunkt erfolgte
eine Stilisierung und Linearisierung für Schmuckvorlagen und für auf Emailarbeiten abzielende Blätter mit weißem oder schwarzem Grund (Irmscher
2005, 127 f.). Die Laufzeit des Ornaments ist anhand der Vorlageblätter gesetzt und bezieht sich auf den Zeitraum ihrer Innovation und Publikation. Es
lässt sich jedoch in diesem Fall eine längere Nutzung nachweisen: Ein wohl
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Abb. 13. Detail der "Corinthia et composita"
von Hans Vredeman de Vriese, 1565 (nach
Jessen 1924, 191).
Fig. 13. Detail of "Corinthia et composita" by
Hans Vredeman de Vriese, 1565 (from Jessen
1924, 191).
1670 von Bartholomäus Stein (Meistermarke) geschaffener Gürtel mit dreiteiliger Anhängekombination zeigt im Schließenbereich miteinander verstegte
Schweifwerkformen und verdeutlicht, dass dieser Ornamentstil wesentlich
länger Verwendung fand, als die Vorlageblätter datieren (Abb. 14). Der Datierungsansatz der Gürtelteile mit Schweifwerkdekor und dessen abstrahierten
Ausführungen stützt sich auf die Laufzeit der Ornamente anhand der Vorlageblätter. Der Gürtel von Bartholomäus Stein wird allerdings miteinbezogen,
da er eindeutig die Fortdauer des Schweifwerks auf den Dekors der Gürtelsegmente belegt. Der Herstellungszeitraum ist daher auf 1570 bis um 1670
anzusetzen.
Weitere Verzierungsformen der Gürtelsegmente bestehen ausschließlich
aus geometrischen Mustern verschiedenster Art, die keinem von der Kunsthistorik definierten Stile zuzuordnen sind. Es scheint sich um regionale Varianten zu handeln, wie sie teilweise auch in Göttingen und der Burg Stuer
vorkommen und auf den Norddeutschen Raum beschränkt bleiben (Abb. 15)
(vgl. Schütte 1991, 71 Abb. 6 – 4­; Schoknecht 1999, 154 Abb. 30 c). Ein Datierungsansatz lässt sich nur über die Form und Herstellungsart der Gürtelteile
gewinnen, die mit den anderen hier vorgestellten Stücken korrespondiert.
Eine relativ weit gespannte Eingrenzung in das 16. und 17. Jahrhundert scheint
hierbei angemessen zu sein.
Schmuckgürtel in Schriftquellen
Die Recherche von schriftlichen Quellen ergab, dass Frauenschmuckgürtel
mit den hier untersuchten Formmerkmalen durchaus erwähnt wurden und
sich mit dem angesetzten Datierungszeitraum decken. Hinzuweisen ist vor
allem auf Testamente (Schildhauer 1992, 76), Nachlassinventare (Schürer
2001, 256; Wilckens 1979, 25 – 41; Spácilová 2000, 120; Seeberg-Elverfeldt
1975, 248) sowie Hochzeits- und Kleiderordnungen. Letztere nahmen zum
Teil sehr detaillierte Abstufungen zwischen den Ständen einer Stadt vor, die
hauptsächlich Anzahl, Material und Wert der Kleider und Schmuckgegenstände betrafen, welche die Frauen an bestimmten Tagen in der Öffentlichkeit
tragen durften. Dabei waren vergoldete oder silberne Gürtel ausschließlich
den obersten Ständen vorenthalten, während Gürtel aus Bronze oder Messing nicht unter die Reglements fielen und von Frauen jeden Standes getragen
werden durften.
Die verwendeten Bezeichnungen in den Ordnungen und Testamenten geben dabei einen Hinweis auf die Art der genannten Gürtel. So stehen gördel, lyffrehm und lanne im Mittelniederdeutschen synonym für Gürtel, wobei
mit reme eine Lederunterlage bezeichnet wird, mit borte eine Stoffunterlage.
Laut Gudrun Lindskog-Wallenberg (1977, 102 – 120) bedeutet lanne eine Stange oder Blatt aus Metall. Lamina kennzeichnet eine Kette oder einen Gürtel
Abb. 14. Ein Frauenschmuckgürtel von Bartholomäus Stein, 1670, Detail (nach ZanderSeidel 2007 Abb. 213).
Fig. 14. A female decorative girdle by Bartholomäus Stein, 1670, detail (from Zander-Seidel
2007, Fig. 213).
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aus einzelnen getriebenen Stäbchen oder Metallblechen. Lansulver und lannengold sind also dünn geschlagene Silber- und Goldbleche, demnach eine
aus diesen Blechen gefügte Gürtelkette. Diese Bezeichnungen waren hauptsächlich im norddeutschen Raum gebräuchlich (Lindskog-Wallenberg 1977,
106 – 120; Crull 1898, 154). Vor allem die Zusammenstellung aus Gürtel und
dazugehöriger Tasche oder Messerscheide, die an der Anhängekombination
befestigt wurden, sind klar nachzuweisen. Vollständige Exemplare solcher
zusammengestellter Gürtelgarnituren sind z. B. in dem Schatzfund von Regensburg, verborgen um 1633, erhalten (Weininger 1869, 332 – 334 Abb. 1 – 15).
Abbildung 16 zeigt ein Exemplar mit Messerscheide, das vermutlich um 1600
von Christoph Breny (Marke CB) geschaffen wurde.
Schmuckgürtel auf Ölgemälden
Abb. 15. Das Segment eines Gürtels aus Perleberg, Lkr. Prignitz, 16./17. Jahrhundert (Abbildung Jörg Harder).
Fig. 15. A girdle fragment from Perleberg, district
Prignitz, 16th/17th centuries (illustration by Jörg
Harder).
Abb. 16. Ein Frauenschmuckgürtel von Christoph Breny, um 1600 (nach Pechstein 1987
Kat.-Nr. 209).
Fig. 16. A female decorative girdle by Christoph
Breny, ca. 1600 (from Pechstein 1987 Kat.-Nr.
209).
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Die Vielfalt der Portraitmalerei, Gemälde mit Alltagsdarstellungen sowie
Holz- und Kupferstiche des 16. und 17. Jahrhunderts gibt einen guten Einblick
hinsichtlich der Modeentwicklung und Tragweise von Schmuckgegenständen dieser Zeitstellung. Anhand dieser Bildnisse kann nicht nur beobachtet
werden, wie die Schmuckgürtel getragen wurden, sondern auch Rückschlüsse auf die kulturhistorische Relevanz im Sinne des sozialen Umfeldes der
Trägerinnen gezogen werden. Standen diese Gürtel tatsächlich in so engem
Zusammenhang mit dem Hochzeitsbrauch wie die vielfach postulierte Bezeichnung „Brautgürtel“ suggeriert?
Eines der ältesten Gemälde, auf denen Frauen Schmuckgürtel mit mehrteiligen Anhängekombinationen tragen, ist ein Diptychon des Praunschen
Kabinetts aus Danzig, das 1518 vom Meister Michel geschaffen wurde (Abb.
17). Die Darstellung zeigt eine Bankettszene mit zwei Frauen und zwei Männern, die am gedeckten Tisch sitzen und sechs weiteren Frauen, die im Vordergrund stehen. Alle Frauen im Vordergrund tragen mindestens einen Gürtel, der lose auf der Hüfe liegt und an dem eine sackförmige Tasche und eine
Messerscheide an einem langen Band hängen. Die drei zentralen Frauen tragen sogar bis zu drei Gürtel auf einmal und aufwendige Kopfbedeckungen.
Wenn auch nicht bei allen Personen genau zu erkennen ist, um welche Art
von Gürtel es sich handelt, so zeigen doch die der Bediensteten mit Tablett
in den Händen und der Bediensteten ganz rechts im Bild deutlich die selben
Formmerkmale der hier behandelten Gürtel. Diese Darstellung ist sicherlich
stark idealisiert, laut Peter Strieder (1958, 16) sogar ins Fantastische übersteigert. Sie legt jedoch nahe, dass Gürtel mit diesen Formmerkmalen bereits
1518 in ihrem funktionellen Zusammenhang, als Schmuck und Träger von Tasche und Besteck gebräuchlich waren.
Ein Portrait des Malers Lorenz Strauch von 1587 zeigt ein Ehepaar (Abb.
18). Beide Personen sind nach der spanischen Mode gekleidet. Der silberne
Gürtel der Frau liegt schräg auf der Taille und scheint ausschließlich aus langrechteckigen Segmenten zu bestehen. Unter ihrem rechten Unterarm sind
die Beuteltasche und der Griff des Besteckes der Messerscheide zu erkennen,
die an einem ringförmigen Zwischenglied befestigt sind.
Es sei hier auch das Bildnis der siebzehnjährigen Salome von Erlach vorgestellt. Das von Bartholomäus Sarburgh 1621 geschaffene Portrait zeigt die
junge Frau, deren Kleidung noch immer Züge der spanischen Mode aufweist
(Abb. 19). Schräg auf ihrer Hüfte liegt ein Kettengürtel mit dreiteiliger Anhängekombination, dessen Zwischenglied als Ring ausgeführt ist. Was genau daran befestigt wurde, ist leider nicht zu erkennen, die Tragweise des Gürtels
jedoch klar ersichtlich.
Wie auf den vorgestellten Abbildungen zu erkennen ist, dominieren im Sujet
der Portraitmalerei hauptsächlich Personen gehobenen Standes. Dabei sind
in der Regel Frauen unterschiedlichen Alters zu ermitteln, die solche Gürtel
trugen. Da aber auch unverheiratete junge Frauen mit eben diesen Gürteln
abgebildet wurden (Zander-Seidel 1990, 64 Abb. 51), schwächt sich die pauschal insistierte Zweckbestimmung als Brautgeschenk oder Bestandteil der
Jörg Harder | Segmentgürtel mit mehrteiliger Anhängekombination
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Brauttracht merklich ab. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Betrachtung
von Mädchen und Jungen auf Familienportraits dieser Zeitstellung. Offenbar
war die Verkleinerung des modischen Zeitkostüms für Kinder in gehobenen
Schichten äußerst beliebt.
Das von Lorenz Strauch 1583 geschaffene Bildnis eines achtjährigen Mädchens veranschaulicht eindrucksvoll, dass die Kleidung der Kinder vornehmer
Familien der Erwachsenenwelt nachempfunden war (Abb. 20). Das Mädchen
trägt einen schräg auf der Hüfte liegenden Gliedergürtel mit angehängter
Beuteltasche.
Formgleiche Gürtel in Trachtenbüchern
Der Begriff „Brautgürtel“ steht in engem Zusammenhang mit der Brauchtums- und Trachtenforschung, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und
vor allem Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts verstärkt betrieben wurde
(Bösch 1893, 41 – 53; Friedberg 1865; Jegel 1953, 238 – 274; Deneke 1971; Beitl
1974). Für die Untersuchungen der diesem Artikel zugrunde liegenden Magisterarbeit waren jedoch weniger die vollständigen Trachtenbestandteile relevant, sondern ob und wie lange sich in der Kleidung Gürtel erhalten haben,
Abb. 17. Ausschnitt aus dem Danziger Diptychon von 1518 (nach Strieder 1958, 14).
Fig. 17. Detail of the Danzig diptych of 1518
(from Strieder 1958, 14).
Abb. 18. Bildnis eines Ehepaares von Lorenz
Strauch, 1587 (nach Zander-Seidel 1990 Abb.
176).
Fig. 18. Portrait of a couple by Lorenz Strauch of
1587 (from Zander-Seidel 1990, Fig. 213).
Abb. 19. Bildnis der Salome von Erlach, 1621
(nach Preiswerk-Lösel 1983 Abb. 150).
Fig. 19. Portrait of Salome von Erlach, 1621 (from
Preiswerk-Lösel 1983, Fig. 150).
welche zu den Formmerkmalen des Untersuchungsmaterials kongruent sind.
Bei der Durchsicht von Studien über Trachten verschiedenster Regionen in
Deutschland, Niederlande, Schweiz und Österreich ließen sich zahlreiche
Abbildungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert finden, welche Bürger und Bauern in ihrer damals landestypischen Kleidung darstellen (Jaacks 1983 Abb.
5 – 6, 8 – 9; Hoffmann 1962 Abb. 1, 11, 14; Farbtaf. I; Costumes 1872; Lemmer
1972). Vor allem der Züricher Jost Amman war einer der produktivsten und
vielseitigsten Buchillustratoren des 16. Jahrhunderts (Lemmer 1972, 125 f.). Die
Autoren der Trachtenbücher des 19. und 20. Jahrhunderts, die traditionelle
Trachten der verschiedenen Regionen vorstellen, verwenden weitgehend
Ammans Holzschnitte zur Darstellung der historischen Entwicklung, welcher die Kleidung im Laufe der Zeit unterworfen war. Auf ihnen, wie auch
auf anderen entsprechenden Bildnissen des 16. und 17. Jahrhunderts, tragen
Frauen Gürtel, die formgleich zu den in dieser Arbeit Vorgestellten sind;
Mägde ebenso wie Bürgerinnen und Jungfrauen (Preiswerk-Lösel 1983 Abb.
148 b). Segmentgürtel mit mehrteiliger Anhängekombination wurden danach
sowohl von sozial höher gestellten, als auch von niedriger gestellten Frauen getragen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts veränderte sich der
Modegeschmack in den meisten Regionen, sodass die Gürtel als modisches
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Jörg Harder | Segmentgürtel mit mehrteiliger Anhängekombination
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Beiwerk ab 1650 allmählich aus dem Sujet der Künstler verschwanden (Meyer
1986, 76) 4.
Schmuckgürtel des 18. und 19. Jahrhunderts im alpinen Raum
Abb. 20. Bildnis eines achtjährigen Mädchens
von Lorenz Strauch, 1583 (nach Zander-Seidel
1990 Abb. 234).
Fig. 20. Portrait of an eight year old girl by Lorenz Strauch, 1583 (from Zander-Seidel 1990,
Fig. 234).
Malerei mit ständischen und bäuerlichen Szenen setzte sich jedoch auch
auf anderen Trägern fort, wie beispielsweise Mobiliar, Betten, Schachteln
oder Bottichen. Die Darstellung einer Hochzeitstafel auf dem Fußende eines
Bettes zeigt die Kleidung einer Hochzeitsgesellschaft. Das Bett gehört zu einer
Gruppe bemalter Möbel, die alle zwischen 1780 und 1790 bei Gunskirchen,
westlich des oberösterreichischen Ortes Wels geschaffen wurden (Beitl 1974
Taf. 26). Im unteren Bildteil sind zwei Tanzpaare zu erkennen, deren Frauen
auf der Hüfte liegende Segmentgürtel mit mehrteiligen Anhängekombinationen tragen (Abb. 21).
Eindeutig als „Brautgürtel“ angesprochen wird ein Gürtel aus dem Tiroler Gröden. Die dargestellte Braut trägt einen durch Scharniere verbundenen Plattengürtel aus Messing, an dem an der Schließe ein Tuch eingesteckt
ist und an einer Anhängekombination eine Messerscheide hängt (Abb. 22).
Wiederum aus Tirol, aus dem Defereggental, ist ein lederner Gürtel mit Federkielstickerei und Anhängekombination bekannt. Der einer Frauentracht
zugehörige Gürtel stammt wohl aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
An ihm hängen Messerscheide und Schlüssel (Selheim 2005 Kat.Nr. 117, Abb.
245). Weitere „Brautgürtel“ aus dem oberösterreichischen Innviertel und dem
Südtiroler Pustertal stellte Klaus Beitl (1974 Taf. 27 a – c) vor. In ihrer Studie über
bäuerlichen Schmuck wies auch Gislind Ritz (1978, 132) auf den traditionellen
Gebrauch von Hochzeitsgürteln in den Landschaften Kärnten, Tirol und Vorarlberg hin. Die von ihr als „Brautgürtel“ angesprochenen Gürtel unterscheiden sich jedoch in ihrem formalen Aufbau. So fehlt bei den drei vorgestellten
Exemplaren aus dem schweizerischen Freiamt Aargau, die sie in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts datiert, jeweils die Anhängekombination (Ritz 1978,
207 Abb. 266), während zwei süddeutschen Gürtel des 17. bis 18. Jahrhunderts
klar als Segmentgürtel mit Textilborte zu erkennen sind (Abb. 4 u. 23).
Außerhalb der alpenländischen Regionen lässt sich nur ein einziger Gürtel
anführen, der mit dem Hochzeitsbrauch in Zusammenhang gebracht wird.
Bei dem als „Brautgürtel“ des 19. Jahrhunderts angesprochenen Stück aus
Schwalm in Hessen handelt es sich um einen Kettengürtel mit dreiteiliger Anhängekombination, der mit einem von Pfeilen durchbohrten Flammenherz
als Zentralmotiv dekoriert ist (Abb. 24). Aufgrund der Formmerkmale, die sich
völlig mit Gürteln des 16. und 17. Jahrhunderts decken, erscheint die zeitli-
Abb. 21. Darstellung einer Hochzeitstafel auf
einem Bett, um 1790 (nach Beitl 1974 Taf. 26).
Fig. 21. Representation of a wedding banquet on
a bed, ca. 1790 (from Beitl 1974, table 26).
4 Vgl. Darstellungen bei Hottenroth 1898.
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Jörg Harder | Segmentgürtel mit mehrteiliger Anhängekombination
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che Einordnung jedoch zweifelhaft, zumal bei den hessischen Trachten des
19. Jahrhunderts keinerlei ähnliche Gürtel angeführt werden (vgl. Justi 1905).
Aus den aufgezeigten Beispielen geht hervor, dass verschiedene Varianten
von Segmentgürteln mit mehrteiliger Anhängekombination zumindest im 19.
Jahrhundert im Gebrauch waren. Eine kontinuierliche Nutzung seit dem 17.
Jahrhundert lässt sich indes nicht nachweisen, kann aber aufgrund der nur
leicht abgewandelten Formmerkmale angenommen werden. Sie beschränken sich geographisch auf wenige, vermutlich schwer zugängliche Täler im
oberösterreichischen Alpenland.
Jüdische Brautgürtel
Auch im jüdischen Hochzeitsbrauch gibt es Hinweise auf die Verwendung
von so genannten „Brautgürteln“ (Deneke 1988, 141; Hirschler 1988, 193). So
weist Bernward Deneke (1971, 132 ff.) darauf hin, dass solche Gürtel (Segmentgürtel mit mehrteiliger Anhängekombination) fast regelmäßig bei den jüdischen Hochzeiten unter den von Hochzeitsleuten getauschten Gaben vorkamen. Einige als jüdische „Brautgürtel“ angesprochene Stücke (Schroeter 1991,
56 f. Abb. 49; Scheffler 1976, 109; Freimann 1908, 143) unterscheiden sich jedoch in keiner Hinsicht zu anderen Gürteln dieser Art. Besondere Attribute in
Form oder Ausschmückung, wie sie von jüdischen Hochzeitsringen bekannt
sind, lassen sich nicht feststellen. Wie auch auf den von Aron Freimann angeführten jüdischen Hochzeitsgürtel, die zwar alle die Formmerkmale eines
Segmentgürtels mit mehrteiliger Anhängekombination aufweisen, dessen
ungeachtet aber keine Spezifikationen enthalten, die sie als eindeutig jüdischen „Brautgürtel“ ausweisen würden (Freimann 1908, 143 Taf. II).
Abb. 22. Braut aus Gröden, Österreich (19.
Jahrhundert) (nach Selheim 2005 Abb. 247).
Sinnbilder der Liebe und Ehe im Dekor von Gürtelsegmenten
Fig. 22. Bride from Gröden, Austria, 19th century
(from Selheim 2005, Fig. 247).
Eine weitere Möglichkeit, die Zweckbestimmung der verschiedenen Gürtel
zu ermitteln, ist die Beobachtung und Deutung ihres symbolhaften Dekor­
Abb. 23. „Brautgürtel“ aus Süddeutschland,
17./18. Jahrhundert (nach Ritz 1978 Abb. 192).
Fig. 23. “Bride belt“ from southern Germany,
17th/18th centuries (from Ritz 1978, Fig. 192).
Abb. 24. Der Schwälmer „Brautgürtel“, 19.
Jahrhundert (nach Bott 1982 Kat.-Nr. 100).
Fig. 24. The „bride belt“ from Schwalm, 19th
century (from Bott 1982, cat. no. 100).
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Abb. 25. Portraits von Brautpaaren auf Gürtelsegmenten, 17. Jahrhundert (Dänemark) (nach
Lindahl 1988 Abb. 56 h–k).
Fig. 25. Portraits of couples on belt segments
from Denmark, 17th century (from Lindahl
1988, Fig. 56 h–k).
inhalts. Während die Dekors des hier vorgelegten Untersuchungsmaterials
hauptsächlich florale Ornamente und geometrische Muster enthalten, lassen
sich bei einigen Vergleichsobjekten Dekordetails erkennen, die in ihrer Symbolik mit Attributen der Hochzeit und des Ehelebens in Zusammenhang stehen. Im Juden- und Christentum symbolisiert vor allem das Herz die gemüthaften Kräfte, die Liebe, Intuition und auch die Weisheit (Becker 1992, 126).
Herzmotive sind nicht nur auf Ringen (Battke 1953 Taf. XV, 81 – 83 A, Taf. XVI,
86) und Emblemen zu finden, sondern auch in den Dekors von Gürteln des
hier behandelten Typs (Abb. 24), was im Rückschluss aber nicht unbedingt
als klarer Nachweis eines „Brautgürtels“ verstanden werden muss. So könnte
ein dergestalt dekorierter Gürtel oder Ring schlicht aus Zuneigung geschenkt
worden sein, ohne zwangsläufig eine Heiratsabsicht zu bekunden.
Auch Tauben werden mit der Liebe und Ehe in Zusammenhang gebracht.
Aufgrund der irrtümlich angenommenen lebenslangen Treue bei Taubenpaaren galten sie im Kontext mit Mädchen oder Frauen als Symbol der Tugend, wurden als Liebesbezeugung gesehen und deshalb in der Emblematik
als Zeichen der Liebe und Gattentreue verwendet (Dittrich/Dittrich 2004,
527). Zwei einander zugewandte Tauben sind darüber hinaus ein Symbol der
Eintracht. Als Beispiel sei hier der Gliedergürtel von Bartholomäus Stein aus
dem Jahr 1670 erwähnt, der ebensolche Tauben im Dekor mancher Segmente
führt (siehe Abb. 14).
Einen deutlichen Bezug zur Hochzeit zeigt sich dagegen mit der Verwendung
von Portraits der Eheleute im Dekor von Gürtelsegmenten. Auf drei von Fritze
Lindahl (Lindahl 1988, 57) vorgestellten Gürteln aus dänischen Schatzfunden ist
ein Brautpaar abgebildet. Zwei davon befinden sich auf Segmenten von Schließen, eines ist Teilsegment einer dreiteiligen Anhängekombination (Abb. 25).
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Zusammenfassung
Aus der vorliegenden Arbeit wurde deutlich, dass die untersuchten Gürtel
alle über einen identischen formalen Aufbau verfügen: aus Segmenten bestehende, stumpf endende Schließen ohne flexible Längeneinteilung und mit
mehrteiligen Anhängekombinationen (Abb. 2 – 4). Sie können als Ketten- oder
Gliedergürtel, sowie Gürtel mit Textil- oder Lederborte ausgeführt sein. Aufgrund dieser Formmerkmale können sie kategorisch unter dem Begriff Frauenschmuckgürtel als Typ „Segmentgürtel mit mehrteiliger Anhängekombination“ zusammengefasst werden. Die einzelnen Segmente weisen mindestens
drei verschiedene Varianten der Herstellung auf. Sie unterscheiden sich in der
Herstellungstechnik, Qualität und vermutlich auch im Wert, da ein gegossenes Stück sicher aufwendiger herzustellen war und mehr Grundmaterial erforderte, als ein dünnes Blech. Mit Ausnahme der gegossenen Teile zeigen
alle anderen Segmente deutliche Spuren einer Massenproduktion, vor allem
an den Dekors. Nahezu bei jedem Segment passt der Dekor nicht genau auf
die Ausmaße des Stückes, ist unvollständig oder wurde fehlerhaft gefertigt.
Manche Dekors lassen erkennen, dass die Größe und Form des Segments
aus einem schon zuvor geprägten Blech ausgeschnitten wurde. Insgesamt
zeigen fast alle untersuchten Gürtel und Gürtelteile einen wenig qualitätvollen bis improvisierten Charakter. Vollständige Stücke, in denen Segmente unterschiedlicher Herstellungsvarianten und Dekormotive integriert wurden,
bestätigen dies. Auch scheinen sie von keinem darauf spezialisierten Kunsthandwerker gefertigt worden zu sein, vielmehr waren sie vermutlich nur ein
Produkt unter vielen. Die durchweg aus Kupferlegierungen gearbeiteten
Gürtel deuten zudem auf einen wenig finanzkräftigen Kundenkreis hin. Die
Käufer sind sicherlich in den unteren sozialen Schichten von Städten oder der
ländlichen Bevölkerung zu suchen. Wie aus den erwähnten Kleiderordnungen ermittelt werden konnte, fielen unvergoldetes oder unversilbertes Kupfer, Bronze oder Messing nicht unter die Reglements und durften von jedem
getragen werden.
Des Weiteren konnten Unterscheidungsmerkmale zu Buchschließen erarbeitet werden. Besonders die Schließformen eignen sich hierfür. Dabei wurde
deutlich, dass Schließen mit Knebelverschlüssen und spaten- oder pilzförmiger Aussparung auf dem Schließblech eindeutig als Gürtelteile anzusprechen
sind.
Ein stilistischer Vergleich mit den Ornamentvorlagen der so genannten
„Kleinmeister“ des 16. und 17. Jahrhunderts bescheinigt einen Herstellungszeitraum dieser Gürtel vom Anfang des 16. bis in das zweite Drittel des 17.
Jahrhunderts. Aussagen schriftlicher Quellen wie Testamente, Inventare
und Kleiderordnungen, sowie ein Vergleich mit Portraits und Alltagsmalerei
dieser Zeitstellung, bestätigen eindeutig das Vorhandensein solcher Gürtel
während dieses Zeitraumes. Zusätzlich finden sich typgleiche Gürtel in zeitgleichen Schatzfunden Dänemarks und Deutschlands. Die vielen Gemälde,
Portraits und Alltagsmalereien der Renaissance enthalten wichtige Informationen zur kulturhistorischen Dimension dieser Gürtel. Aus ihnen lässt sich
ermitteln wer die Träger dieser Gürtel waren, welchem sozialem Stand und
kulturellem Milieu sie angehörten und welchen Alters sie waren.
Zusammenfassend betrachtet lässt sich erkennen, dass es sich in der Regel um reine Frauenschmuckgürtel handelte, welche Bestandteil der Kleidermode des 16. und 17. Jahrhunderts waren. Bis auf wenige Ausnahmen im
österreichischen-alpenländischen Raum sind sie ab der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts im Zuge der modischen Weiterentwicklung als Kleidungsbestandteil verschwunden. Wie die bildlichen Darstellungen verdeutlichen,
wurden sie, unabhängig vom sozialen Stand, von allen Frauen gleichermaßen
getragen. Die Unterschiede mögen hierbei in der Art der Ausführung und
dem Wert des Materials gelegen haben. Beispielsweise stehen die zum Großteil schlecht gearbeiteten und mit einer Kupferlegierung vergleichsweise billigen Gürtel des dieser Arbeit zugrunde liegenden Untersuchungsmaterials im
starkem Gegensatz zu wertvollen Goldschmiedearbeiten, wie sie in Magawww.histarch.org
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5 Der jüdische Begriff für Hochzeitsgürtel
lautet Siwlona.
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zinen oder Museumsaustellungen aufbewahrt werden (Zander-Seidel 2007,
234 Abb. 212 – 213). Am Beispiel der angesprochenen Familienportraits wurde zusätzlich klar, dass auch Kinder wohlhabender Bürger oder Adliger mit
diesen Gürteln geschmückt wurden, nicht nur junge Frauen oder Mädchen,
sondern auch solche, die das heiratsfähige Alter noch lange nicht erreicht
hatten. Die Gürtel können also nicht pauschal als „Brautgürtel“ angesprochen
werden. Vielmehr können sie nur als solche erkannt und bezeichnet werden,
wenn sie über bestimmte Attribute verfügen, die sie klar mit dem Hochzeitsbrauch oder dem Eheleben in Verbindung bringen. Symbolhafte Dekorbestandteile wie Tauben, sich greifende Hände oder die Portraits der Brautleute
können dabei Indikatoren für den übergeordneten Verwendungszweck als
Brautgeschenk oder Teil der Mitgift sein. Gürtel, die keine solchen Attribute
aufweisen, müssen dagegen als Frauenschmuckgürtel angesprochen werden,
da ein übergeordneter Verwendungszweck für den Hochzeitsbrauch nicht
nachweisbar ist. Desgleichen gilt für die als jüdische Brautgürtel 5 angesprochenen Gürtel.
Es lässt sich letztlich nur schwer klären, ob ein „normal“ verzierter Gürtel,
ohne entsprechende symbolhafte Dekorbestandteile, als Geschenk an eine
Braut überreicht wurde. Ein klar definierter „Brautgürtel“ war sicherlich eine
Auftragsarbeit und wurde individuell gestaltet. Dies setzte jedoch eine bestimmte Liquidität des Auftraggebers voraus und da sich nicht jeder solch einen Gürtel leisten konnte, liegt es nahe, dass auch seriell hergestellte Gürtel
zur Hochzeit geschenkt wurden. So sind die aufgrund ihrer symbolhaften Dekorbestandteile hier als „Brautgürtel“ ermittelten Stücke durchweg wertvolle
Silberarbeiten, ein Umstand, der die Vermutung einer Auftragsarbeit stützt.
Die Vergleichsweise viel größere Menge an Gürteln mit floraler Ornamentik,
teils in Verbindung mit figürlichen Darstellungen, deutet jedoch die große allgemeine Beliebtheit dieses Gürteltyps während des 16. und 17. Jahrhunderts
an. Dabei kam dem formalen Aufbau offenbar wesentliche Bedeutung zu,
wie z. B. ein vollständiger Gürtel aus Triglitz, Lkr. Prignitz, veranschaulicht: Die
Segmente sind fehlerhaft und wenig qualitätvoll ausgeführt, zwei davon stammen nachweislich von anderen Gürteln, die Kette ist um eine halbe Drehung
verdreht, der Schließhaken passt nicht zur Aussparung des Schließbleches,
aber der Gürtel ist eindeutig als ein Segmentgürtel mit mehrteiliger Anhängekombination erkennbar (Abb. 2). Die Wahl des Materials und Ausführung
solcher Arbeiten deutet auf keine kaufkräftige Klientel hin, sondern eher auf
einen Käuferkreis, der mit bescheidenen Mitteln versuchte, dem modischen
Zeitgeschmack zu entsprechen. Dabei zeigen gerade zwei Gürtel mit ihrem
gold-ähnlichen Glanz, dass sie sicherlich ein Prestigeobjekt darstellten und
als Imitationen wesentlich wertvollerer Vorbilder zu werten sind (vgl. Abb. 3).
Mit dieser Arbeit konnte eine Basis erarbeitet werden, mit deren Hilfe künftig die Materialansprache deutlich erleichtert sein wird, vor allem bei der
schwierigen Interpretation von Fragmenten oder einzelnen Segmenten ohne
klaren Fundzusammenhang, sowie der Abgrenzung zu Buchschließen. Erst
mit einer weiterführenden Beschäftigung mit diesem Gürteltyp können vertiefende Aussagen zur europaweiten Verbreitung, lokalen Unterschieden der
Herstellung und ornamentalen Gestaltung, sowie eine Annäherung zur Gesamtanzahl der erhaltenen Gürtel und Gürtelteile angestrebt werden. Schon
alleine die Ansprachenkorrektur der als Buchschließen interpretierten Gürtelschließen dürfte die Anzahl der Funde deutlich ansteigen lassen und somit
ein klareres Licht auf die kulturhistorische Dimension der Gürtel werfen.
Der Vollständigkeit halber soll an dieser Stelle noch darauf hingewiesen
werden, dass auch Männer Metallgürtel mit segmentartigem Aufbau trugen.
Sie unterscheiden sich jedoch zu den Frauenschmuckgürteln deutlich daran,
dass sie statt einer mehrteiligen Anhängekombination für Taschen oder Messerbestecke ein Wehrgehänge integriert oder angefügt hatten (vgl. Abb. 18).
Eine intensive Beschäftigung mit Männergürteln des 16. und 17. Jahrhunderts,
die über Beschläge und eventuell sogar Segmente verfügten, wäre wünschenswert und könnte als eigenständiges Forschungsvorhaben zur einer
besseren Materialansprache führen.
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Summary
Segmented girdles with multi-part pendant construction – a female decorative girdle of the renaissance
The finds of this study consist of two belts, and a total of 24 fully preserved fragments show a different high number of conserved segments. They
were primarily found as scattered finds in the Brandenburg districts Prignitz,
Ostprignitz-Ruppin, Havelland, Upper Havel, Jericho, Oder-Spree, DahmeSpreewald, Uckermark and in Berlin at the Mühlendamm / Spree (Fig. 1). Three
objects, the origin is not clarified, were purchased at auctions by collector
Rudolf Lepke at the beginning of the 20th century, and came under unknown
circumstances to the magazin of the Märkisches Museum. As a singular burial
find a completely preserved mountain belt from Perleberg, district Prignitz
is to lead. The finds are now mainly in the Märkisches Museum Berlin, Brandenburg BLDAM, the local museum of Königs-Wusterhausen and the local
museum of Perleberg.
According to the present analysis, the examined girdles show a typical composition with fastenings consisting of oblong one-piece segments with blunt
terminals and with a multi-part pendant construction (see Fig. 1 – 3). They can
be designed as chain or segmented girdles as well as girdles with textile or
leather trimming. Based on these formal characteristics they can be categorized as female decorative girdles of the type “segmented girdles with multipart pendant construction”. For the segments, at least three different types of
manufacture can be distinguished. They differ in manufacturing technique,
quality and, presumably, in value as well, with cast pieces requiring a higher
amount of raw material and a more complicated manufacturing process than
pieces made of thin metal sheets. With the exception of the cast pieces, all
analysed segments show signs of mass production, particularly with regard to
decorative elements. The vast majority of segments caries elements of decoration which either do not wholely cover the segment´s surface or have been
applied faultily or incompletely. Some segments appear to have been cut out
of an already embossed sheet of metal. Altogether, the major part of the examined girdles and girdle fragments shows a rather simple, if not improvised
manufacture. Some examples of fully preserved girdles have even been assembled from segments of several different types of manufacture and decorative motifs. This leads to the conclusion that in general these girdles were
probably not produced by specialised craftsmen. In addition, their consisting
of copper alloy points to a less wealthy circle of customers. Buyers will probably have belonged to the lower urban social classes and the rural population
who, according to dress regulations of the time, would have been allowed to
wear ungilded or unsilvered copper, bronze or brass.
Another aim of the present analysis was to work out specific characteristics
facilitating the distinction of girdle segments from book-clasps. In this respect,
the closing construction was of particular relevance. It could be clarified that
toggle fastenings with a spade- or mushroom-shaped hole on the fastening
sheet can undoubtedly be identified as girdle elements.
A stylistic comparison of typical girdle decoration with ornament templates
of the so-called “Kleinmeister” (specialised craftsmen of miniature decorative etchings) of the 16th and 17th centuries points to a time of manufacture
ranging from the beginning of the 16th to the second third of the 17th century.
Historical documents such as testaments, inventories and dress regulations,
as well as portraits and genre art of the time, confirm the use of this type of
girdle in that particular period. In addition, girdles of this type have come up
in treasure finds of the same period in Denmark and Germany. Moreover, the
vast number of portraits and genre paintings of the renaissance bear important information on the cultural-historical dimension of the girdles. The identity and age as well as the social status and cultural background of the wearers
of such girdles can be discerned from them.
In summary, it has become clear that the girdles discussed above were exwww.histarch.org
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clusively worn by women and formed a decorative element of the female fashion of the 16th and 17th centuries. With very few exceptions in the alpine
regions of Austria and beyond, they vanished from the female dress in the
second half of the 17th century due to a change of fashion. As shown in the
above-mentioned types of illustrations, the girdles were worn by all kinds of
women, regardless of social status. Status differences might therefore have
been expressed through the wearing of pieces of a specific quality of manufacture and material value. The number of analysed girdles which were made
of copper alloy, for example, show a rather poor quality of manufacture and
distinctly contrast with the precious gold works known from various museum collections and exhibitions. Moreover, the analysis of a number of family
portraits made it clear that even the children of wealthy citizens or noblemen
were decorated with these girdles. This did not only include younger women
and girls, but even children that had not even reached the marriageable age
yet. In consequence, a generalisation of the girdles as “bridal girdles“ does not
seem appropriate. For a respective identification and characterisation, particular attributes clearly relating the girdles to the rite of marriage or to marital
life would have to be discerned. Decorative elements carrying symbolic implications, such as doves, grasping hands or the portraits of bride and groom
can indeed serve as indicators for a function as a bridal gift or as part of the
dowry. However, for the time being girdles lacking such attributes and clear
evidence for functioning as a bridal girdle will have to be identified as female
decorative girdles. This equally applies to the socalled “Jewish bridal girdles”.
In the end, it will be difficult to tell whether a simple decorated girdle without distinct symbolic elements might have been given to a bride or not. An
explicit “bridal girdle” would certainly have been a commissioned work of
individual design, provided the respective client was wealthy enough for a
commission of this kind. Supposing not everyone was able to afford an individually made girdle, pieces of serial manufacture will probably have been
used as marital gifts as well. Without exception, the examples being referred
to as “bridal girdles” in the present work, according to their carrying respective symbolic elements, are precious pieces of silver. This observation supports
the assumption that they were commissioned pieces of jewellery. Nevertheless, the considerably higher number of girdles with mere floral decoration,
partially combined with figural elements, indicates a wide-spread general
popularity of this type of girdle in the 16th and 17th centuries. Apparently, the
formal composition of the girdle was of higher importance than its quality,
as a complete piece from Triglitz exemplifies: the segments are faultily and
poorly manufactured, two of them demonstrably coming from other girdles.
The chain is twisted by 180° and the fastening hook does not match the hole
in the fastening sheet. Nevertheless, altogether the piece can undoubtedly
be identified as a segmented girdle with a multi-part pendant construction
(Fig. 2). The choice of material and quality of pieces of this making does not
suggest a wealthy circle of clients, but rather clients who, though with modest
means, tried to dress according to the latest fashion. Two girdles of the present collection with a specific gold-like appearance clearly seem to be imitating much more precious pieces. This points to the probable function of this
type of girdle as a prestig-ious object (Fig. 3)
The primary result of the present work was the formation of a typological
basis, which will facilitate the identification of the material in the future. This
will be particularly helpful with the interpretation of fragments and singular
segments without find context as well as with their distinction from book
clasps. However, continued detailed research on this type of girdle in a wider European context is the prerequisite for a deepened understanding of its
distribution, local schools of production and decoration as well as for the recording and analysis of the highest possible number of preserved girdles and
girdle elements. The correct identification of girdle fastenings which have formerly been misinterpreted as book clasps alone is likely to rise the number of
finds considerably. This already gives an impression of the cultural-historical
significance of this type of object.
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It must not remain unmentioned that segmented metal girdles have been
worn by men as well. However, these distinctly differ from female decorative girdles. Instead of a multi-part pendant construction for pouches or knife
assortments they feature an integrated or appended baldric (see Fig. 18). An
individual study specifically concerned with male mounted or segmented
girdles of the 16th and 17th centuries would certainly be a promising undertaking of its own and could lead to a clarified classification of this particular
group of material as well.
Translation by Kathrin Felder M.A.
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Jörg Harder
Projekt Großgrabung Gründungsviertel
c/o 4.491 – Archäologie und
Denkmalpflege Abteilung Archäologie
Braunstr. 21
23552 Lübeck
E-Mail: Joerg.Harder@luebeck.de
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Impressum
Imprint:
ISSN 1869-4276
Editing:
Natascha Mehler, Wien
Technical edition and Layout:
Holger Dieterich, Kiel
Copyright see:
www.histarch.org
www.histarch.org
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Historische
Archäologie
Michaela Hermann und Ralf Kluttig-Altmann
Bericht über die 23. Tagung
des Arbeitskreises Tonpfeifen
vom 24. bis 26. April 2009 in Augsburg
1 Günther Fleps, Raetiens Hauptstadt
größer als angenommen? Ausgrabung
in der Gutenbergstraße 1 in Augsburg.
Das archäologische Jahr in Bayern 2008
(Stuttgart 2009) 89–92.
2 Vgl. Andreas Heege, „Pipe de fer et de
letton“ – Tabakpfeifen aus Eisen und
Buntmetall. Zum Stand der Forschung in
der Schweiz. Knasterkopf 20, 2009, 19–
55.
Das 23. Treffen des Arbeitskreises Tonpfeifen fand vom 24. bis 26. April 2009
auf Einladung der Kunstsammlungen und Museen im Römischen Museum in
Augsburg statt. Der Einladung folgten mehr als 40 Teilnehmer aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, den Niederlanden, Großbritannien und Tschechien. Inhaltliche Schwerpunkte der Tagung waren Tonpfeifenfunde, -handel
und -herstellung sowie Tabakpolitik in Bayern und in angrenzenden Ländern
und Regionen. Darüber hinaus fanden zahlreiche weitere Themen ihren Niederschlag in den Referaten.
Das Vortragsprogramm begann am 25. April vormittags. Zuvor begrüßte
der Direktor der Kunstsammlungen und Museen, Christof Trepesch, die Teilnehmer sehr herzlich. Nach einleitenden Worten des Leiters des Arbeitskreises, Ralf Kluttig-Altmann, eröffnete Sebastian Gairhos (Augsburg) die Referate mit einer „Einführung in die Archäologie Augsburgs“. Der Referent gab
zunächst einen allgemeinen Überblick über die seit gut 30 Jahren als eigene
Abteilung des Römischen Museums bestehende Stadtarchäologie und die
derzeit wichtigsten und aktuellen Grabungsschwerpunkte in Augsburg. Sie
reichen von Großprojekten im Süden des heutigen Stadtgebiets, wo vorwiegend vorgeschichtliche Siedlungen und Friedhöfe ausgegraben werden, bis
zu den Stadtkerngrabungen in der römischen und in der mittelalterlich-frühneuzeitlichen Stadt. In einem zweiten archäologischen Vortrag zu Augsburg
stellte Günther Fleps (Augsburg) kürzlich abgeschlossene und zurzeit laufende „Ausgrabungen im Westen der Römerstadt“ vor. Schwerpunkt waren
Ausgrabungen in einem großen Gräberfeld der römischen Provinzhauptstadt
sowie neue Erkenntnisse zur römischen Stadtbefestigung 1.
Danach widmete sich Andreas Heege (Bern/Zug/CH) einem Spezialthema
der Pfeifenforschung – den häufig Tonpfeifen nachempfundenen historischen
Metallpfeifen. In seinem Vortrag „Rauchzeichen über Helvetien. Tabakpfeifen aus Eisen und Buntmetall“ 2 präsentierte er eine umfassende Aufarbeitung
der schweizerischen Sammlungsbestände zu diesem Thema, ergänzt mit den
wenigen vorliegenden Neufunden. Die wechselhafte Beurteilung metallener
Pfeifen innerhalb der Forschungsgeschichte des 19. Jahrhunderts, v. a. ihr anfänglich postulierter und verbissen verteidigter urgeschichtlicher bzw. antiker
Ursprung, ist ein spannendes Thema mit vielen Parallelen zur Tonpfeifenforschung. Als sich zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Ähnlichkeit der gefundenen Metallpfeifen mit holländischen Tonpfeifen nicht mehr ignorieren ließ
und Metallpfeifen schlagartig zu einem neuzeitlichen Fundgut wurden, versiegte das Interesse der Museen und Sammler. Insgesamt erfasste der Referent 104 schweizerische Metallpfeifenfunde aus der Zeit von ca. 1650 – 1750,
die er in sieben Typengruppen einteilte. Möglicherweise ist die Herkunft der
3 Vgl. Rüdiger Articus, Stählerne Pfeifen
und Pfeifenschmiede. Knasterkopf 20,
2009, 56–61.
4 Michael Nadler, Der besteuerte Genuss.
Tabak und Finanzpolitik in Bayern 1669–
1802. Miscellanea Bavarica Monacensia,
Bd. 183 (München 2008); vgl. dazu auch
die Rezension in Knasterkopf 20, 2009,
146 f.
5 Dies ist zum ersten Mal gelungen bei
Natascha Mehler, Tonpfeifen in Bayern.
Chronologische und historische Studien
(Diss. Univ. Kiel 2007). Die Dissertation
erscheint 2010 als Beiheft der Zeitschrift
für Archäologie des Mittelalters (im
Druck).
www.histarch.org
2010
Pfeifen im Schweizer Jura zu suchen, eine Theorie, die allerdings verifiziert
werden muss.
Rüdiger Articus (Hamburg) schloss mit einer Vorstellung von „Stählernen
Pfeifen“ 3 an diesen Themenkomplex an. Hinter diesem Titel verbarg sich
eine allgemeine Recherche nach Metallpfeifen in Europa in Sammlungen,
Auktionshäusern und der Literatur. Da die Herstellungsorte von Metallpfeifen meist ungeklärt sind, waren die historischen Schilderungen einer solchen Produktion englischer „stählerner“ Pfeifen von 1825 und 1837, die der
Referent ausführlich zitierte, von besonderem Interesse. Wertvoll sind diese
Quellen v. a. auch, weil darin der technologische Produktionsablauf erwähnt
wird. Auch für Schweden gibt es im 19. Jahrhundert Hinweise auf Metallpfeifenherstellung.
Eva Roth Heege (Zug/CH) stellte in ihrem Kurzbeitrag „Tonpfeifen in Schiffswracks: Impressionen einer Australienreise“ Eindrücke eines Besuchs im West
Australian Maritime Museum in Freemantle vor. Vier zur VOC, der Vereenigde Oostindische Compagnie, gehörende Schiffe waren von den Niederlanden auf dem Weg nach Batavia/Jakarta, als sie zwischen 1629 und 1727 an der
Westküste Australiens untergingen. Zu den Ladungen der Schiffe gehörten
neben Westerwälder und rheinischem Steinzeug, Glas, Architekturteilen etc.
auch Tonpfeifen. Besonders die Vergulde Draeck, 1656 gesunken, hatte eine
größere Anzahl niederländischer Tonpfeifen verschiedener Typen an Bord,
die zahlreich und unbeschädigt geborgen werden konnten und die ein hervorragend zu datierendes Pfeifenspektrum bieten. Die Präsentation dieser
Wrackfunde wurde von R. Kluttig-Altmann genutzt, um das Auditorium auf
das geplante Schwerpunktthema des übernächsten Knasterkopf, Bd. 21 –
„Tonpfeifen als Unterwasserfund“ hinzuweisen.
Michael Nadler (München) stellte mit seinem Vortrag „Tabak- und Pfeifenbesteuerung im alten Bayern“ Ergebnisse seiner kürzlich publizierten Dissertation vor 4. Der Tabak mit den zum Rauchen benötigten Pfeifen stellte im 17.
und 18. Jahrhundert auch in Bayern eine wichtige staatliche Einnahmequelle
dar. Kurfürst Ferdinand Maria legte 1669 nach bis dahin erfolglosen Tabakverboten den „Tabakaufschlag“ fest. Bis 1745 gab es ein staatliches Tabakmonopol, das teilweise an einen sog. Appaltor verpachtet wurde, der damit auch
das Monopol hatte, mit Pfeifen zu handeln. Diese Pfeifen wurden mit den Initialen des jeweiligen Appaltors gekennzeichnet, was eine hervorragende Korrelation mit archäologischen Funden ermöglicht 5. Die Tabaksteuer ließ sich
in Bayern, das kein geschlossenes Hoheitsgebiet hatte, jedoch nur schwer
durchsetzen, denn sowohl in den eingeschlossenen Kleinterritorien als auch
jenseits der bayerischen Außengrenzen wurden die betreffenden Güter niedriger besteuert als im Kurfürstentum. Das förderte auch den Schmuggel, der
besonders an den Flussgrenzen an Donau und Lech florierte.
Natascha Mehler (Wien/A) referierte ebenfalls zu einem bayerischen Thema. In ihrem Vortrag „Ein neuer Typ von Rundbodenpfeifen aus Nordbayern: viele Fragen und wenig Antworten“ stellte sie Funde vor, die sie in ihrer
Bearbeitung der bayerischen Tonpfeifen im Rahmen ihrer Dissertation (vgl.
Anm. 5) nicht berücksichtigt hatte. Es handelt sich um ca. 200 Streufunde aus
Amberg und Karlstadt, die fast immer reduzierend gebrannt worden sind.
Der Kopf dieses Typs ist facettiert, sonst entweder unverziert oder mit einer
abstrakt-floralen Verzierung auf Stiel und Kopfansatz versehen. Ein Teil der
Pfeifen trägt simple, fast archaisch anmutende Bodenmarken. Die mineralogische Zusammensetzung des Scherbens ergab große Unterschiede zu den
weißen Tonpfeifen aus den gleichen Fundorten. Herkunft und Datierung dieser ungewöhnlichen Pfeifen sind bislang völlig unklar, sodass die Referentin
ihre Ausführungen mit der Hoffnung auf neue Ergebnisse abschloss.
Felix van Tienhoven (Geldrop/NL) stellte anschließend die aktuelle Entwicklung der Académie International de la Pipe vor. 1985 als Initiative von
Sammlern und Interessenten aus der Tabakindustrie gegründet, wurden 2007
tiefgreifende Änderungen in der Zielsetzung und personellen Zusammensetzung der Académie beschlossen. Die ursprünglichen Ziele – die Verbreitung
der Kenntnis über die Kulturgeschichte des Pfeiferauchens – bestehen weiMichaela Hermann und Ralf Kluttig-Altmann | Tagungsbericht
II
6 Vgl. Ruud Stam, Tonpfeifenexport aus
dem Westerwald über holländische
Häfen im 19. Jahrhundert. Knasterkopf
20, 2009, 116–118.
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2010
terhin, aber der Weg dahin wurde neu definiert. Aus diesem Grund wirbt die
Académie verstärkt Neumitglieder, um vor allem ihr wissenschaftliches Profil
zu schärfen und die einschlägige Forschung voranzutreiben. Es soll jährlich
ein neu gestaltetes wissenschaftliches Journal zu allen Aspekten der Pfeifenforschung sowie halbjährlich ein Newsletter erscheinen. Der neue Sitz der
Académie befindet sich an der University of Liverpool.
Den ersten Vortrag des Sonntags hielt R. Articus, der über „Saftsäcke aus
Verden a. d. Aller“ sprach. Im 19. Jahrhundert erhielt das damalige Museum zu
Harburg eine Schenkung zinnerner Saftsäcke, die zwischen 1801 und 1817 in
Verden angefertigt worden sein sollen. Saftsäcke bilden zusammen mit Pfeifenkopf und Pfeifenrohr dreiteilige, meist sehr große Pfeifen. Die zinnerne
Ausführung darf als selten bezeichnet werden, meist bestehen die Saftsäcke
ebenso wie die Pfeifenköpfe aus Porzellan. Die Stücke des heutigen HelmsMuseums haben einfach geometrische, geschwungen florale oder sogar figurale Formen und sind überwiegend bunt bemalt. Abgerundet wurde die
Präsentation durch Informationen über das Zinngießergewerbe und Bilder
einer Kollektion von Zinnfiguren, die u. a. Marktstände mit dem Verkauf von
Pfeifen mit solchen bemalten Saftsäcken darstellen – womit sich der inhaltliche Kreis schließt.
Anschließend sprach Ruud Stam (Leiden/NL) über die „Exporte aus dem
Westerwald über holländische Häfen im 19. Jahrhundert“ 6. Der Westerwald
war sehr stark auf diese Exporthäfen angewiesen und wurde deshalb empfindlich getroffen, als von 1822 – 1845 diese Exporte von der niederländischen
Regierung verboten wurden. Der Referent beschäftigte sich mit Exportstatistiken, die für die Zeit zwischen dem Verbot bis zum Jahr 1871 sehr detailliert
vorliegen. Für eine richtige Bewertung der Zahlen ist zu beachten, dass auch
andere Exporte wie die aus dem Westerwald in das Exportvolumen eingeflossen sein können. Der Referent stellte noch einige wichtige Abnehmerländer
für Westerwälder Tonpfeifen vor, unter denen z. B. Amerika oder Skandinavien eine Vorrangstellung einnehmen.
Klaus Wirth (Mannheim) stellte mit „Mannheims Tonpfeifen 2008“ neue
Funde aus seinem Arbeitsbereich vor. Im Quadrat C 4, einem Bereich im und
um den ehemaligen Festungsgraben, fanden sich bei Ausgrabungen einer neu
zu bebauenden Parzelle neben zahlreichem anderen neuzeitlichen Fundgut
auch Tonpfeifen des (frühen) 18. Jahrhunderts mit einem großen Repertoire
an Marken und Formen. Da es sich um ganz „frische“, noch nicht abschließend ausgewertete Pfeifenfunde handelte, bat der Referent um Hinweise für
ihre Bestimmung.
Martin Vyšohlíd (Prag/CZ) referierte anschließend über „’Faces of angles’
and other Prague pipes. New finds of 17th and 18th century clay tobacco pipes
from Prague“. Aus großflächigen Ausgrabungen in Prag kamen in jüngster Zeit
etwa 1000 neue Pfeifenfunde zutage, die verschiedene Typengruppen erkennen lassen. Dazu gehören Pfeifen des frühen 17. Jahrhunderts, die auf der
Raucherseite ein aufgelegtes Engelsgesicht tragen. Viele Pfeifen sind glasiert,
manuell verziert und häufig aus einzeln gefertigtem Kopf und Stiel zusammengesetzt. Damit sind sie vergleichbar mit auf ähnliche Weise hergestellten
Pfeifen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern. Stiele und Fersen können
sehr einfache Marken tragen. Somit lässt sich auch für Prag feststellen, dass
ein Großteil der Funde des 17. Jahrhunderts nicht mit der „üblichen“ holländischen Pfeifentechnologie in Einklang zu bringen ist.
Peter Davey (Liverpool/GB) stellte mit „Scientific analysis of pipe clays – a
review“ die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Untersuchungen britischer
Tonvorkommen vor. Aus Rainford in Mittelengland sind sowohl Pfeifenfunde
als auch viele Tongruben bekannt. Proben von Pfeifenstielen aus den gleichen
Fundkomplexen wiesen auf unterschiedliche Tonvorkommen hin. Unter Verweis auf die vergleichbaren Untersuchungen von N. Mehler für Bayern (vgl.
Anm. 5) führte der Referent aus, dass die Ergebnisse dieser Untersuchungen
sehr differenziert zu bewerten und schwierig zu interpretieren sind, da man
auch mit Mischungen von Tonen verschiedener Vorkommen rechnen muss.
Der Referent schloss mit einer Betonung der Notwendigkeit weiterer einschläMichaela Hermann und Ralf Kluttig-Altmann | Tagungsbericht
III
giger Untersuchungen zum Aufbau einer breiten Datenmenge, die für aussagekräftige Vergleiche nötig ist, als auch zum verstärkten Studium historischer
Quellen, um die Vorgänge historischer Tonmischungen und die Herkunft der
Rohstoffe besser nachvollziehen zu können.
Paul Mitchell (Wien/A) führte die Tagungsteilnehmer mit seinem Beitrag „Mauerziegel in Österreich-Ungarn: Leitfossil der Neuzeitarchäologie“
scheinbar zu einem ganz anderen Thema, konnte jedoch sehr schnell die
methodischen Gemeinsamkeiten mit der Tonpfeifenforschung herausstellen. In Österreich-Ungarn, das im 18. Jahrhundert als eine „einheitliche Ziegelregion“ betrachtet werden kann, gibt es verstärkt ab dieser Zeit bis ins 19.
Jahrhundert hinein zehntausende von Ziegelmarken als Mittel der schon seit
dem 16. Jahrhundert bestehenden Bestrebungen der Produktkennzeichnung,
Normierung und Qualitätskontrolle. Es handelt sich dabei allerdings nicht um
manuell eingedrückte Stempel, sondern meistens um erhabene Reliefmarken, die in der Ziegelform angebracht worden sind. Auch eingetiefte Marken
müssen nicht handgestempelt sein, sondern haben sich als Positiv in der Ziegelform befunden. Diese Technologie einerseits sowie die Identifizierung der
Marken und die sich daraus ergebenden Aussagen andererseits bieten eine
breite Parallele zu einem grundlegenden Forschungsansatz bei Tonpfeifen.
Walter Morgenroth (Tutzing) stellte einen „Pfeifenkopf im Spiegel der Höroldt-Malerei“ vor und nahm zuerst auf den kunstgeschichtlichen, in besonderer Beziehung zum Tagungsort Augsburg stehenden Hintergrund dieses
außergewöhnlichen Stückes Bezug. Zur frühen Porzellanproduktion von Meißen gehörten auch Pfeifenköpfe aus rotem Böttgersteinzeug, gestaltet im türkischen Stil. Die Stadt Augsburg kaufte solche Stücke und ließ sie mit Vergoldungen, Silbermontierungen und Bemalung zu kostbaren Stücken veredeln.
Der Meißner Porzellanmaler Johann Gregor Höroldt löste später die Augsburger Hausmaler ab und bemalte die Pfeifen selbst, sodass sogar August der
Starke seine Produkte bezog. Der vom Referenten vorgestellte Pfeifenkopf
datiert um 1724 und stammt damit aus der frühen Schaffensphase Höroldts.
Albert Halmos (München) berichtete über „Frühe ungarische Tonpfeifen“
und bezog sich im engeren Sinne auf Pfeifen aus Debrečen. Die Stücke mit einem meist roten, selten schwarzen oder weißen Scherben wurden direkt nach
türkischen Vorbildern gestaltet. Die Forschungslage ist schwierig, gleichwohl
ist aus archivalischen Quellen z. B. bekannt, dass Töpferwitwen zur Existenzsicherung weiter Pfeifen herstellen durften. Anschließend bot der Referent
die Möglichkeit zu einer Materialschau früher ungarischer Tonpfeifen direkt
aus seinen eigenen Sammlungsbeständen, unter denen sich u. a. auch Produktionsabfall aus Györ befindet.
Nikolaus Hofer (Wien/A) stellte „Eine Porträt-Pfeife und andere keramische
Kuriositäten aus dem ehemaligen Palais des Prinzen Eugen in Wien“ vor. Trotz
weiterhin begrenzter Fundmenge beginnt sich eine Differenzierung innerhalb
der österreichischen Tonpfeifenlandschaft abzuzeichnen, die einen von der
westeuropäischen und einen von der osteuropäischen Tradition beeinflussten
Raum abgrenzt. Eine weiße Gesteckpfeife aus Wien aus der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts, die der Referent als aktuellen Fund in das Zentrum seiner
Ausführungen stellte, bietet mit einer klar osmanischen Form und einem eher
westlich orientierten Reliefdekor eine Art Verbindung beider Traditionen.
Zur zukünftigen Entwicklung des Arbeitskreises Tonpfeifen referierte R.
Kluttig-Altmann. Als wichtigste Veränderung gab er bekannt, dass die Tagungen des Arbeitskreises künftig im Zweijahresrhythmus stattfinden werden.
Das ist das Resultat aus den Erfahrungen der letzten Tagungen sowie der Arbeitssituation der Tonpfeifenforscher, die im Arbeitskreis vorher intensiv diskutiert worden war. Ziel dieser Veränderung ist es, die Forschungsergebnisse des Spezialthemas Tonpfeifen besser zu bündeln. Parallel und zusätzlich
dazu sollen Möglichkeiten genutzt werden, auf größeren Fachkongressen mit
entsprechenden Vorträgen oder einer eigenen Sektion präsent zu sein, um
damit einen breiteren Kreis von Fachbesuchern zu erreichen. Zuletzt gab es
auf dem Deutschen Archäologenkongress Mannheim im Mai 2008 eine Sektion Tonpfeifen, über deren Verlauf N. Mehler berichtete.
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2010
Michaela Hermann und Ralf Kluttig-Altmann | Tagungsbericht
IV
7 Vgl. Natascha Mehler (wie Anm. 5), die
in ihrer Untersuchung auch die frühen
Augsburger Pfeifenfunde berücksichtigen konnte.
8 Vgl. Michaela Hermann, Tonpfeifenfunde vom Augsburger Jakobsplatz –
Oranierpfeifen in Bayern. Knasterkopf
20, 2009, 85–107.
9 350 Jahre Blauer Dunst. Tabakspfeifen
aus archäologischen Ausgrabungen.
Begleitheft zur Ausstellung (Augsburg
2009).
Michaela Hermann M. A.
Stadtarchäologie Augsburg
Gögginger Str. 59.
86159 Augsburg
michaela.hermann@augsburg.de
Dr. Ralf Kluttig-Altmann
Zum Kleingartenpark 41
04318 Leipzig
ralf.kluttig@arcor.de
Impressum
Imprint:
ISSN 1869-4276
Editing:
Ulrich Müller, Kiel
Technical edition and Layout:
Holger Dieterich, Kiel
Copyright see:
www.histarch.org
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Außerdem wurde die Einladung zur nächsten Tagung des Arbeitskreises bekannt gegeben, die vom 28. April bis 1. Mai 2011 auf Einladung des Kulturhistorischen Museums und der Unteren Denkmalschutzbehörde der Hansestadt
Stralsund sowie des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern in Stralsund stattfinden wird.
In seiner Eigenschaft als Herausgeber des Knasterkopf konnte R. Kluttig-Altmann berichten, dass es erstmalig gelungen ist, für die Redaktionsarbeit einer
Ausgabe der Zeitschrift eine Finanzierung zu erreichen und das ehrenamtliche Engagement damit zwar nicht überflüssig zu machen, jedoch zumindest
einzuschränken. Die Finanzierung wird zum größeren Teil von der Stiftung
Historische Museen Hamburg/dem Helms-Museum und ergänzend von der
Firma Pöschl Tabak, Geisenhausen, getragen. Dank dieser finanziellen Absicherung konnte eine zügige Fertigstellung des 20. Bands und sein Erscheinen noch 2009 bzw. spätestens im Januar/Februar 2010 in Aussicht gestellt
werden. Diese Ausgabe wird zum Schwerpunktthema „Metallpfeifen“ eine
Vielzahl von Beiträgen aus dem In- und Ausland für dieses bisher von der Forschung kaum beachtete Spezialthema versammeln.
Für den darauf folgenden Band 21, der dem Schwerpunktthema „Tonpfeifen
als Unterwasserfund“ gewidmet werden soll, liegen bereits Beiträge vor. Seine Finanzierung ist jedoch noch nicht abgesichert, sodass über ein Erscheinungsdatum keine konkreten Angaben gemacht werden konnten. Ebenso
muss für das nach dem Erscheinen von Band 20 nötige Register von Bd. 11–20
eine Finanzierung gefunden werden. Das erste Register von Bd. 1–10 hat sich
als eine unverzichtbare Arbeitshilfe zur Recherche in den zahlreichen Beiträgen erwiesen, sodass Erstellung und Druck eines neuen Registers unbedingt
anzustreben sind.
Zur Tagung des Arbeitskreises organisierte der Veranstalter ein umfangreiches Begleitprogramm. Das Römische Museum Augsburg zeigte aus Anlass
der Tagung die von Michaela Hermann (Augsburg) konzipierte Studioausstellung „350 Jahre Blauer Dunst in Augsburg. Tabakspfeifen aus archäologischen Ausgrabungen“, die bereits am Abend des 23. April für das Augsburger
Publikum eröffnet wurde. Der einleitende Teil der Ausstellung gab einen kurzen Überblick über die Kulturgeschichte des Tabaks und des Pfeiferauchens.
Im Mittelpunkt standen die Tonpfeifen selbst, die auch in Augsburg bei archäologischen Ausgrabungen fast überall zum Vorschein kommen. Bereits ab
der Mitte des 17. Jahrhunderts ist in der Stadt ein deutlicher Fundniederschlag
zu verzeichnen, u. a. mit Importstücken aus Amsterdam, aber vor allem mit
Pfeifen aus Werkstätten, die wohl in der Region produzierten, deren genaue
Standorte allerdings nochunbekannt sind 7. Ein weiterer Schwerpunkt der
Ausstellung war der umfangreiche Pfeifenfund vom Augsburger Jakobsplatz
mit mehreren holländischen Reliefpfeifen, die Porträts von Mitgliedern des
niederländischen Fürstenhauses Oranien zeigen. Außerhalb der Niederlande
sind solche Pfeifen als Bodenfund eine absolute Seltenheit 8. Zur Ausstellung
ist ein kleines Begleitheft erschienen 9.
Am Samstagnachmittag konnten sich die Tagungsteilnehmer bei einem
Grabungsbesuch zunächst ausführlich über aktuelle Ausgrabungen der Stadtarchäologie in einem römischen Gräberfeld informieren (G. Fleps). Von dort
führte ein „archäologisch-historischer Stadtspaziergang“ durch Augsburg (S.
Gairhos u. M. Hermann) auf den Spuren einer römischen Straße ins Areal der
Römerstadt und über den mittelalterlichen Dom, hinunter ins sog. Lechviertel, ein im Mittelalter entstandenes Handwerkerquartier. Deutlich wurde vor
allem die bis in die Gegenwart reichende Siedlungskontinuität, welche die
Archäologie in Augsburg vor besondere Herausforderungen stellt. Am Sonntagnachmittag bestand schließlich die Gelegenheit zu einem Besuch in der
Graphischen Sammlung der Kunstsammlungen und Museen Augsburg im
Schaezlerpalais, wo Christoph Nicht Graphiken und Drucke mit verschiedenen Darstellungen von (Pfeifen‑)Rauchern von der Barockzeit bis ins 19. Jahrhundert vorlegte.
Michaela Hermann und Ralf Kluttig-Altmann | Tagungsbericht
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