Alles Online?
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Alles Online?
51. DHS-Fachkonferenz 16. November 2011 CCH Hamburg Alles online? – Grenzüberschreitende Risiken des Internets Dirk W. Lachenmeier CVUA Karlsruhe Chemisches und VeterinärUntersuchungsamt Karlsruhe CVUA Karlsruhe • Staatl. Untersuchungsamt für Lebensmittel, Getränke, Alkohol, Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetik etc. • Arzneimittelprüfstelle für das Land BadenWürttemberg • Untersuchung von Importproben für Zoll • Forschungsprojekt „Kontrolle des Internethandels“ seit 2007 Entwicklung des Internethandels 1999 Lediglich 323 NahrungsmittelArtikel Jan. 2011: 177.113 Artikel! Number of food items for purchase at ebay.de Total food items Alcoholic beverages 200000 4000 150000 2000 100000 0 1999 2000 2001 50000 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Year Problemfeld Internethandel • Kaum zu überschauendes Angebot mit ständigem Produktwechsel • Viele illegale oder bedenkliche Produkte • Grenzenlosigkeit/ Überregionalität • Neuer Trend: Soziale Netzwerke/Benutzergruppennetzwerke Problemfeld: Soziale Netzwerke Internethandel im Bereich Suchtstoffe • Alle Arten von Lifestyle-Medikamenten können im Internet unter Umgehung arznei- und betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften bezogen werden • Großer Graubereich zu Nahrungsergänzungsmittel/Dietary Supplements • Große Innovation, ständig neue Produkte (siehe Spice etc.) • Staatliche Kontrolle findet nicht statt • Verbraucher muss sich über abweichendes Schutzniveau bei Bestellungen im Internet bewußt sein Spice-Proben Problembereich Alkohol/Tabak • Wortlaut „Versandhandel“ im Jugendschutzgesetz zu Alkohol und Tabak vergessen (nur bei Trägermedien genannt) • keine oder nur rudimentär ausgeprägte Kontrolle des Alters • Werbebotschaften kommunizieren v.a. im Internetmarketing überwiegend jugendspezifische Bedürfnisse, besonders in sozialen Netzwerken und Videoseiten (Facebook, Youtube etc.) Hirndopingmittel im Internet Visualisierung des Suchbegriffs „Hirndoping“ www.carrot2.org Internet-Ranking von Hirndopingmitteln (DHS-Liste) Wirkstoff Methylphenidat Fluoxetin Modafinil Citalopram Sertralin Escitalopram Metoprolol Donepezil Oxytocin Rivastigmin Memantin Galantamin Google Hits (ca. Angabe) 1.370.000 1.090.000 989.000 665.000 637.000 231.000 159.000 91.800 38.800 30.000 19.900 18.300 Social-Mention Hits 481 387 310 305 388 303 127 270 355 399 139 30 Google: Illegale „Apotheken“ als erste Treffer Typische Portalseite Problem: Versandapotheken Unterscheidung legaler und illegaler Angebot oft schwierig DIMDI-Sicherheitslogo Umgehung Rezeptpflicht Durch Ausstellung eines OnlineRezeptes durch den Cyberdoktor wird Seriosität vorgetäuscht Proforma-Rezept vom Cyber-Doktor Übersicht von Händlern, die das Diätmedikament Acomplia auf OnlineRezept versenden: Medix24 175 € (28 Kapseln) / 449 € (98 Kapseln) / 799 € (196 Kapseln). Zusätzlich fallen 25 € Versandkosten an. Sie haben die Möglichkeit per Bank-Überweisung zu bezahlen. Generic4u bietet Rimonabant ab 74 € an. Achtung: Acomplia wird nur Personen verschrieben, deren Body Mass Index (BMI) bei über 30 liegt. Beim Ausstellen eines Online-Rezeptes für Acomplia wird Ihr BMI aus den Daten errechnet, die Sie im medizinischen Fragebogen angeben. Körpergröße in cm: Körpergewicht in kg: Ihr BMI: Zollproblematik/Einfuhr aus dem Ausland Rechtliche Vorgaben Rechtsgrundlage Vorschrift Beispiele für Verstöße im Internethandel §§ 10/11 AMG Kennzeichnungsvorgaben Z.B. keine Zulassungsnummer vorhanden § 43 AMG Apothekenpflicht Wirkstoff ist verschreibungspflichtig § 48 AMG Verschreibungspflicht Z.B. "Enthält Kava-Kava-Wurzelstock" § 72 AMG Einfuhrerlaubnis nötig Probe stammt aus einem Drittstaat (z.B. "Made in USA") § 73 AMG Verbringungsverbot Probe stammt aus einem Drittstaat und darf nur mit Erlaubnis nach § 72 AMG nach Deutschland verbracht werden, es sei, es trifft eine Ausnahme nach § 73 AMG zu § 11a ApoG § 3a HWG Versandhandelserlaubnis Apothekenpflichtig (Probe wird im Internet nötig zum Versand angeboten) Werbeverbot Keine Zulassung vorhanden (Probe wird im Internet beworben) Einfuhr von Waren aus dem Ausland Vielen Verkäufern ist es durchaus bewusst, dass sie Waren nach Deutschland verkaufen, die hier nicht zugelassen sind. Das ergibt sich aus Hinweisen und Warnungen auf ihren Homepages, wie folgende Beispiele zeigen: Achtung!!! Bestellungen nach Europa!! „Bevor Sie bei uns GoodLife2000 bestellen, vergewissern Sie sich selbst, ob das bestellte Produkt von unseren online Shop in ihren Land im freien Verkauf zugelassen ist.“ (www.goodlife2000-shop.com) Zollprobleme Alle Produkte erhalten Sie bequem per Post direkt von Amerika nach Hause geliefert. Um Zollprobleme zu vermeiden werden die Pakete zuerst nach Belgien, und von dort in die europäischen Länder verschickt. (www.top-of-usa.com/ ein American-Lifestyle-Shop) Zollprobleme „Wenn Sie bei uns Produkte bestellen, welche in Ihrem Land nicht zugelassen sind, kann der Zoll die Sendung stoppen. Dies ist jedoch selten der Fall (unter 1%, z.B. Deutschland). Bei Rücksendungen des Zolls, sofern nicht beschädigt, versenden wir gern noch mal an Sie. Es besteht eine 99%ige Chance, dass die Produkte dann ohne Probleme ankommen.“ (www.top-of-usa.com/ ein American-Lifestyle-Shop) Einfuhr aus Drittländern § 55 LFGB/§74 AMG: regelt die Mitwirkung von Zollstellen bei der Überwachung des Verbringens in die Europäische Union aber: Postsendungen mit Waren, deren Wert nicht höher ist als 22 € (Deklaration des Absenders) können dem Empfänger ohne Zollformalitäten zugestellt werden (§1a Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung) . (Quelle: www.zoll.de) Beispiele im Borderlinebereich Nahrungsergänzung-Arzneimittel Recherche „Schlankheitsmittel“: Beispiel für verschreibungspflichtige Inhaltsstoffe Ultra Diet Pep „Würde in Europa unmöglich sein, die Zulassung für dieses Produkt zu bekommen“ enthält u.a. Ephedra (standardized plant body extract yielding 18 mg ephedrine) LIDA – Kapseln „Exotische“ Mittel aus Fernost boomen, Verbraucher halten sie für „sanfte Medizin“ Verbraucherbeschwerde nach Bezug aus dem Internet (Vergiftungssymptome: Herzrasen, Schwindel, Taubheit) Angeblich „rein pflanzliches“ Schlankheitsmittel aus China Untersuchung ergab hohe Dosierung des verschreibungspflichtigen, synthetischen Wirkstoffs Sibutramin nicht zugelassenes „illegales“ Arzneimittel nach Funktion Eigenschaften des Wirkstoffs Sibutramin, Risiken Verschreibungspflichtiger Wirkstoff (greift in den Gehirnstoffwechsel ein), war in D in Arzneimitteln zugelassen zur Behandlung bei starker Adipositas unter ärztlicher Überwachung, wenn Verhaltensumstellung (Ernährung, Bewegung) nichts bringen. Zugelassene Dosierung 10 mg, 1 Tablette pro Tag In „Lida“ und ähnlichen Produkten wurden bis zu 30 mg Sibutramin pro Tablette oder Kapsel nachgewiesen, die jedoch nicht deklariert waren Es sind zahlreiche Kontraindikationen (z.B. psychiatrische Erkrankungen, Erkrankungen des Herzkreislaufsystems) und Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln (z.B. zentralwirksame Arzneistoffe) bekannt Nebenwirkungen z.B. Blutdruckanstieg, Herzrhythmusstörungen, Schlaganfälle, Herzrasen, Sehstörungen Arzneimittel wurden wegen der Nebenwirkungen in den meisten Ländern vom Markt genommen Sibutramin Ende 2010 auch in Instant-Kaffee („Schlankheitskaffee“) gefunden Beispiel: Kaffee zum Abnehmen • Verbraucherbeschwerde Instant-Coffee • im Internet bestellt • Auslobung im Internet: „Eine seltene Kaffeebohne (...) mit starken Heil- und Gewichtsverlustsfähigkeiten.“ • Verbraucherin klagt über: Schweißausbrüche, erhöhte Herzfrequenz, Pupillenerweiterung sowie (gewollte) Appetitlosigkeit • Arzneimitteluntersuchungsstelle stellt Sibutramin in einer für Arzneimittel üblichen Dosis fest • Gutachten RASFF-Meldung öffentlicher Rückruf Beispiel Schlankheitskaffee / Tee 17,4 bzw. 23,6 mg Sibutramin/Portion (nicht deklariert) • Internetseite auf deutsch • Versandpartner Deutsche Post/DHL • Bezahlt: Internetzahlsystem an ein rumänisches Bankkonto. • Rechnung ausgestellt von Global Payment Solutions Ltd. in Hong Kong. Was macht diese Erzeugnisse für den „Verbraucher“ so gefährlich? Enthalten hochwirksame Arzneistoffe, ohne dass Arzt und Patient dies wissen - Vorsicht bei Vorerkrankungen - Irreführung Unkontrollierte Einnahme oft hoher Dosen Pharmazeutische Qualität fraglich – schwankende Gehalte möglich Einnahme ähnelt daher dem bekannten „Russischen Roulette“ Angeblich > 10 Mio. Pillen illegal nach Deutschland eingeführt (2010) Fazit: • • Dreiste Betrüger zocken naive Verbraucher ab. Leider melden sich zu wenige Betroffene z.B. bei der Polizei Bezug sensibler Waren (AM) über dubiose Quellen (z.B. aus dem Internet) ist sehr riskant. Recherche „Nahrungsergänzungsmittel“ 2007: 325 Produkte 2010: 51 Produkte 4% nzb 11% nzb 33% Novel Food Novel Food 37% verschreibungspflicht. Arzneimittel 21% Arzneimittel 43% Verdacht auf arzneiliche Wirkung nicht zugelassener oder fragwürdiger Zusatzstoff 4% keine Einstufung möglich 7% 24% 10% 6% Irreführung und/oder Health Claim Verdacht auf Irreführung Probleme bei Überwachung & Vollzug Überwachung Staatliche Überwachungsbehörden Pflicht zur Überwachung Herkömmlicher Präsenzhandel Umfangreiche und effektive Kontrolle Onlinehandel Keine effektive Überwachung Keine spezifischen Strukturen Fehlende Rechtsgrundlagen Anzahl der amtlichen Proben 2009 • Präsenzhandel: Untersuchte Proben ca. 387.000 (930.000 Inspektionen in ca. 545.000 Betrieben) • Amtliche Probenahme im Onlinehandel 0 (mangels rechtlicher Voraussetzungen nicht möglich) Notwendige gesetzliche Regelungen 1. Schaffung der Möglichkeit einer Probenahme durch verdeckten Testkauf 2. Schaffung eines Zentralregisters für Internetbetriebe 3. Einführung der Pflicht zur vollumfänglichen Kennzeichnung von Produkten bereits im Online-Angebot (z.B. Zutaten, Inhaltsstoffe) 4. Jugendschutzgesetz bei Alkohol/Tabak klarstellen Schlussfolgerungen • Internethandel ist teilweise ein rechtsfreier Raum • Beeinträchtigung der Bürger: Kein ausreichender Schutz vor Gefährdungen der Gesundheit und vor Täuschungen • Beeinträchtigung des seriösen Handels: Kein ausreichender Schutz des redlichen Wettbewerbs und des Eigentums am seriös geführten Betrieb Lösungsmöglichkeiten • Einzig denkbare Lösungsmöglichkeit: Umfängliche, fallbezogene neue gesetzliche Regelungen sind notwendig • Nationale und EU-weite Normen sind aufgrund der Grenzenlosigkeit des Internethandels notwendig • Druck auf Staaten (USA) ausüben, die Arzneimittelversand ins Ausland tolerieren Literatur: • Löbell-Behrends S et al.: Borderlineprodukte. Deutsche Lebensmittel-Rundschau 104, 265-270 (2008) • Löbell-Behrends S et al.: Sportlernahrungsmittel. Deutsche Lebensmittel-Rundschau 104, 415-422 (2008) • Löbell-Behrends S et al.: Alkoholhaltige Getränke. Sucht 54 (6), 346-353 ( 2008) • Böse W et al.: Internet-Versandhandel mit Alkohol: wird im Jugendschutz mit zweierlei Maß gemessen? Sucht 56, 397-398 (2010) • Böse W et al.: Kontrolle des Internethandels mit Lebensmitteln - Ansätze für eine effektive Probenahme. DLR 107, 84-86 (2011) • Löbell-Behrends S et al.: Kontrolle des Internethandels mit Lebensmitteln: Abgrenzung bei Borderline-Produkten und Ansätze für effektive Kontrollstrategien. J. Verbr. Lebensm. 6, 385–393 (2011) • Löbell-Behrends S et al.: Lebensmittelüberwachung im Internet. Rundsch. Fleischhyg. Lebensm. 62, 433-434 (2010) • Monakhova Y et al.: Automated classification of web pages for identification of suspicious food products - a feasibility study. Deutsche Lebensmittel-Rundschau, 107, 328-330 (2011) • Böse W et al.: Lebensmittelüberwachung 2.0: Konzepte zur Kontrolle des virtuellen Marktes. Food & Recht Praxis, 3/2011, 10-13 (2011) Danke für die Aufmerksamkeit Kontakt: Lachenmeier@web.de Chemisches und VeterinärUntersuchungsamt Karlsruhe