Originalartikel lesen - Österreichische Ärztezeitung
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36 © picturedesk.com Serotonin im Polarisationslicht › österreichische ärztezeitung ‹ 21 ‹ 10. november 2007 Depressionen Bis zu 25 Prozent aller Patienten, die einen Allgemeinmediziner aufsuchen, leiden an einer Depression unterschiedlichen Schweregrades. Eine unbehandelte Depression verdoppelt – wenn nicht sogar verdreifacht – die Suizidalität. Patienten sollten nicht nur über die Entstehung und den Verlauf der Erkrankung, sondern auch über die verschiedenen Therapiemöglichkeiten fachgerecht aufgeklärt werden. Von Siegfried Kasper* Einleitung Depressionen zählen nicht nur zu den häufigsten Erkrankungen in der Psychiatrie, sondern werden auch bei verschiedenen organmedizinischen Erkrankungen wie zum Beispiel kardiovaskulären, neuro-endokrinologischen und rheumatischen Erkrankungen sowie in der Onkologie häufig beobachtet. Darüber hinaus sind depressive Erkrankungen die häufigste Ursache für Erwerbsunfähigkeit und die Haupt ursache für Suizide. Im Vergleich zu anderen häufigen medizinischen Erkrankungen wie etwa arterielle Hypertonie, Diabetes, Herzerkrankungen, Arthritis beziehungsweise Lungenerkrankungen, besteht bei Patienten, die an einer Depression leiden, ein höherer Grad an Behinderungen, wie sich dies beispielsweise in der Anzahl der Krankheitstagen messen lässt. Im Laufe ihres Lebens erkranken etwa 17 Prozent der Menschen der Allgemeinbevölkerung an einer Depression (Lebenszeitprävalenzrate). Bei etwa vier Prozent handelt es sich dabei um eine schwere Depression, bei etwa sieben Prozent um eine mittelgradige und bei etwa sechs Prozent um eine leichte Depression. Verschiedene epidemiologische Felduntersuchungen haben ergeben, dass zwischen zwölf und 25 Prozent der Patienten, die einen Allgemeinmediziner aufsuchen, an einer Depression unterschiedlichen Schweregrades leiden. Etwa bei der Hälfte dieser Patienten wird, wie man in epidemiologischen Untersuchungen erheben konnte, eine Depression erkannt und davon wird ein Viertel suffizient behandelt. Unter dem Aspekt, dass bei einer Depression eine Langzeittherapie notwendig ist, ist von Bedeutung, dass nach drei Monaten Behandlung nur noch ein sehr geringer Prozentsatz der Patienten in Therapie steht (siehe Abb. 1). Diese Daten wurden in einer Studie in Bayern erhoben und können wahrscheinlich mit der Situation in Österreich verglichen werden. Ursachen Erklärungsansätze, die nur biologische, psychologische und soziale Komponenten berücksichtigen, können als überwunden angesehen werden. Ein multifaktorielles Modell, wie in Abb. 2 dargestellt, schließt sowohl konstitutionelle Dispositionen (Genetik), im weiteren Leben erworbene Vulnerabilitätsfaktoren (zum Beispiel Schädelhirntrauma), als auch auslösende chronische Belastungen beziehungsweise Lebensereignisse mit ein. Diese Faktoren können die akute Episode, aber auch das Therapieergebnis und den Therapieverlauf beein- : Behandlungsbedürftigkeit versus tatsächliche Behandlung Nach Hegerl et al., 2001. Daten aus Deutschland und Zahlen auf Österreich adaptiert. Quelle: ÖGPB Konsensus 2007, Depression, Medikamentöse Therapie Abb. 1 › österreichische ärztezeitung ‹ 21 ‹ 10. november 2007 37 Ätiologie der Depression Quelle: ÖGPB Konsensus 2007, Depression, Medikamentöse Therapie : flussen und sollten daher in der Dia gnostik und Therapie entsprechend berücksichtigt werden. Die Forschung der vergangenen Jahre hat Veränderungen im Neurotransmitter-Haushalt, und dabei besonders von Serotonin und Noradrenalin, durch die moderne bildgebenende Dia gnostik verfügbar gemacht. Es zeigte sich beispielsweise sowohl durch die sogenannten Depletionsverfahren als auch durch bildgebende Methoden wie die Positronen-Emissions-Tomographie (PET), dass die Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin in einer geringeren Ausprägung im Hirnstammbereich vorhanden sind. Die Frage, wieso diese niedrigeren Konzentrationen bei Depressionen auftreten, wurde unterschiedlich beantwortet. Es könnte sowohl ein vermehrter Abbau (durch die Monoaminoxidase), als auch eine vermehrte Aktivität der Monoamintransporter dafür verantwortlich gemacht werden, wie vereinzelt Studien erkennen ließen, die jedoch noch weiter abgesichert werden müssen. Aus dem multifaktoriellen Modell ist auch ableitbar, dass das beste Medikament nicht richtig wirken kann, wenn der Patient in einer belastenden Lebenssituation verbleibt. Andererseits kann eine Psychotherapie ohne eine begleitende medikamentöse Behandlung nicht die volle Wirksamkeit entfalten, da die erarbeiteten Verände- 38/39 Abb. 2 rungen nicht adäquat umgesetzt werden können. Diagnostik Während in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts noch eine große Anzahl von zum Teil widersprüchlichen Diagnosesystemen in der Praxis zur Anwendung kamen, orientiert sich die Diagnostik der depressiven Erkrankungen heute an psychopathologischen Leitsymptomen, die nach der Internationalen Klassifikation der Erkrankungen (ICD-10) auch als Kernsymptome bezeichnet werden. Nach ICD-10 wird gefordert, dass zwei oder drei Haupt- symptome sowie zwei bis vier andere Symptome mindestens für die Dauer von zwei Wochen bestehen, um die Diagnose einer Depression stellen zu können. Eine erhöhte Ermüdbarkeit, die bereits nach geringer Anstrengung auftritt, eine gedrückte Stimmungslage, sowie ein Interessensverlust/Freudlosigkeit werden zu den Hauptsymptomen gezählt. Zu anderen häufigen Symptomen gehören vorwiegend somatische Symptome beziehungsweise ein reduziertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle sowie Selbstschädigungstendenzen. Unter den verschiedenen Subformen der Depression sei auf die kurze wiederholte Depression (recurrent brief depression) hingewiesen, bei der die Symptomatologie nicht zwei Wochen, sondern etwa zwei Tage besteht und dabei auch eine deutliche Suizidalität auftritt. Die Herbst/Winter-Depression (saisonal-abhängige Depression, SAD) ist vorwiegend durch einen Antriebsmangel in der dunklen Jahreszeit gekennzeichnet, wobei auch ein Kohlenhy dratheißhunger und eine Hypersomnie auftreten. : Kernsymptome der depressiven Erkrankung nach ICD-10 Quelle: ÖGPB Konsensus 2007, Depression, Medikamentöse Therapie Abb.3 › österreichische ärztezeitung ‹ 21 ‹ 10. november 2007 : Wenn mehrere Symptome zusammen vorkommen und dabei einen deutlichen Grad der Schwere erreichen, wird von einem Syndrom gesprochen. Wenn zusätzlich eine Anzahl von Haupt- und anderen häufigen Symptomen vorhanden ist, wird die Diagnose einer Depression, wie aus Abb. 6 ersichtlich ist, erstellt. Höheres Rückfallrisiko bei Restsymptomen Patienten, bei denen keine Remission erzielt wurde, haben ein höheres Rückfallrisiko. Restsymptome sind in 94 Prozent der Fälle körperliche Beschwerden Abb. 4 Stufenweises Vorgehen bei der Behandlung depressiver Patienten Zum zeitlichen Verlauf der Symptome liegen naturgemäß wenige Untersuchungen vor, da Patienten zu Beginn der Erkrankungen nur selten einen Arzt aufsuchen. Es zeigt sich jedoch, dass vor einer Stimmungsverschiebung (psychische Symptome) häufig körperliche Symptome auftreten. Bei einer deutlichen Ausprägung der Depression sind sowohl körperliche als auch psychische Symptome im gleichen Ausmaß vorhanden. Beim Abklingen der Depression treten zuerst die psychischen Symptome in den Hintergrund; als Residualsymptome scheinen meist körperliche Symptome auf. Die Diagnostik der körperlichen Symptome und die Beschreibung des Zusammenhangs zur Depression sind insofern von großer Bedeutung, da eine nicht voll abgeklungene Depression mit einer signifikant größeren Rückfallswahrscheinlichkeit verbunden ist (siehe Abb. 4). Psychopharmakotherapie Wie in Abb. 5 dargestellt, empfiehlt sich ein stufenweises Vorgehen bei der Psychopharmakotherapie von depressiven Patienten. Quelle: ÖGPB Konsensus 2007, Depression, Medikamentöse Therapie 40 Abb. 5 Zur Erarbeitung eines Gesamtbehandlungsplanes ist nach sorgfältiger Diagnose auch das empathische, stützende ärztliche Gespräch notwendig. Wenn sich der antidepressive Effekt bei etwa 70 Prozent der Patienten nach zwei bis drei Wochen ausreichend eingestellt hat, sollte die Therapie mit einer Erhaltungsdosis weiter fortgeführt werden (siehe Abb. 6 ). Falls sich kein › österreichische ärztezeitung ‹ 21 ‹ 10. november 2007 Verlaufsstadien der Depression Effekt einstellt, sollte die Dosis erhöht werden. Falls sich auch dann noch keine Wirkung eingestellt hat beziehungsweise eine Erhöhung der Dosierung nicht möglich ist, sollte auf ein Antidepressivum mit einem anderen Wirkmechanismus umgestellt werden. (siehe Abb. 7 ) Im Sinne einer Erhaltungstherapie sollte nach der Akutbehandlung einer ersten depressiven Episode die Medikation mindestens über den Zeitraum eines halben Jahres ab dem Zeitpunkt der Remission weitergeführt werden. Danach kann die Medikation langsam ausgeschlichen werden, wenn keine Indikation für eine Dauertherapie besteht. Ab dem Bestehen von zwei Krankheitsphasen, spätestens jedoch nach drei innerhalb von fünf Jahren aufgetretenen Krankheitsphasen ist eine längerfristige Medikation im Sinn einer prophylaktischen Therapie über Jahre hinweg notwendig, wobei möglichst die gleiche Dosierung beibehalten werden sollte. Die Auswahl des Psychopharmakons kann nach unterschiedlichen Gesichtspunkten erfolgen. Häufig stellt sich der Schweregrad einer Depression als besonderes Charakteristikum heraus. Dazu ist zu bemerken, dass alle Antidepressiva auch bei schweren Depressionen ihre Wirksamkeit entfalten (mit Ausnahme von Johanniskrautpräparaten). Wenn zusätzlich zum Schweregrad noch Schlafstörungen auftreten, ist bei den meisten der moderneren Antidepressiva die zusätzliche Gabe eines hypnotisch wirkenden Antidepressivums am Abend notwendig (wie zum Beispiel Trazodon). In Abb. 7 sind die verschiedenen, zur Zeit in Österreich erhältlichen Antidepressiva aufgeführt. Der beschriebene Wirkmechanismus des jeweiligen Antidepressivums steht nicht nur im Zusammenhang mit der antidepressiven Effektivität, sondern auch mit dem zu erwartenden Nebenwirkungsprofil, wobei wichtig er- : Quelle: ÖGPB Konsensus 2007, Depression, Medikamentöse Therapie Abb. 6 Klinisch effektive Antidepressiva bei der Behandlung der Depression Antidepressiva Dosis mg/Tag Freiname Handelsname Start Bereich Standard- 1 tagesdosis Selektive Serotonin-Wiederaufnahmeinhibitoren (SSRI) Citalopram Seropram® 20 20–60 20 div. Generika Fluxetin Fluctine® 20 20–80 20 div. Generika Fluvoxamin Floxyfral® 50 100–300 100 Seroxat® 20 20–50 20 Paroxetin div. Generika Gladem® Sertralin Tresleen® 50 50–200 50 div. Generika Allosterischer Serotonin-Wiederaufnahmeinhibiator (ASRI) Escitalopram Cipralex® 10 10–30 10 Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmeinhibitoren (SNRI) Milnacipran Ixel® 50 100 100 Venlafaxin Efectin® 50 75–375 100 Duloxetin Cymbalta® 60 60–120 60 Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (NDRI) Bupropion XR Wellbutrin XR 150 150–300 300 Glutamat-Modulator (GM) Tianeptin Stablon® 37,5 37,5 37,5 Noradrenalin- und Serotonin-spezifisches Antidepressivum (NaSSA) Remeron® 30 15–45 30 Mirtazapin div. Generika Noradrenalin-Wiederaufnahmeinhibiator (NARI) Reboxetin Edronax® 4 4–10 8 Reversibler Monoaminooxidase-A-Hemmer (RIMA) Moclobemid Aurorix® 300 300–600 300 Phytopharmaka Johanniskraut z.B. Jarsin® 900 900 900 Serotonin-Antagonist und Wiederaufnahmeinhibitor (SARI) Trazodon Trittico® 50 75–600 200 Andere Antidepressiva Mianserin Tolvon® 30 30–90 60 Trizyklika z. B. Amitriptylin, Clomipramin 25 75–250 150 1 lt. Vidal 2000; Quelle: ÖGPB Konsensus 2007, Depression, Medikamentöse Therapie Abb. 7 › österreichische ärztezeitung ‹ 21 ‹ 10. november 2007 41 : scheint, dass die meisten Antidepressiva ihre Wirkung über die Serotonin-Wiederaufnahmehemmung ent falten. Bei einem Teil der Patienten zeigen sich dabei Serotonin-spezifische Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Übelkeit, Erbrechen beziehungsweise Sexualstörungen. Medikamente, die eher das noradrenerge System beeinflussen, sind mit Schwitzen und einer gering ausgeprägten Obstipation assoziiert. Die trizyklischen Antidepressiva weisen das höchste Maß an Nebenwirkungen auf, dies besonders in der therapeutisch wirksamen Dosierung, so dass die Patienten meist eine suboptimale, niedrigere Dosierung wählen, bei der weniger Nebenwirkungen auftreten, jedoch die therapeutische Wirksamkeit deutlich reduziert ist. Die Toxizität der älteren Antidepressiva (Trizyklika) und die höhere Nebenwirkungsrate haben dazu geführt, dass diese in Österreich nur mehr bei einem sehr geringen Anteil depressiv Erkrankter (etwa zehn Prozent) eingesetzt werden. In letzter Zeit wird gehäuft bei schweren Depressionen, auch im Zusammenhang mit einer psychotischen Symptomatik (zum Beispiel beim hypochondrischen Wahn, nihilistischen Wahn beziehungsweise Schuldwahn), die Gabe von atypischen Antipsychotika als adjuvante Therapie zu den Antidepressiva favorisiert. Kontrollierte Untersuchungen haben bei dieser Kombinationstherapie eine höhere Effektivität aufgezeigt als bei alleiniger Gabe von Antidepressiva. Therapie bei älteren Menschen In der Gerontopsychiatrie ergeben sich besondere Herausforderungen bei der psychopharmakologischen Behandlung, da die Depression bei einem hohen Prozentsatz mit anderen somatischen Krankheiten, wie zum Bespiel mit koronaren Herzerkrankungen oder 42/43 COPD auftritt. Das Interaktionsprofil der Antidepressiva mit den für die Behandlung dieser somatischen Erkrankungen notwendigen Medikamenten und die eventuell auftretende Blutspiegelerhöhung von Psychopharmaka als auch den anderen Medikamenten kann bei den Patienten zu belastenden Nebenwirkungen führen. Die genaue Kenntnis des Abbauweges über das Zytochrom P450-System, das anhand von Überblickstabellen beziehungsweise Computerprogrammen verfügbar ist, ist dabei besonders hilfreich. Die trizyklischen Antidepressiva sind wegen ihrer negativ innotropen Wirkung bei koronarer Herzerkrankung und wegen ihrer Bronchokonstriktion bei COPD als Medikamente der 2. oder 3. Wahl anzusehen. Psychopharmaka bei Kindern und Jugendlichen Da für diesen Bereich ähnlich wie in der Gerontopsychiatrie nur wenige empirische Studien vorliegen, wurden Patienten dieser Altersgruppe häufig ältere nebenwirkungsreiche Antidepressiva verordnet, da davon ausgegangen wurde, dass für diese schon viele Erfahrungen vorliegen. Die wenigen verfügbaren kontrollierten Untersuchungen beziehungsweise Beobachtungen in der Praxis und die pharmakologische Kenntnis der Wirkweise von Antidepressiva favorisieren jedoch die modernen Antidepressiva. Interessanterweise sollten bei Kindern und Jugendlichen höhere Dosen erwogen werden, da bei jungen Menschen höhere Metabolisierungsraten zu erwarten sind. In den vergangenen Jahren wurde auch die Diskussion geführt, ob Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) beziehungsweise Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) das Suizidrisiko erhöhen. Kontrollierte Untersuchungen haben dies für die Gesamtgruppe nicht ergeben. Ähnlich jedoch wie bei körperlichen Erkran- kungen sollte bei Beginn der Therapie, in diesem Fall die Psychopharmakotherapie, regelmäßige und engmaschige Termine, auch unter Einbeziehung der Angehörigen, erfolgen. Genauso wie im Erwachsenenalter gilt, dass eine unbehandelte Depression die Suizidalität zumindest verdoppelt, wenn nicht verdreifacht. Schwangerschaft und Stillen In den ersten 20 Tagen nach der Konzeption ist keine pharmakologische Beeinflussung des Embryos durch die Medikamenteneinnahme der Mutter zu erwarten. Sowohl von tierpharmakologischen Untersuchungen als auch von klinischen Beobachtungen kann rückgeschlossen werden, dass die meisten Antidepressiva im ersten Trimenon als relativ sicher einzustufen sind. Es sollte jeweils eine individuelle Risiko/ Nutzen-Einschätzung von Psychopharmaka in der Schwangerschaft erfolgen und dabei die Empirie Berücksichtigung finden, aus der hervorgeht, dass sich das Rückfallsrisiko um bis zu 70 Prozent erhöht, wenn eine erfolgreich eingesetzte antidepressive Therapie in der Schwangerschaft reduziert oder abgesetzt wird. Um peripartale Anpassungsschwierigkeiten des Fötus zu verhindern, können Antidepressiva bei stabilen Patientinnen zwei Wochen vor der Geburt reduziert werden. Die Anpassungsschwierigkeiten des Fötus betreffen Atemschwierigkeiten, Zittern, Hypotonus, Hypoglykämie und Krampfanfälle. Während der Stillperiode besteht keine absolute Kontraindikation gegen die Einnahme von Antidepressiva. Dabei sollte auch bedacht werden, dass in der Muttermilch nur geringe Mengen des Antidepressivums vorhanden sind und in weiterer Folge durch die gastrointestinale Aufnahme beim Neuge- : › österreichische ärztezeitung ‹ 21 ‹ 10. november 2007 : borenen auch nur in geringer Menge in das Zentralnervensystem gelangen. Generell stellen während der Schwangerschaft und Stillperiode die Gruppe der SSRI die Mittel der ersten Wahl dar, wobei zwar über Fluoxetin die meisten Daten vorliegen, aber Sertralin oder Escitalopram wegen geringerer Probleme beim Stillen bevorzugt werden sollten. Als problematisch sind die Valproinsäure, Lamotrigin sowie Kombinationsbehandlungen von Antiepileptika anzusehen. Lichttherapie bei Herbst/Winter-Depression Die Herbst/Winter-Depression (Saisonal abhängige Depression, SAD) Praktische Anordnung bei der Lichttherapie ist eine Unterform der depressiven Episode nach ICD-10 beziehungsweise Major Depression nach DSM-IV. Bei diesen Patienten liegt in der dunklen Jahreszeit, das heißt im Herbst und Winter bei etwa 70 Prozent eine atypische Psychopathologie mit Hypersomnie, Hyperphagie und ein Kohlenhydratheißhunger vor. Die in Abb. 8 dargestellte Lichttherapie und in Abb. 9 aufgeführten praktischen Richtlinien zur Lichttherapie weisen darauf hin, dass der Lichteffekt über die Augen vermittelt wird und die Patienten während der dunklen Jahreszeit täglich diese Lichttherapie anwenden sollten. © Alle Abb. CliniCum psy Falls die Patienten jedoch die Möglichkeit haben, können sie den Lichtmangel beispielsweise durch sportliche Betätigung im Freien kompensieren. Obwohl die Lichttherapie als die Therapie der ersten Wahl anzusehen ist, sei festgehalten, dass die Patienten auch auf eine antidepressive Medikation ansprechen, zum Teil auch bevorzugen, da dadurch das zeitaufwendige Setting der Lichttherapie nicht notwendig ist. Abb. 8 Praktische Richtlinien zur Durchführung der Lichttherapie Wirkungsmechanismus Der antidepressive Effekt wird über das Auge vermittelt Die Augen des Patienten sollen etwa 90 cm von der Lichtquelle Lichtquelle entfernt sein, der Patient soll etwa einmal pro Minute direkt in die Lichtquelle schauen Lichtintensität 10.00 Lux Wellenlänge Volles Spektrum (kein UV-Licht) Dauer 30 Minuten pro Tag vom Herbst bis Frühjahr Unabhängig vom therapeutischen Erfolg, wann es für Tageszeit den Patienten günstig ist, morgens bevorzugt Latenz bis zum Auftreten des drei bis sieben Tage antidepressiven Effekts Sprechen gewöhnlich auf antidepressive Medikation an Nonresponder (Daten zu SSRI bzw. NRI; sedierende Antidepressiva nicht zu empfehlen Lichttherapie und antidepressive Medikation empfehTeilweises Ansprechen lenswert Quelle: ÖGPB Konsensus 2007, Depression, Medikamentöse Therapie Abb. 9 44 Psychotherapie Die wahrscheinlich am häufigsten durchgeführte Psychotherapie bei depressiven Patienten ist die supportive Psychotherapie, bei der die therapeutische Interaktion individuell an Art (Diagnose, Symptomenkonstellation) und Natur (Verlauf ) der Erkrankung einschließlich der Haupt- und Nebenwirkungen der gegebenen Medika tion angepasst wird. Ziele der supportiven Psychotherapie sind einerseits das Herstellen einer therapeutischen, empathischen Beziehung, weiters psychoedukative Maßnahmen mit dem Inhalt der Informationsvermittelung zur Entstehung und zum Umgang mit der Depression, das Besprechen der Haupt- und Nebenwirkungen der verordneten Medikation, das Ansprechen der Suizidgefahr, das Erarbeiten des › österreichische ärztezeitung ‹ 21 ‹ 10. november 2007 © picturedesk.com Umganges mit Suizidgedanken, Strategien zur Verbesserung der Compliance, Förderung der Akzeptanz der Erkrankung, der Krankenrolle, Aufklärung der Angehörigen, Hilfe bei Entscheidungsfindungen, Strukturierung der Tagesabläufe sowie das Bewusstmachen der individuell spezifischen Vorläufersymptome einer Episode und Erarbeiten eines Notfallplanes. Zu den wissenschaftlich begründeten psychotherapeutischen Verfahren zur Behandlung der Depression zählen die Verhaltenstherapie und kognitive Therapie, die häufig als kognitive Verhaltenstherapie synergistisch zum Einsatz kommen, die psychodynamische interpersonelle Psychotherapie, die sich von der Tiefenpsychologie ableitet, und die interpersonelle Psychotherapie, die unterschiedliche therapeutische Ansätze utilitaristisch vereinigt. Zusätzlich werden systemische, psychoanalytische beziehungsweise tiefenpsychologische (wie etwa die Individualpsychologie nach Adler und Jung’sche Analytische Therapie), logotherapeutische (nach Frankl) und körperpsychotherapeutische Verfahren eingesetzt. Interessanterweise zeigt die Psychotherapieforschung eindrücklich, dass die Therapeutenvariable wahrscheinlich wichtiger als die Methodenvariable einzuschätzen ist. Dies bedeutet für die Praxis, dass die interpersonelle und fachliche Kompetenz des Therapeuten mehr ins Gewicht fällt als die Methode, die gewählt wird. Schlussbemerkung Obwohl sie unter den psychiatrischen Erkrankungen am besten erforscht sind, zählen Depressionen nach wie vor zu den Erkrankungen, die als stigmatisiert zu bezeichnen sind. Früher wurde der Umgang mit Depressionen in der Praxis oft dadurch erschwert, dass – im Vergleich zur Inneren Medizin – kein adäquates Krankheitsmodell zur Verfügung stand. Dies hat sich jedoch geändert und es stehen nun biopsychosoziale Krankheitsmodelle zur Verfügung, die es den Patienten erlauben, die sie betreffende Depression als ein mit somatischen Erkrankungen vergleichbares Leiden zu verstehen, wie zum Beispiel Hypertonus, Diabetes mellitus oder Asthma bronchiale. Häufig findet man jedoch bei Patienten und deren Angehörigen die Meinung, dass für somatische Erkrankungen selbstverständlich eine Medikation dauerhaft einzunehmen sei, die Antidepressiva jedoch im Gegensatz dazu wieder rasch abzusetzen seien. Depressionen sind Langzeiterkrankungen wie die zuvor genannten so- › österreichische ärztezeitung ‹ 21 ‹ 10. november 2007 matischen Erkrankungen und die vorliegenden biologischen Ursachen und Daten zum Verlauf sowie die günstige therapeutische Beeinflussung tragen zur Entmystifizierung von depressiven Erkrankungen bei. Patienten sollten daher nicht nur über die Entstehung und den Verlauf der Erkrankung, sondern auch über die verschiedenen Therapiemöglichkeiten fachgerecht aufgeklärt werden. 9 In Österreich liegen – vergleichbar mit anderen Ländern – Konsensus-Statements zur Diagnostik und Behandlung von Depressionen vor, wie zum Beispiel das der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB). Auf deren Leitlinien, die mit namhaften Vertretern des Fachgebiets erarbeitet wurden, möchte ich mich in diesem Beitrag inhaltlich, einschließlich der zum Teil dabei verwendeten Graphiken, beziehen. Literatur beim Verfasser *) O. Univ. Prof. Dr. DDr. h.c. Siegfried Kasper; Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie/Medizinische Universität Wien, Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien; Tel.: 01/40 400/35 71 E-Mail: sci-biolpsy@meduniwien.ac.at 45