Abstinenzorientierte Drogentherapie: Eine Erfolgsgeschichte
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Abstinenzorientierte Drogentherapie: Eine Erfolgsgeschichte
Abstinenzorientierte Drogentherapie Eine Erfolgsgeschichte Dipl.-Psych. Martina Fischer, Ltd. Psychologin, PP AHG Kliniken Daun Altburg mfischer @ahg.de Überblick • Ergebnisse der Drogenkatamnesen 2007 und 2009 • Objektive Daten zur Wirksamkeit (Kulick et al. 2010) • Spezielle Fragestellungen – Therapie statt Strafe (Hamdorf & Rottschäfer 2012) • Wirkfaktoren der abstinenzorientierten Reha 2 Drogenkatamnese 2007 (Fischer et al. 2007) 3 Untersuchungsdaten und katamnestische Rücklaufquote 4 Beschreibung der Stichprobe • N = 429 • 82,4 % Polytoxikomanie • 70,9 % Männer • 28,8 Jahre im Durchschnitt • 81,3 % ledig • 35,4 % feste Beziehung • 41,4 % alleinlebend, 20,9 % mit Elternteil • 58,8 % Hauptschule, 8,4 % kein Abschluss • 40,1 % abgeschlossene Berufsausbildung • 45,9 % Arbeitslose • 49,4 % „Therapie als Auflage“ • 28,2 % direkt aus Strafhaft • 72 % planmäßige Behandlungsbeendigung • Durchschnittlich 111 Tage Behandlungsdauer, • bei planmäßigen Entlassungen 128 Tage 5 Art der Behandlungsbeendigung 35 30,8 30 Prozent 25 22,8 19,4 17,7 20 15 7,9 10 5 0,7 0,7 0 regulär (1) vorzeitig auf vorzeitig mit vorzeitig ohne disziplinarisch ärztliche ärztlichem ärztliches (5) Veranlassung Einverständnis Einverständnis (2) (3) (4) verlegt (6) Wechsel zu ambulanter, teilstationärer, stationärer Reha (7) • 72 % planmäßige Entlassungen 6 Art der Suchtmitteleinnahme (Mehrfachnennungen mö möglich) Halbjahreskatamnese (n = 148) Jahreskatamnese (n = 113) Alkohol 87,8 % 88,5 % Cannabis, THC 56,8 % 55,8 % Heroin, andere Opiate 52,0 % 49,6 % Medikamente 41,9 % 49,6 % Kokain, Crack 36,5 % 22,1 % Amphetamine, andere Stimulanzien Ecstasy, andere Designerdrogen LSD, andere Halluzinogene Andere psychotrope Substanzen 20,4 % 16,8 % 13,6 % 12,4 % 2,7 % 6,2 % 9,5 % 5,3 % 7 Eintritt des ersten Rückfalls nach Behandlungsende Prozent • Die Rückfallwahrscheinlichkeit ist in den ersten drei Monaten nach Behandlungsende am höchsten. • Kritische Zeitfenster sind die ersten vier Wochen sowie der Zeitraum zwischen der neunten und zwölften Woche nach Entlassung. 30 25 20 15 10 5 0 27,7 22,3 15,0 < 1 Woche 22,1 19,5 10,8 10,6 1 bis 4 Wochen 5 bis 8 Wochen 15,5 14,2 8,0 6,1 9 bis 12 Wochen 13 bis 16 Wochen 5,4 2,6 17 bis 20 Wochen 6,1 > 21 Wochen 8,0 6,1 keine Angaben Wochen nach Behandlungsende Halbjahreskatamnese (n = 148) Jahreskatamnese (n = 113) 8 Partnersituation bei Antwortern der Jahreskatamnese (n = 174) 100 90 80 Prozent 70 60 50 40 Jahreskatamnese 30 Halbjahreskatamnese 20 Behandlungsende 10 Behandlungsbeginn 0 alleinstehend zeitweilige Beziehung(en) feste Beziehung keine Angaben 9 Berufliche Integration bei Antwortern der Jahreskatamnese (n = 174) 100 Proze n t 80 Jahreskatamnese 60 Halbjahreskatamnese 40 20 Behandlungsbeginn 0 Beruflich integriert fehlende/ mangelnde berufliche Integration 10 Berufliche Integration zum Zeitpunkt der Jahreskatamnese katamnestisch erfolgreiche ( n = 91) und rückfällige Antworter (n = 83) 80 60 40 fehlende berufliche Integration 20 beruflich integriert 0 katamnestisch erfolgeich rückfällig 11 Veränderungen der subjektiven Zufriedenheit zwischen Halbjahres- und Jahreskatamnese Halbjahreskatamnese Jahreskatamnese 4 3 3,38 3,09 3,17 2,85 2,78 2,49 2,5 2,95 2,75 2,70 2,36 Umgang mit Suchtmitteln Freundes-/ Bekanntenkreis Familiensituation finanzielle Situation seelische Verfassung 2 berufliche/ schulische Situation Mittelwert 3,5 3,76 3,53 Anm.: Einschätzung erfolgt auf 6-stufiger Skala von 1 (sehr zufrieden) bis 6 (sehr unzufrieden) 12 Jahreskatamnese: Erfolgsquoten in Abhängigkeit von ausgewählten Merkmalen Katamnestische Erfolgsquote - Jahreskatamnese Behandlungsdauer Gesetzliche Grundlage Abhängigkeitsdauer Geschlecht Alter DGSS 1 (n = 136) DGSS 2 (n = 308) DGSS 3 (n = 174) DGSS 4 (n = 425) Bis 16 Wochen 65,0 % 23,6 % 55,7 % 18,9 % Über 16 Wochen 51,0 % 24,7 % 50,0 % 23,7 % Freiwillige Behandlung 59,7 % 30,1 % 53,7 % 25,2 % Therapie als Auflage 50,7 % 20,0 % 50,6 % 17,9 % Bis 5 Jahre 62,5 % 27,0 % 60,0 % 26,7 % 6 bis 10 Jahre 57,1 % 24,6 % 54,3 % 21,7 % Über 10 Jahre 47,9 % 22,1 % 44,1 % 17,4 % Männer 56,3 % 23,0 % 54,1 % 19,9 % Frauen 53,1 % 27,4 % 49,2 % 25,2 % Bis 29 Jahre 55,2 % 24,7 % 51,7 % 22,2 % Über 29 Jahre 55,1 % 23,7 % 53,4 % 20,0 % 13 Abstinenzorientierte Drogentherapie Eine Erfolgsgeschichte Forschungskatamnese 2003-2006 21,5 % • Legt man den gesamten Entlassjahrgang zugrunde, werden ein Jahr nach Behandlungsende katamnestische Erfolgsquoten von 21,5 % erreicht. • (konservative Einschätzung DGSS 4: alle Behandelten, alle Nichtantworter werden als „rückfällig per Definition“ eingestuft) 14 Abstinenzorientierte Drogenreha Eine Erfolgsgeschichte Forschungskatamnese 2003-2006 55,1 % • 55,1 % der Patienten, die eine Drogenentwöhnungsbehandlung planmäßig abgeschlossen hatten und die Katamnese beantworteten, sind bezüglich des Abstinenzkriteriums als erfolgreich ein Jahr nach der Reha einzuschätzen. • (Kriterium DGSS 1; Katamneseantworter mit planmäßiger Entlassung) 15 Jahreskatamnese: Bewertung des Umgangs mit psychoaktiven Substanzen 80 7 5 ,8 7 3 ,5 70 Prozent 60 50 40 30 20 10 1 2 ,1 1 2 ,1 3 ,6 8 ,4 6 ,0 2 ,2 0 2 ,4 0 ++ + - k at a mn e s t is c h e rf olg re ic h • • -- 0 rü c k f ällig 75,8 % der katamnestisch erfolgreichen und 3,6 % der aktuell rückfälligen Antworter zeichnen sich durch einen sehr positiven Umgang mit Suchtmitteln aus Weitere 12,1 % der aktuell rückfälligen Antworter haben im Katamnesezeitraum von einem Jahr einen positiven Umgang mit Suchtmitteln gehabt DGSS Katamnesestandards III Anmerkungen: ++ deutlich positiver Umgang mit psychoaktiven Substanzen; + positiver Umgang mit psychoaktiven Substanzen; - negativer Umgang mit psychoaktiven Substanzen; -- deutlich negativer Umgang mit psychoaktiven Substanzen; 0 Angaben reichen nicht aus 16 FVS Drogenkatamnese 2009 (Fischer et al. 2012) Die aktuellen Ergebnisse der FVS Drogenkatamnese 2009 sind insgesamt als Erfolg zu werten. 4 Kliniken, trägerübergreifend Gesamtstichprobe: N=713 Zeitraum: 01.01.2009 – 31.12.2009 Katamnestischer Rücklauf 35,9 % 17 FVS Drogenkatamnese 2009 22,7 % • Legt man den gesamten Entlassjahrgang (N=713) zugrunde, werden ein Jahr nach Behandlungsende katamnestische Erfolgsquoten von 22,7 % erreicht. • (konservative Einschätzung DGSS 4: alle Behandelten, alle Nichtantworter werden als „rückfällig per Definition“ eingestuft) 18 FVS Drogenkatamnese 2009 66,1 % • 66,1 % der Patienten, die eine Drogenentwöhnungsbehandlung planmäßig abgeschlossen hatten und die Katamnese beantworteten, sind bezüglich des Abstinenzkriteriums als erfolgreich ein Jahr nach der Reha einzuschätzen. • (Kriterium DGSS 1; Katamneseantworter mit planmäßiger Entlassung) 19 Fazit Die Wahrheit ist zwischen beiden Polen zu finden. Nicht nur der Konsum von Drogen und psychotropen Medikamenten sondern auch der Konsum von Alkohol wird generell als Rückfall in den Katamnesen gewertet. Problem: der größte Teil der Ergebnisqualität der stationären abstinenzorientierten Drogenrehabilitation kann aufgrund der geringen Rücklaufquote noch nicht aufgeklärt werden. 20 Objektive Daten zur Wirksamkeit der abstinenzorientierten Drogenreha (Kulick et al. 2010) 21 Wirksamkeit der Drogenrehabilitation aus Sicht der Leistungsträger DRV Rheinland –Pfalz (Kulick et al. 2010) •Die Aufnahme bzw. die Kontinuität der Beitragsmeldungen bei Drogenrehabilitanden verändert sich im Sinne des Rehabilitationsauftrages. •Der Erwerb von Kompetenzen und Grundfertigkeiten zur Bewältigung des alltäglichen Lebens und zum Aufbau und Aufrechterhaltung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung während der medizinischen Rehabilitation gelingt. DRV Bund •Eine Auswertung des Entlassjahrgangs 2008 (N = 2473) erbrachte, dass 2 Jahre nach der erfolgten stationären Entwöhnungs-behandlung aufgrund von Drogenabhängigkeit 98% im Erwerbsleben verblieben sind. •Davon wiesen 44% lückenhafte und 54% lückenlose Beiträge auf. •Das durchschnittliche Entlassalter betrug 31,4 Jahre. 22 Spezielle Fragestellung: Therapie statt Strafe 23 Drogenpolitik und Drogenrehabilitation: ein gemeinsamer Weg? (Rottschäfer & Hamdorf 2012) 24 25 26 Zurückstellung der Freiheitsstrafe – Hilfe oder Drehtüre? • Abstinenzorientierte Reha erweist sich als Hilfe und Chance – Differenzierung ist erforderlich – Günstige Faktoren: • Erstrehabilitation • Planmäßig abgeschlossene Reha incl. Adaption • Patientenmerkmale: höherer Schulabschluss, Berufsausbildung, keine Schulden, kein polyvalenter Missbrauch • Hauptdrogen: Cannabis, Amphetamine 27 Wirkfaktoren der stationären Reha • Behandlungsdauer • Planmäßige Behandlungsbeendigung: • Regulär • Vorzeitig in Vereinbarung mit Behandlerteam • Wechsel in ambulante, stationäre und teilstationäre Maßnahmen • Inanspruchnahme weiterführender Angebote wie Adaption und ambulante Nachsorge ist für Behandlungserfolg wichtig Wirkfaktoren • Team mit Wissen und Erfahrung über Ausstiegsprozesse in der stationären Reha • Gemeinsame Behandlungskonferenz als kreativer Prozess • Hausordnung – Beziehung auf dem Prüfstand, Diagnostik der sozialen Kompetenzen • „Sich Hilfe holen“ als gelungene Aktion • Mit Krisen umgehen • Erfolge feiern ☺ • „Dran bleiben“ – Stationäre Phase ist der Anfang! Tipps für Patienten • Wer „früh“ in der Reha ankommt, hat bessere Chancen. • Wer die Behandlung planmäßig beendet, hat bessere Chancen. • Wer in der stationären Phase Hilfe annehmen lernt, wird langfristig autonomer. • Wer sich auch nach der Therapie um angepasste Unterstützung kümmert, bleibt länger clean. • Kleine Schritte sind langfristig erfolgreicher. • „Schneller, höher, weiter“ führt zu Überforderung und häufig Misserfolgen. Abstinenzorientierte Drogentherapie Eine Erfolgsgeschichte ! Literatur Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e.V. (Hrsg.) (1985). Standards für die Durchführung von Katamnesen bei Abhängigen. Freiburg: Lambertus. Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e.V. (Hrsg.) (1992). Dokumentationsstandards 2 für die Behandlung von Abhängigen. Freiburg: Lambertus. Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e.V. (Hrsg.) (2001). Dokumentationsstandards III für die Evaluation der Behandlung von Abhängigen. Sucht, 47. Jahrgang, Sonderheft 2. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) (Hrsg.) (2008). Deutscher Kerndatensatz zur Dokumentation im Bereich der Suchtkrankenhilfe. Stand: 05.10.2010. www.dhs.de Fachausschuss Sucht des AHG Wissenschaftsrats (Hrsg.) (2007). Basisdokumentation Sucht Version 1.0. Düsseldorf. Fachausschuss Sucht des AHG Wissenschaftsrats (Hrsg.) (2010). Nachbefragungsbogen zur stationären Entwöhnungsbehandlung (Katamnese Sucht). Düsseldorf. Fischer, M., Missel, P., Nowak, M., Roeb-Rienas, W., Schiller, A., Schwehm, H. (2007). Ergebnisqualität in der stationären medizinischen Rehabilitation von Drogenabhängigen (Drogenkatamnese). Teil I: Einführung in die Thematik, Untersuchungsdesign und Behandlungseffekte. Sucht Aktuell 14/1, 2007. Fischer, M., Missel, P., Nowak, M., Roeb-Rienas, W., Schiller, A., Schwehm, H. (2007). Ergebnisqualität in der stationären medizinischen Rehabilitation von Drogenabhängigen (Drogenkatamnese). Teil II: Abstinenz und Rückfall in der Halbjahres- und Jahreskatamnese. Sucht Aktuell 14/2, 2007. Fischer, M., Garbe, D., Weissinger, V., Missel, P.,, Bange, S., Stehr, M., Kemmann, D., 2012. Effektivtät der stationären abstinenzorientierten Drogenrehabilitation. FVS-Katamnese des Entlassjahrgange 2009 von Fachkliniken für Drogenrehabilitation. Sucht Aktuell 19/03, 2012. Rottschäfer, T., Hamdorf, W. 2012. Drogenpolitik und Drogenrehabilitation: ein gemeinsamer Weg? Vortrag und Präsentation. 25. FVS- Kongress Heidelberg. Kulick, B., Fischer M., Missel P., Nowak M., Roeb-Rinas W., Schiller A., Schwehm H., Stapel M. Qualität in der medizinischen Rehabilitation bei Abhängigkeitserkrankungen – Ergebnisqualität in der stationären Rehabilitation Drogenabhängiger. 2. Deutscher Suchtkongress 16. – 19. September 2009 in Köln Kulick, B. 2010. Hilfe oder Drehtüre – § 35 aus Sicht der Leistungsträger. DBDD Workshop Drogen & Haft am 19.11.2010 in Berlin. Malivert, M., Fatseas, M.,Denis, C., Lamglois, E., Auriacombe, M. 2012. Effectiveness of Therapeutic Communities: A Systematic Review. Eur Addict Res 2012; 18:1-11. National Treatment Agency for Substance Misuse 2012. The role of residential rehab in an integrated drug treatment system. www.nta.nhs.uk 41 Katamnestische Erfolgsquoten DGSS-Berechnungsformen 1 bis 4 Halbjahreskatamnese Jahreskatamnese DGSS 1 50,6 % 55,1 % DGSS 2 29,9 % 24,4 % DGSS 3 46,5 % 52,3 % DGSS 4 25,6 % 21,5 % 42 Abstinenzorientierte Drogenreha Eine Erfolgsgeschichte Forschungskatamnese 2003-2006 41,4 % • Ein Jahr nach der Behandlung kann für 41,4 % Prozent der drogen- und mehrfachabhängigen Patienten ein deutlich positiver Umgang mit allen Suchtmitteln verzeichnet werden. • Katamnesestandards III (DGSS, 2001): Abstinent im gesamten Zeitraum, oder höchstens 1 Rückfall (nicht länger als 3 Tage, aus eigenem Antrieb beendet oder mit intentional vom Patienten aufgesuchter Hilfe sowie keine aus dem Rückfall resultierenden negativen Folgen) 43 Internationale Ergebnisse Einschätzung der Wirksamkeit therapeutischer Gemeinschaften -Behandlungsdauer -Art der Behandlungsbeendigung -Suchtmittelkonsum Definition von Prädiktoren für Drogenfreiheit -Planmäßige Behandlungsbeendigung -Längere Behandlungsdauer -Schweregrad der Erkrankung 44 Internationale Ergebnisse 3 von 10 Patienten werden als erfolgreich nach stationärer Reha eingestuft 1 Patient von 10 Patienten fällt aus den Drogenhilfesystem heraus 6 Patienten nutzen weiterhin strukturierte Hilfen gemeindenah Behandlungsabbrüche in der Frühphase der Reha Katamnestischer Erfolg variiert zwischen 20 und 60 Prozent abhängig von der Einrichtung Alkoholabhängige prognostisch günstiger als Drogenabhängige 45