HILDESHEIMER ALLGEMEINE ZEITUNG

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HILDESHEIMER ALLGEMEINE ZEITUNG
HILDESHEIMER ALLGEMEINE ZEITUNG
Wie Schule zu Geschichte(n) wird
Stationentheater durch 40 Jahre Albertus-Magnus-Schule / 350 Schüler beteiligt an Aufführungen vom 10 bis 12. Juli
Von Martina Prante
D
er Lehrer kann einem total leidtun. Tim Pielczyk in seiner Rolle
als gestresster Pädagoge steht
noch hinter der Klassentür, aber seine
Gedanken über die Ignoranz und Unverschämtheit der Neuntklässler, die ihn
üblicherweise lümmelnd und kämmend
erwarten, sind schon aus dem Off zu hören. Frustrierend. Doch dann wird er
überrascht.
So und anders kann es sein, wenn
Schule Geschichte(n) schreibt. 40 Jahre
hat die Albertus-Magnus-Schule (Alma)
auf dem Buckel. Doch sie ist mit ihrem
künstlerischen Profil für die Zukunft gewappnet, ist Schulleiter Klaus Sagermann überzeugt. Und diese Ausrichtung
sollte sich auch im runden Geburtstag
zeigen. „Eigentlich hatten wir eine Revue im Audimax“ geplant, erinnert sich
Sagermann. Doch die Schüler bremsten
ihren Rektor. Und auch die Fachfrau, Katrin Löwensprung vom Theaterpädagogischen Zentrum (TPZ), sprach sich gegen eine Vorführveranstaltung aus. Warum nicht aus den Ressourcen schöpfen,
die da sind. Und die Geschichten am Ort
präsentieren, wo sie passieren. Das überzeugte.
300 Schüler sind inzwischen eingebunden in das Stationentheater. Mit Big
Band, Kunst, Tanz, Zirkus und Theater
werden die Besucher anderthalb Stunden durch die Schule geführt. Eine der
beiden Touren umfasst je drei Stationen,
jeweils 180 Neugierige können sich jeweils auf den Weg durch die Klassenzimmer machen: eine logistische Meisterleistung, verdeutlicht TPZ-Theaterpädagogin Sinje Kuhn, die mit Kathrina
Hülsmann die künstlerische Leitung
übernommen hat. Die restlichen 260
Schüler sind allerdings über Catering,
Gestaltung und Organisation ebenfalls
involviert.
„Und es auffällig, dass es nicht Ereignisse aus dem Unterricht, sondern eher
die vom Pausenhof und der Klassenfahrt
in die Geschichten geschafft haben“,
staunt Kuhn. Doris Dick war es, die das
TPZ ins Boot geholt hat. Sie unterrichtet
in der Alma von deren Gründung an
künstlerische Fächer. Die gehören bereits in den 5. und 6. Klassen zum Unterricht, ab der 9. werden sie Wahlpflichtkurs (WPK).
Joelina, Yumi und Talya malen den Hintergrund, vor dem sie Manets „Chez le père
Lathuille“ lebendig werden lassen.
Auf der Spur von Usain Bolt: Abraham beweist seinen Mitschülern Diana und Julian,
was für ein guter Läufer er ist.
Mit Schwung herum: Jennifer Brückner steht im Zentrum der tänzerischen Aktion im Klassenzimmer.
Im WPK Tanz von Birgit Deike ist Tim
der einzige Junge. „Leider!“, stellt der
15-Jährige grinsend fest. Aber er habe
einfach keine Lust gehabt, „zusätzlich
Hausaufgaben zu machen“. So spielt er
jetzt den überforderten Lehrer von einer
Klasse, in der zwölf Mädels rumzicken.
Immerhin trägt er einen flotten einarmigen Handstand und einen Salto bei.
Die Neuntklässler erzählen die Geschichte einer Außenseiterin im Klassenzimmer. Anscheinend. „Es ging vor allem darum, dass Jenny ein Solo haben
sollte“, lächelt Deike. „Dafür musste sie
ausgesondert werden.“ Jennifer Brückner nämlich tanzt seit zehn Jahren beim
SV Bavenstedt. Auch Jule Ola hat Erfahrung beim Cheerleading. Choreografien
und Auswahl der Musik stammen von
Schülerinnen und Lehrerin gemeinsam.
Die Theatergruppe A hat sich mit
Schulgeschichten beschäftigt. Die Schü-
ler proben seit Anfang des Schuljahres
einmal wöchentlich 90 Minuten und
werden dafür auch zensiert. Abraham
Lemashon mag Theater, hat früher auch
selber Geschichten geschrieben. Aber in
deutscher Sprache klappt das noch nicht
so richtig, denn der 17-Jährige kommt
aus Nairobi. Und so nutzt er das Theaterspiel, um seine Deutschkenntnisse zu
verbessern.
Abraham erzählt unter anderem von
seinem ersten Sportunterricht, wie
schwierig es war, den Lehrer zu verstehen, und seiner Angst vor dem Versagen. Diana erinnert sich in einer Szene
an einen Sportunterricht, in dem ihr ein
unglücklich geworfener Ball den Finger
gebrochen hat. „Aber das ist nicht mir,
sondern einer Klassenkameradin passiert“, betont die 15-Jährige. Allerdings
wird nicht nur biografisch erzählt, sondern auch szenisch dargestellt. Beson-
ders beeindruckend, wie Abraham in
Zeitlupe läuft und das Gesicht vor Anstrengung verzerrt.
So richtig anstrengend ist es im Kurs
von Mechthild Bolzau nicht. Dafür umso
spannender, denn die Schüler des WPK
Kunst „bauen“ zum Schulgeburtstag ihr
eigenes Almaseum. Drei Räume sollen
mit Fotos, Objekten und Skulpturen Gebäude und Schul-Alltag beschreiben.
Darüber hinaus hat Bolzau ihren Unterrichtsstoff zum Thema gemacht. Manets
„Chez le père Lathuille“ – ein Pärchen
in einem Lokal mit Kellner – sollte lebendig werden, allerdings im Hier und
Heute.
Talya, Yumi und Joelina haben sich
einen Text ausgedacht. Und bei ihnen ist
der neugierige Kellner eine Frau: „Und
ich frage, ob der Mann sie belästigt“, erzählt die 15jährige Joelina Scheibe. Alle
drei Mädchen sind gut im Kunstunter-
Fotos: Moras
richt, also fiel die Entscheidung in Sachen WPF einfach. „Und es ist mal was
anderes“, lobt Talya Kort die Unterrichts-Idee.
Nach Monaten der Vorbereitung folgt
nun der Feinschliff: „Bisher haben wir
die Räume ja nur zwei Stunden pro Woche benutzt. In der kommenden Woche
sind Projekttage, um alles richtig für das
Stationentheater herzurichten.“ Eine
Schule im Ausnahmezustand. Und alle
machen mit.
Die öffentlichen Aufführungen im Stationentheater beginnen am Donnerstag, 10. Juli,
und Freitag, 11. Juli, um 18 Uhr sowie am
Sonnabend, 12. Juli, um 11 und 16 Uhr in der
Albertus-Magnus-Schule im Brühl. Karten zu
5, ermäßigt 3 Euro im Vorverkauf Montag
bis Freitag zwischen 13.30 und 15 Uhr im
Sekretariat der Schule. Restkarten an der
Abendkasse.