Poly-ADP-Ribosylierung

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WISSENSCHAFT
Genomische Stabilität
Poly-ADP-Ribosylierung
SASCHA BENEKE UND ALEXANDER BÜRKLE
LEHRSTUHL MOLEKUL ARE TOXIKOLOGIE, FACHBEREICH BIOLOGIE,
UNIVERSITÄT KONSTANZ
Poly-ADP-Ribose-Polymerasen (PARPs) katalysieren die posttranslationale
Modifikation von Proteinen mit Poly-ADP-Ribose. Poly-ADP-Ribose und die
Enyzmfamilie der PARPs haben eine bemerkenswerte „Karriere“ gemacht:
von einer wenig beachteten Nebenreaktion im Gefolge von DNA-Schädigung hin zum „Allzweckwerkzeug“ im Dienst der Genomstabilisierung.
Das Spektrum der Aktivitätsbereiche von PARPs reicht inzwischen von
der DNA-Reparatur und Modulation der Chromatinstruktur über die Regulation von intrazellulären Transportvorgängen und Transkription, die Organisation der Mitosespindel und die Telomerregulation bis hin zur Auslösung von Zelltod.
ó PARPs nutzen NAD+ als Substrat und synthetisieren daraus schrittweise ein Homopolymer aus ADP-Ribose-Einheiten, welches Verzweigungsstellen aufweist[1, 2]. Dies geschieht
im Sinne einer posttranslationalen Proteinmodifikation (Abb. 1). Die quantitativ bedeutsamsten Zielproteine (Akzeptorproteine) für
die kovalente Poly-ADP-Ribosylierung sind
die PARPs selbst (Automodifikation).
Die Poly-ADP-Ribosylierung wird durch die
Behandlung von Zellen mit DNA-schädigenden Agenzien, welche DNA-Strangbrüche
erzeugen, stark induziert. Dies ist auf die
Aktivierung der abundant exprimierten Enzyme PARP-1 und PARP-2 zurückzuführen,
wobei PARP-1 für rund 90 % der Polymersynthese verantwortlich ist. Poly-ADP-Ribose unterliegt unter solchen Bedingungen
einem raschen Umsatz, da gleichzeitig zur
Synthese bereits der enzymatische Abbau des
Polymers erfolgt. Dessen Endprodukt ist freie,
monomere ADP-Ribose, die nur in einem
stark energieverbrauchenden Prozess für die
NAD+-Synthese wiederverwertet werden
kann. Die zelluläre NAD+-Konzentration kann
daher bei genotoxischer Behandlung rasch
und nachhaltig abnehmen, was zum nekrotischen Zelltod führen kann.
Lange wurde diese zelluläre Antwort auf
genotoxische Attacken für die einzig relevante
Aktion der PARPs gehalten. So gibt es beispielsweise eine umfangreiche Literatur
zur Herbeiführung von Zelltod durch übersteigerte PARP-Aktivität bzw. durch Hemmung einer moderaten, physiologischen
PARP-Aktivität bei Anwesenheit einer
begrenzten Zahl von DNA-Strangbrüchen
(Abb. 2). Letzteres führt zur Hemmung der
DNA-Reparatur und damit zu einer letalen
Akkumulation von DNA-Schäden. Andererseits scheint eine über das normale Maß
gesteigerte PARP-1-Aktivität die Aufrechterhaltung von genomischer Stabilität unter
genotoxischem Stress zu begünstigen, während eine zu niedrige PARP-1-Aktivität das
Genom destabilisiert[3].
Zur Erklärung des Zelltods infolge einer
übersteigerten PARP-Aktitvität wurden noch
zwei weitere Mechanismen vorgeschlagen
(Abb. 2): Zum einen kommt es zur Auslösung
von Caspase-unabhängigem Zelltod durch den
Kontakt von Poly-ADP-Ribose mit Mitochondrien, und zwar über die Freisetzung des
apoptosis inducing factor (AIF) aus Mitochondrien[4]. Daraufhin wird AIF in den Zellkern transloziert und verursacht die Fragmentierung der DNA. Zum anderen wurde
eine Hemmung der Aktivität von SIRT1 infolge starker PARP1-Aktivierung beschrieben.
SIRT1 ist eins von sieben Sirtuins in Säugerzellen, dem eine anti-apoptotische Wirkung
zugeschrieben wird. Wie die PARPs nutzt
SIRT1 NAD+ als Substrat. Eine kritische Verarmung an NAD+ verhindert somit auch eine
effiziente SIRT1-Aktivität[5].
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PARPs und DNA-Reparatur
˚ Abb. 1: Aufbau von Poly-ADP-Ribose.
Die am besten untersuchte biologische Funktion von PARP-1 und PARP-2 ist die Regula-
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¯ Abb. 2: DNAStrangbruchabhängige PARPAktivierung – eine
Entscheidung
über Leben und
Tod der Zelle.
tion der Basenexzisionsreparatur (BER), insbesondere die Entscheidung zwischen shortpatch- und long-patch-Reparatur. Nach Erkennung und Ausschneiden der geschädigten
Base durch Typ-II- oder Typ-I-Glykosylasen
wird 5’-seitig die Zucker-Phosphat-Bindung
der DNA geschnitten. Die 5’-dRPase-Aktivität
der DNA-Polymerase β entfernt den übriggebliebenen Phosphoribosylrest und füllt die
entstandene Lücke durch Einsetzen eines passenden Nukleotids auf, gefolgt von Ligierung
durch Ligase III. Dieser Ablauf wird auch als
short-patch-BER bezeichnet. Blockierte terminale Desoxyribose-Reste können jedoch zu
einem Umschalten auf die long-patch-BER führen, entweder durch Stimulierung der Verdrängungssynthese der Polymerase β oder
durch Beteiligung von Polymerase δ. Der daraus resultierende einzelsträngige Überhang
(flap) wird durch die flap endonuclease 1
(FEN-1) abgeschnitten und der dann noch vorhandene DNA-Einzelstrangbruch ligiert. Invitro-Daten deuten auf eine Rolle der PARP-1
bei der Aktivierung der long-patch-BER hin. In
der lebenden Zelle könnte die chromatinrelaxierende Wirkung von Poly-ADP-Ribose bei
diesem Prozess unterstützend wirken und ist
deshalb vermutlich auch in die short-patchBER involviert. Es konnte gezeigt werden,
dass automodifizierte PARP-1 das Plattformprotein XRCC1 rekrutiert, welches sowohl mit
DNA-Polymerase β als auch mit DNA-Ligase
III interagiert.
Eine Hemmung der PARP-Aktivität führt,
wie bereits erwähnt, zu genomischer Instabilität. Ein nahe liegendes Szenario ist das
folgende: Wenn Einzelstrangbrüche unrepariert bleiben, führt dies in der nächsten DNAReplikationsrunde zu Doppelstrangbrüchen[6].
Dementsprechend kommt es zur Aktivierung
der Doppelstrangbruch-Reparaturmaschinerie, d. h. homologe Rekombination (HR)
oder nichthomologe Zusammenfügung von
Bruchenden (nonhomologous end joining,
NHEJ). Vor allem NHEJ kommt als Mechanismus für die Herbeiführung von genomischer Instabilität infrage.
Rolle von PARPs bei der Mitose
PARPs wurden auch als Bestandteile von
Chromosomen-organisierenden Bereichen
gefunden, wie z. B. Zentromere, Telomere und
Zentrosomen. Zentromer-Proteine wurden als
Substrate für die Poly-ADP-Ribosylierung
identifiziert, doch ist die biologische Relevanz
noch unklar. PARP-2 ist insbesondere für die
Stabilität des X-Chromosoms wichtig[7]. PARP1 spielt auch bei der Aufrechterhaltung eines
euploiden Chromosomensatzes eine Rolle,
denn PARP1-Gen-Zerstörung bzw. langfristige Behandlung von Zellen mit PARP-Inhibitoren führt zu verstärkter Aneuploidie. Letzteres ist offenbar die Folge einer Störung der
Zentrosomenverdopplung, was zu einer
erhöhten Anzahl von Spindelpolkörperchen
und nachfolgender Mitosestörung führt.
Außerdem konnte gezeigt werden, dass PolyADP-Ribose ein integraler und stabilisierender Bestandteil der Mitosespindel ist[8, 9].
PARPs und Telomere
An den Enden von Chromosomen bildet der
Shelterin-Komplex zusammen mit repetitiven DNA-Sequenzen (TTAGGG) das Telomer[10]. Telomer-DNA-Enden haben einen einzelsträngigen 3′-Überhang, der sich zurückfaltet und in den doppelsträngigen DNABereich invadieren kann. Diese Struktur wird
t-loop genannt. Hierdurch wird die stark
rekombinogene Wirkung, die von einem Dop-
pelstrangbruch mit Einzelstrang-Überhang
ausgeht, neutralisiert und das DNA-Ende von
der Reparaturmaschinerie abgeschirmt. Für
Telomer-DNA gibt es zwei spezifische Bindeproteine, nämlich den telomeric repeat binding factor TRF-1 und TRF-2. TRF-2 stabilisiert den t-loop. Andererseits hemmt der
t-loop die Progression der Replikationsgabel
in vitro, weshalb er in Koordination mit dem
Zellzyklus vorübergehend aufgelöst werden
muss, um die vollständige Replikation der
telomerischen DNA zu ermöglichen. Analog
zu TRF-1, dessen Dissoziation von der DNA
durch die PARP-Aktivität der Tankyrasen 1
und 2 vermittelt wird[11–13], interagiert TRF2 mit PARP-1. Die Ablösung von TRF-2 von
der DNA führt zu einer offenen Telomerkonfiguration, welche eine ungehinderte DNAReplikation ermöglicht. Bei diesem Vorgang
der Telomeröffnung nach TRF-2-Freisetzung
ist offenbar das WRN-Protein mitbeteiligt.
Die Defizienz des WRN-Proteins ist die
Ursache für das Werner-Syndrom (WS). WSPatienten sind durch ein beschleunigtes
Altern nach der Pubertät gekennzeichnet. WSZellen weisen verstärkt Chromosomen-Translokationen und -Deletionen, eine höhere Genotoxin-Empfindlichkeit, eine beschleunigte
Telomerverkürzung sowie eine verminderte
replikative Lebenspanne auf. Das WRN-Protein besitzt Helikase- und Exonukleaseaktivität. Es interagiert mit einer Vielzahl von
Proteinen, die an DNA-Reparatur, Replikation
oder Rekombination beteiligt sind – unter
anderem auch mit PARP-1, welche die beiden
enzymatischen Aktivitäten von WRN supprimiert[14]. WRN agiert in vitro an solchen DNASekundärstrukturen, die bei einem Replikationsblock, bei DNA-Reparatur oder am t-loop
entstehen können. Bei der BER aktiviert WRN
den long-patch-Pfad durch direkte Stimulierung der DNA-Polymerase δ bzw. durch die
displacement-Syntheseaktivität der DNA-Polymerase β. Ebenso stimuliert WRN auch die
Aktivität von FEN-1.
Abgesehen von den direkten Wechselwirkungen zwischen WRN und PARP-1 haben
diese beiden Proteine viele andere Bindungspartner gemeinsam, z. B. p53, DNA-PK
und TRF-2. Außerdem interagieren PARP-1
und Poly-ADP-Ribose mit dem heterotrimeren Enzymkomplex der DNA-abhängigen Proteinkinase (DNA-PK). Die katalytische Untereinheiten DNA-PKcs und auch das Ku70-Protein sind in vitro Ziele sowohl für die kovalente Modifikation mit Poly-ADP-Ribose, als
auch für die nicht-kovalente Interaktion mit
dem Polymer. DNA-PKcs wird durch Poly-ADPBIOspektrum | 05.07 | 13. Jahrgang
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NFκB transaktiviert. NO-Metabolite sind
hochwirksame Genotoxine, was zur Stimulierung von PARP-1 bzw. PARP-2, zur NAD+Depletion und zum Zelltod führen kann.
PARP-Hemmung kann daher unter diversen
pathophysiologischen Bedingungen das Überleben von Zellen und Gewebe ermöglichen,
wie z. B. bei experimenteller Colitis, MPTPinduziertem Parkinsonismus, IschämieReperfusions-Schäden oder Typ-I-Diabetes.
Ausblick
˚ Abb. 3: Funktionelle Interaktionen zwischen PARP-1 und WRN.
Ribosylierung stimuliert. Im Gegenzug ist die
PARP-1 ein Substrat für die Phosphorylierung
durch DNA-PKcs. Während Ku70/80 die WRNExonuklease-Aktivität stimuliert, hemmt
PARP-1 beide WRN-Funktionen. Alle drei
funktionellen Einheiten (PARP-1, WRN, DNAPK mit Ku70/80) können einen Komplex bilden. Die molekularen Mechanismen und die
biologische Funktion dieser komplizierten
physiologischen und funktionellen Interaktionen (Abb. 3) sind noch nicht verstanden.
Die Forschung an der Poly-ADP-Ribosylierung
befindet sich momentan in einer hochdynamischen Phase. Was früher ausschließlich in
die Domäne der klassischen Biochemie fiel, ist
inzwischen für alle Disziplinen der modernen biologisch-medizinischen Forschung von
großem Interesse. Eine solche Verbreiterung
auch der methodischen Ansätze ist dringend
erforderlich für die vollständige Aufklärung
grundlegender biologischen Prozesse, bei
denen die Poly-ADP-Ribosylierung eine Rolle
spielt. Denn nur so kann das volle Potenzial
der Beeinflussung des Poly-ADP-Ribose-Stoffwechsels für medizinische Anwendungen
nutzbar gemacht werden.
ó
Literatur
PARPs und Transkription – Rolle bei
pathophysiologischen Vorgängen
Roeder und Kollegen identifizierten PARP-1
als einen wichtigen Faktor für die Regulation
der Transkriptionsinitiation[15]. Später konnte gezeigt werden, dass PARP-1 mit diversen
Transkriptionsfaktoren interagiert und diese poly-ADP-ribosyliert[16–18]. Dies erklärt den
Schutzeffekt der PARP1-Genzerstörung beim
septischem Schock[19, 20] und anderen entzündlichen Krankheiten, denn die Anwesenheit von PARP-1 ist für die NFκB-vermittelte
Transaktivierung erforderlich. Wenn die
NFκB-Aktivierung ausbleibt, ist unter anderem die Immunantwort abgeschwächt, was
bei übersteigerten Immunreaktionen von Nutzen sein kann. So wird beispielsweise das
Gen für die induzierbare NO-Synthase durch
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Korrespondenzadresse:
Dr. Sascha Beneke
Prof. Dr. Alexander Bürkle
Lehrstuhl Molekulare Toxikologie
Fachbereich Biologie
Universität Konstanz
Jacob-Burkhardt-Straße 31
D-78464 Konstanz
Tel.: 07531-884035
Fax: 07531-884033
sascha.beneke@uni-konstanz.de
alexander.buerkle@uni-konstanz.de
http://edukon.biologie.uni-konstanz.de
AUTOREN
Sascha Beneke
Alexander Bürkle
studierte Biologie in Marburg. Doktorand bei Dr. A. Bürkle
am DKFZ, Heidelberg. Postdoktorand in Yale (Prof. Rooney)
und am DKFZ (Prof. Boukamp). Schloss sich erneut der Arbeitsgruppe von Prof. A. Bürkle am Lehrstuhl für Molekulare
Toxikologie der Universität Konstanz an. Seit 2004 wissenschaftlicher Assistent.
Medizinstudium in Freiburg/Breisgau. Promotion bei Prof.
H. zur Hausen. Postdoktorand am DKFZ (1984–1987). Habilitation 1995 für das Fach Toxikologie & Chemotherapie.
2000 Senior Lecturer am Institute for Ageing and Health,
University of Newcastle upon Tyne, UK. Seit 2002 Professor und Lehrstuhlinhaber für Molekulare Toxikologie im
Fachbereich Biologie der Universität Konstanz.
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