Heft 15 - Evangelische Kirchengemeinde Villingen und Nonnenroth
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Heft 15 - Evangelische Kirchengemeinde Villingen und Nonnenroth
VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Villingener Hefte Ein Dorf der Großgemeinde Hungen im Spiegel seiner kostbaren Archivunterlagen. Über die Pfarrerfamilie Sellheim und vieles mehr Heimatkundlicher Arbeitskreis innerhalb der Evangelischen Kirchengemeinde Villingen Heft 15 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Villingener Hefte „Die Menschen gehen viel zu nachlässig mit ihren Erinnerungen um.“ (Novalis, eigentlicher Name Freiherr Friedrich von Hardenberg) Heimatkundlicher Arbeitskreis der ev. Kirchengemeinde Villingen U. Kammer; Wilhelm Konrad; Heinz P. Probst; Otto Rühl Heft 15 Titelbild Erster Hilfe Kurs mit Bürgermeister Zimmer (Foto Privat) 1 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Inhaltsverzeichnis: Vorwort. I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII. XIV. 3 ... da hat er grimmig den Stock gezogen das tragische Schicksal von Pfarrer Georg Sellheim „.... der vor einigen Jahren noch im Kinderkittel herumlief und bis heute auch Pfarrers Emil genannt wird...“ Mussten Konfirmanden früher für den Pfarrer arbeiten? Ein Dorf in der Hersfelder Mark spielt 1263 in der Hessischen Geschichte eine bedeutende Rolle Sagen um die Entstehung der Landgrafschaft Hessen Ein Bittbrief aus Villingen Gemeinderatsprotokolle Auszüge 1869 Eine alte Mauer gibt Rätsel auf Familiennamen in Villingen, Zaunschliffer und Münch Gesundheitszustand der deutschen Armee während des letzten Krieges Soldaten aus Villingen nahmen an der Niederwerfung des Boxeraufstandes teil Gemeindeschulden Ansichtskarten aus dem Archiv des HAK Impressum 2 www.villingen-online.de 4 15 22 29 34 39 41 48 50 59 61 63 73 78 VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Vorwort Im Mittelpunkt dieses Heftes steht das tragische Schicksal des früheren Pfarrers von Villingen, Georg Sellheim1 und die Geschichte seines Sohnes Emil Sellheim (1855-1903) des Begründers unserer Ortschronik. Natürlich fühlten wir uns zuerst bei dem Thema Geisteszerrüttung eines Gemeindepfarrers etwas befangen, sollten wir diese Akten nicht besser ruhen lassen? Nach reiflicher Überlegung haben wir uns aber doch entschlossen über dieses Thema zu berichten, denn Befangenheit hilft den Menschen die in einen solchen Zustand geraten, nicht weiter, und es kann wirklich jeden von uns treffen. Ähnlich ging es uns, als wir die Akten über seinen Sohn, den Pfarrvikar und späteren langjährigen Pfarrer Emil Sellheim gelesen haben. Auf Grund seiner Aufzeichnungen sind wir überzeugt, dass er seine Heimat geliebt hat, wenn auch sein Start als junger Vikar in Villingen nicht unter einem guten Stern stand. Es muss auch unter dem zuvor Erlittenen, sowohl von der Familie Sellheim als auch von der Gemeinde, ziemlich ungeschickt gewesen sein, einem jungen Vikar ausgerechnet in seinem Heimatdorf seine erste Stelle anzubieten. Mussten die Konfirmanden früher für den Pfarrer arbeiten, so fragen wir im 3. Beitrag dieses Heftes, weil auch dieser Vorgang mit dem Namen Sellheim verbunden ist. Danach schauen wir heute einmal über den Zaun unserer Gemeindegrenze nach Langsdorf, stand doch dieser Ort damals, als hier der Friede zwischen der Landgrafschaft Hessen und dem Kurfürstentum Mainz geschlossen wurde, im Mittelpunkt unseres Landes. Bei der Vielzahl der üblichen Delegierten ist auch nicht auszuschließen, dass die Nachbargemeinden damals ebenfalls Einquartierungen hatten, zumal in aller Regel die „feindlichen“ Delegationen nicht zusammen lagerten. Wir hoffen, dass unsere ausgewählten Themen Ihr Interesse finden und freuen uns auf Ihre Anregungen für zukünftige Themen. Villingen/Queckborn im Juli 2006 Heimatkundlicher Arbeitskreis innerhalb der ev. Kirchengemeinde Villingen Der Verfasser: Heinz P. Probst 1 Er war nach der Ortschronik seines Sohnes von 1825-1832 Pfarrer in Villingen, danach wurde das Amt von verschiedenen Vikaren verwaltet (siehe Heft 3/I) 3 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen I. ... da hat er grimmig den Stock gezogen Das tragische Schicksal, die Geisteszerrüttung von Pfarrer Georg Sellheim Heute berichten wir über ein sehr sensibles Thema, nämlich über die unglückselige Krankheit eines Geistlichen, der in Villingen im Amt war. Bereits in Heft 3 dieser Reihe hatten wir über die Pfarrer, die in Villingen tätig waren berichtet, dabei auch über den Pfarrer Georg Sellheim und dabei die Eintragung aus der Chronik eingefügt. Sie lautet: 1825 – 1832 Pfarrer Georg Sellheim von Nidda, sein Sohn und unser Chronist, Emil Sellheim schreibt dazu: „... Georg Sellheim 1825 – 1832, Vater des Verfassers der Chronik, gebürtig von Nidda, der 1825 am Palmsonntage, wo er seine Antrittspredigt gehalten, in hiesiger Kirche ordiniert worden ist. Nur wenige Jahre war es ihm verstattet, das Amt eines evangelischen Seelsorgers zu verwalten. Wegen erfolgter Geisteskrankheit, die ihn gänzlich unfähig machte, ward die hiesige Pfarrstelle von Vicarien verwaltet“. Auch unsere Chronica berichtet auf Seite 162: „... nachdem er einige Jahr hier war, geisteskrank, die Gemeinde hatte hierdurch viele Umstände beinah 3 Jahre (lang)....“ Darüber hinaus finden sich im Gemeinde-Archiv noch 5 Faszikel mit Schriftverkehr, die sich mit dem unglücklichen Zustand des Pfarrers beschäftigen. Man merkt an der Ausdrucksweise, dass es den Schreibern dieser Briefe am Anfang nicht leichtgefallen ist, dazu zu berichten, leider wird aber der Stil nach einigen Jahren immer unfreundlicher und unerfreulicher, was darauf hindeutet, dass der Zustand des Geistlichen die Gemeindemitglieder schon stark belastete. Besonders unerfreulich war es wohl für die Mitbürger, die den Pfarrer reihum zu bewachen hatten. Auch wir fühlten uns zuerst bei dem Thema etwas befangen, sollten wir diese Akten nicht besser ruhen lassen? Nach reiflicher Überlegung haben wir uns aber doch entschlossen, über dieses Thema zu berichten, denn Befangenheit hilft den Menschen, die in einen solchen Zustand geraten, nicht weiter und es kann wirklich jeden von uns treffen. Wir werden aber anders als bei den üblichen Beiträgen dieser Reihe nicht die kompletten Briefe transkribieren, sondern nur inhaltlich daraus berichten und manche Unfreundlichkeit, die sich im Laufe des Krankheitsprozess eingeschlichen hat, etwas ausgleichen, dies entgegen unserer sonstigen Geflogenheiten. Heute mit dem nötigen Abstand muss man aber auch feststellen, dass die Villingener und ihr Bürgermeister Zimmer damals ziemlich allein und 4 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen hilflos dastanden, außer gutgemeinten Ratschlägen und ziemlich sinnlosen Anordnungen gaben die Kirchen- und weltlichen Behörden nichts gescheites von sich. Aus den Akten ergibt sich kein konkreter Hinweis oder eine genaue Diagnose über die Krankheit des Pfarrers, die mitgeteilten Äußerungen erlauben auch im nachhinein keine Aussage dazu, dafür ist das Krankheitsbild viel zu komplex und vielfältig in seiner Ausformung. Der Beginn der Krankheit liegt im Dunklen, so wissen wir auch nicht genau, wann sie sich zum erstenmal äußerte. Wir wissen, dass Pfarrer Sellheim 1825 nach Villingen kam, die Akten im Gemeinde-Archiv über ihn setzen mit dem 18. Dezember 1829 ein, darin fordert das Regierungsamt in Hungen u. a. „.... um zu verhüten, dass Pfarrer Sellheim wegen seiner vermuteten Geisteskrankheit selbst zu Schaden kommt oder andere schädigt....“ werden einige Anordnungen getroffen. Dazu gehörten u. a. 1. einen sicheren Mann zu bestimmen, der den Pfarrer überwachen sollte, dafür ist ihm ein „billiges“ Entgelt zu zahlen. Es wird vorgeschlagen, dass hierfür wohl der Kirchensenior Georg Döll geeignet sei, es heißt darin wörtlich: „... den Herren Pfarrer bei Tag und Nacht zu beobachten, und wenn man Getöse oder wohl gar Gewalttätigkeiten feststellen sollte, sich sofort zum Pfarrer zu begeben und zu dessen Sicherheit erforderliche Einschreitungen zu bewirken...“. „Sollte sich der Pfarrer von Villingen entfernen so soll man ihm in nöthiger Entfernung folgen, um für die nöthige Sicherheit des bedauernswerten Mannes zu sorgen.“ 2. Die Kirche soll während des Gottesdienstes verschlossen gehalten werden und von 2 Mann bewacht werden, diese Wache soll den Pfarrer Sellheim auf jeden Fall davon abhalten, die Kirche zu betreten „... zur Vermeidung ärgerlicher Auftritte“. 3. Sollte der Pfarrer „... Gewalttätigkeiten sich erlauben, welche seiner Person oder anderen Gefahr drohe“ hatten die Wachen unverzüglich einzuschreiten und zu berichten. 4. Die Frau Pfarrer sollte von allen getroffenen Maßnahmen in Kenntnis gesetzt werden, aber ohne dass der Pfarrer etwas davon erfährt. 5. wurde noch angeordnet, alle 8 Tage über das Verhalten des Pfarrers zu berichten. 5 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. einige Ausschnitte aus dem umfangreichen Schriftverkehr um die Geisteszerrüttung des Pfarrers Sellheim (1+2) . 6 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Unter dem 26.12.1829 teilt der Bürgermeister Zimmer den Auflagen gemäß mit, dass: Georg Döll die Aufgabe nicht mehr wahrnehmen kann, er fühle sich durch das Verhalten des Pfarrers bedroht. Auch habe der Pfarrer ein „Gewähr“ in seiner Stube, ob es geladen sei, wisse er aber nicht. Der Pfarrer habe ihm den Stuhl weggezogen, dabei fürchterlich auf den Landrat geschimpft und dabei auch fürchterlich mit den Händen ausgeschlagen. Jedenfalls will Georg Döll nicht mehr allein zum Pfarrer gehen. Der Bürgermeister berichtet noch, dass ein Vetter des Pfarrers in der Kirche gewesen sei und „viel Kirch Störung“ verursacht habe, er habe der Gemeinde viele Vorwürfe gemacht, wie sie ihren Pfarrer behandelten. Weiterhin gab es auch Irritationen, weil die große Bibel aus der Kirche verschwunden sei, der Schullehrer wurde in diesem Zusammenhang gar als Lügner bezeichnet. Auch soll er jeden Augenblick zum Pfarrer laufen, um alle Neuigkeit dort zu berichten, auch würde er abschlägig über „den Döll“ sprechen und damit den Pfarrer in seiner Wut bestärken. Es wollten sich auch keine handfesten Männer in der Gemeinde mehr finden, die den Pfarrer überwachten. Der Schullehrer kam im weiteren Verlauf noch mehrfach in Verdacht, die Maßnahmen, die zum Schutz des Pfarrers getroffen wurden, zu unterlaufen, vielleicht bestand aber nur zwischen ihm und seinem vorherigen Vorgesetzten ein besonders gutes Verhältnis. Oder der Mann wollte nicht wahrhaben, dass eine Geisteszerrüttung auch einen Pfarrer treffen konnte. Wer will heute diesen Unterschied im Verhalten des Lehrers noch beurteilen, jedenfalls stand er damals im Dorf ziemlich isoliert da. In einem Schreiben vom 11. Juni 1830 hören wir, dass Pfarrer Sellheim die Wiedereinsetzung in sein Dienstverhältnis anstrebte, der Orts- und Kirchenvorstand wurden hierzu angehört. Aus der Stellungnahme der beiden Vorstände vom 14. Juni 1830 entnehmen wir, dass sich der Orts- und auch der Kirchenvorstand außer Stande sieht den Zustand des Pfarrers zu beurteilen, aber der Pfarrer befinde sich offenbar in gleichem Zustand wie vorher, er sei aber darüber hinaus „jetzt ganz Menschenscheu geworden und kapsele sich ganz ab“. 7 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Weiter berichten die Vorstände, er habe sich die Abneigung der meisten Ortseinwohner zugezogen, man wolle unbedingt einen neuen geeigneten Pfarrer haben. Die Jugend sei in letzter Zeit sehr verwildert, auch durch die Krankheit von Pfarrer Sellheim bedingt, weil kein geregelter Konfirmanden-Unterricht gehalten werde. Der Pfarrvikar Becker aus Schotten würde aber den Einwohnern der beiden Pfarrorte nicht sonderlich gefallen, er sei auch lutherisch.2 Man wolle unbedingt einen Pfarrer mit kalvinistischer Gesinnung. In der weiteren Chronologie findet sich nun ein Brief an den „Durchlauchtigsten Fürst und Gnädigsten Herren“. Die Villinger wussten sich offenbar keinen anderen Rat als an den Landesherren und an den Kirchenpatron zu schreiben, weil wohl Pfarrer Sellheim zwischenzeitlich wieder in sein Amt eingesetzt worden war. In diesem Schreiben wurde noch einmal zusammenfassend berichtet, was man bisher erlebt hatte, und besonders darauf hingewiesen, dass die viele Jahre dauernde Geisteskrankheit des Pfarrers eine gänzliche Verwahrlosung der Dorfjugend ergeben habe, daher möchte man die „... wiederholte Vorstellung um Pensionierung des Pfarrer Sellheim aus der Staatskasse zu entsprechen“. Es sei unbedingt erforderlich: „... den so sehr gesunkenen religiösen und moralischen Zuständen einen Pfarrer zu bestimmen, dem die Achtung und Liebe der Gemeinde entgegen gebracht werde.“ Der Pfarrvikar Candidat Schmeel von Bettenhausen habe durch sein wahrhaft christliches Betragen die allgemeine Zuneigung des Kirchspiels erworben. Mit einem Schreiben des Consistoriums an den Kirchenvorstand in Villingen vom 23ten August 1831 setzt sich der Schriftverkehr in den Akten fort. Es wird dem Kirchenvorstand ganz offiziell mitgeteilt, dass Pfarrer Sellheim durch Ministerialbeschluss wieder in sein Amt eingesetzt wurde und ab Sonntag, den 28. August 1831 seinen Dienst in der Kirche wieder aufnehmen wird, man solle ihm auch alle Unterlagen und die Kirchenbücher aushändigen. 2 Er war wohl in Vertretung in Villingen. 8 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Aber der Nervenkrieg in Villingen ist damit nicht beendet. Das nächste Schreiben, das wir vorfinden, geht mit dem Bürgermeister Zimmer hart ins Gericht, man wirft ihm gezielte Maßnahmen vor, die den Pfarrer in ein schlechtes Licht rücken würden. U. a. habe der Pfarrer durch gezielte Indiskretion über den Lehrer bestimmte Dinge erfahren, die seinen Zustand noch verschlimmert hätten. In dieser Phase hatte sich offenbar auch der Vetter des Pfarrers, ein Dr. Scherer, wieder eingeschaltet und den Bürgermeister belastet. Dem Bürgermeister wird in dem Schreiben vorgeworfen, er habe sich „... auffallend unhöflich und mit der Würde seines Amtes im Wiederspruch stehend“ verhalten, weil er sich nicht mit der nötigen Schonung der „unglücklichen Familie“ genähert hätte, ihm wird auch eine Strafe von 5 fl. angedroht, wenn er weiterhin so unhöflich vorgehe. Der Bürgermeister blieb aber offenbar gelassen, fühlte er doch, dass die Gemeinde wohl fast geschlossen hinter ihm stand, er erstattete daher noch einmal einen Bericht. Auch dabei ging es wieder sehr „persönlich“ zu: Die Frau Pfarrer habe auf den unterzeichneten „gestiert“ und dabei geschimpft, „es seye niemand als der miserable und schlechte Bürgermeister Schuld, das ihr Mann suspendiert worden seye.“ Am 25. Mai 1832 teilt das Consistorium dem Bürgermeister mit, dass bei der „neuerdings eingetretenen Geistesverwirrung“ des Pfarrer Sellheim die Verwaltung der Pfarrgeschäfte dem Pfarrer Hendler übertragen werde. Der Schullehrer sei zu informieren, dass diesem auch der Unterricht der Konfirmanden übertragen worden sei. Gleichzeitig musste Bürgermeister Zimmer der Ehegattin3 von Pfarrer Sellheim diese Verfügung im Stillen bekannt geben, diese soll ihren Mann in schonender Weise unterrichten.4 Die Kirchenbücher sollen sofort dem Pfarrer Hendler übergeben werden, dieser blieb aber offenbar nur als Vertretung, denn im Jahr 1833 kam Pfarrer Troester nach Villingen.5 3 Erstmals wird nicht mehr von der Frau Pfarrer gesprochen. Das Amt des Bürgermeisters war damals auch nicht einfach, nach der Beschimpfung und dem Rüffel, den er erhalten hatte, musste er nun wieder ins Pfarrhaus gehen. 5 Siehe Heft 3/I dieser Reihe, S. 7. 4 9 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Offenbar musste die Gemeinde reihum den Pfarrer Sellheim weiter überwachen, denn am 15. Oktober 1832 berichtet der Bürgermeister Zimmer an das Consistorium: „... Rubricat hatte sich am vorigen Samstag aus seinem Hause geschlichen, das die Wache Gerhard Zimmer nicht bemerkt habe... als man ihn in der Gemarkung antraf und ihn zurück bringen wollte, da habe er grimmig den Stock gezogen, worauf sich Zimmer zurückzog und entfernte....“. Die Ortsbürger hätten sich ganz erheblich darüber beschwert, sie hätten jetzt schon alle bis zu 4x Wache gehabt und verweigerten sich weiter Wache zu halten. Die Wache soll von nun an mit Nonnenroth geteilt werden. Das nächste Schreiben aus dem Archiv ist an das Großh. Ministerium des Inneren und der Justiz in Darmstadt gerichtet, es lautet: „abermalige dringende unterthänigste Vorstellung von Seiten der Vorstände der Gemeinde Villingen und Nonnenroth, Bezirk Hungen“. Darin wird „um die endliche Pension unseres wahnsinnigen Pfarrer und gnädigste andersweitere Besetzung der Pfarrstelle“ gebeten. Unter dem 12 Januar teilt der Bürgermeister Zimmer dem Consistorium dann mit, dass man sich nach Darmstadt gewandt habe. Mit Schreiben vom 13. Februar hören wir vom Consistorium, dass in den beiden Orten ein ständiger Pfarrvikar bestellt werde, der bald benannt werde. Die Pfarrerfamilie Sellheim befinde sich in „... ganz Vermögenslosen Verhältnissen“ daher sei das Pfarrgehalt vorerst zu verbleiben. Davon sei die Frau von Pfarrer Sellheim zu unterrichten. Gerade die Anordnung, das Gehalt zu belassen, sorgte aber bei der Berufung des Sohnes Emil zum Pfarrvikar in Villingen noch einmal für Irritationen. Damit enden die Akten über Georg Sellheim, die von so viel Elend in einer Familie berichteten und die wohl im Dorf damals für viel Aufregung sorgten, besonders unangenehm mag wohl das Bewachen des Pfarrers durch die Einwohner gewesen sein. In einem anderen Zusammenhag fiel das Pfarrerehepaar Sellheim noch einmal auf, man hatte die Konfirmanden für sich arbeiten lassen, sie sollten Wasser getragen und Werk gesponnen haben, hierzu kam es zu einer Verfügung vom 13. April 1832, wegen unerlaubter Arbeit von Konfirmanden, doch darüber hat der Heimatkundliche Arbeitskreis an anderer Stelle schon berichtet. 10 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. einige Ausschnitte aus dem umfangreichen Schriftverkehr um die Geisteszerrüttung des Pfarrers Sellheim (3+4). 11 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. einige Ausschnitte aus dem umfangreichen Schriftverkehr um die Geisteszerrüttung des Pfarrers Sellheim (5+6). 12 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. einige Ausschnitte aus dem umfangreichen Schriftverkehr um die Geisteszerrüttung des Pfarrers Sellheim (7+8). 13 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. das sogenannte Philippshospital in Hofheim, in dem Pfarrer Georg Sellheim zuletzt untergebracht war und dessen Kosten mehrfach in der Gemeinde eine Rolle spielten. (Foto HPP) Das Philippshospital in Hofheim ist bei der Säkularisierung der Klöster durch Philipp den Großmütigen im Jahr 1535 entstanden. „...got dem almechtigen zu lob, ehr und preis und gemeinen armut zu gut, einen newen Hospital in unser oberen graveschafft Catzenelnbogen zu Hoifheim in der zent Erfelden ufrichten...“. So lautete der Gründungstext zu dieser Anlage, den Philipp d. G. mit ansehnlichen Stiftungsvermögen „... zu erhaltung der armen, bedürfftigen, geprechlichen und krancken leuten...“ ausstattete. 14 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen II. .... der vor einigen Jahren noch im Kinderkittel herumlief und bis heute auch Pfarrers Emil genannt wird. Zur Berufung des Emil Sellheim zum Pfarrvikar in Villingen Im Beitrag über die Geisteszerrüttung von Pfarrer Georg Sellheim haben wir dargelegt, dass der Pfarrfamilie weiterhin ein Gehalt gezahlt werden sollte, da diese mittellos sei, dieser Vorgang „kochte“ noch einmal auf, als der Sohn von Georg Sellheim zum Pfarrvikar nach Villingen berufen wurde. Es liegt im Gemeinde-Archiv ein Schreiben der Gemeinde vom 10. Januar 1857 vor, damit wollten der Bürgermeister Zimmer und der gesamte Gemeinderat erreichen, dass der Sohn von Pfarrer Georg Sellheim, Emil Sellheim auf keinen Fall zum Pfarrvikar von Villingen ernannt werde. Wir wissen es heute besser, es kam anders, Emil Sellheim wurde 1855 zuerst Vikar und dann Pfarrer in Villingen und blieb es bis zum Jahr 1903. Er war Mitglied in verschienenen Vereinigungen, u. a. hat er auch die Ortschronik von Villingen begründet und fleißig darin alles festgehalten, was sich im Dorf und der Umgebung getan hatte, aus der wir ja schon so oft in dieser Reihe berichteten, besonders seine Eintragungen aus dem Krieg 1870/71 kommen einem heute vor wie die Mitteilungen eines Frontberichterstatters.6 Aber auch an anderen Stellen dieser Chronik hatten wir eigentlich den Eindruck, dass sich Emil Sellheim in Villingen wohl gefühlt hatte und dass er geachtet war, er hatte gegen Ende seiner Amtszeit einige Vikare, daher waren wir auch etwas verwundert über spätere Eintragungen über ihn. Als er aus dem Amt geschieden ist7, hat sein Nachfolger geschrieben: „... er hat Villingen keine Träne nachgeweint“. Wir haben die Einzelakten über die Geisteszerrüttung des Vaters von Emil Sellheim bewusst nicht in vollem Umfang transkribiert, bei dem Schreiben, das uns zu dem Thema Ablehnung von Emil Sellheim vorliegt, wollen wir aber den gesamten Inhalt hier einmal darlegen und das Schreiben ohne Einschränkung veröffentlichen. 6 7 Siehe Heft 6/2 Siehe Heft 3/II, S. 7 15 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. Brief des Gemeinderates, Versetzung des Pfarr-Vikars Emil Sellheim. 16 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. Brief des Gemeinderates, Versetzung des Pfarr-Vikars Emil Sellheim. 17 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. Brief des Gemeinderates, Versetzung des Pfarr-Vikars Emil Sellheim. 18 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. Brief des Gemeinderates, Versetzung des Pfarr-Vikars Emil Sellheim. 19 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Transkribierung des Briefes der Gemeinde um Versetzung des Pfarr-Vikars Emil Sellheim, vom 10. Januar 1857 An Großherzogliches Ober=Consistorium in Darmstadt unterthänige Vorstellung mit der Bitte von Seiten des Ortsvorstandes der Gemeinde Villingen Kreises Nidda um Versetzung des Pfarrvicars Sellheim betreffend Es ist hohem Colleg zur Genüge bekannt und bedarf keiner weiteren Ausführung in welchen großen kirchlichen Nachtheil wir dadurch versetzt sind, dass unser Geistlicher, der Herr Pfarrer Sellheim schon mehrere Decennien sich im Landeshospital Hofheim befindet und wir während dieser langen Zeit dem beständigen Wechsel der Vicarien ausgesetzt sind. Dieser Nachtheil hat in der Bestellung des gegenwärtigen Vicars, des Sohnes unseres eigentlichen Pfarrers seinen Höhepunkt erreicht. - Kaum dem Studium entlassen wurde dieser ganz junge Mann an seinem Geburtsort zum Pfarrvicar, zum Seelsorger der Gemeinde bestellt. Wir sagen es offen die erforderliche Achtung geht demselben ab, er der vor einigen Jahren noch im Kinderkittel herumlief und bis heute auch Pfarrers Emil genannt wird kann daher in seiner Heimath nicht segensreich wirken. Man wird uns entgegnen: es gibt so viele junge Vicare und jeder ältere Geistliche muss doch auch einmal jung gewesen seyn; allein dieß ist ganz etwas Anderes. Der junge Mann der in einer fremden Gemeinde als Vicar bestellt wird, tritt in derselben gleich mit Würde und Ernst auf und die Vergangenheit liegt hinter ihm begraben. Dabei weis Herr Pfarrvicar Sellheim die Herzen seiner Pfarrkinder nicht zu gewinnen; durch sein finsteres und abstracktes Benehmen gegen die Gemeinde Glieder durch seine Gleichgültigkeit an ihrem Wohl oder Wehn hat er sich die Liebe derselben verscherzt, und wir geben der öffentlichen Stimmung und dem allgemeinen Willen Ausdruck indem wir den gegenwärtigen, wohl überlegten und seit längerer Zeit zurückgehaltenen Schritt zu thun uns erkühnen. 20 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Dem hohen und Hochwürdigsten College sind alle oben nur kurz angedeuteten kirchlichen Nachtheile so genau bekannt, daß es überflüssig, ja unmöglich ist von unserer Seite irgend Etwas zur Begründung oder Anordnung (0der Aenderung) dieser weisen Ansichten, durch diese unterthänige Eingabe beizutragen.- Aber eine Frage erlauben wir uns in bescheidener Unterthänigkeit aufzuwerfen, nämlich die warum wurde gerade hier Herr Sellheim bei uns als Pfarrvicar bestellt. Wir glauben selbige dahier beantworten zu können: Aus Rücksicht für die Familie. Aber die Familie bedarf dieser Rücksicht nicht mehr.- Die Frau Pfarrer Sellheim hat zum Nachtheil der Gemeinde die gesetzlichen Rücksichten lange genug genossen und geniest sie noch, sie hat mit der Pfarrbesoldung ihre Kinder erzogen und sich Vermögen erworben, ja sie hat sich in pecunniärer Beziehung besser gestanden als wenn ihr Mann (der Pfarrer Sellheim) Pfarrei vorgestanden hätte. Jetzt nachdem sämmtliche Kinder erwachsen sind, und sich bloß noch eine erwachsene Tochter bei der Mutter befindet, dürfte und wird auch ohne Zweifel, der Gemeinde die trotz aller Missverhältnissen ihren anerkannt kirchlichen Sinn bewahrt hat diejenige Rücksicht geschenkt werden die ihr gebührt. Diese besteht in der Versetzung des Herrn Pfarrvicars Sellheim und in der Bestellung eines anderen tüchtigen Vicars von dessen Verbleiben man sich die möglichst lange Dauer versprechen kann, wir richten daher an Hohes und Hochwürdigstes Colleg die unterthänigste Bitte: Den Herrn Pfarrvicar Sellheim möglichst bald abzuberufen und uns einen anderen Seelsorger zu bestellen. Villingen den 10ten Januar 1857 Zimmer, Großherzoglicher Bürgermeister Der Gemeinderath: Adam Diehl Adam Koch Johannes Nürnberger Johannes Zimmer Johannes Hau Johannes Leschhorn G. Pfarrer 21 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen III. Mussten Konfirmanden früher für den Pfarrer arbeiten? Dieser Beitrag wurde schon einmal im Kirchturmblick veröffentlicht, er soll aber hier mit den Artikel über die Pfarrfamilie Sellheim noch einmal dargestellt werden. Den Lesern unserer Villingener Hefte haben wir es des öfteren schon mitgeteilt, im Gemeinde-Archiv von Villingen haben sich sehr viel Unterlagen aus der Vergangenheit aufbewahrt, so ist das Gemeinde-Archiv von Villingen das umfangreichste Archiv aller Ortsteile, ausgenommen die Archive der Stadt Hungen selbst. Unter diesen ArchivUnterlagen befindet sich auch einiges, was man unter den heutigen Gesichtspunkten, ruhig als merkwürdig bezeichnen darf. Dazu gehört auch ein Vorgang von 1832, der sich mit einer Beschwerde beschäftigt, die Konfirmanden hätten im Auftrag des Gemeindepfarrers bzw. seiner Frau arbeiten müssen. Leider ist die Tinte in den Originalschreiben schon stark verblasst, so das die Reproduktion nicht ganz so gut möglich ist. Es folgt zunächst das Schreiben des Konsistoriums an Pfarrer Sellheim in einer Transkribierung: Hungen den 16. März 1832 Betrifft: Das Arbeiten der Confirmanden im Pfarrhause zu Villingen. Das Großherzogliche Hessische Fürstlich Solms-Braunfel`sche Consistorium. An den Großh. Pfarrer Sellheim zu Villingen Es ist dahier die Anzeige geschehen, dass Sie die Confirmanden Kinder zu ökonomischen Arbeiten, namentlich zum Tragen des in Ihrem Hause den Tag über erforderlichen Wassers sowie zum spinnen von Werg gebrauchten und dass Ihre Frau nicht nur allein hartnäckig darauf bestehe, dass die Kinder Werg für sie spinnen sollten, obgleich solche dadurch an dem Erwerb der nothwendigen Nahrungsmittel gehindert würden, sondern sogar gegen die Tochter des Henrich Pfarrer, die kein Werg zum spinnen habe annehmen wollen- sich die Äußerung: u. a. „du Keilnase warum willst du denn kein Werg nehmen“, erlaubt haben. Wir fordern Sie daher auf, sich über diese Anzeige, binnen 8 Tagen zu erklären, wobei wir im 22 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Voraus bemerken, dass nach der höchsten Verordnung vom 17. May 1802 welche im Jahre 1828 auf die neuen Lande ausgedehnt und Ihnen unterm 5ten März 1828 durch Großh. Inspektor bekannt gemacht worden ist, den Geistlichen ausdrücklich untersagt ist, die Confirmanden zu ihren ökonomischen Arbeiten zu gebrauchen. An den Bürgermeister zu Villingen: Wir theilen Ihnen von unserer heutigen Verfügung Abschrift zur Nachricht mit. 23 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. Reproduktion der Briefes des Consistoriums an Pfarrer Sellheim, wegen unerlaubter Arbeit von Konfirmanden, Seite 1 24 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. Reproduktion des Briefes des Consistoriums, an Pfarrer Sellheim, wegen unerlaubter Arbeit von Konfirmanden, Seite 2 25 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. das ehem. Pfarrhaus in Villingen (Foto HPP) 26 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Ganz offensichtlich hatte die Stellungnahme des Pfarrers Sellheim und möglicherweise auch die Stellungnahme des Großh. Bürgermeisters das Konsistorium nicht zufrieden gestellt, leider finden sich diese nicht im Archiv. In den Akten des Gemeinde-Archivs finden wir zu dem Sachverhalt aber ein weiteres Dokument, eine Verfügung des Konsistoriums, es folgt die Transkribierung: Hungen den 13ten April 1832 Betrifft: Das Arbeiten der Confirmanden im Pfarrhaus zu Villingen Das Großherzogliche Hessische Fürstlich Solms-Braunfels`sche Consistorium An Großherzoglichen Bürgermeister Zimmer zu Villingen Von unserer heutigen Verfügung erhalten Sie nachstehend eine Abschrift. Abschrift: An Großherzogl. Fürstl. Pfarrer Sellheim zu Villingen In Erwiederung Ihres über die vorliegende Anzeige durchaus keinen Aufschluß gebenden Berichts vom 6ten d. Monats verweisen wir Sie auf die höchste Verordnung vom 17ten Mai 1802 und erwarten, dass Sie derselben für die Zukunft pünktlich folge leisten werden. Über die Verordnung sind wir schon aus dem ersten Schreiben des Konsistoriums informiert worden, danach war das „Arbeiten lassen“ von Konfirmanden ausdrücklich untersagt, das heißt unter Umständen aber auch, dass es vorher wohl erlaubt und üblich gewesen ist. Insoweit muss man solche Berichte aus der Vergangenheit immer im Zusammenhang mit der Zeitgeschichte sehen, Kinder im Konfirmandenalter waren damals schon geschätzte Arbeitskräfte, die vor allem in der elterlichen Landwirtschaft kräftig anpacken mussten, wenn man die Rüge vom 16. März richtig liest, kommt man auch zu dem Schluss, dass es den Eltern offenbar auch mehr um die Arbeitskraft als um das Wohl des Kindes ging. 27 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. Faksimile der Verfügung vom 13. April 1832, wegen unerlaubter Arbeit von Konfirmanden 28 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen IV. Ein Dorf in der Hersfelder Mark spielt 1263 in der Hessischen Geschichte eine bedeutende Rolle „... d. apud langesdorf in campo 1263 IV. bzw. III. Idus septembris...“ Es war 1263 als unser Nachbardorf, das bis dahin unbedeutende Langsdorf, in der hessischen Geschichte eine große Rolle spielte, hier in der Gemarkung wurde das Feldlager gehalten, in dem die sogenannten Langsdorfer Verträge abgeschlossen wurde. Was war geschehen? Im Jahre 1122 vereinigte Ludwig I. die spätere Herrschaft Hessen mit der Landgrafschaft Thüringen durch Heirat der Tochter des letzten hessischen Grafen Giso, dieser hatte zuvor die Grafen Werner beerbt. Auf ihn folgt Ludwig II, der Eiserne genannt, von ihm wird überliefert, dass er die Macht des Adels gebrochen hat. Sein Sohn Ludwig II. kämpfte gegen den Mainzer Erzbischof Konrad am Heiligenberg bei Fritzlar und legte um 1186 die Burg Grünberg ganz im Süden seines Territoriums als Grenz- und Straßenfeste gegen Mainz an. Zum Mittelpunkt ihrer neuen Lande wählten die sogenannten Ludowinger die Burg Marburg. Vor den Toren der Stadt hatte auch Elisabeth, die Witwe des Landgrafen Ludwigs IV., 1228 ihren Sitz genommen, dort ist sie auch 1231 verstorben und schon 1235 heilig gesprochen worden. Das von ihr gegründete Franziskushospital übergaben ihre landgräflichen Schwäger Heinrich Raspe IV. und Konrad dem Deutschen Orden. In der Grabeskirche der heiligen Elisabeth fanden nach dem Schwager Konrad später auch die Landgrafen von Hessen ihre Grablege. 8 Die Deutschordens-Kommende Marburg wurde 1255 zur Landkommende erhoben. Sie ist erst 1809 vom Königreich Westphalen aufgelöst worden. Die mainzischen Bemühungen, in Hessen ein geistliches Territorium aufzubauen, führte Erzbischof Siegfried III. (1230 - 1249) auf einen vermeintlich erfolgreichen Höhepunkt. Seinen territorialpolitischen, noch dazu gegen die Landgrafen gerichteten Absichten dienten auch schon die Erwerbungen der Grafschaft Ruchesloh (1237) und der halben Grafschaft Battenberg (1238). Greifbar nahe lag vor ihm das Ziel, als die Landgrafen von Thüringen 1247 mit dem Gegenkönig Heinrich Raspe IV. in der männlichen Linie 8 Nach Gross Chlodwig, Reise in die Geschichte Hessens, Dortmund, 1993. 29 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen ausstarben und er daraufhin alle bisherigen Mainzischen Lehen als heimgefallen betrachten und einziehen wollte. Aber Siegfried und auch seine Nachfolger scheiterten wider Erwarten an der tatkräftigen und weitsichtigen ältesten Tochter der hl. Elisabeth, Sophie, der früh verwitweten Herzogin von Brabant. Sophie ließ in einer dramatischen Szene auf dem Marburger Marktplatz 1248 ihrem damals 4jährigem Sohn huldigen. Der spätere Landgraf Heinrich I. war damals also noch ein Kind und wird unter dem Beinamen: „das Kind von Brabant“ auch heute noch geführt, seine Regierungszeit als erster Landgraf von Hessen war von 1256-1308. Als Beginn der selbständigen Landgrafschaft wird das Jahr 1248 angenommen. Ausgangspunkt und Rückhalt des Kampfes der Sophie um das Erbe ihrer Vorfahren waren dabei Burg, Stadt und Deutschordens-Kommende Marburg zusammen mit dem hessischen Adel, der auf keinen Fall unter Mainzer Herrschaft kommen wollte. Die heilige Elisabeth wurde als „Hauptfrau“ der Dynastie und als Landespatronin für Jahrhunderte eine wichtige ideelle Hilfe für Hessen. Im Frieden von Langsdorf (1263) nun musste Erzbischof Werner von Mainz Landgraf Heinrich I., den Sohn der Herzogin Sophie, als Landesherrn anerkennen und ihm die strittigen mainzischen Lehen belassen. Schon zwei Jahre später vermochte Heinrich den südlichen Landesteil durch den Kauf der Herrschaft Gießen zu erweitern. Der Friede mit dem Markgrafen Heinrich dem Erlauchten von Meißen (1264) beschränkte Sophie und Heinrich auf die hessischen Landesteile aus dem früheren Erbe der Grafen Giso und Werner, während die thüringischen Stammlande an Meißen fielen. Marburg wurde Haupt- und Residenzstadt der neuen Landgrafschaft Hessen. Heinrich I. wurde zudem 1292 von König Adolf in den Reichsfürstenstand erhoben, in dem er Eschwege und die Boyneburg dem Reich zu Lehen auftrug. Damit wurde Heinrich I. zum Stammvater des hessischen Fürstenhauses (Brabant). Er baute seine Burg Marburg zu einem prachtvollen Fürstensitz aus, der die Macht und das Ansehen des neuen Reichsfürstentums repräsentierte. Ihr zweischiffiger Palas gehört noch heute zu den größten profanen Hallen des Mittelalters. So war die über der Lahn gelegene Marburg zur ersten, großartigen Residenz Hessens geworden. Dagegen mutete die ebenfalls von Heinrich I. 30 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen errichtete Burg in Kassel (1277), die im 14. Jahrhundert9 Marburgs Nachfolge als landgräfliche Residenz antrat, eher bescheiden an. Mit dem Langsdorfer Vertrag waren gleichwohl die Auseinandersetzungen zwischen Mainz und Hessen um die Landeshoheit im nördlichen und südlichen Teil des Landes noch nicht beendet. Sie hielten noch die folgenden 200 Jahre an und wurden oft in blutigen Kämpfen ausgetragen. Der Friede von Frankfurt (1427) bestätigte die Siege des Landgrafen Ludwig I. über die Aufgebote des Erzbischofs Konrad und besiegelte endgültig die mainzische Niederlage in dem Streit.10 Ohne den Langsdorfer Vertrag wäre Hessen damals an Mainz gefallen und die weitere Geschichte hätte sicher einen ganz anderen Verlauf genommen. Warum aber die Streitenden den im Lorscher Codex 771 zum erstenmal genannten damals recht unbedeutenden Ort Langsdorf gewählt haben, wird immer ein Rätsel bleiben, möglicherweise war der naheliegende landgräfliche Ort Grünberg aber ausschlaggebend. Wir können vielleicht auch annehmen, dass ein Ort gesucht wurde, der außerhalb des damaligen Hessen lag, und hier auf neutralem Boden die Streitigkeiten ausgehandelt werden sollten. Der Langsdorfer Vertrag besteht aus 4 Teilen, einen Einfluss auf die Ortsgeschichte von Langsdorf hatte er aber nicht. Über die Lage des Feldlagers in der Gemarkung sind viele Vermutungen angestellt worden. Einige gingen davon aus, dass es sich in der Flur am Wartbaum, westlich der Straße von Langsdorf nach Lich, befand. Andere vermuten es zwischen Langsdorf und Bellersheim. In dem Buch die Langsdorfer Flurnamen, von Heinrich Geißler, wird eine mögliche Lage nördlich von Langsdorf, angelehnt an das Waldstück „Licher Holz“ 11 angenommen. Spuren des Lagers sind aber bisher nicht gefunden worden, so bleibt das alles nur Vermutung.12 Aus diesem Ablauf und den Geschehnissen innerhalb der hessischen Geschichte sind einige Sagen entstanden, von denen ich zwei nach den Abbildungen des Langsdorfer Vertrages und des Erzbischof Siegfried III. einfügen will. 9 Landgraf Otto 1311 Nach Walter Heinemeyer, zur älteren Geschichte der mittelhessischen Landschaft, in: Mittelhessen, Marburg, 1991, S. 89ff. 11 Reinhold Jakobi in Licher Heimatbuch, Lich, 1989, Seite 482. 12 So Geißler in MOHG NF 66 S. 189ff. 10 31 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. Langsdorfer Friede, 1263 (Staatsarchiv Würzburg, „Mainzer Domkapitel Urkunde) 32 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. Erzbischof Siegfried III. von Mainz, Grabmal im Mainzer Dom, es zeigt ihn als „Königsmacher“ der Könige Heinrich Raspe und Wilhelm von Holland (Repro HPP) 33 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen V. Sagen um die Entstehung Landgrafschaft Hessen der selbständigen 1. Sage: Das Kind von Brabant Der letzte männliche Sprössling von dem alten Stamme Ludwigs mit dem Barte war in dem „Pfaffenkönig“ Heinrich Raspe zu Grabe gegangen und seine Erblande Thüringen und Hessen schwankten in der Wahl des neuen Herrn, so wird erzählt. Die Thüringer wollten Heinrich den Erlauchten, Markgrafen von Meißen, dessen Mutter eine Stiefschwester die Hessen wollten aber Heinrich, den zweijährigen Sohn der Herzogin Sophie von Brabant, deren Vater ein rechter Bruder des Pfaffenkönigs und Gemahl der heiligen Elisabeth gewesen war. Und die Hessen schickten Gesandte nach Brabant und luden Sophie ein, mit dem jungen Prinzen zu ihnen zu kommen, damit das Land nicht länger ohne Herrn bleibe. Da trat Sophie die Reise nach den Heimatlanden an, wo sie 1247 von den getreuen Hessen freudig und feierlich, mit Kerzen und Fahnen, empfangen wurde. In einem offenen Wagen, das „Kind von Brabant“ auf dem Schoße, fuhr sie durch Hessen und Thüringen, von achthundert Gewappneten mit guten Helmen umgeben, und nahm die Huldigung für ihren Sohn ein. Aber minder herzlich als in Hessen war ihr Empfang in Thüringen, denn hier waren die Stimmen geteilt und die Mehrzahl hing dem Markgrafen an.13 2. Sage: Sophie fordert für ihren Sohn das Land ein Im Jahre 1253 kam Frau Sophie von Brabant auf einen bestimmten Tag mit ihrem Sohn gen Eisenach in das Prediger-Kloster; dahin kam auch ihr Ohm, Markgraf Heinrich von Meißen, dem sie das Thüringerland zu getreuen Händen übergeben hatte. Zu dem sprach Sophie: „Lieber Ohm, ich habe nun bracht Heinrichen, meinen Sohn, und bitte mir und ihm die Lande wieder zu überantworten, welche ich dir zu getreuer Hand befohlen habe.“ Da antwortete der Markgraf: „Gerne, meine allerliebste Base! Meine getreue Hand soll dir unverschlossen sein und deinem jungen Sohn, meinem Ohmen.“ - Und da er so sprach, kamen sein Marschall, Helwig von 13 Nach Karl Lyncker, Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen Nr. 279, Kassel 1854, zitiert nach: Diederichs/Hinze, Hessische Sagen, München, 1998, Seite 16. (den oft etwas merkwürdigen Text haben wir so original übernommen) 34 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Schlotheim und sein Bruder Hermann, zogen den guten Fürsten beiseite und sprachen: „O Herr! Was wollt Ihr tun, ein solch fruchtbar Land und die unüberwindliche Feste Wartburg zu übergeben, da Ihr doch auch mit Glimpf, Eurer Mutter halben, Euch für einen Erben mögt halten. Und wär es möglich, dass Ihr einen Fuß im Himmel hättet und den andern auf der Wartburg, viel eher solltet Ihr den aus dem Himmel zurückziehen, denn den von der Wartburg.“ (Weiter im Text nächste Seite) Abb. Marburg neben dem Rathaus: Plastik der Sophie von Brabant präsentiert dem huldigendem Volk von Hessen ihren Sohn Heinrich, den späteren ersten Landgrafen von Hessen, Heinrich I., genannt „das Kind von Brabant“ 35 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Also kehrte sich der Markgraf wieder zu seiner Base und sprach: „Liebe Base, ich muss mich zu diesen Dingen bedenken und den Rat meiner Getreuen darüber hören;“ Da merkte Frau Sophie, dass ihr Ohm durch falschen Rat sein Gemüt verkehrt hatte und ihr das Land vorenthalten wollte, das sie ihm in gutem Glauben übergeben hatte; darum ward sie sehr betrübt, weinte bitterlich, zog ihre Handschuh von den Händen und sprach: „O du Feind aller Gerechtigkeit, ich meine dich, Teufel, nimm hin diese Handschuh mit den falschen Ratgebern!“ (Weiter im Text nächste Seite) Abb. Federzeichnung 1493, Sophie empfängt Huldigung aus der Chronik des Wiegand Gerstenberger 36 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Dann warf sie die Handschuhe in die Luft, da wurden aber die Handschuhe hinweggeführt und nimmermehr gesehen. Die Räte aber samt ihren Knechten sollen keines rechten Todes gestorben sein.14 Abb. Marburg neben dem Rathaus: Noch einmal die Plastik der Sophie von Brabant -Ausschnitt vom Sockel (rechts)- auch hier präsentiert Sophie dem huldigendem Volk von Hessen ihren Sohn Heinrich, den späteren ersten Landgrafen von Hessen, Heinrich I. genannt „das Kind von Brabant“ Auf dem linken Teil der o.a. Abb. wird eine Schildkröte hoch gehalten, auch sonst sind auf dem Sockel einige Schildkröten abgebildet, deren Symbolik dem heutigen Betrachter oft nichts vertraut ist. Die Schildkröte galt schon seit der Antike, ja bereits im alten China symbolhaft, wegen ihrer zahlreichen Nachkommen als Fruchtbarkeits-Ideal und der Aphrodite (Venus) heilig. Außerdem wurde sie wegen ihres oft erreichten hohen Alters für unsterblich gehalten.15 14 Nach Karl Lyncker, Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen Nr. 280, Kassel 1854, zitiert nach: Diederichs/Hinze, Hessische Sagen, München, 1998, Seite 16. 15 Becker, Udo in Lexikon der Symbole, Frechen o. JA., ebenso Heinz-Mohr, Gerd in: Bilder und Zeichen der christlichen Kunst, München 1971. 37 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen VI. Ein Bittbrief aus Villingen Wir haben es an verschiedenen Stellen in dieser Reihe schon aufgezeigt, Villingen war früher mit Sicherheit kein reiches Dorf. Die Einwohner, die eine kleine Landwirtschaft hatten, konnten sich in der Regel noch schlecht und recht ernähren. Die Regel war aber auch, dass Kinder ab 12 Jahren kräftig mit anpacken mussten um den Äckern das nötige abzuringen; wir möchten hierzu auf unseren Beitrag über die Feldschützen verweisen (Heft 14/I). Ganz anders sah das bei den sogenannten Tagelöhnern, früher auch Beysaßen genannt, aus. Da sind uns aus Privatbesitz historische Schreiben zugegangen, die wir unseren Lesern zugänglich machen möchten. Aus Rücksicht und wegen der Möglichkeit, dass heute noch Nachkommen der Schreiberin in Villingen leben, haben wir die Namen nicht ausgeschrieben wir bitten um Verständnis. Wilingen den 21 Dezember 1904 Hoch Wohl Geehrte Herr Kommerzienrath Gail, da es wiedrum das Jahr ein Ende hat, da ich das voriche bei Ihnen war und Sie mir so eine Reiche gute Geldgabe geschenkt hatte; Verehrte Herr Hoch WohlGeborene Kommerzienrat, da ich es sogleich das geschenk vier meine fünf Kinder angewant hatte; Ich hatt zugleich den Kinder Hemdenzeuch gekauft das am Nöthesten war, und die beiten großen Kindern wollen doch sehr gerne einmal mit nach Gießen; das das 11jährige Mädchen bei den Bauersleut beschäftigt ist und Imer par Pfennig bekommen, die 13 Pfennige haben sich die beite Kinder gesammelt zur BahnReiße, der Bubi von 9 Jahre ist deßgleichen auch bei Bauersleute beschäftigt das gewant was der Bubi an hat ist von Herrn Pfarrer Nebel von Laubach geschenkt bekommen, die Kappe hat er sich verdient im Herbste bei Kartoffellesen bei den Leute. 38 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Hoch Wohl Verehrte Herr Kommerzienrath die Kinder wollen Ihnen die schöne Hemden zeigen die sie anhaben vom vorigen Jahr, da Sie das Geschenk dazu gegeben haben, Gott sei Dank, da es noch so gute Witterung ist, da kann doch mein Mann alle Tage nach Schaffen gehen, besonders geht es im Winter nicht so gut als im Sommer. da kann ich auch schon Manges weiterhälfen. seitdem die Kartoffel eingeerntet sind kann man auf dem Lande im Winter nichts verdienen. Und fünf Kinder haben wir alle Woche zweimal Wasche mus ich da die Kinder, die Kleidung nicht so viel haben. Sie Herr Kommerzienrath könen meine Kinder sehen alle Tage Reinlich. Sie können sich auch auf Bürgermeisterei fragen, da wir nicht Unverträglich sind mit den Leuten sondern Imer willenvoll sind um zu helfen an Arbeit. So Schnell eilt ein Jahr dahin mit Lauter Mühe und Arbeit, keinen Auchenblick Seume darf man sich nicht, bis ich fünf Kinder Morgens Waschen ankleide Haar käme und zwei Better in Ordnung nach das Zimmer Reinmache wird 11 auch halb 12 Uhr, dann Strümpfe Stopfen, sonst zu Nähen, flicken aus altes wieder zusammen das gutes und soweider. Das Jüngste ist sieben Woche übers Jahr, kann allein schon laufen. Mitt Gottes Hilfe geht es auch besser, wenn die beite große Kinder mal konfirmirt sein sie haben schon ein guten Sinn zu arbeiten. Mitt Teilnehmente Gruß Frau Elise NN geboren NN Zu Villingen 39 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. hier steht sie die Schreiberin des Bittbriefes, Soldaten hatten sich offenbar einen Scherz mit ihr erlaubt (um 1938) (Foto privat) 40 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen VII. Aus den Gemeinderatsprotokollen von Villingen im Jahr 1869 Auch die Protokolle des Jahres 1869 beginnen mit den üblichen Eröffnungsfloskeln, wie wir sie schon in den Vorjahren kennen gelernt haben. Geschehen Villingen am 28ten Februar 1869 Zur heutigen Gemeinderathsitzung waren sämtliche Mitglieder geladen und wie nebenstehend erschienen: Gegenwärthig: Gemeinderath: Reinhard Graf, Adam Zimmer III., Johannes Hau, Johannes Leschhorn III. Heinrich Bender II. Johs. Roth Der Großh. Beigeordneter in Abwesenheit des Großh. Bürgermeister trägt vor: In einer Gemeinderathsitzung vom 2. Februar d.J. wurde mündlich beschlossen, daß der Gemeindeschäfer Jacob S.16 welcher durch verschiedene Verschulden der Gemeinde-Schäferei in Villingen mehr schädlich als vortheilhaft sei, seines Dienstes zu entlasen und sofort durch das Niddaer Kreisblatt die Erledigung der Schäferstelle zu veröffentlichen, welches in der Nr. 6 desselben Blattes geschehen ist. Hierauf haben sich folgende Schäfer aus Umgebung gemeldet: 1. Heinrich Link aus Steinberg 22 Jahre alt und noch unverheiratet. 2. Paulus Schneider aus Steinbach ebenfalls unverheiratet. 3. Heinrich Konrad, Zimmermann von Götzen ist verheiratet. 4. Heinrich Georg Jäger von Hirzenhain ebenfalls verheiratet. 5. Wilhelm Zickler von Steinfurth, desgleichen verheiratet. 6. Karl Traum aus Oberseibertenroth desgl. Verheiratet. 7. Kaspar Bachmann von Freienseen ebenfalls verheiratet. In einer späteren Sitzung vom 18ten Februar d. J. wurde mündlich beschlossen, dem Schäfer Jacob S. zu eröffnen, daß seineDienstzeit mit dem 31ten März d. J. zu Ende gehe, welches nach anliegender Bescheinigung vom 19ten März vom Polizeidiener geschehen ist. 16 Im Hinblick auf mögliche noch lebende Nachkommen haben wir den Namen nicht angegeben. 41 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Ich stelle nun die Wahl eines neuen Schäfers für die Gemeinde Villingen aus obigen Kandidaten dem Gemeinderath hiermit anheim. Nach reiflicher Prüfung obiger Kandidaten wurde abgestimmt und die Stimmenmehrheit von sämtlichen Stimmen fielen auf Heinrich Schneider, Sohn des Paulus Schneider von Steinbach. v.g.u.17 Großh. Beigeordneter Der Gemeinderath Heineck Reinhard Graf Johs. Roth Adam Zimmer Johs. Hau H. Bender II. Johs Leschhorn Geschehen Villingen am 13ten März 1869 Betreff: Die Annahme eines Gemeindeschäfers zu Villingen. Nachdem durch die Kündigung des seitherigen Gemeindeschäfers Jacob S. aus Usenborn die Annahme eines Gemeindeschäfers zu Villingen nothwendig geworden war, so hatte man heute in Gemäßheit des Gemeindebeschlusses vom 28ten Februar 1869 mit dem Heinrich Schneider, Sohn des Paulus Schneider von Steinbach folgenden Vertrag geschlossen: 1. Heinrich Schneider übernimmt vom 1ten April d. J. an die Herde Schafe der Gemeinde Villingen wie ein tüchtiger Schäfer zu hüten und alle Verbindlichkeiten zu erfüllen, welche einem treuen braven Hirten obliegen.18 2. Das Dienstjahr beginnt mit Michaelitag jeden Jahres19 und endigt auch mit diesem Tag, dagegen wird der Lohn nach dem Kalenderjahr berechnet. 17 D.h. vorgelesen, genehmigt, unterschrieben Der Verfasser musste in seinem Berufsleben unzählige Arbeitsverträge erstellen und formulieren, die hier gewählte Formulierung, vom treuen braven Hirten, hätte er auch gerne gebraucht. 19 Das ist der 29.9. 18 42 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen 3. Der Schäfer hat auf seine alleinigen Kosten die erforderlichen Schafböcke zu halten und auch anzuschaffen, sollte hingegen einer derselben fallen so wird derselbe von der Gemeinde entschädigt. 4. Heinrich Schneider macht sich ausdrücklich verbindlich nicht mehr als 10 Schafe zu halten, keinen Schafhandel zu betreiben weder auf eigenen Rechnung noch unter dem Namen eines anderen oder Gemeinschaft mit einem anderen. Wird diese Bedingung übertreten und nur von einem Mitglied des Ortsvorstandes deshalb eine Beschwerde erhoben, so erhält der Schäfer eine Contrawentionalstrafe20 von einem Malter Brotfrucht, welche von der Besoldung abgezogen wird und in die Gemeindekasse fließt. 5. Heinrich Schneider macht sich weiter verbindlich alle Anordnungen des Ortsvorstandes ohne Murren pünktlich zu befolgen dieselbe in keinerleiweise rückgängig zu machen, oder sogar in Folge dessen im laufe des Jahres seinen Abschied nicht zu fordern. Tritt dieser fall ein so erhält Heinrich Schneider ohne alle Weiterungen in eine Contrawentionalstrafe von fünfzig Gulden welche in die Gemeindekasse fließen. 6. Das untere oder Mittagspferchen unbefugt auf fremden Grundstücken hat der Schäfer für jeden einzelnen Fall mit 4 Gulden in die Gemeindekasse zu bezahlen. Hierbei werden alle Weiterungen ausgeschlossen und genügt zu dessen Begründung nur die Anzeige des Feldschützen oder eines Ortsvorstandsmitgliedes. 7. Der Schäfer darf ohne Erlaubniß des Ortsvorstandes sich keine 3 Tage von der Herde entfernen. 8. Wenn ein Schaf fällt, so ist der Eigentümer vor Abdeckung desselben davon in Kenntniß zu setzen damit derselbe sein Eigenthum anerkennt. 9. Die Überlieferung der Schafe geschieht unter Aufsicht zweier Gemeinderathsmitglieder, hierbei ist ein Verzeichniß über die Anzahl eines jeden Schafsbesitzers aufzunehmen welches in der Bürgermeisterei niedergelegt wird. 10. Der Schäfer ist verbunden alle Zugänge und Abgänge von der Herde auf der Bürgermeisterei anzuzeigen damit eine genaue Uebersicht über die Größe der Herde geführt werden kann. Wird 20 soll wohl heißen: Konventionalstrafe = Vertragsstrafe. 43 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen diese Bestimmung von dem Schäfer nicht eingehalten, so verfällt derselbe in eine Strafe von 5 Gulden welche in die Gemeindekasse fließen. 11. Dagegen verspricht der Gemeinderath Namens der Gemeinde Villingen die Etatgemäße Besoldung welche besteht: 12. 13. 14. 15. a.) dem Gütergenuß an folgenden Grundstücken. Flur I Nr. 601 = 307 Klafter, ober der Seewiese. Flur II Nr. 384 = 754 Klafter Wiese am Olmisbrückenweg Flur VIII Nr. 433 = 58 Acker/49 Wiese bei der Pfingstweide. Flur VIII Nr. 434 = 60 Acker/48 Wiese ebenda. Flur VIII Nr. 66 100 Klafter Acker, die Sauweid b.) 25 Malter Brodfrucht ½ Korn und ½ Gerste c.) an barem Geld 50 fl. d.) Von jedem Schafsbesitzer ein Neujahr nicht unter 6Xer e.) Wenn das Ferchschlagen21 verlangt wird so hat der Pferchkäufer von jeder Nacht 2 Xer zu bezahlen.22 f.) Von jedem Pferchkauf ein gutes Frühstück. g.) Die Birnen von einem Baum in der Bornwiese am Weg nach Ruppertsburg. Dem Gemeinderath bleibt das Recht vorbehalten, im Falle der Schäfer seinen Dienstobliegenheiten die unter Par. 1 bis Par. 11 verzeichnet sind nicht erfüllt, zu jeder Zeit zu entlassen. Zur Anschaffung des Schafbockes schießt die Gemeinde das Gehalt vor muß aber im Laufe des Jahres zurück bezahlt werden. Die genügende Bürgschaft mit 300fl hat der Vater des Heinrich Schneider von der Bürgermeisterei Steinbach für seinen Sohn beizubringen. Für dieses Jahr sollen dem Schäfer zu Hausmiethe 12 fl. Aus der Gemeindekasse vergütet werden. v. g. u. 21 es ist uns nicht erklärlich warum im Protokoll einmal Pferch und das andermal Ferch geschrieben wird. 22 der Pferch brachte wertvollen Dünger auf die Äcker. 44 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Paulus Schneider,23 Heinrich Schneider, Zur Beglaubigung: Heineck, Beigeordneter. Mit vorstehendem erklären sich einverstanden: Der Großh. Beigeordnete Der Gemeinderath Heineck Reinhard Graf Adam Zimmer Johs. Hau Johs. Leschhorn Johs. Roth H. Bender II. Georg Pfarrer erklärt bei der Unterschrift er sei mit dem ganzen Protokoll mit Ausnahme des Par. 15 einverstanden. G. Pfarrer Bei den folgenden Protokollen aus dem Jahr 1869 wollen wir nicht den Wortlaut genau wiedergeben, sondern in Art von Regesten berichten. 6. April 1869: des Schlossers Maul Wwe. beantragte einen Bauplatz, ihr wurden dazu die Gemeinde-Grundstücke „an der Tuchbleiche“ überlassen. Sie hatte für den Klafter 1 fl. 2 Xer zu bezahlen. 25. April 1869: Die Gemeindearbeiten sollten versteigert werden, dabei ging es besonders um den Vicinalweg nach Langd, hierfür wurden angesetzt: 1. Planierung 150 fl. 2. für Steine, einschl. Fuhrlohn 908 fl. 3. Chaußierung 420 fl. 4. Durchlässe 70 fl. 21 Xer 5. Geländeentschädigung 216 fl. 45 Xer Summe 2765 fl. 6Xer 23 Leider wissen wir nicht wie alt der Schäfer war, auffallend ist aber dass sein Vater offenbar mitunterschreiben musste, oder musste er als Bürge unterschreiben (?). 45 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Zur Fortsetzung des Kleinauweges und eines Durchlasses waren vorgesehen: 954 fl.7Xer Statt dessen sollte aber der Weg nach der Unterau bis an den Mühlberg „als der nöthigere“ ausgeführt werden, hierfür ergaben sich aber Kosten aus der öffentlichen Versteigerung von: 1765 fl.6Xer für den Kleinauweg waren vorgesehen 954 fl.7Xer es fehlten demnach (Credit) 811 fl.1Xer dem Antrag wurde zugestimmt, allerdings mit der Maßnahme, den Betrag der zusätzlich aufgewendet werde, mit Ersparnissen in anderen Rubriken zu decken. Weiter wurde beraten über: 1. die Überfahrt am Haagweg 2. Pflasterarbeiten am Lindenbrunnen 3. ein Schlammfang (wo?) 4. Abfahrten am Mühlweg Summe 38 fl.15Xer 25 fl.29Xer 175 fl. 99 fl. 337 fl.44Xer Da aber für diese Arbeiten keine Mittel vorgesehen waren, sollten sie vorerst auch nicht ausgeführt werden (auf sich zu belassen). Dem stimmte der Gemeinderat zu; allerdings hören wir, dass der Schlamm in dem Graben im unteren Dorf jetzt verkauft werden sollte. Als weiteren Punkt der Tagesordnung hören wir; dass in der Kirche mehrere „schadhafte Stellen“ seien. Diese wurden für 19 fl. 30 Xer im „Akkord“24 vergeben. Außerdem musste am Schmelzweg eine Ausbesserung vorgenommen werden, die ebenfalls genehmigt wurde, wobei daraufhingewiesen wurde, dass sich der Akkordpreis noch leicht erhöhen könne. Der „Credit“ wurde auch genehmigt. 3. October 1869: Forstwart Klein zu Villingen hatte beantragt, den Jagdschutz in Villingen gegen Vergütung (von 10 fl.) übernehmen zu dürfen. Es lag dazu auch ein Schreiben des Forstamtes Schotten vor. 24 Nach dem günstigsten Angebot. 46 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Der Gemeinderat war der Meinung, dass der Forstwart ohnehin zur Übernahme des Jagdschutzes verpflichtet sei, das Gesuch kam dem Gemeinderat „sonderbar“ vor, da die Jagd überhaupt keines besonderen Schutzes bedürfe, daher war man „ganz entschieden“ gegen die Gewährung einer gesonderten Vergütung. Die Vergütung betrage 150 fl. Dafür sei der Forstwart seinerzeit nicht angestellt worden, vielmehr habe man in dessen 1. Dienstjahr 200 fl. Bezahlt, ohne einen Beweis seiner Leistungsfähigkeit, nur um ihm eine ziemlich unabhängige Stellung zu geben. Dabei habe man auch ins Auge gefasst, dass der selbe keine Nebenstelle übernehmen oder andere Verbindlichkeiten eingehe. Man bat das Großh. Forst- und Kreisamt, das Gesuch in jedem Fall anzulehnen. Dem Forstwarte Klein soll außerdem aufgegeben werden, keine derartigen Gesuche, die doch sicher keine Unterstützung finden, zu stellen. 27. December 1869: Nachdem das Jahr 1869 bis auf wenige Tage verflossen, so versammelte sich der Gemeinderath... so beginnt die letzte Sitzung in den Protokollen vom 1869. Man beschloss noch einmal: 1. Den Georg Schröder für das Jahr 1870 als Schweinehirt anzunehmen und er erhält ein Gehalt als Schweinehirt von: 65 fl. Als Nachtwächter und Stundenbläser von: 45 fl. 2. Georg Graf als Nachtwächter und Stundenbläser 45 fl. 3. Georg Seibert als „Calcant“ für 1870 6 fl. 4. Gemeinderat Georg Pfarrer wurde zum „Controleur“ bestellt. 5. Georg Seibert wurde als Gänsehirte für das Jahr 1870 angenommen und erhält dafür: 18 Xer Die Gemeindediener versprechen in dieser Sitzung noch Fleiß und Treue und pünktliche Erfüllung ihrer Pflichten als Gemeindediener. Es folgen wieder wie in allen anderen Protokollen auch die Unterschriften, die Sitzungsleitung hatte wieder der Beigeordneter Heinek inne. 47 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen VIII. Eine alte Mauer gibt Rätsel auf Zwischen den beiden Grundstücken in Villingen, der Langgasse 21/23, den Eigentümern Otto Böcher und Familie Staudt hat sich eine alte Mauer erhalten, die Rätsel aufgibt. Denn dass sie alt ist, darüber besteht kein Zweifel. Aus plattenartigem Basalttuff hergestellt erinnert sie in ihrer Art und Ausführung an die in unseren Kleinstädten von Oberhessen erhaltenen Reste von Stadtmauern. Villingen hatte zwar eine Dorfbefestigung25, von einer Mauer hören wir jedoch nichts. Erwähnt werden aber Tore, die abends geschlossen wurden26. Die Beschreibungen deuten daraufhin, dass die genannte Unterpforte ganz hier in der Nähe der rätselhaften Mauer gestanden haben könnte. Vielleicht war ja der Teil links und rechts des Untertores durch Stichmauern zusätzlich gesichert und diese schlossen so an den nachgewiesenen Haingraben an. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die Mauer von einem der adeligen Hofgüter übriggeblieben ist. Jedenfalls passt sie so gar nicht zu der Art, wie unsere früheren Bauern ihr Anwesen abtrennten. Die Bruchsteinmauer ist heute 2,00 m hoch und ca. 0,50 m stark, die flachen Bruchsteine sind sehr sorgfältig mit ganz engen Fugen gemörtelt und teilweise mit Ausgleichschichten versehen. Kenner der ortsanstehenden Steinbrüche haben uns dargelegt, dass Steine im Steinbruch am Mühlberg in dieser Art vorkommen. Auffallend ist noch, dass die Haussockel und die Kellergeschosse der Wohnhäuser aus völlig anderen Steinen, nämlich aus den üblichen bei uns vorkommenden porösen Basaltsteinen (Lungsteinen) hergestellt sind, auch dies ist ein Indiz dafür, dass die Steine der Mauer und die der Häuser in keinem Zusammenhang stehen. Die Mauerkronenabdeckung scheint jedenfalls jüngeren Datums zu sein. 25 Siehe dazu den Beitrag in Heft 11/III Der Villingener Haingraben und das Schlaghaus. 26 Die beiden Pfortentore. Villingen war gegen kriegerische und räuberische Überfälle zusätzlich durch Tore geschützt: Die Oberpforte und die Unterpforte an der Durchgangsstraße von Hungen nach Laubach. Wenn man den alten Dorfkern von Villingen betrachtet, dürfte sich das Obertor in der Nähe der heutigen "Linde" und die Unterpforte am unteren Ortsausgang in Richtung Ruppertsburg befunden haben, denn in der Chronik ist die Rede von der Brücke an der Unterpforte (Horloffbrücke). Und weiterhin hören wir, 1620 wurde auch die Oberpforte neu gebaut. 1751 ist die Brücke "vor der Unterpforte" gemacht worden. 48 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. oben Mauer in der Langgasse 21/23 unten Details 49 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen IX. Familiennamen in Villingen, Zaunschliffer und Münch Zufällig sind wir über das Stadtarchiv in Butzbach an ein „Deutsches Geschlechterbuch“ Band 201, 52. Allgemeiner Band gekommen. Herr Dr. Dieter Wolf hat uns die entsprechenden Kopien des Bearbeiters Dipl. Ing. Bodo Heil, Butzbach, zur Verfügung gestellt, dafür vielen Dank. Während der Name Zaunschliffer bei uns in Villingen nicht so bekannt ist,27 begegnet uns der Name Münch des öfteren im Gemeindearchiv. Die Schreibweise dieses Namens variiert dabei von Monch, Monche, Munch, Musch, Münch, bis zu Munchen. In Heft 4 dieser Reihe und in Heimat im Bild (Beilage zum Giessener Anzeiger), hatten wir über einen Werkstein an der Kirche in Villingen berichtet, dabei auch die ehem. Sakramentsnische erwähnt mit der Inschrift von Otto Musch. Wir haben es hier mit einer Schultheißenfamilie in Villingen zu tun, denn sowohl Mathes Münch wie sein Sohn Otto waren Schultheißen hier im Ort. Wie wir in folgenden ersehen werden, waren diese Münch oder Munch wohl hochangesehen, denn Otto wurde denn auch mit der (unehelichen) Tochter des Grafen Philipp von Solms-Münzenberg (Braunfels) vermählt. Doch der Reihe nach, lassen wir zuerst die alten Urkunden sprechen: Urkunden aus dem Fürst zu Solms-Braunfelsischen Schloss-Archiv in BraunfeIs: 1545 Januar 19 - Sebastiansabend (A 26.7, III 155) Graf Philipp v. Solms-Münzenberg verleiht dem Ott(o) Münch das Schultheißenamt zu Villingen, das bereits sein Vater Mathes Münch innegehabt hatte, auf Lebenszeit. Das Schultheißenamt ist verbunden mit dem Schankrecht in Villingen und 3 weiteren Orten28, dem Eppelnröder Zehnt, 6 fl. und 6 Achtel Korn aus der Kellerei zu Hoingen sowie 2 Röcken 27 Findet sich auch nicht in den Kirchenbüchern von 1653-1807, nur für die Jahre 1602 – 1608 wird uns Johannes Zaunschliffer von Braunfels als Pfarrer für Villingen überliefert, siehe Heft 3, S. 5 dieser Reihe. 28 dem Obergericht Villingen = Nonnenroth, Röthges, und Nieder-Bessingen. 50 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen und Kappen aus der Schneiderei zu Braunsfels entsprechend der Kleidung des Hofgesindes. Als reisiger Knecht hat Münch mit einem Pferd zu dienen, das ihm, falls er es im Dienst verliert, mit 30 fl. ersetzt wird. Münch wird mit der ledigen Tochter des Grafen, Juliane, vermählt, die als Aussteuer 200 fl. Frankfurter Währung erhält, die der Ehemann anzulegen hat. Ferner erhält dieser das „Seyfrits-Lehen“29 zu Villingen als erbliches Lehen. (Konzept einer vom Grafen gesiegelten Urkunde, im Solms`schen Archiv. Ein Rückvermerk der Solms'schen Kanzlei von späterer Hand, vom 24. 7. 1621 besagt, dass der Eppelnröder Zehnt und das Seifrids-Lehen den Zaunschlifferschen Erben, an die es im Erbwege gekommen war, um 400 fl. laut Kaufurkunde wieder abgekauft worden sei.) Doch wollen wir der Reihe nach vorgehen, so bleiben wir zunächst bei den Münch`en: Ungekürzter Originaltext der Urkunde: Oth Munchen bestallung und heilidts versprechens (?). Copey 154530 Wir Philips Grave zuo Solmß und Herr zuo Mintzenbergh, bekennen offentlich und thun kunth aller meniglich mit dißem brieff, fur unns unnd alle unseren erbenn, Nachdem Mathes Munch zu Villenn (Villingen) unßerem Herrn Vatter und unnß threulich gedient, habenn wir angeßh(ichts) soliche seyne threwe dienst, unnd Ottenn Munchenn seynem nach verlassenen Sone ann unßere ledige tochter Julianen ehlichenn Verhayrett, und damit ehr furt unß dienen mag, haben wir ieme seynn lebennlang uß gnadenn daß Schultheißen Ampt zuo Villenn inn aller massenn wie das seynn Vatter selig und Vorelternn mit aller Nutzung 29 Bisher konnten wir noch nicht feststellen, wo dieses Lehen einmal lag, denn es muss schon bedeutend gewesen sein, sollte es das später sogenannte fürstliche Hofgut gewesen sein? Wie wissen es leider nicht. 30 An dieser Stelle will ich einen früher schon einmal ausgesprochenen Vorschlag erinnern, für den Fall, dass Sie den Text schlecht verstehen, lesen Sie sich den Text selbst laut vor. 51 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen inngehabt alß auch seynn lebennlangk zugebrauch, zugestalt als Nemlich denn Weynnschanck zuo Villenn darinnenn dann gehoret. Nourode (Nonnenroth), Rootgeß (Röthges), und Nidd Bessingen (NiederBessingen), das nymannts bier oder weynn dan er allein in solchen vier dorf fern zu schenncken macht habenn das gescheehe dann mitt seym wissenn und Willenn, zu dem Eppelroder Zehenden (Wüstung 1/4 Std. östlich von Villingen, Eppelnrode) mit seiner zugehoerde, item jerlichs unnser Kelnerey zuo Hoingen (Hungen) Sechs Guldenn, sechs achtelln korns, item uß unßerer Schneyderey zuo Braunfelß tuch zu zweyenn Roeckenn und kappen, wie wir dann zu jeder Zeit unßer Hoffgesinde claiden werdenn unnd dargegen so soll er uns mit eynem reißigen pferdt gewerttig seynn, und gebrauchen lassen, wie dann eynem frommen ehrlichen reysigen Knecht eigennt unnd geburt. Und were es sach das ehr ein pferdt umb seynn gelt kauften wurde, und wo ime solchs inn Unßerm Dienst-Rieth abgienge sollenn wir ime dreyßig gulden davor geben, Oder so dasselbigk pferdt inn geringerem Werth geweßen, soll Oth Munch sich auch gepurlich finden lassen. Und uff daß Oth ytzgenannt sich auch mit unßerer tochter desto statlicher ernerenn moge, so wollenn wir ime damit zu heims teuer geben zweyhundert guldenn frankfurtter Werung, item daß Lehen eigenthumblich so unßer unnderthann seyfertt zuo Villenn (Villingen) innegehabt, daruber dann Register sindt zwischen wem und wo die gutter und Zins dann gefallen und darinnen gelegen und ziehend sein, also das ehr Oth unnd Jylianen die ytzgenannt zweyhundert gildenn anlegen, unnd das gutlein erblich gebrauch machenn, nach irem nutz und Wolgefallenn onerhindert unßer und unßerer erbenn. Doch ist hierinnen angeredt, Were es sach, das got nach seynem Willen zu schicken hait, das unser leedig tocht Julian, eh dann Oth vonn todts wegen abging und nit ehlich leibserbenn vonn inenn beiden gezielt miteynannder verließen, sol1 0th sein leibzucht ann obgenannte Lehe und andernn zubracht haben, und nach seynem todt wo kein leibs erbenn furhandenn soll das widder ann unnß unnd unnßere erben, dahere es dann ytz und kommen falenn unverhindert, unnd gleicher gestalt ob Ott für Julianen abgieng, solle es auch gehallten werdenn getreulich und one alles geverde. Und des zue waaren Urkund so haben wir unßer Secretingesigell ann dißen brieft thun hencken. 52 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Gescheen und geben ann Sanct Sebastianus Abennt als mann zelt nach Christi unßers erloßers geburt 1545 jare. In der folgenden Urkunde erfahren wir, das Otto Münch, vor 1563, gestorben war und sein Nachfolger Antonius Müller, dessen Wwe. Juliane geb. von Solms-Braunfels, vor dem 20.4.1563 geheiratet hatte. 1563 April 20 - Villingen (A 13. 7,1 727) Abschied eines Schiedsgerichtsverfahrens31 in der Streitsache des Caspar v. Gylß, Dieter v. Rosenbach und Volpert Hoffmann, Schultheiß zu Neustadt und Consorten einerseits, des Johann Gewende und Carl Schmit, Bürger zu Laubach als Vormünder der Kinder des + Ott(o) Münch, sowie des Antoni(us) Müller, Schultheiß zu Villingen als ihr Stiefvater und 2. Gemahl der Juliane andererseits um den Eppelnroder und Seyfertszehnt. Als Schiedsmann für die Familie des + Ott(o) Münch tritt der Licher Amtmann Wilhelm von Buseck, genannt Münch auf. Das Schiedsgericht komm zu dem Schluss, dass in den strittigen Punkten Zeugenbefragungen vorgenommen werden sollen. Falls mehr als zwei Zeugen einen Sachverhalt beeiden, so ist entsprechend zu verfahren, andernfalls soll der strittige Zehnt geteilt werden. Bei der Teilung und einem dadurch evtl. notwendigen Tausch ist Wilhelm v. Waltmannshausen, Amtmann zu Hoingen, der Obmann; in seiner Gegenwart sind die neuverteilten Güter von einer Sechserkommission auszusteinen. Der vorliegende Abschied wird von den Schiedsleuten sowie von den anwesenden Vertretern der Streitparteien eigenhändig unterschrieben. Die Einzelheiten des offenbar langjährigen Streits gehen aus dem vorliegenden Schriftstück nicht hervor, in dem die Vorgänge nicht wiedergegeben sind. Es scheint, dass das Schultheißenamt zu Villingen nach dem Tode von Ott(o) Münch an den zweiten Gemahl der Juliane unter ähnlichen Bedingungen weiterverliehen wurde, dass jedoch umstritten war, ob der Eppelnröder Zehnt und das „Seyfrids-Lehen“ zum Ausstattungsgut des Schultheißenamts gehörten oder zum erblichen Lehen der Juliana. 31 Schlussprotokoll im Schiedsverfahren. 53 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen In dieser Urkunde erhalten wir einen entscheidenden Hinweis auf die Familie von Buseck, genannt Münch, der Licher Amtmann Wilhelm von Buseck, genannt Münch tritt hier auf, aus dessen Familie auch offensichtlich unsere Münche oder Munch in Villingen abstammten. Hierzu sollten wir zuerst einmal einen Blick über den Zaun unserer Gemeinde werfen, auf die Ganerben des Buseckertales. Auf dem Friedhof zu Winnerod direkt an der Kirche befindet sich heute noch ein Grabstein dieser Familie. Doch dazu weiter unten. Winnerod gehörte bis 1612 den von Windhausen und kam dann über die Erbtochter an die Familie von Buseck genannt Münch. Die Familie von Buseck teilte sich damals in folgende Linien: Von Buseck genannt Buseck, wohl die älteste Linie, Von Buseck genannt Rüsser, Von Buseck genannt Brand, Von Buseck genannt Münch Zur Entstehung des Beinamens Münch weiß die Legende, dass er für die in der Waldeinsamkeit ihres Gutes Bubenrod wohnenden aufgekommen wäre (Mönche). In Wirklichkeit ist er viel älter und längst gebraucht worden, bevor die Busecker nach Bubenrod kamen, schon in der Zeugenreihe eines Dokuments aus dem Jahre 1233 finden wir einen „Conradus Monachus“32 Die Busecker gehörten zu den reichsunmittelbaren Ritterschaften, die sich noch innerhalb größerer Gebiete behaupten konnten. Weniger glücklich als die z. B. zur Burg Friedberg gehörende Reichsritterschaft waren aber die ganerbschaftlichen Verbände des Busecker Tales. Ihre Versuche, den gleichen Weg zu gehen und eine vom Landesherrn auf Dauer unabhängige reichsritterschaftliche Stellung zu erlangen, scheiterten, da hier die unmittelbar benachbarten hessischen Landgrafen eine solche Entwicklung zu unterdrücken vermochten. Die Ganerben des Busecker Tales wehrten sich zwar länger und hartnäckiger als andere vergleichbare Ritterschaften. König Wenzel, der ihnen im Januar 1398 schon befohlen hatte, dem Landgrafen Hermann von Hessen zu huldigen, widerrief diesen Befehl allerdings noch im November desselben Jahres und unterstellte sie allein dem König. König Sigismund bestätigte daraufhin den Busecker Ganerben 1414 die Reichsstandschaft, sodass sie 1418 einen Unterwerfungsversuch 32 schreibt Gustav Ernst Köhler in: Aus der Geschichte von Winnerod, Reiskirchen 1999. 54 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Landgraf Ludwigs von Hessen mit Hilfe des Reiches rechtlich abwehren konnten. Aber obwohl auch Kaiser Friedrich 1478 ihre Privilegien und Freiheiten bestätigte und Kaiser Karl V. sie 1547 auf dem Höhepunkt seiner Macht nochmals nachdrücklich gegen alle hessischen Übergriffe in Schutz nahm, mussten sie sich doch 1576 abermals und 1724 endgültig der hessischen Landeshoheit beugen. Erfolgreicher waren nur die Selbständigkeitsbestrebungen zweier anderer, ursprünglich ritterlicher hessischer Adelsfamilien, die im Grenzgebiet zwischen Hessen und den geistlichen Territorien von Fulda und Hersfeld hochkamen. Es handelte sich dabei um die Herren von Sch1itz und RiedeseI.33 Aus dem Kirchenbuch von Winnerod (1750) erfahren wir denn auch das Erbbegräbnis derer von Buseck genannt Münch in Winnerod: „.... mit gehaltener Trauer Sermoni in der hießigen Kirche, in das ... von Münch Erbegräbnis neben dem Altar rechter Hand...“ beigesetzt.34 Kommen wir zu dem angesprochenen Grabstein an der Kirche in Winnerod, er gehört Friedrich Wilhelm +1750, mit dem das Geschlecht der von Buseck genannt Münch dort ausgestorben ist. Es hat folgende Inschrift: HIER RUHET DER LEZTE SEINES STAMMES TIT. HERR FRIEDERICH LUDWIG V. BUSECK GENANT MUNCH VIERER UND SENIOR EINER HOCHADL. GAHNERBSCHAFT BUSECKERTHALS HOCHF = FULD = GEHEIMDER RATH. ER WARD GEBOHREN DEN 20. SEP = 1674 VERMAEHLT IM MONAT MAY 1704 MIT TIT CHRISTINA MAGD=LU=ALB= V= HUTTE ZUM STOLZENBERG IN DIE UNSTERBLICHKEIT VERSETZT DEN 21. DECEMBER 1750. GOTTES FURCHT UND MENSCHENLIEBE OHNE FALSCHHEIT STOLZ UND NEID JACOBS SEGEN OHNE GRAM FREI VON PRACHT UND ÜPPIGKEIT WOHL ZU TUN DER GATTIN TREU UND DER SEINEN VATTER SEYN 33 Demandt, Karl E: Geschichte des Landes Hessen. 2. Auflage Kassel, 1980 S. 471ff. 34 Köhler a.a.O. S. 43. 55 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen DIESES MAHL SO ZIERT DAS BILD FRIEDRICH LUDWIGS LEICHENSTEIN. DEM WOHLSELIGEN ZU HOCHVERDIENTEM NACHRUHM AUFGESETZT VON DEN ANVERWANTEN DES RABENAU FRUDENBER(G) GEISMAR UND MILCHLINGISHEN STAMMES 35 Im Jahr 1772 starb dann auch seine Ehefrau. Auf den Grabsteinen dort in Winnerod finden wir auch die Wappen der Busecker, den Widderkopf. Abb. Kirche in Winnerod Südseite: mit den verschiedenen Grabsteinen, darunter auch der für Friedrich Wilhelm den letzten des Stammes Münch. (Foto HPP) 35 nach Köhler a.a.O. S. 46. 56 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Die Darstellung zeigt, dass der Graf von Soms-Braunfels seinerzeit seine (uneheliche) Tochter Juliane und die üppige Mitgift nicht irgend einem, sondern einem Herren von ritterlicher Abkunft gegeben hatte.36 Kehren wir zurück zu den überlieferten Urkunden für Villingen und den Zaunschliffer. 1582 April 10 - Actum Hoingen (A 112. 5, VI 589) Klageschrift in der gerichtlichen Sache des Simon SeydeIer im Namen seiner Ehefrau gegen die Erben des Ott(o) Münch zu Villingen in einer nicht genau definierten Erbschaftsangelegenheit. Aus einem anliegenden Stemma geht hervor, dass es einen Vertrag von 1549 zwischen Ott(o) und Juliane Münch einerseits sowie Ottos Schwester Merg und deren Nachkommen gegeben hatte. Ott(o) und Juliane besaßen zwei Töchter; Erngart und Merg. Erngart war vermählt mit Bernhard Zaunschliffer37, und die Tochter Merg war vermählt mit Conrad Hermes. Die Gegenpartei ist durch Elisabeth und Eva, Töchter des verstorbenen Heintz Wagner, Ehemann der Merg geb. Münch, (Schwester des Otto) zu Villingen vertreten, denen der Kläger Simon Seydeler zuzuordnen ist. Die Einzelheiten können der vorgelegten Schrift vor dem Hofgericht (des Grafen v. Solms) leider nicht entnommen werden. (Von nun an begegnen uns in den folgenden Urkunden die Angehörigen der Familie Zaunschliffer,38 an die das Erbe über die Tochter des Otto Münch und der Juliane geb. von Solms, Erngart, gekommen war.) 1613 akt. 21 - Butzbach (A 13. 7,1 727) M(artin) Zaunschliffer schreibt an den Grafen zu Solms, er habe von seiner Mutter (Erngart) das Seiferts-Lehen sowie den Geldzins genannt 36 mit 16 bei Helm und Schild geborenen Ahnen, wie es die Vorschriften des Adels verlangten! 37 Auch von ihm finden wir in dem zitierten Geschlechterbuch Angaben S. 537: Bernhard war der 1. Sohn des Gerhard Zaunschliffer +...1576, „Praetor Braunfeldensis“ (Praetor = Die Gerichtsgewalt (iurisdictio) lag im antiken Rom in den Händen der Gerichtsmagistrate, das heißt der beiden Prätoren). 38 von denen auch ein sogenanntes redendes Wappen überliefert ist. Im Schild ein nach links blickender Zaunkönig (Zaunschlüpfer) auf einem Ast sitzend. 57 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Catharinen-Zins in Villingen geerbt. Da diese Güter und Zinsen für ihn weit entlegen seien, bittet er um Rückkauf. (Brief (Original) mit Umschlag. Verschlusssiegel des Schreibers. Blindprägung im Wappenschild mit Zirkel und Winkel.) 1620 März 24 - Griedel (A 13. 7,1 727) Der Pfarrer Johann Zaunschliffer39 schreibt an seinen Schwager, den solmsischen Sekretär zu Hoingen (Hungen) Ebart Schmitt wegen des Verkaufs des Zehnten zu Villingen, für den er statt 400 fl. 500 fl. zu bekommen hoffte, doch will er sich mit 450 fl. begnügen. (Blindprägung: Vogel auf Aststück) 1620 Nov. 22 -Lich (A 13. 7,1 727) Bericht des Griedeler Pfarrers Johann Zaunschliffer40 über das SeyfertsLehen zu Villingen. Sein Vetter Philipp Stauer beanspruche ein Fünftel des Verkaufserlöses. Dieser Verkaufserlös stehe ihm aber nicht zu, da dieser als Vertreter des fünften Stammes bereits früher von ihm abgefunden worden sei. (Vorliegender Bericht ist wohl eine Anlage zu einem nicht erhaltenen Schreiben an die Solmsische Verwaltung) 1620 Dez. 1 - Braunfels (A 13. 7,1 727) M(artin) Zaunschliffer (Bruder des Pfarrers) an seinen Schwager, wie 1620 März 24, übernimmt in dem Streit zwischen Johann Zaunschliffer und seinem Vetter Philipp Stauer die Auffassung seines Bruders. (Brief (Original) mit Umschlag, Verschlusssiegel) 39 für die Jahre 1602 – 1608 wird uns Johannes Zaunschliffer von Braunfels, als Pfarrer für Villingen überliefert, siehe Heft 3, S. 5 dieser Reihe. 40 Wie vor. 58 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen X. Gesundheitszustand der deutschen Armee während des letzten Krieges So lautet ein Eintrag in unserer Dorfchronik von Pfarrer Sellheim aus dem Jahr 1871. Er schreibt: In Bezug auf den Gesundheitszustand der deutschen Armeen lesen wir in Nr. 204-1871 der Darmstädter Zeitung. Über den Gesundheitszustand der deutschen Armeen während des letzten Krieges werden demnächst ausführliche Berichte erscheinen. Es ist soviel schon jetzt anzugeben, daß nach Ansicht der ersten medizinischen Autoritäten, welche den Feldzug mitgemacht haben, der Gesundheitszustand ein über alles Erwarten guter gewesen ist. Eine Zeitlang trat, an Orten welche stark mit Militär belegt waren, der Typhus allerdings ziemlich heftig auf, und besonders empfindlich litten die Patienten da, wo größere Lazarethe41 für Verwundete etabliert waren. Unvermeidlich ist in einzelnen Lazarethen, trotz aller aufgewandten Mühe, ferner die Pyämie gewesen42. Die Blutvergiftung ist die natürliche Folge der Krankenpflege in Lazarethen, selbst den besteingerichteten, und bessere Lazarethe waren überhaupt nicht herzurichten, wie in Frankreich. Allein die Pyämie trat vereinzelt auf und der Typhus nahm durchschnittlich keinen bösartigen Charakter an. Die deutsche Armee befand sich in einem Land, dessen Klima zu den allerschönsten in Europa gehört. Wenig empfindlich war die Kälte, sehr erträglich die Hitze. Erkältungen wurden vermieden, weil die Nächte nicht allzu rauh waren. Der Deutsche ist sowieso viel abgehärteter als der Franzose, kommt er doch vollends in ein Land mit gleichmäßig mildem Wetter, so wird er nicht bloß gegen Krankheiten geschützter sein als andere, sondern er wird sich wesentlich (?) erholen. Alle welche den Feldzug glücklich überstanden haben sind körperlich frischer und wohler als je zuvor. Es kam hinzu das an die Stelle des Genusses von Bier und Brantwein der Genuß des Rotweins trat, der Soldaten ohne Unterschied des 41 Lazarette ([aus Lazarus und Nazareth, der Kirche Santa Maria di Nazaret in Venedig] das Militärkrankenhaus; als Feldlazarett zur direkten Versorgung der kämpfenden Truppe. (nach Brockhaus m m, 2001). 42 Pyämie = Pyohämie wiederholte transitor. Bakteriämie, vergl. Sepsis = (gr. Fäulnis) Septikämie, sogenannte Blutvergiftung (nach Pschyrembel Klinisches Wörterbuch Nr. 256). 59 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Ranges zugänglich gewesen ist. Wenn man will, so war für Hunderttausende der Krieg eine Erholung eine Escursion43 in ein schönes gesegnetes Land mit herrlicher Luft und reizend wohltuendem Klima. Nichts natürlicher, als daß dies alles auf den Gesundheitszustand der Armee den besten Einfluß ausüben musste.44 Der Chronist fährt dann fort mit: 25. März Kraniche angekommen ... Abb. Lazarett um 1914 im 1. Weltkrieg in Leobschütz Oberschlesien (aus Illustrierte Kriegschronik von Dr. Wilhelm Kranzler, Band 1, 1914-15) 43 Exkursion = [lateinisch] die, Lehr- und Studienfahrt. Das dieser Bericht offenbar von einem Mann stammte, der am Krieg wohl nicht teilnahm ist offensichtlich, denn eine Erholung war auch dieser Feldzug ganz sicher nicht. Aber es war der Stil der Zeit so zu schreiben, der gleiche Stil begegnet uns noch des öfteren in der sogenannten Gründerzeit die mit der Hochblüte des Imperialismus nur zusammenfiel, er wurde besonders von Kaiser Wilhelm II. geprägt und fand auch noch im kleinsten Dorf seine Nachahmer. 44 60 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen XI. Soldaten aus Villingen nahmen Niederwerfung des Boxeraufstandes teil an der In den beiden Heften Nr. 6/1 und 6/2 haben wir unter dem Untertitel „Krieg und Frieden“ von den Kriegen seit dem 30-jährigen Krieg bis zum deutsch-französischen Krieg 1870/71 berichtet, über die folgenden Kriege haben wir im Sonderband zum Tag des offenen Denkmals 2005 referiert. In der Gemeindechronik finden wir einen kleinen Eintrag über den sogenannten Boxeraufstand. Für uns in Deutschland war sicher dieser Krieg nicht bedeutend genug, um heute noch in Erinnerung zu sein. So will ich an dieser Stelle kurz über die Niederwerfung des Boxeraufstandes berichten. Boxeraufstand, Aufstand (1900) der sogenannten Boxer („Faustkämpfer für Recht und Einigkeit”) in China, vor allem gegen Ausländer und das Christentum gerichtet. 1899 begann der von der kaiserlichen Regierung offiziell anerkannte chinesische Geheimbund Yi-He Quan gegen christliche Missionare und die Industrialisierung durch Fremde in China zu kämpfen. Die wirtschaftliche und politische Ausbeutung Chinas durch einige Westmächte und Japan sowie die erniedrigenden militärischen Niederlagen gegen Großbritannien in den Opiumkriegen (1839-1842, 1856-1860) und gegen Japan im Chinesisch-Japanischen Krieg (1894-1895) waren Hauptgründe des chinesischen Unmuts, aber auch die allgemeine Wirtschaftsdepression war einer der Gründe für die Kämpfe. Als die Aufständischen die chinesische Hauptstadt Peking erreichten, entsandten die ausländischen Mächte zur Sicherung ihrer Interessen und zum Schutz ihrer Staatsangehörigen Hilfe aus Tientsin in die Hauptstadt. Am 13. Juni gab Kaiserin Cixi der kaiserlichen Armee den Auftrag, die ausländischen Truppen zurückzuschlagen. Die daraufhin folgende Krise fand ihren Höhepunkt am 19. Juni 1900, als die Ermordung des deutschen Gesandten Klemens Freiherr von Ketteler und die anschließende Besetzung des Gesandtschaftsviertels (20. Juni bis 14. August) den Boxeraufstand auslöste. Nach der offiziellen Kriegserklärung Chinas gegen die Westmächte wurde ein großes Expeditionskorps aus britischen, französischen, japanischen, russischen, deutschen, österreichischungarischen und amerikanischen Streitkräften gebildet, das Peking am 16. August 1900 besetzte. Kaiserin Cixi flüchtete mit ihrem Hof nach Xi’an. Ein im September 1901 abgeschlossener Friedensvertrag („Boxer- 61 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Protokoll”) verpflichtete China zu Reparationszahlungen in Höhe von 450 Millionen Silberdollar über einen Zeitraum von 40 Jahren. Zudem musste sich das Land u. a. der Sperrung von Waffeneinfuhren unterwerfen. Ausländische Truppen durften zum Schutz der Gesandtschaften in Peking bleiben. Ein freier Korridor von der Hauptstadt zur Küste wurde eingerichtet. Russland dehnte während des Boxeraufstands seinen Machtbereich in der Mandschurei aus, was zum Russisch-Japanischen Krieg (1904-1905) führte. Abb. In der satirischen Zeitschrift „Der wahre Jacob“ erschien damals diese Karikatur, zur Beteiligung Deutschlands an der Niederwerfung des Boxeraufstandes in China und der allgemeinen Politik des Kaiserreichs (Repro HPP) 62 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. zeigt die Ermordung des deutschen Gesandten Klemens Freiherr von Ketteler am 20. Juni 1900 durch einen chinesischen Nationalisten, dies war der offizielle Beginn des sogenannten Boxeraufstandes (Repro HHP) Kommen wir nun zu dem kleinen Eintrag in der Gemeindechronik von 1901, er lautet: 63 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen „Zu dem mit großem Lärm und Juche begonnenem und von nur wenig äußeren Erfolgen begleiteten Krieg gegen China stellte auch Villingen zwei Kriegsteilnehmer. Dieselben hießen: Friedrich Zimmer und Otto Mattern. Beide kehrten wohlbehalten zurück.“ Abb. Köpfe getöteter Boxer auf der Mauer von Tschio-Tschao, wenn auch ein Gemälde, trotzdem ein schreckliches Beispiel für die unvorstellbare und brutale Härte der Verbündeten (Repro HHP) 64 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen XII. Gemeindeschulden Im Gemeinde-Archiv von Villingen findet sich umfangreiches Material zu den Gemeindeschulden. Ist also das Schuldenmachen der öffentlichen Haushalte doch, wie wir hier sehen, nicht eine Erfindung unserer Zeit, sondern reicht weit zurück. Die in Abtlg. XV / 6. Abschn. Konvolut 82, Fasz. 1-31 vorliegenden Unterlagen beginnen 1663 und reichen fast bis in unsere Tage, wenn wir auch die letzten Urkunden noch nicht veröffentlichen wollen und dürfen. Ein weiteres interessantes Detail dieser Unterlagen ist wieder die Schreibweise für „Villingen“ wir bitten dies zu beachten. Noch ein Wort zu den öffentlichen Schulden heute, gerade als ich diesen Beitrag geschrieben habe (Ende Februar 2004), erschien in der Giessener Allgemeinen Zeitung hierüber eine Notiz, danach ist der Schuldenstand von Bund, Ländern und Gemeinden in Deutschland derzeit auf 1,3 Billionen € angewachsen.45 Das sind genau 1325,6 Milliarden, eine unvorstellbare Summe, das sind auch 72,4 Milliarden mehr als noch im Vorjahr, wo soll das hinführen? Kein Wunder das fast alle öffentliche Systeme nur noch ganz eingeschränkt funktionieren. Selbst unsere Landeskirche muss sparen und will zunächst das Haushaltsvolumen um 10% senken. Wie es den Renten-, den Krankenund den Pflegesystemen geht, steht fast jeden Tag in der Zeitung zu lesen. Aber auch so sensible Bereiche wie die Passkontrollen auf dem Münchener Flughafen sind wegen Personalmangel zeitweise nicht mehr funktionstüchtig gewesen, ein klarer Verstoß gegen das Schengener Abkommen, und das zu einem Zeitpunkt in dem weltweit Terrordrohungen bestehen. Erwähnenswert aus dieser Akte des Gemeinde-Archivs sind die vielen gut erhaltenen Gerichtssiegel. Doch folgen wir zunächst einmal unserem Gemeinde-Archiv: Wir wählen hier den Originaltext wie in dem Regestenund Findbuch der Gemeinde aufgezeichnet: Konv. 82, Fasz. 1: Kapitalaufnahmen, hier: Schultheiß, Gerichts-Schöffen, Bürgermeister und Ausschuss, oder Deputierte wegen der Gemeinde: Veith Daniel Pfarr(er), Philipp Kahl, Georg Zimmer, 45 Giessener Allgemeine vom 27.02.04. Seite 1. 65 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Hanß Funk, Philipp Grohe und Seybert Hayn: 108 Reichsthaler von Herrn Johann Philipp Raabe aus Langsdorf: 1663 46 Fasz. 2: Kapitalaufnahmen, hier: Schultheiß, Bürgermeister und sämtliche Gemeinde; 30 Gulden von Maria Scheffer zur Erbauung der Kirche: 1697 (mit Notiz der Rückzahlung 1698) Fasz. 3: Kapitalaufnahmen, hier: Gerichtsschultheiß, Bürgermeister und sämtliche Gemeinde; 185 Gulden von Rath Sames aus Hungen, zur Unterstützung des Grafen Friedrich Wilhelm zu Solms: 1729 (Vermerk der Rückzahlung 1743, beschädigtes großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) Fasz. 4: Kapitalaufnahmen, hier: Gerichtsschultheiß. Bürgermeister und Vorsteher, 400 Gulden Frankfurter Währung von der verwitweten Hof- und Regierungsräthin von Glotz aus Lich: 1742 (mit einer Schenkungs-Eintragung und Notiz zur Rückzahlung 1748, beschädigtes großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) 46 Es ist heute bemerkenswert, dass die Kreditaufnahmen damals fast ausschließlich von Privaten erfolgte, das heißt ganz einfach, Sparkassen gab es noch nicht in unserer Gegend. Raiffeisen (Raiffeisen, Friedrich Wilhelm, Sozialreformer, *Hamm/Sieg Kreis Altenkirchen, Westerwald 30.3. 1818, + Neuwied 11.3. 1888); schuf als einer der ersten das auf solidarischer Selbsthilfe beruhende ländliche Genossenschaftswesen, besonders die ländlichen Kreditgenossenschaften (1864 Heddesdorfer Spar- und Darlehenskassenverein). In unserer Gegend waren bereits die Fürsten von Solms dem guten Beispiel vorangegangen, besonders hervor trat dabei Prinz Ferdinand zu Solms-Lich, hierüber haben wir an anderer Stelle in dieser Reihe schon berichtet (Hausierhandel und Verschuldung in der Gemeinde Ettingshausen). Für die Sparkasse Laubach gab Graf Otto zu Solms dem Aktuaren Hess den Auftrag: „... zu Nutzen und Frommen der Eingesessenen“ eine Sparkasse zu gründen, am 9.3.1833 war dann bereits die Gründungsversammlung. In Hungen hören wir aus einer Einladung vom 15.Oktober 1839 von der Absicht, eine Spar- und Leihkasse zu gründen die dann den Geschäftsbetrieb Mitte Juni 1840 aufnahm. Die Sparkasse Grünberg wurde genauso wie die in Gießen 1834 gegründet. In Grünberg hören wir vom „Verein für die Errichtung einer Kredit- und Sparkasse“, in Gießen von der Spar- und Leihkasse. (nach Firmenportrait in: Der Landkreis Gießen, Stuttgart, 1976, Seite 316). 66 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Fasz. 5; Kapitalaufnahmen, hier: Schultheiß, Bürgermeister und Gerichts-Schöffen; 147 Gulden von Herrn Johann Jung aus Freienseen: 1748 (Großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) Fasz. 6: Kapitalaufnahmen, hier: Gerichtsschultheiß, Bürgermeister und Gericht-Schöffen; 67 Gulden von Herrn Johann Otto aus Münzenberg: 1754 (Vermerk der Abtragung 1756; großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) Fasz. 7: Kapitalaufnahmen, hier: Gerichtsschultheiß, Bürgermeister und sämtliche Gericht-Schöffen; 80 Gulden Frankfurter Währung von Görg Ernst Milchling aus Lich: 1754 (Abgetragen 1756; beschädigtes großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) Fasz. 8: Kapitalaufnahmen, hier: Gerichtsschultheiß, Bürgermeister und Gericht-Schöffen; 42 Gulden von Johann Esaias Leschhorn: 1758 (Notiz zur Rückzahlung 1768) Fasz. 9: Kapitalaufnahmen, hier: Gerichtsschultheiß, Gerichtschöffen und Bürgermeister; 50 Gulden von dem Schulmeister Johann Esaias Leschhorn: 1759 (Abtragung 1768) Fasz. 10: Kapitalaufnahmen, hier; Gerichtsschultheiß, Bürgermeister und Gerichtschöffen; 200 Gulden von dem Herrn Rath Friedrioh Curd Sames: 1759 47 Fasz. 11: Kapitalaufnahmen, hier: Gerichtsschultheiß, Bürgermeister und Vorsteher; 200 Gulden von Wilhelm Carl Friedrich Sames Hochfürstlicher Rath aus Hungen: 1759 (Vermerk zur Rückzahlung 1785, beschädigtes großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) Fasz. 12 Kapitalaufnahmen, hier: Bürgermeister und Gerichtschöffen; 420 Gulden von Johann Henrich Hoffmann aus Langsdorf, zur Bezahlung der durch die Franzosen verursachten Kosten: 1760 (Rückzahlung 1782; beschädigtes großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) 47 Es fällt auf, dass einige Kredite schon binnen 2 Jahre zurückgezahlt wurden andere erst viel später vergl. Bspw. Fasz. 16. 67 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Fasz. 13; dgl., hier: Über 230 Gulden: 1761 (dgl.) Fasz. 14: Kapitalaufnahmen. hier: Bürgermeister und Gerichtschöffen; 184 Gulden von Johann Wilhelm Nürnberger zur Zahlung von Kriegskosten: 1762 Fasz. 15: Kapitalaufnahmen, hier: Gerichtsschultheiß, Bürgermeister und Gerichtschöffen; 200 Gulden Frankfurter Währung von Herrn Rath Sames aus Hungen: 1775 (Abgetragen im Jahre 1785; beschädigtes großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) Fasz. 16: Kapitalaufnahmen, hier: 200 Gulden Frankfurter Sorte von Johannes Jox (?)48 aus Nieder-Bessingen: 1779 (Abgetragen 1809; beschädigtes großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) Fasz. 17: Kapitalaufnahmen, hier: 2000 Gulden Frankfurter Währung von Herrn Bereiter Hartig aus Zwingenberg: 1779 (Rückzahlung 1784; beschädigtes großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) 49 Fasz. 18 Kapitalaufnahmen. hier: Schultheiß, Vorsteher und Bürgermeister; 1000 Gulden von Johannes Jox (?) aus OberBessingen: 1780 (Abgetragen 1807; beschädigtes großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) Fasz. 19: Kapitalaufnahmen, hier: Gerichtsschultheiß, Bürgermeister und Gerichtschöffen; 300 Gulden von dem Schreiner-Meister Johannes Jox (?) aus Ober-Bessingen: 1780 (Abgetragen 1809, beschädigtes großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) Fasz. 20: Kapitalaufnahmen, hier: Schultheiß, Vorsteher und Bürgermeister; 500 Gulden Frankfurter Währung von Henrich Sarth aus Ober- Bessingen: 1780 (Abgetragen 1786; beschädigtes großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) 48 wir haben den Namen zuerst als Joy gelesen, doch der Name kommt dort nicht vor, sodass wir annehmen er heißt Jox. 49 es ist schon ganz erstaunlich von wo das Geld zusammen geliehen wurde. 68 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Fasz. 21: Kapitalaufnahmen, hier: 300 Gulden von Johann Philipp Keil: 1780 (Abgetragen 1795, beschädigtes großes Lacksiegel des Obergerichtes Vilden) Fasz. 22: Kapitalaufnahmen, hier: Schultheiß. Gerichtschöffen und Bürgermeister: 50 Gulden Frankfurter Währung von Johannes Klein: 1781 (gut erhaltene. Lacksiegel des Schultheißen zu Vildingen)50 Fasz. 23: Kapitalaufnahmen, hier: 200 Gulden 1782 (dgl.) Fasz. 24: Kapitalaufnahmen, hier: 1100 Gulden Frankfurter Währung von Forstmeister Winkelmann: 1784 (dgl.) Fasz. 25: Kapitalaufnahmen, hier: 400 Gulden guter und gangbarer Münze, von Johann Henrich Kolb: 1785 (dgl.) Fasz. 26: Kapitalaufnahmen, hier: 400 Gulden Frankfurter Währung von Herrn von Cinterroth: 1788 (beschädigtes Lacksiegel des Schultheißen zu Vildingen)51 Fasz. 27: Kapitalaufnahmen, hier: 200 Gulden Frankfurter Währung von Christoph Wagner: 1791 (Abgetragen 1796; gut erhaltenes Lacksiegel des Schultheißen zu Vildingen)52 Fasz. 28: Kapitalaufnahmen, hier: Schultheiß, Bürgermeister und Gerichtschöffen; 250 Gulden Frankfurter Währung von dem Gasthalter Conradt Wentzel aus Hungen: 1791 (Abgetragen 1801; beschädigtes Lacksiegel des Schultheißen zu Vildingen)53 Fasz. 29: Schuldverschreibung über 40 000.-Mark für die Wasserleitung. bei der Bezirkssparkasse Laubach:54 1908 Fasz. 30: Darlehensaufnahmen: 1949 - 1976 Und zuletzt noch die Fasz. 31: Schuldenstand: 1957 - 1976 (über die beiden letzten dürfen wir leider noch keine Einzelheiten berichten) 50 hier haben wir wieder eine neue Schreibweise des Ortsnamen. wie vor. 52 wie vor. 53 wie vor . 54 Siehe dazu Sonderheft dieser Reihe „Die Villingener und ihr Wasser“. 51 69 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Hier folgen nun zwei ähnliche Originalurkunden aus dem GemeindeArchiv. Abb. Kapitalaufnahme der Gemeinde Villingen von 1760, Fasz. 82/12. Die Urkunde ist fast identisch mit der auf Seite 72 70 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Transkribierung: Urkunde über Kapitalaufnahme der Gemeinde von 1782, (vorherige Seite) Wir zu End unterschriben Bürgermeister und Gerichtschöffen in Villingen dun kund und bekennen hiermit ofentlichen Dags uns der Ersame H. Johann Heinrich Hoffmann und desen Eheliche Hausfrau Ana Elizabätha, Bürger in Langsdorff, uns in unseren Nöthen wegen deren gemachten Königlich Fransoischen Un Kosten so wir haben machen müsen gelehnet auf unsere Gemeind Vierhondert und zwantzig Gülten, ich sätze = 420 fl guter Gülten zu treißig Alb. gezahlet. Welches Geld der Borgermeister Johan Conrad Zimmer von ihnen hat bar und wohl gezahlet an gutem Gang bahrem Geld empfangen und eingenommen hirgegen Verpflicht ihnen dem H. Johan Hofmann oder desen Erben so lang als dieses Capital stehen bleibt alle Jahr mit vier Gülten in intereße55 von jäglichem Hondert zu bezahlen. Hergegen aber setzen wir ihnen zu einem unter Pfand acht Morgen Wiesen auf unser Gemeinden Pfingstweid, stößt auf den gemeinen Weg und auf den Herrschaftlichen Weier, welche wir Gerichtschöffen vor Capital und Pension vor genuchsampt56 erkand Haben wan er söllt heut oder Morgen zu seiner Bezahlung nicht gelangen kennen57 das sich obgedachte Ehleut witer (?) zu ihrer bezahlung kennen bezahlt machen welches wiro doch nicht verhoffen wollen. Hiermit haben wir solches zu Wahrheit mit unserem hiesigen Gerichtsiegel unterdrücket und mit unserer eigen Hand unterschrift bezeuget. So geschehen Villingen den 23. Tag Septimbro Ano 1760 Johann Conrad Zimmer, Bürgermeister Johann Gerhard Leschhorn, Gerichtschöff Conrad Zimmer, Gerichtschöff Johannes Zimmer, Gerichtschöff Johannes Pauly, Gerichtschöff Obigeß Capithal ist richtig bezahlt den 13ten December 1782, bekenn ich Johann Heinrich Hoffmann. 55 steht hier für Zinsen. ausreichend. 57 können. 56 71 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. Urkunde Kapitalaufnahme der Gemeinde Villingen von 1762, Fasz. 82/13. Die Urkunde ist fast identisch mit der auf Seite 70 72 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Die 2. Urkunde, die wir hier im Original abbilden, hat fast den gleichen Text wie die zuvor dargestellte Urkunde, sodass wir auf die volle Wiedergabe verzichten, statt dessen will ich das schöne Gerichtssiegel aus dieser Urkunde einmal vergrößert darstellen, da muss man es bedauern, dass unsere Villingener Hefte aus Kostengründen nicht farbig erscheinen können. Teiltranskription: Den 3 tag Septembro Ano 1762 Wegen der Koeniglichen Frantzösischen fanthere (?) und sonsten gemachten Unkosten .... und geborgt hat zweyhontert und Dreißig Gülten ich setze 230 fl gute Gülten zu dreißig Alb gezahlet welches Geld der Borgermeister Heinrich Daniel Roth ....Hergegen aber setzen wir ihnen zu Einem unter Pfand vier Morgen Wiesen auf der Pfingstweidt an dem Graben her gelegen.... So geschehen Villingen den 3 tag Septembro Ano 1761 (? 1762) Daniel Roth, Bürgermeister Johann Gerhard Leschhorn, Gerichtsschöff Conrad Zimmer, Gerichtsschöff Johannes Zimmer, Gerichtsschöff Johannes Pauly, Gerichtsschöff Obiges Capital ist richtig bezahlt den 13ten December 1782, Bekenn ich Johann Heinrich Hoffmann. Abb. Vergrößerung des Gerichtssiegel von Villingen aus der Urkunde von 1762 73 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. historische Ansichtskarte 1 aus dem Archiv des HAK (1950-1960) 74 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. historische Ansichtskarte 2 aus dem Archiv des HAK (1954-1962) 75 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. historische Ansichtskarte 3 aus dem Archiv des HAK (1964-1970) 76 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Abb. historische Ansichtskarte aus dem Archiv des HAK (ca. 1970) 77 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Das Autorenteam: Heinz P. Probst, Queckborn, hat die einzelnen Beiträge des vorliegenden Heftes geschrieben und das Heft gesetzt und gestaltet. Wilhelm Konrad, Villingen, hat die Ortschronik u. a. Urkunden in eine für uns heutige Menschen lesbare Schrift übertragen. Otto Rühl, Villingen, hat einzelne Archivunterlagen für dieses Heft recherchiert. Er ist für den Verkauf und Versand der Hefte verantwortlich. Dr. Ulrich Kammer, Laubach, hat das vorliegende Heft gegengelesen, die Rechtschreibung und Transkribierungen noch einmal überprüft und ggf. korrigiert. Herausgeber: Heimatkundlicher Arbeitskreis innerhalb der Evangelischen Kirchengemeinde Villingen / Nonnenroth, Hirzbacher Weg 8, Hungen-Villingen ©Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und sonstige Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verfassers 2006 78 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen Es haben die Arbeit des HAKs Villingen für das Jahr 2006 mit Geldspenden unterstützt, dafür vielen Dank Stadtarchiv Hungen Ortsbeirat Villingen 79 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen 80 www.villingen-online.de VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen 81 www.villingen-online.de