Sieben auf einen Streich!

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Sieben auf einen Streich!
 »Sieben auf einen Streich!« Wiener Taschenoper Tapferes Schneiderlein: Elisabeth Rombach
Prinzessin: Theresa Dlouhy
Ratgeber 1/Wildschwein: Clemens Kölbl
Ratgeber 2/Einhorn: Gebhard Heegmann
König: Jürgen Maurer
Bass: Karl Sayer
Keyboards: Michael Tiefenbacher
Erzähler: Florian Liewehr
DAS TAPFERE SCHNEIDERLEIN Kleine Oper nach den Brüdern Grimm
Musik: Wolfgang Mitterer
Libretto: Helga Utz
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Werkstatt, Marmelade und Fliegen09:53
Wanderlied und Riese 106:20
Garten04:19
Königshof05:28
Wildschwein04:21
Ratgeber02:58
Einhorn und Hochzeit04:00
Schlafgemach05:02
Aufwachen, 2 Riesen und Finale10:34
Gesamtspielzeit52:56
Kompositionsauftrag der Wiener Taschenoper
2006 uraufgeführt im Rahmen einer Inszenierung der Wiener Taschenoper
durch Jewgenij Sitochin im Dschungel Wien.
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1 | werkstatt, marmelade und fliegen Schneiderlein Hmm …
Erzähler Es war einmal ein kleiner Schneider.
Er saß in seiner kalten Werkstatt und nähte aus Leibeskräften.
Schneiderlein Bitte sehr und bitte gleich, ob arm oder reich,
alles was ein Schneider nähen kann,
Jacke, Bluse, Hemd und Hose, oder ist gar etwas lose,
alles können Sie bestell’n, von dem Stoff nehm’ ich dann zwölf Ellen.
ich schneide zu und schneide zu,
da zwanzig Meter, dreißig Meter,
zwanzig Meter, dreißig Meter …
Hmm …
Bitte sehr und bitte gleich, den Turban möcht der Scheich.
Der Förster will ein Wetterfleck, ein Seidenkleid Frau Konarek.
Der Frau Geheimrat ihr’m Mann, der nur ein Beinchen hat,
mach ich die Hose billiger, und auch noch etwas fülliger.
Frau Schmidt, die will ein Rüschenkleid,
das mach ich ihr dann ganz schön weit,
das mach ich ihr dann ganz schön weit …
Hmm …
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Erzähler Da kam eine Marmeladenverkäuferin des Weges.
Das Schneiderlein hörte sie schon von Weitem rufen und es klang ihm lieblich in den Ohren. Schneiderlein Hmm … Was für ein süßer Duft steigt mir in die Nase!
Marmeladenverkäuferin So so, eine Schneiderwerkstatt! Und du bist also
der Schneider. Na viel dran ist ja nicht an dir! Erzähler Die Frau besah sich das Schneiderlein – er war sehr mager! Das Schneiderlein betrachtete die vielen bunten Gläser – das Wasser lief ihm im Munde zusammen! Schneiderlein So zeig’ sie mir ihre süßen Marmeladen!
Marmeladenverkäuferin Hmm – Erdbeer, Himbeer, Ribisl, Zwetschke
Schneiderlein Geld? Ach so, ja, – Geld!
Marmeladenverkäuferin Ohne Geld gibt es nichts!
Erzähler Aber wovon sollte er bezahlen?
Schneiderlein Hier muss noch etwas sein!
Erzähler Und das Schneiderlein kramte in seinen
Taschen bis es eine winzige Münze fand.
Schneiderlein Hierfür möchte ich von – dieser Marmelade!
Marmeladenverkäuferin Du schäbiger Wicht! Deshalb mich holen?
Schneiderlein So gib sie her!
Marmeladenverkäuferin So geht das nicht!
Du Nichtsnutz! Du spitznasiger Habenichts! Grashalm!
Haselstecken!
Schneiderlein Diese – diese!
Marmeladenverkäuferin Du schäbiger Wicht!
Deshalb mich holen? Deshalb mich holen?
Schneider, Schneider, Hungerleider!
Schneider, Schneider, Hungerleider!
Schneiderlein Diese!
Schneiderlein Diese – und diese – und die gelbe! Und
Erzähler Die Marmeladenverkäuferin war sehr erbost, doch
mit Vanille, Schwarzbeer, Brombeer, Agrasl, Quitte und Marille.
Erzähler Das Schneiderlein griff nach einem Glas.
Welche Marmelade willst du denn kaufen?
die rote! Und die grüne! Und die blaue!
Marmeladenverkäuferin Wo ist das Geld?
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schließlich gab sie ihm ein kleines Glas süßer Marmelade.
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Schneiderlein Hmm!
Erzähler So saß das Schneiderlein zufrieden da, holte das Brot aus dem
Schrank, schnitt sich ein Stück über den ganzen Laib und strich die
Marmelade darüber. Schneiderlein Hmm!
Erzähler »Das wird mir schmecken«, sprach er, »aber erst will ich fertig
nähen, ehe ich abbeiße.« Er legte das Brot neben sich, nähte weiter und
machte vor Freude immer größere Stiche. Indes stieg der süße Geruch von dem Brot hinauf an die Wand.
Das Schneiderlein sprang auf und bewaffnete sich mit Nadel und Zwirn.
»Ei, wer hat dich eingeladen?« sprach das Schneiderlein,
doch schon surrten die Freunde der Fliege herbei.
Er jagte die ungebetenen Gäste fort, doch sie kamen in immer größerer
Gesellschaft wieder. Das Schneiderlein musste sein Brot nach allen Seiten
verteidigen und endlich wurde es ihm zu bunt. »Wart, ich will es euch geben!«, rief er.
So lagen nicht weniger als sieben vor ihm tot!
Schneiderlein Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben.
Oh – SIEBEN auf einmal!
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Erzähler Es selbst musste seine Tapferkeit bewun-
dern. Alle sollten wissen, was es für ein Kerl war!
Schneiderlein Das soll die ganze Stadt erfahren,
das soll die ganze Stadt erfahren.
Schneider, Schneider, Schneider, Schneider,
bist ab heut kein Hungerleider …
Denn seit heut bist du ein Held!
Heute ziehst du in die Welt.
Schneider, Schneider, Schneider, Schneider,
bist ab heut kein Hungerleider,
Schneider, Schneider, Schneider, Schneider,
bist ab heut kein Hungerleider.
Aus mit »bitte sehr und bitte gleich!«
Nur mehr: »Siebene auf einen Streich!«
Nur mehr: »Siebene auf einen Streich!«
Erzähler In der Hast schnitt er sich einen Gürtel, nähte ihn und stick-
te mit großen Buchstaben darauf: »Siebene auf einen Streich!«
Er band den Gürtel um, packte einen alten Käse als
Proviant ein und zog vergnügt von dannen.
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2 | WANDERLIED UND RIESE 1
Schneiderlein Die Werkstatt ist mir viel zu klein,
die Welt muss jetzt erobert sein …
Vom Schneidersein hab ich genug,
ich wand’re in die Welt hinein.
Die Werkstatt ist mir viel zu klein,
die Welt muss jetzt erobert sein!
Ich wand’re in die Welt hinaus
und suche mir ein größ’res Haus.
Bitte sehr, bitte gleich, siebene auf einen Streich.
Ich wand’re in die Welt hinaus
und suche mir ein größ’res Haus.
Bitte sehr, bitte gleich, siebene auf einen …
Erzähler Nicht lange danach war der Weg versperrt
von etwas, was er noch nie gesehen hatte.
Schneiderlein Hoppla!
Erzähler Er betrachtete es näher: Das waren ja riesengroße Füße! Und die –
gehörten einem riesenhaften Riesen! Das Schneiderlein erschrak, doch dann
erinnerte er sich an seine Tapferkeit. Frech sprach das Schneiderlein den
Riesen an und prahlte bis der Riese erschrak: 10
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Schneiderlein Guten Morgen, Kamerad!
Guten Morgen, Kamerad!
Der Blaue Riese Grrrr!
Schneiderlein Und? Besiehst du dir die weite Welt?
Hast du Lust mitzugehen?
Der Blaue Riese Grrrrr, Grrrrr, Grrrrr!
Du Lu-lu … du Lu-lu!!!
Schneiderlein Wie bitte?
Der Blaue Riese Du Wi-wi-wi! Du Za-za-za …
Du Lu-lu!!! Du Lump! Du Wi-wi-wi! Du Wicht!
Du Za-za-za … Zahnstocher!
Schneiderlein Za-za-za? Zahnstocher? Wen meint denn der?
Höre! Du wei-wei-wei … du weißt wohl nicht, mit wem du es zu tun hast!
Der Blaue Riese Grrrrr!
Schneiderlein Lies das! Ein ganzes Heer hab ich vertrieben!
Mit jedem Streich erwisch ich sieben! Der Blaue Riese Grrrrrr!
Du ha-ha-ha! Du ha-ha-ha! Du ha-ha-ha!
Schneiderlein Was gibt es denn da zu lachen?
Der Blaue Riese Du ha-ha-ha … du ha-hast sieben auf einmal erledigt?
Du Za-han-stocher! Du-lu gefällst mir. Gib mir doch dieses Steinchen!
Grrrrrrr! Siehst du diesen Stein? Ich bin so stark, wenn ich ihn quetsche,
werden Wassertropfen aus ihm herauskommen! Was sagst du nun, Zahnstocher? Kannst du das auch?
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Schneiderlein Das konnte ich schon als Baby!
Jetzt schau genau zu! Siehst du diesen Stein?
Erzähler Das Schneiderlein holte den weichen Käs’
und drückte ihn, dass der Saft herauslief.
Der Blaue Riese Oh … nicht schlecht, Zahnstocher.
Jetzt wollen wir um die Wette werfen. Gib mir noch einen Stein!
Erzähler Nun warf der Riese einen schweren Stein so hoch,
dass man ihn mit Augen kaum noch sehen konnte.
Der Blaue Riese Hahaha … jetzt kommst du dran, Enterich!
Erzähler »Gut geworfen«, sagte der Schneider, »aber ich will
dir einen werfen, der soll gar nicht wiederkommen.«
Er griff in die Tasche, aber nahm heimlich einen Vogel
aus dem Gesträuch und warf ihn in die Luft.
Schneiderlein Ich werde so hoch werfen, dass der Stein gar nicht mehr
herunterfällt! Was sagst du nun?
Der Blaue Riese Du bist nicht schlecht, Zahnstocher!
Du bist gewiss ein berühmter Held und willst dein
Glück am Königshof machen! Hmm …
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Schneiderlein Held? Königshof? Glück machen? Ja genau das hatte ich vor!
Sag mal, wo ist denn dieses Königsschloss?
Der Blaue Riese Das sag’ ich dir nicht, du Enterich! Hahaha …
Schneiderlein Was! Ich quetsche deinen Kopf wie den Stein vorhin und dann
werf ’ ich dich in die Luft, dass du nicht wiederkommst! Sagst du es jetzt?
Sagst du es jetzt? Erzähler Und schrie den Riesen an, bis dieser die Flucht ergriff.
Schneiderlein Der war aber schnell weg. So groß und
so feig! Se-se-selber Za-za-za-zahnstocher …
Erzähler Das Schneiderlein zog weiter, immer seiner spitzen Nase nach.
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3 | GARTEN Erzähler Da er Müdigkeit empfand, legte er sich
ins weiche Gras und schlief ein.
Schneiderlein (schnarcht)
Das muss ich Papa erzählen! Meine Freundinnen werden sauer sein!
Ein Prinz für mich ganz allein!
Ein Prinz für mich ganz allein …
Erzähler Als sie ihn fand, wusste sie zuerst nicht, was es wäre, doch als sie las:
»Siebene auf einen Streich«, wollte sie ihn zum Mann und lief zum König.
Erzähler Er ahnte nicht, dass er im Garten des Königs lag,
in dem die Prinzessin immer Blumen pflückte.
Königstochter Petersil und Suppenkraut wächst in unserm Garten,
Petersil und Suppenkraut wächst in unserm Garten,
ach, wie schön wär ich als Braut …
Petersil und Suppenkraut wächst in unserm Garten,
Petersil und Suppenkraut wächst in unserm Garten,
ach, wie schön wär ich als Braut … wie schön wär ich als –
Was ist denn das?
Ein Frosch? Ein Schwein? Ein Walfisch?
Oh … hier liegt ja – ein Mann!
»Sieben auf einen Streich!« Das ist kein Mann, das ist ein Held!
Ein Prinz, ein Held, ein Prinz! Ein Held, ein Prinz!
Wie herrlich! Wie herrlich! Das habe ich mir immer gewünscht! Wie herrlich! Herrlich! … Ein Mann, ein Held, ein Prinz …
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4 | KÖNIGSHOF Erzähler Der König war ein mächtiger König mit einem großen Königreich,
einem goldenen Thron und einer goldenen Krone.
Er hatte eine Tochter, und zwei Ratgeber, die ihm aber meistens keinen Rat gaben, sondern heftig miteinander stritten. Sie stritten wegen jedem und allem, und selten waren sie sich einig.
Ratgeber 1 Grün.
Ratgeber 2 Blau.
Ratgeber 1 Grün!
Ratgeber 2 Blau!
Ratgeber 1 Grün! Ich sage dir, es ist grün!
Ratgeber 2 Nein!
Ratgeber 1 Ja!
Ratgeber 2 Nein!
König Seid still! Ich muss regieren.
Erzähler Sie hielten kurz inne und dann ging es wieder los:
Ratgeber 2 Es ist blau!
Ratgeber 1 Grün!
Königstochter Papa! Papa! Papa! Ich habe einen Prinzen gesehen!
Einen großen starken Helden! Er schläft draußen auf der Wiese.
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König Ein Held? Das klingt interessant.
Königstochter Kann ich ihn haben? Papa, ich will ihn!
Ratgeber 1 Ein Held ist gut!
Ratgeber 2 Ein Held ist schlecht!
Ratgeber 1 Gut!
Ratgeber 2 Schlecht!
Erzähler Sie berieten sich, bis der König sprach:
König Nun, man bringe den Helden einmal her.
Ratgeber 1 Held herbringen!
Ratgeber 2 Held herbringen!
Königstochter Ein Prinz ist genau das Richtige für mich. Ein Prinz ist ge-
nau das Richtige für mich. Schließlich bin ich alt genug. Ich will eine neue
Kutsche bei der Hochzeit, mit sechs Pferden und zwölf Dienern, die sollen
auch meine Schleppe halten, die muss mindestens vierzehn Meter lang sein,
und alles muss übertragen werden … König … übertragen?
Königstochter Papa! Im Fernsehen natürlich!
König Ach so!
Königstochter Und die Rosen, die müssen aus Spanien
sein, und ich will … Ist er nicht süß!
Ratgeber 1 Nicht Süß!
Ratgeber 2 Süß!
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Ratgeber 1 Nicht süß!
Ratgeber 2 Süß!
Königstochter Ist er nicht süß!
König »Sieben auf einen Streich!« Das klingt nicht schlecht!
Ratgeber, gebt mir einen Rat!
Ratgeber 1 Wenn ich untertänigst einen Rat geben darf,
solche Helden braucht das Land! Ratgeber 2 Wenn ich untertänigst einen Rat geben darf,
solche Helden braucht das Land – nicht!
Braucht niicht!
Ratgeber 1 Braucht!
Ratgeber 2 Braucht niicht!
Bist du verrückt? Wenn er tüchtig ist, wird der König ihm vertrauen!
Dann braucht er uns nicht mehr! Wir müssen ihn loswerden!
Ratgeber 1 Loswerden?
Ratgeber 2 Loswerden! Loswerden!
Beide Ratgeber Nun wir haben Rat gehalten,
uns’re Ansicht ist gespalten.
Man sieht nicht mit dem bloßen Auge,
ob der Mensch wirklich was tauge.
Darum geben wir den Rat:
Zeigen wird es erst die Tat.
Düster dort wo der Wald am tiefsten ist,
wo Schlange sich und Uhu grüßt,
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dort haust ein Tier, vor dem uns graut,
es ist sehr stark, es grunzt sehr laut,
es rennt sehr schnell, es ist voll Zorn,
den scharfen Zahn, den trägt es vorn.
Ratgeber 1 Will er die Prinzessin kriegen …
Ratgeber 2 … soll er das Wildschwein erst besiegen!
Königstochter Das Wildschwein?
Erzähler Die beiden Ratgeber waren eifersüchtig und hofften, dass
das Wildschwein den Schneider totbeißen würde, doch die Prinzessin
war sehr stolz auf ihren Helden und freute sich auf die Hochzeit.
Erzähler Das Schneiderlein erwachte. Es blickte sich um und staunte nicht
schlecht, als es den mächtigen König, die schöne Prinzessin und die beiden
klugen Ratgeber sah. Schneiderlein Ein Wildschwein? Das kommt mir gerade recht. Meine
Glieder sind schon eingerostet. Königstochter Das Wildschwein?
Erzähler Und als er hörte, dass er gegen ein gefährliches
Wildschwein kämpfen sollte, war es sofort einverstanden.
König Welcher Mut! Der packt alles richtig an!
Ratgeber 1 Welcher Schwung! Das ist ein Mann! Welche Tatkraft!
Ratgeber 2 Das ist schlecht!
Ratgeber 1 Nein, das ist gut!
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5 | WILDSCHWEIN Erzähler Das tapfere Schneiderlein ging in den tiefen Wald, das
wilde Schwein zu suchen. Der Wald wurde immer finsterer. Und
als er an eine kleine Kapelle kam, hörte er es auch schon.
Wildschwein Grounk! Grounk! Grounkadounk! Groouuuhhhh!
Alles mach ich nieder,
ich muss der Stärkste sein!
Nichts gibt es, was die Wut mir stillt!
Ich bin ein wildes Schwein!
Ich bin brutal und wild!
Ich fresse alles blind!
Ich bin brutal und wild!
Ich fresse alles blind!
Schneiderlein Ups! Da muss man ganz schön aufpassen!
Wildschwein Groouuuhhhh!
Ich bin brutal und ich bin wild!
Ich fresse alles blind!
Nimm dich in Acht, Regenwurm!
Dich mach’ ich fertig mit meiner kleinen Zehe!
Alles mach ich nieder.
Ich bin brutal!
Ich bin so wild!
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Ich bin brutal! Ich nehme keine Rücksicht!
Ich bin ein wildes Schwein …
Erzähler Das Schneiderlein sprang in die Kapelle, und gleich
Erzähler Das Schneiderlein fürchtete sich, weil das Schwein so
Wildschwein Erst hol’ ich dich! Dann beiß’ ich dich! Zerreiß’ ich dich!
Schneiderlein Ich bin hier!
Wildschwein Ich bin brutal! Ich hole dich!
furchterregend grunzte und die spitzen Zähne zeigte,
aber er erinnerte sich, dass er sieben auf einen Streich erledigt hatte, und wartete eine Gelegenheit ab, um das Schwein zu überlisten. Das Schneiderlein schlich herum, dann sprang es aus dem Dickicht und schrie das Wildschwein an: oben zum Fenster in einem Satze wieder hinaus.
So radikal! Ich beiße dich!
Schneiderlein Ich bin hier!
Wildschwein Ich bin brutal! Ich hole dich! So radikal! Ich beiße dich!
Schneiderlein Du bist zu langsam!
Schneiderlein Ich kämpfte gegen sieben, ich kämpfte ganz allein.
Der Stärkste, der bin ich! Das tapf ’re Schneiderlein!
Wildschwein Groouuuhhhh! Komm her! Feigling! Hier!
Hol mich doch! Hol mich doch!
Wildschwein Grrrr … zerreiß’ ich dich!
Erzähler Der König war neugierig und war dem Schneiderlein heimlich in
hüpfte außen herum und schlug die Tür hinter ihm zu.
Da hatte das Schneiderlein nun auch das wilde Wildschwein besiegt!
Im Schloss versuchten die beiden Ratgeber unterdessen
dem König kühlende Umschläge zu machen.
den Wald gefolgt. Aber als er dem Schwein zu nahe kam, traf es ihn mitten
ins Gesicht! König Au! Mein königliches Au-au-auge!
Dieses niederträchtige Schwein, niederträchtig und gemein! 
Wildschwein Wo bist du?
Schneiderlein Hier bin ich!
Wildschwein Wo bist du?
Schneiderlein Hier bin ich! Hier bin ich!
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Erzähler Das Schwein war hinter ihm hergelaufen, er aber
König Au! O-o-o! Ah! Dieses niederträchtige Schwein! A … Au! Nicht so! Du bist so ungeschickt!
Nun? Wie sehe ich aus?
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6 | RATGEBER Erzähler Stolz kam das Schneiderlein an den
Königshof, um seinen Sieg zu verkünden.
Schneiderlein Herr König!
Das Schwein – ist besiegt.
König Ist es wirklich tot?
Schneiderlein Mein Gegner war nicht so glücklich wie ich,
der Stärkere hat gewonnen. Ratgeber 2 Nicht zu glauben!
König Was machen wir jetzt? Sollen wir ihm wirklich die Prinzessin
und das halbe Königreich geben? Ratgeber 1 Geben!
Ratgeber 2 Nicht geben!
Ratgeber 1 (brabbeln) Erzähler Die Ratgeber waren sehr erstaunt. Sie hielten eine Beratung
ab und stellten dem Schneiderlein eine noch schwierigere Aufgabe.
Ratgeber Das ist der Ratschluss, tief und klug:
Geprüft ist er noch nicht genug!
Dort wo am grünsten ist die Au,
wo wandelt Kakadu und Pfau,
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dort wohnt ein Tier, sehr stolz und prächtig,
das großer Zauberkräfte mächtig,
die Zauberkraft wohnt in dem Horn,
das trägt es auf der Nase vorn.
Ratgeber 1 Will dieser die Prinzessin kriegen …
Ratgeber 2 … soll er das Einhorn erst besiegen!
Königstochter Das Einhorn hat magische Kräfte!
Schneiderlein Und wenn schon! Ich habe auch Kräfte!
Königstochter Wenn du siegst, werden wir Mann und Frau!
König Viel Glück, junger Mann! Ein großer Mann, ein starker Held!
Bei ihm ist das Königreich in guten Händen.
Königstochter Ich auch Papa! Papa ich auch.
Ich bin auch in guten Händen! Papapa …
Aber ich will zur Hochzeit eine sechzehnstöckige Torte
mit Marzipanherzen und hellblauen Servietten.
Papapapapa …
Erzähler Die Prinzessin dachte nur an die Hochzeit, und wie sie
schön aussehen würde, doch das Schneiderlein machte sich auf den
Weg, um gegen die magischen Kräfte des Einhorns anzutreten.
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7 | EINHORN UND HOCHZEIT Erzähler Als er in den düsteren Wald kam, musste er nicht lange suchen,
das Einhorn kam bald daher und sprang geradezu auf den Schneider los.
Erzähler Es war sehr stolz auf sein langes Horn und nahm Anlauf um den
Schneider aufzuspießen. Doch der sprang behendiglich hinter einen Baum.
Einhorn Longadingalongadong, fahrn wir heut nach O-tta-kring,
Einhorn Hahaha!
longadingalongadong, fahrn wir heut nach O-tta-kring,
Ottakring – Simmering.
Erzähler Das Schneiderlein konnte sich in Sicherheit bringen und das
Erzähler Das Einhorn rannte mit aller Kraft dagegen und spießte sein
Einhorn Wodali und wodala, wodahint und wodavorn,
ich hab’ ein schönes Horn! Hahaha …
Einhorn Rennerring!
Schneiderlein Ottakring ich dich!
Erzähler Und es prahlte mit seinem Horn.
Erzähler Und so war es gefangen!
Einhorn Longadingalongadong, fahrn wir heut nach O-tta-kring,
Einhorn Hmm …
König Oh, er hat auch das Einhorn besiegt! Nun, meine Tochter,
Einhorn betrachten, das ihn mit grünen Augen ansah und ein grünes Licht
verbreitete. longading longadong, fahrn wir heut nach O-tta-kring.
Ich hab’ das schönste Horn. Hahaha …
Heute ist nämlich der 8. Dezember, da ist das große
Einhorntreffen in Ottakring, da treffen die Einhörner aus ganz
Europa zusammen. Dann wird das Einhorn des Jahres gewählt, das Einhorn, das das längste Horn hat! Hahaha …
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Horn so fest in den Stamm, dass es nicht Kraft genug hatte, es wieder herauszuziehen. sollt ihr Ehemann und Ehefrau werden, und wie versprochen
erhält mein Schwiegersohn die Prinzessin und das halbe Königreich!
Alle Ein starker Held ein tapf ’rer Prinz!
Heute noch wird Hochzeit sein!
Ein starker Held ein tapf ’rer Prinz!
Schneiderlein Siebene auf einen Streich!
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Erzähler Die Hochzeit wurde gefeiert und dauerte drei Tage.
Noch nie hatte das tapfere Schneiderlein soviel gegessen! Alle Leute verneigten sich tief auf die Erde, denn er war ja nun
der junge König, und die Prinzessin war zuckersüß zu ihm.
So legte man sich zu Bette. Das Schneiderlein war müde und schlief sofort.
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8 | SCHLAFGEMACH Schneiderlein (schnarcht)
Königstochter (gähnt) … Rücke doch ein wenig zur Seite,
mein königlicher Gemahl! Rutsch’ ein bisschen! Gäh …
Schneiderlein Hose, Jacke. Hose, Jacke.
Königstochter Wirst du wohl still liegen!
Schneiderlein Alles mess’ ich Ihnen an, was ein Schneider –
hmm … Flick’ mir den Wams!
Königstochter Wie bitte? Was höre ich?
Schneiderlein Hose, Hose, Jacke.
Alles mess’ ich Ihnen an, was ein Schneider …
Flick’ mir das Wams! Hmm …
Erzähler Das Schneiderlein sprach im Schlafen vom Nähen und
Flicken, denn er träumte von seiner alten kleinen Werkstatt.
Da merkte sie, dass sie einen Schneider geheiratet hatte.
Königstochter Wie bitte? Was hör’ ich da? Das Wams? Die Hosen? Iiiihhhhh!
Er ist ein Schneider! Ich habe einen Schneider geheiratet!
Kein Mann, kein Held, kein Prinz!
Kein Mann, kein Held, kein Prinz!
Einen Schneider! Papapa! Papapa! Paaapaaaaaa!
Er ist ein Schneider!
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König (gähnt) … Was ist passiert?
Königstochter Er ist ein Schneider! Ich habe einen Schneider geheiratet!
Er ist ein Schneider!
König Was ist passiert?
Königstochter Er ist ein Schneider!
König Ein Schneider? Ein Schneider!
Wir müssen uns beraten!
Alle (brabbeln)
Die Roten Riesen, die sind das Gefährlichste, was wir haben!
Nun ist guter Rat teuer!
Ah … sterben muss er.
Die Roten Riesen, die sind das Gefährlichste, was wir haben!
Die werden ihn sicher bei lebendigem Leibe auffressen! Hahaha …
Sie soll sich weinend stellen!
Erzähler Der König, die Ratgeber und die junge Königin
beschlossen, ihn zu den Roten Riesen zu schicken, die wären so
stark, dass sie ihm bestimmt den Garaus machen würden.
Königstochter (jammert)
Erzähler Die Prinzessin verstellte sich und tat, als hätte sie furchtbare
Angst vor den Riesen. 37
9 | AUFWACHEN, 2 RIESEN UND FINALE Erzähler Da erwachte das Schneiderlein.
Schneiderlein Aber meine Liebe, was ist dir
denn? Waren die Marzipanherzen …
Königstochter Ach nein, mein königlicher
Gemahl! Nicht die Marzipanherzen!
Schneiderlein Was bedrückt dich denn?
Königstochter Ich habe solche Angst!
Schneiderlein Ja wovor fürchtest du dich denn?
Königstochter Das kann ich dir nicht sagen, es ist zu gefährlich!
Schneiderlein Komm, sag’s mir ins Ohr!
Königstochter (Tuscheltuschel) DIE ROTEN RIESEN!
Erzähler Tapfer wie das Schneiderlein nun einmal war, versprach er
ihr sofort, die Riesen zu besiegen, und zog wieder in den Wald.
König Den wären wir los!
Die mächtigen Roten Riesen kann er nicht besiegen! Erzähler Der Wald war diesmal noch finsterer als gewöhnlich, und als er an
die Höhle der Riesen kam, wurde dem Schneiderlein unheimlich zumute.
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Riesen Sackaläm!
Sackaläm schö-äääh! Ääh!
Hö-hö! Schnö-säckäläm äh! Äääh!
Sackaläm! Sackaläm! Sackhackackackahaha!
Hmdahöööööööö?
Erzähler Die Riesen saßen beim Feuer, und jeder hatte ein gebratenes Schaf
Riesen Schlafenäläm! Schlafaläm! Träumagudd! Hackahahaha!
Schlafaläm!
Erzähler Doch das Schneiderlein tat nur so, als ob er schliefe und als
es finster war, versteckte er sich. Die Riesen aber nahmen eine große
Eisenstange und schlugen das Bett mit einem Schlag durch …
in der Hand und aß davon. Sie schrien wild herum und lachten nur, als er ihnen seinen Gürtel zeigte.
Riesen Hackahahaha! Hackahahaha!
Trotteläläm!
Schneiderlein Der will wohl wissen, wer ich bin?
Ich bin das tapfere Schneiderlein
und ich habe sieben auf einen Streich erschlagen!
Riesen Hahaha! Sneidaläm! Sneidaläm!
Hahaha! Sneidaläm! Hackaläm!
Sneidaläm! … Sneidaläm! …
Erzähler … meinten, er wäre tot, tanzten vor Freude und begaben sich zur
Erzähler Sie warfen ihm einen Knochen hin und
Riesen Tustogöm! Flö! Ruhäläm!
forderten ihn auf, mit ihnen zu essen.
Riese 2 Ätteränem!
Erzähler Dann wiesen sie ihm ein Bett an, denn
sie wollten ihn im Schlaf erschlagen.
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Ruhe. Sie schnarchten fürchterlich, als sich ihnen das Schneiderlein um
Mitternacht näherte. Er zupfte einen Riesen am Ohr, bis er halb erwachte.
Dann riss er den andern Riesen an den Haaren und zog an seiner Nase.
Der Riese wachte auf, stieß seinen Gesellen an
und sprach: »Was schlägst du mich?«
Erzähler »Du träumst«, sagte der andere, »ich schlage dich nicht.«
Sie legten sich wieder nieder, da fing das Schneiderlein wieder an.
Er bewarf sie mit den abgenagten Knochen und riss nach Herzenslust
an Ohren und Nase, und da sie dachten, der jeweils andere würde ihn
ärgern, sprangen sie schließlich auf und gingen aufeinander los.
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Riesen Tustogäm – flööh!
Trotteläm! Flööh! Selbatrottaläm!
Hauhau haualäm! Hau hau haualäm!
Wasserkopfä …!
Erzähler Sie kämpften miteinander, bis sie kraftlos zu Boden sanken und das
Schneiderlein sie in Fesseln legen konnte. Zunächst dachte man am Königshof, die List hätte gewirkt, und das
Schneiderlein wäre tot. König Wir … äh … die haben ihn besiegt! Der Kampf ist vorbei!
Königstochter Er ist weg. Gott sei Dank! Bin ich froh!
Erzähler Doch als das Schneiderlein frisch und fröhlich um die Ecke bog
und auch die Roten Riesen besiegt hatte, überkam sie eine große Furcht.
Schneiderlein Ich warte hier schon eine Viertelstunde auf euch.
König W-w-w-wo sind die Riesen?
Schneiderlein Welche Riesen? Achso, diese kleinen Biester? Keine Ahnung.
Das ist alles, was von ihnen übrig geblieben ist.
Königstochter D-d-du hast sie besiegt?
Schneiderlein Natürlich habe ich die besiegt.
blieb das Schneiderlein sein Lebtag ein König, und bestellte erst einmal ein schönes Frühstück mit vielen verschiedenen Marmeladen.
Schneiderlein Jetzt wollen wir aber tüchtig frühstücken!
Königstochter Jawohl, mein königlicher Gemahl!
Jawohl, mein königlicher Gemahl!
Schneiderlein Hmm … was haben wir denn da?
Hmm … was haben wir denn da?
Kipferl, Semmerl, Salzstangerl,
Schlagrahm, Schokolade!
Schinken und ein weiches Ei,
und noch Marmelade!
Erdbeer, Himbeer, Ribisl, Zwetschke mit Vanille,
Schwarzbeer, Brombeer, Agrasl, Quitte und Marille.
Hmm …
»Siebene auf einen Streich!«
Alle Kipferl, Semmerl, Salzstangerl,
Schlagrahm, Schokolade!
Schinken und ein weiches Ei,
und noch Marmelade!
ENDE Erzähler Und keiner wollte sich mehr an ihn wagen. Also war und
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Das tapfere Schneiderlein Weitere Informationen und Downloads finden Sie laufend auf unserer Website
www.col-legno.com
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© 2007 col legno Musikproduktion GmbH
©P 2006 ORF · Wolfgang Mitterer · Wiener Taschenoper
col legno Musikproduktion GmbH
Vertrieb
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Aufnahmestudios
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siehe www.col-legno.com
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ORF und Studio Wolfgang Mitterer
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Wolfgang Mitterer
Othmar Eichinger
Wolfgang Mitterer
Circus. Büro für Kommunikation und Gestaltung,
Innsbruck – www.circus.at
Georg Wagenhuber/screenagers®
Klaus Mayr/Circus
Michaela Wurzer/Circus 47
D Niccolò Castiglioni war einer der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Jeder, der seine Werke hören konnte und sich des komplexen Entwicklungsweges der europäischen Musik in der Nachkriegszeit bewusst ist, weiß
dies mit Bestimmtheit. Warum also scheint sein Name, acht Jahre nach seinem Tod im September 1996, so selten in Konzertprogrammen auf?
Trotz der allgemeinen Ächtung, unter der die sogenannte »zeitgenössische
Musik« zu leiden hat, gibt es Komponisten, deren Namen öffentlich bekannt
sind – zumindest jenen, die sich für kulturelle Belange interessieren. Ich denke
dabei insbesondere an Luciano Berio, Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen.
Für Niccolò Castiglioni gilt das bislang nicht, wiewohl er ähnlich »bedeutsame« Musik geschrieben hat. Dabei zeichnet sie sich, wie wir noch sehen werden, durch Frische und Natürlichkeit aus, womit es ihr gelingen sollte, die be- kannten Barrieren des Misstrauens gegen nicht-tonale Musik zu überwinden.
Die »verspätete Breitenwirkung« teilt Castiglioni mit einigen jüngeren und
älteren Komponisten, die er sehr schätzte. Ich nenne hier in rückläufiger chronologischer Folge: Bruno Maderna, Gustav Mahler und Franz Schubert.
Diese Namen habe ich nicht zufällig gewählt. Viele Musiker sind erst nach
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IM STILLEN
Von Alessandro Solbiati

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