Focus ST-Buch
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Focus ST-Buch
Es war von Anfang an klar, dass die Einfassungen der Radausschnitte in den Kotflügeln nicht allein dazu da sind, den mächtigen 18 Zoll-Rädern einen stilvollen Rahmen zu geben, die 225 Millimeter breiten Reifen brauchen eine großzügigere Abdeckung. EIN LEICHTER SIEG Wie das Design das sportliche Profil des Focus ST schärfte Dave Hilton fährt leidenschaftlich gern Motorrad und Ski, wenn er nicht gerade mit dem flüssigen Design von Autos beschäftigt ist, die sehr gerne einen sportlichen Charakter haben dürfen. Die eher schlichte Eleganz des jungen Focus folgt klar dem Auftrag und der Absicht von Chris Clements, der als leitender Designer des TeamRS die Aufgabe anstrebte, dem kompakten Ford eine besonders seriöse Linie zu kultivieren Clements wörtlich: „Es ging darum, den goldenen Schnitt aus sportlicher Präsenz und diskretem Auftritt zu kultivieren. Der Focus ST darf nicht als wilder Feger erscheinen, er muss vielmehr den Auftritt im Sakko beherrschen, damit er zu seinem Besitzer passt.“ Sein Kollege für Exterieur-Design, der kanadisch-amerikanische David Hilton, der dies Werk des britischen Kollegen tatkräftig unterstützt, um es für die neue Sportversion Focus ST stilistisch anzuschärfen, erkennt darin sofort den guten Rohstoff: „Der neue Focus hat ausgezeichnete Proportionen, so war die sportlichere Gestaltung des Focus ST ein leichter Sieg.“ Und je intensiver sich David Hilton dieser neuen Herausforderung widmet, desto fester wird die Gewissheit, dass die sportliche Profilierung des neuen Focus für ihn ein ganz besonderer Glücksfall ist. „Ich hatte zuvor schon den Focus RS sehr frei gestalten können und durfte nun mit großer Begeisterung feststellen, wie umfangreich die Möglichkeiten sind, auch dem Focus ST ein schärferes Profil zu geben“, stellt David nach getaner Arbeit sehr befriedigt fest. Ein perfektes Umfeld beschleunigt die Erfolge. David, in dessen Lebenslauf unter anderem eine Rennfahrer-Karriere auf Ducati steht, ist mit den schnellen Jungs und Mädels vom TeamRS sofort und ohne lange Diskussionen auf der gleichen Wellenlänge, die oft den Kurven der Nordschleife des Nürburgrings folgt. Hilton war sofort und unter kontinuierlich hohem Zeitdruck mit ganzem Herzen dabei. Für den Designer heißt das, seine Ideen vom Entwurf bis ans Fließband zu begleiten und ihnen so eine geschmeidige Karriere zu verschaffen. Für große Karosserieteile mit stark dreidimensionaler Ausprägung, wie eine Frontschürze beispielsweise, bleibt der Lehm, den die Designer Clay nennen, das erste und noch immer beste Element der Gestaltung. Bei kleineren Details dagegen, wie den Einfassungen der Lüftungsgitter oder den Nebelleuchten in ihrer gerahmten Fassung, ist die moderne Verknüpfung von Computer Aided Design (CAD) und Computer Aided Manufacturing (CAM) nach Davids Ansicht nicht zu schlagen, auch wenn es nur um eine relativ kleine Serienproduktion geht. Die unverwechselbaren Kennzeichen des Focus ST haben neben der Signalwirkung auch immer eine technische Funktion. Die größeren Luftöffnungen in der Frontschürze festigen nicht allein das Überholprestige. Hinter den Gittern Der neue Ford Focus hat ausgezeichnete Proportionen; so war die sportlichere Gestaltung des Focus ST ein leichter Sieg. Der Focus ST darf nicht als wilder Feger erscheinen, er muss vielmehr den Auftritt im Sakko beherrschen, damit er zu seinem Besitzer passt. Nur ganz am Anfang, als der erste Rohling in die Kopierfräse rollt, sieht es für den Außenstehenden so aus, als würden neue Autos Stein auf Stein gebaut. Die unverwechselbaren Kennzeichen des Focus ST haben neben der Signalwirkung auch immer eine technische Funktion. Die größeren Luftöffnungen in der Frontschürze festigen nicht allein das Überholprestige. Hinter den Gittern warten ein Ladeluft- und ein Wasserkühler auf Frischluft. Die Väter der Idee: Matthias Tonn, Dave Hilton und Gunnar Herrmann (von links nach rechts) haben das Konzept des Ford Focus ST in kurzer Zeit zu hoher Reife gebracht und auf der IAA 2005 voller Stolz der Öffentlichkeit präsentiert. warten ein Ladeluft- und ein Wasserkühler auf Frischluft. Zunächst hat die Fläche der ersten Entwürfe in extremen Fällen übrigens nicht ganz gereicht, was durch die Maschen pfiff. Erst ein lichteres Kühlergitter mit geringerem Luftwiderstand brachte die Thermik perfekt ins Lot. Chris Clements sieht in der Gestaltung der Front eine ganz besondere Botschaft: „Mit dem großen trapezförmigen Kühllufteinlass schlägt das Design von Ford eine Brücke von der Gegenwart zur Zukunft.“ Klar ist natürlich auch, dass die Einfassungen der Radausschnitte in den Kotflügeln nicht allein dazu da sind, den mächtigen 18 ZollRädern einen stilvollen Rahmen zu geben, die 225 Millimeter breiten Reifen brauchen eine großzügigere Abdeckung. Dass die fülligen Schwellerleisten zwischen den Kotflügel-Verbreiterungen mehr als nur aerodynamische Vorteile bieten, zeigte sich im verschärften Versuchsbetrieb: Die Kunststoffteile schützen das Karosserieblech vor jenen kantigen Mineralien, die von den Reifen hoch geschleudert werden. Nicht ganz an das Ziel seines stilistischen Strebens gelangte David bei der Gestaltung des Dachspoilers. Eine verstellbare Variante, die noch etwas professioneller wirkt, wäre ihm lieber gewesen. Gescheitert ist sie jedoch nicht an Aufwand und Geld, sondern an den strengen Homologations-Richtlinien. Aber auch die starre Lösung der Serie ist aerodynamisch in hohem Maße effektiv: Sie senkt den Luftwiderstand und verringert den Auftrieb an der Hinterachse. Bereits in frühen Skizzen zeigt sich die dynamische Linie auch in der Heckpartie. Ein verstellbarer Heckspoiler wurde nach kurzen Überlegungen wieder verworfen. Geblieben sind die doppelten AuspuffEndrohre, die beidseits aus dem mächtigen Endschalldämpfer münden. Die Einsätze für die Zusatzscheinwerfer tragen silberne Rahmung, die vor allem zu dunklen Karosseriefarben eleganten Kontrast bilden – beinahe wie Nadelstreifen auf feinem Zwirn. Der Heckspoiler erfüllt eine doppelte Funktion: Einmal reduziert er den aerodynamischen Auftrieb am Heck, zum zweiten hilft er, die Heckscheibe bei Regenfahrten von Gischt frei zu halten. Die Einsätze für die Nebelschlussleuchte sind als optischer Kontrast zu den vorderen Nebelscheinwerfern in der Heckschürze eingelassen. Ihr Design entstand in moderner Verknüpfung von Computer Aided Design (CAD) und Computer Aided Manufacturing (CAM). Dass die fülligen Schwellerleisten zwischen den Kotflügel-Verbreiterungen mehr als nur aerodynamische Vorteile bieten, zeigte sich im verschärften Versuchsbetrieb: Die Kunststoffteile schützen das Karosserieblech vor jenen kantigen Mineralien, von den Reifen hoch geschleudert werden. David Hilton bekennt sich auch gern zu den optischen Effekten: „Das Fastback streckt das Heck des neuen Focus und der extreme Heckspoiler bildet dazu einen deutlichen Kontrast. Der ST scheint optisch regelrecht abzuheben.“ Auch in die tieferen Strukturen des Blechs haben die Designer zum Wohle der Perfektion gewirkt. Sie wollten ein Heck mit eindrucksvollen Auspuff-Endrohren. Die Techniker der Sparte Motor wünschten sich des guten Tones wegen einen voluminösen Endschalldämpfer. Ein großer Topf für den Quereinbau mit Endrohren an den Außenseiten war bald gefunden im Ersatzteil-Fundus des Konzerns. Aber im Heck des serienmäßigen Focus war diesem mächtigen Tieftöner die Reserveradmulde im Wege. Also muss aus dem ST das Untergeschoss des Kofferraums verschwinden und mit einem Deckel verschlossen werden, und statt des Notrades gibt es serienmäßig ein Pannenset von Continental, Tyrefit. Solche sportlichen Spezialitäten, die einem TeamRS wunderbar gefallen, sind für die Kollegen in der Produktion eine Herausforderung. Sie wollen am Band in Saarlouis am liebsten reibungslos lauter ganz normale Focus bauen. Zu lösen ist ein solcher Zielkonflikt nur mit charmanter Diplomatie und intelligenter Planung. Und hier beweist TeamRS seine strategische Kompetenz damit, dass diese beiden Ressorts zum Aufgabenbereich von Susan Love gehören, die nicht nur weiß, wie man die Dinge richtig plant, sondern auch versteht, solche Konzepte ganz bezaubernd zu vertreten. Die Lösung des Problems, den sportlich ausstaffierten Focus ST in einer Linie mit dem Volumenmodell zu produzieren, scheint zu den Lehren aus dem Rennsport zu gehören. Die Karosserie eines ST verlässt das Fließband so, als wolle sie neben dem Band vorübergehend in die Pit Lane zum Boxenstopp, wenn es darum geht, die Löcher für die Befestigungsklipse der Kotflügelverbreiterungen und Schwellerleisten per Laser eingebrannt zu bekommen oder statt der Reserveradmulde einen Deckel zu erhalten. Direkt anschließend schwenkt die Karosserie zurück an ihren Platz ins Glied ans Fließband und geht ihrer Vollendung zum kompletten Automobil entgegen. Je weiter dieser Prozess fortschreitet, desto stärker unterscheidet sich ein jeder ST von der großen Serie der anderen Focus, denn die Designer durften viele Akzente setzen, um Dynamik und Wertigkeit zu unterstreichen. Die mit Metalleffekt gerahmten Einsätze für die kleinen Leuchteinheiten in den vorderen und hinteren Kotflügeln sind, so findet David „einen Gruß aus der Premium-Class“. Aber er bedauert etwas, dass der TÜV den seitlichen ST-Symbolen verboten hat, in der Nacht ein ruhiges Leuchtzeichen zu setzen. Die Ladedruck-Anzeige sitzt zentral auf der Armaturentafel und zeigt selten mehr als 0,65 bar Ladedruck an, denn der Focus ST-Motor kommt mit milder Aufladung aus – schließlich wurde er auf beste Fahrbarkeit hin optimiert. Exklusiv ist das Design des Focus ST auch im Innenraum. Ein schwarzer Himmel unter dem Dach und schwarze Verkleidungen um alle Säulen, die das Dach tragen, sind ein Zitat jener Funktionalität der sportlichen Autos aus den Siebziger Jahren vom Schlage eines Capri RS. Die Sportsitze begegnen Seitenkräften mit räumlich ausgeprägter und farblich unter- strichener Kontur. Diese Wangen sind mit besonders griffigem Textil bezogen, das macht mit einem Fahrwerk à la Focus ST durchaus seinen Sinn. Die strapazierten Sitz- und Rückenflächen tragen edles Leder. Das Lenkrad selbstverständlich auch: Seine Gestaltung beschränkt sich auf das Wesentliche; es trägt keine Klaviatur für Radio und Bordcomputer. Es dient allein der schönsten Beschäftigung im Focus ST, dem messerscharfen Lenken von Kurve zu Kurve. Die Instrumente hinter dem Lenkrad irren keiner Tagesmode nach, sondern zeigen ihre Skalen in klassischem Schwarz, und wenn das Licht eingeschaltet ist, werden die transparenten Ziffern vom klar-weißen Licht durchleuchtet. Zentral im Armaturenbrett informieren Zusatzinstrumente ebenfalls Weiß auf Schwarz über Öltemperatur, Ladedruck und Öldruck. Bleibt nur noch das Schlusswort, das David Hilton und Chris Clements im feinen Duett singen könnten: „Der Focus ST sieht nicht nur ganz anders aus als seine sanfteren Kollegen, er zeigt auch ganz genau, was in ihm steckt. Er ist sicherlich der konsequenteste ST, den wir je gebaut haben.“ Beim Punktschweißen der Rohkarosserie unterscheidet sich der Ford Focus ST noch wenig von seinen Geschwistern. Die Abweichungen werden im Laserschweißverfahren ausgeführt, etwa der flachere Kofferraumboden, der mehr Raum für den riesigen Schalldämpfer unter dem Heck ausspart. WIE EIN NEUES KONZEPT FÜR DEN FOCUS ST ENTSTANDEN IST Der Matthias Tonn macht die Musik Am Ende des Fließbandes hinterlässt der Focus ST dagegen einen sehr eigenständigen Eindruck, obwohl er im gleichen knappen Takt des Fließbandes entstanden ist, wie seine ziviler motorisierten Geschwister. Zu Ford nach Köln kommt Matthias Tonn 1998 als Ingenieur mit zwei Diplomen, das eine für den Maschinenbau, das andere für das Wirtschaftswesen. Auch kennt er sich bereits ein wenig an anspruchsvollen Arbeitsplätzen aus. Als Mitarbeiter von BMW war er in einem Team beschäftigt, das zusammen mit den englischen Kollegen vom Partner Rolls Royce untersuchen sollte, in welcher Form beide Unternehmen auf dem Gebiet der Flugzeug-Turbinen zusammen arbeiten können. Als das Projekt mit den Strahltriebwerken aufgegeben wird, orientiert sich Matthias Tonn neu, denn es beleben sich frühere Kontakte zu Ford. Die breite akademische Perspektive und eine interessante praktische Erfahrung qualifizieren ihn für einen Förderkreis, der langfristig und gründlich junge Führungskräfte bei Ford auf ihre späteren Aufgaben vorbereitet. So lernt er rasch die Strukturen des weit verzweigten Ford-Konzerns auf beiden Seiten des Atlantik kennen, und zeigt, was die Führungsaufgaben anbelangt, während der ersten Jahre bei der Company um angemessene Geduld. Als Mitarbeiter des Entwicklungs-Centers Merkenich widmet er sich zunächst soliden Auf- gaben. Er betreut als Mitarbeiter von Gunnar Herrmann, der die Entwicklung der Baureihe Focus leitet, den auf der gleichen Plattform konzipierten Ford C-MAX. Hier hat er neben anderem die eher vorsorgliche Aufgabe, sicher zu stellen, dass außer dem Vierzylinder auch ein Motor mit fünf Zylindern zwischen den Vorderrädern Platz findet. Im Februar 2003 ist er deshalb umso überraschter, als ihn Gunnar Herrmann fragt: „Würden Sie im TeamRS die Projektleitung für die nächste Generation des Focus ST übernehmen?“ – „Jeder junge Ingenieur träumt davon, einen Sportwagen zu bauen, und ich bin unter den vielen 100.000 Mitarbeitern im Ford-Konzern derjenige, der es darf“, freut sich der junge Projektleiter bis heute. Auch freut es ihn, dass er seine Karriere mit dem Topmodell einer Baureihe beginnen darf: „Man muss da nicht ganz so konsequent um jeden Euro knausern. Wenn hier ein Teil um einen Euro teurer ist, macht das bei der relativ kleinen Stückzahl von vielleicht 50.000 Autos eben nur 50.000 Euro aus. Wenn es um eine Großserie mit drei Millionen geht, wird der einzelne Euro zu einem siebenstelligen Problem.“ Als er nach diesem „Kick-off“ im Februar 2003 seine erste große Aufgabe als Chef-Ingenieur des ST-Programms sehr konsequent und analytisch startet, ahnt er noch nicht, dass für sein zunächst auf 38 Monate Entwicklungszeit angesetztes Projekt bald eine verschärfte Marschzahl gilt. Nicht wie ursprünglich geplant zum Frühjahr 2006 sondern bereits zur IAA 2005 soll der Focus ST nun binnen 30 Monaten in Saarlouis vom Band laufen. In der frühen Planungsphase müssen sich Tonn und sein Chef-Ingenieur des TeamRS, der Schotte Glenn Goold, zwei wesentliche Fragen stellen: Was muss der neue Focus ST besser können als sein Vorgänger und wie muss er sich klar von seinen Wettbewerbern unterscheiden. Klare Antworten auf die Frage eins hat die Marktforschung bei Ford so gleich parat. Die sportlich orientierten Käufer wollen natürlich und wie immer mehr Leistung. Sie kritisieren aber auch die verhaltene Kraftentfaltung im unteren Bereich und die Notwendigkeit, das Temperament über hohe Drehzahlen an zu locken. „Die vermehrte Gewöhnung an durchzugsstarke Diesel hat offenbar den Anspruch der Kunden an die Art der Leistungsabgabe neu geprägt“, wertet der Maschinenbauer Tonn diese Resonanz. Mit dem Leuchtorange der ST-Serie zieht eine neue Signalfarbe in der rationellen Fertigung von Saarlouis ein. „Speed Orange“ heißt der neue Lackton, dessen Signalwirkung zusätzliche Arbeitsschritte in der Lackier-Abteilung erfordert, bevor das Orange so strahlt wie ein wunderschöner Sonnenuntergang. Auch was die Optik anbetrifft, wird das TeamRS durch die Kritik der Kundschaft eines Besseren belehrt. Die diskrete Sportlichkeit des voran gegangenen Focus ST 170 war in den Augen der forschen Fordfahrer zu brav geraten. Wer so ein Auto für die ganz persönliche Ideallinie erwirbt, der will es auch zeigen, dass es über satte Leistung verfügt. Und was die Konkurrenz betrifft, muss man im TeamRS ganz sachlich feststellen: „Es gibt unter den kompakten Sportlern der Zweiliterklasse bereits so gut wie jede Möglichkeit, 200 PS In Reih und Glied: Zusammen mit den schwächer motorisierten Geschwistern der Focus-Familie rollt der erste Focus ST durch die Trimm-Linie. Viele Unterschiede der Varianten gibt es nicht zu beachten, denn bis auf die Leder-Ausstattung der Sitze und die Anzahl der Türen ist fast alles serienmäßig vorherbestimmt. Der spannende Moment, den die Produktions-Experten „Hochzeit“ nennen: Das Fahrwerk samt Antrieb trifft zum ersten Mal auf die Karosserie und alles wird für ein langes, genüssliches Autoleben fest verschraubt. oder mehr zu erzielen. Vom kräftig aufgeladenen Benziner wie bei VW Golf GTI oder Opel Astra OPC bis hin zum konsequenten Hochdrehzahlkonzept mit natürlicher Beatmung wie im Honda Civic Type R reicht die Palette“. Das TeamRS wählt hier den Mittelweg zu einer Spitzenleistung, die sportliche Ambition und gute Alltagstauglichkeit ideal verknüpft. Ein fünfter Zylinder bringt den Hubraum auf 2,5 Liter, ein moderater Ladedruck sichert souveräne Kraftentfaltung und selbst bei voller Last noch einen moderaten Verbrauch. Sehr förderlich für die Entscheidung, dass es beim Hubraum etwas mehr sein darf, erweist sich eine Kostenanalyse, wie sie bei alternativen Komponenten bei Ford grundsätzlich durchgeführt wird. Verglichen werden in diesem Fall die Preise von zwei Turbomotoren: der eine mit vier Zylindern und zwei Litern Hubraum, der andere mit fünf Zylindern und 2,5 Litern Arbeitsvolumen. Zunächst geht diese Partie klar an den Vierzylinder. Aber im nächsten Kalkulations-Paket ist alles eingeschürt, was notwendig ist, um jeden dieser zwei Motoren auf die angestrebte Leistung von mindestens 220 PS (162 kW) zu bringen. Und da zeigt sich, wie ein größerer Hubraum solche Aufgaben leichter und dabei auch noch preiswerter macht. Die Entscheidung für den größeren Motor ist zum einen vorteilhaft fürs Fahrvergnügen: Mit 220 PS (162 kW) bei 5500/min und 335 Nm schon ab 2400/min betreibt der Fünfzylinder Die Türen laufen beim Focus ST unabhängig von der Karosserie durch die Fertigung, solange bis die serienmäßigen Recaro-Sitze als letzter Posten der Innenausstattung an Bord gegangen sind. Man sieht es dem Ford Focus ST hier noch nicht an, dass unter seiner vorderen Haube mit den fünf Zylindern annähernd doppelt so viel Leistung und Drehmoment zuhause sind wie bei den Modellen mit vier Zylindern. Die Fensterscheiben werden heute zugunsten einer möglichst steifen Karosserie bündig verklebt. Dabei kommt für beide Scheiben ein vollautomatischer Fertigungs-Roboter zum Einsatz. eine höchst entspannte Politik der Stärke. Er qualifiziert sich damit als gelassener Teilnehmer am Berufsverkehr und als dynamischer Partner bei den Sonntagssprints. Die erklärte Absicht und die Verpflichtung, ein einfaches, effizientes und kostengünstiges Automobil zu entwerfen, veranlasste das gesamte TeamRS, aufwändige Antriebskonzepte zu vermeiden. Allradantrieb ist allenfalls bei noch mehr Leistung und Drehmoment ein Thema. Und das herkömmliche Sechsganggetriebe mit seiner perfekt funktionierenden Schaltung gilt für TeamRS im Focus ST als das ideale Mittel zum Zweck. „Mein zweiter Studiengang hat mich gelehrt, das wirtschaftlich Machbare zu achten“, erklärt Matthias Tonn, „es geht in solchen Fällen nicht allein darum, eine andere Motor/GetriebeKombination in die Produktion einzuschleusen. Dieses Element muss binnen der relativ kurzen Entwicklungszeit des Focus ST auf absolute Zuverlässigkeit erprobt sein. Aufwändigere Lösungen wie sequentielle Schaltgetriebe mit automatischer Kupplung sind nicht nur deutlich teurer, sie erfordern auch einen wesentlich größeren Entwicklungsaufwand und sie müssen sich schließlich harmonisch mit seinem Schaltgerät in eine elektronische Architektur einfügen, die der CAN-Bus der großen Serie vorgibt.“ Das Beispiel zeigt, der Arbeitsumfang von TeamRS beschränkt sich nicht darauf, eine dynamische Variante des Ford Focus zu entwickeln. Es gilt vielmehr, auch seine Fertigung unter strengen wirtschaftlichen Aspekten in die Produktionsabläufe in Saarlouis zu integrieren. „Ein solches Sondermodell kann nur dann zu einem vernünftigen Preis und für die Firma den- noch profitabel produziert werden, wenn es mit der großen Serie auf dem gleichen Band montiert werden kann, ohne die Fertigung zu verzögern“, beschreibt Carline-Direktor Gunnar Herrmann einen weiteren Teil der Arbeit von TeamRS, der grundsätzlich darin besteht, die unverwechselbaren Merkmale des Sondermodells so zu gestalten, dass sie den harmonischen Fluss der Fertigung nicht aufhalten. Vieles darf anders aussehen, weil jene Logistik, die Komponenten „just in time“ an das Fließband liefert, sehr flexibel ist. Aber alles muss passen, weil die Endmontage nur einige wenige Ausnahmen vom allgemeinen Ablauf duldet. Der Wunsch vieler Kunden nach einer schärferen optischen Profilierung ist deshalb für alle Beteiligten bei Ford in Merkenich eine intensive, aber letztlich doch sehr gern angenommene Herausforderung. Matthias Tonn erklärt dazu mit einer bis heute ungebrochenen Begeisterung: „Wir hatten klar die Absicht, neue Zeichen zu setzen, oder, wie wir sagen, einen spezifischen Footprint zu hinterlassen. Unsere Definition für den Stil des Focus ST lautet: freundliche Aggressivität.“ Spürbar ist aber auch jene Begeisterung, die in den Worten von Matthias Tonn liegt. Und vielleicht hat der junge Ingenieur mit den beiden Diplomen im Februar 2003 noch viel mehr Glück gehabt, als er damals glaubte. Er hat sein ganz persönliches Auto bauen dürfen, und er hat es gut gebaut. Kaum mehr als ein starkes Dutzend Stunden vergeht von den ersten Schweißpunkten im Rohbau bis zum fertigen Produkt mit 225 PS und durchaus ausgeglichenem Fahrverhalten. In diesen Stunden gehen die rationelle Serienfertigung und das liebevoll abgestimmte sportliche Fahrzeug eine feste Bindung für viele 100.000 Kilometer ein. Gut drei Kilometer lang ist der Weg, den der Focus ST ohne eigenen Antrieb in der rationell getakteten Fertigung im Werk Saarlouis zurücklegt. Deutlich länger werden die Wege im folgenden Autoleben sein, denn das sportliche Modell der Focus-Familie wurde auf eine Lebensdauer von 250.000 Kilometer ausgelegt. Der Motorblock des Ford Focus ST trägt seine Zylinderbohrungen im „Open-Deck-Design“ und zeugt mit seinen kräftigen Versteifungsrippen von der ausgeprägten Solidität der gesamten Konstruktion. EIN GELADENER GAST Das TeamRS, hatte fest versprochen, mit der zweiten Generation des Focus ST die Maßstäbe einer mit Leistung stets verwöhnten Klasse neu und dauerhaft zu definieren. „Beim Motor müssen wir einen klaren Schritt nach vorne und nach oben tun.“ sagt Jost Capito, Direktor des Ford TeamRS. „Das Ziel war, das Auto mit mehr als 200 PS auszustatten.“ Capito verlangt von seinen Leuten außerdem eine wirtschaftlich vertretbare Lösung, aber die leitenden Motoren-Männer für das Projekt ST, Joerg Hoffmann und Ross Jardine, verlangen mit scharfer Konsequenz ganz reichlich von allem, was stark und temperamentvoll macht. Ganz oben auf ihrer Wunschliste steht von Anfang an der größere Hubraum, der als solides Fundament für Leistung und Drehmoment kaum zu ersetzen ist. Statt der 2,0 Liter Hubraum bisher sollen es nun 2,5 Liter werden. Aber verbunden ist dieses Streben nach Wachstum mit der konsequenten Überzeugung, dass ein halber Liter ein ideales Maß für die einzelnen Zylinder eines dynamischen Ottomotors ist. Fünf statt vier Zylinder werden damit wünschenswert. Und weil in dieser Klasse schon diverse Wettbewerber erfolgreich unter Druck stehen, finden Capitos Mitarbeiter auch in diesem Focus einen Turbolader angemessen. Wer solche Ansprüche an die Technik eines in limitierter Stückzahl produzierten Sondermodells stellt, kann von Glück reden, in einem Die Ein- und Auslasszeiten können mittels eines in die beiden obenliegenden Nockenwellen integrierten Mechanismus hydraulisch um 50 Grad (Einlaß) und 30 Grad (Auslaß) verstellt werden. Die Konsequenzen kommen im breiten Drehzahlband des Motors und bei den geringen Emissionen zum Tragen. Die fünf geschmiedeten Stahlpleuel des Focus ST-Motors verfügen über einen extrem leichten Schmiedekolben mit graphitiertem Schaft. Weltkonzern wie Ford zu arbeiten, der sich einen gigantischen Metallbaukasten mit mechanischen Komponenten leisten kann. Ein Fünfzylinder mit 2,5 Liter Hubraum und erwiesener Turbo-Tauglichkeit wartete hier förmlich auf seine sportliche Hauptrolle im Focus ST. Den nötigen Platz für den um eine Einheit längeren Motor haben die Techniker vorsorglich schon Jahre zuvor bei der Konzeption von Focus und C-MAX geschaffen. Erleichtert wurde diese Arbeit durch die spezielle Architektur dieses Fünfzylinders, die sich durch einen sehr engen Grundriss und einer Länge von 577 Millimetern auszeichnet und damit die Kürze als wesentliche Voraussetzung für einen Quereinbau selbst in so kompakten Wagen wie einem Ford Focus erfüllt. Diese Bauweise bedingt einen kurzen Zylinderabstand von 91 Millimetern. Und entsprechend fallen hier die Grundabmessungen der Zylinder aus: Die Bohrung bleibt mit 83 Millimetern relativ klein, während der Hub mit 93 Millimetern eher lang ausfällt. Auf die sportliche Dynamik hat die etwas langhubige Auslegung hier keine dämpfende Wirkung. Denn dank der Zusammenarbeit mit einem Turbolader gelingt das Spiel der Kräfte ohne Hektik, weil sich die erforderlichen Drehzahlen an zivilisierte Werte halten. Die höchste Leistung von 225 PS (166kW) wird schon bei 5500/min erreicht, das maximale Drehmoment von 320 Newtonmetern steht zwischen1600/min und 4000/min zur Verfügung. Wenn‘s etwas mehr sein darf, hilft eine Tankfüllung mit Super plus. Beim neuen Focus ST sind Motormanagement und Klopfsensoren so abgestimmt, dass die nominelle Leistung mit Super 95 absolut problemlos erreicht wird. Wenn Kraftstoffe von anderer Qualität verabreicht werden, sind die Klopfsensoren in der Lage, die Werte für Zündzeitpunkt und Ladedruck entsprechend anzupassen. Das gilt nicht nur, wenn lediglich Kraftstoff von geringerer Klopffestigkeit zur Verfügung steht. Das Motormanagement ist auch im Stande, die höhere Klopffestigkeit eines besseren Kraftstoffs mit 98 Oktan (ROZ) zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Die mögliche Leistungssteigerung liegt im Bereich jener fünf Prozent plus, die im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen zulässig sind. Der neue Focus ST übertrifft damit nicht nur die Werte seines Vorgängers ST 170, dessen Zweiliter Vierzylinder 173 PS (127 kW) bei 6100/min leistete. Die zweite Generation ST ist nun auch stärker als der bisherige Focus RS, bei dem der gleiche Vierzylinder mit kräftigerer Aufladung 215 PS (158 kW) bei 5500/min bereit stellte. Wie bisher schon entsteht auch weiterhin die hohe Leistung auf der sicheren Seite. Bei moderater Drehzahl bleibt die mechanische Belastung des Kurbeltriebs trotz hoher Arbeitsdrücke sehr gering, die Kolbengeschwindigkeit ist bei 5500/min mit 18,1 Metern pro Sekunde beruhigend moderat. Neben souveräner Kraftentfaltung überzeugt der Fünfzylinder auch durch ein Plus an Laufkultur. Während den Kollegen mit vier Zylindern freie Massenkräfte zweiter Ordnung spürbar plagen können, ist ein Kurbeltrieb Die obenliegenden Nockenwellen weisen für einen Turbo-Sportmotor außerordentlich zahme Steuerzeiten auf. Das unterstützt den ausgeglichenen Alltagscharakter des Motors, etwa die Breite des Drehzahlbandes für das maximale Drehmoment. Der glatte Kolbenboden sorgt in Verbindung mit dem kompakten Brennraum für eine rasche Verbrennung und erlaubt die für einen Turbomotor ungewöhnlich hohe Verdichtung von 9,0:1. Bei Ford hört der Fünfzylinder-Turbomotor mit 2.5 Liter Hubraum auf den Familiennamen Duratec und stellt mit die ausgeglichenste Bauart für eine 225 PS starke Antriebsquelle dar. Das Kennzeichen des aufwändig ausgeführten Motordesigns stellt die Kurbelwelle dar, die als geschmiedete Stahlkonstruktion mit zehn Gegengewichten ausgeführt ist. So kommt neben der enormen Kraftentfaltung die Laufkultur zum Tragen. mit fünf Kolben unbehelligtvon solchen Erschütterungen und die hier auftretenden freien Massenmomente können durch Gegengewichte an der KurbelwellezurRuhe gebracht werden. Etwas zu ruhig ging es dem Team RS rund um den wohl erzogenen Fünfzylinder zu. Denn dem hatte der Kräfte spendende Turbolader regelrecht die Sprache verschlagen, worauf er sich mit den Ingenieuren nur noch im Dialekt vornehmer Limousinentriebwerke unterhielt. Also war Sound Design gefragt und mit etwas mehr Ansauggeräusch kam schon deutlich mehr Leben in den frechen Focus. Zorniges Grummeln schon im Leerlauf vor dem Sprint ließ sich durch einen späten Zündzeitpunkt in der Ruhephase arrangieren. Aber sportlicher Sound entsteht erst, seit ein dünner Schlauch vom Luftfilter hinter das Armaturenbrett führt und die Atmung der Maschine live in den Innenraum überträgt. Dort klingt es jetzt ein wenig wie bei den Verwandten, von denen jenes mannigfaltige Erbgut stammt, das sich im Laufe des letzten Jahrzehnts aus der Rennmotoren-Technik in der Serie angesiedelt hat. Ganz offensichtlich ist das beim Zylinderblock aus einer Leichtmetall-Legierung, dessen Unterseite mit dem so genannten Bedplate – ein leiterförmiger Rahmen aus Aluguss – wie auf einem Fundament verschraubt ist. In diesem Verbund finden die sechs Kurbelwellenlager eine sehr solide Unterstützung, was wegen der hohen Arbeitsdrücke eines Turbomotors von einer wirklich fundamentalen Bedeutung ist. Für ausgewogene thermische Verhältnisse rund um die fünf Brennräume und die fünf Zylinder sorgt eine bei Rennmotoren lange schon bewährte Querstrom-Kühlung, die den Fluss des Wassers breitseits durch den Motor strömen lässt. Auch der Zylinderkopf – natürlich ebenfalls aus Leichtmetall – zeigt in der Summe seiner Details den jüngsten Stand der Technik. Zwei oben liegende Nockenwellen, die von einem Zahnriemen angetrieben werden, betätigen über Tassenstößel vier Ventile pro Zylinder. Mit großzügig gehaltenen Durchmessern – Einlass 31 Millimeter, Auslass 27 Millimeter – öffnen sie reichliche Querschnitte für effektive Gaswechsel. Hydraulische Versteller an beiden Nockenwellen erlauben es, die Ventilzeiten auf der Einlassseite um 50 Grad und auf der Auslassseite um 30 Grad stufenlos zu verstellen. Die Regelung dieses Vorgangs zum Wohle der Leistungsentfaltung ist neben dem korrekten Zündzeitpunkt und der perfekt kalibrierten Einspritzung der dritte Job der Bosch Motorelektronik ME 9.0. Deren Rechnermodul darf sich über ein wohl temperiertes Arbeitsklima freuen. Denn ihm haben die Techniker einen Platz in der allzeit frischen Luft des Ansaugsystems zugewiesen. Den Einbau des Fünfzylinder-Turbomotors im vergleichsweise engen Motorraum des Focus wird durch die besondere Bauweise des Turbosystems begünstigt. Denn hier bilden der Ansaugkrümmer und das Gehäuse der Turbine eine sehr kompakte Einheit, die zwischen dem Motor und der Spritzwand genügend Platz hat. Für den kräftigenden Druck aus der Einlassseite Der Turbolader von Kühnle, Kausch und Kopp (KKK) ist als integriertes Bauteil ausgeführt. Der maximale Ladedruck des integrierten Turboladers ist durch ein Bypass-Ventil auf ein Maximum von 0,65 bar begrenzt. Dieser relativ niedrige Druck ergänzt sich mit der relativ hohen Grundverdichtung des Motors von 9,0:1 zu einem beispielhaften Ansprechverhalten. Durch insgesamt zehn angeschmiedete Gegengewichte ist der Kurbeltrieb vollständig gewuchtet und sorgt für eine ausgezeichnete Laufruhe. Die sechs Kurbelwellen-Hauptlager ruhen in einem einteiligen Leiterrahmen, der von unten gegen das Kurbelgehäuse geschraubt wird. sorgt ein Turbolader K04-2080 D von Kühnle, Kopp und Kausch in Frankenthal. Für die Kühlung der im Lader leicht aufgeheizten Ladeluft gibt es vor dem Wasserkühler einen entsprechenden Wärmetauscher, der die austretende heiße Luft von 150°C auf 60°C abkühlt. Die hohe Leistung des Focus ST-Motors erfordert nur einen milden Ladedruck von 0,65 bar, der über ein Wastegate limitiert wird. Diese eher sanfte Aufladung sichert in Verbindung mit der nur auf 9:1 zurückgenommenen Verdichtung einen guten Wirkungsgrad des Motors und einen, gemessen an der Leistung, günstigen Verbrauch. Eine weitere Verbrauchssenkung, die auch der Reduzierung der Schadstoff-Emissionen zugute kommt, liegt im konsequent verfolgten Lambda 1-Konzept, das bei diesem Motor über den gesamten Bereich von Last und Drehzahl eingehalten wird und auf jede Anreicherung des Gemischs, wenn es um höchste Leistung geht, verzichtet. Mit dem Fünfzylinder des neuen Focus ST schlägt Ford ein neues Kapitel nach einer langen TurboTradition auf. Schon in der zweiten Hälfte der Sechziger Jahre rüstete der Schweizer Michael May die ersten Kölner Ford-Modelle mit Turboladern aus. Und seine Turbo Capri 2.3 mit 180 PS oder mehr zählten zu den Schnellsten auf der Autobahn. Der neue Focus ST wird auf den Straßen von heute in derselben Liga spielen. Jörg Hoffmann, Motoringenieur, weist aber zu recht darauf hin, dass „wir im Hinblick auf Verbrauch und Emission weit von den ersten Ford Turbos entfernt sind.“ Vom Frontspoiler bis zur Heckblende steckt der Ford Focus ST voller Details, von denen das Spezialfahrwerk rein optisch die unauffälligste Komponente darstellt. BERICHT ZUR STRASSENLAGE Das Fahrwerk des Ford Focus ST Bereits die erste Generation des Ford Focus setzte 1998 die seither gültigen Maßstäbe für die Fahrwerkstechnik in der kompakten Klasse. Ein deutlich besseres und heute gern kopiertes Konzept gelang vor sieben Jahren so perfekt, dass grundsätzliche Änderungen weder für die große Serie des neuen Focus noch für die sportliche Variante ST nötig waren. Die Umgegend der Nürburg ist die Wall Street aller erfolgreichen Fahrwerksabstimmungen, und dabei wird beileibe nicht nur auf der Rennstrecke getestet und geprobt. Dennoch steckt eine Menge intensiver Entwicklungsarbeit in der Verfeinerung des Prinzips und seiner Komponenten. Ein besonders gutes Beispiel dafür ist die Vorderachse, mit Querlenkern und Federbeinen nach jenem Prinzip McPherson, das Ford als Erster in einem Serienmodell verwirklichte und noch bis heute kultiviert – ganz offensichtlich mit dem bestem Erfolg. Das sehr viel jüngere Konzept einer MultilinkSchwertlenker-Achse zur Führung der Hinterräder feierte seinen Einstand im Ford Mondeo und zeichnete sich schon im ersten Focus aus. Im Prinzip handelt es sich hier um eine sehr Platz sparende Achskonstruktion mit doppelten Querlenkern, die in ihren Führungsaufgaben von den längs angeordneten Schwertlenkern unterstützt wird. Der dritte Partner auf dem Weg zu mustergültigen Fahreigenschaften ist die seit dem Modell-wechsel im Focus installierte ElektroHydrauli-sche-Servolenkung (EHPAS = electrohydraulic power assisted steering). Zwei wesentliche Vorzüge zeichnen das neue System aus. Die Unterstützung der Lenkung kann stufenlos dem Bedarf angepasst werden. Das ergibt angenehm niedrige Lenkkräfte beim Einparken und mäßigem Tempo, aber bei steigender Geschwindigkeit einen dem Fahrgefühl und der Stabilität sehr dienlichen höheren Kraftaufwand. Da ferner der elektrische Antrieb des Lenkservo nur so viel Leistung aufnimmt, wie tatsächlich zur Unterstützung nötig ist, arbeitet EHPAS effektiver und spart namentlich bei hohem Dauertempo Sprit. Auf dieser guten Basis, die dem in großer Serie produzierten Focus mit Leistungen bis zu 145 PS (107 kW) ein beispielhaftes Maß an Fahrsicherheit und Komfort verleiht, war es für die Techniker vom TeamRS geradezu ein Vergnügen, die Variante ST fit für 225 PS (166 kW) zu machen. Das Ziel der Abstimmung definiert Andreas Wöhler, Manager für Fahrdynamik in der Abteilung für Fahrwerksentwicklung, deren Ingenieure ihre schnellen Runden eigenhändig fahren, mit einem sehr humanen Grundsatz: „Generell erzieht die anspruchsvollste Erprobungsstrecke der Welt zu hoher Genauigkeit, und beileibe nicht zu großer Härte bei der Fahrwerksabstimmung. Es war ja auch nie unser Die Hinterachs-Konstruktion des Focus ST verfügt von Natur aus über doppelte Querlenker, Schwertlenker zur Längsführung und eine Stabilisator-Anlenkung mit aufwendigen Uniball-Gelenken. Die Vorderachse verfügt über groß dimensionierte Querlenker und MacPherson-Federbeine, die sich über progressiv gewickelten Schraubenfedern in Stützlagern abstützen. Ziel, die guten Zeiten auf der Nordschleife mit gnadenlosen Komfort-Einbussen zu erzielen, denn in unserer Technik stecken alle Voraussetzungen, mit einen angemessenen Komfort beide Seiten glücklich zu machen also sicher und schnell zu sein.“ Der Aufbau des Focus ST liegt im Vergleich zur Serienversion um 25 Millimeter niedriger. Um den gleichen Betrag wurde allerdings der negative Federweg verlängert, was die Traktion auf schlechten Fahrbahnen entscheidend fördert. Die erste Stufe der Überarbeitung dient einer Festigung der Struktur der ohnehin steiferen Karosse des neuen Focus. Im Motorraum wird zwischen den Federbeindomen dicht vor der Spritzwand eine zusätzliche Querstrebe eingezogen. Des weiteren kommt als fundamentale Pflichtübung ein spezieller Satz Federn ins Spiel. Diese sind in ihren Dimensionen so bemessen, dass eine Absenkung der Karosserie um 25 Millimeter möglich ist, ohne den Federweg von rund 200 Millimeter insgesamt zu reduzieren. Der positive Federweg (das Einfedern) wird dadurch etwas kürzer und in seiner Charakteristik auch ein wenig straffer. Der negative Federweg (das Ausfedern) wächst um den gleichen Betrag, deshalb können die Räder des Focus ST zum Wohle guter Bodenhaftung auch unter schlechten Straßenbedingungen noch weiter ausfedern als bei den anderen Modellen. Von deren Ausstattung unterscheiden sich auch die Stabilisatoren beider Achsen des ST, die natürlich etwas kräftiger gehalten sind in Durchmesser und Wirkungsweise. Die elegante Übertragung der Kräfte vom Querlenker zum Stabi über Stangen mit Kugelgelenken frei von unerwünschter Elastizität ist wiederum allen starken Versionen des neuen Ford Focus eigen. Feintuning an der Hinterachse gelingt durch straffere Gummilager der unteren Querlenker. Die Ingenieure um den Abstimmungs-Experten Wolfgang Helber sprechen von einer „elelastokinematischen Vorspurkorrektur zur Stabilisierung des Verhaltens in der Kurve“. Kurz: „Die Geometrie der Achse wird so den höheren Seitenkräften angepasst.“ „Mit dieser Auslegung des Fahrwerks schaffen wir optimale Voraussetzungen für das schnelle und sichere Fahren auf der Nordschleife des Nürburgrings und damit natürlich auch für alle denkbaren Varianten von kurvenreichen Landstraßen“, weiß nach vielen raschen Runden der Ford RS-Teamchef Jost Capito. Ganz ohne Feinschliff durfte auch die Lenkung des Focus nicht in den ST aufsteigen. Die variable Übersetzung, die mit zunehmendem Lenkeinschlag direkter wird, blieb grundsätzlich erhalten, ist aber der sportlichen Veranlagung des stärksten Modells in der Familie entsprechend insgesamt etwas direkter ausgelegt. Die hydraulische Unterstützung lässt bei hohem Tempo etwas stärker nach. Der Focus ST will etwas nachdrücklicher gelenkt werden, was in der Praxis den Eindruck von größerer Ruhe und Stabilität bewirkt. Die Fachleute sprechen von einer direkteren Rückmeldung: Der Focus ST malt es einem Fahrer förmlich in die Hand, wie es gerade unter seinen Reifen-Aufstandsflächen aussieht. Für jeden Fahrer, der sich hiermit auskennt, bietet so eine Auslegung Die Fahrbahn des Nürburgrings trägt hier noch Spuren vom vergangenen 24 Stunden Rennen der Tourenwagen, an dem auch drei Versuchsmodelle des Focus ST teilgenommen haben. zweierlei Gründe zur Begeisterung: Zur nachempfundenen Freude über die ausgeprägte Präzision beim Fahren kommt eine indirekte Lebensversicherung. Man merkt es einfach, bevor man es übertrieben hat. Die endgültige Dimension von Reifen und Felgen ist das Produkt intensiver Versuchsarbeit. In deren Verlauf erwies sich bald die Dimension 225/40 R 18 als optimal. Durch breitere Felgen aber ließen sich gute Ergebnisse noch weiter verbessern, von 7.0 Zoll kommen die Versuchsfahrer auf 7.5 und schließlich auf 8.0 Zoll. Zwar bringt diese Dimension nun bei vollem Lenkeinschlag das große Rad und die serienmäßige Karosserie des normalen Focus in Kontakt, aber da gibt es keine Kompromisse: in der Produktion werden alle ST-Karossen entsprechend vorbereitet, damit kein Reifen streift. Im vorderen Radhaus bedeckt die 8 Zoll breite 18 Zoll-Felge eine Bremsanlage von ungewöhnlicher Größe: Mit einer 25 Millimeter breiten belüfteten Scheibe von 320 Millimetern Durchmesser war man vor kurzer Zeit noch im Lager der echten Rennwagen standesgemäß ausgestattet. Für die Straßenversion des Focus sind damit ganz enorme Bremsleistungen möglich. Die 18 Zoll-Räder schaffen natürlich reichlich Platz für eine dem Potenzial des Focus gemäße Bremsanlage. Die innenbelüfteten Scheiben haben an der Vorderachse einen Durchmesser von 330 Millimeter und an der Hinterachse 285 Millimeter. Auf diesen Bremsscheiben im Oberklasseformat beißen vorn Vierkolben-Festsättel und hinten Zweikolben-Festsättel zu. So verzögern bis zu 500 PS starke Autos durchaus standesgemäß und beim Ford Focus ST gelingen ultrakurze Bremswege mit exakter Dosierung. So sieht aktive Sicherheit par excellence aus, und es bleiben ein paar Reserven, die sich freilich nur bei Ausflügen auf eine veritable Rennstrecke so richtig nutzen lassen. Mit so viel potenzieller Bremskraft ist selbst bei wettbewerbsmäßiger Fahrweise für hohe und dauerhafte Verzögerung gesorgt. Das Ford-ABS garantiert den kürzesten Bremsweg auch in kritischen Situationen, und der elektronische Bremsassistent EBA bringt bei Notbremsungen zusätzlichen Druck ins System. Weil der Ford Focus ST das schnelle Fahren als sein Lieblingsfach sehr ernst nimmt, verzichtet er nicht auf ein ESP zur Unterstützung seiner aktiven Fahrsicherheit. Wenn je die Fahrdynamik in der Kurve oder anderswo bedrohlich wird, erfolgt der Regeleingriff durch gezieltes Abbremsen einzelner Räder spät, aber in angemessener Distanz zum ernsthaften Risiko. Darum ist ESP auf öffentlichen Straßen kein Spielverderber, sondern ein verantwortungsvoller Partner, der auch dem besten Fahrer aus der Patsche helfen kann. Ausschalten sollte auch ein routinierter Fahrer das ESP allein auf abgesperrter Strecke, denn der Focus ST ist auch in diesem Punkte konsequent: Denn Aus bedeutet hier nicht nur zeitweise reduzierte Wirkung. Vielmehr ist und bleibt das System des Focus ST gänzlich und vollkommen abgeschaltet. Die Nordschleife des Nürburgrings stellt die hohe Schule für die Fahrwerks-Entwicklung dar, weil der Eifel-Kurs – ganz untypisch für eine Rennstrecke – auch mit zur toleranten Komfort-Abstimmung erzieht. DIE REIFEPRÜFUNG Seit der dreifache Formel 1-Weltmeister Sir Jackie Stewart die Teststrecke in der Eifel in den achtziger Jahren neu getauft hat, ist sie nur noch bekannter geworden, als sie ohne hin schon war: Die grüne Hölle, wie die Nordschleife des Nürburgring seither mit Künstlernamen heißt, hat ein paar Nebenjobs angenommen, mit denen sie offensichtlich ganz gut fertig wird. Roland Asch ist Ford-Händler aus Leidenschaft und ein erfahrener Motorsportler. Der TourenwagenProfi kommt auch jenseits des 50. Geburtstages nicht so richtig vom Rennsport los und war bei seiner ersten Kontaktaufnahme vom ausgeglichenen Wesen des Ford Focus ST sehr angetan. Sie spielt viele Rollen, sobald das 24-StundenRennen für Tourenwagen im Frühjahr anläuft und rund 300 vorwiegend private Teams im Rennen um die längsten 24 Stunden der Eifel vor einer Viertelmillion Zuschauer zu Hochform auflaufen lässt. Die meisten an Fans und Teilnehmern kommen ohnehin an bis zu 14 Rennwochenenden wieder in die Eifel, um den populären Langstreckenpokal an jedem zweiten Samstag auszutragen – oder um schlicht zu applaudieren. Auch Vereranen-Veranstaltungen wie die „Eifel-Klassik“ und der Deutsche Oltimer Grand Prix haben den Nürnburgring zu ihrem Austragungsort erkoren. Und zwischendurch ist die Nordschleife ganz Hochschule, Ingenieurskurs, riesiger Prüfstand und strengste Abnahmestelle der Welt. Für die meisten Ingenieure, auch von Ford, ist klar: Was auf der Nordschleife gut aussieht, das ist überall auf der Welt ein gutes Auto. Aber sie glauben auch, dass es eine Menge Arbeit ist, bis alles passt. Hierbei geht es mitnichten nur um solche Schritte, die ein Rennauto schnell machen können. Ford RS Teamchef Jost Capito: „Es geht hier nie darum, besonders harte Fahrwerke zu züchten, die sich im öffentlichen Straßenverkehr dann verstimmt und bestenfalls pseudo-sportlich anfühlen. Der Ring mit seiner vielschichtig gewundenen Fahrbahn zwingt vielmehr dazu, ein anspruchsvolles Fahrwerk mit langen Federwegen und einem guten Talent zum Ausfedern in die Abstimmung zu nehmen. Der Nürburgring zwingt Weichmacher ins Fahrwerk.“ Und was der Ring nicht selbst erledigt, das schaffen die rumpeligen Seitenstrecken rund um die Nürburg, auf denen immer wieder Grundkomfort getestet wird. Hier oben entstehen die besten Fahrwerke der Welt. Und was sich auf dem Ring bewährt hat, das kann überall bestehen.“ Auch auf den Nebenstrecken der Britischen Insel zum Beispiel, die mit ihren griffigen, doch anspruchsvollen Fahrbahnoberflächen die schärfsten Eignungsprüfung für ein gutes Fahrwerk bereithalten. Die grüne Hölle vergibt nichts. Keinen Fahrfehler, wovon die vielen schwarzen Reifenspuren auf der Fahrbahn der Nordschleife wie ein gebundenes Buch Bildnis führen. Und keinen Abstimmungsfehler. Die Folgen hiervon sind weniger deutlich sichtbar. Sie äußern sich in feuchten Handflächen, Schweiß auf der Stirn und in manch einem durchgeschwitzten Fahreranzug. „Wenn das Auto stimmt“, so sagen die Eingeweihten der Nordschleife, „dann ist die Strecke ganz einfach und der ganze Kurs ist wie ein betörender Walzer über 20 Kilometer. Wenn nicht, dann hast du die Hölle unter den Rädern“. Die Hüter der Hölle, das sind die Fahrwerksabteilungen der Industrie, die sich im Verein mit Eingeweihten und Helfern von Reifen- und Bremsindustrie am Ring das Stelldichein geben. Industrietest, so heißt ihre liebste Übung. Das bedeutet, dass die Nordschleife für alle Amateure, die sich sonst gerne bis zum Abwinken mit der Auseinandersetzung zwischen Fahrwerksabstimmung, Fahrvermögen und Unberechenbarkeit der Nordschleife herumschlagen, Pause haben. Die Strecke gehört dann denen, die hier ernste Aufgaben zu erledigen haben: Fahrwerke bekommen hier ihre Hochschulreife, während nebenan Reifen mit gehörigem Gequietsche promovieren und Bremsanlagen geruchvoll ihrer technischen Vollendung entgegenstreben. Dies ist das Klima, in dem gute Autos entstehen. Die Ingenieure arbeiten mit Hochdruck, und manch einer hat den einzigen Nachteil der Nordschleife klar erkannt: „Sie sollte hinter Hatzenbach bei Kilometer 2,5 einen Notausgang haben – für die vielen ungaren Lösungen, Streckenteil Adenauer Forst, von hier an geht’s bergab: Bis zum tiefsten Teil der Strecke werden die Bremsen gefordert, und das stabile, sture Spurverhalten bei Lastwechseln gleichermaßen. mit denen wir immer wieder auf die Strecke müssen.“ So aber, wie die Nordschleife nun einmal in der Eifel liegt, mit 20 Kilometern Streckenlänge ohne Abkürzung und einem einzigen Eingang mitten in dem Städtchen Nürburg, muss man eben ganz rum, auch wenn die letzte Einstellung keine gute war. Deshalb fahren sie die Tester auch mit ungeliebten Lösungen die vollen 20 Kilometer, tasten sich über die Höhen der Streckenteile Flugplatz und Schwedenkreuz hinab bis Breidscheid, ziehen an Niki Laudas Unfallstelle am Bergwerk heimlich den Hut, erklimmen die Hohe Acht, hüten sich vor den Eigenschaften, die der Eiskurve ihren Namen gegeben haben, kringeln um Schwalbenschwanz und Galgenkopf, bis die Döttinger Höhe geradeaus zurück führt zum Ausgangspunkt der Fahrt, wo man im Fahrerlager den Technikern sagen kann, was Sache ist: „Das war wohl nix“. Und meistens hat man bis dahin viele Dutzend Gründe und deftige Unterstreichungen gefunden, warum es nix war. So und nicht anders funktioniert die gnadenlose Auslese in der grünen Hölle, und wenn man lange genug ausgelesen hat, dann kommen allmählich die Tage, an denen die Strecke beginnt, so richtig Freude zu machen. Meistens ist es dann so weit, wenn das neue Auto mit seinem Fahrwerk aus den Kinderschuhen der Entwicklung herausgewachsen ist. Der Focus ST ist so ein Fall. Er ist an der Nordschleife groß geworden – oder genauer gesagt: Er ist weiter gewachsen. Denn alles, was den serienmäßigen Ford Focus auf dem Fahrwerkssektor auszeichnet, ist auch bereits hier oben Hier steuert der Chef: Der Teamchef Jost Capito legt bei Abstimmungsfahrten gerne selber Hand an und schätzt die Nordschleife für ihre komplexe Aufgabenstellung: „Was hier gedeiht, ist hohe Schule der Fahrwerkstechnik.“ durch die hohe Schule der Eifel gegangen. Der Focus mit seinem Fahrwerk hat die Fachpresse ans Schwärmen gebracht, und wenn es darum geht, einen stärkeren Focus aufs beste abzustimmen, dann nimmt man sich natürlich die gleichen Lehrmeister her, die schon beim bürgerlichen Serienfahrwerk ihre Meisterschaft gezeigt haben. Fahrwerks-Experte Paul Wijgaerts weiß, warum der Focus ST besonders rund in seinen Fahreigenschaften geworden ist: „Wir konnten mehrere Abstimmungen zu hoher Reife tragen vergleichen, testen, neu definieren und immer wieder untereinander kombinieren.“ Dabei konnten alle Elemente einer perfekten Fahrwerksabstimmung immer wieder neu abgeprüft werden, also nicht nur Federn, Dämpfer, Stabilisatoren, sondern auch deren hydraulisch bedämpfte Lager und Gegenlager, die Stabilisator-Gehänge, die Stützlager der Federbeine und Reifen und Felgen noch einmal dazu. Und die Ballerina einer modernen Abstimmung ist ohnehin ein Bauteil, das ganz unscheinbar „Puffer“ heißt. Das sind Kunststoffklötzchen, die wohl definiert über die zweite Hälfte des Einfederweges mit Feder und Dämpfer zusammenarbeiten. Sooft Dämpfer, Federn und Stabilisatoren auch geändert wurden, es war eigentlich jedes Mal ein Pärchen neuer Puffer fällig, sooft die Tester sich dem machbaren Maximum näherten. So ein Sortiervorgang fordert das Team zum Äußersten, was die Systematik angeht. Man ist einfach niemals ganz fertig, und darf doch vor der Fülle der hundertfach anliegenden Zwischenergebnisse niemals den Überblick ver- Man fährt in Sichtweite der Nürburg nicht nur auf der Rennstrecke. Die kleinen Seitenstrassen der Eifel halten ihre wellige Oberfläche gerne für eine Beurteilung des Fahrkomforts hin. Beurteilungsfahrt auf Nebenstrecken: Hier muss sich die Abstimmung bewähren, die auf der Rennstrecke einen guten Eindruck hinterlassen hat. Es kommt nicht nur auf Schnelligkeit und Sportlichkeit an, sondern auf den ausgewogenen Komfort. lieren. Nur so konnte der Focus ST das werden, was ihn heute auszeichnet: ein Quell steter Freude. Die kleine Werkstatt im EifelDörfchen nahe der Nürburg ist manchmal wochenlang die Heimat der FordFahrwerksingenieure. Helm auf zum Gebet: Solange die Ford-Ingenieure im Industrie-Pool testen, gehört der harte Hut zum guten Ton. Anstatt uns in die endlosen Versuchsreihen einzuarbeiten, die das Team über Jahr und Tag mit immer neuen Erkenntnissen beschäftigt haben, wollen wir uns einfach an dem Tag ins Fahrerlager einschleichen, wo die Reifeprüfung abgenommen wird: Testfahrt vom feinsten. Das Team ist bereits einigermaßen zufrieden. Man weiß, was man hat und kann stolz drauf sein. Dennoch hat sich RS-Teamchef Jost Capito eine besondere Prüfung einfallen lassen, um die Abnahme auf einem hohen Niveau zu gewährleisten. Dazu bringt er einen Kollegen mit zur Nordschleife, der mit Vollgas lange und ausführlich sein täglich Brot verdient hat – zumindest teilweise. Roland Asch ist Ford-Händler aus Passion, Rennfahrer aus Leidenschaft und mit den Eigenheiten der Nordschleife gut vertraut. Paul Wijgaerts, der den Focus ST zur hohen Reife getrieben hat, sieht dem AbnahmeTermin mit dem versierten Kollegen gelassen entgegen. Beide kennen den Ring, der an diesem Morgen in frühlingshafter Sonne liegt, und beide achten ihn. Die Tipps vor dem losfahren erzählen von dieser Achtung: „Die Schattenpassagen sind noch feucht, das merkt man am Adenauer Forst besonders deutlich“ so gibt ihnen Ford-Cheftester Stefan Wölflick mit auf den Weg. Dann rollen sie los, zunächst im bekannt sportlichen Focus RS, dem 220 PS Sportwagen auf Basis der Focus-Generation vor 2004, der unter Enthusiasten heute schon zu Liebhaberpreisen gehandelt wird. Daneben im direkten Vergleich der Neue. Ein schwarzer Focus ST mit Kölner Zulassung, der nur für Uneingeweihte wie ein Standard-Focus aussieht. Zufahrt zur Nordschleife, dann bergab zum Kurvengeschlängel des Hatzenbach. Jeder der vier Kurvenzüge ist hier anders unrund bis eckig, hängt nach außen oder innen oder geht zumindest einmal vom einen ins andere Extrem über und ist zudem von Rippen und Rillen durchsetzt. Der Focus nimmt die Passage völlig gelassen und stürmt gelassen auf die kuppige Gerade der Quiddelbacher Höhe. „Wow“ so tönt es aus dem Helm von Roland Asch, als die folgende rasche Doppel-Rechts-Kombination zum Schwedenkreuz mit einem Tempo begangen wird, das ihm offensichtlich Achtung abnötigt. Auf den Kuppen zum Schwedenkreuz macht der Focus ST ganz lange Beine, hält trotz deutlicher Neigung zum Abheben die Räder am Boden und bleibt deshalb trotz aberwitzigem Speed völlig sicher in der Spur und einfach beherrschbar. Das scheidet ihn von den sportlich aufgemachten Wagen, die kurze Federwege und harte Federung vereinen. Sie kommen hier immer gewaltig ans Rudern und manche der Radierungen eines unbekannten Meisters auf der Fahrbahn führen im unguten Winkel zur Leitplanke, die an manchen Stellen erstaunlich frisch aussieht. Fuchsröhre. Achterbahn für Erwachsene. Für Nicht-Eingeweihte mit „Eingang zur Hölle“ fehlerfrei zu übersetzen. Steil bergab, nie ganz gerade, kuppig, von Senken durchspickt, sauschnell und am Ende ganz eng, zwei ZweiteGang-Kurven, die sich im Übergang selbst nicht leiden können. Dann Adenauer Forst, wo die grüne Hölle scheinbar direkt in den Himmel übergeht, nur leider im Zickzack. Vor uns testet ein Vorserien-Achtzylinder von deutlich über 300 PS den Grenzbereich – doch nicht sehr lange. Der Fahrer sieht am raschen Aufrücken des Focus in seinem Rückspiegel, wer hier mit größerem Schwung zur Sache gehen kann. Er winkt uns vorbei, und wir sehen, dass die elegante Karosserie von Leitplanken auf der ganzen Länge schon sichtbare Nagespuren aufweist. Der Ring vergibt nichts. Wir verlieren den Achtzylinder rasch aus den Rückspiegeln, strömen bergab zum tiefsten Punkt der Strecke, stellen fest, dass die Reifen ganz gut mithalten, obwohl es bis hierher nie so richtig geradeaus geht, sondern in so einer Art Auto-Slalom bergab. Dann bergauf. In den nächsten drei Minuten stürmt der Focus ST über 400 Höhenmeter zur Hohen Acht, dem höchsten Punkt der Strecke. Die Fahrbahn enthält alle Gemeinheiten, die ein Auto in Verlegenheit bringen können. Aber der Focus lässt sich von keiner besonders beeindrucken. Nicht vom holprigen Turn des Karussell, bei dem man über 22 Betonplatten holpert wie auf einem landwirtschaftlichen Feldweg. Nicht auf den Wechselkurven des Wippermann, wo man nur dann richtig schnell ist, wenn man mit zwei Rädern knapp auf die Wiese neben der Strecke kommt. Und erst recht nicht im kleinen Autodrom des Brünnchen, wo es darum geht, vier nach außen hängende Wechselkurven zu einem irgendwie fahrbaren Bogen zusammenzuschmieden. Es folgen die Sprunghügel der kleinen Dreischanzen-Tournee bis zum Schwalbenschwanz, wo der Focus einmal so unmerklich abhebt, dass man Jost Capito, Ford RS-Teamchef, nennt den Grund für die ausgedehnten Testsessionen: „Es geht hier nie darum, besonders harte Fahrwerke zu züchten, die sich im Straßenverkehr verstimmt und bestenfalls pseudo-sportlich anfühlen“. die Landung auf der Fahrbahn kaum bemerkt. „Waren wir überhaupt in der Luft?“ so fragt Roland Asch in voller Fahrt. Er ist gewohnt, hier in wilden Bocksprüngen über die Strecke zu fliegen und kann den Focus zunächst karg loben: „Hier geht’s noch schneller, wenn man will.“ Viel schneller sicher nicht, das zeigt die Uhr nach 20 Kilometern, als wir nach knapp neun Minuten im kleinen Fahrerlager der Industrietests einkehren. Der Wert ist Legende. So schnell fahren sonst nur Autos, die deutlich über 300 PS unter der Haube haben, der so genannte Neun-Minuten-Adel. Roland Asch öffnet die Tür und ist sich mit Paul Wijgaerts auf Anhieb einig: „Das Auto ist mit einem Wort sa-gen-haft.“ Roland präzisiert: „Für ein Serienauto sind die Bremsen sehr eindrucksvoll und die Verbindung zur Strasse ist einfach legendär.“ Paul präzisiert: „Auch wenn man ihn in eine von den bösen Ecken bewusst hineindrischt: Der zuckt mal kurz, das war’s dann.“ Roland, weiß genau, was gemeint ist: „Betont gutmütig. Vergibt alles, ist voll berechenbar. Keine Überraschung, nirgends.“ Das Team um Paul Wijgaerts ist dann doch gerührt. Sie kennen das Auto, wie gesagt, und haben seine Vorteile mit viel Fleiß aufgebaut, aber mit soviel Lob hat man nicht direkt gerechnet. Ein echter Fahrwerksingenieur überspielt die Verlegenheit mit Sachfragen. Also fachsimpeln sie drauflos: „Hat er denn auch die Spur gehalten, wenn du am Schwedenkreuz ganz außen anfährst?“. Diese Stelle gilt als besonders anspruchsvoll. Die Fahrer nehmen das sofort als Einladung und greifen nach dem Helm. Der Mann vom Conti-Reifen-Service weiß jetzt genau: so frisch bekommt er seine Reifen nie wieder zu sehen. Dabei haben auch die ein Lob verdient, was die Standfestigkeit im Renntempo angeht: „Unglaublich, wie die halten.“ Drüben am Schwedenkreuz quietschen die Contis, aber der Focus bleibt in der Spur. Wie immer eigentlich. Gelernt ist schließlich gelernt. Die grüne Hölle hat wieder mal einen Absolventen, summa cum laude, Kennzeichen ST. Unangenehm am Autotest nahe dem Polarkreis ist die Tatsache, dass es in der Regel ziemlich düster zugeht. Deshalb wird bei Abstimmungsfahrten ganz einfach und konsequent die Nacht zum Tag gemacht. THE TOUGH CHOICE Wie eiskalt ist dies Ländchen Jedes Jahr, wenn die Zugvögel zum späten Herbst hin nach Süden ziehen, bekommen die Entwicklungsingenieure den großen Zug nach Norden. Zum Polarkreis zieht es sie, wo in Nordschweden dicht an der Grenze zu Finnland zwischen den Städtchen Arjeplog und Arvidsjaur ein starr gefrorenes Entwicklungszentrum für moderne Autos entsteht. Jawohl, es entsteht in jedem Jahr neu, denn im Sommer bleiben kaum Hinweise auf ein Zentrum technischer Kompetenz. Dann liegen die beiden Städtchen matt in der Schwedischen Sonne, und nur wer genau hinguckt, bemerkt ein gewisses Missverhältnis im mathematischen Sinn: Obwohl beide Städtchen gerade einmal 800 Einwohner aufweisen, die sich auf einer Fläche so groß wie Belgien ziemlich locker verteilen, haben die beiden Ansiedlungen insgesamt 20 Hotels mit etwa 2000 Betten, dazu Kneipen und Restaurants mit insgesamt ähnlich vielen Plätzen. Nach allen Regeln der Marktwirtschaft müssten die Bürger hier oben dick und fett sein, oder die Gastwirte bankrott. Es geht aber allen miteinander recht gut, und sie freuen sich auf die grimmig kalte Jahreszeit, während in der eher flauen Sommersaison das höchste Glück der verweilenden Touristen in einer netten Badehütte an einem der vielen hundert Seen liegt. Dann aber, sobald der Winterwind vom Pol her faucht, schwillt auch die Arjeplog-Times, die im Sommer mit vier Seiten für das Wesentliche auskommt, auf immerhin den doppelten Umfang an. Und berichtet neben dem Stand der Wintergäste (1800) über so erschütternde Sensationen wie das Elchbaby, das sich ganz allein in das eingezäunte Testgelände des Bremsherstellers ATE verirrt hat, indem es einfach über die Schranke am Zentraleingang gehopst ist. Der Jung-Elch war in der Folge zwei Tage lang von seiner besorgt blökenden Mutter durch einen hohen Zaun getrennt, bevor die Ingenieure ihn wieder durch die diesmal korrekt geöffnete Schranke nach draußen scheuchen konnten. Mutter und Kind flohen vereint in die eisigen Wälder und am ATE-Stammtisch schwor man Stein und Bein, man hätte ich Sachen Elchtest von dem Kleinen manches lernen können. Man sieht es an der „Times“: In Arjeplog pulsiert das Leben. Für den Winter entstehen Dutzende von Teststrecken, sobald die polare Kälte die Seen zu tragfester Eisstärke zufrieren lässt. Wann es soweit ist, das merken die schwedischen Teststrecken-Erbauer ganz schnell daran, dass ihnen die Baumaschinen nicht mehr so häufig durch das Eis brechen, mit denen sie den Schnee von der Teststrecke schieben. Sobald das Eis etwa 40 Zentimeter Stärke hat, trägt es Schneepflug und rollende Eismaschinen, wie vom Eishockey bekannt, einigermaßen zuverlässig. Dann ist Arbeit angesagt, denn nachfallender Schnee verdirbt die Strecken rasch wieder. Er isoliert nämlich so unangenehm gut, dass das Eis nicht viel dicker als 40 Zentimeter wird, solange es nicht geräumt wird. Und so geht jeden Spätherbst das große Schieben, Räumen und Polieren los, bis ideale Bedingungen für die Stecken herrschen: Die nächtliche Kälte kriecht durch das Eis und lässt es dort, wo die Oberfläche geräumt ist, dick, fest und tragfähig werden. Im Lauf der Winterkälte entstehen so bis über einen Meter dicke Eisschichten, und darauf kann man getrost auch voll beladene Lastwagen zum Test auf dem Eis bitten. Vom Testinstinkt getrieben, ziehen auch die Ingenieure von Ford an den Polarkreis. Sie haben vier Generationen künftiger Prototypen bei sich, vom Siebensitzer bis zum kommenden Transporter. Ihr Lieblingsspielzeug aber ist derzeit der neue Focus ST. Wie alle Prototypen aus der Testflotte trägt er einen echten Namen: „Beatrix“ klingt einfacher und unverwechselbarer als XU17-32J, wie der schneeweiße Focus nach der kryptischen Bezeichnung der FordInventarliste eigentlich auch heißen könnte. Beatrix heißt nach einer belgischen Märchenprinzessin, aber die Regeln sind auf diesem Gebiet locker, und so trifft Beatrix auf den Teststrecken gelegentlich auf Kollegen wie „Grautvornix“ und „Methusalix“, die eindeutig aus der Fachliteratur der Gallischen Befreiungsfront ausgeliehen sind. Ein Handlingkurs schlängelt sich vom nicht ganz ewigen Eis der Seen auf das waldige Festland, wo viele unebene Kurven einen anspruchsvollen Untergrund für die ESP-Tests hergeben. Der Ford Focus Diesel stellt für den Focus ST einen gleichwertigen Vergleichspartner für die ESP-Abstimmung dar – beide haben annähernd die gleiche Last auf der Vorderachse und somit eine starke Ähnlichkeit im prinzipiellen Fahrverhalten. Solange das Eis immer wieder einmal kracht und gelegentlich Sprünge bekommt, hält es, das wissen die Entwicklungs-Ingenieure. Gefährlich wird es erst im Frühjahr, wenn das Eis auf einmal ganz ruhig zu werden scheint. Beatrix gehört zum Team der Fahrdynamiker. Sie ist akribisch genau auf den letzten Entwicklungsstand der Fahrwerksentwicklung gebracht worden, ihr Brems- und ESP-System ist die neueste Generation bis hin zum letzten Sensor, alles vom Feinsten. Rein äußerlich sieht Beatrix dagegen nicht so sehr vorteilhaft aus, denn Klebestreifen halten die Karosserieteile aus der Vorserie sichtbar lässig zusammen, seit Beatrix ein paar Mal Bekanntschaft mit den Schneewänden am Rand der Strecke gemacht hat. Und der Tarnung dient diese Verkleidung natürlich auch; man möchte den Erlkönig-Fotografen, die hier oben eiskalt agieren, den Job bei der Enttarnung neuer Modelle nicht allzu leicht machen. Denn eigentlich kommt Mann hier hoch, um Autoleben im Zeitraffer zu erleben. Tief gefrorene Strecken sind dazu die beste Voraussetzung: Man rutscht oft schon beim Ausparken in irgendeine unbeabsichtigte Richtung und kann die Fahrzeugkontrolle auf jedem Meter gefahrener Strecke erproben. Zur exakten Erprobung gehört freilich ein weiter Fächer von Handlingkursen, Kreisbahnen und einfachen, geraden Strecken, die stellenweise poliert, verschneit, gestreut und an manchen Stellen auch geheizt sind. Jawohl geheizt, denn im Schachbrett-artigen Wechsel von griffigen und rutschigen Fahrbahnstellen liegt die besondere Kunst der Brems- und ESP-Abstimmung. Darum also geht es. Zu Rutschen, dass die Sensoren glühen, und dabei stets ein Auge darauf zu haben, wie die Abstimmung der verschiedenen Systeme, die den Sommer über für den neuen Focus ST entwickelt wurden, im Winter funktionieren. Zwei Männer nehmen Beatrix gerne in den Schwitzkasten. Es sind die Dynamik-Experten Andreas Woehler und Geert van Noyen, die dem normalen Focus bereits das Federn beigebracht haben, dass die Fachpresse von der genialen Kreuzung aus Komfort und Lenkpräzision ganz hingerissen war. Nicht zu reden von der Fahrsicherheit in jedem denkbaren Zustand. Und dazu gehören auch diejenigen Fahrsituationen, die einem normalen Autofahrer vielleicht dreimal in seinem Leben vorkommen: Rutschen, Schleudern, Driften und grimmiges Schieben über die Vorderräder gehören hier oben zur Tagesordnung. Andreas Woehler lobt die Möglichkeiten, die diese Gegend am Polarkreis bietet: „Es ist beinahe unglaublich, was man innerhalb weniger Stunden an verschiedenen Abstimmungen alles erproben kann. Manchmal liegen Minuten zwischen den Fahrversuchen am Grenzbereich unter völlig verschiedenen Bedingungen, und so sind klare Vergleiche mit enormer Präzision der Ergebnisse möglich.“ Eigentlich ist er der Chef der FahrdynamikAbteilung, aber im Dialog um die beste Abstimmung merkt man nicht viel von der Hierarchie innerhalb der Abteilung. Es geht schließlich auch absolut fachlich zu, wenn Andreas Woehler und Geert van Noyen die Ansätze zur nächsten Testreihe durchdiskutieren. Geert Keiner kennt die genaue Anzahl der Slalom-Kurven, die im Zuge einer Wintertest-Saison gefahren werden. Sicher geht ihre echte Zahl in die Hunderttausende, doch am Ende zählt nur das sauber ausbalancierte Fahrverhalten des neuen Focus ST. Ein wahrlich sonniger Moment: Die überaus schwierige Abstimmung des ESP-Systems für den neuen Ford Focus ST scheint gelungen, und so strahlen die Fahrwerks-Experten Geert van Noyen (links) und Andreas Woehler (rechts) gemeinsam in den kalten Wintermorgen. Immer dann, wenn die Strecke wieder allzu stark zerwühlt und zerfurcht wurde, sorgt der Räumdienst mit schwerem Gerät für ausgeglichene Ausgangbedingungen für weitere Tests. spricht dann Sätze wie „Wir sollten hinten den Achtzehner probieren, vorne auf die Dreier umstellen und checken, wie das mit der X7 harmoniert.“ Als Laie steht man dann erstmal dumm daneben und muss sich erklären lassen, dass der Achtzehner der hintere Stabilisator ist, der im sommerlichen Testbetrieb besonders begeistern konnte. Die Dreier, das ist eine Federkombination vom Experten Thyssen, die besonders weich, doch tonnenförmig und progressiv gewickelt wurde und zur Unterscheidung von zwei anderen Möglichkeiten einfach durchnumeriert wurde. Und X7, das ist die vorletzte Software-Generation im Kontrollsystem des ESP, die bisher immer ein wenig zu abrupt in der Wirkungsweise empfunden wurde. Deshalb erproben sie bisher die Version X8, auch wenn sie leichte Nachteile im feinfühligen Ansprechverhalten aufweist. Die Werkstatt im Tiefschnee der schwedischen Wälder, in der sich Brems- und Fahrwerksexperten aus aller Welt ein Stelldichein geben, nimmt Beatrix zur fälligen Modifikation auf die Hebebühne. „Kommt in einer Stunde wieder, dann ist inklusive Achtzehner, Dreier und X7 alles erledigt“. Grautvornix muss draußen bleiben. Das ist der grüne Focus-Diesel, der als rollender Urmeter hier oben seinen Dienst tut. Er ist ein in Ehren ergrauter Testwagen mit vielen tausend Testkilometern auf dem grünen Lack. Aber fahrwerkstechnisch ist er praktisch im Neuzustand, repräsentativ für die Serie der zigtausend verkauften Focus, die in Europa bereits verkauft wurden. Grautvornix ist gefragter Vergleichstest-Gegner von Beatrix, sooft eine neue Kombination ausprobiert wird. Was bei Beatrix gefällt, muss sich mit Grautvornix vergleichen lassen. Und wenn es sich im direkten Vergleich nicht besser anfühlt, dann wird es nichts aus der Kombination von Achtzehner hinten, Dreier vorn und X7 im Sinn. Was wie ein unfairer Vergleich wirkt, ist einkalkuliert: 220 Turbo-PS hier, plus Sportfahrwerk und Riesenbremse. Grautvornix dagegen, der sparsame Diesel mit komfortablem Serienfahrwerk und Serienbremse. Die Dynamik-Experten jedoch können die Eigenheiten der Autos, die sie nicht besonders interessieren, einfach ausblenden. Sie haben an der Stelle, wo dem normalen Fahrer der Unterschied zwischen Diesel und Sport-Turbo ins Auge sticht, so eine Art gewollte Passiv-Empfindung, wenn sie es so wollen. Andreas Woehler erklärt die Absicht: „Der Diesel und der ST-Motor kommen in etwa auf die gleiche Vorderachslast, die bei Fahrversuchen hier oben die Fahreigenschaften dominant beherrscht. Wenn sich Beatrix und Grautvornix im Kurvenverhalten grundsätzlich ähneln, dann können wir die Eingriffspunkte von ABS, ESP und Lenkung besonders vorteilhaft vergleichen.“ Das Umgangsverhalten des Focus ST soll von Sicherheit geprägt sein, von guter Beherrschbarkeit und eindeutig definiertem Fahrverhalten bis tief in den Grenzbereich hinein. Dann erst soll das ESP-System den Fahrer bei allzu rascher Kurvenfahrt unterstützen. Auch hier ist wieder sanftes Eingreifen oberste Parole; erst wenn ein Abdriften in die nächste Schneewand beinahe unvermeidlich ist, dann darf das ESP so fest zupacken, wie das der gefrorene Untergrund so eben noch erlaubt. In der Abstimmung liegt die Würze. Und die Abstimmung eines 220 PS starken Autos mit wohl balanciertem Sportfahrwerk ist eigentlich der größte Rückschritt, den man einem SerienFocus unter den hiesigen Fahrbedingungen zumuten kann. Andreas Woehler doziert aus der hohen Schule der Fahrwerksabstimmung: „Mehr Federhärte vorn und mehr Stabilisator hinten bedeutet zunächst mehr Traktion, aber eben auch mehr giftiges Übersteuern bei Lastwechseln und insgesamt ein weniger berechenbares Fahrverhalten.“ Wer die großzügigen Drifts der Testingenieure auf den hiesigen Eisfahrbahnen erleben konnte, der weiß ein Lied von der Richtigkeit der Aussage zu singen. Dazu Geert van Noyen: „Der Stabilisator, der nach den Sommer-Fahrversuchen als bester Kompromiss feststand, wirft uns hier um Meilen zurück. Also müssen wir aus den anderen bekannten Komponenten die besten heraussuchen und neue Versuche ausführen. Denn soviel ist klar: Auf Glätte soll ein starker Focus den schwächer motorisierten Versionen sicher nicht unterlegen sein, was Handling und Gutmütigkeit im Fahrverhalten angeht.” Also rücken sie wieder einmal aus, Beatrix und Grautvornix, und nehmen die Eispisten der Versuchsgelände gemeinsam unter die Räder. Es wird gebremst, gedriftet, geslalomt, danach gekreisbahnt auf griffigem und poliertem Eis. Dazwischen geht es immer wieder darum, die eigenen Meinungen und Analysen zu vergleichen und abzusprechen, was die beiden im direkten Vergleich hergeben. Am einfachsten stellt man dazu die beiden Testwagen Wenn es wieder mal so wild zuging, dass die Pylone über das Eis geflogen sind, dann geht es darum, beim Aufräumen der Teststrecke die Sitzheizung nicht im Stich zu lassen. Der Wind schneidet mit 23 Grad minus über den See und man muss gut aufpassen, dass Schaufel und Abschlepphaken nicht an den Händen festfrieren. umgekehrt nebeneinander und spricht von Fahrersitz zu Fahrersitz. Dabei wird es einem nicht ganz so kalt, als wenn bei 20 Grad minus die Konferenzen im Stehen abgehalten werden müssen. Und ganz langsam wird klar, dass da eine Kombination von Federn, Dämpfern und Stabilisatoren heranreift, die den Kompromiss der straffen Sportabstimmung nur wenig auf die Serienabstimmung durchschlagen lässt. Es kommt zwar nicht so weit, dass der Focus ST in einem ähnlichen Maß Kreise um den Focus Diesel fahren kann, wie dies auf einer trockenen und abgesperrten Rennstrecke unter sommerlichen Bedingungen der Fall wäre. Aber im direkten Vergleich kommt Beatrix zunächst so weit, dass sie Grautvornix das Wasser reichen kann. Und nach ein paar weiteren Abstimmungsschleifen mit Feder-Dämpfer-Kombinationen, die nicht besonders vielversprechend im Sommer getestet wurden, wird klar, dass der Focus ST ein heißes Talent für kalte Fahrbahnoberflächen hat. Darüber vergehen Tage und Wochen in polarer Kälte. Bei Temperaturen unter Null klagt hier oben noch niemand. Nachts, wenn die Temperaturen nochmals fallen, werden die Motoren der Testwagen mit elektrischen Zusatzheizungen verwöhnt. Nicht nur die Starterbatterien, auch die elektronischen Auswertungs-Computer könnten bei allzu klirrendem Frost Schaden nehmen. Erst im fortschreitenden Frühjahr lässt die emsige Test-Tätigkeit langsam nach. Die Eingeweihten erkennen, dass man langsam vorsichtig auf dem Eis werden muss, wenn es aufhört zu krachen und immer wieder Risse zu kriegen. Dann taut es von unten her langsam weg. Das letzte, das bleibt, sind die Teststrecken, die man vom Flugzeug aus noch lange beobachten kann. Sie treiben oft noch monatelang als schwimmende Kringel über die Seen, wenn der Sommer schon langsam in Land zieht. Dann sitzen gelegentlich einsame Möwen und Enten auf den riesigen Kringeln und Kreisen aus Eis, und wundern sich, was die Autoindustrie so alles anstellt.