Netzwerke gewaltbereiter Islamisten
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Netzwerke gewaltbereiter Islamisten
Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 Landesamt für Verfassungsschutz Hessen Netzwerke gewaltbereiter Islamisten 16:58 Uhr Seite 1 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Impressum Herausgeber: Landesamt für Verfassungsschutz Hessen Konrad-Adenauer-Ring 49 65187 Wiesbaden 3., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage Stand: Mai 2012 www.verfassungsschutz.hessen.de E-Mail: poststelle@lfv.hessen.de Seite 2 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Inhalt Vorbemerkung 4 Gewaltbereiter Islamismus 6 Islamisten im Internet 18 Fazit 23 NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN 3 Seite 3 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Vorbemerkung Seit einiger Zeit steht Deutschland im Blickfeld islamistischer Terroristen. Vor allem das Engagement der Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan, das auch den Einsatz der Bundeswehr umfasst, ist verstärkt in den Fokus der globalen islamistischen Propaganda gelangt. Islamisten instrumentalisieren dabei den Afghanistaneinsatz, um die Bedrohung deutscher Interessen im In- und Ausland zu rechtfertigen. Seit 2009 wurden im Internet vermehrt islamistische Propaganda-Verlautbarungen veröffentlicht, darunter auch unmittelbar gegen Deutschland gerichtete Drohungen. Einige stammen von Personen, die al-Qaida bzw. anderen islamistisch-terroristischen Gruppierungen mit Nähe zur al-Qaida zugeordnet werden können. Darin wird immer wieder der Abzug der NATO-Streitkräfte, und somit auch der Bundeswehr, aus Afghanistan gefordert. Am 2. März 2011 zeigte sich, dass auch in Deutschland ein islamistisch motivierter Anschlag geschehen kann: Am Flughafen Frankfurt am Main gab ein damals 21-jähriger Mann mehrere Schüsse auf US-amerikanische Soldaten ab und verletzte vier von ihnen; zwei der Truppenangehörigen erlitten tödliche Verletzungen. Der Täter wurde noch am Flughafen festgenommen und schließlich am 10. Februar 2012 zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. 4 NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN Seite 4 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Nach Sichtung seines Profils im sozialen Netzwerk „Facebook“ konnte eine sogenannte Freundschaftsbeziehung zum „Facebook“-Auftritt eines islamistischen Missionierungsnetzwerks aus Frankfurt am Main festgestellt werden. Es ergaben sich zudem weitere Hinweise darauf, dass sich der Schütze vor seiner Tat mit den Vorträgen eines der Protagonisten dieses Netzwerks auseinander gesetzt hatte. Zudem erhielt das Thema mit der Tötung des al-QaidaFührers Usama Bin Ladin am 2. Mai 2011 durch US-amerikanische Spezialeinheiten eine neue Brisanz. Zwar liegen derzeit keine konkreten Hinweise auf weitere bevorstehende Anschläge vor, dennoch halten sich auch in Hessen Personen auf, die sich am bewaffneten Kampf vorgeblich „zur Verteidigung des Islam“ beteiligen wollen. Von diesen Personen gehen Gefährdungsmomente aus, die der näheren Aufklärung durch die Sicherheitsbehörden bedürfen. Die vorliegende Broschüre widmet sich diesen Gefahrenpotenzialen und liefert einen kurzen Überblick über die Zielvorstellungen und ideologischen Grundlagen des gewaltbereiten Islamismus. Dabei werden denkbare Radikalisierungswege gewaltbereiter islamistischer Akteure ebenso angesprochen wie die Auswirkungen eines Aufenthalts in einem terroristischen Ausbildungslager. Die dritte Auflage ist angesichts neuer Entwicklungen überarbeitet und aktualisiert worden. NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN 5 Seite 5 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Gewaltbereiter Islamismus Vor allem Personen, die sich bereits dem bewaffneten Kampf gegen die „Ungläubigen“ verschrieben haben, stellen eine große Bedrohung für deutsche Interessen im In- und Ausland dar. Zielsetzung Diese Menschen sehen sich zumeist als „Kämpfer für die Sache Allahs“ (Mujahidin), die den Islam gegen eine vermeintliche Aggression der „Ungläubigen“ verteidigen wollen. Als geeignetes Mittel bejahen sie dabei auch den bewaffneten Kampf, den sie nicht nur in den Kampfgebieten des Mittleren Ostens und Zentralasiens führen, sondern auch durch terroristische Anschläge in andere Teile der Welt zu tragen versuchen. Viele Mujahidin sind bereits derart radikalisiert, dass sie auch dazu bereit sind, ihr Leben im „Kampf für den Islam“ zu opfern. Diese Einstellung setzt voraus, dass sie nicht nur mit konventionellen Konfliktlösungsstrategien abgeschlossen, sondern auch eine Ideologie verinnerlicht haben, die ihren Kampf zu rechtfertigen vermag. Ideologische Grundlagen Die ideologische Grundlage, die alle Mujahidin gemeinsam haben, bildet der sogenannte Salafismus. Dabei handelt es sich um eine extremistische Interpretation des Islam, deren 6 NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN Seite 6 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Anhänger vor allem durch lose Netzwerke miteinander verbunden sind. Salafismus Salafisten geben vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran und dem vom Propheten Muhammad und den „frommen Altvorderen“ (arab. as-salaf as-salih) gesetzten Vorbild auszurichten. Aus dieser Ausrichtung leitet sich auch die heute überwiegend verwendete Bezeichnung „Salafismus“ für diese extremistische Interpretation des Islams ab. Das Ziel der Salafisten ist es, eine vermeintlich ideale islamische Gesellschaft zu schaffen. In letzter Konsequenz soll ein islamistischer Gottesstaat errichtet werden, in dem wesentliche Grundrechte und Verfassungspositionen keine Geltung haben sollen. Je nach gesellschaftlichem und politischem Kontext akzeptieren Salafisten dabei auch den Einsatz von Gewalt, um ihre Ideologie zu verbreiten und ihre Vorstellung des islamistischen Staates durchzusetzen. Sie knüpfen dabei an die Vorstellungen des bewaffneten Kampfes zur „Verteidigung des Islam gegen die Ungläubigen“ an. Grundlegende salafistische Positionen sind u. a. die angestrebte umfassende Organisation der Gesellschaft nach den NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN 7 Seite 7 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Regeln der islamischen Rechtsordnung (Scharia). Diese Regeln finden ihren Ursprung im Koran und sind somit – als gottgegebene Weisungen – für alle Gläubigen verbindlich. Sämtliche Regelungen des öffentlichen und privaten Lebens werden dabei aus der Scharia hergeleitet. Salafisten lehnen deshalb demokratisch legitimierte – also durch freie Wahlen bestimmte – Regierungen und Parlamente sowie die von ihnen verabschiedeten Gesetze als nicht mit den Grundsätzen der Scharia übereinstimmend ab. Als Teil dieser Regeln werden zum Beispiel Körper- und Todesstrafen für bestimmte Straftaten gefordert, so etwa die Steinigung bei Ehebruch oder das Abtrennen der Hand bei Diebstahl. Diese Strafen sind u.a. mit dem Schutz der Menschenwürde aus Artikel 1 des Grundgesetzes unvereinbar. Weitere salafistische Prinzipien sind die unbedingte Forderung nach der Vollverschleierung der Frau oder die Ablehnung des jüdischen und christlichen Glaubens als gleichwertige Religionen neben dem Islam. Ihre Ideologie versuchen Salafisten vor allem über das Internet, Vorträge und sogenannte „Islamseminare“ zu verbreiten. „Islamseminare“ sind zumeist mehrtägige Veranstaltungen, die in erster Linie der Indoktrinierung sowie der Gewinnung neuer Anhänger dienen. Sie sind aber auch ein Mittel zur Kontaktpflege bereits radikalisierter Muslime. Neben der Verbreitung salafistischen Gedankenguts steht also auch der Gedanke der Vernetzung im Vordergrund. 8 NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN Seite 8 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Die im Rahmen von „Islamseminaren“ gehaltenen Vorträge können häufig auch im Internet abgerufen werden und bilden so eine wirkungsvolle Ergänzung für die Radikalisierungsbemühungen der Vortragenden. Während der Großteil der Salafisten in Deutschland versucht, über Missionierungsaktivitäten neue Anhänger zu gewinnen (politischer Salafismus), ist ein kleinerer Teil davon überzeugt, dass die Errichtung eines islamistischen Gottesstaats nur durch den bewaffneten Kampf möglich sei (jihadistischer Salafismus). Auch wenn sich die Anhänger beider Strömungen häufig gegenseitig kritisieren, sind die Übergänge fließend, da sich beide auf die gleichen Quellen beziehen und zudem im politischen Salafismus eine ambivalente Haltung zur Anwendung von Gewalt besteht. Radikalisierungsverlauf Die Radikalisierung gewaltbereiter Islamisten verläuft nicht stereotyp nach einem bestimmten Schema: Ausgangssituation und Beweggründe der Betroffenen sind vielfältig. Schon deshalb verbieten sich pauschale Erklärungsansätze. Dennoch lässt sich ein idealtypischer Radikalisierungsverlauf skizzieren: Dieser beginnt zumeist mit der Ablehnung der Werte und Normen der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft und NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN 9 Seite 9 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr der sukzessiven Übernahme der ideologischen Vorgaben des Salafismus in das eigene Weltbild. Der inneren Abkehr folgt in der Regel auch der äußerlich wahrnehmbare Rückzug aus der Gesellschaft. Kontakte zu „westlich“ orientierten Bekannten und Freunden werden abgebrochen. Es ist vielfach eine Konzentration auf eine strenge islamistische Glaubensauslegung zu beobachten, die nur mit Gleichgesinnten gelebt werden kann. Als möglicher Höhepunkt der Radikalisierungsphase kann sich dann die Bereitschaft zum bewaffneten Kampf oder zum Besuch eines terroristischen Ausbildungslagers entwickeln. Mehrere Faktoren können den Radikalisierungsprozess begünstigen. Dazu zählen vor allem in der Persönlichkeit der Betroffenen liegende Faktoren wie eine unbefriedigend erscheinende persönliche Lebenssituation, fehlende Anerkennung, ein geringes intellektuelles Differenzierungsvermögen oder fehlendes Mitgefühl für andere Menschen. Wirken darüber hinaus noch Einflüsse von außen auf die Betroffenen ein, ist ein Radikalisierungserfolg umso wahrscheinlicher. Hierzu werden etwa private Kontakte zu bekennenden Salafisten oder salafistischen Missionierungsnetzwerken, Auslandsaufenthalte sowie der Besuch islamistischer Internetseiten und -foren gezählt. 10 NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN Seite 10 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Die Phase der Rekrutierung An die Radikalisierungsphase kann sich dann eine Phase der „Rekrutierung“ anschließen, in der die Betroffenen zum Beispiel Anschluss an eine terroristische Organisation suchen, von Terroristen angeworben werden oder in der sie aus eigenem Antrieb damit beginnen, das notwendige „Know-How“ für eigene terroristische Aktionen zu erwerben, z.B. durch einen Aufenthalt in einem terroristischen Trainingslager. Der Besuch terroristischer Ausbildungslager – die z. B. im Grenzgebiet von Afghanistan und Pakistan angesiedelt sind – stellt einen wesentlichen Baustein zur Radikalisierung von Islamisten dar. Hier können die angehenden Kämpfer das erforderliche technische Wissen erwerben, um sich an bewaffneten Auseinandersetzungen zu beteiligen: Es werden „Schulungsinhalte“ zum Umgang mit Schusswaffen und Sprengvorrichtungen oder zur verschlüsselten Kommunikation vermittelt. Die Ausbildungslager haben aber auch die Funktion einer „Kontaktbörse“. Die Absolventen lernen sich im täglichen (Kampf-) Training kennen und teilen gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen. So können sich auch zum Teil sehr beständige persönliche Beziehungen entwickeln, die für das Funktionieren islamistisch-terroristischer Personennetzwerke von erheblicher Bedeutung sind. Besonders wichtig sind jedoch die psychologischen Auswirkungen eines Ausbildungslageraufenthalts auf den EinNETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN 11 Seite 11 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr zelnen: Sein ohnehin schon erhebliches Radikalisierungspotenzial wird hierdurch in der Regel noch weiter erhöht. Außerdem tragen Erlebnisberichte aus den Ausbildungslagern zusätzlich zur Radikalisierung anderer Islamisten bei. Aber auch Videoveröffentlichungen, die den Eindruck erwecken, einen Einblick in den Alltag im Ausbildungslager zu geben, vermitteln eine offenbar von gewaltbereiten Islamisten als positiv empfundene Ausstrahlung des Lagerlebens. Seit September 2009 wurden im Internet vermehrt Botschaften veröffentlicht, die Bilder und Videosequenzen aus Ausbildungslagern mit Drohbotschaften gegen Deutschland verknüpften. In diesen Lagern aufhältige deutschsprachige Islamisten kündigten Anschläge in Deutschland an und belegten die Ernsthaftigkeit dieser Drohungen unter anderem mit dargestellten Trainingssituationen in den Lagern oder sogar Aufnahmen vermeintlicher Angriffe auf die Stellungen der gegnerischen Militärkontingente. Gefahr durch Rückkehrer Von den Absolventen dieser Ausbildungscamps gehen auch nach ihrer Rückkehr nach Deutschland zum Teil erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Diese Personen verfügen nach ihrer Ausbildung nicht nur über terroristisches „Expertenwissen“, sie haben auch an Attraktivität als Ansprechpartner für bereits radikalisierte Muslime ge12 NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN Seite 12 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr wonnen. Mit ihren Erlebnisschilderungen können sie andere davon überzeugen, sich ebenfalls am bewaffneten Kampf zu beteiligen. Auch die für eine Reise in ein Kampfgebiet oder ein terroristisches Ausbildungslager notwendige logistische Hilfe, zum Beispiel durch die Benennung von Kontaktpersonen im Ausland, können die Absolventen eines terroristischen Trainingsprogramms oft zur Verfügung stellen. Damit stellen auch terroristische Ausbildungslager im Ausland – z.B. in Zentralasien oder Somalia – eine maßgebliche Gefährdung der Sicherheitslage in Deutschland dar. Nicht zuletzt deshalb hat der Gesetzgeber mit der Schaffung der §§ 89a und 89b des Strafgesetzbuches die Ausbildung in solchen Lagern unter Strafe gestellt. Unter sicherheitsbehördlichen Gesichtspunkten ist es jedoch vorzugswürdig, bereits die Ausreise angehender Kämpfer in solche Lager oder in bestimmte Kampfgebiete zu verhindern. Dies bedarf jedoch möglichst genauer Aufklärungsarbeit, da nicht jede Reise von Islamisten zu dem Zweck erfolgt, in ein terroristisches Ausbildungslager zu gelangen. Pauschale Lösungen verbieten sich also auch hier – jeder Einzelfall muss für sich betrachtet und bewertet werden. „Sauerlandgruppe“ Ein Beispiel für die Gefährlichkeit von Rückkehrern aus terroristischen Ausbildungslagern bietet die sogenannte „Sauerlandgruppe“ – ebenso für die Entwicklung Deutschlands zu NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN 13 Seite 13 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr einem Ziel gewaltbereiter Islamisten. Am 4. September 2007 wurden im sauerländischen Medebach/ Oberschledorn drei Personen festgenommen, deren Vorbereitungen für Sprengstoffanschläge schon weit fortgeschritten waren. Die drei Aktivisten – einer davon in Hessen wohnhaft – wurden im März 2010 vom Oberlandesgericht Düsseldorf zu elf bzw. zwölf Jahren Haft verurteilt. Ein vierter Angehöriger dieser Gruppe wurde in der Türkei festgenommen und im gleichen Verfahren zu fünf Jahren Haft verurteilt. Allen konnte nicht nur Mitgliedschaft oder Unterstützung in der terroristischen Vereinigung „Islamische Jihad Union“ (IJU) nachgewiesen werden, sondern auch die konkrete Planung von Anschlägen in Deutschland. „Islamische Jihad Union“ (IJU) Die IJU entstand 2002 durch Abspaltung von der „Islamischen Bewegung Usbekistans“ (IBU), welche wiederum 1998 mit dem Ziel gegründet wurde, den usbekischen Präsidenten Karimov zu stürzen. Meinungsverschiedenheiten zur ideologischen und strategischen Ausrichtung der Gruppierung führten zur Trennung. Zielsetzung der IJU ist es, die „Unterdrückung der Muslime“ weltweit zu beenden. Sie unterhält Kontakte zur al-Qaida, ist aber auch bemüht, mit Sympathisanten aus anderen – auch europäischen – Ländern zusammenzuarbeiten. Die Aktivisten der „Sauerlandgruppe“ wurden in Ausbil14 NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN Seite 14 08.05.2012 Mögliche Reiserouten gewaltbereiter Islamisten ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet ©2010 Google - Kartendaten ©2010 Basarsoft, Geocentre Consulting, PPWK, Mapabc, AND, LeadDog Consulting, Tele Atlas, Transnavicom, Europa Technologies Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 16:58 Uhr NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN 15 Seite 15 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr dungslagern der IJU geschult und dort auf ihren „Einsatz“ in Deutschland vorbereitet. Sie hatten sich während ihrer Ausbildung derart radikalisiert, dass sie der Anweisung der IJU-Führung Folge leisteten, statt eines direkten Einsatzes in einem dortigen Kampfgebiet nach Deutschland zurückzukehren, um dort eigenständig Anschläge vorzubereiten. Die Planungen konnten im Vorfeld aufgedeckt und die Anschläge letztlich verhindert werden. Hessisches Umfeld der „Sauerlandgruppe“ Im Oktober 2009 verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zwei in Hessen wohnhafte Islamisten unter anderem wegen Unterstützung der IJU zu Haftstrafen von zwei Jahren und neun Monaten bzw. einem Jahr und zwei Monaten. Die Verurteilten wurden durch Angehörige der „Sauerlandgruppe“ radikalisiert. Einer der beiden besuchte darüber hinaus ein Ausbildungslager im afghanischpakistanischen Grenzgebiet, während der zweite versuchte dorthin zu gelangen, jedoch beim Grenzübertritt an der iranisch-pakistanischen Grenze verhaftet wurde. Darüber hinaus verurteilte das Gericht im Januar 2010 einen weiteren in Hessen wohnhaften Islamisten wegen Unterstützung der IJU zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Auch dieser Mann wurde von einem Angehörigen der „Sauerlandgruppe“ radikalisiert. Im März 2010 wurde der Bruder eines Mitgliedes der „Sauerlandgruppe“ wegen Unterstützung der IJU zu neun 16 NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN Seite 16 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Monaten Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Im Oktober 2010 verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main einen weiteren aus Hessen stammenden Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass es sich bei ihm um einen Unterstützer der „Sauerland-Gruppe“ handelte. Außerdem wurde er der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der IJU und der Unterstützung dieser terroristischen Vereinigung für schuldig befunden. Die Anschlagsplanungen der „Sauerlandgruppe“ verdeutlichen das Bedrohungspotenzial für Deutschland, das sich nicht zuletzt in den genannten Verurteilungen widerspiegelt. Dennoch gehen gewaltbereite Islamisten seit einiger Zeit dazu über, den bewaffneten Kampf in den Konfliktgebieten als primäres Ziel zu verfolgen. Ein dortiger Kampf erscheint vielen Aktivisten inzwischen attraktiver und erfolgversprechender als ein Anschlagsversuch in Deutschland. Allerdings unterschätzen viele die Beschwernisse des Kampfeinsatzes und kehren dann nach Deutschland zurück. Häufig erhalten die gescheiterten Mujahidin jedoch nur die Erlaubnis ihrer Anführer zur Rückkehr, wenn sie in Deutschland Aufträge erfüllen. So verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im Mai 2011 einen aus Hessen stammenden 25-jährigen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung in einer ausländischen terroristischen Vereinigung: NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN 17 Seite 17 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Der Mann war im Frühjahr 2009 ins pakistanisch-afghanische Grenzgebiet gereist, um sich dort am bewaffneten Kampf zu beteiligen. Zunächst hatte er sich bei der IBU aufgehalten, schloss sich dann aber al-Qaida an, in deren Lagern er schließlich für den Kampf ausgebildet wurde. Als er gemeinsam mit seiner Kampfgruppe nach Afghanistan marschieren sollte, kehrte er gemeinsam mit einem weiteren Kämpfer um, unter anderem deshalb, weil er sich den Strapazen nicht gewachsen fühlte. Zurückgekehrt erbat er von seiner Führung die Erlaubnis, seinen Aufenthalt in Pakistan beenden und nach Deutschland zurück reisen zu dürfen. Er erhielt die Erlaubnis nur deshalb, weil er – seinen Angaben nach nur vorgeblich – versprach, al-Qaida von Deutschland aus finanziell zu unterstützen und beim Aufbau eines Netzwerks zu helfen. Islamisten im Internet Gewaltbereite Islamisten nutzen das Internet intensiv als Mittel zur Verbreitung ihrer Propaganda. Videobotschaften Gewaltbereite Islamisten verbreiten ihre Propaganda in erster Linie durch Videobotschaften. Die Videos sind meist professionell gestaltet und auf die Sehgewohnheiten und Erwartungen der angesprochenen Zielgruppe zugeschnitten: 18 NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN Seite 18 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Sie beinhalten häufig effektvolle Schnitte, suggestive Bilder oder eine Untermalung mit Kampfgesängen. Ziel der zahlreichen Internetveröffentlichungen ist es zum einen, radikalisierte Muslime für einen Kampfeinsatz zu gewinnen und zum anderen die Bevölkerung in den „westlichen“ Ländern im Sinne der Islamisten zu beeinflussen. Dies kann sogar – wie im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 – soweit gehen, dass gewaltbereite Islamisten versuchen, durch Drohungen mit Anschlägen in Deutschland Einfluss auf Wahlentscheidungen zu nehmen. Islamistische Internetforen Internetforen – vorwiegend in arabischer Sprache – bilden einen wesentlichen Bestandteil der islamistischen Aktivitäten im Internet. Es gibt jedoch auch Angebote in englischer, deutscher und türkischer Sprache. Diese Foren, zu denen meist nur registrierte Mitglieder uneingeschränkten Zugang haben, ermöglichen es Islamisten, sich weltumspannend auszutauschen und sich gegenseitig ideologisch zu festigen. In diesem Zusammenhang werden in den Foren überwiegend politische und religiöse Themen diskutiert. Daneben werden aber auch technische Themen wie beispielsweise Computersicherheit, Handhabung von Schusswaffen oder gar der Bau von Sprengkörpern behandelt. Auch neu erschienene Videobotschaften werden in den Foren zum Download angeboten. NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN 19 Seite 19 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Internet-Magazine Eine andere Möglichkeit für gewaltbereite Islamisten, ihre Propaganda zu verbreiten, sind Internet-Magazine. So veröffentlichte zum Beispiel der al-Qaida-Ableger „al-Qaida auf der arabischen Halbinsel“ (AQAH) im Juli 2010 im Internet erstmalig ein englischsprachiges Magazin mit dem Titel „Inspire“. Das Magazin enthielt u. a. praktische Hinweise zur Teilnahme am gewaltsamen Kampf oder Anleitungen zum Bombenbau mit haushaltsüblichen Gebrauchsgegenständen. Strafverfahren und Urteile Mit Urteil vom 28. September 2011 befand das Oberlandesgericht München einen 19-jährigen deutscher Staatsangehöriger afghanischer Herkunft aus Offenbach für schuldig, eine terroristische Vereinigung im Ausland unterstützt sowie Mitglieder und/oder Unterstützer für diese Vereinigung über das Internet geworben zu haben. Das Gericht setzte die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung aus. Dem Angeklagten wurde auferlegt, 80 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. Neben dem genannten hessischen Akteur waren sieben weitere mutmaßliche Islamisten aus dem Bundesgebiet angeklagt. Allen Beteiligten wurde vorgeworfen, in den Jahren 2006 bis 2008 über die Internetplattform der Globalen Isla20 NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN Seite 20 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr mischen Medienfront (GIMF) Drohvideos und Propagandamaterial für den gewaltsamen Jihad verbreitet und ins Deutsche übersetzt zu haben. Die höchste verhängte Strafe war dabei eine Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Die GIMF wurde 2004 als internationales Netzwerk islamistischer Aktivisten zur Verbreitung von Propaganda für den globalen gewaltsamen Jihad über das Internet gegründet. 2006 wurden erstmals Aktivitäten einer deutschsprachigen Sektion der GIMF festgestellt. Durch diese wurden neben fremd produziertem Material – etwa der al-Qaida-Produktionsfirma As-Sahab – auch eigene Filme und Propagandaschriften verbreitet. Nach der Festnahme des Gründers der deutschsprachigen GIMF-Sektion im September 2007 ging die Zahl der Veröffentlichungen auf der Internetplattform stetig zurück. Inzwischen ist die Internetpräsenz der deutschsprachigen GIMF-Sektion vollständig eingestellt. Am 23. Dezember 2011 verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main außerdem einen 26-jährigen deutschen Staatsangehörigen türkischer Herkunft wegen Werbung um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung im Ausland in drei Fällen und Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Straftat zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung das Gericht zur Bewährung ausgesetzt hat. Das Gericht stellte fest, dass der aus Hessen stammende Angeklagte im InterNETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN 21 Seite 21 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr net Propagandamaterial der ausländischen terroristischen Vereinigung al-Qaida weiterverbreitete, um hierdurch deren propagandistischen Zielen zu dienen und Mitglieder oder Unterstützer zu werben. Außerdem befand das Gericht den Angeklagten der Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Straftat für schuldig. In einer im Jahr 2009 geführten E-MailKorrespondenz hatte er einem ihm unbekannten Islamisten mitgeteilt, wie unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen mit großer Zerstörungswirkung hergestellt und gezündet werden. Dem Angeklagten, der über chemische Kenntnisse verfügt, war dabei bewusst, dass sein Kontaktmann bereits Sprengstoffanschläge begangen hatte und einen weiteren Anschlag zur Tötung von „Ungläubigen“ plante. 22 NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN Seite 22 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Fazit Gewaltbereite Islamisten und die von ihnen gebildeten Netzwerke erfordern auch in Zukunft das besondere Augenmerk der Sicherheitsbehörden. Gerade die lose Struktur dieser Netzwerke, in der die Akteure zum Teil auch über große Entfernungen in Verbindung bleiben und dabei vielfältige Kontaktmöglichkeiten nutzen, hat nur wenig mit dem Organisationsgrad bisher bekannter terroristischer Gruppierungen gemein. Bereits die Entstehung islamistischer Netzwerkstrukturen verläuft höchst unterschiedlich: Einzelpersonen werden durch Internetforen, Videobotschaften oder persönliche Kontakte zu bekennenden Salafisten oder salafistischen Missionierungsnetzwerken radikalisiert und für den gemeinsamen Kampf gegen die „Ungläubigen“ oder Unterstützungshandlungen gewonnen. Je nach ihrer persönlichen Situation versuchen sie, in ein Ausbildungslager auszureisen bzw. sich in verschiedener Form am bewaffneten Kampf zu beteiligen, Kämpfer zu unterstützen oder andere Personen zu radikalisieren und zu rekrutieren. Die so entstehenden Kontakte führen zu Netzwerkstrukturen, die sich grundsätzlich von festen Organisationsformen unterscheiden: So werden hierarchische Strukturen nur dort akzeptiert, wo sie für das Erreichen des gemeinsamen Ziels unerlässlich sind, beispielsweise im Kampf oder bei der Planung und Durchführung terroristischer Anschläge. NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN 23 Seite 23 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Die maßgeblichen verbindenden Elemente zwischen den einzelnen Angehörigen eines Netzwerks bleiben die gemeinsamen salafistischen Grundpositionen einerseits und die grundsätzliche Anerkennung einiger weniger ideologischer Leitfiguren wie z.B. des getöteten Führers des Terrornetzwerks al-Qaida, Usama bin Ladin, andererseits. Hinzu kommen zum Teil bereits jahrelang bestehende Bekanntschaften oder gemeinsame Erfahrungen aus dem bewaffneten Kampf oder dem Besuch eines terroristischen Ausbildungslagers. Die Unbedingtheit, mit der gewaltbereite Islamisten ihre Ziele verfolgen, und die damit verbundene häufig anzutreffende Bereitschaft, das eigene Leben „zur Verteidigung des Islam“ zu opfern, stärkt die an sich losen Beziehungen darüber hinaus noch weiter. Dieser Umstand, verbunden mit einem den Angehörigen solcher Netzwerke oft eigenen konspirativen Verhalten, macht letztlich die besondere Gefährlichkeit von gewaltbereiten islamistischen Netzwerken aus. Insoweit bedeutet der Tod Bin Ladins noch nicht, dass das Phänomen der gewaltbereiten islamistischen Netzwerke kurzfristig ein Ende haben könnte. 24 NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN Seite 24 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN 25 Seite 25 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Hinweis: Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, dass dies als Parteinahme des Herausgebers zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschriften zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. © Landesamt für Verfassungsschutz Hessen Landesamt für Verfassungsschutz Hessen Konrad-Adenauer-Ring 49 65187 Wiesbaden www.verfassungsschutz.hessen.de 26 NETZWERKE GEWALTBEREITER ISLAMISTEN Seite 26 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 08.05.2012 16:58 Uhr Seite 27 Netzwerke_Islamisten_24+4_2:105x148 Landesamt für Verfassungsschutz Hessen Konrad-Adenauer-Ring 49 65187 Wiesbaden www.verfassungsschutz.hessen.de 08.05.2012 16:58 Uhr Seite 28