Charmant • erotisch • männlich: Der Einfluss der Prosodie auf die
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Charmant • erotisch • männlich: Der Einfluss der Prosodie auf die
Institut für Germanistische Sprachwissenschaft | Sprechwissenschaft und Phonetik Beate Redecker Charmant erotisch männlich: Der Einfluss der Prosodie auf die Perzeption und Persuasion am Beispiel einer Parfumwerbung. Einleitung Die Auseinandersetzung mit prosodischen Phänomenen ist bereits Gegenstand verschiedener wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen und bietet auch heute immer wieder Anlass zu neuen Fragestellungen. In der vorliegenden Arbeit wird die dichotome Betrachtung prosodischer Phänomene unter formellen und funktionellen Gesichtspunkten im Zusammenhang mit der Frage nach der Perzeption und Persuasion stimmlicher und sprecherischer Parameter in einer Parfumwerbung untersucht. Ausgehend von aktuellen Forschungsarbeiten, die sich mit ausgewählten Parametern und deren Funktion im Wirkungsprozess beschäftigen, wird in Anlehnung an Scherers Adaption (1978, 2000) des Brunswickschen Linsenmodells (1956) ein experimentelles Design beschrieben, welches phonetische und sprechwissenschaftliche Ansätze mitein- ander verbindet. In einem Experiment, in dem Rezipenten den Werbespot einer Parfumwerbung unter verschiedenen Aspekten beurteilen sollten, ohne dabei vorab für prosodische Phänomene sensibilisiert zu werden (Blindstudie), konnte gezeigt werden, dass es so etwas wie eine “voice of confidence” (Scherer et al. 1973) gibt, die sich u.a. durch eine sonore Bassstimme (um E bzw. F herum), dezente Melodiebewegungen (um eine große Terz bzw. Quarte herum) und ein weiches und warmes Timbre auszeichnet. Zudem konnte aufgezeigt werden, dass diese Sprechweise die Perzeption (Wahrnehmung des Werbespots und der dargestellten Person) und die Persuasion (Kaufeinstellung zum Produkt) signifikant beeinflusst, wohingegen aber die Erwartung des Duftes von prosodischen Stimuli völlig unberührt bleibt. Material und Methode Ergebnisse Werbevideo: Für die Untersuchung wurde ein bearbeitetes Werbevideo des Männerparfums “Acqua Di Giò” von Giorgio Armani verwendet. Um keine bereits vorhandenen Einstellungen (Sympathien oder Antipathien) abzuprüfen, wurde das Originalvideo unkenntlich gemacht, indem der Name des Produktes, der Slogan, der Flakon und die Sprechweisen so verändert wurden, dass ein scheinbar neues Parfum entstand, welches auf dem Markt nicht existiert. 1. Motiv 1 Motiv 2 Motiv 3 Motiv 4 Die drei Sprechfassungen (SF I - III) zeigen in der messphonetischen Analyse distinkte Eigenschaften in der Artikulation und in der temporalen Beschaffenheit. SF I SF I Caractère. Motiv 5 Macht am Mann. SF II SF II 0 sek. 2 sek. 3 sek. 6 sek. 7 sek. 9 sek. 10 sek. 12 sek. 13 sek. 20 sek. das Markante am Mann. Musik Sprecher Untersuchungsmaterial: Ein professioneller männlicher Sprecher sprach den Slogan „Caractère. Macht am Mann das Markante am Mann.“ in drei Sprechfassungen (SF), die sich (a) frisch und leicht, (b) athletisch und dynamisch und (c) würzig und schwer anhörten, ein. Die Versionen wurden als wav-Dateien bei 48kHz und 16 BIT unter Laborbedingungen aufgezeichnet. SF III SF III Ergebnisse 102 Während sich in SF II und III die Grundfrequenzkurve nur minimal verändert, Messphonetische Analyse: Verschiedene Parameter der drei SF wie F0-Verlauf, Lautdauern, Sprechgeschwindigkeit, artikulatorische Spezifika und Pausen wurden mit Hilfe von Praat und Wavesurfer analysiert. kann man in SF I deutliche Bewegungen sehen, die in Abbildung 18 noch einmal in Halbtonschritten dargestellt sind. 2. 3. Die drei Sprechfassungen unterscheiden sich in ihrem melodischen Verlauf. Caractère. a gis g Die prosodischen Unterschiede werden in einer auditiven Analyse durch Experten bestätigt. fis f Auditive Analyse: Da sich nicht alle Stimmeigenschaften (z.B. Timbre) messtechnisch ermitteln lassen, und da die Messwerte nicht immer mit dem menschlichen Gehör korrelieren, wurden die SF zudem einer auditiven Analyse durch Experten unterzogen. e dis SF I Wirkungsanalyse: Drei verschiedene Gruppen (insgesamt 156 Probanden) bekamen jeweils eine Version der Parfumwerbung mit einer SF vorgestellt und sollten diese in Form eines Fragebogens unter verschiedenen Kriterien (Werbespot, dargestellte Person, erwarteter Duft) beurteilen. Dazu bekamen sie verschiedene Attribute, die sie jeweils auf einer 5-er Skala einschätzen sollten. Die Probanden wurden im Voraus in keiner Weise für prosodische Phänomene sensibilisiert (Blindstudie). > 20 21-25 25-28 < 29 Profil SF I d gis cis Ergebnisse 104 Caractère. c fis H e AIS I. In Abbildung 19 ist die Kurve in Halbtonschritten für diese Zwischensequenz dA dargestellt. GIS c G AIS FIS F GIS Macht am Mann. E FIS SF I 109 DIS Ergebnisse a E D SF gis SFIII CIS Dg SF II SF III C Akzent erhält. Dieser verschobene zweistufige Gipfel ist besonders deutlich alsfis SF III C f [Abbildungen ] [ ]21a und 22 zu erkennen. [ ] in den e Sprechstimmlage Intensität [x] tief 1 gering dis Abbildung 22 zeigt wiederum, dass in SF I sowohl quantitativ als auch qualita- SF II 1 d 18: Darstellung des melodischen Verlaufs von „C a r a c t è r e “ in HalbAbb. tiv Melodiekurve realisiert wird, die sich vonimden anderen SF hörbar uncis tonschritten in allen drei Sprechfassungen Vergleich. giseine c 2 hoch tief 3 1 hoch gering 3 1 schnell langsam 3 1 Profil SF III hoch tief 3 1 hoch gering 3 1 schnell langsam 3 1 2 2 hoch 2 3 hoch 2 3 Macht am Mann. fis terscheidet. Mit 17 Halbtönen Differenz zwischen den Messpunkten 4 und 5, H e auf engstem Raum ein Intervallsprung abgefangen, der aus der hohen AIS wird Sprechgeschwindigkeit dA Die verdeutlichen,kommend dass in SF I und SFBassstimmlage III ein melodischer Gipfel auf GISKurven Tenor bzw. Altstimmlage in die tiefe zurückkehrt. cG AIS FIS F seinem Umfeld heraushebt, wohingegen sich in SF I zwischen dem melodiaus GIS E das Markante am Mann. FIS schen Sexte) I DIS Akzent und dem Umfeld ein Intervall von 9 Halbtönen (große SF a D E SF SFIII ergibt. Dieser Intervallsprung von GIS zu f in SF I zieht einen Registerwechsel gis CIS Dg SFIII II SF C der Bruststimme in die Kopfstimme nach sich, und lässt damit den SF vonfis Akzent III C langsam der zweiten Silbe entsteht, der sich in SF III jedoch nur durch einen Halbton weiblich männlich 2 Profil SF II 1 Stimmqualität klar 2 verhaucht 1 [ ]Vor- und[xNachakzentintervall ] [ deutlich ] ausf dem heraustreten12. Zudem liegt SF klar knarrend 2 3 1 resonanzarm resonanzreich 3 1 dunkel hell 2 verhaucht knarrend 2 klar 3 1 resonanzarm resonanzreich 3 1 dunkel hell schnell 2 3 verhaucht knarrend 2 3 e IAbb. im dis gesamten Verlauf im Vergleich zu den anderen SF leicht erhöht. Mit einem 19: Darstellung des melodischen Verlaufs von „M a c h t a m M a n n “ in SF III d Halbtonschritten in allen drei Sprechfassungen im Vergleich. Intervall von 13 Halbtonschritten (kleine None) zwischen den Extrempunkten cis resonanzreich Klangfülle gis c das Markante am Mann. Die H Einordnung der Register erfolgte nach auditiven Kriterien. Terminologisch werfis den unterschiedliche Begriffe verwendet: Sundberg (1997:74f) spricht für die AIS e Singstimme von Modal- und Falsettregister; Wirth (1995:128f) verwendet die A Aus Abbildung 19 lässt sich ablesen, wie annähernd parallel die Kurvenverläud GIS Begriffe Brust- und Kopfregister (vgl. auch Kap. 3.3.2). G fe c aller drei SF im Vorakzentintervall bis Messpunkt 3 gestaltet sind. SF I zeigt FIS AIS bisF dahin nur eine geringfügig bewegtere Kurve. Mit der Tieferlegung des AkGIS E zentes im Vergleich zum Vor- und Nachakzentintervall unterscheidet sich SF I FIS SF I DIS D von den anderen SF. Zudem fällt das extrem große Intervall von 17SFHalbE aber SFIII CIS D SFIII II SF tonschritten auf, was auf engstem Raum in der Gleitbewegung vom Vokal auf C SF III C resonanzarm 12 Statistik: Durch verschiedene Testverfahren (Chi-Quadrat-Test, Univariate Varianzanalyse, Post-Hoc-Test) wurde untersucht, inwieweit sich einzelne Items einem übergeordneten Faktor zuordnen und inwieweit sich signifikante Gruppenunterschiede eines Faktors über die SF hinweg ermitteln ließen. 1 Klangfarbe den sich zwischen [ ]anschließenden [ ] [Nasalkonsonanten ] [ ] Messpunkt 3 und 4 reali- 2 hell 2 2 3 dunkel 1 weich 2 3 hart 1 weich 2 3 hart 1 weich 2 3 hart 1 warm 2 3 kalt 1 warm 2 3 kalt 1 warm 2 3 kalt 1 2 3 1 2 3 1 2 3 siert wird. Diese Verläufe sind in Abbildung 20 a-c noch einmal als F0-Kurven dargestellt. Abb. 22: Darstellung des melodischen Verlaufs von „d a s M a r k a n t e a m M a n n “ in Halbtonschritten in allen drei Sprechfassungen im Vergleich. Untersuchung belegt, dass im akustischen Signal messbare Unterschiede von geschulten Hörern zuverlässig erkannt werden. Ergebnisse der Wirkungsanalyse zeigen, dass bereits 2. Die geringe stimmliche und sprecherische Variationen innerhalb weniger Sekunden zu einer hochsignifikanten Veränderung in der Wahrnehmung eines Werbespots führen. konnte nachgewiesen werden, dass eine Sprechfassung 3. Es (SF II) hörerüberindividuell präferiert wird. Sie ist charakterisiert durch: (a) dezente Melodiebewegungen um eine große Terz oder Quarte herum, (b) eine sonore Bassstimme, die mit E bzw. F unter den in der Literatur angegebenen Werten liegt, (c) keine Registerwechsel, (d) Knarren und Hauchen nur als Funktions-, nicht als Wirkungsmittel und (e) ein weiches und warmes Timbre bei hoher Stimmhaftigkeit über die gesamte Äußerung hinweg. prosodischen Merkmale beeinflussen die Perzeption: (a) 4. Die der Werbespot wird in SF II als signifikant edeler, animierender und professioneller wahrgenommen und (b) die dargestellte Person wird als charmanter, erotischer und männlicher empfunden. Unterschiede in der Prosodie beeinflussen in keiner Weise die Erwartung des Duftes. prosodischen Merkmale beeinflussen die Persuasion 5. Die (Kaufeinstellung): (a) SF II korreliert signifikant positiv mit dem Kaufverhalten und (b) es gaben signifikant mehr Frauen an, das Parfum kaufen. 3 und 4 in Abbildung 20 a liegt ein Intervall von über einer großen Dezime von E nach a zu Grunde, was neben einem deutlichen Registerwechsel von der Dabei wird ebenfalls ein Registerwechsel von der Kopfstimme (Messpunkte 3 Bruststimme in die Kopfstimme gleichzeitig zu einer kurzzeitigen Verlegung und 4) zurück in die Bruststimme kompensiert. Besonders markant treten die Akzente zudem aus ihrem Umfeld heraus, weil das Vorakzentintervall zusätzlich tiefer gelegt wurde. Derartige Bewegungen sind in SF II und SF III nicht zu beobachten. Während das Nachakzentintervall vom Akzent an völlig parallel Werbespot verläuft, wobei sich die Melodie Halbton um Halbton bis CIS absenkt und damit Kaufeinstellung Duft die gesamte Äußerung in der Lösungstiefe, die sich durch eine tiefe Bass- lieblich-fruchtig exklusiv Würden Sie das Parfum kaufen? frisch-vitalisierend-sportlich 100 blumig edel * maskulin 80 * ## professionell SF I * ## lieblich elegant Anteil (%) 1. Die 4. Prosodische Variationen wirken sich signifikant auf die Perzeption (Wahrnehmung) und die Persuasion (Kaufeinstellung zum Produkt) eines Werbespots aus. ** # SF II animierend * ## -2 -1 0 1 trifft gar nicht zu SF II SF I + III 60 40 20 SF III 2 süss frisch dezent sportlich 0 ja trifft völlig zu Person Kaufeinstellung Würden Sie das Parfum kaufen? ** charmant warm 100 spritzig dynamisch 80 * männlich erotisch ** ## SF I fruchtig kühl SF II SF II SF I charismatisch SF II männlich ** leicht SF III vitalisierend SF III weiblich 60 SF I Anteil (%) Schlussfolgerungen Dem Anstieg der Grundfrequenz von 84.1Hz auf 218.0Hz zwischen Messpunkt 40 20 SF III 0 -2 trifft gar nicht zu -1 0 1 2 -2 -1 trifft völlig zu trifft gar nicht zu 0 1 2 -2 -1 trifft völlig zu trifft gar nicht zu 0 1 2 trifft völlig zu ja