Kunstgeschichte 2
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Kunstgeschichte 2
KUNSTGESCHICHTE II VON DER MITTE DES 19. BIS ZUM ENDE DES 20. JAHRHUNDERTS Moderne Skriptum Klaus Luger Inhalt Realismus (ab ca. 1850) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Impressionismus (ab ca. 1870) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Kubismus (ab 1907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Expressionismus (ab ca. 1905) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Neue Sachlichkeit (1920-1933) Neorealismus, Magischer Realismus . . . . . . . 7 Futurismus (1909 - ca. 1915) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Abstrakte Malerei (ab ca. 1910) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Dada (etwa 1916-1925) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Surrealismus (ab 1924) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Die Kunst des Nationalsozialismus (1933-1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Sozialistischer Realismus (ab 1921) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Abstrakter Expressionismus, Informel, Tachismus (ca. 1945-1960) . . . . . . . . 12 Pop Art (ab Ende der 50er Jahre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Land Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Minimal Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Op Art (ca. 1960-75) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Konzeptkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Klaus Luger Seite 2 Realismus (ab ca. 1850) Definition: Realismus bezeichnet die Absicht, Wirklichkeit so darzustellen, wie sie uns erscheint. Realismus als Stilbegriff wurde vom Maler Gustave Courbet für eine Ausstellung seiner Arbeiten im Jahr 1855 gewählt, die alltägliche Szenen, z.B. Menschen bei der Arbeit zeigten. Ziele: Die Realisten wollten die Menschen, die Natur und das Leben darstellen wie es ist. Im Gegensatz zu vorangegangenen Kunstströmungen verzichteten sie auf symbolische oder historisch-heroisierende Inhalte. Jean-Francoise Millet Die Ährenleserinnen, 1857 In Frankreich trat die sogenannte Schule von Barbizon um 1850 für eine Landschaftsmalerei ein, die im Freien entstand. Geschichtlicher Hintergrund: Der Realismus entsteht zur Zeit der bürgerlichen Revolutionen in Europa. Er zeigt eine bürgerliche Weltsicht im Gegensatz zur absolutistischen Malerei des Rokoko aber auch im Gegensatz zur symbolischen Kunst der Romantik. Zu dieser Zeit wurde übrigens die Fotografie erfunden Vertreter: Jean-Francoise Millet (1814-1875) Gustave Courbet (1819-1877) Camille Corot Gustave Courbet Die Kornsieberinnen, 1854 Ferdinand Georg Waldmüller (1793-1865) Adolph Menzel (1815-1905) Honoré Daumier (1808–1879), Adolf Menzel Eisenwalzwerk, 1874 Camille Corot Ufer, 1860 Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Honore Daumier Dritte Klasse, 1860 Klaus Luger Seite 3 Impressionismus (ab ca. 1870) Definition: Impressionismus beschreibt eine Stilrichtung, die aus dem Realismus hervorgegangen ist. Die Impressionisten streben danach, die Erscheinung der Dinge im momentanen Licht festzuhalten. Viele von ihnen malen daher im Freien. Claude Monet legt ganze Studienreihen von farbigen Erscheinungen desselben Objekts in verschiedenen Beleuchtungssituationen an. Der Bildgegenstand verliert seine Bedeutung. Damit wird der Impressionismus zu einem Vorreiter der Moderne. Claude Monet Impression soleil levant, 1872 Die Bezeichnung stammt aus einer Kritik zu einem Bild Monets. Die Spätimpressionisten versuchen eine Systematik in ihre Arbeit zu bringen und zerlegen Erscheinungsfarben in Anhäufungen von primärfarbigen Punkten (Divisionismus, Pointillismus). Geschichtlicher Hintergrund, Zeitbezug: Bürgerliches Zeitalter, die industrielle Revolution ist voll im Gange. Die Fotografie entwickelt und verbreitet sich rasch. Dadurch kommen der Malerei traditionelle Aufgaben abhanden (z.B.: Porträt). Lange Belichtungszeiten führen aber zu „gestellten“ Aufnahmen. Vertreter : Pierre-Auguste Renoir La Moulin de la Galette 1876 Claude Monet (1840-1926) geht den impressionistischen Weg am konsequentesten. In seiner letzten Schaffensperiode malt er immer wieder seinen speziell dafür angelegten Garten mit seinen Seerosenteichen. Dabei entstehen fast gegenstandslose monumentale Gemälde. Edouard Manet (1832-1883) Pierre-Auguste Renoir (1841-1919) malt vor allem Menschen und Akte im Licht. Edgar Degas (1834-1917) wird durch seine Ballett-Tänzerinnen bekannt. Edouard Manet Monet in seinem Boot, 1874 Spätimpressionisten : George Seurat (1859-1891) gilt als Hauptvertreter des Divisionismus oder Pointilismus. Die Farbe wird in winzige Farbpunkte aufgelöst, die Mischung ergibt sich erst im Auge des Betrachters. Paul Cezanne (1839-1906) trägt in seinen Bildern dem Prozess und den Prinzipien der Wahrnehmung Rechnung. Er konzentriert sich auf die Form bzw. Gestalt des Motivs einerseits und seine momentane Erscheinung andererseits. Dadurch wird er zum Wegbereiter und Vorbild des Kubismus und der abstrakten Malerei. In seinen Bildern wird das Prozesshafte des Malens sichtbar. Er verändert auch den Standpunkt gegenüber dem Motiv innerhalb eines Bildes. Damit wird er zum Wegbereiter des Kubismus. Die Vorgaben, die seit der Renaissance gegolten haben, dass nämlich ein Bild die Ansicht des Sujets von einem fixen Standpunkt zu einem (kleinstmöglichen) Zeitpunkt zeigen müsse, gelten nicht mehr Paul Cezanne Montagne Sainte Victoire 1904 George Seurat Badende 1885 Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Klaus Luger Seite 4 Kubismus (ab 1907) Definition: Kubismus geht nicht von der optischen Erscheinung eines Objekts aus, sondern von seiner konstruktiven Struktur. Das Wissen um das Ding und seine Einzelbestandteile spielt eine bedeutende Rolle. Die Maler bauen aus einzelnen Elementen, wie Ansichten, charakteristischen Details, Materialien und dergl. eine Bildkomposition. Analytischer Kubismus: Der Gegenstand wird zerlegt, viele Ansichten kommen gleichzeitig ins Bild. Synthetischer Kubismus: Aus bekannten Formen werden neue Zusammenstellungen komponiert. Reale Dinge, wie Zeitungsausschnitte, Furniere, Tapeten werden ins Bild integriert. Paul Cezanne Stillleben 1885 Ziele: Nicht die Darstellung eines Gegenstandes, sondern die Schaffung eines neuen ästhetischen Objektes (Bild). Geschichte: Der Impressionismus führte aufgrund seiner Zielsetzung zur völligen Auflösung der formalen Komposition. Auf den letzten Bildern Monets sind nur mehr Farbeffekte und diffuse Flächen zu sehen. Die Konfrontation mit außereuropäischer Kunst (japanische Holzschnitte, afrikanische und ozeanische Plastik) und Kinderzeichnungen führt zur Abwendung von der Bemühung um realistische Wiedergabe (Zentralperspektive) hin zu einer begrifflichen Kunst. Der Kubismus ist die wesentliche Grundlage für die abstrakte Kunst des 20. Jahrhunderts. Pablo Picasso Les Demoiselles d Avignon, 1907 Vertreter: Pablo Picasso (1881-1973) gilt schon früh als Wunderknabe (“...mit 13 konnte ich malen wie Raffael, doch ich habe ein Leben gebraucht, um wie die Kinder zu malen...“) legt nach einer Phase expressiver Kunstauffassung (Blaue Periode, ab ca. 1901) mit seinem Bild „Les Demoiselles d‘Avignon“ 1907 den Grundstein für den Kubismus. Er ist auch als Grafiker, Bildhauer, Keramiker tätig. Georges Braque (1882-1963) entwickelt mit Picasso gemeinsam den Kubismus. Juan Gris (1887-1927) prägt besonders den synthetischen Kubismus. Malt vor allem Stillleben. Robert Delaunay (1885-1941) Beispiele: Serie der Eifelturmbilder. Später malt Delaunay gegenstandslos: Für seine häufig von farbigen Kreisen geprägten Gemälde haben Kunsthistoriker den Begriff Orphismus geprägt. Georges Braque Schloss bei La Roche Gyon 1909 Juan Gris offenes Fenster, 1921 Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Klaus Luger Seite 5 Expressionismus (ab ca. 1905) Definition: Expressionismus bezeichnet eine Kunstrichtung, die sich vor allem um Ausdruck bemüht. Expressive Darstellungen kommen in der Kunstgeschichte immer wieder vor (Bsp.: Mittelalter) Ziele: Expressionismus zielt auf das Emotionale, will den inneren Ausdruck erfassen und in Bildern umsetzen. Er bedient sich dabei der Mittel der Übertreibung, Verzeichnung und Verzerrung. Geschichtliches Umfeld: Die Verstädterung des industriellen Zeitalters hat die Großstadt als neue Form des Zusammenlebens hunderttausender Menschen hervorgebracht. Das Leben in diesen Städten wird von den Phänomenen Masse und Vereinsamung gleichermaßen geprägt. Gesellschaftliche und individualpsychologische Probleme gewinnen an Relevanz. Die Psychologie entwirft ein neues Menschenbild, das dem aufklärerischen Bild des vernunftbestimmten Menschen das des Getriebenen entgegensetzt. Auch die Literatur der Zeit beschäftigt sich mit diesen Fragen. Vincent va Gogh Selbstporträt 1888 Die soziale Frage erscheint besonders in den Städten, in die immer mehr Menschen auf der Suche nach Arbeit drängen und damit zur Bildung riesiger Slums beitragen, immer brennender. Die sozialistische Revolution in der ehemaligen Sovietunion fällt in diese Zeit und wird mit großem Interesse verfolgt. Der erste Weltkrieg kündigt sich an. Er wird von vielen jungen Menschen geradezu herbeigesehnt und wird dann als nie da gewesene Katastrophe und als Scheitern der Zivilisation erlebt. Vertreter: Vincent van Gogh (1853-1890) gilt als wichtigster Vorläufer des Expressionismus. Für ihn steht das subjektive Erlebnis im Vordergrund und nicht die damals übliche Bemühung um objektive Wiedergabe. Edvard Munch (1863-1944) thematisiert in seinen Bildern immer wieder extreme emotionale Regungen wie Angst, Eifersucht usw. Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938), Erich Heckel (1883-1969) und Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) gründen in Dresden die Künstlervereinigung „Die Brücke“ und setzen sich programmatisch für die neue Kunstauffassung ein. Ernst Ludwig Kirchner Ich als Soldat 1915 Wassily Kandinsky, Alexeij Jawlensky, Gabriele Münter, Franz Marc, August Macke bilden ab 1911 in München die Gruppe „Der blaue Reiter“. Emil Nolde (1867-1956) steigert durch krasse Farbkontraste den Ausdruck der dargestellten Menschen und Landschaften. Max Beckmann (1884-1950)Oskar Kokoschka (1886-1980) Egon Schiele (1890-1918) und Richard Gerstl (1883-1908)sind die bedeutendsten österreichischen Expressionisten Fauvismus („les fauves“: die Wilden) ist die französische Spielart des Expressionismus: Henri Matisse (1869-1954) Georges Rouault (1871-1958) Karl Schmidt-Rottluff Häuser 1912 Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Klaus Luger Seite 6 Neue Sachlichkeit (1920-1933) Neorealismus, Magischer Realismus Als Entgegnung auf den Expressionismus bemühen sich die Vertreter dieser Kunstrichtung um eine möglichst getreue Wiedergabe der Menschen und Dinge in ihren Bildern. Einige Maler befassen sich hauptsächlich mit zeitkritischen Themen, wodurch sie sich nach der Machtergreifung Hitlers die Verfolgung durch die Nationalsozialisten zuziehen. Vertreter : Georges Grosz (1893-1959) stell karikaturhaft überzeichnete Großstadttypen dar, geht von einem starken sozialkritischen Standpunkt aus. Otto Dix (1891-1969) verwendet zur Steigerung der Realistik eine komplizierte altmeisterliche Lasur(Mehrschicht-)Technik, hat nach eigenen Aussagen ein starkes Interesse für die Hässlichkeit. Stellt nach 1918 die Gräuel des Krieges dar. Die Nationalsozialisten werfen ihm daher später „Wehrzersetzung“ vor. Otto Dix Kartenspielende Kriegskrüppel 1920 Rudolf Wacker (1893-1939) aus Bregenz gilt als bedeutender österreichischer Vertreter der neuen Sachlichkeit. Otto Dix Kriegstripzchon 1929 Futurismus (1909 - ca. 1915) Definition : eine literarische, künstlerische und politische Richtung, die sich auf Italien beschränkt. Seine Vertreter treten gegen alles Traditionelle auf und verherrlichen den Fortschritt, die Technik und den Krieg. Die Malerei versucht Phänomene wie Kraft, Bewegung und Lärm bildnerisch umzusetzen. Dabei greifen die Künstler zu ähnlichen Mitteln wie die Kubisten. Vertreter: Giacomo Balla (18871-1958) Gino Severini (1883-1966) Giacomo Balla Rhytmus eines Hundes an der Leine 1929 Umberto Boccioni (1882-1016) Giacomo Balla Automobile: Velocita, Luce 1929 Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Klaus Luger Seite 7 Abstrakte Malerei (ab ca. 1910) Definition: Abstrakte bezeichnet die Formen der modernen Kunst, die keine Darstellungs- und Wiedergabeabsicht verfolgen. Die Bilder sind ungegenständlich. Abstrakte Malerei will Wesenheiten schaffen und mit ihren Bildern die Welt der realen Erscheinungen erweitern. Ursprünge: Abstrakte Kunst hat in den Formen der dekorativen Gestaltung eine fast ebenso lange Tradition wie realistisch-darstellende Kunst. Wassily Kandinsky Komposition 1925 Im 19. Jahrhundert führt das intensive Studium der Licht- und Farbeffekte durch die Impressionisten zu einer Abwendung vom Bildinhalt und so zur Grundlage für die Abstrakte Kunst. Die Kubisten brachen als erste mit der seit der Renaissance gültigen Vorstellung von der zentralperspektivischen Sicht der Wirklichkeit. Fauvisten und Expressionisten setzten verschiedene bildnerische Mittel zur Steigerung des Ausdrucks ein und entdeckten so ihre spezifischen Qualitäten. Die moderne Wissenschaft entdeckte durch neue Instrumente und Verfahren Eigenschaften der Wirklichkeit, die mit den menschlichen Sinnen nicht erfahrbar sind (Beispiel: Atommodell). Technische Hilfsmittel ermöglichten eine neue Sicht der Welt (Flugzeuge, Eisenbahnen, hohe Gebäude,...) Wassily Kandinsky Oval 1920 Vertreter : Wassily Kandinsky (1866-1944)macht eine wissenschaftliche Ausbildung und Karriere und beginnt erst mit etwa 40 Jahren zu malen. Er kommt von expressiver Landschaftsmalerei zu musikähnlichen Farb-Form-Linien- Kompositionen. Gilt als eigentlicher Begründer der gegenstandslosen Malerei: „Ich habe erkannt, dass der Gegenstand in meinen Bildern stört“ Juan Miro (1893-1983) geht von der surrealistischen Technik des Automatismus aus und erphantasiert so seine Bilder:“Ich betreibe meine Bilder wie ein Gärtner,...“ Humorvolle Figuren und Anklänge an Kinder- und Primitivenkunst prägen seine Werke. Paul Klee (1879-1940) entwickelt seine Bilder häufig aus dem Spiel mit den bildnerischen Mittel und benützt experimentelle Techniken zur Erweiterung seiner Bildersprache. Piet Mondrian Komposition 1920 Piet Mondrian (1878-1940) reduziert seine Gestaltungen auf geometrische, meist rechteckige Farb- und Nichtfarbefelder, die er zu einer absoluten Harmonie zusammenfügen will. Er wird damit zu einem Wegbereiter der konstruktiven Kunst. Kasimir Malevich schwarzes Quadrat 1929 Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Klaus Luger Seite 8 Dada (etwa 1916-1925) Definition: Dada bezeichnet eine Form der Antikunst („he,he, junger Mann, Dada ist keine Kunstrichtung“, aus einem Dada-Plakat), die als Zivilisationskritik zur Zeit des 1. Weltkriegs gemeint war. Dada umfasst Theater, Malerei, Dichtung, Musik und Film. Die Vertreter verwenden den Zufall und die Sinnlosigkeit als Prinzip. Für das Wort „dada“ selbst gibt es verschiedene Erklärungen : russische Bezeichnung für Schaukelpferd, erstes Stammelwort von Kindern oder „dada“ war das erste Wort das durch zufälliges Aufschlagen eines Lexikon ausgewählt wurde. Geschichtlicher Hintergrund : 1914 brach der erste Weltkrieg aus, der von vielen als großes hygienisches Ereignis herbeigesehnt wurde. Bald aber wurden die Schrecken dieses Krieges offensichtlich und Resignation machte sich breit. Einig Künstler die sich während des Krieges in der neutralen Schweiz im Exil aufhielten, begründeten im Cabaret Voltaire in Zürich diese Form der provokanten und protestierenden künstlerischen Äußerung. Kurt Schwitters Merz Vertreter : Marcel Duchamps (1887-1968) : erlangte vor allem durch seine Methode, Alltagsgegenstände einfach zu Kunst zu erklären Berühmtheit (Flaschentrockner, Urinoir, Fahrrad). Er nannte solche Werke ready mades und legte damit den Grundstein für die Objektkunst. Kurt Schwitters (1887-1948) fügt Altmaterialien zu Bildern, Plastiken und Räumen zusammen. „Wenn 1914-18 eine Welt in Scherben ging, so hat Schwitters diese Scherben aufgelesen und daraus eine neue Kunst gemacht“ (W. Schmalenbach) Jean (Hans) Arp (1887-1966) Hugo Ball Karawane 1917 Max Ernst Karawane 1917 Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Klaus Luger Seite 9 Surrealismus (ab 1924) Definition : surrealisme = Über-Wirklichkeit. Der Surrealismus versucht Dinge sichtbar zu machen, die hinter der objektiv wahrnehmbaren Wirklichkeit liegen. Die Ideen des Surrealismus werden im „ersten surrealistischen Manifest 1924 von andre Breton formuliert. Er bedient sich häufig äußerst realistischer Darstellungsmethoden und erzeugt so ein Spannungsfeld zwischen formaler Glaubwürdigkeit und inhaltlichem Irrealismus. Automatismus bezeichnet eine Technik, mit der ohne Beeinflussung durch Vernunft, Moral und ästhetische Normen Bildvorstellungen unmittelbar und spontan visualisiert werden sollen. Bei manchen Künstlern führt dieses Verfahren auch zu abstrakten Bildern (Miro) Max Ernst Die ganze Stadt 1935 Geschichtlicher Kontext : Einflüsse und Wurzeln : Die Psychoanalyse des Wiener Arztes Sigmund Freud geht vom Unterbewusstsein als Speicher vieler Erfahrungen aus, die dem eigentlichen Bewusstsein verloren gegangen sind oder verdrängt wurden. Nach seiner Theorie entstehen Träume aus dieser Bewusstseinsschicht. Er versucht Menschen durch Bewusstmachen dieser Inhalt zu heilen. Seine Lehre hat unmittelbaren Einfluss auf die Maler, Dichter und Filmemacher des Surrealismus. Viele Surrealisten kamen aus den Kreisen der Dadaisten, die ja auch mit Zufall und Spontaneität experimentierten. Die Darstellung des Nichterfahrbaren (z.B. Hölle, mythologische Szenen und Wesen) hatte schon Künstler früherer Epochen dazu gebracht, erfundene Welten und Wesen möglichst realistisch darzustellen (vgl. Hieronymos Bosch) Vertreter : Savador Dali (1904-1989) schafft nach Traumprotokollen hyperrealistische Bilder („die brennende Giraffe). Er entwickelt dafür seine Methode der paranoischen Kritik. Rene Magritte Der Schlüssel 1935 Rene Magritte (1998-1967) beschäftigt sich häufig mit der Beziehung Bild und Realität und den Bedingungen der Wahrnehmung. Max Ernst (1891-1976) lässt sich unter anderem von vorgefundenen Strukturen (Holzmaserungen) zu Bildern inspirieren. Giorgio de Chirico (1888-1978) begründet die pittura metafisica. Juan Miro (1893-1983) kommt durch automatistische Technik zu eigentlich ungegenständlichen Bildern. Salvador Dali Erscheinung eines Gesichtes 1938 Juan Miro Catalanische Landschaft Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Klaus Luger Seite 10 Die Kunst des Nationalsozialismus (1933-1945) Die Nationalsozialisten verfemen alle auf den Vorimpressionismus folgenden experimentierfreudigen Kunstrichtungen als „entartet“. Viele bedeutende Kunstwerke werden zerstört, viele Künstler ins Exil getrieben oder in Konzentrationslager verbracht. Die Ausstellung „Entartete Kunst“ wird in mehreren deutschen Städten gezeigt und zieht Parallelen zur Kunst geisteskranker Menschen. Bestimmte Einstellungen gegenüber der Kunst des 20. Jahrhunderts und ihrer Vertreter halten sich bis heute. An deren Stelle wird eine realistische Malerei mit ideologisch befrachteten Inhalten (arische Ideale, Soldatenleben und Heldentod, Blut und Boden, Führerbildnisse) gefördert. In der Architektur herrscht Gigantomanie und Größenwahn (tausendjähriges Reich) Josef Thorak Kamaradschaft 1937 Sozialistischer Realismus (ab 1921) Die anfänglich sehr progressive Kunst Russlands (Konstruktivismus, Suprematismus) wird zugunsten einer ideologisch überfrachteten „proletarischen Kunst“ zurückgedrängt. Die Bilder und Skulpturen erhalten die Aufgabe zur „klassenlosen Gesellschaft“ zu erziehen. Ähnlich wie die Nationalsozialistische Kunst wird auch sie durch Monumentalität (Gigantomanie) und Pathos geprägt. In der Sowjetunion wurde nach 1930 die Malerei in den Dienst der stalinistischen Gesellschaftstheorie gestellt. In ähnlicher Form war auch die Kunst in der DDR unter das ideologische Konzept des Klassenkampfes gestellt, da Staat und Partei die Hauptauftraggeber waren und ein freier Kunstmarkt so gut wie nicht existierte. Eine Berechtigung erlangte der Begriff vor allem aufgrund der Wahl der Themen aus dem Alltag von Arbeitern und Bauern. Durch eine Vereinfachung von Farbflächen und Umrissen wurde eine erhöhte Monumentalität angestrebt. Wichtige Vertreter des russischen und des deutschen Sozialistischen Realismus waren Alexander Michailowitsch Gerassimow (1881– 1963), Alexander Alexandrowitsch Deineka (1899–1969) und Willi Sitte (*1921). Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Plakat Stalin 1941 Klaus Luger Seite 11 Abstrakter Expressionismus, Informel, Tachismus (ca. 1945-1960) Definition: Abstrakter Expressionismus bezeichnet einen frei gesetzten Ausdruck, der auf Gegenständlichkeit verzichtet. Verschiedene Begriffe haben sich eingebürgert: Action Painting: Der Entstehungsprozess (action) ist von zentraler Bedeutung. Die Bilder sind als Spuren des Malvorganges zu verstehen. Jacksonn Pollock Full Fathom Five 1947 Tachismus . „le tache“ = der Fleck. Tachismus hat sich als Bezeichnung für den französischen Abstrakten Expressionismus durchgesetzt. Der Fleck dient als Ausgangspunkt für den Malprozess. Informel : deutet auf die Zurückdrängung der Form und des Formalen im Gegensatz zur klassischen Abstrakten hin. Geschichtlicher Hintergrund: Viele fortschrittliche Künstler mussten während der Naziherrschaft aus Europa fliehen. Viele gingen nach Amerika. Dort führte die Begegnung und Verknüpfung der Ideen Kandinskys von der Gegenstandslosen Malerei, die von den reinen bildnerischen Mitteln ausging, und der Vorstellung der Surrealisten von der anzustrebenden unmittelbaren und automatistischen Äußerung des Unbewussten zum Abstrakten Expressionismus. Hatten die deutschen Expressionismus vor und nach dem ersten Weltkrieg noch geglaubt, extreme Emotionell durch verfremdete gegenständliche und figurative Darstellung ausdrücken zu können, so schien das nach den unvorstellbar schrecklichen Bilddokumenten aus Auschwitz vorerst unmöglich. Richard Diebenkorn Ocean Park 1954 Die Expressionisten wollten durch ihre Malerei gesellschaftliche Veränderungen bewirken, sie verstanden ihre Bilder als Kommunikationsmittel. Dem Abstrakten Expressionismus liegt ein sehr individualistisches Künstlerbild zugrunde, der kommunikative Aspekt tritt in den Hintergrund. Vertreter: Jackson Pollock (1912-1956) : sein action painting entsteht indem er Farbe auf die am Boden ausgebreitete Leinwand tropft, rinnen lässt oder schleudert. Mark Rothko (1903-19) malt große oft monochrome, modulierte Farbflächen mit meditativem Charakter Willem de Kooning (1904-19) Wols (1913-1951), Pierre Soulage (1918-19), Antoni Tapies (*1923) gelten als wesentliche europäische Vertreter Mark Rothko Yellow and Orange 1954 Pierre Soulage Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Klaus Luger Seite 12 Pop Art (ab Ende der 50er Jahre) Definition: Pop Art bezeichnet eine Kunstrichtung, die sich Massenund Alltagskultur auseinandersetzt (Werbung, Fernsehen, Gebrauchsobjekte, Comics und Konsumgüter) Geschichtliches: Nach dem 2. Weltkrieg hatte sich der Abstrakter Expressionismus als dominanter Stil durchgesetzt. Junge amerikanische und englische Künstler setzten dieser elitären (nur einer kleinen Schicht zugänglichen und verständlichen) Kunst die ästhetische Welt des Alltags und der Massenkommunikation entgegen. Sie lehnten die traditionellen Kriterien wie Originalität, persönliche künstlerische Handschrift, Einzigartigkeit und formale Gestaltungskriterien ab. Begriffe: Objektkunst: Reale Objekte werden in meist dreidimensionale Gestaltungen einbezogen oder verändert oder unverändert zu Kunst erklärt. Sie können auch als Mittel zur Erhöhung des Realitätsgrades als Gestaltungsmittel oder Denkanstoß verwendet werden. Richard Hamilton Just What Is It that Makes Today‘s Homes So Different, So Appealing 1954 Collage: Klebebild, bei dem verschiedene Materialien ins Bild eingefügt werden (vgl. auch Kubismus) Assemblage: Zusammenfügen verschiedener Objekte und Bilder, Beispiel : Combine Painting :reale und dargestellte Dinge werden im Werk kombiniert. Environment: Dreidimensionale Gestaltung aus Raum, Plastiken, Dingen und dergleichen. Happening: einmalige theatralische Vorführung eines Künstlers mit Publikumsbeteiligung. Aktion: theatralische Vorführung eines Künstlers. Vertreter: Andy Warhol (1928-89) thematisiert vor allem die Wiederholung identischer Bilder in der Waren- und Medienwelt (Beispiel : 100 campellsoupcans), Roy Liechtenstein (*1923) beschäftigt sich mit der Bildersprache der Comics und der Rasterung einfacher Druckverfahren. Andy Warhol 100 Soup Cans 1962 Robert Rauschenberg (*1925) :setzt sich u.a. mit der Bilderflut des Fernsehens und ihrer Wirkung auseinander. Er arbeitet auch mit Objekten und Combine Paintings. Georges Segal (*1924) : stellt Menschen in alltäglichen Situationen in Form von Gipsabgüssen dar, die er in reale Umgebungen setzt (Environment). Jasper Johns (*1930) : nimmt einfachste Zeichen wie Flaggen, Zielscheiben oder Buchstaben als Gestaltungsgrundlage. Claes Oldenburg (*1929) bildet Gegenstände in veränderten Materialien und Maßstäben nach. Daniel Spörri (*1930) : fixiert in seinen Fallenbildern zufällig entstandene Objektkonstellationen und stellt sie als Relief mit dokumentarischem Charakter aus (Bsp.: Hahns Abendmahl = aufgeklebte Reste eines unterbrochenen Festmahles). Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Roz Liechtenstein In The Car 1964 Klaus Luger Andy Warhol Seite 13 100 Soup Cans 1962 Land Art Die Künstler greifen in die Landschaft ein und verändern sie oder ihre Wahrnehmungsbedingungen. Vertreter : Christo (Christo Javacheff) (*1935) verpackt Gebäude, Brücken, Küstenabschnitte und dergl. Richard Long (*1945) schafft durch Auflegen vorgefundener Materialien (Stein, Äste u.ä.) magische Orte Walter de Maria (*) Beispiel : Lightning Field Christo and Jeanne Claude Running Fence 1976 Minimal Art Definition . Hauptsächlich plastische Kunstform, welche versucht Kunstwerke herzustellen, die vollkommen abgeschlossen und frei von emotionalem oder intellektuellem Gehalt sind. Häufig werden einfachste Formen aneinandergereiht oder angehäuft. Ähnlich wie bei der kinetischen Kunst spielt Betrachterstandpunkt und -bewegung eine wesentliche Rolle. Vertreter : Donald Judd (*1928): geht meist von quaderförmigen Behältern aus, die auf einfache Weise angeordnet werden. Sol Lewitt (*1929) benützt als Grundmodul ein Quadrat und Würfelgitter. Richard Serra (*1939), Carl Andre(*1935) Sol LeWitt Cubes 1976 Robert Ryman (*1930) beschränkt sich in seiner Malerei auf das Format Quadrat und auf die Farbe Weiß Op Art (ca. 1960-75) Die Vertreter dieser Richtung machen sich die Trägheit der Menschlichen Sehreaktion zunutze und arbeiten mit optischen Täuschungen. Sie haben großen Einfluss auf das zeitgenössische Design (Mode, Tapeten) Vertreter : Victor Vaserely (*1908) Bridget Riley (*1931) Viktor Vasarelz Konzeptkunst Der Künstler beschränkt sich auf die Idee. Die Vorstellung vom Kunstwerk oder der künstlerische Gedanke ist Sache des “Betrachters”. Vertreter : Joseph Kosuth (*1945) thematisiert das Verhältnis von Realität, Nachbildung, Darstellung und Begriff. Joseph Beuys (1921-1986) prägt den “Erweiterten Kunstbegriff. Er stellt die Formel auf “Kunst ist Leben”. Mit sozialer Plastik beschreibt er die Gestaltung der Gesellschaft selbst als künstlerische oder kunstähnliche Aufgabe. Er trägt damit wesentlich zur Erweiterung des zeitgenössischen Kunstbegriffs bei. Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Josef Beuys Klaus Luger Seite 14 Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Klaus Luger Seite 15 Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Klaus Luger Seite 16 Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Klaus Luger Seite 17 Kunstgeschichte 2 19. und 20. Jahrhundert Klaus Luger Seite 18