Die Anderen

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Die Anderen
Die Anderen
by Frauke Feind
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Die Anderen
by Frauke Feind
Man kann einem Menschen nicht den Boden unter den Füßen weg ziehen und dann erwarten, dass er sich normal benimmt.
John Steinbeck (1902-1968)
Über das Buch
Auch die Wiederstandsfähigsten unter den verzweifelten Gefangenen erreichen langsam ihre
Grenzen. Zu schlimm ist das, was ihnen von ihren Entführern angetan wird. Kaum einer unter
ihnen war noch nicht verletzt. Die Hölle scheint über sie herein gebrochen zu sein. Doch
gerade, als sie am tiefsten Punkt angelangt sind, schwenkt das Verhalten der Entführer um.
Voller Dankbarkeit greifen die Eingekerkerten nach dem Strohhalm, den man ihnen bietet.
Sie saugen das Wissen, dass man ihnen angedeihen lässt, wie Schwämme in sich auf und
schöpfen ein wenig Hoffnung. Doch dann kommt eine Überraschung, die alle kalt erwischt.
Ein Neuzugang stellt die Gefangenen vor ein Problem aus Zweifeln und Misstrauen. Und
ihnen wird immer klarer, dass sie für ihre Rettung selbst nicht das Geringste tun können. Sie
müssen sich ganz auf ihre Kollegen verlassen. Werden diese es schaffen?
Die Autorin
Schon immer sagte man mir eine blühende Fantasie nach. Und ich hatte schon immer einen
Hang zum Schreiben. Aufsätze, Diktate, später seitenlange Reiseberichte über unsere
Urlaubsreisen. Meine erste Fanfiktion schrieb ich mit 26. Nicht, dass ich gewusst hätte, dass
es eine Fanfiktion ist! Erst 2007 machte ich Bekanntschaft mit dieser ganz besonderen Art der
Literatur. Und sah plötzlich eine Chance, meine kreative Seite mit anderen zu teilen. Ich legte
los und veröffentlichte meine Ergüsse auf einer Website für Gleichgesinnte. Die ersten Leser
stellten sich ein und ich schrieb wie im Rausch weiter. So ist es bis heute geblieben. Ich liebe
das Schreiben und es macht mich süchtig, Kommentare von zufriedenen Lesern zu erhalten!
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Die Anderen
by Frauke Feind
Frauke Feind
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Die Anderen
by Frauke Feind
Alle Charaktere aus der Serie gehören dem jeweiligen TV Sender. Diese Fanfiktion dient
der reinen Unterhaltung und ist ohne jedes finanzielle Interesse geschrieben
und veröffentlicht worden.
Verantwortung und Copyright für den Inhalt der Geschichte entspringen meiner Fantasie
und sind daher mein Eigentum. Eine Verletzung von Urheberrechten ist nicht beabsichtigt.
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Die Anderen
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Dumpfe Verzweiflung................................................................................................................ 9
Selbst der am Boden liegt, kann noch tiefer fallen. ............................................................................................................................................9
Back to life, back to reality ...................................................................................................... 15
Und schließlich gibt es das älteste und tiefste Verlangen, die große Flucht: Dem Tod zu entrinnen. .................................................... 15
Dum spiro spero....................................................................................................................... 25
Allen Gewalten zum Trotze sich erheben ... nimmer sich beugen................................................................................................................. 25
Menschenjagd .......................................................................................................................... 33
Ich weiß wohl, vor wem ich fliehen soll, aber nicht zu wem. .......................................................................................................................... 33
Noch mal entkommen ............................................................................................................. 42
Panik: eine Situation, in der niemand weiß, was zu tun ist – und das auch noch schnell. ....................................................................... 42
10 Fragen ................................................................................................................................. 51
Jagd ist immer eine Form von Krieg. ............................................................................................................................................................ 51
External World 8) Spurensuche ............................................................................................ 60
Nicht jeder, der sucht, findet etwas; .................................................................................................................................................................. 60
aber wer etwas gefunden hat, hat es nicht zwingend gesucht, und gut gefunden hat er es auch nicht unbedingt. ...................................... 60
Schlechte Verlierer .................................................................................................................. 67
Der Utopist sieht das Paradies, der Realist das Paradies plus Schlange. .............................................................................................. 67
Casus belli. ............................................................................................................................... 80
Die Morde in der Welt zur Rettung der Ehre werden nur von Unehrenhaften begangen. ...............................................................80
Phase 5: Neuaufbau ........................................................................................................ 91
Nicht das Straucheln ist entscheidend, sondern das Wiederaufrichten, nicht die Resignation, sondern die Hoffnung. ..... 91
Reconstruction ......................................................................................................................... 91
Man kann den Körper nicht ohne die Seele heilen und die Seele nicht ohne den Körper. .................................................................. 91
Angespannte Entspannung ..................................................................................................... 98
Nulla est redemptio ex infernis. ........................................................................................................................................................................98
Angst ...................................................................................................................................... 110
Begründetes Misstrauen und berechtigte Hoffnung - wie oft werden doch beide getäuscht. ................................................................. 110
Waffentraining ...................................................................................................................... 119
Auf die Bildung des Charakters haben Zucht und Übung einen bedeutenden Einfluss. ..................................................................... 119
Jogging................................................................................................................................... 129
Es werden mehr Menschen durch Übung tüchtig als durch Naturanlagen. ........................................................................................... 129
Root treatment ....................................................................................................................... 143
Furcht besiegt mehr Menschen als irgendetwas anderes auf der Welt. ................................................................................................... 143
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Agony of fear ......................................................................................................................... 151
Mut ist Widerstand gegen die Angst, Sieg über die Angst, aber nicht Abwesenheit von Angst.....................................................151
Memorys................................................................................................................................. 160
Die Erinnerungen verschönen das Leben, aber das Vergessen allein macht es erst erträglich. .............................................................. 160
Traumata ............................................................................................................................... 169
Ich fürchte nicht die Schrecken der Natur, wenn ich des Herzens wilde Qualen zähme................................................................... 169
Leichen im Keller .................................................................................................................. 176
Die Trauer ist nicht die Folgeerscheinung unseres Schmerzes, sondern bereits ein Heilmittel gegen diesen. ....................................... 176
Unerwartetes .......................................................................................................................... 189
Die Wahrheit ist das einzige Produkt, das uns garantiert keine Überraschungen erspart. ................................................................. 189
Die Aufgabe ........................................................................................................................... 197
Die Ungewissheit schlägt mir tausendfältig die dunklen Schwingen um das Bange Haupt. .............................................................. 197
Am Rande des Abgrundes ..................................................................................................... 204
Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein..................................................................... 204
Intensivstation ....................................................................................................................... 212
Liebe mag das Höchste der Gefühle sein, Verzweiflung das Tiefste. ...................................................................................................... 212
Schmerzhafte Heilung........................................................................................................... 219
Schmerzen wären etwas wunderbares, wenn sie nicht so wehtun würden. .................................................................................................. 219
Es geht bergauf...................................................................................................................... 230
Geduld und Liebe überwindet alles. ...............................................................................................................................................................230
Peinliche Fragen ................................................................................................................... 238
Man hört nur die Fragen auf welche man im Stande ist, eine Antwort zu finden .............................................................................238
Phase 6: Klarheit ............................................................................................................ 245
Gelehrte Erklärungen rufen meist den Eindruck hervor, dass alles, was klar und verständlich war, dunkel und verworren wird.
................................................................................................................................................ 246
Consternation ........................................................................................................................ 246
Der Tod lächelt uns alle an, das einzige was man machen kann ist zurücklächeln................................................................................. 246
Vampir ................................................................................................................................... 253
Ein guter Mensch, ja, wer wäre es nicht gerne. ............................................................................................................................................ 253
Aufklärungsarbeit ................................................................................................................. 261
Der flammende Beweis für die Unsterblichkeit ist unsere Unzufriedenheit mit jeder anderen Lösung. .......................................... 261
Gehorsam ............................................................................................................................... 268
Angst kann man immer in sich finden, man muss nur tief genug suchen. .............................................................................................. 268
Erste Tests .............................................................................................................................. 278
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Die Anderen
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Und wenn dich der Tod nicht als Sieger antrifft, soll er dich wenigstens als Kämpfer finden. ........................................................... 278
Beth Turner, Buzz Wire ........................................................................................................ 286
Man schließt die Augen der Toten behutsam; nicht minder behutsam muss man die Augen der Lebenden öffnen. ..................... 286
Carpe diem ............................................................................................................................. 296
Vermutlich hat Gott die Frau erschaffen, um den Mann klein zu kriegen........................................................................................... 296
Der Wille zu Leben ................................................................................................................ 303
Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft - vielmehr aus unbeugsamen Willen. ................................................................................. 303
Balanceakt ............................................................................................................................. 315
Es ist keine Schande, nichts zu wissen, wohl aber, nichts lernen zu wollen. ................................................................................................ 315
Verblüffende Erkenntnisse ................................................................................................... 331
Das Leben ist unendlich viel seltsamer als irgendetwas, das der menschliche Geist erfinden könnte. ..................................................... 331
Über die Angst ....................................................................................................................... 344
Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage: wovor? ........................................................................................................ 344
External World 9) Suche eingestellt ..................................................................... 354
Hoffnung ist das, was bleibt, wenn man nichts mehr hat. ........................................................................................................................... 354
The worst case ....................................................................................................................... 365
Wer keine Angst hat, hat keine Fantasie. ................................................................................................................................................. 365
... und kein Ende.................................................................................................................... 374
Hass ist eine zu große Last, als dass man sie alleine tragen könnte.......................................................................................................... 374
Therapie ................................................................................................................................. 386
Jeder Mensch befindet sich ständig in einem Wachstumsprozess, daher darf niemand je aufgegeben werden. ................................ 386
Mit kleinen Schritten ............................................................................................................. 395
Am Mute hängt der Erfolg. .......................................................................................................................................................................... 395
Erkenntnisse .......................................................................................................................... 410
Es ist durchaus nicht dasselbe, die Wahrheit über sich zu wissen oder sie von anderen hören zu müssen..............................................410
Lebendig begraben ................................................................................................................ 419
Glück und Unglück sind Namen für Dinge, deren äußerste Grenzen wir nicht kennen. ....................................................................419
In letzter Sekunde .................................................................................................................. 428
Der Tod entsetzt uns, selbst wenn wir wissen, dass er kommen wird. ....................................................................................................... 428
Von Laborratten und Versuchskaninchen ........................................................................... 438
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten........................................................................................................................................................... 438
Die Folter ............................................................................................................................... 447
Der Wunsch nach dem Geständnis war die Grundlage für die Folter. .................................................................................................. 447
Das Grauen hat einen Namen .............................................................................................. 454
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Die Anderen
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Die Kunst ist, einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird. ....................................................................................................... 454
Schulden ................................................................................................................................ 463
Durch ein Unterlassen kann man genau so schuldig werden wie durch Handeln. ...............................................................................463
Die Belohnung....................................................................................................................... 473
Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert. ................................................................ 474
Nur drei .................................................................................................................................. 481
Nichts ist gewisser als der Tod, nichts ungewisser als seine Stunde. ...........................................................................................................481
Endlich eine Spur .................................................................................................................. 490
Alle großen Dinge sind einfach und viele können mit einem einzigen Wort ausgedrückt werden: Freiheit, Gerechtigkeit, Ehre,
Pflicht, Gnade, Hoffnung. .......................................................................................................................................................................... 490
Befreiungsplan ...................................................................................................................... 497
Die Welt hat nie eine gute Definition für das Wort Freiheit gefunden. ............................................................................................ 497
Auf Borneo ............................................................................................................................ 506
Wir sind nur dadurch erfolgreich, dass wir uns im Leben oder im Krieg oder wo auch immer ein einzelnes beherrschendes Ziel
setzen, und diesem Ziel alle anderen Überlegungen unterordnen. .............................................................................................................507
Der Angriff ............................................................................................................................ 517
Courage is not the absence of fear, but the strength to do what is right in the face of it. ............................................................................. 517
Gerettet alle, nur zwei fehlen ................................................................................................ 532
Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen wenn wir fort gehen. ............................................. 532
Beisetzungen und Trennungen ............................................................................................. 544
Der Tod ist kein Abschnitt des Daseins, sondern nur ein Zwischenereignis, ein Übergang aus einer Form des endlichen Wesens
in eine andere. .................................................................................................................................................................................................... 544
12 Monate später ................................................................................................................... 552
Lass die Erinnerung uns nicht belasten mit dem Verdrusse, der vorüber ist. .............................................................................................. 552
Finis coronat opus ......................................................................................................... 563
Psychologisches Gutachten ................................................................................................... 563
Lebensläufe ............................................................................................................................ 575
Lebenslauf Abigail Sciuto ..................................................................................................... 575
Lebenslauf Allison Cameron ................................................................................................ 577
Lebenslauf Beth Turner ........................................................................................................ 579
Lebenslauf Temperance Brennan ........................................................................................ 581
Lebenslauf Seeley Booth ....................................................................................................... 584
Lebenslauf Dana K. Scully ................................................................................................... 586
Lebenslauf Leroy Jethro Gibbs ............................................................................................. 588
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Lebenslauf Gilbert Grissom .................................................................................................. 592
Lebenslauf Heather Lisinski ................................................................................................. 594
Lebenslauf Gregory House ................................................................................................... 597
Lebenslauf Jacob J. Green ................................................................................................... 599
Lebenslauf Katherine A. Austen ........................................................................................... 601
Lebenslauf John Locke ......................................................................................................... 604
Lebenslauf Mick St.John ...................................................................................................... 606
Lebenslauf Fox W. Mulder ................................................................................................... 609
Lebenslauf Sara Sidle ........................................................................................................... 612
Lebenslauf James Ford ......................................................................................................... 614
Lebenslauf Ziva David .......................................................................................................... 616
Dumpfe Verzweiflung
Selbst der am Boden liegt, kann noch tiefer fallen.
Manfred Grau
Booth, Seeley
Zelle 2, Tag 3, 15.40 Uhr
Status: Verweigert immer noch Nahrungsaufnahme, Selbstgespräche,
starke Unruhe, Pulsfrequenz 118, kaum geschlafen, reagiert am heftigsten
auf die Deprivation.
„Ja, Sir. General Raddick ist schon so gut wie tot, Sir.“ Booth stand in der Mitte der
winzigen Zelle und hätte salutiert, wenn seine Hände nicht wieder an dem Gürtel um seine
Taille fixiert gewesen wären. Er hatte soeben von seinem Vorgesetzten, Major Mitchell
McAllister, den Marschbefehl erhalten. Booth griff sich sein M24 Scharfschützengewehr und
... keuchte entsetzt auf. Sein Opfer, General Raddick, kam auf ihn zu, die M24 im Anschlag,
der Kopf von dem 7,62 mm Geschoss entstellt und zischte Booth an: „Du Dreckskerl hast mich
vor den Augen meines Jungen umgebracht. Aber du wirst mich nicht lange überleben, denn
jetzt werde ich dir den Kopf wegblasen, und dein Sohn darf zusehen. Warrant Officer Booth,
verabschieden Sie sich von ihrem Sohn.“ Seeley sank langsam auf die Knie und keuchte ent-
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setzt: „Nein ....“ Er sah Parker weinen, hörte ihn „DADDY!“, schreien, sah, wie Raddick den
Finger am Abzug krümmte. Und dann war er weg. Booth fand sich in der schwarzen, vollkommen stillen Zelle wieder, am Boden kniend, die Finger in seinen Kittel verkrallt. Die Realität hatte ihn wieder. Erneut war er auf eine üble Halluzination herein gefallen. Booth spürte
Tränen auf seinem schweißnassen Gesicht. Und obwohl er sich im selben Moment dafür
hasste, wimmerte er leise: „Ich kann nicht mehr ...“
Langsam sackte er ganz zu Boden und lag schließlich da, auf dem Rücken, blicklos ins
leere Schwarz über ihm starrend und dachte darüber nach, dass die Realität fast schlimmer war
als die Wahnvorstellung eben. Hätte er nicht Parker gesehen und gehört, er hätte Raddick gebeten, endlich abzudrücken. Booth hätte alles dafür gegeben, mit jemandem reden zu können,
eine menschliche Stimme zu hören, und wenn sie auch Howard Epps gehört hätte, einem
psychopatischen Serienkiller, den er und Bones vor ein paar Monaten gemeinsam geschnappt
hatten. Der FBI Agent fühlte sich furchtbar. Er hatte seit dem Tag vor der Verlegung in die
Black Box nichts mehr gegessen, da er sich beharrlich weigerte, Nahrung zu sich zu nehmen.
Immer wieder wurde ihm schwindelig. Schlafen konnte er nicht gut, der Bewegungsmangel
machte ihn fast wahnsinnig. Der Grat zwischen Wahnvorstellungen und Realität wurde immer
schwammiger. Seeley fiel es immer schwerer, zwischen beiden zu Unterscheiden. Er war desorientiert, hatte Schwierigkeiten, die Toilette oder seine Wasserflasche zu finden. Seit einigen
Stunden (oder waren es schon Tage?) quälten ihn hämmernde Kopfschmerzen. Er musste kein
Arzt sein, um zu wissen, dass sein Herz zeitweise absurd schnell und im nächsten Moment
ebenso absurd langsam schlug. Booth vermutete als Laie Kreislaufinstabilität. Sich auf etwas
bestimmtes zu Konzentrieren gelang ihm schon lange nicht mehr. Die ständig wieder
kehrenden Halluzinationen, die durchweg sehr unangenehmer Natur waren, hatten den jungen
Mann zermürbt.
Hätte er sagen müssen, was schlimmer war, die Dunkelheit oder die Stille, er wäre
überfordert gewesen. Fast empfand er die Totenstille als quälender. Die kurzen, klaren Befehle,
die er von den Wachen bekam, wenn sein Essen und frisches Wasser gebracht wurden, waren
die einzigen Laute außer seiner eigenen, die Booth hörte und das empfand er als unglaublich
bedrückend. Er wünschte sich so sehr, ein einziges freundliches Wort zu hören. Gleichzeitig
wuchs aber auch das verzweifelte Sehnen nach einem menschlichen Gesicht. Er wollte endlich
wieder etwas sehen können. Er wusste nicht, wie lange er schon hier in der Hölle war und er
wusste nicht, wie lange er noch würde hier ausharren müssen. Das Einzige, was er sicher
wusste war die Tatsache, dass er am Ende war. Er wollte zu den Anderen zurück, wollte in
seine schöne, große, helle Zelle, wollte die Gesichter seiner Mitgefangenen wieder sehen,
wollte freundliche, menschliche Stimmen hören, wollte nicht mehr alleine sein im Dunkeln ...
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Seeley rollte sich auf die Seite, krümmte sich zusammen, so eng es ihm möglich war und verharrte in dieser Stellung. Sekunden reihten sich zu Minuten, Minuten zu Stunden, und in seiner
Vorstellung wurden aus Stunden endlose Tage. Hätte man ihn gefragt, er hätte sein letztes
Hemd verwettet, schon deutlich länger als die angekündigten fünf Tage in der camera silens zu
stecken. Booth merkte nicht, wie er langsam einschlief.
Gibbs, Jethro
Zelle 3, Tag 4, 6.10 Uhr
Status: Nach schweren Unruhezuständen jetzt entspannt, beinahe
apathisch. Puls stark verlangsamt, liegt bei 44, den Reaktionen nach
immer wieder sensorische Halluzinationen, Nahrungsverweigerung,
Schlafrhythmus gestört.
Die Zeit schien still zu stehen. Gibbs war sich sicher, schon erheblich länger in der Deprivation zu sein als angekündigt. Ihm war schwindelig und in seinem Kopf hämmerte ein betäubender Kopfschmerz. Er war immer wieder von verschiedenen Halluzinationen aufgeschreckt worden. Gibbs hatte so was vorher noch nie erlebt und war überrascht, wie real
diese Sinnestäuschungen waren. Wenn sie vorbei waren, wusste er genau, dass er einer Wahnvorstellung aufgesessen war. Jedoch solange sie anhielten war er nicht in der Lage, sich daraus
zu lösen und sie als Sinnestäuschung zu erkennen. Ein erschreckendes Phänomen. Als Ari ihm
die Waffe an den Kopf gehalten hatte, war er sicher gewesen, den Lauf an der Stirn zu spüren.
Er konnte sogar das markante Rasierwasser des charismatischen Psychopaten riechen. Er hatte
die Augen geschlossen und wartete auf den alles auslöschenden Knall. Doch nichts geschah.
Als Gibbs die Augen wieder öffnete, sah er nichts als Schwärze, kein Ari, keine Caitlin mit
durchgeschnittener Kehle, kein Waffenlauf, der auf ihn gerichtet war. Zitternd und keuchend
war Gibbs auf die Knie gesunken und brauchte Minuten, um sich zu fangen. - Verfluchter Mist.
- Nie hätte er gedacht, dass die Black Box in so kurzer Zeit solch verheerende Wirkung auf
Geist und Körper haben würde. Er hätte jeden ausgelacht, der ihm gesagt hätte, er, Gibbs, wäre
in kürzester Zeit in der camera silens ein Nervenbündel. Doch der Ex-Marine war ehrlich
genug, sich einzugestehen, dass er genau das war: Ein zitterndes Nervenbündel.
Wenn er auch zum Nachdenken und alleine sein zuhause immer wieder seinen Keller
aufsuchte, in dem er schon am dritten Holzboot baute, war diese erzwungene Isolation hier
etwas ganz anderes. Das Fehlen jedes akustischen oder visuellen Reizes, dass bedrückende
Gefühl des Verlassen seins, nicht zu wissen, was sich außerhalb der Dunkelheit gerade tat,
niemanden zu haben, dem man auch nur Guten Tag wünschen konnte, war derart beklemmend,
dass Gibbs sich selbst über das reale Erscheinen Ari Haswaris gefreut hätte. Hatte er schon
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Die Anderen
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gedacht, die eingeschränkte Bewegungsfreiheit in seiner Zelle wäre extrem belastend, so wurde
ihm hier mehr als drastisch gezeigt: Es geht immer noch schlimmer. Seit Beginn der Tortur
waren die Fußgelenke mittels der kurzen Kette zusammen gefesselt. Die Hände wurden in
wechselnden Positionen mal am Gürtel, mal am Halsreif fixiert. Die winzigen Schritte, die er
machen konnte, in dem ebenfalls winzigen Loch hier, weckten nur noch heftiger das verzweifelte Verlangen, sich frei bewegen zu können. Gibbs starrte in die Schwärze. Fast
wünschte er sich eine weitere Halluzination, um überhaupt irgendwas zu sehen. Gibbs hatte
entsetzlichen Hunger, aber er würde nichts Essen, solange er hier noch im Loch steckte. Je
länger der Zustand ohne Nahrungsaufnahme andauerte, desto geringer wurde allerdings auch
der Hunger. Gibbs war müde, er meinte fast, noch nie zuvor so müde gewesen zu sein. Er war
immer wieder eingedöst, aber tiefer, erholsamer Schlaf stellte sich nicht ein, obwohl der
gummigepolsterte Boden der Zelle nicht einmal so unbequem war. Die rasenden Kopfschmerzen und das allgemeine Unwohlsein verhinderten einen erholsamen Tiefschlaf.
Wieder hämmerte eine Schmerzwelle durch Gibbs malträtierten Kopf und aufstöhnend
wollte der Agent seine Hände an den schmerzenden Schädel legen. Dieser Versuch wurde
jedoch schnell von der Tatsache unterbunden, dass seine Hände derzeit wieder auf dem Rücken
am Gürtel fixiert waren. Verzweifelt schloss er die Augen, in der vagen Hoffnung, die
Schmerzen in seinem Kopf damit wenigstens ein bisschen einzudämmen. Stunde um Stunde
hockte Gibbs reglos da, die Augen geschlossen, in einem Dämmerzustand zwischen Schlaf und
Wachen. Endlos schien ihm die Zeit zu sein. Er wusste nicht, ob er Minuten, Stunden oder
Tage reglos da gehockt hatte. Plötzlich durchbrach Sonnenschein die Finsternis. Überrascht
blinzelte Gibbs in die Helligkeit. Er kannte die Straße, die er vor sich sah. Verwirrt und beunruhigt sah er sich um. Aus der Tiefe seiner Erinnerungen heraus drang das unangenehme
Gefühl an die Oberfläche, dass gleich etwas Entsetzliches passieren würde. Von einer Sekunde
zur Anderen raste sein Herz und Schweiß brach ihm aus. Ein Bleigewicht legte sich um seine
Brust und erschwerte ihm das Atmen so sehr, dass er den Mund aufriss und krampfhaft nach
Luft jappte. Und dann wusste er, was gleich passieren würde.
Ein Wagen bog in die Straße ein, in der Gibbs sich aufhielt. Ein Wagen, den er nur zu
gut kannte. Es war ein Dienstwagen, ein Fahrer steuerte ihn. Auf dem Rücksitz hockten Kelly
und Shannon und Kelly plapperte fröhlich über das bevorstehende Wochenende mit Daddy.
Gibbs’ Herz schien einige Schläge auszulassen. Er rannte los, auf das Auto zu, fuchtelte verzweifelt mit den Armen und brüllte: „RAUS! Raus aus dem Wagen. Shannon. Raus da.
RAUS!“ Shannon sah zu ihm hinüber, winkte fröhlich zurück und sagte zu Kelly: „Schau, da
ist Daddy, er wartet schon auf uns.“ Der Fahrer des Wagens winkte Gibbs ebenfalls zu. Gibbs
glaubt, jeden Moment verrückt werden zu müssen. Warum hielt er nicht an. Er rannte weiter ...
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Die Anderen
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Und dann gab es einen lauten Knall und der Wagen kam von der Straße ab, überschlug sich
immer wieder. Gibbs sah, wie es das Auto und Kelly und Shannon darin in Fetzen riss. Metallteile flogen ihm um die Ohren, kleine Splitter rissen ihm hier und da die Haut. In dem Getöse
des Crashs hörte er Kelly und Shannon schreien. In panischem Entsetzen starrte Gibbs auf das
Autowrack mit seiner Familie. Er musste die Arme schützend in die Höhe reißen, um nicht von
Metallsplittern im Gesicht getroffen zu werden. Wie ein Blitz durchzuckte ihn die Gewissheit,
dass sein Frau und seine über alles geliebte Tochter tot waren. Weinend sank er zu Boden,
spürte statt des heißen Asphalts das weiche Gummi unter seinen Händen und schluchzte so
heftig, dass er keine Luft mehr bekam.
Er bekam nicht mit, dass die Tür zu seiner Zelle aufgerissen wurde und zwei Ärzte in
den Raum eilten. Keuchend und am Rande der Besinnungslosigkeit lag er am Boden, kämpfte
um jeden Atemzug. Panik, hier zu ersticken, überschwemmte in Sekundenschnelle sein ganzes
Denken. Und dann verlor er endgültig die Besinnung. Dass Licht gemacht wurde, bekam Gibbs
schon nicht mehr mit. Die Ärzte beugten sich über ihn. Einer maß den Blutdruck, der andere
presste Gibbs eine Sauerstoffmaske auf das Gesicht, die an eine kleine Sauerstoffflasche angeschlossen war. Mehrere Wachen kamen dazu, eine hatte eine einfache Trage unter dem Arm.
Gibbs wurde auf die Trage gelegt und dann eilig auf die Krankenstation gebracht. Hier
stabilisierte man seinen Blutdruck, dann verabreichte man ihm ein leichtes Beruhigungsmittel
und unterstützte seine Atmung noch, bis er wieder problemlos selbstständig atmete. Einer der
Ärzte gab den anwesenden Wachen den Befehl: „Schafft ihn in Raum 8a und seht zu, dass
Nummer 14 zu ihm gebracht wird.“ Die Wachen nickten. Zehn Minuten später lag Gibbs in
einem sauberen, hellen Krankenzimmer, in einem bequemen Bett. Und unmittelbar nach ihm
wurde Abby in den Raum geführt. Als sie Gibbs dort im Bett liegen sah, schluchzte sie entsetzt
auf.
Booth, Seeley
Zelle 2, Tag 4, 9.25 Uhr
Status: Abbruch scheint unvermeidlich, Häftling halluziniert scheinbar
stark, seit sechzehn Stunden keine Wasseraufnahme, Pulsfrequenz bei
125, Zusammenbruch dürfte unmittelbar bevor stehen.
Booth baute rapide ab. Er hatte ein wenig geschlafen, war aber noch erschöpfter und
desolater wieder aufgewacht. Ihm war schlecht vor Kopfschmerzen, jeder einzelne Herzschlag
schien in seinem Gehirn kleine Explosionen auszulösen. Krampfhaft keuchend hatte er sich,
vor der Toilette kniend, immer wieder übergeben müssen. Da er schon eine Weile kein Wasser
mehr hatte, kam nur noch Galle und sein Hals brannte wie Feuer. Er verspürte weder Hunger
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Die Anderen
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noch Durst, dafür fror er erbärmlich. Er spürte in der Finsternis seine Hände zittern. Immer
wieder wurde er von mehr oder weniger schlimmen Halluzinationen gequält. Mehr als einmal
lag er nach diesen schreiend am Boden und brauchte jedes Mal länger, um sich halbwegs zu
fangen. In lichten Momenten sagte er laut zu sich selbst: „Booth, du elender Schlappschwanz,
reiß dich gefälligst mal zusammen. Du warst schon in viel schlimmeren Situationen. Heul hier
nicht rum wie ein Baby.“ Aber die Momente wurden immer seltener, dafür dauerten die Zeiträume, in denen er vor sich hin wimmerte: „Ich kann nicht mehr ... Ich will hier raus ... Lasst
mich doch bitte raus hier.“, immer länger.
„Meine Güte, der Junge leidet ganz schön.“
„Wollen wir jetzt schon abbrechen?“
„Hm, nein, ich denke, noch ist es nicht wirklich akut. Das kann doch
nicht alles sein, was er bring.“
„Wir haben schon mehrfach festgestellt, dass er seelisch nicht übermäßig belastbar ist.“
„Hauptsache, er macht uns später keine Probleme. Wäre schade um die
investierte Zeit.“
„Er wird uns nicht enttäuschen, sonst wird er entsorgt, so einfach ist
das. Und Brennan gleich mit, wenn sie Schwierigkeiten macht.“
„Wir haben ja genug Auswahl, obwohl ich Brennan gerne behalten
würde. Booth ist ersetzbarer.“
„Aber Brennan wird nicht so gut funktionieren ohne ihn.“
„Das ist klar, aber vielleicht könnte man sie auch noch anders
motivieren.“
Irgendwann hatte er sich in eine der Raumecken geschleppt und dort hockte er schon
seit Stunden wie das sprichwörtlich in die Ecke getriebene Tier, und presste sich schutzsuchend an die Wände. Dass er wieder und wieder Rahims kalte Stimme hörte, die ihn beschimpfte, ihn einen jämmerlichen Feigling, einen erbärmlichen Killer, einen widerlichen
Mörder nannte, machte ihn fast wahnsinnig. Er war kein Mörder. Er hatte nur Befehle ausgeführt, wie jeder Soldat. Irgendwann hielt er es einfach nicht mehr aus. Geradezu hysterisch
brüllte er Rahim an: „Ich bin kein Mörder, lass mich endlich zufrieden, hau ab, lass mich in
Ruhe.“ Keuchend und schluchzend lauschte er, aber die Stimme war für den Moment wirklich
verstummt. Erleichtert vergrub Booth sein Gesicht auf seinen angezogenen Knien. Und dann
plötzlich tauchte ein ihm gänzlich unbekannter Mann vor ihm auf. Der Unbekannte hatte die
Streifen eines Generals auf den Schultern und trug die Uniform der Taliban. Er starrte Booth
an, dann erklärte er ruhig: „Warrant Officer Seeley Booth, stehen Sie auf.“ Zitternd kam Booth
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Die Anderen
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dem Befehl nach. „Sie wurden der Ermordung des großen Generals Ahmed Raddick vom
obersten Gottesgericht der Taliban für schuldig befunden und zum Tod durch den Strang verurteilt. Das Urteil wird augenblicklich vollstreckt. La ilaha illa llah Muhammadun rasulu llah.“
Booth Herz krampfte sich zusammen. Er zitterte heftig am ganzen Körper. Er stand plötzlich
unter einem Galgen. Ein vermummter Henker legte ihm die Schlinge um den Hals. In
panischem Entsetzen keuchte Booth auf. Und schon betätigte der Henker den Hebel für die
Falltür. Booth stürzte, die Schlinge zog sich zu und schnürte ihm sofort die Luftzufuhr ab.
Seine gefesselten Hände zuckten hilflos in dem vergeblichen Bemühen, an den Strick um
seinen Hals zu kommen. Er konnte nicht atmen. In Todesangst riss er den Mund auf, versuchte,
irgendwie, Luft zu bekommen, es ging nicht. Er erstickte....
Dass die Tür zu seiner Zelle aufgerissen wurde, bekam Seeley schon nicht mehr mit. Er
war während der schrecklichen Halluzination aufgestanden, dann aber plötzlich wie vom Blitz
getroffen zusammen gesackt. Dass er dabei mit dem Kopf auf die Toilette geschlagen war,
sorgte dafür, dass er die Besinnung augenblicklich und nachhaltig verlor. Keine Minute nach
seinem Zusammenbruch stürzten auch hier zwei Ärzte in die kleine Zelle. Booth wurde nun
ebenfalls schnellsten auf die Krankenstation geschafft. Er bekam etwas zur Kreislaufstabilisierung, die kleine Platzwunde an der Schläfe, die er sich bei seinem Zusammenbruch
zugezogen hatte, wurde mit drei Stichen geschlossen und dann bekamen die Wachen die Anweisung: „Er kommt in Raum 24 und lasst Brennan zu ihm.“
Back to life, back to reality
Und schließlich gibt es das älteste und tiefste Verlangen, die große Flucht: Dem
Tod zu entrinnen.
J. R. R. Tolkien
Bones schrak zusammen, als mehrere Wachen in den Kerker eilten und ihre Zellentür
aufsprang. Sie war in den letzten Tagen durch die Hölle gegangen. Nicht zu wissen, was mit
Booth war, war das Schlimmste, was Tempe je hatte durchmachen müssen. Sogar schlimmer
als die Frage, wo ihre Eltern abgeblieben waren, damals, als sie verschwanden. Sie hatte sich
mit Ziva ausgiebig über die Black Box unterhalten. Ziva hatte ihr ruhig geschildert, was der
Aufenthalt dort bedeutete. Und hatte Bones damit eine Heidenangst gemacht. Die Tatsache,
dass Booth einiges an schrecklichen Erinnerungen mit sich herum schleppte, würde ihm in der
Isolationshaft nicht gerade zu Gute kommen. Ziva hatte ähnlich konkret und präzise, wie es
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Die Anderen
by Frauke Feind
sonst eigentlich Bones Art war, geschildert, wie sich die vollkommene Deprivation auf Körper
und Geist auswirkte und Ziva hatte auch prophezeit, dass Allison unter Umständen am besten
damit klar kommen würde. Einfach, weil sie nicht die Grausamkeiten gesehen hatte, die Gibbs
und Booth hatten ansehen müssen. Als nun Abby und später sie aus den Zellen geholt wurde,
hatte Bones entsetzliche Angst, ich welch schlechtem Zustand sie Booth vorfinden würde.
Nachdem ihre Hände gefesselt worden waren, wurde die junge Frau aus dem Kerker
und im Flur in einen der Fahrstühle geführt. Bones wurde eine Etage nach unten gebracht,
Abby war Stunden zuvor zwei Etagen nach oben gebracht worden. Mit wild klopfendem
Herzen wurde Tempe zu einer Tür in dem Flur geführt. Die Handfesseln wurden ihr geöffnet
und die Wache zischte ihr ins Ohr: „Kümmere dich gut um ihn, noch wird er gebraucht.“
Bones fühlte Übelkeit in sich hoch kommen. Großer Gott, in welcher Verfassung würde sie
Booth vorfinden? Zitternd wartete sie, bis die Tür vor ihr sich öffnete, dann trat sie langsam in
den dahinter liegenden Raum. Heftig atmend sah sie sich um. Ein nettes Zimmer, mit einer
Dusche in einer Ecke, einem kleinen Sofa mit Tisch davor und an der hinteren Wand ein
Doppelbett, in dem reglos eine zugedeckte Gestalt lag. - Oh Gott. - Brennan hatte Angst, näher
zu treten. Erschüttert starrte sie auf die bewegungslose Gestalt im Bett und hatte Angst,
hinüber zu gehen. Schließlich holte sie tief Luft, schloss kurz die Augen und feuerte sich selbst
an. - Nun mach schon, du Jammerlappen. Er wird dich brauchen und du schaffst das. - Bones
nahm ihren ganzen Mut zusammen und trat näher, an das Bett und die reglose Gestalt heran.
Als sie Booth dort liegen sah, erschrak sie heftig. Wie leblos lag er im Bett, eine frische Platzwunde, verschlossen mit drei Stichen, zierte seine Stirn. Er sah unglaublich schlecht aus, blass,
tiefe Schatten unter den geschlossenen Augen, eingefallenen Wangen, einen derart gequälten
und verängstigten Gesichtsausdruck selbst in der Besinnungslosigkeit, dass Bones unwillkürlich Tränen in die Augen traten. - Großer Gott, Booth. Was, um alles in der Welt, hast du
durch machen müssen? Was haben sie dir nur angetan? *****
„Ob das bedeutet, dass die raus sind aus der camera silens? Was meint ihr?“ Sara sah,
wie die anderen Zelleninsassen, besorgt hinter Bones und Abby her, als die beiden Frauen aus
dem Kerker geführt wurden. Sie hatten in den vergangenen Tagen immer wieder versucht,
Abby, House und vor allen Bones, die vor Sorge fast die Wände hoch ging, Mut zu machen
und sie irgendwie zu beruhigen. Es war ein schreckliches Gefühl für alle, nichts zu wissen,
nichts zu erfahren, nichts machen zu können. Das man sie alle vollkommen in Frieden lies,
machte die Angelegenheit nicht einfacher. Zum Einen hatten sie schon hinlänglich die Erfahrung gemacht, dass Ruhephasen unweigerlich den nächsten Gewaltausbruch nach sich
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Die Anderen
by Frauke Feind
zogen, zum anderen war die Untätigkeit gerade in dieser Situation schwer zu ertragen. Hätten
sie irgendwas gehabt, mit dem sie sich hätten beschäftigen können, wären ihre Gedanken nicht
pausenlos bei Booth, Gibbs und Allison gewesen. Abby hatte es vor längerer Zeit einfach nicht
mehr ausgehalten. Sie hatte verzweifelt ihre Kollegin gefragt: „Ziva, bitte, was ... was müssen
die ... was müssen Gibbs, Allison und Booth da ertragen?“ Ziva hatte kurz nachgedacht. Dann
hatte sie bedrück erklärt: „Dunkelhaft, camera silens, bedeutet, dass der Gefangene in einer
fensterlosen Zelle untergebracht wird, in die weder Sonnen- noch künstliches Licht einfällt.
Während bei der leichteren Form der Dunkelhaft zumindest tagsüber spärliches Licht zum Beispiel durch die Türzargen und das Schlüsselloch fällt, wird bei der schweren Form einer
sensorischen Deprivation, dem Entzug von Wahrnehmungen und Sinneseindrücken, jede noch
so kleine Lichtquelle ausradiert, womit sich die Dunkelhaft zur Finsterhaft auswächst. Und zur
absoluten Dunkelheit kommt meist noch eine gespenstische Stille, was für einen zusätzlichen
Mangel an sensorischen Reizen sorgt.“ Ziva ließ ihre Worte kurz einwirken, dann fuhr sie fort.
„Eine Dunkelhaft wird von Menschen bereits nach kurzer Zeit als psychische sowie
körperliche Folter empfunden, obgleich es hierbei nicht zu einer körperlichen Gewaltanwendung kommt. So fängt der menschliche Geist in der Regel bereits nach zwanzig bis dreißig
Minuten zu halluzinieren an, sobald er im Wachzustand bei absoluter Dunkelheit ohne optische
Ankerpunkte auskommen muss. Wissenschaftliche Tests haben überdies ergeben, dass eine
längere Dunkelhaft die vegetativen Funktionen eines Menschen zerstört. Der Schlaf- und
Wachrhythmus sowie das Hunger und Durstgefühl geraten völlig durcheinander. Es kommt zu
einer zunehmenden Desorientierung, ständigen Kopfschmerzen, Gewichtsverlust und
Konzentrationsproblemen. Bei sehr langem Aufenthalt verkümmern irgendwann die Sehnerven
bis hin zur vollständigen Erblindung und das Gedächtnis leidet. Und bei einer längeren
Dunkelhaftunterbringung erleiden selbst starke Persönlichkeiten psychisch schwerste Nervenzusammenbrüche und Psychosen, von denen sich einige nie mehr gänzlich erholen. Aber dafür
sind Booth, Cameron und Gibbs viel zu kurz in der Deprivation, klar. Sie werden sich erholen.“ Alle, auch diejenigen unter den Gefangenen, die mit dem Verfahren der Deprivation
halbwegs vertraut waren, hatten mit zunehmendem Entsetzen Zivas Erklärungen gelauscht.
Sawyer sah zu Bones hinüber, die leichenblass auf ihr Bett gesunken war. Er trat ans Gitter und
sagte: „Hey, er ist stark, er wird das schaffen.“ Bones sah auf und blickte mit einem derart
hoffnungslosen Ausdruck in den Augen zu Sawyer hinüber, dass sich diesem vor Mitleid das
Herz verkrampfte.
Mulder blickte ebenfalls zu Bones hinüber. „Hör zu, Tempe, gehen wir einfach mal
davon aus, dass sie ihr Verhaltensmuster bei behalten, dann darfst du mit ziemlicher Sicherheit
zu ihm, wenn er es hinter sich hat. Du solltest dann versuchen, ihn sanft dazu zu bringen, über
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Die Anderen
by Frauke Feind
das zu sprechen, was er empfunden hat. Abby, falls du zu Gibbs gelassen wirst, gilt für dich
das Gleiche. Nicht drängen, lasst sie von sich aus kommen, nur vorsichtig in die Richtung
lenken. House? Zugehört?“ Das hatte der Diagnostiker sehr wohl. Müde nickte er. „Ja, Dr.
Freud, ich habe zugehört.“ Bones hatte Mulders Worten ebenfalls gelauscht und stieß jetzt
panisch hervor: „Ich kann so was nicht. Ich bin furchtbar in Psychologie. Ich werde Booth
nicht helfen können. Ich kann so was nicht.“ „Bones. Dr. Brennan. Reiß dich zusammen. Wenn
du zu ihm gelassen wirst, wirst du es können, verlasse dich darauf.“ Tempe schüttelte panisch
den Kopf. „Ich hasse Psychologie.“
*****
Bones vergaß jetzt, dass sie Angst hatte und gefühlsmäßig hoffnungslos überfordert war
mit der Situation. Sie sank auf das Bett, legte Booth sanft eine Hand auf die Wange und griff
mit der Anderen nach seiner Linken. Unter Tränen flüsterte sie: „Hey, du, ich bin bei dir.
Schlaf dich nur aus, ich werde da sein, wenn du aufwachst, dass schwöre ich dir.“ Sie beugte
sich zu Booth herunter und gab ihm ganz zart einen Kuss auf die trocknen Lippen. „Weißt du,
die Gefühle, die du in mir geweckt hast, sind mir noch neu und fremd, du wirst Geduld mit mir
haben müssen. Ich weiß nicht, ob ich mich immer richtig verhalte, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen geht, aber du musst mir glauben, ich tue mein Bestes. Booth, ich
liebe dich wirklich mehr, als ich mit Worten ausdrücken kann, und ich kann eine ganze Menge
in Worte fassen.“ Sie strich Seeley sanft eine verklebte Haarsträhne aus der Stirn. Seine Haare
waren in den letzten Wochen gewachsen, nicht mehr so perfekt geschnitten, wie es sein Job
erforderte. Lange Bartstoppeln bedeckten sein Gesicht, seit der letzten Dusche, bei der die
Männer sich jeweils rasieren konnten, war wieder viel Zeit vergangen. „Wir sehen alle aus wie
die letzten Penner, findest du nicht auch? Ich würde einiges dafür tun, regelmäßig Duschen zu
können. An welch trivialen Dingen doch unser Herz hängt. Man merkt es erst, wenn man sie
verliert. So wie du riechst, könntest du eine Dusche auch mehr als dringend vertragen. Aber
hier ist eine im Zimmer und sobald du dich besser fühlst, werden wir die Vorteile dieser großartigen Erfindung ausnutzen.“
Leise hatte Bones weiter mit Booth geredet. Und schrak heftig zusammen, als Booth
plötzlich die Augen aufschlug und keuchend hochfuhr. Völlig desorientiert sah er sich um, eine
abgrundtiefe Panik in den dunklen Augen. Im ersten Moment ohne jegliches Erkennen und
vollkommen verständnislos starrte Booth Tempe an. Dann breitete sich in seinen Augen langsam die Erkenntnis aus, dass er in Sicherheit war, dass niemand ihn aufhängte, dass Bones vor
ihm saß, es nicht mehr dunkel und totenstill um ihn herum war. „Bones ...“, stammelte er mit
einer Stimme, die Tempe Schauer über den Rücken jagte. In ihr lag so viel Angst, Grauen
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Die Anderen
by Frauke Feind
schon fast, dass ihr Tränen des Mitleids in die Augen schossen. In der nächsten Sekunde lag
Seeley in ihren Armen, zitternd, schluchzend, am Ende. Bones war erschüttert bis ins Mark.
Sie kannte Booth nun schon so lange, hatte ihn in Situationen erlebt, die lebensbedrohlich
waren, schwer verletzt, gefoltert, mit dem Tode bedroht, nach dem Schlafentzug auch völlig
fertig, aber in einem derart desolaten Zustand hatte sie ihn nie gesehen. Sie wäre jede Wette
eingegangen, dass Seeley Booth gar nicht in einen solchen Zustand kommen konnte. Hier nun
wurde sie eines Besseren belehrt. Fast jeder Mensch war irgendwie zu brechen, man musste
nur Zeit und Möglichkeiten haben, um die wunden Punkte zu finden. Ganz offensichtlich war
dieser wunde Punkt bei Booth die Isolationszelle gewesen. Tempe konnte sich momentan noch
nicht wirklich vorstellen, was ihm dort widerfahren war, ging aber davon aus, dass sie es erfahren würde, in den nächsten Stunden. Wenn sie auch Psychologie hasste, war ihr doch klar,
dass es Booth nicht helfen würde, das Geschehene der letzten Tage totzuschweigen. Das hatte
Mulder mit seinen Worten ja klar gemacht. Er würde über seine Empfindungen reden müssen,
ganz dringend. Und Bones nahm sich in diesem Moment fest vor, ihn dazu zu bringen, über
das Erlebte zu sprechen.
Erst einmal jedoch hielt sie ihn einfach fest. Sie war verlegen, wusste mit seinem Gefühlsausbruch nichts anzufangen. Aber das hielt sie nicht davon ab, zu reagieren, wie eine
liebende Frau eben reagierte. Sie hielt Booth fest in ihren Armen, fuhr ihm mit der Rechten
sanft und beruhigend über den Rücken und sagte leise und liebevoll: „Hey, ist ja gut, du bist in
... Sicherheit.“ Ganz kurz zögerte sie, ihr war durchaus klar, dass sie hier nirgendwo in Sicherheit waren. „Niemand tut dir mehr etwas. Du brauchst keine Angst mehr zu haben.“ So redete
Bones leise und begütigend auf Booth ein. Es dauerte lange, bis sie eine Wirkung auf ihre beruhigenden Worte spürte. Ganz allmählich ließ das Zittern und Schluchzen nach. Und plötzlich
stammelte er, fassungsloses Grauen in der Stimme: „Sie wollten mich aufhängen ... Ich bin
doch kein Killer ... Aufhängen. Aufhängen wollten sie mich! Die ... die Schlinge ... Die haben
mir die Schlinge umgelegt.“ Panisch schossen seine Hände an seinen Hals. Wieder zitterte er
am ganzen Leib. Bones verstand kein Wort, sagte aber so ruhig wie möglich: „Booth, niemand
hängt dich hier auf. Hörst du? Niemand tut dir etwas. Ich passe auf, dass dir nichts geschieht.
Ich bin bei dir, ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert.“ Bones war natürlich klar, dass es
Blödsinn war, was sie da redete, aber darauf kam es nicht an. Wichtig war nur, dass Booth ihre
beruhigenden Worte hörte und im Moment glaubte. Und ganz langsam drangen diese Worte
auch in Booth’ Verstand und er wurde nach und nach etwas ruhiger, das Zittern, das wieder
heftiger geworden war, ließ spürbar nach und schließlich sackte er vollkommen erledigt in sich
zusammen.
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Die Anderen
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Bones ließ ihn vorsichtig wieder in die Waagerechte sinken und hielt seine Hand,
während sie mit der anderen Hand über sein tränenfeuchtes Gesicht streichelte. „So ist es gut.
Was immer sie dir angetan haben, es ist vorbei, okay, du musst jetzt erst mal wieder auf die
Beine kommen. Niemand tut dir hier noch etwas.“ Aus unglaublich müden Augen, in denen
immer noch der nackte Horror zu sehen war, schaute Booth Tempe an. „Bones ...“ „Ich bin
hier, Baby, ich bin bei dir, okay. Ich bleibe bei dir und werde nicht zulassen, dass sie dir wieder
wehtun.“ Tempe liefen vor Entsetzen und Mitleid ebenfalls Tränen über die Wangen. Wieder
und wieder streichelte sie unendlich sanft über Booth’ Gesicht und irgendwann fielen diesem
schließlich die Augen zu und er fiel in tiefen, ohnmachtsähnlichen Schlaf. Bones war selbst
todmüde, die Zeit, in der Booth weg gewesen war, hatte sie nicht viel geschlafen. Ihre Gedanken waren ständig bei ihm gewesen. Nun merkte sie, wie die Müdigkeit auch über sie her
fiel. Sie rutschte vorsichtig zu Seeley ins Bett, kuschelte sich an ihn, löschte die Lampe auf
dem Nachschrank und war kurze Zeit später tief und fest eingeschlafen.
*****
Abby hatte entsetzliche Angst davor, was sie wohl zu Gesicht bekommen würde, da,
wo man sie hinführte. Vor einer der vielen Türen wurde sie gestoppt und sie spürte, wie die
Handfesseln geöffnet wurden. Die Tür vor ihr sprang lautlos auf und eine der Wachen sagte
kalt zu ihr: „Viel Spaß.“ Dann erhielt sie einen leichten Stoß in den Rücken und setzte sich in
Bewegung. Sie sah sich um und fand sich in einem Zimmer wieder, dass an ein Motelzimmer
erinnerte. Doppelbett, Duschkabine, kleine Sitzgruppe. Abby hielt sich nicht damit auf, den
Raum genauer zu begutachten. Sie hatte mit Schrecken sofort erfasst, dass jemand in dem Bett
lag und trat schwer atmend und mit zitternden Knien näher. Sie schluchzte vor Angst und dann
sah sie Gibbs. Er sah schrecklich aus. Ungesund blass waren sie inzwischen alle, auch die, die
braun gebrannt inhaftiert worden waren. Aber Gibbs war nicht blass, er war weiß wie eine
Wand. Fingerdicke Ringe unter den Augen verrieten einiges darüber, wie viel oder vielmehr
wie wenig er in den vergangenen Tagen geschlafen hatte. Ziva hatte gesagt, der Schlafrhythmus verändere sich schnell negativ in der Deprivation. Sie hatte offensichtlich Recht gehabt.
Gibbs Wangen waren eingefallen und von langen Bartstoppeln bedeckt. Seine Haare waren
dreckig und schweißverklebt. Auf seinem Gesicht entdeckte Abby einen Ausdruck, der nur mit
dem Wort Schrecken umschrieben werden konnte. Sie fragte sich, was sie wohl in seinen
Augen lesen würde. Und sie fragte sich, was, um alles in der Welt, er in den letzten paar Tagen
dort in der Isolationszelle hatte durch machen müssen.
Vorsichtig setzte Abby sich auf die Bettkante, beugte sich über den väterlichen Freund
und gab ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn. Hier und jetzt, in dieser Situation, Gibbs so
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vor sich liegen sehend, vergaß Abby endgültig, dass er eigentlich ihr Vorgesetzter war. Sie
vergaß auch, dass er nicht ihr Vater war. Sie vergaß alles. Nur noch ihr Mitleid spürte sie.
„Was haben sie dir nur angetan, Gibbs? Ich hatte solche Angst und nun bist du so ... Du
kommst wieder in Ordnung, hörst du? Du wirst wieder gesund, das weiß ich einfach. Wir
müssen doch wieder nachhause und weiter böse Jungs und böse Mädels fangen, Gibbs. Tony
wird sehr enttäuscht sein, wenn du ... wenn du ihm nicht weiter Kopfnüsse gibst ...“ Abby verschlug es die Stimme. Sie weinte heftig und hielt Gibbs linke Hand. Nach einigen Minuten
beruhigte sich die junge Frau langsam wieder. Sie stand vorsichtig auf und zog sich einen der
kleinen Sessel, die am Couchtisch standen, ans Bett. Sie schob ihn ganz dich heran, dann setzte
sie sich, zog die Beine an und griff wieder nach Gibbs Hand. „Du hast völlig Recht damit, dich
erst mal gründlich auszuschlafen, Gibbs. Du siehst wirklich scheiße aus. Ich wünschte, ich
könnte dir irgendwie helfen. Vielleicht willst du später darüber reden, was dir passiert ist. Ich
weiß ja nicht, ob ich dir eine richtige Hilfe dabei bin ... Ich werde aber für dich da sein, das
verspreche ich dir. Und wenn du mit mir darüber reden magst, was war, dann werde ich auch
da sein und dir zuhören. Viele Väter erzählen ihren Töchtern sehr viel, weißt du. Natürlich
weiß ich, dass ich nicht wirklich deine Tochter bin, aber das, was dem am Nächsten kommt,
oder findest du nicht? Und wenn du nicht mit mir darüber sprechen magst, müssen wir uns
eben was Anderes einfallen lassen.“
Abby konnte nicht verhindern, dass ihr nach einiger Zeit die Augen zufielen. Zu wenig
hatte sie selbst in den letzten Tagen während Gibbs Abwesenheit geschlafen. Sie fuhr jedoch
erschrocken hoch, als sie unterbewusst spürte, dass Gibbs sich bewegte. Sie war sofort wieder
hellwach. Als sie Gibbs anschaute, sah sie direkt in seine unglaublich müde wirkenden Augen.
Besorgt schüttelte sie den Kopf. „Hey, du solltest noch nicht wach sein, Gibbs. Wie fühlst du
dich?“ „Beschissen. Wo ...?“ „Nicht mehr in der Dunkelkammer, sie haben dich raus gelassen.
Du siehst aus, als hättest du die meiste Zeit nicht geschlafen, deshalb solltest du jetzt versuchen, so lange wie möglich zu schlafen, Gibbs.“ Abby sah ihren Chef an. Dann fuhr sie leise
fort: „Hast du Hunger oder Durst? Kann ich irgendwas für dich tun?“ Gibbs hatte zugehört. Er
wirkte abwesend und desorientiert. „Kannst du mir was zu Trinken geben, Abbs?“, fragte er
dann mit einer Stimme, die er selbst fast nicht wieder erkannt hätte. Abby konnte eine Gänsehaut spüren, die ihr über den Rücken kroch. Was musste Gibbs nur durchgemacht haben, um in
eine solche Verfassung zu kommen? Sie sprang vom Sessel hoch und sah sich im Raum um.
Dort, in der Ecke, stand ein Kühlschrank. Sie eilte hinüber und öffnete die Tür. „Was möchtest
du? Wasser, Cola, Bier?“ „Wasser ist gut.“ Gibbs setzte sich mit etwas Mühe auf und nahm die
Wasserflasche, die Abby ihm reichte, mit zitternder Hand entgegen. Er schüttelte genervt den
Kopf und schloss frustriert die Augen.
21
Die Anderen
by Frauke Feind
*****
Die Kerkertür hatte sich hinter Bones und Abby geschlossen und aller Augen wandten
sich wie abgesprochen House zu. Kate fragte leise, was alle dachten. „Warum holen sie dich
wohl nicht?“ House schüttelte den Kopf. „Für einen halbwegs intelligenten Menschen ist das
eine ziemlich dämliche Frage, findest du nicht auch? Meinst du, sie hätten das mit mir abgesprochen?“ Allen war klar, das seine Gereiztheit nur der Sorge um Cameron entsprang und
keiner nahm ihm seine grantigen Worte übel. Mulder bemerkte: „Ich darf doch wohl annehmen, dass Allison keine extremen Situationen erlebt hat, die über den normalen Arbeitsalltag als Ärztin hinaus gehen? Könnte man sagen, das Schlimmste, was sie erlebt hat, war der
Tod ihres Mannes?“ Wieder antwortete House extrem genervt: „Nein, weißt du, sie ist jeden
Tag Situationen ausgesetzt, die dir das Blut in den Adern gefrieren lassen würden. Wild gewordene Bakterien fallen Tag für Tag über sie her, ausgeflippte Viren greifen sie an ... Was
denkst du denn? Sie ist Immunologin, keine von euch tollen Bundesagenten. Was soll die
blöde Frage?“ Mulders Nerven lagen ebenfalls blank, aber der Agent blieb trotzdem völlig
ruhig. „Die blöde Frage zielt einfach auf die Tatsache, dass Menschen mit extremen Erinnerungen wesentlich heftiger von Halluzinationen gequält werden als Menschen, bei denen
das Schlimmste, was sie je erlebt haben, die schwere Verletzung ihres Zeigefingers beim
Kartoffeln schälen ist.“ House stöhnte gequält auf. „Verdammt, tut mir leid, entschuldige bitte.
Ich bin genervt, verstehst du? Ich möchte endlich wissen, was mit Cameron ist und diese
Dreckskerle lassen mich ganz offensichtlich nicht zu ihr.“ Mulder grinste. Er vermutete, dass
das gerade die extremste Äußerung gewesen war, die sie von House bezüglich seiner Gefühle
für Allison hören würden.
Dana stand an der Zellentür uns sah zu Mulder hinüber. „Was meinst du, in welcher
Verfassung werden Gibbs und Booth sein?“ Mulder zuckte die Schultern. „In keiner Guten,
soviel ist sicher. Beide haben in ihrem Leben schon Extremes erlebt, Booth fast noch mehr als
Gibbs. Rein gefühlsmäßig würde ich denken, Gibbs wird sich schneller fangen. Er scheint mir
gefestigter als Booth, alleine schon von der Lebenserfahrung her.“ „Ob wir hier auch bald mit
der nächsten Aktion rechnen müssen?“, fragte Heather beunruhigt. „Rein gefühlsmäßig? Ja.“
Gil hatte sich ebenfalls an Gitter gestellt und sah zu der jungen Frau hinüber. „Wenn wir
Ruhephasen hatten, kam immer ein dickes Ende. Also sollten wir uns alle vielleicht lieber
schon einmal seelisch und körperlich darauf einrichten, dass in absehbarer Zeit wieder etwas
passieren wird.“ Alle wussten, das Grissom Recht hatte. „Das Warten darauf ist doch immer
wieder etwas Schönes.“, stöhnte Jake genervt. „Zum einen nicht zu wissen, was mit den Dreien
ist, zum anderen genau zu wissen, dass in absehbarer Zeit auch wieder welche von uns hier
fällig sein werden ... Da kommt Freude auf.“
22
Die Anderen
by Frauke Feind
*****
„Ist das nicht toll? Abbs, wie weit treiben die uns noch? Verfluchter Mist. Und ich hab
mich für einen harten Hund gehalten.“ Abby sah Gibbs ernst an. „Natürlich bist du ein harter
Hund, Gibbs. Ziva hat uns genau erklärt, dass in der scheiß Kammer jeder früher oder später
zusammen bricht. Bei den meisten wäre es viel schneller gegangen als bei dir, da bin ich
sicher.“ Gibbs lachte freudlos. Der Agent trank vorsichtig etwas Wasser, dann stellte er die
Flasche auf den Nachtschrank neben dem Bett. Abby hatte ihren Vorgesetzten beobachtet und
kämpfte schon wieder mit den Tränen. Gibbs hatte Recht, sie alle hier verkamen immer mehr
zu weinerlichen Jammerlappen. Es war zum Verzweifeln. Nicht nur die ständige Angst um die
eigene Gesundheit, sondern die allgegenwärtige Bedrohung der Menschen, an denen ihnen viel
lag, hatte jeden einzelnen Gefangenen zermürbt. Zumal jeder hier inzwischen die anderen Gefangenen, die sie vor ein paar Wochen nicht einmal gekannt hatten, ebenfalls mehr oder
weniger liebten. Schrecken und Qualen, die man zusammen ausstand, schweißten emotional
zusammen. Am Schlimmsten traf es dabei aber natürlich die Paare. Die, die schon vor der Entführung zusammen gewesen waren, wie Sawyer und Kate, Mulder und Scully und Sara und
Gil, genauso, wie die, die sich auf Grund der ganzen Stresssituation erst hier wirklich ihrer
Liebe zueinander bewusst geworden waren, wie Bones und Booth, House und Allison und Jake
und Heather. Abby verging fast vor Angst, dass Gibbs oder Ziva etwas zustoßen konnte, und
den Beiden erging es nicht besser. Der Einzige, der relativ unbehelligt blieb, war der geheimnisvolle John Locke. Obwohl besonders denen unter ihnen, die schon eines der grausamen
Experiment hatten ertragen müssen, bei denen Locke ihnen das Leben gerettet hatte, wussten,
dass Locke sich ebenfalls Arme und Beine ausgerissen hätte, um jedem von ihnen zu helfen.
Abby versuchte, die trüben Gedanken weg zu schieben und sah Gibbs an. „Viel
schlimmer kann es ja nicht mehr kommen, Gibbs. Wenn du schon wach bist, solltest du etwas
Essen, wir haben hier die Speisekarte aus dem Belohnungsraum ebenfalls zur Verfügung.“
Gibbs hockte bewegungslos auf dem Bett und starrte leicht abwesend vor sich hin. Abby war
nicht sicher, ob er ihre Worte überhaupt vernommen hatte. „Gibbs?“, fragte sie nach. Verwirrt
zuckte der Agent zusammen. „Was?“ „Gibbs, hast du Hunger? Du solltest vielleicht etwas
essen. Wann hast du in der ... wann hast du zuletzt was bekommen?“ Der Ex-Marine versuchte
sich zu konzentrieren. „Essen? Keine Ahnung. Ich ... Ich hab nichts gegessen. Meine Hände
waren die ganze Zeit gefesselt, ich wollte nicht ...“ Er verstummte. Er konnte Abby nicht
sagen, dass er nicht hatte aufs Klo gehen wollen, ohne seine Hände benutzen zu können. Abbs
war nicht dumm, sie konnte sich denken, was Gibbs bedrückte. Sie sagte leise: „Wenn du die
ganze Zeit nichts gegessen hast, Gibbs, wird es aber Zeit, dass du was zu dir nimmst. Du musst
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Die Anderen
by Frauke Feind
doch Hunger haben.“ Gibbs wirkte immer noch vollkommen orientierungslos und sah Abby
erstaunt an. „Hunger? Ich weiß nicht. Abbs, ich bin total ... Doch, du hast natürlich Recht, ich
müsste wohl was Essen. Such mir doch was aus. Ich ... Ist hier eine Dusche?“ Abby nickte. Sie
stand auf und nahm die Karte vom Tisch.
Speisekarte
1)Tomatensalat mit Mozzarella
2) Ribeye Steak mit Pommes oder Folienkartoffel, Gemüse
3) Filet Steak mit Bratkartoffeln und Mais mit Butter
4)Bratfisch mit Salzkartoffel und Salat
5)Cesar Salat
6) Hamburger / Cheeseburger mit Pommes
7) Pizza mit Salami, Thunfisch, Champions, Tomaten,
8) Pizza Hawaii mit Ananas und Schinken
9) Pasta Bolognese
10)Pasta mit Käseschinkensoße
11) Rotes Hühnchencurry
12) Tandori Chicken mit Reis
13) Gnocchi mit Spinat-Camembert Sauce
14) Kürbis-Zucchini Lasagne
15) Hähnchenkeulen mit Karottengemüse
sechzehn) Garnelen im Reisteig mit Kürbis-Curry-Sauce
17) Rotzungenfilet mit Gemüsefüllung
18) Satè-Spieße auf Erdnusssauce
19) Entenbrust mit Blutorangen-Inwersauce und Gemüse-Gratin
20) Kross gebratene Hähnchenkeulen auf Tomatenchutney
21)Huhn in Sojasauce mit Paksoi-Gemüse
Abby entschied sich für das Hähnchencurry und für Gibbs bestellte sie das Rotzungenfilet. Etwas leicht verdauliches. Während sie auf das Essen warteten, versuchte Abby, Gibbs
ein wenig zum Reden zu bringen. Ihn direkt anzusprechen würde nichts bringen, das war Abby
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Die Anderen
by Frauke Feind
klar. So sagte sie schließlich leise: „Gibbs, hör zu. Als du weg warst, das ... das war schrecklich. Ich konnte an nichts anderes denken als daran, wie es dir in dieser fürchterlichen Kammer
ergehen würde. Ich konnte nicht schlafen. Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Und als Ziva
dann erzählte ... Ist es wirklich so schlimm?“ Sie verstummte und beobachtete aufmerksam
Gibbs Reaktion auf ihre Worte. Der erschauderte. Er saß immer noch bewegungslos im Bett
und starrte ins Leere, schien aber Abbys Worte registriert zu haben. Leise sagte er mit müder,
mutloser Stimme: „Schlimmer, Kleines, viel schlimmer. Man verliert sehr schnell jedes Gefühl
für Zeit und Raum und dann kommen die Halluzinationen ...“ Gibbs verstummte und verbarg
sein blasses Gesicht in seinen Händen. „Ich habe ... gesehen, wie Kelly und Shann starben ...“,
stieß er dumpf hervor. Abby war klar, dass jedes weitere Wort zu viel gewesen wäre. Sichtlich
erschüttert beschränkte sie sich darauf, Gibbs in die Arme zu nehmen. So saßen sie einige
Minuten still beieinander. Dann klapperte es Luke an der Tür und ihr Essen wurde herein gereicht.
Dum spiro spero
Allen Gewalten zum Trotze sich erheben ... nimmer sich beugen.
William Shakespeare
Booth erwachte aus seinem Tiefschlaf und wusste im ersten Moment nicht, wo er war.
Er hatte Angst, die Augen zu öffnen, wollte nicht wieder die erdrückende Dunkelheit sehen.
Sein Herz pochte von einer Sekunde zur anderen heftig gegen seine Rippen und sein Atem
beschleunigte sich stark. Seine Hände strichen fahrig über ... ein Zudeck? Wo war er?
Erschrocken öffnete er doch die Augen. Es war dunkel, aber normal, nicht tintenschwarz.
Booth wagte nicht, sich zu bewegen. Er war vollkommen orientierungslos und seine Augen
huschten nervös herum. Dann begriff er langsam, dass er in einem Bett lag. Oh, Gott. War das
die Realität oder steckte er wieder in einer Halluzination? Würde gleich Rahim auftauchen und
ihn aus dem Bett jagen? Booth zwang sich, ruhig zu atmen. Er bemühte sich krampfhaft um
Konzentration. Langsam kam ihm die Erinnerung wieder. Die Black Box, er war zusammen
gebrochen und als er aufwachte, saß Tempe bei ihm, er war raus aus der Dunkelhaft. Bones.
Booth fuhr hoch. Da lag sie, neben ihm, und schreckte ebenfalls hoch: „Booth?“
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Die Anderen
by Frauke Feind
Booth zuckte zu Bones herum. „Tempe? Bist du das wirklich?“ Zaghaft strecke er die
Hand aus, um Bones zu berühren. Diese nickte. „Ja, Booth, ja, ich bin es wirklich. Du bist
nicht mehr in der Kammer. Du hast es geschafft.“ Booth seufzte auf und zog Bones dann überraschend an sich, hielt sie so fest, dass ihr fast die Luft weg blieb. Aber sie schlang nicht
minder fest die Arme um Seeleys dünn gewordenen Körper. Himmel, sie konnte seine Rippen
spüren. Sie alle waren so dünn geworden. Einige Minuten hielten sich die zwei eng umschlungen, dann flüsterte Booth: „Haben wir hier Licht?“ Bones löste sich sanft aus seinen
Armen und beugte sich zum Lichtschalter an ihrer Bettseite. Sekunden später wurde es hell im
Raum. „Danke.“ Bones sah Seeley an. Er hatte nicht mehr ganz so tiefe Schatten unter den
Augen, aber der Ausdruck in ihnen war noch genau so gehetzt und verängstigt wie vor ein paar
Stunden. Booth sah sich im Raum um und entdeckte die Dusche und die Tür zur Toilette.
Langsam schwang er die Beine aus dem Bett und wartete, bis sich der Schwindel, der ihn
schlagartig befiel, nachließ. Bones war schon aus dem Bett und eilte an Booth Seite. „Du musst
dir Zeit lassen, du hast eine ziemlich üble Beule am Kopf und nichts im Magen. Dein Blutdruck dürfte ziemlich miserabel sein.“ Booth atmete einige Male tief durch, dann stand er langsam und vorsichtig auf. „Geht.“, sagte er leise, als Bones ihm helfen wollte.
Er ging erst zur Toilettentür und öffnete diese. Ein kleiner, dunkler Raum. Sofort fing
sein Herz an zu Rasen. - Das fehlt auch noch, dass du jetzt Angst vor der Dunkelheit hast, reiß
dich zusammen, Mann. - fuhr es Seeley durch den Kopf. Trotzdem musste er einige Male
kräftig durch atmen, bevor er nach dem Lichtschalter tastete und den sehr kleinen Raum betrat.
Eine winzige Sekunde lang war Booth versucht, die Tür offen zu lassen, dann schüttelte er entschieden den Kopf. Minuten später stand er unter der Dusche, während Bones Essen bestellte,
für sich hatte sie eine Pizza, für Booth das Huhn in Sojasoße bestellt. Noch wusste sie nicht,
dass er während der gesamten Deprivation kein Essen zu sich genommen hatte. Sie saß auf
dem Bett, beobachtete Booth beim Duschen und versuchte, sich darüber klar zu werden, wie
sie ihm am besten bei der Bewältigung dessen, was hinter ihm lag, helfen konnte. Sie hatte sein
Zögern vor der WC Tür sehr wohl bemerkt und sie hatte sich auf die Lippe gebissen. Gerade
wollte sie zu ihm gehen, als er doch eingetreten war. Jetzt stand er schon seit vielen Minuten
unter der Dusche, rührte sich nicht, stand einfach still unter dem warmen Wasserstrahl. Er
stand da, die Hände an die Wand gestützt, das Gesicht in den Wasserstrahl haltend. Schließlich
bewegte er sich und fing an, sich gründlich abzuseifen und die Haare zu waschen. Als er die
Dusche verließ, kam auch schon ihr Essen und mit diesem wurde ein sauberer Kittel für Booth
herein gereicht.
Bones stellte das Essen auf den Sofatisch und Booth kam, ein Handtuch um die Hüfte,
zu ihr. Schwerfällig ließ er sich neben Bones auf das Sofa sinken und fing wortlos an zu Essen.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Er aß langsam und fixierte seinen Teller, als wäre er ein spannendes Footballspiel. Als er fertig
war mit Essen, wollte er sich, immer noch schweigend, erheben. Doch Bones hielt ihn am Arm
zurück. Erstaunt sah er sie an. „Booth, du hast Furchtbares durchgemacht, aber es hilft dir
nicht, es auszuschweigen. Ich weiß, dass ich es bin, die immer wieder deutlich macht, wie sehr
ich Psychologie hasse, aber es ist einfach so, dass du es nicht verdrängen darfst. Versuche,
darüber zu reden, bitte.“ Um die betretene Stille, die nach Bones Worten in der Luft schwebte,
zu überbrücken, sagte Booth leise: „Das Essen war gut ...“ Er ließ sich tatsächlich auf das Sofa
zurück gleiten und starrte erneut auf den Tisch vor sich. Bones versuchte, daran anzuknüpfen.
„Was hast du denn dort zu essen bekommen?“ Sie hoffte, mit dieser relativ harmlosen Frage
würde sie Booth die ersten Worte über das Erlebte einfacher machen. Sie hoffte so sehr, die
Frage könnte ein Einstieg für Seeley sein, darüber zu reden, was er durch gemacht hatte. Dieser
stocherte geistesabwesend mit der Gabel auf dem leeren Teller herum. Dann sagte er kaum
verständlich: „Ich habe nichts gegessen.“ Bones erschrak. „Was? Haben sie euch nichts zu
essen gegeben?“ „Doch, nur ... Meine ... meine Hände waren die ganze Zeit fixiert und ... und
ich hätte nicht ... Es wäre nicht ... Darum habe ich nichts gegessen ...“ Booth verstummte.
Bones verstand, worauf Booth hinaus wollte. Sie legte ihm sanft einen Arm um die Taille und
versuchte dann mit möglichst sachlich klingender Stimme zu Antworten: „Das verstehe ich, ich
hätte ebenso reagiert.“ Sie merkte, dass ihre Stimme nicht annähernd so sachlich klang, wie sie
es gerne gehabt hätte.
„Hast du denn genug getrunken? Bitte, Honey, du musst es mir sagen, denn wenn nicht
müssten wir etwas gegen eventuelle Dehydrierung bei dir unternehmen.“ Bones spürte, dass
Booth sich an sie lehnte. „Ich ... Getrunken habe ich genug, mach dir keine Sorgen.“ Booth
schaute erstmals, seit er auf dem Sofa Platz genommen hatte, direkt in Tempes Gesicht. Ganz
sanft legte er ihr eine Hand an die Wange und stieß dann heftig hervor: „Ich habe wieder und
wieder versucht, mir dein Gesicht vorzustellen, während ich dort in der Hölle steckte. Schon
nach kurzer Zeit ... Ich konnte nicht ... Ich ... Da war keine Konzentration mehr.“ Tempe
schmiegte ihre Wange in seine Hand und erwiderte leise: „Das kann sich wohl niemand vorstellen, der nicht das Gleiche durchgemacht hat. Es muss furchtbar sein.“ Bones hoffte, er wäre
im Stande, sich weiter zu öffnen. Sie spürte Booth zittern und fragte leise: „Willst du dich
wieder hinlegen?“ Booth nickte. „Ich glaube ja. Ich friere unglaublich. Vielleicht wird mir im
Bett wärmer. Und vielleicht kann ich noch ein wenig schlafen.“ Zusammen erhoben die Beiden
sich und gingen Arm in Arm zum Bett hinüber. Liebevoll wickelte Bones Seeley aus dem
Handtuch, dann erklärte sie: „Leg dich hin. Ich komme sofort, um dich zu wärmen.“ Sie hängte
das feuchte Handtuch über einen Halter neben der Dusche. Dann entdeckte sie einen Wasserkocher und Tassen, sowie löslichen Kaffee auf der kleinen Anrichte in der Zimmerecke stehen.
Sie bereitete zwei Tassen Kaffee zu, damit kehrte sie zum Bett zurück. Booth nahm dankbar
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Die Anderen
by Frauke Feind
die Tasse und trank den heißen Kaffee in kleinen Schlucken. Als er die Tasse geleert hatte, war
ihm nicht mehr ganz so kalt.
Seufzend machte er sich lang und zog sich das Zudeck bis unter das Kinn. Tempe
stellte die Tassen bei Seite und schlüpfte aus ihrem albernen Kittel. Sie glitt zu Booth unter die
Decke und kuschelte sich so dicht es ging an ihn. Bones ließ ihm Zeit, spürte, dass sie ihn nicht
bedrängen durfte. Sie musste versuchen, ihm durch ihre Nähe nicht nur äußerliche Wärme zu
geben, damit er den Mut fand, über das Schreckliche zu reden. Sie wollte nach dem Lichtschalter greifen, aber Booth stoppte sie erschrocken. „Können wir das Licht bitte anlassen?“
Seine Stimme klang leicht panisch und Bones sah ihn an. „Es war so schrecklich dort in der
absoluten Dunkelheit, Bones, ich kann das im Moment nicht ertragen ohne Licht, okay?“
„Entschuldige, das war dumm von mir.“, sagte Tempe ehrlich zerknirscht. „Es ist für uns alle
nicht leicht, dass es in unseren Zellen nie wirklich dunkel ist. Absolute Dunkelheit und wie
quälend diese ist, kann ich mir gar nicht vorstellen. Es ist die Orientierungslosigkeit, oder?“
Booth schaute zur Decke über sich und nickte. „Ja, aber nicht nur das. Die Hände nicht benutzen zu können ... Du ahnst nicht, wie beängstigend das sein kann, wenn man weder etwas
sieht noch etwas hört. Ich habe schreckliche Angst, dass ich den Rest meines Lebens Panik vor
der Dunkelheit haben werden.“ Booth’ Stimme brach fast. „Das ist Unsinn, Booth, und das
weißt du. Wenn wir hier raus sind, und wir werden hier heraus kommen, gemeinsam, dann
wirst du schnell Dunkelheit mit angenehmen Erlebnissen verbinden, dafür werde ich sorgen.
Dann wirst du bestimmt keine Angst mehr haben.“ Bones wünschte sich Mulder herbei, der
hätte Booth das sicher erheblich besser erklären können. Dabei ahnte Bones nicht, wie gut ihre
etwas hilflosen Worte Booth taten.
„Weißt du, ich habe Halluzinationen gehabt. Bones, die waren ... schrecklich, aber es
waren wenigstens Stimmen, menschliche Stimmen. Sie haben mich angeschrien, bedroht, aber
ich habe in den Momenten wenigstens etwas gehört. Ich war dort während einer Halluzination
nicht alleine ... Bones, ich hab mich sogar nach Howie gesehnt, kannst du dir das vorstellen?
Ich habe gewünscht, die Stimme von Epps zu hören, nur, um überhaupt etwas zu hören.“
Bones hörte seiner Stimme an, dass er bereit war, noch weiter zu sprechen. Sie warf leise ein:
„Vorstellen kann ich mir das nicht wirklich, ich habe absolute Stille noch nie erlebt, glaube
aber, dass das beängstigend sein muss.“ Sie wollte ihm nur weiter Stichworte liefern, das
Reden sollte Booth beibehalten. Und er tat ihr den Gefallen. Immer noch zur Decke starrend,
fuhr er leise und mit zitternder Stimme fort: „Der Raum war so klein, weißt du, aber man verliert trotzdem völlig die Orientierung, wenn man da in der vollkommenen Schwärze hockt, es
ist unglaublich. Rahim war da. Er hat mich ... Er war es, der mich ... gefoltert hat. Meine Füße
... Ich konnte teilweise das elende Klo nicht finden. Ich hatte solche Kopfschmerzen ... Raddick
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Die Anderen
by Frauke Feind
erklärte mir, er würde mich vor Parker erschießen ...“ An dieser Stelle verschlug es Booth
kurzfristig die Stimme. Dass er vollkommen zusammenhanglos erzählte, beunruhigte Bones
ein wenig, aber im Augenblick war weitaus wichtiger, dass er überhaupt redete als das wie. Er
brauchte wieder eine Aufmunterung, das war Bones klar. Ihr liefen, während sie ihm zuhörte,
Tränen über die Wangen. Jetzt streichelte sie sanft unter der Zudecke über Booth’ Brust, einfach eine beruhigende, zärtliche Geste, dass er nicht alleine war. Dann sagte sie liebevoll: „Das
ist vorbei, Babe. Hier erschießt dich keiner.“
*****
Abby ging zur Tür und nahm die Teller mit ihrem Essen in Empfang. Sie trug sie zum
Tisch und stellte für Gibbs und sich selbst je eine Flasche Bier dazu. Gibbs stand auf und bat:
„Kannst du es einen Moment irgendwie warm halten? Ich möchte erst duschen ...“ Er wartete
keine Antwort ab, sondern ging langsam und schwerfällig zur Dusche, die Arme eigenartig
steif an den Körper pressend, als begreife er gar nicht, dass er sie wieder frei bewegen konnte.
Vor der Duschkabine blieb er stehen und sah sich gedankenverloren einen Stapel Handtücher
an. Eine Minute lang, zwei Minuten, dann schüttelte er den Kopf, griff zwei Handtücher und
legte sie neben der Duschkabine bereit. Er öffnete langsam seinen Kittel, ließ ihn achtlos von
seinem Körper gleiten und stieg unter die Dusche. Verhältnismäßig schnell duschte er, dann
rubbelte er sich trocken und schlang sich ein Handtuch um die Hüfte. So kam er an den Tisch
und setzte sich wortlos neben Abby auf das Sofa. „Danke Abbs.“ Mit leicht zitternden Händen
nahm er den Deckel vom Teller und fing wortlos an zu essen. Als er fertig war, lehnte er sich
zurück und sah sich geistesabwesend im Zimmer um. Es war hell. Er konnte sehen und hören,
und er konnte seine Hände benutzen. Wie, um sich dies zu beweisen, streckte er die Arme über
den Kopf und reckte sich. Dann schaute er seine Hände an. Sie zitterten immer noch. Abby
hielt es für angebracht, das Schweigen zu brechen, das seit dem Essen herrschte.
„Wie fühlst du dich, Gibbs? Ist alles in Ordnung?“ Es schien einige Momente zu
brauchen, bevor die Worte bis zu seinem Hirn vorgedrungen waren. Dann sah er Abby an.
„Ganz ehrlich, Abbs, ich ... weiß es nicht. Körperlich fühle ich mich einfach müde und zerschlagen. Aber seelisch ... Diese absolut undurchdringliche Schwärze ... Totenstille ... kein
noch so kleines Geräusch, kein noch so winziger Lichtschein ... Kein Tasten, weil die Hände
ständig gefesselt waren ... Abbs, der Raum war winzig und trotzdem habe ich das verdammte
Klo nicht wieder gefunden.“ Gibbs sprang auf und fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen.
Abby hatte schweigend zugehört. Jetzt sagte sie verlegen: „Gibbs, hör zu, jeder von uns wird
hier an den Rand des endgültigen Zusammenbruches getrieben. Diese elenden Schweine legen
es doch genau darauf an. Dass sie uns jedes Mal nach einem ihrer Spielchen Gelegenheit
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Die Anderen
by Frauke Feind
geben, uns wieder ein wenig zu erholen, dient doch nur der Tatsache, dass wir soweit bei
Kräften bleiben, dass sie sich die nächsten Spielchen einfallen lassen können. Wie müssen ...
irgendwie zusammen halten und es schaffen. Gibbs, du bist so unglaublich stark, du wirst das
verarbeiten. Die haben dich in die Luft gesprengt und du hast es überlebt, du wirst das hier
ganz sicher auch überstehen.“ Gibbs war stehen geblieben und hatte Abby zugehört. Die
Konzentration fiel ihm immer noch extrem schwer, aber er begriff Abbys Worte und verstand
auch ihren Sinn.
„Ich brauche einfach ein wenig Zeit, das zu verarbeiten. Es ist nicht ganz einfach, wenn
man merkt, dass man nicht annähernd so belastbar ist, wie man dachte. Natürlich hast du
Recht. Diese Leute legen es darauf an, uns an den Rand und weiter zu treiben. ... Fast glaube
ich, sie schaffen es, mich zu ... mich zu brechen ...“ Er sprach abgehackt und legte immer
wieder kurze Überlegungspausen ein. Abby ließ ihn ungestört Reden. Langsam fuhr Gibbs
fort: „Man sieht nichts, absolut nicht ... nicht das kleinste bisschen Licht, Abbs, nichts. ... als
ob man blind wäre ... und die Stille.“ Er legte den Kopf auf die Seite, als würde er nach etwas
Lauschen. „Totenstille. Kein Geräusch ... kein noch so leises Geräusch war da zu hören ... Die
Hände gefesselt ... Die ganze Zeit ... Ich konnte nicht mal Tasten ... Auf dem Rücken ... Hab
das Wasser nicht gefunden. Ich hab das verdammte Wasser nicht gefunden, Abbs. In einer
nicht mal zwei Mal zwei Meter großen Zelle ...“ Gibbs war die ganze Zeit auf und ab gelaufen,
jetzt stand er mitten im Zimmer und starrte Abby verzweifelt an. Tränen liefen ihm über das
Gesicht. „Diese Schweine.“, platzte Abby voller Wut heraus. „Die werden keinen von uns
brechen, und dich schon überhaupt nicht. Gibbs, wir schaffen das hier gemeinsam.“ Sie eilte zu
ihm und schlang ihm die Arme um den Hals. „Wir schaffen das.“ Sanft führte sie Gibbs zum
Bett hinüber, sicher, dass er todmüde sein musste, so, wie er aussah. Mit sanfter Gewalt
brachte sie ihn dazu, sich hinzulegen und deckte ihn fürsorglich zu. Und sah sofort, dass sie mit
ihrer Annahme Recht gehabt hatte. Kaum lag Gibbs im Bett, fielen ihm die Augen zu und er
schlief ein.
*****
Nach ihrem Weinkrampf hatte Allison sich in das weiche, wundervolle Bett gelegt und
war fast sofort eingeschlafen. Sie hatte das Gefühl, wirklich lange geschlafen zu haben, denn
als sie aufwachte, fühlte sie sich deutlich besser. Sie hatte Hunger und Durst und so rappelte
sie sich mühsam aus dem Bett und sah sich im Zimmer gründlicher um. Ein Kühlschrank in
einer Ecke sprang ihr in die Augen und sie ging hinüber, mit kleinen, unsicheren Schritten, als
wäre noch die Kette zwischen ihren Füßen. Dann bemerkte sie, dass sie so unsicher lief und
schüttelte den Kopf. Die letzten Schritte machte sie vernünftig. Im Kühlschrank fand sie
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Die Anderen
by Frauke Feind
Wasser, Bier und Cola und nach kurzem Zögern griff sie sich ein Bier. Aus dem Augenwinkel
sah sie die Speisekarte und seufzte erleichtert auf. Schnell entschied sie sich für die Garnelen
in Reisteig und wartete mit dem Bier, bis ihr Essen eintraf. Dann aber ließ sie sich beides
schmecken. Als sie satt war, schaltete sie den TV ein und sah die DVDs durch. Sie entschied
sich für Patch Adams mit Robin Williams. Mehr oder weniger interessiert verfolgte sie das
Geschehen auf dem Bildschirm. Als nach zwei Stunden der Film durch war, fing Allison an,
unter der Einsamkeit in diesem Raum zu leiden. Sie wollte so gerne wieder in den Zellentrakt.
Wie es wohl Gibbs und Booth erging? Ob die Beiden noch ...? Sie wollte nicht an die Dunkelkammer denken und konzentrierte sich stattdessen auf House.
Und zuckte erschrocken zusammen, als die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet wurde. „Los,
Nummer 10, auf geht’s.“ Allison sprang auf und beeilte sich, der Wache den Rücken zuzudrehen und die Hände hinter denselben zu legen. Sie wurde gefesselt und dann ab geführt. Ihr
Herz raste. Was hatten die jetzt wieder vor? Man brachte sie zum Fahrstuhl und es ging zwei
Etage hinunter. Sie hätte nicht sagen können, wo im Gebäude sie sich befand, weil alles
identisch aussah. Zu ihrer maßlosen Überraschung wurde sie direkt in den Kerker geführt.
Freudentränen traten ihr in die Augen, als sie den Zellentrakt vor sich sah. Sie überflog blitzschnell die Zellen und merkte sofort, dass Gibbs, Booth, Abby und Bones fehlten. Das Licht
war grün, und so wurde Allison sofort von allen freudig begrüßt, kaum, dass sich ihre Zellentür
geschlossen hatte. Heather war die Erste, die mitfühlend fragte: „Allison. Wie geht es dir? War
es sehr schlimm?“ Ziva wollte erst einmal wissen, ob sie etwas von Gibbs und Abby wusste.
Dana fragte sofort nach physischen Symptomen, während Mulder Fragen zu Allison
psychischer Verfassung stellte. Allison wusste gar nicht, wem sie zuerst antworten sollte. Sie
wartete eigentlich, das House etwas zu ihr sagte. Locke warf Allison einen verstohlenen Blick
zu, intuitiv erfasste er, dass ihre relativ schnelle Rückkehr und auch die Tatsache, dass es ihr
Recht gut zu gehen schien, Folgen für die Zukunft haben würde ... Er suchte nach den richtigen
Worten, etwas Tröstliches zu sagen. Bevor er dazu kam, fragte Allison beunruhigt nach den
Leidensgenossen, damit auch Zivas Frage beantwortend. „Ich habe Gibbs und Booth nicht gesehen. Wann sind Abby und Bones abgeholt worden?“ Sawyer hatte Cameron Rückkehr erfreut zur Kenntnis genommen. Er sah zu ihr hinüber und erklärte: „Hey, Doc, schön, dass du
wieder da bist. Du sieht sexy aus. Hast du etwa ein neues Outfit? Die Mode steht dir gut.
Bones und Abby sind noch nicht lange weg, ein paar Stunden vielleicht.“ Allison lächelte zu
Sawyers Zelle und konnte tatsächlich lachen. „Ja, die haben mir einen Kittel nach der neusten
Pariser Fashion spendiert. Sieht heiß aus, oder?“ Sie drehte sich einmal um sie selbst. Nur zu
gerne ergriff jeder der Gefangenen die seltene Gelegenheit, durch ein befreiendes Lachen
wenigstens ein ganz klein wenig von dem sie alle belastenden Stress abzubauen.
31
Die Anderen
by Frauke Feind
Es war Mulder, der mit einer Bemerkung schließlich die Wahrheit erfasste.
„Wahrscheinlich sind Gibbs und Booth in schlechterer Verfassung als du. Sie dürften genug
traumatische Erlebnisse hinter sich haben, um schlimme Halluzinationen gehabt zu haben. Es
gehört offensichtlich zum Programm unserer Entführer, nach wirklich belastenden Erlebnissen
eine vertraute Person die Nachsorge übernehmen zu lassen. Die wollen zwar unseren Willen
brechen, aber uns nicht völlig kaputt machen.“ Allison seufzte. „Also, mir hat es gereicht. Es
war nicht nur Dunkelheit, in erster Linie war es die Stille. Es ist grässlich, Stunden, Tage nur
die eigenen Geräusche zu hören. Man sitzt da, lauscht auf seinen Atem, auf seinen Herzschlag,
auf ... Und man möchte so gerne irgendetwas anderes hören, eine Stimme, und wenn sie auch
noch so unfreundlich wäre.“ „Mich hätte schon die Enge fertig gemacht.“, erklärte Kate
schaudernd. Unerwartet sprang Ziva ihr bei. „Ich hätte auch Wahnsinns Schwierigkeiten, schon
hier in der Zelle macht mich die Enge und die Bewegungseinschränkung verrückt.“ Und jetzt
endlich machte House den Mund auf. „Jetzt ist es ja vorbei und du wirst das hoffentlich schnell
vergessen. Ich war in Gedanken ... Wie es wohl Booth und Gibbs gehen mag ...“
*****
Man ließ Bones und Booth zwei Tage in dem Wohnraum, sie bekamen ausreichend zu
Essen und wurden, bis auf kurze Besuche eines Arztes, der Booth’ Zustand überprüfte, in Ruhe
gelassen, genau wie Gibbs und Abby in ihrem Raum. Booth benötigte die Zeit aber auch mehr
als dringend, um sich auch nur ansatzweise zu fangen. Bones und er sprachen, nachdem Booth
ausgeschlafen hatte, viel über die Zeit in der Dunkelhaft. Booth selbst fing immer wieder
davon an, und Bones unterstützte ihn darin. Am Morgen des dritten Tages, nach der Zeitrechnung der Gefangenen, wurden die vier zurück in den Kerker gebracht. Freudig wurden sie
von den anderen Gefangenen begrüßt. „Mensch, Booth, Gibbs, schön, euch wieder hier zu
haben. Wie geht es euch?“ „Bones, du wandelndes Lexikon, du hast uns gefehlt. Keiner hat
etwas gesagt, dass außer dir niemand versteht.“ Sawyer grinste frech. Er hatte die Arme durch
die Gitterstäbe gestreckt und stützte sich so locker auf. Bones sah ihn überrascht an, dann erklärte sie todernst: „Ich weiß nicht, was das bedeutet. Spreche ich undeutlich?“ Jake schüttelte
entnervt den Kopf. „Menschenskinners, Booth, sag ehrlich, wie oft verstehst du sie nicht?“
Booth lachte etwas gequält. „Meistens.“ Locke begrüße Abby freundlich. „Schön, das du
wieder da bist, ich habe mich so an deinen Anblick gewöhnt. Deinem Boss geht es wieder gut,
das ist beruhigend.“
Die nächsten Tage verliefen ruhig, die Gefangenen wurde in Ruhe gelassen, wofür besonders Gibbs und Booth natürlich dankbar waren. Sie hatten das Erlebnis der Isolationshaft
noch lange nicht wirklich überwunden. Doch die Tatsache, dass man sie in Frieden ließ be32
Die Anderen
by Frauke Feind
ruhigte die Eingesperrten keineswegs, denn bisher hatten sie immer wieder die Erfahrung gemacht, je mehr man sie in Frieden ließ, desto dicker kam es dann. So wurden alle langsam aber
sicher immer nervöser. Sie zuckten zusammen, wenn Wachen in den Kerker kamen, bei jedem
Knacken des Lautsprechers, schliefen unruhig. Erschwerend kam hinzu dass sie kaum Gelegenheit hatten, sich zu unterhalten. Dabei wäre es für sie alle extrem hilfreich gewesen,
Reden zu können. Über ihre Ängste, über schon erlebtes. Doch die Grünphasen waren stark
eingeschränkt worden, einen Grund dafür konnte keiner erahnen. Und dann kam der Morgen,
an dem eine klare Lautsprecherdurchsage erschallte. „Achtung, Gefangene, aufgepasst.
Nummern 8, 9 13 und sechzehn hoch und ans Gitter, aber schnell.“
Menschenjagd
Ich weiß wohl, vor wem ich fliehen soll, aber nicht zu wem.
Marcus Tullius Cicero
Recht verwirrt über die Zusammenstellung traten Kate, Gibbs, Gil und Heather an die
Zellentüren und ließen sich mit einem sehr unguten Gefühl die Hände fesseln. Komischerweise
schoss Gil der Gedanke durch den Kopf, dass noch keiner von ihnen diese Aktion verweigert
hatte, in der ganzen Zeit, die sie nun schon hier waren. Er warf einen flüchtigen Blick auf Sara,
die sehr besorgt zusah und lächelte ihr verkniffen zu. Sawyer, Jake, Abby und Ziva waren nicht
minder beunruhigt als Sara und standen an den Gittern, die Hände um die Stäbe verkrampft,
sahen hilflos einmal mehr hinterher, als die Menschen, die sie liebten aus dem Kerker geführt
wurden. Kate warf einen unglücklichen Blick zu Sawyer hinüber und biss sich auf die Lippe.
Kaum waren die vier aus dem Kerker gebracht worden, ging das grüne Licht an. „Was haben
die nur jetzt wieder vor? Wo bringen sie Gibbs und die Anderen hin?“ „Das werden wir erfahrungsgemäß erst zu Wissen kriegen, wenn sie verl... wenn sie wieder zurück gebracht
werden ... oder gar nicht.“, knurrte House frustriert. Sara und Jake, aber auch Sawyer, hatten
bei dem kläglichen Versuch Gregs, das Wort verletzt noch abzuwiegeln, alle Farbe verloren,
von der ohnehin nicht mehr viel zu sehen war. Der inzwischen mehr als zweimonatige Aufenthalt ohne Sonne hatte sie alle blass werden lassen. Selbst Zivas natürlich sanft brauner Hautton
war käsig und ungesund. Sawyer krallte sich noch stärker an die Gitterstäbe. „Sie werden nicht
verletzt.“, sagte er leise und tonlos. „Nein, werden sie sicher nicht, ist mir nur so rausgerutscht,
ist ja bisher auch noch nie vorgekommen ...“ House konnte sich einen sarkastischen
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Die Anderen
by Frauke Feind
Kommentar einfach nicht ganz verkneifen. „Nun halte doch mal dein Schandmaul.“, stieß
Allison ärgerlich hervor. Und sie erreichte das fast unmögliche. Greg verstummte vorerst.
*****
„Ihr werdet Wasser, Lebensmittel für zwei bis drei Tage, Binden, einen Kompass und
ein Messer bekommen. Das Gelände ist hundertzwanzig Quadratkilometer groß und von einem
Zaun umgeben. Solltet ihr meinen, Fliehen zu können, werden eure Partner qualvoll sterben,
damit wir uns richtig verstehen. Und ich meine qualvoll. Es gibt nur einen Weg hinaus. Um
den zu finden, müsst ihr zwei Aufgaben bewältigen. Solltet ihr diese falsch oder der Einfachheit halber gar nicht lösen, und geht in die verkehrte Richtung, seid ihr tot, am Ende der
falschen Wege wartet jeweils ein Exekutionskommando mit dem klaren Befehl, euch zu töten.
Ihr werdet zwei Stunden Vorsprung bekommen, dann werdet ihr verfolgt werden, und zwar
gnadenlos. Eure Verfolger haben Messer und Pfeil und Bogen. Ich an eurer Stelle würde an
den Intentionen der Jäger nicht zweifeln. Wir können keine Versager brauchen. Daher werden
wir jeden von euch eliminieren, der unseren Ansprüchen nicht gerecht wird. Ihr habt das Recht,
euch mit allen Mitteln zu wehren. Solltet ihr Gelegenheit bekommen, einige eurer Verfolger
auszuschalten, nutzt sie! Noch was. Wir sind hier in einem tropischen Regenwald. Hier gibt es
Giftschlangen, giftige Spinnen und vor allem Siam- und Leistenkrokodile. In den Mangrovensümpfen gibt es Haie. Also, seht euch lieber vor.“
Fassungslos standen Kate, Heather, Gibbs und Gil vor einigen der Wachposten und
lauschten entsetzt der Erklärung dessen, was vor ihnen lag. Jeder von ihnen bekam einen
Rucksack in die Hand gedrückt, der recht schwer war. Sie hatten keine Zeit, lange
Nachzudenken, denn schon hatten sie sich die Rucksäcke auf den Rücken zu schnallen. Man
hatte ihnen noch im Gebäude die Arm und Fußreifen, sowie das Halsband abgenommen.
Nachdem man ihnen die Augen verbunden hatte, hatte man sie an den Oberarmen gepackt weg
geführt, mit dem Fahrstuhl einige Etage abwärts. Dann ging es ganz offensichtlich nach
draußen. Sie wurden über rauen Boden geführt, dann spürten sie kühlen Stahl unter ihren
nackten Sohlen. Diese Rampe, mit der sie ein Stück angehoben wurden, kannten sie schon von
dem Ausflug zum Steine schleppen. Da waren sie allerdings bequem sitzend transportiert
worden. Jetzt hatten sie den Befehl bekommen, sich auf den Bauch zu legen. Erstaunt hatten
sie gehorcht, hatten sich vorsichtig, da sie ja nichts sehen konnten, auf die Knie, dann auf den
Bauch niedergelassen. „Hände hinter den Nacken.“, war der nächste, harsche Befehl ergangen.
Erschrocken hatten alle vier gehorcht und die Hände hinter dem Kopf ineinander verschränkt.
Und waren heftig zusammen gezuckt, als sie dann auch noch kalten Stahl im Genick spürten.
„Bewegt euch oder gebt einen Laut von euch, und eure Lover sehen euch nie wieder.“
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Die Anderen
by Frauke Feind
Gibbs schätzte, dass sie mindestens vier Stunden, eher länger, auf dem Bauch liegend,
die Hände die ganze Zeit über hinter dem Kopf, über zum Teil sehr unwegsames Gelände geschaukelt worden waren. Fortwährend drückte der Lauf der Waffe an seinem Genick. Die
Haltung, in der sie gelegen hatten, war extrem unbequem gewesen. Er dachte über das nach,
was vor ihnen lag. Kam eine neue Phase in der Entführung? Systematische Aussortierung? Ihm
schauderte. Er wusste nicht, wie Kate einzuschätzen war, fit war sie jedenfalls. Gil und Heather
hatten sich auf dem Laufband als nicht eben sehr konditionsstark erwiesen. Und beide waren
mit absoluter Sicherheit im Gelände, von Killern verfolgt, keine Hilfe, sondern eine Last. Wie
und was Kate war, musste er abwarten. Endlich kam der Wagen zum Stehen. „Los, hoch mit
euch.“, wurden die vier Gefangenen angefahren. Steif rappelten sie sich auf die Beine und
reckten und streckten sich. Man packte sie erneut am Arm und führte sie zu der Plattform, mit
der es abwärts ging. Erst hier wurden ihnen nun die Augenbinden abgenommen. Alle vier
blinzelten in die grelle Sonne. Sie sahen sich um. Was da vor ihren Augen lag, war Dschungel.
Regenwald. Undurchdringlich, grün, unheimlich. „Nördlich von euch ist das Meer. Eine
Schlucht durchzieht das Gelände, das zum Wasser stark abfällt. Südlich ist ein Fluss, mit
reißender Strömung und heftigen Stromschnellen. Euer Ziel liegt westlich von hier. Wie schon
erwähnt, habt ihr zwei Stunden Vorsprung ab jetzt. Denkt daran, dass eure Verfolger bewaffnet
sind und keine Gnade walten lassen werden.“ Er drückte Heather eine Stoppuhr in die Hand,
die hundertzwanzig Minuten rückwärts zählte. Kate setzte sich in Bewegung und marschierte
wortlos auf die grüne Wand vor ihnen zu. Die drei Anderen folgten.
Heather schreckte unwillkürlich zurück, als sie den undurchdringlichen Urwald vor sich
sah. Wie sollten sie da durch kommen, noch dazu verfolgt von Killern, die sie töten wollten?
Die junge Frau zitterte innerlich. Diese Umgebung war ihr unheimlich. Freiwillig wäre sie nie
und nimmer in einen solchen Dschungel gegangen. Sie war die weiten, offenen steppenähnlichen Landschaften in Kansas gewöhnt, wo man weit gucken konnte, um eventuelle Gefahren
frühzeitig zu sehen. Dieser undurchdringliche Regenwald mit seinen Tieren und Pflanzen, die
sie nicht kannte, machte ihr Angst. Sie musste darauf vertrauen, dass einer der anderen wusste,
was zu tun war. So folgte sie Kate, die kommentarlos die Führung übernahm, zusammen mit
Gibbs. Von dem kam die Anweisung: „Lasst uns mal sehen, in welchem Rucksack Kompass
und Messer sind.“ Heather wollte stehen bleiben, aber Kate warf ihr einen Blick zu, der die
junge Lehrerin augenblicklich zum Weitergehen anspornte. Im Laufen nahm sie den Rucksack
von der Schulter und sah ihn durch. Drei Liter Wasser, Dosenfleisch, Pfirsiche in Dosen,
Fischkonserven und Mais, ebenfalls aus der Dose, Verbandsmaterial. Heather entdeckte einen
Dosenöffner und eine Gabel. Keinen Kompass und erst Recht kein Messer. „Bei mir ist
nichts.“, gab sie bekannt und wäre fast über einen im Unterholz versteckten Baumstamm ge35
Die Anderen
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stolpert. „Pass ein bisschen auf, wo du hin trittst, wenn einer von uns sich hier verletzt, ist er so
gut wie verloren, wenn die ihr Killerkommando los schicken.“, erklärte Gibbs ruhig. Heather
nickte heftig. In diesem Moment kam von Gil die Meldung: „Hier, hier ist der Kompass. Wer
übernimmt den?“ „Dafür müssten wir erst einmal feststellen, Kate, wie gut du mit der Wildnis
vertraut bist, wie gut wir alle damit vertraut sind.“ Gibbs warf seinen Gefährten im Gehen
prüfende Blicke zu.
„Ich habe kaum Erfahrungen, außer kleiner, ungefährlicher Ausflüge in der Umgebung
von New Bern, häufig zu Pferde.“, erklärte Heather ehrlich. „Great Plains.“ Das war mehr eine
Feststellung als eine Frage von Kate. „Ja. Weite, offene Steppen, in der wir unsere Verfolger
schon zwei Stunden vorher sehen könnten.“, stimmte Heather unglücklich zu und wich einem
Spinnennetz aus, welches vor ihr in einem Gebüsch hing. „Geht mir nicht viel anders, in der
Wüste um Las Vegas kenne ich mich aus und ich war auf einigen wenigen, gut ausgerüsteten,
geführten Expeditionen im Dschungel, in denen ich mich um meine Insekten gekümmert habe,
nicht um Wege und schon gar nicht um mörderische Verfolger.“ Gil hatte den Kompass in die
Hand genommen und den Rucksack wieder auf den Rücken gesetzt. „Ich war auch immer eher
in Wüstengebieten im Einsatz, nur einmal im tropischen Regenwald. Aber grundsätzlich
komme ich in der Wildnis schon zurecht.“ Gibbs sah auffordernd Kate an. „Wir waren viel in
der Wildnis unterwegs. Mein Vater ... Stiefvater hat mich mitgenommen zu tagelangen
Wanderungen in den Wäldern Iowas. Wir haben gejagt, ich kann Fährten suchen. Ich denke,
ich kann auch hier überleben, zumal Gil doch sicher die Tier und Pflanzenwelt hier kennt,
hoffe ich?“ Sie sah Gil besorgt an. „Ich kann euch sagen, was es hier für Insekten geben
könnte, kenne mich einigermaßen mit Schlangen aus, Pflanzen, hm, ich bin kein Botaniker,
sondern Entomologe. Aber Grundwissen besitze ich schon.“ „Wer kann mit einem Messer umgehen?“, fragte Heather leise. „Ich kann damit Kartoffeln schälen.“ Kate lächelte. Gil
schüttelte den Kopf. „Das ist bei mir ähnlich.“ Kate hatte das Messer, ein großes, schweres
Jagdmesser, in ihrem Rucksack gefunden und hielt es in der Hand. „Gibbs?“ „Ziva könnte.“
Gibbs grinste. „Ich kann mit einem Messer Kämpfen, dazu wurde ich ausgebildet, aber zielgerichtet werfen, da gibt es andere, die besser sind, fürchte ich.“ Kate zog das Messer aus der
Scheide, wog es kurz in der Hand und packte es fest an der Spitze. Dann zielte sie kurz und
schleuderte das Messer treffsicher auf einen kleinen Baum, in dem es zitternd stecken blieb.
„Kate bekommt das Messer.“, erklärte Gibbs lakonisch.
*****
Im Kerker herrschte eisiges Schweigen. Nachdem die vier Mitgefangenen abgeholt
worden waren, hatte längere Zeit Grünphase geherrscht, die Zurückgebliebenen hatten sich
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Die Anderen
by Frauke Feind
darüber unterhalten, was wohl mit den Anderen geschehen sollte. Dann jedoch erlosch das
grüne Licht und es herrschte Stille. Abby tigerte, wie Ziva, unruhig in ihrer Zelle hin und her.
Sie war nervös, fühlte sich ohne Gibbs um vieles Unsicherer, obwohl das albern war, da er
auch nichts an ihrer Situation ändern konnte, das war Abby schon klar. Ihn einfach in der Nähe
zu wissen, gab der jungen Frau schon psychologischen Halt. Sara, Jake und Sawyer wurden
mit jeder verstreichenden Minute nervöser. Warum wurden die Vier nicht langsam zurück gebracht? Was hatten ihre Quälgeister mit ihnen vor? Was mussten sie gerade durchmachen?
Sawyer hielt es auch nicht mehr ruhig auf seinem Bett, wo er gesessen und trübsinnig vor sich
hin gegrübelt hatte. Er sprang so plötzlich auf, das Bones in der Zelle neben ihm erschrocken
zusammen zuckte. Fast wäre der jungen Frau ein Fluch über die Lippen gekommen. Sawyer
trat an die Tür und starrte blicklos zu Kates leerer Zelle hinüber. Er prustete genervt und biss
sich auf die Lippe. Verdammt. Und gerade, als er glaubte, es nicht mehr auszuhalten ohne loszufluchen tat sich in der Mitte des Kerkers etwas. Zwei riesige Plasma Bildschirme wurden
von der Decke gelassen und in zirka zwei Metern Höhe arretiert. Rechts und links davon
wurden runde Lautsprecher aus der Decke gelassen und sorgten dafür, dass die Zelleninsassen
akustisch alles mit bekamen. Die Bildschirme flackerten kurz auf, dann erschien ein Bild, dass
den Gefangenen eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
Ihre vier Mitgefangenen standen auf einer Lichtung mitten im tropischen Regenwald.
Sie hatten Rucksäcke auf dem Rücken und wirkten verunsichert und besorgt. Eine der Wachen
stellte sich vor die Vier und erklärte kalt: „Nördlich von euch ist das Meer. Eine Schlucht
durchzieht das Gelände, das zum Wasser hin stark abfällt. Südlich ist ein Fluss, mit reißender
Strömung und heftigen Stromschnellen. Euer Ziel liegt westlich von hier. Wie schon erwähnt,
habt ihr zwei Stunden Vorsprung ab jetzt. Denkt daran, dass eure Verfolger bewaffnet sind und
keine Gnade walten lassen werden. “ Vollkommen entsetzt lauschten die Zelleninsassen diesen
Worten. Das konnte doch wohl nur ein Scherz sein. Wie zum Hohn ging das grüne Licht an
und sofort redeten alle durcheinander. „Das ist doch wohl hoffentlich ein Witz.“ „Seit wann
machen die Bastarde Witze!“ „Wie können die so was machen.“ „Großer Gott, Heather hat
keine Ahnung von der Wildnis.“ „Gil wird das nie und nimmer durch halten.“ „Ziva. Sie
werden Gibbs umbringen.“ Aus dem Lautsprecher ertönte erneut eine Stimme. „Habt ihr erraten, was wir spielen? Menschenjagd. Eure Freunde haben Verpflegung für drei Tage, ein
Messer, einen Kompass und hoffentlich viel Glück. Acht Jäger, zu allem entschlossen und was
das Wichtigste ist, Freiwillige, werden nach zwei Stunden die Verfolgung aufnehmen. Sie
werden jeden Töten, den sie erwischen. Ihr werdet dank überragender Technik vieles live verfolgen können. Natürlich ist nicht der ganze Wald mit Kameras gespickt, aber es sind genügend vorhanden, um immer wieder interessante Einblicke in das Fluchtverhalten eurer
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Die Anderen
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Freunde zu bekommen. Ich hoffe, ihr langweilt euch in den nächsten Tage nicht zu sehr.“ Nach
diesen Worten herrschte im Kerker eisiges Schweigen.
Vollkommen geschockt hatten alle die kalten Worte vernommen. Es vergingen keine
zwei Minuten, dann kamen einige sehr eigenartige Anweisungen. Zuerst jedoch öffneten sich
alle Zellentüren. „Nummer 6, zu 15 in die Zelle. Nummer 3, zu 10. 12 zu 5. 7 zu 2. 14 zu 11. 4
und 1 in Zelle 9. Zackzack. Und dann Türen zu.“ Erstaunt beeilten sich die überraschten Gefangenen, dem Befehl nachzukommen. Verständnislos standen sie dann jeweils zu zweit in den
Zellen. „Was soll das?“, fragte Abby perplex. „Das kann ich dir sagen. So ist gewährleistet,
dass jeder von uns einen perfekten Blick auf die Bildschirme hat und nichts verpasst.“, knurrte
House hasserfüllt. Langsam nickten die Anderen. House hatte sicher Recht. Einen anderen
Grund gab es nicht. Booth und Bones, die auf diese Weise plötzlich in Nachbarzellen steckten,
wagten es, ans Gitter zu treten und sich zärtlich zu berühren. Doch augenblicklich schrien Jake
und Dana gequält auf und Bones und Booth drifteten erschrocken auseinander. „Gott, tut mir
leid.“, stotterte Bones unglücklich. „Kein Problem, ich hätte es auch versucht.“, keuchte Jake.
Auf den Bildschirmen erschien die Ansicht einer ganzen Gruppe von Männern, acht Männern,
die sich lachend und scherzend darüber unterhielten, wie sie in knapp hundert Minuten die
Jagd eröffnen würden.
„Ich bin gespannt, was das wird. Mit Pfeil und Bogen habe ich noch nie
jemanden gekillt. Ich würde es auch bei Gibbs lieber auf einen guten Kampf
ankommen lassen.“
„Und ich würde mir Austen gerne vorher ein wenig zur Brust nehmen ...
Mal sehen, vielleicht ergibt sich die Gelegenheit ja. Diesmal werde ich nicht
vorher aufhören, soviel ist sicher.“
„Das kann ich mir vorstellen. Wer würde das nicht? Sie ist heiß.“
„Von unserer Provinzpflanze ist wohl kaum Widerstand zu erwarten und
von Grissom wohl auch eher nicht.“
„Die Beiden sind langweilig. Ein schneller Schuss und das war es. Ich
hoffe, Gibbs und Austen sind halbwegs würdige Gegner.“
„Wie lange noch?“
„Siebenundneunzig Minuten. Ich finde, die Lehrerin ist gar nicht so
schlecht. Sie soll technisch eine Menge drauf haben.“
„Tja, ihre Betttechnik ist noch nicht so ausgefeilt. Immerhin stirb sie jetzt
nicht mehr als Jungfrau.“
„Vielleicht ergibt sich ja noch die Möglichkeit, ihre Betttechnik zu erweitern.“
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Die Anderen
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Sawyer sank mit Tränen in den Augen auf das Bett und Allison war sofort bei ihm,
nahm ihn in den Arm und sagte sanft: „Mach dir keine so großen Sorgen, Sawyer, noch haben
sie sie nicht. Und so wie ich Kate einschätze, kann sie sehr gut auf sich aufpassen. Und Gil und
Heather sind nicht annähernd so hilflos, wie es den Anschein hat. Die werden es schaffen,
daran musst du einfach glauben, hört du?“ Eine Zelle weiter hockte Jake schluchzend vor Wut,
Hass und Angst gleichermaßen auf dem Bett und Dana bemühte sich wie Allison bei Sawyer
darum, den jungen Mann ein klein wenig zu beruhigen. „Jake, es nützt nichts, wenn du ausrastest. Wir wissen nun einmal alle, dass wir ständig beobachtet werden, das ist eine bestehende Tatsache. Und dass die sich das Maul zerreißen, ist doch wohl auch klar. Wir können
nicht erwarten, dass sie nicht über das Reden, was sie sehen. Das sind Primitivlinge, denk dir
nichts dabei. Und mache dir nicht so viele Sorgen um Heather, die anderen werden gut auf sie
aufpassen.“ Jake sah Dana verzweifelt an. „Glaubst du wirklich, sie schaffen es?“ Dana zögerte
nicht. „Ja, Jake, ja, davon bin ich überzeugt. Sie werden es alle schaffen.“ Dana wunderte sich
ein wenig, wie leicht ihr diese Lüge schon über die Lippen kam. Inzwischen war sie nämlich
nicht mehr im Geringsten von irgendwas überzeugt, außer vielleicht von der Tatsache, dass sie
nicht alle überleben würden. Aber das hatte sie nicht vor, dem verzweifelten jungen Mann
unter die Nase zu reiben.
Sawyer hatte den Worten der Jäger erschüttert gelauscht. Dieses vollkommen respektlose Gerede hatte ihn schwer getroffen. Sich vorzustellen, wie der schmierige Typ Hand an
Kate legen könnte, ging deutlich über die wenige, verbliebene Kraft des Südstaatlers.
„Scheiße.“, flüsterte er verzweifelt. „Wenn ihr was passiert ...“ Cameron erschrak über die
Hoffnungslosigkeit in Sawyers Stimme. „Hey, Sawyer, bitte, du darfst doch nicht schon aufgeben, bevor Kate überhaupt in akuter Gefahr ist. Sie hat Gibbs bei sich und kann doch auch
gut auf sich aufpassen. Du darfst einfach nicht so schwarzsehen.“ „Wie wollen die überhaupt
wissen, wo die vier sind, um Bilder zu übertragen?“, fragte Bones verwirrt. „Stell dich doch
nicht so dumm an. Die werden Sender bei sich haben, in den Rucksäcken, und überall in dem
verdammten Wald sind Kameras, die sie auf die Sender programmiert haben. Sobald die Vier
in den Aufnahmebereich einer der Kameras kommen, wird diese via Satellit aktiviert und die
Bilder sofort übertragen. So wissen die Entführer auch immer, wo die Vier sind.“, erklärte
Abby genervt und verzweifelt. „Aber das hieße doch, dass ihre Verfolger sie jederzeit finden
können.“ Bones stand ein wenig auf der Leitung, diese neuerliche Gemeinheit machte der
jungen Frau schwer zu schaffen. „Nein, Süße, die Jäger werden wohl hoffentlich nicht erfahren, wo sich ihre Ziele herum treiben. Dann könnten sie die Vier ja gleich erschießen. Ich
hoffe doch, so fair werden die sein.“ Booth sah zu Bones hinüber. „Meinst du?“, fragte diese
und starrte zu dem Bildschirm hoch. „Ich hoffe doch sehr.“, ließ sich jetzt auch Locke aus der
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Zelle Zivas vernehmen. „Bisher waren die Aufgaben zwar immer hart, aber irgendwie lösbar.
Die Gruppe hat also eine faire Chance, macht euch nicht zu große Sorgen.“
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Kate hatte sich die Messerscheide mit dem beiliegenden Gürtel um die Taille gelegt
und das Messer somit griffbereit an der Seite hängen. Gibbs hatte den Kompass in der Hand
und führte sie in nördlicher Richtung durch den Dschungel. Heather achtete auf die Stoppuhr,
die sie sich um den Hals gehängt hatte und Gil versuchte, das undurchdringliche Grün um sie
herum doch mit den Augen zu durchdringen, in der verzweifelten Hoffnung, Gefahren durch
Giftpflanzen oder Tiere zu erkennen. „Warum gehen wir nach Norden? Wenn die doch sagen,
unser Ziel liegt westlich ...“ Heather hatte einen Blick auf den Kompass geworfen. „Sollten wir
nicht versuchen, so schnell wie möglich hier raus zu kommen?“ Ruhig erklärte Gibbs der
jungen Frau: „Grundsätzlich sollten wir das, aber da unsere Verfolger genau davon ausgehen
werden, müssen wir selbstverständlich vom Weg abweichen, auch, wenn das einen Zeitverlust
bedeutet.“ „Ja, ich verstehe. Die Frage war dumm. Ich habe ...“ Was sie hatte, erfuhren die
Gefährten nicht mehr, denn in diesem Moment donnerte es heftig und im nächsten Augenblick
ging ein sintflutartiger Regenschauer nieder, der alle Vier innerhalb weniger Sekunden bis auf
die Haut durchnässt hatte, was angesichts ihrer mehr als dürftigen Bekleidung nicht schwer
war. „Na, großartig.“, knurrte Gibbs schwer genervt, während ihm das Wasser aus den Haaren
lief. Kate lachte. „Was? Ist das nicht herrlich? Bei den Temperaturen kann es gerne noch eine
Weile regnen.“ Sie hielt ihr Gesicht dem Regen entgegen und genoss die Frische auf der verschwitzten Haut. „Weißt du eigentlich, wie ekelhaft es hinterher sein wird, wenn die Sonne
wieder raus kommt?“, giftete auch Gil ungehalten. „Ja, ist mir schon klar.“ Kate grinste. „Alte
Männer haben mit solchen Temperaturen schon mal ihre Probleme.“ Selbst Heather konnte ein
leises Kichern nicht unterdrücken und Gibbs warf Kate einen mörderischen Blick zu. „Ich
werde mich daran erinnern, dass du mich einen alten Mann genannt hast, wenn ich dich aus
den Zähnen eines Salties ziehen musste, Lady.“
Kate lachte noch mehr und stapfte weiter. „Kommt schon, alte Männer, schlaft nicht
ein.“ Sie zwängte sich durch triefend nasse, grüne Blätter und hätte fast hysterisch aufgeschrien, als sie Sekunden später ein klebriges Spinnennetz inklusive Spinne auf ihrem Gesicht spürte. Gil hatte sofort gesehen, dass es eine harmlose Radnetzspinne war. Kate spürte
das Krabbeltier auf ihrer Wange und wischte sich angeekelt mit der Hand über das Gesicht.
„Hau ab, du Mistviech!“ Gil und Gibbs beobachteten freundlich grinsend Kates Bemühungen,
sich von Spinne und Netz zu befreien. Schließlich sagte Gibbs zu dem Entomologen: „Wie ist
es, alter Mann, wollen wir weiter?“ Kate hatte sich inzwischen von der Spinne befreit und
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schnaufte. „Ich habe mich erschreckt. Man wird sich doch wohl noch mal erschrecken dürfen.“
Ihr Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Dann jedoch wurde sie wieder ernst. Sie sah Heather
fragend an und diese verstand den Blick. „Siebenunddreißig Minuten noch.“, sagte sie mit
leicht zittriger Stimme. „Wir sollten versuchen, einen Zahn zuzulegen, solange wir noch
können. Wir sind alle nicht mehr sonderlich fit durch das wochenlange Eingesperrt sein.
Machen wir uns nichts vor. Uns werden schnell die Kräfte verlassen. Das ist nicht böse gemeint, aber Heather und du, Gil, ihr werdet schnell für uns zu einer Bremse werden.“ Gil
nickte bedrück. „Das ist mir bewusst. Ich werde tun, was in meinen Kräften steht, ich möchte
auch nicht gerne als Nadelkissen enden.“ Sie kämpften sich weiter durch das Dickicht, gemahnt von Kate, vorsichtig zu sein, wo sie hintraten, und möglichst wenig kaputt zu machen,
sodass ihre Spuren nicht so offensichtlich zu sehen waren. Kate war eine durchaus erfahrene
Spurensucherin und es machte keinen Unterschied, ob es im Regenwald oder in einem Laubund Mischwald war. Sie ließ sich zurück fallen und kontrollierte, wie viel man von ihren
Spuren sah, war aber einigermaßen zufrieden. Als die Stoppuhr schließlich 0.00 anzeigte,
hatten alle vier ein mulmiges Gefühl im Magen. Ab jetzt würden sie gnadenlos verfolgt
werden.
Die nächsten Stunden verliefen ohne Probleme. Die Gruppe kam gut voran, bisher
waren sie auf keine Gefahren gestoßen. Einmal, nachdem der sintflutartige Regen endlich aufgehört hatte, war Gil der Meinung, er hätte einen Orang-Utan gesehen, hoch oben in dem
Wipfel eines Baumes. Da keiner der anderen das Tier bemerkt hatte, war Gil sich schließlich
selbst nicht mehr sicher. Es konnte sonst was oder auch gar nichts gewesen sein. „Ein OrangUtan würde bedeuten, wir sind entweder auf Borneo oder auf Sumatra. Möglich wäre es schon,
denn ...“ Gil machte eine ausholenden Geste: „... wie unschwer zu erkennen ist, befinden wir
uns in den Tropen. Aber ich denke schon eher, dass es gar nichts war und irgendein Schattenspiel meinen Augen einen Streich gespielt hat.“ Gibbs schüttelte verzweifelt den Kopf.
„Möglich, aber ... Gesetzt den Fall, es war wirklich ein Orang-Utan, würde das auch bedeuten,
dass die uns vor der nächsten Jahrhundertwende nicht finden. Niemand wird uns hier vermuten. Die werden zu neunundneunzig Prozent davon ausgehen, dass wir in ein westliches
Land, am ehesten in die Staaten zurück geschafft wurden, da möchte ich wetten.“ Mutlos
starrte er auf die immergrüne Wand um sie herum. Heather musste mit Gewalt die Tränen
zurück halten. Auch Kate schluckte trocken. „Indonesien ... Großartig, wirklich großartig.“ Gil
erklärte entschieden: „Hört mal zu. Wir dürfen nicht aufgeben, nur, weil wir nicht im Hinterland von Washington gefangen gehalten werden. Außerdem ist es gar nicht gesagt, dass das
wirklich einer war, dass da überhaupt etwas war. Ich habe mich sicher verguckt. Kommt schon,
wir müssen weiter. Da sind böse Menschen mit Waffen hinter uns her und bald wird es dunkel.
Wir sollten uns überlegen, wo wir die Nacht verbringen wollen.“ Heather und auch Kate lief
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ein Schauer über den Rücken bei der Vorstellung, hier, in dieser grünen Hölle mit ihren
Insekten, Spinnen, eigenartigen Tieren zu übernachten. Aber Gil hatte Recht. Sie mussten sich
einen Schlafplatz suchen, solange sie noch etwas sahen. Im Dunkeln hatte es absolut keinen
Zweck, weiter zu laufen, viel zu gefährlich war der nächtliche Dschungel, mal ganz abgesehen
davon, dass sie nicht die Hand vor Augen sehen würden.
Noch mal entkommen
Panik: eine Situation, in der niemand weiß, was zu tun ist – und das auch noch
schnell.
Graffito
Gil selbst war es schließlich, der unter einem riesigen, umgestürzten Baum ein halbwegs trockenes Plätzchen fand, es auf Wunsch der beiden jungen Frauen mit einem Stock
gründlich nach Krabbeltieren durchsuchte und schließlich als bewohnbar erklärte. Mit ein paar
Blättern als Unterlage machten die vier Gejagten es sich so gemütlich wie eben möglich. Das
letzte Licht nutzten sie, ihre Lebensmittel zu sichten. „Lecker.“, fasste Gibbs zusammen, was
alle dachten. Es war unglaublich schwül und warm, ihnen allen klebte der Kittel immer noch
feucht am Körper, bei der hohen Luftfeuchtigkeit um sie herum hatte das Kleidungsstück keine
Chance, zu trocknen. Heather saß still da, die Beine an den Körper gezogen, und starrte in die
zunehmende Dunkelheit. „Geht es dir gut?“, fragte Kate besorgt. Heather schreckte auf. „Ja, es
ist nichts. Ich habe nur schreckliche Angst. Dieser Urwald ist mir unheimlich, ich bin dankbar,
wenn die Nacht vorbei ist.“ „Das sind wir sicher alle. Wenn es im Dunkeln irgendwo an eurem
Körper krabbelt, schlagt lieber nicht drauf, sondern versucht besser, was immer es sein mag,
abzustreifen. Einige Insekten beißen im Todeskampf noch zu, oder Stechen.“ „Na, vielen Dank
für den Tipp. Jetzt fühle ich mich gleich viel besser.“, gab Kate sarkastisch von sich. Sie dachte
an Sawyer, wünschte sich sehnlichst, in seinen Armen in einem gemütlichen Bett zu liegen. Gil
lachte leise. „So viele giftige Insekten gibt es hier sicher nicht. Und die, die es gibt, werden
bestimmt andere Ziele haben als uns.“
Gibbs lauschte in die Dunkelheit. „Ich will ja keinen beunruhigen, aber wie sieht es mit
Giftschlangen aus, gesetzt den Fall, wir wären wirklich irgendwo in Indonesien? Oder anders:
Was gibt es in einem Regenwald so an Giftschlangen?“ Gil schob sich gerade den letzten
Bissen Fleisch in den Mund und antwortete: „Es gibt selbstverständlich Giftschlangen, in
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jedem Regenwald gibt es die. Fachmann auf dem Gebiet bin ich nun wirklich nicht, ich denke,
das Sicherste ist, weicht allem, was lang ist, zischt und keine Beine hat, möglichst aus.
Tatsächlich weiß ich, dass es hier eine Speikobra-Art gibt. Erkennen würde ich sie aber auch
erst wenn sie spuckt. Ziemlich sicher bin ich, dass es mindestens eine Krait-Art in Indonesien
gibt. Soweit ich weiß, gibt es hier auch die Kettenviper. Hochgiftig. Die Smaragd-Bambusotter
lebt in Regenwäldern. Sicher bin ich auch bei einer Lanzenotter, die ist sehr schön grün und
damit hervorragend im Grünen zu sehen ... Zum Glück ist die nicht sehr giftig, obwohl es auch
Probleme gäbe, ließe einer von uns sich beißen.“ „Ich möchte eure erfreulichen Gespräche
keineswegs unterbrechen, aber wir sollten versuchen zu schlafen. Irgendwas sagt mir, dass die
kommenden Tage nicht lustig werden.“ Gibbs rollte sich auf dem Boden zusammen und
schloss die Augen.
*****
„Orang-Utan? Das würde bedeuten, Sumatra oder Borneo. Da hat Gil vollkommen
Recht. Mein Gott, wie soll uns denn bitte hier irgendjemand finden?“ House schüttelte verzweifelt den Kopf. „Wir verschimmeln hier, bevor einer der Deppen in Washington auf die
Idee kommt, uns in Indonesien zu suchen.“ „Darauf kommen die nie. Wie auch.“, stimmte
Booth tonlos zu. Zum ersten Mal seit der Gefangennahme war von auch nur ein wenig Zuversicht nichts mehr zu spüren. Eine dumpfe Resignation breitete sich schlagartig im Kerker aus.
Die von ihren Zellen aus nervös auf die Monitore starrenden Gefangenen hatten die Unterhaltung mit angesehen. Unmittelbar danach waren die vier Flüchtlinge wieder aus dem
Kamerabereich verschwunden. Längere Zeit hatte sich nichts getan, dann waren sie wieder
aufgetaucht, um sich unter einem umgestürzten Baum ein Nachlager zu bauen. Nur undeutlich
drang ihr Gespräch an das Mikrofon der Kamera, zu sehen war nichts. Dafür war es zu dunkel
und der Blickwinkel der Kamera ging nicht bis unter den Baum. Für Jake und Sawyer war es
unglaublich hart, die geliebten Frauen zu sehen, zu hören und doch nichts tun zu können. Auch
Sara ging durch die Hölle. Noch war es vergleichsweise friedlich. Was würde geschehen, wenn
die Verfolger die Vier entdeckten? Keine wollte diese Möglichkeit in Betracht ziehen. „Da
wird sich nichts mehr tun. Lasst uns versuchen, ein wenig Schlaf zu bekommen, was meint
ihr?“ Mulder klang nicht mehr annähernd so optimistisch, wie man es von ihm gewohnt war.
Ganz im Gegenteil, es schwang deutlich Hoffnungslosigkeit in seiner Stimme. Zum ersten Mal
seit der Agent glaubte, Dana verloren zu haben, hatte der sonst so gelassene Psychologe
keinerlei Hoffnung mehr, dass einer von ihnen lebend hier raus kommen würde. Im Moment
war Mulder zu keinem klaren Gedanken fähig. Das Einzige, was er tun konnte, war zu versuchen, sich seine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen, um den Leidensgenossen nicht jede
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Hoffnung zu nehmen. Obwohl ... die waren alle klug genug, um von selbst darauf zu kommen,
was diese Information für sie bedeutete. Mutlos verbarg er das Gesicht in den Händen.
*****
Kate wachte von einem lauten Rascheln in der Nähe auf. Sie sah sich erstaunt um und
brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, wo sie war. Sie sah sich hektisch nach der Ursache
des Raschelns um und als ihr Blick vor ihren kläglichen Unterschlupf huschte, konnte die
junge Frau einen entsetzten Schrei nicht mehr unterdrücken. Angstvolles Entsetzen in den
braunen Augen starrte sie auf eine riesige Schlange, die sich langsam an ihrem Unterschlupf
vorbei schlängelte. Bei Kates Schrei reagierte das riesige Tier nicht, aber als die junge Frau
panisch hoch fuhr, und nicht nur sie, ihre drei Gefährten, aufgeschreckt durch Kates Schrei
gleich mit, zuckte der große Schlangenkopf herum. Die kleinen, orangegelben Augen mit den
senkrechten Pupillen fixierten die Menschen. Gil fing sich als erster. „Bleibt ganz ruhig. Das
ist ein Netzpython, ein Weibchen, der Größe nach zu urteilen, die wird sich gleich verziehen.“
Kate und Heather starrten zitternd auf die mindestens zwanzig Fuß lange, beindicke Schlange.
Auch Gibbs musste gegen den Drang, sich unsichtbar zu machen, ankämpfen. Gil stand jedoch
recht gelassen da und er hatte Recht. Langsam wendete die Python sich ab. Und ebenso langsam schlängelte sie sich weiter, bis er schließlich aus dem Blick der vier Menschen entschwunden war.
Kate sank zitternd auf die Knie. „Was war das für ein Monster.“, stieß sie keuchend
hervor. „Ja, die werden schon ziemlich groß.“, stimmte Gil zu. „Wo wir schon einmal wach
sind, können wir auch weiter marschieren, oder was meint ihr?“ „Lasst uns erst etwas Essen, es
nützt uns nichts, wenn wir halb verhungert weiter machen.“, meinte Kate, die sich gefangen
hatte. Sie wühlte in ihrem Rucksack nach einer Wasserflasche und trank diese aus. Sie hatte
keine Bedenken, Wasser gab es hier genug. Ohne darüber auch nur eine Sekunde nachzudenken, steckte sie die leere Flasche zurück in den Rucksack, was Gil mit Wohlwollen beobachtete. Er selbst hatte sich eine Dose Pfirsiche geöffnet und aß diese im Stehen auf. Er hielt
die leere Dose kurz in eine Pfütze und spülte den letzten Saft aus, dann versenkte er die Dose
ebenfalls wieder im Rucksack. Die anderen waren auch fertig und so machten sie sich schließlich auf den Weg. Sie waren noch keine zehn Minuten unterwegs, als es heftig anfing, zu
Schütten. Und dabei blieb es. Es regnete ohne Pause. Und wenn der Himmel eine kurze Pause
einlegte, tropfte und kleckerte es aus den Blättern weiterhin nass auf die vier Menschen
hinunter, die sich durch zunehmend aufgeweichten Boden kämpften. Immer anstrengender
wurde das Vorwärtskommen. Heather wurde deutlich langsamer und auch Gil hatte immer
mehr zu Kämpfen. Kate fuhr Heather immer wieder ungeduldig an. „Mensch, reiß dich doch
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mal zusammen. Wir sind alle erschöpft, aber wir müssen schneller weiter kommen. Ich will
hier nicht als Nadelkissen enden.“ Heather bemühte sich, aber sie war ziemlich am Ende.
Gibbs hatte doch eine westliche Richtung eingeschlagen. Irgendwann am frühen Nachmittag
stießen sie schließlich auf die Schlucht, von der man sie unterrichtet hatte.
Die Schlucht war gute fünfzig Meter tief und an die fünfundzwanzig Meter breit. Sie
hielten sich, ein Stückchen im Dschungel verborgen, an die Richtung, die der Einschnitt vorgab. Schließlich erreichten sie zwei sehr einfache Hängebrücken, die parallel über die Klamm
führten. „Wir werden wohl da rüber müssen.“, sinnierte Gil schlau. „Ach ...“, konnte Gibbs
sich nicht verkneifen. „Warum zwei Brücken? Das sieht mir sehr nach einer Falle aus.“,
meinte Heather leise. Die junge Frau war ziemlich fertig. Sie nahm einen großen Schluck
Wasser und sank auf den Boden. Gibbs sah sich ein wenig um. Er war es auch, der schließlich, ein kleines Stück weiter, eine seltsame Vorrichtung entdeckte. Unter einer festen Zeltplane stand eine einfache Waage, auf der wiederum ein großer Glasbehälter stand. Am
Grunde des Behälters lag eine fingergroße Kapsel. Neben der Waage entdeckte Gibbs einen
wasserfest eingeschweißten Zettel. „Hey, kommt mal her.“ Seine drei Gefährten eilten zu
ihm. „Was ist denn das?“, fragte Kate überrascht. Gibbs hatte den Zettel bereits in der Hand
und las jetzt laut vor. „Vor euch seht ihr eine Waage, auf der ein Glasbehälter mit genau vier
Litern Wasser darin steht. Auf dem Grund des Glasbehälters, unter einem Deckel am Glasboden, seht ihr eine Kapsel, an die ihr nur heran kommt, wenn ihr das Wasser entleert, da
sonst die Kapsel vom Wasser sofort aufgelöst wird und der Hinweis, welcher Weg der
Richtige ist, sich ebenfalls auflöst. Wenn ihr den Glasbehälter einfach von der Waage nehmt,
wird ein Mechanismus ausgelöst, der euren Fluchtweg zerstört. Geht ihr über die falsche
Brücke, seid ihr auf jedem Fall tot. Hier nun euer Aufgabe: Ihr habt zwei Kanister: fünf Liter
und drei Liter. Und eine unbegrenzte Menge Wasser. Ihr sollt nun in den fünf Liter Kanister
exakt vier Liter füllen. Keine weiteren Hilfsmittel. Wenn ihr die richtige Menge abgefüllt
habt, habt ihr drei Sekunden Zeit, die Behälter auf der Waage auszutauschen. Dann könnt ihr
das Wasser aus dem Glasbehälter auskippen und an die Kapsel heran. Dort findet ihr den
Hinweis, welche Brücke ihr benutzen könnt.“
„Natürlich können wir auch Stöckchen ziehen und einer von uns geht einfach los, über
eine der Brücken. Ist es die verkehrte, ist er tot. Aber dann wissen die Anderen, dass sie die
richtige Brücke benutzen können. Oder wir versuchen, das Rätsel zu lösen, ich habe nur keine
Ahnung, wie.“, stöhnte Gibbs genervt. „Oh, verdammt. Ich glaube es nicht.“ Kate war den
Tränen nah. Sie sah auffordernd Gil an, aber der war stöhnend auf die Knie gesunken und
schüttelte frustriert den Kopf. „Das ist nichts für mich.“ Heather hatte sich die Kanister angeschaut. Sie überlegte. Kate und Gibbs fluchten weiter vor sich hin und schließlich fuhr
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Heather genervt herum. „Wenn ihr kurz still wäret, könnte ich nachdenken.“ Desillusioniert
schwiegen die anderen. Heather überlegte weiter. Noch einmal las sie sich die Aufgabe durch.
Dann begann sie, langsam und konzentriert. Sie nahm den drei Liter Kanister und füllte diesen
bis zum Rand. Dann kippte sie die drei Liter Wasser vorsichtig in den fünf Liter Kanister um.
Erneut füllte sie den drei Liter Kanister und goss aus diesem nun den fünf Liter Kanister bis
zum Rand voll. Als nächstes nahm sie den fünf Liter Kanister und kippte diesen wieder aus.
Den verbliebenen einen Liter aus dem drei Liter Kanister kippte die junge Frau in den wieder
leeren fünf Liter Kanister und hinter ihr rief Gibbs begeistert: „Natürlich. Mädchen, du hast
es.“ Heather drehte sich lächelnd um, füllte den drei Liter Kanister erneut bis zum Rand und
goss diese drei Liter zu dem einen Liter in den großen Kanister um. „Hier habt ihr genau vier
Liter.“ Kate sprang auf und nahm Heather spontan in den Arm. „Das hast du toll gemacht.“
Auch Gibbs drückte die junge Frau an sich. „Du wart großartig.“ Heather errötete leicht. „Austauschen muss das aber jemand anderes.“
Gibbs prustete. Dann griff er sich den Kanister und nickte Gil zu. „Komm schon, auf
geht’s.“ Die Männer traten an die Waage heran. Gil packte den Glasbehälter fest mit beiden
Händen. „Auf 3. 1 - 2 - 3.“ Blitzschnell hob Gil den Glasbehälter von der Waage und Gibbs
setzte im selben Moment den Kanister drauf. Gespannt hielten alle den Atem an. Aber es geschah nichts. Erleichtert atmeten alle vier auf. „Kipp schon aus.“, sagte Kate hastig. Gil
schüttete das Wasser aus und öffnete den Deckel am Grund des Behälters. Ein kleiner, zusammen gefalteter Zettel fiel ihm entgegen. „Links.“ „Auf geht’s.“ Hastig rafften die Vier ihre
Rucksäcke auf und traten vorsichtig auf die linke Brücke hinaus. Ganz langsam schoben sie
sich Schritt für Schritt über das wackelnde, schaukelnde Ding und atmeten auf, als die andere
Seite näher kam. Und dann passierte es! Vollkommen unerwartet und überraschend. Hinter
sich hörten sie plötzlich Stimmen. Zwei Männer traten aus dem Gebüsch, sahen sie auf der
Brücke, schrien: „Da sind sie, los!“, und eröffneten sofort das Feuer. Pfeile flogen ihnen plötzlich um die Ohren. Kate schrie erschrocken auf. Panik brach auf der Brücke aus. Alle versuchten hektisch, sich vor den Geschossen in Sicherheit zu bringen. Heather schrie schmerzerfüllt auf, als einer der Pfeile eine brennende, blutige Furche über ihre rechte Schulter zog und
sah entsetzt, wie der Pfeil dann im Oberarm des unmittelbar vor ihr gehenden Grissom stecken
blieb, diesen glatt durchdrang. Daraufhin brach endgültig heilloses Durcheinander aus. Gil
sackte aufstöhnen auf die Knie. Gibbs zerrte ihn rücksichtslos hoch, alle Vier hetzten los und
erreichten endlich, von Pfeilen verfolgt, die andere Seite. Kate schrie: „Verschwindet!“, und
fing hektisch an, mit dem Messer die Haupthalteseile zu durchschneiden. Die Männer, die
ihnen auf die Brücke gefolgt waren, brüllten auf vor Wut. Sie mussten zurück, denn schon
hatte Kate das erste Seil geschafft. Sie duckte sich so gut es ging hinter den Brückenpfosten
und säbelte hektisch auch das zweite Halteseil durch. Die dünneren Leitseile hielten das Ge46
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wicht der Brücke nicht mehr und rissen. Kate schrie erneut, diesmal vor Freude. Sie hatte es
geschafft. Schnell richtete sie sich auf und rannte los, den anderen hinterher, die bereits im
Dschungel verschwunden waren.
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„Oh Gott. Gil.“ Sara schrie vor Entsetzen auf, als sie auf dem Monitor sah, wie der Pfeil
in Gils Oberarm eindrang. „Diese verfluchten Bastarde. Was ist mit ihm?“ Sara starrte wie
hypnotisiert auf den Bildschirm. „Die müssen Gil verbinden. Das gibt es doch nicht. Warum
können wir sie nicht mehr sehen, verdammter Mist!“ „Weil sie aus dem Kamerabereich heraus
sind.“, versuchte Abby ihr zu erklären. „Was du nicht sagst. Ich bin nicht blöde, weißt du.“,
giftete Sara Abby an. Diese schluckte. „Es war der Oberarm, oder? Was meint ihr, wie
schlimm mag es sein?“, fragte Sara Dana und Allison in den Zellen neben sich. Dana sah zu
Sara hinüber. „Das ist von hier schlecht zu beurteilen. Aber normalerweise sind Wunden am
Oberarm nicht so schlimm.“ House stimmte Dana zu. „Mach dir keine Sorgen, das wird Gil
schon überleben, der Oberarm ist ja nicht der Brustkorb.“ Sara wollte gerade aufatmen, als aus
Mulders Zelle Bones Stimme kam. „Eine Verletzung am Oberarm ist nicht besonders gefährlich. Es sei denn, der Pfeil hat die Arteria brachialis getroffen. Dann wird Gil sehr viel Blut
verlieren, wenn der Pfeil raus gezogen wird. Nur eine sofortige Operation könnte ihn dann
noch retten.“ Alle starrten Tempe entsetzt an. „Ähm, naja, die Wahrscheinlichkeit, dass die
Arterie getroffen worden ist, ist doch sehr gering und ...“ Verlegen verstummt Bones.
Sawyer war, wie alle anderen auch, weiß wie eine Wand geworden, als so überraschend
auf die vier Fliehenden geschossen wurde. Ohne es überhaupt zu merken, hatte er leise vor sich
hin geflüstert: „Lauf, Kate, lauf, beeil dich, pass auf ...“ Als sie endlich die andere Seite erreicht hatte, stöhnte der junger Mann vor Entsetzen auf, als er sah, das Kate keineswegs den
anderen in den Dschungel folgte, sondern, von Pfeilen umschwirrt, anfing, die Halteseile der
Brücke zu durchtrennen. „Hau schon ab, verdammt.“, stöhnte er verzweifelt. „Großer Gott,
was macht sie denn da?“, rief Abby erschrocken. „Sie verschafft ihnen einen Vorsprung, wenn
sie es schafft, die Brücke zu zerstören. Mach schon Kate, du schaffst das, Mädchen.“ Locke
feuerte Kate an. Und auch Mulder und Booth schrien: „Los doch, Kate, Beeilung, du schaffst
das!“ Sawyer sah nur die Pfeile, die Kate um die Ohren flogen. Er stand an der Zellentür,
Cameron neben ihm, und starrte wie hypnotisiert auf den Monitor. Er hörte die Verfolger hasserfüllt aufbrüllen, dann krachte die Brücke zusammen und endlich brachte Kate sich ebenfalls
in den Dschungel in Sicherheit. Spontan fielen Allison und Sawyer sich in die Arme. „Sie hat
es geschafft.“ „Aber Heather ist verletzt und auch Gil hat etwas abbekommen.“, keuchte Jake
entsetzt.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Die Gefangenen hatten eine unruhige, für die, die auf dem Boden schliefen, auch im
höchsten Maße unbequeme Nacht hinter sich gebracht. Die Männer hatten natürlich den Frauen
die Betten überlassen. Booth hatte House im Bett schlafen lassen und Abby hatte Sara den
Vorteil des Bettes gegönnt. Früh waren sie schon wieder wach, einen Weckruf hatte es nicht
gebraucht. Mit brennenden Augen hatten sie auf den Monitor gestarrt und die Begegnung mit
der riesigen Python starr vor Entsetzen verfolgt. Da dauerhaft grünes Licht brannte, konnte sie
sich die ganze Zeit unterhalten. Als Kate die Schlange entdeckte, erklärte Locke sofort: „Das
ist ein Python, ein Netzpython. Eigentlich keine Gefahr, es sei denn, das Tier fühlt sich bedroht
...“ Gespannt wie die anderen verfolgte John, wie der Python sich schließlich abwandte und
verschwand. „Gott sei Dank.“, stießen Jake und Sawyer in brünstig und wie aus einem Mund
aus. Mulder war wie die anderen aus einem unruhigen Schlaf hochgefahren und ans Waschbecken getaumelte. Er schöpfte sich Wasser ins Gesicht, um klar zu werden. Nachdem auf dem
Monitor nichts mehr zu sehen gewesen war, hatte er nachgedacht. Und dann kam ihm ein tröstlicher Gedanke. Nachdem die vier Freunde auf dem Monitor erst einmal wieder aus dem Bereich der Kamera verschwunden waren, sprach der Agent aus, was ihm durch den Kopf ging.
„Vergesst, was ich gestern gesagt habe. Eigentlich ist es völlig unerheblich, wo wir sind. Die
wollen etwas von uns, das mit unseren Aufgaben draußen zu tun hat, davon bin ich überzeugt.
Also werden die uns irgendwann freilassen müssen. Wir müssen nur durchhalten und nicht die
Nerven verlieren.“ „Wie kommst du darauf?“, wollte Booth wissen. „Tut mir leid, Leute, dass
ich gestern genauso erschrocken war wie ihr. Mit ein bisschen Schlaf sieht das anders aus.
Überlegt doch mal logisch: Die jagen uns hier durch die Tretmühle und versuchen, uns zum
Gehorsam zu erziehen. Das ergibt keinen Sinn, wenn die nicht vorhätten, uns irgendwie einzusetzen. Wir kommen hier raus, wenn wir die Nerven behalten.“ Wohlweislich verschwieg er,
dass die Entführer offenbar davon ausgingen, die Gefangenen auch dann kontrollieren zu
können, wenn sie die Anlage verlassen hatten ...
*****
Nach einigen Minuten hatte Kate die anderen eingeholt. Gibbs sah ihr entgegen. „Die
Brücke ist zerstört, hier kommen die nicht rüber, um uns zu verfolgen. Ich denke, wir haben
eine ganze Menge Zeit gewonnen.“, keuchte Kate und sank bei den anderen auf den Boden.
„Was ist mit Gil und dir, Heather?“ „Streifschuss.“, stieß Heather zwischen zusammen gebissenen Zähne hervor. Sie hatte ein Stück Mull in der Hand und presste dies auf die blutige
Furche auf ihrer Schulter. „Nicht schlimm. Wirklich. Hilf lieber Gibbs. Gil hat es ziemlich
erwischt.“ Kate rutschte zu Gil und Gibbs hinüber. „Was ist?“, fragte sie besorgt. „Wir müssen
den Pfeil raus holen. Dafür müssen wir die Spitze abschneiden.“, erklärte Gibbs. Kate nickte.
Sie drückte Gibbs das Messer in die Hand. „Hier. Mach schon.“ Sie kniete sich hinter Gil und
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Die Anderen
by Frauke Feind
sagte sanft: „Lehn dich einfach entspannt zurück, ich könnte mir vorstellen, dass das schmerzhaft wird, wenn Gibbs an dem Pfeil arbeitet.“ Gil ließ sich stöhnend an Kate sinken und
schloss gequält die Augen, als Gibbs anfing, vorsichtig an dem Pfeil herum zu schneiden. Gute
zehn Minuten schnitzte dieser, dann erklärte er: „Jetzt hab ich es.“ Gil hatte immer wieder vor
Schmerzen aufgestöhnt. „Das wird noch einmal wehtun, Kumpel.“, meinte der NCIS Agent
und sah Kate an. Diese fasste etwas fester zu und hielt Gil fest. Gibbs brach die Pfeilspitze gekonnt ab und sagte: „Beiß die Zähne zusammen, Mann.“ Er stellte sich hinter Gil, atmete tief
ein und zog schnell, aber vorsichtig und mit einem Ruck den Pfeil aus der Wunde. Gil schrie
gequält auf und sackte in sich zusammen. Er hatte die Besinnung verloren. Die Wunde begann
heftig zu bluten. Erschrocken stieß Kate hervor: „Scheiße, er blutet so stark, ist das normal?“
„Weiß ich doch nicht.“, stieß Gibbs genervt hervor. „Wir müssen die Blutung stoppen.“ „Zwei
Päckchen Mullbinde drauf und dann fest verbinden.“, stieß Heather hervor. Gibbs suchte sich
aus den Rucksäcken zwei Päckchen Mullbinden heraus und eine elastische Binde, um damit
den Arm zu umwickeln. Mit Kates Hilfe schaffte er es, einen festen Verband anzulegen. Für
den Moment hörte die Blutung auf.
Gil blieb nicht lange besinnungslos. Nach ein paar Minuten kam er stöhnend wieder zu
sich. Kate hatte seinen Oberkörper auf dem Schoss, um zu verhindern, dass der Verband auf
dem matschigen Boden sofort verdreckte. Als Gil merkte, dass er auf ihrem Schoss lag,
lächelte er verkniffen. „Gut, dass Sawyer und Sara das nicht sehen ...“ Er sah stöhnend auf den
dicken Verband an seinem Oberarm. „Wie schlimm ist es?“ „Ein glatter Durchschuss, was
drinnen kaputt ist, kann ich dir nicht sagen, es hat geblutet.“, erklärte Gibbs trocken. „Ach,
wirklich?“ Gil versuchte langsam, sich aufzurichten. „Was willst du?“, fragte Heather erstaunt.
„Du musst dich ausruhen.“ Gil schüttelte den Kopf. „Wir werden weiter müssen. Nur, weil
Kate die Brücke zerstört hat, sind wir die Verfolger garantiert nicht los. Da werden sie mit gerechnet haben und haben ganz sicher Alternativen.“ Kate und Gibbs nickten zustimmend. „Ihr
meint, dass ist nur eine kurze Verzögerung?“, keuchte Heather erschrocken. „Mit Sicherheit.“
Langsam und mit Gibbs Hilfe richtete Gil sich auf. Kurz schwankte er, dann hatte er sich gefangen. „Gut, wir können.“ Heather stand ebenfalls auf und Kate kam auch auf die Beine, griff
sich Gils Rucksack, verteilte die darin befindlichen Sachen auf ihren, Heathers und Gibbs’
Rucksack und erklärte: „Kommt, auf geht’s.“
In diesem Teil des Waldes war ein fester, wenn auch sehr schmaler Pfad für die Flüchtlinge vorgesehen. Er war in das hier extrem dichte Gebüsch geschlagen worden, welches kaum
ein Durchkommen möglich gemacht hätte. Nervös, sich immer wieder hektisch umschauend,
folgten die Vier dem Weg. Sie kamen ganz gut voran. Viel reden taten sie nicht, alle waren
erschöpft, verängstigt und müde. Ihre nackten Füße schmerzten, Blasen und kleine Schnitte
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Die Anderen
by Frauke Feind
bedeckten die Fußsohlen. Die Haut war schrumpelig von der ständigen Feuchtigkeit. Immer
wieder gab es schwere Regengüsse. Die unerträgliche Schwüle in dieser immergrünen Hölle
machte das Atmen schwer. Bei jedem Rascheln um sie herum zuckten die Flüchtenden heftig
zusammen. Als sie eine kleine Lichtung erreichten, machten sie eine kurze Rast. Gils Verband
war durch geblutet und das Blut lief ihm bereits am Arm hinunter. Heather sah sich die Wunde
an. „Das müsste schon lange aufgehört haben zu Bluten. Wie viel Verbandmaterial haben wir
noch?“, fragte sie, während sie den durchbluteten Verband entfernte. Kate sah eilig die Rucksäcke durch. „Wir haben noch zehn Mullbindenpäckchen und fünf Elastikbinden. Das ist
alles.“ „Wo ist House, wenn man ihn braucht ...“, stöhnte Gibbs besorgt.
*****
Im Kerker verfolgten die Zurückgebliebenen die flüchtigen Eindrücke, wenn ihre
Freunde an Kameras vorbei kamen, mit immer besorgteren Mienen. Dass die Flüchtlinge
immer erschöpfter wirkten, besonders Gil und Heather, war offensichtlich. Leider ließen die
angebrachten Kameras jedes Mal nur kurze Blicke zu. Dann aber wankten die Vier auf eine
kleine, kameraüberwachte Lichtung. Und nun sahen alle, dass Gils Wunde immer noch heftig
blutete. Sara hatte sehr besorgt zugesehen, wie Heather vorsichtig den Verband löste. „Ist es
normal, dass das immer noch so heftig blutet?“, fragte sie verzagt. House starrte konzentriert
auf den Bildschirm, um möglichst viel zu sehen. „Das ist mit ziemlicher Sicherheit keine
arterielle Blutung, Sara. Es ist einfach so, dass durch die Anstrengung und die extreme Luftfeuchtigkeit dort die Verletzung weiter blutet.“ Sara sah äußerst besorgt aus. Dana und Allison
schauten ebenfalls sehr konzentriert auf den Monitor und Allison stimmte House zu. „Es sieht
wirklich nicht nach einer Arterienblutung aus, Sara.“ Bones fügte hinzu, wie um ihren Fehler
von früher am Tag wieder gut zu machen: „Bei einer rein arteriellen Blutung würde das Blut
im Sekundenrhythmus aus der Wunde spritzen und das tut es nicht.“ Wieder erntete sie entsetzte Blicke und fuhr ärgerlich auf: „Das stimmt doch. Meine Güte, sind wir hier in einem
Kindergarten? Keiner fällt in Ohnmacht, wenn das Wort Blut fällt.“ Genervt sah sie Mulder an.
„Na, was ist? Sag schon ruhig, dass ich wieder etwas Verkehrtes gesagt habe.“ Mulder
antwortete ihr ruhig: „Sachlich war das sicher richtig, aber es hilft nicht gerade, immer den
worst case zu beschreiben. Wir sind alle ein wenig mit den Nerven herunter.“ „Was heißt denn
hier worst case? Ich habe genau das Gegenteil davon klar machen wollen. Ich kenne das aus
dem Dschungel Ecuadors, da hatte sich einer meiner Kollegen geschnitten, das hat tagelang
immer wieder geblutet.“ „Immer noch besser als eine Arterienverletzung, da verblutet der
Patient ohne Operation auf jeden Fall früher oder später, deshalb worst case.“, sprang Dana
ihrem Partner bei.
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Sara stöhnte auf. Das alles beunruhigte sie immer mehr. Gil war irgendwo dort draußen,
verletzt, stark blutend, ohne vernünftige ärztliche Hilfe. Und von gewalttätigen Killern gejagt.
„Verdammt noch mal, Miss Klugscheisser. Das wissen die meisten von uns selbst. Was hast du
davon, uns immer die schlimmste Möglichkeit drastisch zu schildern? Wir brauchen Hoffnung,
um nicht durchzudrehen.“, fuhr sie Bones an. Ziva sah kalt zu Sara rüber. „Was willst du
eigentlich. Dein toller Gil wird schon nicht sterben, also, wo ist das Problem? Die anderen sind
jetzt in noch größerer Gefahr, weil sie mit ihm ohnehin schon nicht schnell vorankommen, fit,
wie er ist.“ Auch bei Bones brannte endgültig eine Sicherung durch. Sie hatte von der ewig
unzufriedenen, unfreundlichen CSI Ermittlerin endgültig die Nase voll. Diese Frau war mit
ihrer ständigen, sauertöpfischen Laune unerträglich. „Unrealistische Wunschträume, meinst du
wohl?“, gab Tempe also kalt zurück, ohne auf Mulders und Booth‘ beschwörende Gesten zu
achten. „Auf das Schlimmste vorbereitet zu sein, statt die Augen vor den Tatsachen zu verschließen, scheint mir die bessere Strategie.“ „Schade, dass die Ladies nicht zusammen untergebracht sind. Das gäbe einen höchst unterhaltsamen catfight, auch wenn es im Schlamm anregender wäre.“ „Natürlich, unser Doktor Allwissend muss seinen Senf auch noch dazu
geben.“, giftete Sara wütend. „Die Lady würde ich in einer Minute zu Putzlappen verarbeiten.“
Bones sah verächtlich zu Sara hinüber. Bevor Sara zurück zicken konnte, fuhr jedoch Sawyer
hochgradig genervt dazwischen. „Sagt mal, habt ihr sie eigentlich noch alle? Da draußen
kämpfen gerade vier von uns um ihr nacktes Leben und ihr blöden Ziegen habt nichts Besseres
zu tun, als euch hier wegen solcher Albernheiten in die Wolle zu bekommen. Herrgott noch
mal. Die sterben da draußen vielleicht!“ Allison legte Sawyer beruhigend den Arm um die
Schulter und zog ihn zum Bett. Dann schaute sie verärgert zu House hinüber und warf diesem
einen vernichtenden Blick zu. Sie schüttelte verständnislos den Kopf und wandte sich wieder
Sawyer zu, um diesen zu beruhigen.
10 Fragen
Jagd ist immer eine Form von Krieg.
J. W. von Goethe
Gil hatte sich von Heather und Kate einen neuen Verband anlegen lassen. Dann hatte er
sich müde an einen Baum gelehnt. „Was meint ihr, wie lange können wir uns eine Pause
gönnen?“ „Eigentlich gar nicht.“, seufzte Kate und sah sich um. Sie hatte ein komisches Gefühl
und wusste, dass sie sich auf ihre Gefühle draußen in der Wildnis immer hatte verlassen
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können. „Wenn es bei dir geht, sollten wir weiter laufen. Wir sind hier nicht sicher, nur, weil
ich die Brücke zerstört habe. Die werden andere Möglichkeiten haben, uns zu folgen.“ Sie
spielte mit dem Messer, wog es in ihrer Hand. Gil rappelte sich mühsam hoch und nickte.
„Kate hat Recht, wir sollten uns nicht zu sehr darauf verlassen, dass das Zerstören der Brücke
die lange aufhalten wird. Ich kann weiter, lasst uns gehen.“ Heather und Gibbs schulterten die
Rucksäcke und warteten, dass Kate ebenfalls ihren Rucksack nahm. Die junge Frau starrte
immer wieder den Weg zurück, den sie gekommen waren. „Kate?“ Gibbs trat zu ihr. „Was ist
los?“ „Ich weiß nicht ... Geht ihr schon vor, ich komme nach. Gibbs, nimm bitte meinen Rucksack mit, okay.“ Gibbs sah Kate an. „Ich werde dich ganz sicher nicht alleine zurück lassen,
wenn du etwas vorhast, bin ich dabei.“ „Gibbs, hör zu, du musst Heather und Gil helfen, die
sind hilflos ohne uns. Ich komme schon klar, ich will mich ja nicht umbringen lassen, okay.“
„Bist du sicher?“ Kate nickte. „Mach schon. Ich bin bald wieder bei euch.“ Gibbs schüttelte
den Kopf. „Wenn du meinst ...“ Er trieb Heather und Gil an. „Los, macht schon, wir müssen
los.“ Die drei marschierten los, den schmalen Weg weiter. Kate sah sich suchend um. Dann
entdeckte sie einen Baum am Wegrand, der so stand, dass sie aus seinem Geäst den Weg überblicken konnte. Sie zog sich an einem Ast in die Höhe und stieg so hoch, dass sie einen guten
Überblick hatte. Dann wartete sie.
Ihre Geduld wurde nicht allzu lange strapaziert. Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht.
Dort kam einer ihrer Verfolger den Weg entlang. Sie hörte ihn in sein Headset sprechen. „Hier
sind sie nicht. Ich bin nicht sicher, ob sie wirklich auf dem Weg geblieben sind. Austen ist
gut.“ Der Mann ging relativ unbesorgt weiter. - Du Dreckskerl wirst gleich merken, wie gut ich
bin. - dachte Kate und wog das Messer in der Rechten. Als der Kerl in Reichweite war, zögerte
die junge Frau keine Sekunde. Mit einer gekonnten Bewegung schleuderte sie das Messer und
sah zu, wie es mit einem Übelkeit erregenden Geräusch in Höhe des Herzens in die Brust des
Mannes eindrang. Ohne einen Laut von sich zu geben ging der Mann zu Boden. Er wusste
nicht einmal, warum er gestorben war. Kate glitt, so schnell sie konnte, vom Baum herunter
und eilte zu dem toten Killer hinüber. Sie zögerte auch jetzt nicht, zog das Messer aus der
Brust des Typen, löste dessen Messerscheide samt Gürtel von seiner Taille und griff sich den
Köcher sowie den Bogen. Sie tastete seine Taschen ab, aber mehr Waffen hatte er wirklich
nicht dabei. Kate griff nach den Beinen des Kerls und zog ihn mühsam ein Stück ins Gebüsch.
Sie deckte ihn flüchtig mit Laub und Ästen zu, suchte sich einen abgebrochenen Ast mit
Blättern dran und verwischte damit so gut es ging die Spuren auf dem Weg. Dann nahm sie die
erbeuteten Waffen und rannte den Anderen hinterher.
*****
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Die Anderen
by Frauke Feind
Sawyer glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Er stand wie erstarrt da und beobachtete
entsetzt, wie Kate in den Baum stieg. „Was hat sie denn nur vor? Kate. Bist du wahnsinnig?“
Mit zitternden Händen umkrallte er die Gitterstäbe. „Was hat sie vor? Sie sollen Gil in Sicherheit bringen.“ Saras Stimme zitterte. „Was denkt sie, was sie gegen die Kerle ausrichten
kann?“ Allison war schockiert. „Gott, Sawyer ...“ Sie sah den Südstaatler an. Dem stand das
nackte Entsetzen ins Gesicht geschrieben. „Sawyer, sie wird sich schon etwas dabei denken.
Sie ist doch nicht lebensmüde.“, versuchte Mulder den zum Freund gewordenen Südstaatler zu
beruhigen. „Warte erst mal ab. Aufregen kannst du dich hinterher.“ „Scheiße. Woher hat sie
das gewusst? Da kommt ... einer von den Typen.“, stieß Jake atemlos. Alle starrten gebannt auf
die Monitore. Sawyer biss sich die Lippen blutig vor Anspannung. Auf dem Baum holte Kate
aus und schleuderte das Messer. Die Zelleninsassen konnten sehen, wie es dem Verfolger in
die Brust drang und dieser ohne einen Laut von sich zu geben zusammen sackte. Was jetzt im
Kerker los brach war unbeschreiblich. Sawyer jubelte auf. Er riss Cameron in seine Arme und
gab ihr ungeniert einen Kuss auf die Lippen. Lachend ließ diese sich den Kuss gefallen. Eine
Zelle weiter fielen Dana und Jake sich nicht minder begeistert in die Arme. Ziva und Locke
strahlten sich an. „Nicht schlecht, gar nicht schlecht. Mit ein bisschen Training würde aus Kate
eine ganz passable Mossad Agentin werden.“ Booth und House klatschten begeistert ab. „Die
Frau ist großartig.“ Abby rief euphorisch: „Besser hätte Gibbs es auch nicht machen können.“
Selbst Bones jubelte mit. „Meine Güte, kann Kate mit einem Messer umgehen. Sie hat das
großartig gemacht. Einer weniger.“ „Ja, das war nicht übel. Dein Mädchen kann auf sich aufpassen.“, sagte House grinsend zu Sawyer. „Und da du sie wohl bald heil wieder kriegst,
kannst du auch deine gierigen Pfoten von meinem Mädchen lassen.“ Sawyer lachte erleichtert.
*****
Kate sah Gibbs auf sich zu gerannt kommen. Er sah erleichtert aus, als er Kate unverletzt sah. „Ich habe Gil und Heather im Gebüsch versteckt und wollte nachsehen, was los ist.“
Gibbs sah erst jetzt den Bogen, den Kate in der Hand hatte. „Was ist passiert?“ Kate hetzte
weiter. „Gleich.“, keuchte sie. Minuten später sagte Gibbs: „Warte, hier habe ich Gil und
Heather abgelegt. Ihr könnte raus kommen, es ist alles in Ordnung.“ Kate sank auf die Knie
und griff mit zitternden Händen nach einem Rucksack, nahm eine Wasserflasche heraus und
trank in großen Schlucken. „Was ist denn nun passiert?“, wiederholte Gibbs seine Frage. Erst
jetzt bemerkten Heather und Gil den Bogen und den Köcher. Erschrocken fragte auch Heather:
„Was ist los, Kate, wie kommst du zu den Sachen?“ Kate trank einen weiteren Schluck
Wasser, dann erklärte sie: „Ich hatte das Gefühl, jemand kommt. Ich habe mich auf einem
Baum versteckt und gewartet. Einer der Typen kam, alleine. Ich habe ihn überwältigt und seine
Waffe genommen.“ „Was genau verstehst du unter überwältigt?“, fragte Heather leise. „Was
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by Frauke Feind
ich darunter verstehe, meine Süße, ist, dass wir einen Verfolger weniger haben. Und jetzt lasst
uns sehen, wer mit einem Bogen umgehen kann.“
Heather starrte Kate erschrocken an. „Du hast einen von ihnen umgebracht?“, stotterte
sie. „Ja, stell dir vor, das habe ich. Willst du mich deswegen anzeigen?“ Kate war fertig mit
den Nerven und nicht in der Stimmung, sich von der naiven Lehrerin Moralpredigten anzuhören. Heather zuckte zusammen. „Nein, das wollte ich nicht. Ich wollte dir gratulieren. Das
war ... großartig.“ Heather zögerte noch kurz, dann umarmte sie Kate begeistert und drückte
diese heftig an sich. Überrascht erwiderte Kate die Umarmung. „Oh, ... ähm, sorry, ich wollte
nicht ... Tut mir leid, Heather.“ „Macht doch nichts, wir sind alle am Ende.“, sagte Heather
ruhig. „Okay, Kate, das hast du sehr gut gemacht.“, erklärte Gibbs zufrieden und fuhr fort: „Ich
kann ziemlich gut mit einem Bogen umgehen, war mal Junior-Meister auf dem College.“ Kate
löste sich von Heather und sah Gibbs an. „Gut, Robin Hood, dann nimm den Bogen und wehe,
du schießt daneben.“ Sie sah Heather und Gil an. „Schafft ihr beide es, die Rucksäcke zu
nehmen? Dann wären Gibbs und ich beweglicher und könnten im Zweifelsfall besser
Kämpfen.“ Sie hatte Gibbs das erbeutete Messer in die Hand gedrückt und der NCIS Agent
legte sich den Gürtel mit der Scheide daran um die schlanke Taille. Gil hatte Schmerzen, das
war ihm überdeutlich anzusehen, aber er nickte. „Das werde ich schaffen und wenn es das
Letzte ist, was ich noch schaffe.“ sagte er zuversichtlich und schulterte vorsichtig den einen
Rucksack. Heather hatte den dritten Rucksack leer gemacht und den Inhalt auf die zwei
anderen verteilt. Jetzt schulterte sie den zweiten und sah Kate und Gibbs herausfordernd an.
„Können wir?“, fragte Gibbs. Alle nickten.
In immer noch strömendem Regen machten sich die Vier wieder auf den Weg. Sie
kehrten auf den Pfad zurück und Gibbs und Kate bildeten die Nachhut. Etwa eine Stunde
später war es zappenduster geworden. Sie hatten sich in das Gebüsch geschlagen und dank Gil
einen halbwegs trockenen Platz unter dem dichten Blätterdach einer Gruppe riesiger Bananenstauden gefunden, sofern man bei dem herrschenden Regen von trocken sprechen konnte.
Grinsend pflückte Gibbs einige Bananen und verteilte sie an die Anderen. „Darf ich euch auf
einen Runde Bananen einladen?“, fragte er schmunzelnd. Gil war viel zu fertig, um noch ans
Essen zu denken. Er ignorierte, dass alles triefte vor Nässe und legte den Kopf müde auf seinen
Rucksack. „Ich bin alle.“, stöhnte er. Heather rutschte zu ihm und kontrollierte den Verband.
Sie schüttelte gestresst den Kopf. „Es blutet immer noch, diese verfluchte Feuchtigkeit.“
„Andererseits kann so kein Dreck eindringen, oder?“, fragte Kate leise, während sie zusammen
mit Heather noch einmal einen frischen Verband anlegte. „Das weiß ich nicht. Ich kann ja mal
House anrufen und fragen.“, schnaufte Heather und sah Kate an. Und verzog das Gesicht zu
einem Lachen. „Und wenn du ihn schon an der Strippe hast, er soll uns eine Pizza schicken.“
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Die Anderen
by Frauke Feind
Selbst Gil grinste kurz. Sie kauten auf ihren Bananen, dann rollten sie sich, wo sie saßen, zusammen und waren Minuten später vollkommen erschöpft eingeschlafen.
Am Morgen in aller Frühe wachte Gibbs auf. Er war sich sicher, dass etwas ihn geweckt hatte. Und dann hielt er die Luft an. Keine zwanzig Meter entfernt hielt sich eine kleine
Gruppe Orang-Utans auf, suchte den Boden nach Nahrung ab. Sanft schüttelte Gibbs Kate und
Heather wach, deutete ihnen an, still zu sein. Er weckte auch Gil. Fasziniert beobachteten die
vier Menschen aus ihrem Versteck heraus die majestätischen Menschenaffen, die keine
Ahnung hatten, dass sie beobachtet wurden. Kate lief vor Ergriffenheit ein Schauer über den
Rücken. Zwei Babys waren bei der Gruppe und spielten, keine zehn Meter entfernt, auf den
Boden fangen. Heather kullerten Tränen der Rührung über das Gesicht. Diese Tiere waren so
wundervoll. Plötzlich zuckte die ganze Gruppe zusammen und Sekunden später waren alle in
den Baumwipfeln verschwunden. Augenblicke später kam der Grund für das plötzliche Verschwinden der Menschenaffen über den Platz geschlichen, an dem vor wenigen Augenblicken
noch die Babys gespielt hatten: ein großer Nebelparder streifte auf der Suche nach Futter
durchs Unterholz. Diese sechzig bis hundertzwanzig Zentimeter großen, zirka dreißig Kilo
schweren Raubkatzen waren die größten Raubtiere außer den Leistenkrokodilen auf Borneo.
Als das wunderschöne Tier schließlich ebenfalls verschwunden war, erwachten die Vier in
ihrem Versteck aus der Starre. „Gott, war das wunderschön.“, stieß Heather mit tränenerstickter Stimme hervor. „Ich wünschte, Sawyer wäre dabei gewesen.“, flüsterte Kate, noch
ganz im Bann der letzten Minuten. „Und damit steht es fest: Ich habe mich doch nicht geirrt
und wir befinden uns wirklich entweder auf Sumatra oder auf Borneo. Ist das nicht schön?
Wenn wir einen Briefkasten finden, könnten wir dem FBI eine Nachricht zukommen lassen,
dass sie aufhören können, uns dort zu suchen, wo sie uns garantiert suchen werden.“
*****
Im Zellentrakt herrschte Nervosität und Unsicherheit. In dieser zweiten Nacht hatten
die Verfolgten einen Unterschlupf gefunden, der jenseits der Kameras lag. So wussten die
Zelleninsassen nicht, wie es den Freunden erging. Sara hatte die Nacht kaum geschlafen, nur
ab und zu war sie eingedöst. Selbstverständlich war es der Wissenschaftlerin klar, dass Gil
nicht Gefahr lief, zu verbluten. Aber das Wissen beruhigte sie keineswegs. Sie überlegte, was
schlimmer war: Live mit zu erleben, wie es den Gejagten erging, oder wie jetzt, nicht zu
wissen, was mit ihnen war. Genervt stand sie auf, spülte sich das Gesicht mit kaltem Wasser ab
und tigerte dann unruhig in der kleinen Zelle auf und ab. Abby lag in dieser Nacht auf dem
Bett und sie schlief, wenn auch unruhig. In den Nachbarzellen waren Jake und Sawyer die
ganze Nacht aufgewühlt hin und her gelaufen, hatten sich kurz hingesetzt, um Minuten später
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Die Anderen
by Frauke Feind
schon wieder nervös aufzuspringen. Sawyer hatte das Gefühl, wenn er nicht bald Bilder von
Kate, unverletzt und in guter Verfassung, zu sehen bekam, würde er los schreien. Nicht zu
wissen, wie es ihr ging, ob in der Nacht etwas passiert war, ob die Verfolger sie eingeholt
hatten, machte den jungen Mann wahnsinnig. Jake ging es nicht besser. Er wünschte sich sehnlichst, endlich zu erfahren, was in der Nacht geschehen war, ob überhaupt etwas geschehen
war. Er trat an das Gitter zur Nachbarzelle und sagte leise zu Sawyer: „Die Unklarheit ist
schlimmer als das schlimmste Wissen, oder?“ Sawyer lachte freudlos. „Ja. Ich würde sonst was
dafür geben, zu erfahren, was mit Kate los ist.“, seufzte er und starrte zum wohl tausendsten
Mal zum Monitor hoch. Der zeigte jedoch nach wie vor nichts als Dunkelheit.
*****
Nachdem die Vier in ihrem Versteck gefrühstückt hatten, machten sie sich wieder auf
den Weg. Verzweifelt schleppten sie sich vorwärts. Besonders Gil war am Ende seiner Kräfte
angelangt. Die Wunde am Arm schmerzte heftig, der Blutverlust machte sich langsam bemerkbar, ihm war schwindelig und er war sicher, leichtes Fieber zu haben. Allen machte das bestätigte Wissen darum, sich wahlweise auf Borneo oder Sumatra zu befinden, schwer zu
schaffen und sorgte nachhaltig für eine sehr deprimierte Stimmung. Sie hatten beim erneuten
Losgehen am Morgen beschlossen, erst mal vom Pfad fern zu bleiben und so kämpften sie sich
sehr mühselig Meter für Meter ihren Weg durch das dichte Gehölz. Auch jetzt regnete es fast
ununterbrochen. Das Vorwärtskommen wurde immer schwieriger, je nasser und schwerer der
Boden wurde. Schließlich ging nichts mehr. Heather und Gil waren am Ende und auch Kate
und Gibbs konnten nicht weiter. Nach einer kurzen Rast kämpften sie sich auf den Weg
zurück. Die Gefahr, dort von den Verfolgern eingeholt zu werden, mussten sie einfach in Kauf
nehmen. Eine Weile kamen sie so besser voran. Dann tauchte vor ihnen plötzlich eine Weggabelung auf. „Oh, verdammt. Was jetzt?“, keuchte Heather verzweifelt und sank auf die Knie.
„Da hängt ein Zettel im Baum, wartet, ich hole ihn.“, ächzte Kate und riss den eingeschweißten
Zettel von dem Band, an dem er deutlich sichtbar von einem Ast hing. Sie drückte Gibbs den
Zettel in die Hand. „Lies vor.“
Die Besonderheit von Aviculariinae ...
Was ist Gromphadorrhina portentosa?
Der Aromia moschata gehört welcher Unterfamilie an?
Welcher Familie gehören die Wanzen an?
Was ist Titanolabis colossa?
Was sind Chelizeren?
Der Danaus plexippus ist ein so genannter ...
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Die Anderen
by Frauke Feind
Nenne den lateinischen Namen der Acker - Wolfsspinne?
Was überträgt Glossina?
Was ist das Rosen-Flächtenbärchen?
Folgende Buchstaben der Antworten ergeben die
Richtung: 11, 19, 8, 1, 4, 8, 11, 4, 13, 12
Gibbs glaubte, nicht richtig zu gucken. Was, um alles in der Welt, waren das für
Fragen? Er war nicht einmal sicher, auch nur die Hälfte der lateinischen Namen richtig ausgesprochen zu haben. „Die sind nicht dicht.“, kommentierte Kate die Fragen. „Sind das Tiere
oder Pflanzen oder Medikamente?“, fragte Heather verzweifelt. Gil hatte sich, kaum, dass sie
angehalten hatten, zu Boden sinken lassen und hockte da, apathisch vor sich hin starrend, an
eine Baumwurzel gelehnt. „Gib mal her ...“, stöhnte er mit zusammen gebissenen Zähnen.
Gibbs drückte ihm den Zettel in die Hand und Gil las die Fragen erneut vor. „Die Besonderheit
von Aviculariinae ... Das ist eine Baum bewohnende Vogelspinne, ich nehme an, die wollen
hören, dass die Klettern. Notier mal jemand ... das N.“ Kate malte mit dem Messer ein N auf
den Boden. „Was ist Gromphadorrhina portentosa? Das ist eine ... Schabe, eine ... eine
Madagaskar Fauchschabe. Oh, Gott, der 19.te?“ Mühsam versuchte Gil, sich zu konzentrieren.
„19 .. . Ein A, Kate. Der Aromia moschata gehört welcher Unterfamilie an? Bockkäfer ...
Cerambycinae. 8? Okay, warte ... C.“ Es fiel dem Entomologen ungeheuer schwer, sich zu
konzentrieren. „Welcher Familie gehören die Wanzen an? Heteroptera, ein H, Kate.“ Kate
malte einen weiteren Buchstaben in den Sand. „Was ist Titanolabis colossa? Das ist einfach,
das ist ein Riesenohrwurm. Nummer 4? Ein S. Was sind Chelizeren?“ Gil starrte die Frage an.
Was, zum Teufel, waren Chelizeren? Der CIS Ermittler hatte das Gefühl, dieses Wort noch nie
gehört zu haben. Minutenlang starrte er die Frage an, dann: „Verflixt, ich bin fertiger als ich
dachte. Das sind Beißklauen. Kate, ein ... U. Der Danaus plexippus ist ein so genannter...
Wanderfalter, ein E.“
Die Schrift verschwamm vor Gils Augen und er kniff diese zusammen. „Gil, ist alles in
Ordnung?“, fragte Kate besorgt. „Nicht wirklich.“, antwortete der Ermittler ehrlich. „Gut geht
es mir nicht ... Okay, weiter. Nenne den lateinischen Namen der Acker - Wolfsspinne? Arctosa
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Die Anderen
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cinerea. Nein, nein, warte, Pardosa agricola, ja, Pardosa. 4, das ist das D. Mir ist speiübel.“ Er
setzte mit zitternder Hand die Wasserflasche an die Lippen. „Zwei noch ... Was überträgt
Glossina? Schlafkrankheit. Welcher Buchstabe? Der 13.te. Das ist das E. Und das RosenFlächenbärchen ist natürlich ein Schmetterling. Das ... N.“ Vollkommen erschöpft schloss Gil
die Augen. Nun brauchten sie die Buchstaben nur noch sortieren. Nach kurzem Überlegen las
Gibbs, was sie an Buchstaben hatten, in der einzig möglichen Reihenfolge vor. „N A C H S U
E D E N. Nach Sueden. Verdammt, Gil, wird es noch gehen?“ „Nein. Aber es muss. Helft mir
mal hoch.“ Gibbs und Kate zogen Gil vorsichtig auf die Beine. Gibbs legte Gil den Arm um
die Taille und stützte ihn so, dann schleppten sie sich weiter, den Weg nach links, nach Süden,
entlang. Mühsam kämpften sie sich voran. Sie waren vielleicht eine halbe Stunde wieder
unterwegs, als sie hinter sich plötzlich Rufe hörten. Und dann wurden sie auch schon beschossen.
*****
Im Kerker konnte man Gils Bemühungen, die Fragen zu beantworten, sehen. Sara sah,
wie schlecht es dem Lebensgefährten ging. Ihre Ungeduld wich immer mehr dumpfer Verzweiflung. „Es geht ihm immer schlechter. Wollen diese Schweine ihn umbringen? Er braucht
einen Arzt.“ Der Ermittlerin standen Tränen in den Augen. „Wer weiß, wie weit die noch vom
Ziel entfernt sind.“ Sawyer und Jake waren in erster Linie erleichtert, dass keine Verfolger zu
sehen war. Sie verfolgten gespannt, wie Gil es schließlich schaffte, alle Fragen richtig zu beantworten und die Gefährten sich so wieder auf den Weg machen konnten. Ihnen entging
keineswegs, dass Gil immer schneller abbaute. Im Stillen dachten beide, dass er die anderen
sehr auf hielt. Als sie aus dem Kamerabereich verschwanden, stöhnten Sara, Jake und Sawyer
kollektiv auf. „Verdammt.“ „Hoffentlich konnten sie etwas schlafen.“, sagte Abby besorgt.
„Die müssen erschöpft sein und Gil mit dem Blutverlust?“ „Die sehen alle ziemlich fertig
aus.“, meinte Cameron verstört. „Lange halten die nicht mehr durch, das Klima da draußen
muss mörderisch sein.“ John schüttelte den Kopf. „Das ständige Nasse zermürbt auf Dauer
sehr.“ „Wenn sie Gil anständig verbunden haben, hält er noch eine Weile durch. Und die
anderen sind alle ziemlich fit.“, stellte House fest. Cameron sah ihn überrascht an. Es war sonst
nicht seine Art, zu versuchen, Leute zu beruhigen.
Nachdem die vier Flüchtlinge für eine Weile nicht zu sehen gewesen waren, tauchten
sie nun wieder in einer der Kameras auf. „Da. Da sind sie wieder.“, machte Booth die Anderen
aufmerksam. Aller Augen wandten sich wieder den beiden Bildschirmen zu. Und dann ging
alles Schlag auf Schlag. Plötzlich stöhnte Sara entsetzt auf. Sie hatte am äußersten Bildrand
zwei Verfolger auftauchen sehen. „Gott. Da sind zwei von den Typen. Die haben sie gleich
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Die Anderen
by Frauke Feind
eingeholt. Und sie haben die Verfolger noch nicht bemerkt. Verflucht. Passt auf. Hinter euch.“
Sara stand an der Tür und umklammerte halt suchend die Gitterstäbe. Alle standen an den
Türen und starrten entsetzt zu den Bildschirmen hoch. „Bitte nicht ...“, keuchte Sawyer
panisch, als er sah, dass ein Pfeil knapp an Kates Ohr vorbei zischte.
*****
Kate hörte hinter ihnen einen überraschten Ausruf. „Da. Da sind sie.“ Sie wirbelte entsetzt herum. Und da kamen sie, zwei Männer, beide Bögen im Anschlag und im nächsten
Moment zischten schon Pfeile um sie herum. „Scheiße. Ins Unterholz, los.“, brüllte Gibbs
Heather und Gil an. Heather reagierte blitzschnell. Sie packte Gil rücksichtslos an seinem verletzten Arm und zog ihn mit sich in das Unterholz links des Weges. Hier hetzten die Beiden ein
Stück weiter und verbargen sich dann, so gut es ging, hinter Gebüsch. Angstvoll lauschte
Heather auf Geräusche vom Weg. Kate und Gibbs hechteten nach beiden Seiten vom Weg
herunter und versuchten, notdürftig Deckung hinter Gestrüpp zu finden. Leider war dieses
durchlässig und so zischten ihnen weiter Pfeile um die Ohren. Gibbs wich einem Geschoss
knapp aus, das seinen Schädel durchbohrt hätte. Er fluchte unhörbar und schaute durch das
Blätterwerk auf den Weg hinaus. Kate beobachtete ebenfalls genau, wo die Pfeile auf sie zu
geflogen kamen. Dann jedoch konnte sie nicht mehr schnell genug ausweichen. Sie schrie
schmerzerfüllt auf, als sie ein heißes Brennen am Oberschenkel spürte. Einer der Pfeile hatte
sie erwischt und hinterließ eine tiefe, schmerzhafte Fleischwunde. Gibbs hatte den Bogen in
der Hand und legte einen Pfeil ein. Er zielte sehr lange und sorgfältig. Die beiden Verfolger
kamen ohne Zaudern näher, sie ahnten ja nicht, dass sie Fliehenden ebenfalls einen Bogen
hatten. Gibbs hielt die Luft an und ließ den Pfeil los zischen. Mit einem vollkommen überraschten Gesichtsausdruck ging einer der Verfolger aufschreiend zu Boden, einen Pfeil in der
Brust. Der zweite Mann wirbelte herum und im selben Moment traf ihn ein Messer, von Kate
geschleudert, im Bauch.
Kate kam aus dem Gebüsch, die Hand auf die blutende Fleischwunde am Oberschenkel
pressend, Gibbs trat von der anderen Seite vorsichtig auf den Weg. „Schnell, Waffen und dann
nichts wie weg.“, keuchte Kate gepresst. „Schlimm?“, fragte Gibbs, während er Messer und
Bogen, sowie die Pfeile ihrer Gegner nahm. Kate zuckte die Schultern. „Weiß nicht. Mach
schon zu, wir müssen weg hier.“ Sie stöhnte auf. Gibbs hatte alles zusammen und stieß hervor
„Ich hab alles, komm. Geht es alleine?“ Kate nickte zähneknirschend, dann humpelte sie Gibbs
hinterher. Sie riefen nach Gil und Heather und die Beiden kamen vorsichtig aus dem Gebüsch.
„Kate. Du bist verletzt.“, keuchte Heather erschrocken. „Später. Wir müssen weiter.“, zischte
Kate zwischen zusammen gebissenen Zähnen. Sie humpelte zu Gibbs und dieser reichte ihr
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Die Anderen
by Frauke Feind
den zweiten, erbeuteten Bogen sowie einen Köcher mit Pfeilen. Heather und Gil bekamen nun
auch je ein Messer. Dann ging es weiter. Kate humpelte stark, es war ihr deutlich anzusehen,
dass sie heftige Schmerzen hatte. Blut lief ihr am Bein hinunter. Sie ächzte leise bei jedem
Schritt. Plötzlich lichtete sich der Wald vor ihnen und sie standen abermals vor der Schlucht.
Hier war diese breiter und auch tiefer. Vor ihnen lag eine feste Brücke, über die es weiter ging.
Sie eilten zur Brücke und Heather trat vorsichtig an die Schlucht heran, um hinunter zu gucken.
Plötzlich hörte sie ein eigenartig aggressives Zischen hinter sich. Sie drehte sich herum, um
nach dem Ursprung des Geräusches zu gucken und schrie erschrocken auf. Hinter ihr, halb
aufgerichtet, lag eine Schlange und starrte sie an. Als Heather herum wirbelte, zischte das Tier
erneut und dann ging alles wieder einmal blitzschnell. Die Schlange spuckte Heather eine klare
Flüssigkeit entgegen, diese wich unwillkürlich aus, spürte Tropfen auf dem Gesicht und im
linken Auge und plötzlich war hinter ihr die Welt zu Ende. Mit einem gellenden Aufschrei
rutschte Heather ab.
External World 8) Spurensuche
Nicht jeder, der sucht, findet etwas;
aber wer etwas gefunden hat, hat es nicht zwingend gesucht, und gut gefunden hat er
es auch nicht unbedingt.
Ulrich Wiegand-Laster
„Das wird Tage dauern, bis wir alle Fingerabdrücke zugeordnet haben.“, bemerkte
Warrick Brown, nachdem er den bestimmt hundertsten Teststreifen eingetütet hatte. „Ja,
garantiert.“, stimmte ihm sein Kollege Nick Stokes zu. „Aber es ist mir erheblich lieber,
hunderte von Fingerabdrücken zu untersuchen, als dumm rum zu sitzen und nichts zu tun.“
Die letzten Tage waren für das CSI- Team mehr als frustrierend gewesen. Sie alle schätzten
Grissom und Sara sehr und hatten darauf gebrannt, endlich etwas tun zu können. Eigentlich
fiel dieser Fall gar nicht in ihre Zuständigkeit - sie waren nur für die Spurensicherung an Tatorten innerhalb von Las Vegas zuständig. Aber nachdem Catherine Willows den Anruf vom
NCIS bekommen hatte, hatte sie alle Hebel in Bewegung gesetzt, um in die Ermittlungen einbezogen zu werden. Sie hatte sich mit Direktor Shepard vom NCIS und Assistent Direktor
Skinner vom FBI in Verbindung gesetzt und beide hatten schließlich Catherines Vorschlag
zugestimmt, ihre Leute nach LA zu schicken, sobald das Flugzeug am Flughafen eingetroffen
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Die Anderen
by Frauke Feind
war, damit die CSI-Ermittler das Spurensicherungsteam vom FBI unterstützen konnten. In
einem Passagierflugzeug gab es derart viele Spuren zu sichern, dass das FBI für die Hilfe der
Ermittler aus Vegas durchaus dankbar war. Catherine Willows war gerade dabei, das Cockpit
auf Fingerabdrücke zu untersuchen, immer unter den wachsamen Auge von Jayden Stewart,
dem Flugsicherheitsingenieur der Qantas. Man hatte ihnen gesagt, Stewart würde ihnen zur
Seite gestellt, um eventuelle technische Rückfragen der Ermittler zu beantworten. Inzwischen
hatten die CSI-Beamten allerdings eher den Eindruck, dass der Ingenieur da war, um zu verhindern, dass sie bei der Spurensuche das teure Flugzeug allzu sehr demolierten. „Was
machen Sie denn da?“, fragte Stewart gerade alarmiert, als Catherine anfing, den Deckel des
GPS Gerätes abzuschrauben und die Innenseite des Gerätes mit Fingerabdruckpulver einzustäuben. „Meinen Job, Mister Stewart. Das Flugzeug tauchte nach der Entführung nicht mehr
auf dem Radar auf, also muss einer der Entführer das GPS manipuliert haben. Vielleicht hat
er Spuren hinterlassen. Und es ist mir offen gestanden völlig egal, ob und wie ihre Leute das
Puder von den Geräten wieder abkriegen werden. Alles, was mich interessiert, sind meine
Leute und die anderen Entführten.“ Der Ingenieur sah aus, als wollte er etwas erwidern, besann sich dann aber etwas besserem.
Greg Sanders war gerade dabei die Abdeckungen von den Lüftungsschächten zu entfernen, um darunter Fingerabdrücke nehmen zu können, als zwei weitere Wissenschaftler das
Flugzeug betraten. Camille Saroyan vom Jeffersonian Institut hatte es geschafft, das FBI
davon zu überzeugen, dass die Spezialisten in ihrem Institut den Ermittlern bei der Untersuchung der Maschine eine wertvolle Hilfe sein könnten. Da Dr. Brennan und ihre Kollegen
das FBI in der Vergangenheit schon oft unterstützt hatten, hatte Skinner schließlich erlaubt,
dass das Team vom Jeffersonian bei der Untersuchung des Flugzeuges assistiert. „Langsam
wird es voll hier.“, kommentierte Greg und sah von den Neuankömmlingen zu seinen
Kollegen und dem Spurensicherungsteam vom FBI. „Sie müssen die Leute vom Jeffersonian
sein. Ich bin Greg Sanders, CSI.“ Greg streckte dem älteren der beiden Männer die Hand entgegen. „Jack Hodgins. Spezialist für Käfer und Schleim des Jeffersonian. Aber zur Not analysiere ich auch Erdproben.“, stellte dieser sich vor. „Und das ist mein Kollege, Dr. Zack
Addy. Er ist forensischer Anthropologe und wird die Aufnahmen der Überwachungskameras
noch mal genau unter die Lupe nehmen.“ „Schleim und Käfer. Klingt interessant. Ich mache
hauptsächlich DNA Analysen. Ihr Kollege spricht am besten Mal mit jemandem vom FBI.
Die können sicher veranlassen, dass Sie Kopien von den Überwachungsbändern bekommen.
Draußen warten zwei FBI Agents und noch zwei Leute von einer anderen Behörde. NC...
irgendwas. Die sind sauer, dass sie nicht ins Flugzeug dürfen bis wir hier fertig sind.
Wahrscheinlich freuen die sich, wenn sie etwas zu tun kriegen.“
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Die Anderen
by Frauke Feind
„Ich bezweifle, dass FBI Agenten Wut empfinden, weil sie warten müssen, bis die
Spurensicherung ihre Arbeit gemacht hat. Sie werden sicher einsehen, dass die vorgegebene
Arbeitsreihenfolge sinnvoll ist.“, kommentierte der stets logisch denkende Zack Addy. Völlig
verwirrt von Zacks Art sah Greg hilfesuchend Hodgins an. „Er ist immer so. Man gewöhnt
sich dran.“, erklärte der Entomologe lapidar. „Wie bin ich immer?“, fragte Zack, jetzt auch
sichtlich verwirrt. „Du, mein Freund, bist genau der richtige Mann, um aufgebrachten FBI
Agenten die Langeweile zu vertreiben.“, erklärte Hodgins dem verwirrten jungen Mann. „Du
meinst, ich soll einfach da raus gehen und sie ansprechen?“, fragte Zack unsicher. „Ja, Zack.
Das ist es, was Menschen in unserer Kultur zu tun pflegen. Sie gehen auf fremde Menschen
zu, strecken ihnen die Hand entgegen, stellen sich vor und sagen, was sie wollen.“, erklärte
Jack in ironischem Ton. „Oh. In Ordnung. Das kann ich tun.“, antwortete Zack und verließ
unsicher das Flugzeug.
Draußen sah Zack eine Gruppe von vier Personen stehen, drei Männer und eine Frau. Okay. Auf sie zugehen, die Hand ausstrecken, mich vorstellen und sagen, was ich will. Das
kann ich. - Als Zack bei der Gruppe angekommen war, brachte er jedoch erst mal kein Wort
heraus. Er stand einen Moment einfach nur da, während die Agenten ihn erwartungsvoll ansahen. Schließlich kam ihm die Frau zur Hilfe und fragte freundlich: „Können wir Ihnen
helfen?“ „Ja. Ja, genau deswegen bin ich hier ... Ich bin Dr. Zack Addy ... Ich arbeite für das
Jeffersonian Institute. Für Dr. Brennan. Im Moment natürlich nicht, weil Dr. Brennan entführt
wurde. Jedenfalls bin ich mit meinem Kollegen hier. Er ist Entomologe, Mineraloge und
Botanikexperte, er ist für die Teilchenanalyse zuständig und beteiligt sich an der Untersuchung des Flugzeuges. Ich bin forensischer Anthropologe, wie Dr. Brennan. Und im Flugzeug gibt es keine Knochen. Was gut ist, denke ich. Aber entgegen der landläufigen Meinung
arbeiten forensische Anthropologen nicht nur mit Knochen, sondern auch mit Bildern. Wir
haben ein Programm, mit dem wir Personen auch dann identifizieren können, wenn sie gealtert sind oder plastische Operationen an ihnen durchgeführt wurden. Deswegen habe ich
mich gefragt, ob die Möglichkeit besteht, dass ich Kopien von den Überwachungsbändern
bekommen könnte. Dafür brauche ich aber die Genehmigung eines FBI Agenten. Mir wurde
gesagt, dass ich hier FBI Agenten finde.“
Die vier sahen den seltsamen jungen Mann einen Moment lang verwirrt an. Dann verlangte der älteste der Männer: „Können wir ihren Ausweis sehen?“ Zack nickte eilig und holte
einen Ausweis aus seiner Tasche hervor, den der Mann kritisch prüfte. „Der ist echt.“, verkündete er schließlich. Jetzt sprach die junge Frau Zack wieder an. „Mein Name ist Monica
Reyes, ich bin vom FBI. Das ist mein Partner John Doggett.“ Sie deutete auf den Mann, der
Zacks Ausweis überprüft hatte. „Und diese beiden Herren sind Anthony DiNozzo und
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Die Anderen
by Frauke Feind
Timothy McGee vom NCIS.“ Als sie Zacks verständnislosen Gesichtsausdruck bemerkte,
fügte sie erklärend hinzu. „Naval ...“ „... Criminal Investigative Service.“ Zack sah die junge
Frau etwas ungeduldig an. „Das ist mir absolut bekannt. Ich fragte mich nur, was der NCIS
hier macht.“ Monica erklärte ruhig: „Drei der verschwundenen Agenten gehören zum NCIS,
deswegen sind ihre Kollegen an den Ermittlungen beteiligt. Wir können im Moment ohnehin
noch nicht ins Flugzeug, also können wir uns auch gleich die Überwachungsbänder ansehen,
wenn Sie möchten.“ Zack nickte erleichtert. Doggett entschloss sich, lieber beim Flugzeug
darauf zu warten, dass die Spurensicherung ihre Arbeit abschloss, also ging Monica allein mit
Zack los. „Sie arbeiteten wohl nicht oft außerhalb des Labors, oder?“, fragte Monica unterwegs. „Wie kommen Sie darauf?“, fragte Zack überrascht zurück.
Monica schmunzelte. „Nur so eine Vermutung.“ „Ihre Vermutung ist korrekt.
Normalerweise verlasse ich das Jeffersonian nur in Begleitung Dr. Brennans und Agent
Booth’. Dr. Brennan ist meine Mentorin und Agent Booth ist die Verbindung zwischen uns
und den Menschen.“, erklärte Zack analytisch. Monica lächelte amüsiert und mitfühlend. „Sie
fehlen Ihnen. Ich kann Sie gut verstehen. Agent Booth kenne ich leider nicht persönlich, aber
ich kenne Agent Scully und Agent Mulder gut. Sie fehlen mir auch.“ Zack taute angesichts
der Freundlichkeit der Agentin langsam etwas auf. „Warum sind Sie hier? Es ist bereits ein
Spurensicherungsteam des FBI und des CSI im Flugzeug.“ „Und ich bin sicher, sie leisten
sehr gute Arbeit. Aber ich würde gerne einen anderen Ansatz versuchen. Ich möchte sehen, ob
ich im Flugzeug etwas spüre. Schwingungen.“, erklärte Monica freundlich. „Schwingungen?
Sie meinen Schall? Das verstehe ich nicht. Das menschliche Gehör ist nicht in der Lage
Schallwellen aufzunehmen, die zu leise waren, um von den Tonbändern aufgezeichnet zu
werden. Und selbst wenn das möglich wäre, könnten Sie keine Schwingungen mehr aufnehmen, weil die Passagiere das Flugzeug bereits verlassen haben.“
Monica lächelte. „Ich meine eine andere Art von Schwingungen, Dr. Addy. Ich spüre
die Energien von Menschen an Orten, an denen sie sich aufgehalten haben.“ „Aber das ist
vollkommen unmöglich. Wenn Menschen einen Ort verlassen haben, bleiben von ihnen nur
Fingerabdrücke und DNA Spuren dort. Und das kann man nicht spüren.“ Zack war sichtlich
verwirrt. Monica lächelte immer noch freundlich. Sie war skeptische Reaktionen gewöhnt.
„Es gibt eine Menge Dinge, die sich nicht wissenschaftlich erklären lassen.“ Zack starrte sie
fassungslos an. „Nein, die gibt es empirisch gesehen nicht. Früher oder später lässt sich alles
wissenschaftlich erklären.“ Die Frau wurde Zack langsam unheimlich und er war froh, als sie
im Büro des Sicherheitsdienstes angekommen waren und Monica veranlasst hatte, dass er die
Kopien der Überwachungsbänder bekam. Zack entschuldigte sich hastig und nahm ein Taxi
zurück zum Hotel, wo er sich gleich an die Analyse der Bänder machte. Er hatte einen Laptop
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Die Anderen
by Frauke Feind
vom Institut dabei, auf dem sich alle notwendigen Programme befanden. Normalerweise wäre
er mit Hodgins zurückgefahren, da er selbst keinen Führerschein hatte. Aber diese FBI
Agentin irritierte ihn und er wollte sich lieber an seine Arbeit machen, als sich mit dieser
merkwürdigen Frau zusammen das Flugzeug anzusehen.
Als Monica zum Flugzeug zurückkehrte war die Spurensicherung fertig. Nur ein
junger Mann war noch im Flugzeug und sammelte anscheinend Proben von Erdresten auf
dem Fußboden der Maschine als die FBI und NCIS Agenten das Flugzeug betraten. „Wer
sind Sie? Was machen Sie hier noch?“, fragte Tony sofort ziemlich anmaßend. „Uns wurde
gesagt FBI und CSI wären hier fertig.“ „Ich gehöre nicht zum FBI oder CSI, Mr ...?“
„SPEZIAL AGENT Anthony DiNozzo, NCIS. Wir haben die Genehmigung das Flugzeug zu
untersuchen.“ Tony war genervt, dass sie solange hatten warten müssen und er hatte keine
Lust, sich von diesem Kerl weiter aufhalten zu lassen. Jack sah den arroganten Agenten an. Du willst mir überheblich kommen? Wenn ich das mal nicht besser kann... - „Nun, SPEZIAL
AGENT Anthony DiNozzo, ich bin DR. Jack Hodgins, Entomologe, Biologe und Teilchenanalytiker vom Jeffersonian Institut Washington. Mein Kollege und ich wurden vom FBI
hinzugezogen, weil wir Experten auf unseren Gebieten sind.“ Tony wandte sich an Monica
und Doggett. „Wussten Sie davon?“ „Selbstverständlich. Wir wussten, dass ein Team vom
Jeffersonian kommt, ja.“, erkläre Doggett grinsend. Tony wirkte verärgert, dass man es nicht
für nötig gehalten hatte, ihm diese Information zu geben. „Dann lassen Sie mal sehen, was Sie
können, DR. Hodgins.“, forderte Tony den jungen Mann heraus. Jack machte sich an die
Arbeit und nahm etliche Proben von Erd- und Pflanzenresten vom Flugzeugboden. Nach einer
Weile fand Jack tatsächlich in einem Lüftungsschacht etwas, was der Spurensicherung entweder entgangen war oder was diese nicht für wichtig gehalten hatte. „Ah, ein Hexarthrius
parryi.“, verkündete er aufgeregt und hielt mit einer Pinzette einen hässlichen, zirka acht
Zentimeter großen orange-braunen Käfer.
„Ein was?“, fragte Tony ungeduldig. „Ein Hexarthrius parryi.“, wiederholte Jack betont langsam. „Oder, damit selbst Sie es verstehen: Ein orangefarbener Hornkäfer. Ein Männchen.“ „Sie können an diesem Teil erkennen, ob es ein Männchen oder ein Weibchen ist?“
Jack sah Tony mit gespielter Verwirrung an. „Sie wollen mir ernsthaft erzählen, dass Sie ein
Männchen nicht von einem Weibchen unterscheiden können? Nun ja, wissen Sie, Spezial
Agent DiNozzo, das ist so. Bei Männchen und Weibchen fast jeder Spezies unterscheiden
sich die Genitalien deutlich. Sie werden das sicher schon bei der einen oder anderen Spezies
beobachtet haben. Bei unserer zum Beispiel. Zumindest gehe ich davon aus, dass Sie haben?“,
fragte Jack amüsiert. McGee und Doggett grinsten offen, während Monica vergeblich versuchte ein erheitertes Lächeln zu unterdrücken. „Selbstverständlich habe ich das.“, erklärte
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Die Anderen
by Frauke Feind
Tony entrüstet. „Aber bei unserer Spezies sind die relevanten Teile deutlich ... größer.“ „Es
kommt nicht auf die Größe an, mein Freund.“, erklärte Jack todernst. „Außer bei Hornkäfern.
Da sind die Weibchen nämlich nur halb so groß.“, fügte der Entomologe lachend hinzu.
„Sehr witzig.“, bemerkte Tony, nicht im Mindesten belustigt. „Sagen Sie uns lieber,
inwiefern uns dieser Käfer hilft, den Aufenthaltsort der vermissten Passagiere zu finden.“
Jetzt sah Jack nicht mehr humorvoll aus. „Ich fürchte gar nicht. Diese Käfer kommen in
Indonesien und Malaysia vor. Der Käfer könnte also von Borneo stammen, wo das Flugzeug
gefunden wurde. Das ist also für die Untersuchungen nicht sehr relevant, da wir ohnehin
wissen, dass die Maschine dort abgestellt wurde. Ich hoffe, dass ich noch andere Insekten
finde oder dass ich durch die Analyse der Erdproben vom Flugzeugboden Hinweise auf den
Ort erhalte, von dem die Entführer kommen.“ „Na großartig.“, seufzte Tony. „Für diese glorreiche Erkenntnis brauchen wir also einen Experten vom Jeffersonian.“ Genervt holte Tony
eine Kamera aus seiner Tasche, und begann, Fotos vom Passagierraum zu machen. McGee
war bereits dabei, das Cockpit zu fotografieren. Derweil ging Monica mit einem hoch
konzentrierten Gesichtsausdruck im Flugzeug umher und berührte hier und da einen Gegenstand. „In diesem Flugzeug ist niemand gestorben, das würde ich spüren.“, erklärte sie
Doggett. Doggett erwiderte nichts und er war froh, dass seine Partnerin keine Antwort zu erwarten schien. Auch nach langjähriger Zusammenarbeit wusste er nicht, was er von Monicas
Ahnungen und ihren seltsamen Ideen halten sollte. Er wusste nur, dass sie mit ihren Methoden
zum Teil erstaunliche Ergebnisse erzielte. Also ließ er Monica einfach weiter machen mit was
auch immer sie da gerade tat und ging zurück zu Jack, um dem Wissenschaftler ein wenig
über die Schulter zu sehen.
„Spionieren Sie mich aus?“, fragte Jack misstrauisch. „Ich beobachte Sie, das ist
alles.“, antwortete Doggett schlicht. „Das Flugzeug ist ein Tatort. Wir können Zivilisten hier
nicht unbeaufsichtigt lassen.“ „Das ist mal wieder typisch. Sie beobachten jeden Schritt den
ich mache, aber das FBI behält alle seine Geheimnisse für sich. Und sehr weit gekommen seid
ihr mit euren Beobachtungen auch nicht gerade.“ „Welche Geheimnisse?“, fragte Doggett
überrascht und kühl. „Welche Geheimnisse? Oh man, wo soll ich da anfangen. Wer wirklich
hinter Kennedys Ermordung steckt. Was Sie mit den Aliens aus Roswell gemacht haben.
Welche Rolle hat J. Edgar Hoover bei der Ermordung von Martin Luther King gespielt? Und
warum halten Sie ihre Erkenntnisse in Bezug auf die entführten Passagiere zurück?“ Doggett
sah den Wissenschaftler verblüfft an. „Sie würden sich ausgezeichnet mit Agent Mulder verstehen. Hören Sie, ich habe keine Ahnung, ob es bei der Ermordung von Kennedy und Martin
Luther King Hintermänner gab. Es gibt keine Aliens. Und ich wünschte, ich hätte
Informationen über die Entführung, die ich Ihnen verschweigen könnte. Aber die habe ich
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Die Anderen
by Frauke Feind
nicht. Also, machen Sie lieber ihre Arbeit, als mich auszufragen, vielleicht finden Sie ja etwas
heraus.“ Jack sah Doggett einen Moment lang misstrauisch an, kam dann aber zu dem
Schluss, dass er ihm glauben konnte. Der Mann hatte wirklich keine Ahnung von den Verschwörungen, von denen er täglich umgeben war. Der Wissenschaftler und die Agenten beendeten ihre Arbeit überwiegend schweigend und machten sich wieder auf den Weg nach
Washington.
*****
„Das gibt es doch nicht.“, schimpfte Warrick frustriert. „Wir haben Hunderte von
Fingerabdrücken gefunden und keiner taucht in irgendeiner Datenbank auf. Die meisten
lassen sich zu den wieder aufgetauchten Passagieren, den Abdrücken der Agenten aus den
Akten und zum Reinigung- und Wartungspersonal zurückverfolgen. Es gibt nicht ein paar
Abdrücke, die sich nicht identifizieren lassen. Keiner davon ist zu im Zusammenhang mit
einem ungeklärten Verbrechen aufgetaucht. Wir stehen wieder am Anfang.“ Catherine
seufzte. Sie fühlte sich wütend und hilflos, weil ihr nichts mehr einfiel, was sie noch tun
könnte, um ihren vermissten Kollegen zu helfen. „Entweder sind die Entführer von Gil, Sara
und den anderen noch nie auffällig geworden, oder sie waren so sorgfältig, dass sie wirklich
alle Fingerabdrücke abgewischt haben.“
FBI und NCIS waren zu den gleichen Ergebnissen gekommen, hatten aber eine zusätzliche Informationsquelle, an die das CSI nicht heran kam: militärische Datenbanken. Beim
Abgleich mit allen Militärakten der letzen dreißig Jahre hatten sie tatsächlich einen Treffer
erzielt. Einige der Abdrücke gehörten zu einem Mann, der vor Jahren für einige Zeit beim
Militär gedient hatte und kurz danach wie vom Erdboden verschwunden war, ein gewisser
Martin Donaldson. McGee und Tony saßen zusammen mit Monica und Doggett in einem FBI
Konferenzraum und besprachen die neuen Erkenntnisse. „Das bringt uns überhaupt nichts.“,
stellte Tony frustriert fest. „Wir wussten doch schon, dass sechs der verschwundenen
Passagiere falsche Identitäten haben. Er ist eben einer davon. Seine Eltern und seine Schulfreunde haben seit zwanzig Jahren nichts mehr von Donaldson gehört. Seine Vorgesetzten
von damals erinnern sich nicht mal an ihn. Keiner der Personen, die ihn damals kannten, hat
in den Tagen nach unserem Besuch ungewöhnliche Telefongespräche geführt, wir haben uns
einen Einzelverbindungsnachweis von allen Gesprächen schicken lassen, die sie geführt
haben. Kein Hinweis darauf, dass irgendjemand seinen aktuellen Aufenthaltsort kennt. Das ist
eine Sackgasse, mal wieder.“
*****
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Die Anderen
by Frauke Feind
„Bitte sag mir, dass du irgendetwas gefunden hast, dass uns hilft, Tempe und Booth zu
finden.“, bat Angela Montenegro ihren Kollegen und Verlobten Jack Hodgins verzweifelt.
„Zacks Analyse der Überwachungsbänder hat überhaupt nichts ergeben, also sage mir, dass
wenigstens du etwas hast.“ Angela stand Bones sehr nahe und die Ungewissheit darüber, was
mit ihrer Freundin passiert war, machte sie fast verrückt. Jack sah seine Verlobte resigniert
an. „Ich wünschte, ich könnte dir sagen, was du hören willst, Baby. Aber alles, was ich gefunden habe, hilft uns keinen Schritt weiter. Alle Erd- und Pflanzenproben, die ich analysiert
habe, stammen aus Australien oder Indonesien. Also von dort, wo das Flugzeug gestartet ist
und vom Fundort.“ „Das kann doch nicht wahr sein. Wer zieht eine Flugzeugentführung
durch und hinterlässt dabei keinerlei Spuren?“, fragte Angela fassungslos. „Profis. Die
müssen diese Aktion sehr, sehr lange minutiös geplant haben.“, stellte Jack fest. „Aber es
muss doch etwas geben können, das wir tun können.“ Angela war den Tränen nahe. Jack
nahm seine Verlobte in den Arm. „Ich wünschte, es gäbe etwas.“
Schlechte Verlierer
Der Utopist sieht das Paradies, der Realist das Paradies plus Schlange.
Friedrich Hebbel
Jake brüllte panisch auf. „NEIN!“ Mit Entsetzen geweiteten Augen sah er, wie Heather
vor der Schlange zurück wich und mit einem gellenden Schrei abrutschte. Sprachloses Entsetzen herrschte im Kerker. Alle hatte schon vorher mit Schrecken gesehen, wie Kate verletzt
worden war. Sawyer hatte Tränen in den Augen, als er zusehen musste, wie Kate sich weiter
quälte. Dann waren die vier wieder aus dem Sichtbereich der Kamera verschwunden. Kates
Verletzung hatte den Jubel über die zwei ausgeschalteten Verfolger deutlich gedämpft. Als
dann die Kamera an der Brücke die Vier kurz darauf wieder erfasst hatte, schauten die Zelleninsassen gebannt auf die Bildschirme. Und dann beobachteten sie das Unfassbare. „Heather.“
Jake schluchzte entsetzt auf. Er sank auf die Knie und schlug die Hände zitternd vor sein Gesicht. Dana liefen ebenfalls Tränen über die Wangen. Sie ging neben Jake auf die Knie und zog
den jungen Mann an sich.
*****
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Die Anderen
by Frauke Feind
„Heather.“ Gibbs brüllte vor Entsetzen auf. Die Schlange brachte sich schnellstens in
Sicherheit und Gibbs warf sich am Rande der Schlucht auf den Bauch. Kate liefen Tränen über
das blasse Gesicht und Gil war auf die Knie gesunken und schluchzte. Und dann zuckte er wie
elektrisiert zusammen. „Helft mir.“ Die völlig hysterische Stimme Heathers drang an seine
Ohren. „Heather!“ Auch Kate hatte den Schrei gehört. Ohne auf ihr verletztes Bein zu achten
warf sie sich neben Gibbs auf den Bauch und schob sich vorsichtig vor. Dann konnte sie über
den Rand blicken. Keine zwei Meter unter ihnen hing Heather, heftig schluchzend und krallte
sich panisch an einigen Wurzeln fest. Lange würde das jedoch nicht gut gehen, alles war nass
und glitschig. Kate rappelte sich auf, stürzte zu den Rucksäcken und riss zwei elastische
Binden heraus. So schnell wie möglich wickelte sie diese auf, drehte sie notdürftig etwas zusammen und machte am Ende eine feste Schlinge. Dann humpelte sie so schnell es ging zu
Gibbs zurück. „Hier.“ Sie drückte diesem das notdürftige Seil in die Hand, dann griff sie nach
Bogen und Köcher und sicherte sie vorsichtshalber nach hinten ab. Gibbs ließ die Binden zu
Heather hinunter und schrie zu der hysterisch schluchzenden Frau hinunter: „Du musst danach
greifen, Heather, anders hast du keine Chance. Du schaffst das.“ Heather schrie entsetzt auf.
„Nein. Niemals.“ Gibbs stöhnte verzweifelt. „HEATHER! Wenn du nicht danach greifst, bist
du verloren. MACH SCHON!“ Rücksichtslos brüllte er die vollkommen verängstigte junge
Frau an. Und es wirkte. Zitternd löste sie eine Hand von den Wurzeln und versuchte, die Binde
zu fassen zu bekommen. Beim zweiten Versuch erst gelang es. Wimmernd löste sie nun auch
die zweite Hand und schrie gellend auf vor Schreck, als die Binde ein Stück nachgab. Dann
aber hing sie sicher an dem behelfsmäßigen Seil.
Gibbs keuchte vor Anstrengung, als er langsam anfing, Hand über Hand, Heather hoch
zu ziehen. Gil rappelte sich auf und taumelte zu Gibbs hinüber. Gemeinsam zogen sie schließlich die junge Frau hoch, bis sie neben ihnen auf dem Boden lag. Immer noch schluchzte
Heather verzweifelt. „Mein Auge. Ich habe etwas von dem Gift ins Auge bekommen.“
„Scheiße.“ Gil eilte, so schnell er konnte, zu den Rucksäcken und schleppte beide zu Heather
hinüber. Er zog die Wasserflaschen aus den Rucksäcken und sagte energisch: „Halt still, ich
muss das Auge spülen.“ Heather lag still, während Gil nach und nach fünf Liter Wasser über
das Auge laufen ließ. Zwischendurch ließ er Heather immer wieder blinzeln. Gibbs konnte hier
nicht helfen und so wandte er sich Kate zu. „Wie geht es dir, Mädchen? Alles klar?“ Er warf
einen Blick auf die tiefe Wunde an Kates Bein. „Ein ... Verband wäre nicht schlecht.“, knirsche
die junge Frau gepresst. Gibbs nickte. Er ging zu Heather hinüber und nahm die beiden
Binden. Er wickelte sie wieder auf und suchte in den Rucksäcken nach einem sauberen Verbandmullpäckchen. Damit kehrte er zu Kate zurück und verband dieser endlich die Wunde.
Erleichtert atmete Kate auf. „Danke, Gibbs.“ Sie sah zu Gil und Heather hinüber. „Wie sieht es
aus? Wir müssten eigentlich weiter.“ Gil sah auf. „Es geht, ist nicht so schlimm geworden. Sie
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Die Anderen
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hat nur wenige Tropfen ins Auge bekommen. Ich werde das Auge still legen, dann können wir
weiter.“ Er nahm eine weitere Binde aus dem Rucksack und sagte frustriert: „Das war es dann
auch ...“ Mit ein wenig Verbandmull übte er Druck auf das Auge aus und legte um den Kopf
herum einen Verband an. „So, dass sollte reichen.“ „Gut, lass uns aufbrechen. Ihr sehr zu, dass
ihr rüber kommt, ich gebe euch Deckung.“ Gibbs klang nicht, als würde er sich auf Diskussionen einlassen, daher machten Kate, Gil und Heather sich auf den Weg, über die Brücke
hinweg. Als sie unbeschadet drüben angekommen waren, nahm Kate den Bogen in die Hand
und legte einen Pfeil an. Sie rief Gibbs zu: „Alles klar, sieh zu, dass du kommst.“ Gibbs rannte
los.
*****
Jake lag schluchzend in Danas Armen. Er weinte, dass es ihn schüttelte. Eine Zelle
weiter weinte Allison ebenfalls entsetzt. Sie hatte das Gesicht bei Sawyer an der Brust liegen
und schluchzte hoffnungslos vor sich hin. Plötzlich schrie Bones aufgeregt: „Sie lebt. Jake. Sie
ist nicht abgestürzt. Sieh doch. Sie lebt.“ Jake zuckte zusammen. „Was?“ „Sieh doch hin. Sie
ist nicht abgestürzt.“ Bones klammerte sich aufgeregt an Mulder, der neben ihr am Gitter stand
und ebenfalls wie hypnotisiert auf den Bildschirm starrte. „Tempe hat Recht, Jake. Komm
schon, schau selbst. Gibbs scheint sie gerade rauf zu ziehen.“ Jake rappelte sich auf und starrte
mit leeren Augen auf den Bildschirm. Und fuhr wie elektrisiert hoch. Er sah Gibbs und Gil am
Abgrund liegen und zwei Minuten später hatten sie Heather neben sich. Der aufbrausende
Jubel verstummt genau so schnell, wie er erklungen war, als sie sahen, dass scheinbar etwas
nicht stimmte. Die Kamera war so weit weg angebracht, dass sie kaum etwas verstanden, das
eingebaute Mikro reichte von der Stärke her nicht. Aber anscheinend hatte Heather Schlangengift ins Auge bekommen. „Wird sie blind?“, fragte Ziva erschrocken. House zuckte die
Schultern. „Ich habe keine Ahnung, ich bin kein Schlangenexperte.“ Auch Dana und Allison
wussten auf die Frage keine sichere Antwort. Ausgerechnet Sara hatte ein paar beruhigende
Worte für Jake. „Jake, nein, Speikobragift führt nur sehr, sehr selten zu einer Erblindung.
Dafür müsste sie eine vollständige Ladung abbekommen haben und keine Möglichkeiten, das
Gift auszuspülen. Und Gil hat fünf Liter zum Spülen gehabt. Da, sieh selbst, sie steht schon
wieder, das Auge wird ein paar Tage schmerzen und dann ist das vergessen.“
*****
Keuchend erreichte Gibbs die andere Seite der Schlucht. Ohne sich noch aufzuhalten,
machten die Vier sich wieder auf den Weg. „Ob es noch weit ist?“, fragte Gil mit zitternder
Stimme. Er hatte das unangenehme Gefühl, jeden Moment zusammen zu brechen. „Was weiß
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Die Anderen
by Frauke Feind
ich.“ Gibbs sah immer wieder besorgt zu Kate hinüber. Die junge Frau war am Ende. Sie
wankte hinter ihnen her und wimmerte ab und zu leise auf vor Schmerzen. Vor ihren Augen
tanzten rote Kreise. Wären sie angegriffen worden, Kate hätte keine Chance mehr gehabt. Und
dann passierte es. Mit einem leisen Seufzen sank die junge Frau auf die Knie und dann weiter
zu Boden. Still blieb sie liegen. Hastig eilten die anderen zu ihr. „Sie ist am Ende.“ Gibbs
schüttelte den Kopf. „Sie wird so schnell nicht wieder aufwachen und wir müssen weiter.“
Ohne noch zu Zögern bückte Gibbs sich, zog Kate hoch und schulterte sie. Dann ging es
weiter. Sie schleppten sich durch den Regen, Gil wurde von Heather gestützt, er konnte kaum
noch einen Fuß vor den anderen setzen. Die Rucksäcke hatten sie zurück gelassen, sie hofften,
das Ziel heute noch zu erreichen. Von ihren Verfolgern war glücklicherweise nichts zu sehen.
Jetzt wären sie chancenlos gewesen. Meter um Meter, Stunde um Stunde, wankten sie vorwärts
und plötzlich traten sie auf einen Lichtung hinaus. Gibbs sah als erster, dass unter den Bäumen
am Rande der Lichtung ein großer Dodge Van stand. Völlig erledigt sank er auf die Knie.
Auch Gil brach jetzt zusammen. Er hatte das Limit erreicht. Heather stand keuchend und
zitternd da und starrte aus dem unverletzten Auge den Männern entgegen, die auf sie zukamen.
*****
Sawyer beobachtete verkrampft, wie Gibbs und Gil Heather aus der Schlucht zogen.
Bebend verfolgte er dann, wie Kate zusammen mit Gil und Heather über die Brücke hastete.
Gibbs schließlich hatte unter der Deckung Kates ebenfalls unbeschadet die andere Seite erreicht. Ohne Pause waren die vier Flüchtigen weiter gehastet. Sie hatten keine Rucksäcke mehr
dabei, nur die Waffen. Offensichtlich wollten sie sich mit nichts anderem mehr belasten. Die
nächsten Aufnahmen, die sie zu Gesicht bekamen, waren immer nur flüchtige Einrücke, da die
Fliehenden sich nicht mehr aufhielten. Schließlich sah Sawyer mit angstgeweiteten Augen, wie
Kate zusammen brach. „Gott, Freckles ...Was ist denn mit ihr? Die Verletzung sah doch gar
nicht so schlimm aus.“ Stumme Tränen liefen ihm über die Wangen. „Es ist wahrscheinlich nur
die Erschöpfung. Anstrengung und Angst in Verbindung mit Schmerzen und Blutverlust kann
schon mal eine Ohnmacht auslösen.“, redete Cameron beruhigend auf Sawyer ein. „Kate hat
eine gute Konstitution, sie erholt sich sicher schnell wieder.“, versuchte auch Dana aus der
Nachbarzelle zu trösten. „Wie soll sie sich denn bitte erholen, wenn sie von Killern durch den
Dschungel gehetzt wird?“, stieß Sawyer kläglich hervor. „Kate ist tough. Die steht im nächsten
Wimpernschlag wieder auf.“, erklärte Ziva mit deutlich sicherer klingender Stimme als sie
wirklich empfand. „Im nächsten Augenblick. Ansonsten hast du recht.“, stimmte Abby ihrer
Kollegin zu.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Dass unmittelbar nach diesen erschreckenden Bildern die Übertragung ganz abbrach,
machte das Ganze um ein vielfaches schlimmer. Als die Bildschirme plötzlich schwarz
wurden, redeten alle wild durcheinander. „Was soll das denn jetzt.“ „Hey, was ist nun los?“
„Das gibt es doch nicht, warum sehen wir nichts mehr?“ „Hey, euer System ist zusammen gebrochen.“ „Diese Leute wollen, dass wir spektakuläre Ereignisse mitbekommen, um uns zu
quälen. Da, wo wir nichts sehen können, wird nichts passieren. Angriffe werden erfolgen,
wenn wir zusehen können. Es ist also ein gutes Zeichen, wenn wir die Gruppe nicht sehen
können.“, versuchte Mulder schließlich sich selbst und die anderen zu überzeugen.
„Offensichtlich haben unsere Leute es geschafft, die Verfolger abzuschütteln. Sie werden sich
irgendwo ausruhen, um zu Kräften zu kommen. Gibbs und Kate scheinen der Situation durchaus gewachsen zu sein.“ Er erhielt keine Antwort. Verstummt und geschockt sahen alle zu den
schwarzen Bildschirmen hoch. Doch so sehr alle auch in den nächsten Stunden auf die Silberwände starrten, es zeigten sich keine Bilder mehr. Hoffnungslos hockten die Gefangenen in
den Zellen und stierten deprimiert vor sich hin. Gesprochen wurde kaum, obwohl nach wie vor
das grüne Licht leuchtete. Je mehr Zeit ohne Neuigkeiten von den Freunden draußen im
Dschungel verging, desto hoffnungsloser wurde die Stimmung im Kerker. Seit Stunden hatte
keiner mehr etwas gesagt. Alle zuckten erschrocken zusammen, als plötzlich Sara laut hervor
stieß: „Warum zeigen die uns nur nichts mehr? Warum lassen die uns hier im Unwissen
zappeln? Ich halte das nicht mehr aus.“ „Offenbar ist es unserer Gruppe gelungen, aus deren
Blickfeld zu verschwinden, das kann nur gut sein.“, versuchte Mulder Zuversicht zu verbreiten.
„Das glaubst du selbst nicht, oder? Wahrscheinlicher ist, dass sie nicht mehr am Leben sind.“
Hoffnungslos klang Jakes Stimme. Und dann tönte nach endlosen, immer verzweifelteren
Stunden, in denen bei allen Gefangenen die Nerven blank lagen, plötzlich die Durchsage: „4, 7
und 10.“, aus dem Lautsprecher.
*****
Zwei Wachen traten an Gibbs heran, einer nahm ihm wenig rücksichtsvoll Kate von
den Schultern und trug die junge Frau zum Van, der andere zog Gibbs auf die Füße und stieß
ihn ebenfalls in Richtung des Wagens. Heather half Gil, die letzten Schritte zu schaffen. Im
Auto jedoch war es mit Gil dann auch endgültig vorbei. Er sank in sich zusammen und merkte
nichts mehr. Gibbs und Heather hockten nebeneinander am Fahrzeugboden, Gibbs hatte einen
Arm um die Schultern der jungen Frau gelegt und so hockten sie da, erschöpft, fertig, am Ende.
Schließlich ließ er sich nach hinten sinken und zog Heather einfach mit sich. Kaum lagen sie
am Boden des Wagens, waren beide schon in einen tiefen Schlaf der völligen Erschöpfung
gefallen. Sie wachten auf, als sie rücksichtslos an den Schultern gepackt und geschüttelt
wurden. „Los, hoch mit euch.“, wurden sie angefahren. Mühsam rappelte Gibbs sich auf die
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Die Anderen
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Beine und half Heather ebenfalls hoch. Gil war wieder bei Besinnung, wie die Beiden feststellten, Kate nicht, oder nicht mehr, falls sie zwischendurch aufgewacht war. Gil kam mit
Hilfe zweier Wachen, die ihn wenig vorsichtig auf die Füße zogen, ebenfalls hoch. Gibbs sah,
dass einer der Wachleute nach Kate greifen wollte, und bückte sich schnell. Sanft nahm er Kate
auf die Arme und hob sie hoch. Er stieg mit der jungen Frau aus dem Wagen und folgte den
Wachen zu einer Fahrstuhltür direkt vor ihnen. Flüchtig sah er sich um, aber sie waren in einer
absolut nichts sagenden Tiefgarage. Hier gab es nichts zu sehen.
Mit dem Fahrstuhl ging es sechs Etagen nach oben. Dann öffneten sich die Türen und
die Vier wurden einen Flur entlang dirigiert, bis sie Befehl erhielten, anzuhalten. Eine Tür
öffnete sich und sie wurden in den dahinter liegenden Raum beordert. In dem Raum, ganz
offensichtlich ein ärztlicher Untersuchungsraum, standen drei Liegen. Gibbs legte Kate erleichtert auf eine der Liegen ab und half dann Gil, sich auf eine zweite Liege zu legen. Heather
ließ sich seufzend auf die dritte Liege sinken. Ihr Auge brannte, als hätte ihr jemand Säure
hinein gekippt. Die junge Frau hatte unglaubliche Angst, das Augenlicht zu verlieren. Gibbs
sank vollkommen erschöpft an einer Wand zu Boden und es hätte nicht viel gefehlt, und er
wäre erneut vor Erschöpfung eingeschlafen. Die Augen fielen ihm zu. Allerdings fuhr er hoch,
als die Tür plötzlich aufsprang und mehrere Leute in den Raum eilten. Er glaubte zu träumen,
als House, Dana und Allison in den Raum stolperten. „Gibbs.“ Der NCIS Agent rappelte sich
auf. „Hey, ihr müsst euch um die drei kümmern, Gil und Kate hat es ziemlich erwischt und
Heather hat von einer Speikobra ...“ House unterbrach ihn. „Wissen wir alles.“ Vollkommen
verständnislos starrte Gibbs den Arzt an. „Wie, ihr wisst ...? Ach, die haben euch schon
informiert, klar.“, gab er sich selbst einen Antwort. „Nein, Gibbs, wir haben alles sehen
können.“, erklärte Dana sanft. „Die haben in dem verdammten Dschungel überall Kameras
angebracht, so konnten wir euch immer wieder sehen und hören.“ Gibbs konnte es nicht fassen.
„Großer Gott. Wie geht es Sawyer und Jake?“ „Furchtbar.“, erwiderte Allison kurz. Sie hatte
sich bereits über Heather gebeugt und die junge Frau herzlich umarmt. Jetzt wickelte sie den
provisorischen Verband ab.
Sie sah sich um und entdeckte tatsächlich eine Augenlampe. Sie untersuchte das verletzte Auge der jungen Frau gründlich, aber bis auf ein paar kleine Flecke auf der Hornhaut,
die sicher starke Schmerzen verursachten, konnte sie keine schweren Verätzungen entdecken.
„Du hast ein Wahnsinnsglück gehabt, Heather, das wird in ein paar Tagen völlig verheilt sein.“
Allison sah sich um und entdeckte eine antibiotische Augensalbe. Und eine Duschkabine, die
sie erst jetzt in einer Ecke des Raumes entdeckte. „Willst du schnell Duschen? Danach werde
ich das Auge mit Salbe behandeln und dann wieder still legen, dann wird das schnell verheilt
sein.“ Heather nickte. „Ja, und dann möchte ich nur noch schlafen. Wie geht es Jake?“
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Die Anderen
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Cameron biss sich auf die Lippe. Dann log sie: „Gut. Wir konnten euch über verschiedene
Kameras beobachten und haben gesehen, dass ...“ „Was? Ihr konntet uns sehen?“, fragte
Heather erschüttert. Ihr lief eine Gänsehaut über den Körper. Wenn sie gezwungen gewesen
wäre, Jake in einer solchen Situation zu beobachten ... Sie stieg schnell unter die Dusche,
spülte sich den Dreck vom Körper und stellte dann begeistert fest, dass es nur vier kleine
Handtücher gab, keine Badetücher. Sie seufzte frustriert und wickelte sich schließlich das
Handtuch, nass, wie es nach dem Abtrocknen nun einmal war, um die Hüfte. Ihr war langsam
schon vollkommen gleichgültig, dass sie immer wieder gezwungen waren, halb nackt oder
sogar ganz entblößt herum zu laufen. Zu verbergen gab es inzwischen ohnehin nichts mehr. So
kam sie mit freiem Oberkörper zu Allison zurück, legte sich auf die Liege und ließ sich dann
Salbe in das heftig brennende und tränende Auge drücken. Anschließend legte Cameron einen
festen Verband an. Dann überprüfte die Ärztin auch die kaum verkrustete Furche auf Heathers
rechter Schulter. Aber das war wirklich kaum mehr als ein schmerzhafter Kratzer. Sie reinigte
die Wunde fürsorglich und erklärte: „Sie blutet nicht, ich lasse sie ohne Verband, das heilt so
am besten.“ Heather nickte.
House hatte sich über Kate gebeugt und löste den Verband von der Wunde. Kate war
verdreckt und in ihren fast taillenlangen, völlig wirrten Haaren hingen kleine Äste und Matsch.
Sie musste ebenfalls erst einmal gründlich Duschen. Nur wachte die junge Frau nicht auf.
„Was sollen wir machen?“, fragte er genervt. „Wasch sie einfach.“, erkläre Dana kurz. Sie
hatte bei Gil ähnliche Probleme. In diesem Moment stöhnte Kate leise auf und schlug sofort
fahrig um sich. Sie keuchte erschrocken: „Lasst ... los ...“ House griff sich ihre Hände und hielt
diese fest. „Kate, es ist alles in Ordnung, du bist in Sicherheit. Ich bin es, dein Lieblingszellennachbar. Ich werde deine Wunde versorgen, okay. Wie fühlst du dich?“ Kate kam richtig zu
sich und erkannte, wo sie war. „Was ist ... Wie komme ich hier her? Wie geht es den anderen?
Wie geht es ... Sawyer?“ „Du bist zusammen gebrochen, kurz vor dem Ziel. Heather geht es
gut und um Gil kümmert Dana sich. Fühlst du dich im Stande, zu Duschen?“ Kate richtete sich
sehr vorsichtig auf. Sofort wurde ihr schwindelig und sie ächzte. „Geht’s?“ House stützte die
junge Frau besorgt. „Was ist mit Sawyer, bitte, wie geht es ihm?“, fragte Kate müde. Greg sah
ein, dass er sie erst beruhigen musste und erklärte todernst: „Es geht ihm gut, er macht sich
Sorgen um dich und lässt dich Grüßen. Je schneller du dir den ganzen Dreck abgespült hast, je
schneller kann ich dich verarzten und dann kannst du vielleicht zu ihm.“ Kate schwang langsam die Beine von der Liege und humpelte mit Gregs Hilfe zur Dusche hinüber. Zehn Minuten
später lag sie, wie Heather notdürftig in das kleine Handtuch gewickelt, wieder auf der Liege
und House reinigte die Wunde gründlich mit Ringerlösung. Kate wimmerte leise vor
Schmerzen. „Das wird die Proliferation fördern, dann ist das schnell verheilt.“, erklärte der
Arzt ruhig. Endlich war er fertig und legte einen festen Verband an. Erleichtert schloss Kate
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Die Anderen
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die Augen. „Danke.“, flüsterte sie leise. Dann öffnete sie die Augen wieder, grinste House
müde an und fragte: „Hey, Bones, was wird es fördern?“ House grinste zurück. „Das die
Wunde sich schließt.“
Eine Liege weiter kämpfte Dana damit, Gil zu reinigen, unterstützt von Allison, die bei
Heather fertig war. Gemeinsam gelang es den Ärztinnen, den besinnungslosen Mann einigermaßen sauber zu bekommen. Dann versorgte Dana die leicht entzündete Wunde mit
Octenisept, einer antibiotischen Lösung zur Reinigung entzündlicher Wunden und legte anschließend einen festen Verband an. Kaum war sie fertig, ging die Tür auf und Wachen kamen
herein. Die drei Ärzte wurden unfreundlich aufgefordert, den Wachen zu folgen und
kommentarlos ließen sie sich zum Kerker zurück bringen. Vor der Kerkertür wurde ihnen noch
nahe gelegt, kein einziges Wort darüber zu verlieren, dass sie die Vier hatten verarzten dürfen,
ansonsten würde es eine drastische Strafe nach sich ziehen. Alle drei betonten, dass sie kein
Wort verraten würden. Dann waren sie wieder in ihren Zellen und wurden sofort mit Fragen
bestürmt. Im Kerker waren die anderen Gefangenen jeweils wieder in ihre eigenen Zellen
zurück gebracht worden. Sawyer, Jake und Sara fragten sofort: „Habt ihr die Anderen gesehen?“ Unglücklich schüttelten die Ärzte die Köpfe. „Nein, wir mussten nur bei den drei toten
Schweinepriestern den Tod bestätigen.“, erklärte House ruhig. Es tat ihm unendlich leid, Jake,
Sara und besonders Sawyer nicht sagen zu können, dass es den anderen gut ging. Er sah die
Angst und pure Verzweiflung in den Augen der drei Leidensgenossen und biss sich auf die
Zunge, um zu verhindern, dass ihm unerlaubte Infos entschlüpften. Hoffnungslos sanken Jake
und Sawyer auf ihre Betten. Sara stand am Gitter und starrte zu House hinüber. Sie fragte leise:
„Was meinst du, ob sie schon in Sicherheit sind? Haben die denn gar nichts gesagt? Diese
Warterei macht einen ja verrückt.“
House wünschte sehnlichst, den Dreien irgendein Signal zukommen lassen zu können,
aber er riskierte es nicht. Ruhig erklärte er: „Nein, Sara, sie haben keinen Ton darüber verloren,
was mit den Vieren ist. Aber mach dir nicht zu viele Sorgen, wird schon alles gut gehen, da bin
ich sicher.“ Sara ließ den Kopf hängen. Wenn sie nur genau so überzeugt gewesen wäre. Sie
setzte sich ebenfalls auf das Bett und ließ den Kopf hängen. Sie wollte endlich wissen, was mit
Gil war, wollte wissen, ob es ihm soweit gut ging. Sawyer und Jake gingen ähnlich Gedanken
durch den Kopf. Diese Ungewissheit war entsetzlich. Wie viel Zeit war vergangen, seit sie die
letzten Bilder auf den Monitoren gesehen hatten? Zwei Stunden? Drei Stunden? Oder noch
mehr? Sawyer sah immer wieder Kate zusammen brechen. Er hätte sonst was dafür gegeben,
zu erfahren, wo sie war, wie es ihr ging, ob sie überhaupt noch lebte. Und genau so ging es
auch Jake. Schließlich hatte Sawyer das unangenehme Gefühl, jeden Moment los zu schreien.
Und genau da knackte der Lautsprecher und die Durchsage: „2 und 11.“ Von wilder Angst und
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Die Anderen
by Frauke Feind
Hoffnung gleichermaßen erfüllt, sprangen Jake und Sara auf und traten an die Zellentür.
Minuten später wurden sie gefesselt zum Fahrstuhl geführt. Sawyer war heftig zusammen gezuckt und hatte verzweifelt gewartet, dass seine Nummer ebenfalls aufgerufen wurde, genau
wie Abby und Ziva darauf gewartet hatten, dass eine von ihnen geholt wurde, um vielleicht
nach Gibbs zu sehen, aber nichts dergleichen geschah. Abby schüttelte verzweifelt den Kopf.
Und Sawyer sah den Beiden aus brennenden Augen hinterher.
*****
Kurz nachdem House, Dana und Allison wieder abgeholt worden waren, kamen
Wachen in das Untersuchungszimmer und brachten für Heather und Gil neue Kittel. Gil war
inzwischen auch zu sich gekommen. Verwirrt hatte er sich umgeschaut. Dana hatte ihm ruhig
erklärt, wo er war und hatte ihm zum Überleben gratuliert. Nachdem er und Heather die Kittel
über gestreift hatten, bekamen sie den Befehl: „Na los, Abmarsch.“ Langsam wankten sie den
Wachen hinterher und wurden schließlich auf zwei Räume auf dem Flur verteilt. Dieselben
Räume, in denen schon vor ihnen einige Mitgefangene sich hatten auskurieren dürfen. Gil sah
nur noch das Bett, wankte darauf zu und sank vollkommen erschöpft auf die angenehm weiche
Matratze. Er zog zitternd das Zudeck über sich und dann fielen ihm schon die Augen zu. Nicht
viel anders ging es zwei Räume weiter Heather. Sie hatte, außer dem zwingenden Wunsch,
Jake zu sehen und ihm zu sagen, dass alles okay war, nur noch den Wunsch, zu Schlafen.
Hundert Stunden, wenn das machbar war. Sie krabbelte steif und zerschlagen ins Bett. Ihr tat
so ziemlich alles weh, was an einem menschlichen Körper nur wehtun konnte. Jeder Muskel
schien überanstrengt, gezerrt und gereizt zu sein. Es fiel der jungen Frau schwer, vor
Schmerzen nicht leise zu Wimmern. Sie rollte sich ganz eng zusammen, zog die Zudecke über
sich und schluchzte dann auf. „Jake ... Bitte.“
*****
Die Wachen führten Sara über die kahlen Flure zu einer Tür. Diese öffnete sich und
Sara wurde, nachdem die Handfesseln gelöst worden waren, in das dahinter liegende Zimmer
gestoßen. „Geh schon.“ Dann schloss die Tür sich. Das Zimmer war recht geräumig und mit
einer Sitzecke, einem Doppelbett und einem kleinen Bad mit Dusche und Toilette ausgestattet.
Aber Sara nahm ihre Umgebung kaum war, sie sah nur Gil, der in dem großen Bett schlief. Sie
eilte zum Bett hinüber und setzte sich auf die Bettkante, strich Gil sanft durch Haar. Grissom
hatte noch nicht tief geschlafen, er wachte bei der zärtlichen Berührung seiner Freundin sofort
auf. Als er sah, wer ihn geweckt hatte, lächelte er müde. „Hey. Erinnere mich daran, dass ich
etwas für meine Kondition tue, wenn wir hier rauskommen.“ Sara erwiderte sein Lächeln un75
Die Anderen
by Frauke Feind
endlich erleichtert. „Das werde ich. Aber du hast dich gut gehalten.“ „Woher weißt du das?“,
fragte Gil überrascht. Saras Blick wurde wütend. „Diese Schweine haben uns zusehen lassen.
Nicht die ganze Zeit, aber sie haben uns immer mal wieder Bilder von ihrer verdammten Hetzjagd gezeigt. Ich weiß nicht, was schlimmer war: Zu sehen, wie sie euch verfolgt haben, wie
sie dich angeschossen haben, oder die Zeiten, in denen wir auf einen leeren Bildschirm gestarrt
haben.“
Gil setzte sich vorsichtig auf und nahm Sara in die Arme. Sara schlang die Arme um
Gils Hals. Einige Minuten hielten sie sich schweigend fest, dann löste Sara sich widerstrebend
aus Gils Umarmung und sah ihn besorgt an. „Wie geht es dir? Wie fühlst du dich?“ „Besser als
noch vor ein paar Stunden. Die Wunde ist versorgt und wird folgenlos verheilen. Es bin nur
völlig geschafft.“ „Hast du Schmerzen?“, fragte Sara mitfühlend. Gil war unwillkürlich einen
Blick auf den Verband an seinem Arm. „Ja, aber die sind schon erträglich. Die Schmerzen
haben schon deutlich nachgelassen, seit ich zurück bin.“ Sara atmete erleichtert auf. Trotz der
Gefahr, in der sie immer noch schwebten, war sie im Moment einfach nur glücklich, den
Mann, den sie liebte, wieder in die Arme schließen zu können. Sie zog Gil eng an sich und
küsste ihn. Weder Sara noch Gil waren besonders gut darin, über Gefühle zu reden, deswegen
hatten sie schnell gelernt, ihre Gefühle füreinander nonverbal auszudrücken. Sara legte ihre
ganze Liebe zu Gil, die Sorge, die sie in den letzten Tagen empfunden hatte und die Erleichterung, Gil wieder zu haben, in diesen einen, langen und leidenschaftlichen Kuss. „Bist du
wirklich sehr erschöpft?“, fragte Sara anschließend mit einem viel sagenden Lächeln. Gil
lächelte bedauernd. „Ziemlich. In meinem Alter steckt man tagelange Hetzjagden nicht mehr
so schnell weg.“ Sara erwiderte sein Lächeln. „Wir müssen wirklich was an deiner Kondition
machen, wenn wir hier raus sind. Aber jetzt solltest du erst mal schlafen. Vielleicht lassen die
uns ja etwas länger hier bleiben und dann wirst du deine Kräfte brauchen, sobald du aufwachst.“ Gil zog eine Augenbraue hoch und legte sich dann wieder im Bett zurück. Sara
schmiegte sich an ihn und genoss seine Wärme und den beruhigenden Klang seines rhythmisch
schlagenden Herzens.
*****
Durch die schon so heimelig wirkenden, kahlen Flure wurde Jake bis zu einer der
vielen Türen geführt. Kaum standen er und die beiden Wachposten, die ihn an den Oberarmen
gepackt fest hielten, vor der Zimmertür, sprang diese auch schon, elektronisch entriegelt, auf.
Die Fesseln wurden gelöst und Jake bekam einen kleinen Stoß in den Rücken und taumelte
vorwärts. Blitzschnell erfassten seine Augen den Raum. Das erste, was er dann sah, nachdem
er das Zimmer inspiziert hatte, war Heathers Gestalt in dem großen Bett. Er eilte zu ihr, und
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erschrak, als er den dicken Verband über ihrem Auge sah. „Schatz.“, stieß er besorgt hervor.
Heather wachte sofort auf, als sie den Klang der vertrauten Stimme hörte. Sie setzte sich auf
und fiel Jake um den Hals. Der junge Mann erwiderte die stürmische Umarmung überwältigt,
ließ Heather aber nach einem Moment wieder los. „Dein Auge…?“, fragte er besorgt. „ Ich
habe Schlangengift ins Auge bekommen.“ „Ich weiß, ich habe es gesehen.“, stieß Jake unglücklich hervor. „Allison sagte schon, dass ihr uns zeitweise sehen konntet. Mach dir keine
Sorgen.“, erklärte Heather hastig. „Im Moment sehe ich auf dem Auge noch sehr verschwommen, aber das gibt sich in ein paar Tagen wieder. Der Verband ist nur drauf, damit ich
das Auge schone.“ „Gott sei Dank. Ich dachte, ich hätte dich verloren. Als ich sah, wie du von
dieser Klippe gestürzt bist… Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde.“ Der junge Mann
zitterte. Das Heather Allison erwähnt hatte, registrierte er gar nicht.
„Wir konnten euch auf einer Leinwand sehen. Nicht die ganze Zeit natürlich,
zwischendurch haben wir immer wieder lange gar nichts gesehen. Sie haben uns immer wieder
Ausschnitte gezeigt, wenn ihr in der Nähe einer Kamera wart. Ich habe gesehen, wie du gefallen bist, aber nicht wie tief. Ich dachte…“ Jakes Stimme versagte und er schloss Heather fest
in die Arme. Heather Hände strichen sanft über Jakes Haare. „Es ist okay, es geht mir gut.“
Jake hielt Heather fest an sich gedrückt und streichelte zärtlich ihren nackten Rücken. Seine
sanften Berührungen ließen Heathers Herz schneller schlagen. Jake löste sich gerade weit
genug von ihr, um sie küssen zu können. Sehr zärtlich küsste er sie und war überrascht, als
Heather den Kuss nach einem Moment von sich aus sehr intensivierte. Jake brauchte jedoch
nicht lange, um seine Überraschung zu überwinden und den Kuss genauso leidenschaftlich zu
erwidern. „Wow, du lernst wohl alles sehr schnell.“, kommentierte er, nachdem er wieder zu
Atem gekommen war, lächelnd. Heather errötete, erwiderte aber Jakes Lächeln. Jake strich der
jungen Lehrerin eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr und streichelte sanft ihre Schultern und
ihren Nacken. „Du musst völlig erschöpft sein.“, stellte er schließlich fest. „Ich sollte dich
nicht länger vom Schlafen abhalten.“ Heather lächelte. „Ich bin fertig, aber nicht so sehr, dass
ich mit dem Schlafen nicht noch eine halbe Stunde warten könnte…“ „Meinst du was ich
denke, dass du meinst?“, fragte Jake hoffnungsvoll und grinste. Heather lächelte nervös. „Ich
weiß ja nicht, wie lange die uns hier drin bleiben lassen, also dachte ich, wir könnten mit der
Zeit etwas Besseres anfangen als schlafen.“ Das ließ Jake sich nicht zweimal sagen. Er küsste
Heather wieder und löste gleichzeitig das Band, das ihren Kittel zusammen hielt.
*****
Kate und Gibbs, der sich einfach auf eine der frei gewordenen Liegen ausgestreckt
hatte, fragten sich, womit sie es verdient hatten, hier im Untersuchungsraum bleiben zu
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müssen. „Was meinst du? Ob es daran liegt, dass wir einige von den Dreckskerlen gekillt
haben?“, fragte Kate angstvoll. Gibbs wollte der jungen Frau nicht noch zusätzlich Angst
machen, daher sagte er ruhig: „Das wäre ja gegen ihre eigenen Regeln, Kate. Was hätte es für
einen Sinn, die Regel selbst aufzustellen, wenn sie dann ...“ Kate unterbrach ihn. „Aber was hat
es denn sonst für einen Grund, uns hier hocken zu lassen. Ich will zu Sawyer. Ich will ihm
sagen, dass es mir gut geht, dass mir nichts passiert ist und dass ich es ...“ Jetzt war es Gibbs,
der Kate unterbrach. „Kate. Freckles. So nennt er dich doch, oder? Hör zu. Die haben im
Kerker unten alles gesehen. In dem verdammten Dschungel waren überall Kameras angebracht, das Beste haben unsere Freunde im Kerker live mit angesehen. Sawyer weiß, dass du
verletzt wurdest, er weiß, dass du zusammen gebrochen bist ... dann brach die Übertragung
ab.“ Gibbs schwieg und ließ die Worte bei Kate sacken. Dann sagte er leise: „Seit dem wissen
die wohl nicht mehr, was mit uns ist.“ „Oh, Gott. Gibbs, das muss grausam sein. Er wird verrückt vor Sorge und Angst sein, genau wie Jake und Sara.“ Kate kullerten Tränen über das
blasse Gesicht. Gibbs starrte frustriert zur Decke. Er dachte daran, was Abby wohl durchmachte. „Das werden sie alle. Ich hoffe, Greg, Dana und Allison dürfen von uns berichten.
Obwohl ich es irgendwie bezweifle.“
Irgendwann kamen Wachen in den Untersuchungsraum. Kate und Gibbs waren auf den
Liegen vor Erschöpfung eingeschlafen. Sie schreckten hoch, als die Tür aufging und vier
Wachen in den Raum kamen. „Hinsetzten.“, bekamen sie den Befehl. Hastig gehorchten Kate
und Gibbs und setzten sich auf. Die Wachen legten ihnen die Hand- und Fußgelenkringe sowie
den Halsreifen wieder an. Dann bekamen die Beiden den Befehl, die Hände auf den Rücken zu
legen. Beide beeilten sich, der Aufforderung nachzukommen. Die Hände wurden ihnen auf den
Rücken gefesselt und dann packte man die Beiden am Oberarm und führte sie aus dem Raum.
Das Kate stark humpelte, wurde von den Wachen ignoriert. Es ging in den Fahrstuhl und drei
Etage nach unten. Dort wurden sie in einen Raum geführt, der mehr als irgendetwas bisher
einem Folterkeller glich. An den Wänden waren Stahlhaken eingelassen, an denen man beliebig jemanden fesseln konnte. In der Raummitte waren mehrere Steinsäulen zu erkennen, an
denen man sicher ebenfalls sehr gut Gefangenen fixieren konnte. Kate wurde schlecht vor
Angst. Sie wurden an die Wand gedrängt und dort an Stahlhaken gefesselt. Dann ließen die
Wachen sie wortlos alleine. „Immer noch sicher, dass es nicht ist, weil wir die Kerle getötet
haben?“, fragte Kate mit zitternder Stimme. „Nein, da bin ich nicht mehr sicher.“, seufzte
Gibbs leise. „Was werden die mit uns machen?“, fragte Kate panisch. - Wenn sie weiter nach
den Regeln spielen wie bisher, mit uns wohl eher weniger. - dachte Gibbs voller Angst. „Keine
Ahnung, Kate, ich weiß es wirklich nicht. Lass uns das Beste hoffen.“, sagte er jedoch laut.
*****
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Im Kerker hofften die Gefangenen derweil verzweifelt, dass Sara und Jake zu ihren
Liebsten gebracht worden waren. Abby und Sawyer waren vollkommen verzweifelt. Abby
tigerte in ihrer Zelle auf und ab, Sawyer saß apathisch auf seinem Bett und starrte ins Leere. Er
sah vor seinem geistigen Auge wieder und wieder und wieder, wie Kate, von einem Pfeil
durchbohrt, tödlich getroffen zusammen brach und starb. Er stöhnte gequält auf und schlug die
Hände vor sein Gesicht. Das durfte nicht sein. Energisch schob er den Gedanken zur Seite.
Nur, um Minuten später bereits wieder das Gleiche zu sehen. Vollkommen entnervt fluchte er
auf. „Verdammter Mist, elender.“, und bereute seine unbedachten Worte im selben Moment
sehr, denn Mulder schrie überrascht und vor Schmerzen in seiner Zelle auf. Sawyer zuckte
unwillkürlich zusammen und wurde regelrecht kleiner. Bestürzt sah er zu Mulder hinüber und
hob entschuldigend die Hände. Mulder hatte sich allerdings schon wieder gefangen und zeigte
mit dem erhobenen Daumen an, dass alles in Ordnung war. - Mach dir keine Gedanken darum.
- signalisierte der erhobene Daumen. Er hatte den Daumen noch in der Luft, als die Kerkertür
auf ging und zeitgleich die Nummern: „3 und 14“, aufgerufen wurden. Sawyer sprang auf,
nicht wissend, ob er sich freuen oder in Panik geraten sollte. Einige Zellen weiter ging es Abby
nicht anders. Sie sah den Wachen mit großen Augen entgegen und trat dann an die Zellentür,
um sich fesseln zu lassen.
Die Zellentüren öffneten sich und Sawyer und Abby wurden gepackt und aus dem
Kerker geführt. Minuten später drückte man sie aus dem Fahrstuhl und führte sie einen Flur
entlang zu einer der vielen Türen, hinten denen im Allgemeinen nie sehr viel Gutes wartete.
Als die Tür sich öffnete, stieß man Abby und Sawyer unsanft in den dahinter liegenden Raum.
Die beiden trauten ihren Augen nicht. Kate und Gibbs standen dort, an die Wand gefesselt, und
starrten ihnen mit erschreckt aufgerissenen Augen entgegen. „Kate.“ „Sawyer.“ - Oh Gott,
Abby. - Gibbs biss sich auf die Lippe und Abby sah ihren Ersatzvater an und rief: „Gibbs, wie
geht es dir?“ Zu mehr kam sie nicht, denn schon wurde sie, wie neben ihr Sawyer, zu den
Steinsäulen gestoßen. Sawyer versuchte verzweifelt, Blickkontakt zu Kate herzustellen. Er
wollte wissen, wie es ihr ging, mehr nicht. Alles andere war ihm egal. Die Wachen dirigierten
ihn zwischen zwei der Säulen und dann wurde er herum gedreht, sodass er Kate anschauen
konnte. Seine Hände wurden gelöst, nur, um Sekunden später an Ketten befestigt zu werden,
die aus den Säulen kamen. Kate beobachtete entsetzt, wie mittels eines Zugmechanismus
innerhalb der Säule Sawyers Arme in die Höhe gezogen wurden, bis er fast den Boden unter
den Füßen verlor. Neben ihm wurde Abby in der gleichen Haltung fixiert. Sawyer konnte die
Laborantin vor Schmerz ächzen hören. Ihm ging es genau so, er musste sich ziemlich beherrschen, um nicht ebenfalls aufzukeuchen. Seine Augen waren starr auf Kate gerichtet und er
versuchte, zu ergründen, wie es ihr ging, körperlich. Abby neben ihm versuchte krampfhaft,
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sich zusammen zu reißen, um nicht zu Stöhnen. Sie warf Gibbs flehende Blicke zu und dieser
schüttelte verzweifelt den Kopf. - Was soll ich machen ... - dachte er verzweifelt.
Als die Wachen mit Sawyer und Abby fertig waren, verließen sie ohne ein Wort den
Raum und überließen die vier gefesselten Menschen sich selbst. Kaum hatten sie die Tür hinter
sich geschlossen, stieß Sawyer schon die für ihn so wichtige Frage hervor: „Kate. Wie geht es
dir? Was ist mit euch passiert, nachdem du zusammen gebrochen bist? Geht es dir gut?“ Kate
hatte eigentlich ähnliche Fragen auf der Zunge, konnte aber durchaus verstehen, dass Sawyer
erst einmal wissen wollte, wie es ihr ging, nachdem das letzte, was er gesehen hatte, ihr Zusammenbruch gewesen war. „Mach dir keine Sorgen um mich. Es geht mir gut soweit. Ich bin
schrecklich müde, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie uns schlafen lassen werden ... Die
Wunde am Bein ist von House gut versorgt worden.“ „Was? Er hat dich...? Wieso hat er nichts
gesagt?“ „Sawyer, er wird nicht gedurft haben.“, warf Abby gepresst ein. Sie hatte das unangenehme Gefühl, ihre Arme würden ihr aus der Schulter gerissen. „Gibbs, wie fühlst du dich?“,
fragte sie. „Es geht mir gut, Abbs, mach dir keine Gedanken um mich. Mir ist nichts passiert.
Ich bin nur müde.“
- Noch ist dir nichts passiert, du Mistkerl. Das wird sich in Kürze ändern.
Du und deine kleine Amazone, ihr habt drei meiner besten Männer gekillt. Ihr
habt das ganze Experiment zum Kippen gebracht. Ihr habt mich zum Gespött
gemacht. Und nun habt ihr das Pech, dass der Big Boss außer Haus ist. Ihr und
ich, wir werden viel Spaß miteinander haben. Mir ist klar, dass es dafür einen
Verweis geben wird, aber das ist mir vollkommen egal. Ich will, dass meine
Männer sich für den Verlust ihrer Freunde rächen dürfen. Mögen die Spiele
beginnen. Ich hoffe, ihr macht nicht so schnell schlapp. -
Casus belli.
Die Morde in der Welt zur Rettung der Ehre werden nur von Unehrenhaften
begangen.
Erhard Schümmelfeder
„Was soll das jetzt hier wohl wieder werden, was meint ihr? Gibbs? Was ... aua, was
meinst du? Warum lassen die uns hier so hängen?“ Abby versuchte verzweifelt, ihr Gewicht
so zu verlagern, dass sie die Arme und Schultern nicht so stark belastete. Gibbs seufzte un-
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Die Anderen
by Frauke Feind
hörbar. Er hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was das hier sollte, würde seine Gedanken Abby jedoch sicher nicht unter die Nase reiben. Ein Blick ins Sawyers Gesicht sagte
Gibbs, dass auch der Südstaatler eine gewisse Ahnung hatte, was ihnen hier blühen konnte.
Gerade sagte er zu Kate: „Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist. Es sah am Monitor teilweise schlimm aus. Als Heather abgerutscht ist und wir nicht wussten, dass sie sich hatte
festhalten können ... Ich dachte die ganze Zeit ... Es ist gut, dass ihr nichts passiert ist.“
Sawyer verstummte verlegen. Allen war klar, was er gedacht hatte: Zum Glück war es nicht
Kate. Diese lächelte müde zu ihm herüber. „Allison sagt, dass Heather vollkommen in
Ordnung kommt. Sie hat ...“ Was Heather hatte, konnte Kate nicht mehr sagen, denn die Tür
des Raumes öffnete sich und zwei Männer kamen herein, die nicht wie Wachen gekleidet
waren. Alarmiert starrten alle vier Gefesselten die beiden Männer an.
„Ihr habt drei unserer Freunde umgebracht.“ Die beiden Männer waren vor Kate und
Gibbs hin getreten. Kate starrte mit angstvoll geweiteten Augen die beiden Männer an. „Wir
durften ...“ Weiter kam sie nicht. Der Kerl, der vor ihr stand, holte aus und gab der hilflosen
jungen Frau eine schallende Ohrfeige. Sawyer tobte los. „Du Dreckskerl. Lass sie in Ruhe.
Ich bring dich um.“ Mit einem müden Grinsen drehte der Mann sich zu Sawyer herum.
„Schrei hier nicht so rum, mein Junge, du wirst dich unserer Aufmerksamkeit noch früh
genug erfreuen können.“, sagte er dann gefährlich leise. Kate hatte leise aufgestöhnt, als die
Ohrfeige sie traf. Sie hörte leicht verschwommen die Worte, die der Mann an Sawyer richtete
und erschauderte. „Nein ... Bitte. Ich hab doch ...“ Erneut wurde sie von einer Ohrfeige unterbrochen. „Halts Maul.“ Aufkeuchend verstummte Kate und Tränen stürzten ihr aus den
Augen. Sawyer brüllte vor Wut auf. „Du elender Bastard.“ Abby wagte keinen Ton von sich
zu geben. Voller Angst starrte sie Gibbs an und dieser zitterte bei dem Gedanken, was die
Männer mit Abby machen würden. Sawyer zerrte in hilflosem Zorn an den Fesseln, fügte sich
damit aber nur selbst Schmerzen zu, ohne auch nur den Hauch einer Chance zu haben, sich
wohlmöglich befreien zu können. Der Mann, der sich vor Gibbs aufgebaut hatte, knurrte
wütend: „Was war es für ein Gefühl, unserem Freund den Pfeil in die Brust zu schießen,
Gunny?“ Gibbs sah dem Kerl ruhig ins Gesicht. Seine blaugrauen Augen, die so warme
Blicke verteilen konnten, funkelten in einer gnadenlosen Kälte. Er riskierte viel, als er mit
einem sanften Lächeln auf den Lippen erwiderte „Ein wundervolles Gefühl, aber dass willst
du sicher nicht hören ...“ Nein, das hatte der Mistkerl offensichtlich nicht hören wollen, denn
im nächsten Moment traf Gibbs ein harter Faustschlag in den ungeschützten Körper.
Keuchend lachte der NCIS Teamleiter auf. „Schlechte Verlierer, was?“ Abby und Kate
konnten es nicht fassen, das Gibbs den Zorn und die Aufmerksamkeit der Männer auf sich
zog, sie hatten viel zu viel Angst, um zu verstehen, dass er die Kerle wenigstens für den
Moment damit von den anderen ablenkte. Sawyer jedoch registrierte die Absicht sehr wohl
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und ein warmes Gefühl der Dankbarkeit durchfuhr ihn. Gibbs erreichte nämlich tatsächlich,
dass beider Männer Aufmerksamkeit sich auf ihn konzentrierte.
„Wer hier die Verlierer sind, wird sich ja noch zeigen. Mir kommt es so vor, als wäret
ihr hier die Gefangenen und nicht wir, was deine Frage schon beantworten dürfte.“, stieß der
Typ, der Kate geschlagen hatte, wütend hervor. „Und mir kommt es vor, als lebten wir alle
noch, während ihr drei weniger seid ...“ „Halt dein verdammtes Maul, du Drecksbulle.“,
fluchte der Kerl wütend und verpasste Gibbs einen heftigen Schlag ins Gesicht. Und nun ließ
sich Sawyer vernehmen: „Eure Kumpel sind wohl an die Falschen geraten ...“ Er grinste
frech, obwohl ihm nach allem anderen eher zu Mute war. Kate starrte entsetzt zu ihm herüber
und schüttelte panisch den Kopf. Sawyer hatte geschafft, was er wollte. Einer der Männer
kam mit drei schnellen Schritten zu ihm und der Wehrlose biss unwillkürlich die Zähne zusammen und spannte die Muskulatur an, als er den Mann ausholen sah. Ein brutaler Schlag
traf auch den Südstaatler in den Bauch und er keuchte auf. „Du riskierst hier eine ganz schön
große Lippe, Freundchen.“, zischte ihm der Typ ins Gesicht und Sawyer, der langsam wieder
durchatmen konnte, sah den Kerl kalt an. „Findest du? Vielleicht habe ich ja mal die Gelegenheit, mich zu revanchieren ...“ Erneut traf ihn ein harter Schlag und kurzfristig blieb ihm
fast die Luft weg. Dann jedoch grinste er den Kerl erneut an, immer noch leicht hustend und
mit einem sehr unangenehmen Gefühl im Bauch, welches nicht von den harten Schlägen
rührte.
*****
Bones zuckte zusammen, als plötzlich aus den Lautsprechern der Monitore leises
Knistern und dann eindeutig Stimmen kamen und die Monitore selbst aufflackerten. „Da.“,
stieß sie erschrocken hervor. „Seht nur ...“ Entsetzt verstummte die Anthropologin. Allison
schaute erstaunt auf und stieß ebenfalls ein entsetztes: „Oh, Gott, nein.“, hervor. Vor einiger
Zeit war das grüne Licht angeschaltet worden und im Kerker fragte man sich, wo wohl die
Anderen alle waren. „Was machen die bloß mit allen ...“ Allison schüttelte es bei der Vorstellung, was geschehen sein mochte. Ob Sawyer und Abby und auch Jake und Sara wohl zu
den Anderen gebracht worden waren? „Was meint ihr, dürfen sie zueinander?“, fragte sie in
den Raum hinein. „Wollen wir doch schwer hoffen, Mädchen.“ House’ Stimme klang nicht so
überzeugt, wie seine Worte klingen sollten. Ziva in ihrer Zelle hatte sich so ihre Gedanken
gemacht. „Diese Typen, die unsere Leute gejagt haben ... Sie waren anders gekleidet als die
Wachen. Ist euch das auch aufgefallen?“ Mulder trat ans Gitter zur Nachbarzelle und sah Ziva
aufmerksam an. „Du hast Recht, Ziva, aber was ...“ „Söldner. Das waren garantiert keine aus
der Truppe hier. Ich will euch ja nicht beunruhigen, aber wenn das Söldner waren ... Die
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mögen es nicht, wenn man sie killt. Ich könnte mir vorstellen, dass Gibbs und Kate in
Schwierigkeiten stecken.“ Bones sah Ziva an. „Ach, Blödsinn. Die haben doch das Spiel bestimmt. Die können dann doch nicht ...“ Tempe verstummte kurz, dachte nach und beendete
dann ihren Satz „... die können doch, Ziva hat Recht. Die können alles.“ Unmittelbar nach
diesem Gespräch ertönte das Knacken.
„Was haben die denn nur vor?“, keuchte Dana entsetzt, als sie auf dem Monitor erkannte, wie Sawyer und Abby zwischen die Säulen gefesselt wurden. „Was glaubst du denn?
Genau das, was Ziva schon befürchtet hat.“, fluchte Booth Zorn bebend, nachdem er die erschreckenden Bilder auf dem Bildschirm beobachtet hatte. „Diese Schweine.“ „Sawyer und
Gibbs reden sich um Kopf und Kragen. Warum tun sie das denn? Sie werden dafür büßen
müssen.“ Allison war viel zu geschockt, um die Absichten der Männer zu erkennen. Locke
erklärte ihr resigniert: „Allison, die Beiden wollen die Kerle von Kate und Abby ablenken,
verstehst du? Es ist mir unverständlich, warum sie plötzlich so reagieren. Ziva muss Recht
haben. Bei den Jägern wird es sich tatsächlich um Söldner gehandelt haben, die hier gerade
ihr eigenes Süppchen kochen. Für unsere Gastgeber ist dieses Verhalten nicht stimmig.“ „Ich
habe absolut nicht den Eindruck, dass die bisher in irgendeiner Weise stimmig reagiert
hätten.“, erklärte House sarkastisch. „Sie haben uns aber nie für ordnungsgemäß erledigte
Aufgaben gestraft oder so etwas.“, erklärte Mulder ruhig. Er wollte noch etwas hinzufügen,
wurde aber von Dana unterbrochen, die erschüttert stotterte: „Oh Gott. Was haben die ... Was
machen die denn?“
*****
„Hör auf, sonst merkt er gleich nichts mehr. Wir sollten mal langsam loslegen, was
meinst du?“ Der Kerl, der bei Gibbs gestanden hatte, drehte sich zu seinem Partner herum.
Der warf einen Blick auf seine Armbanduhr und sagte dann: „Du hast Recht, wir sollten loslegen, sonst kommt der Boss zurück und wir haben noch nicht mal angefangen.“ Er trat an
einen Schrank in einer Nische des Raumes und öffnete diesen. Was er heraus nahm, jagte
allen vier Gefangenen Schauer über die Körper. Abby wimmerte auf vor Schreck und Sawyer
presste die Lippen zusammen. Mit zwei äußerst brutal aussehenden Bullenpeitschen in der
Hand kam er zurück, drückte seine Partner eine davon die die Hand und sagte kalt: „Dann
wollen wir den Herrschaften mal zeigen, was es heißt, unsere Freunde umzubringen.“ An
Kate und Gibbs gewandt sagte er: „Mal sehen, ob ihr genau so cool seid, wenn man eure
Freunde umbringt.“ Kate schrie vor Entsetzen auf. „Nein! Das dürft ihr nicht machen. Ihr
dreckigen Schweine.“ Die beiden Kerle grinsten. „Wir dürfen alles, Zuckerpuppe.“ Gibbs
konnte sich ebenfalls nicht mehr beherrschen. Tränen liefen dem harten Beamten über die
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Die Anderen
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Wangen und er flüsterte: „Abbs ... Es tut mir so leid ...“ Die beiden Männer traten hinter
Abby und Sawyer, öffneten den beiden die Kittel und streifen diese zur Seite. Der Typ bei
Sawyer packte diesen am Haar, bog Sawyers Kopf brutal zurück und zischte: „Dein kleines
Betthäschen hätte unsere Freunde besser nicht gekillt.“ Sawyer atmete hart und stoßweise und
zischte hasserfüllt zurück: „Ich hoffe, sie nutzt weiter jede Gelegenheit, euch Dreckskerle zu
dezimieren ...“ Wütend ließ der Typ daraufhin Sawyers Haare los und trat drei Schritte
zurück. Dann hob er die Peitsche und ohne noch zu zögern, ließ er den fingerdicken Riemen,
der am Ende dünn auslief, auf Sawyers nackten Rücken klatschen.
Nicht Sawyer schrie auf, sondern Kate. Sie sah, wie sich das Gesicht Sawyers im
Schmerz verzog und schrie gellend auf. „Nein!“ Und dann schrie auch Abby, der erste Hieb
hatte ihren ungeschützten Rücken getroffen. Gibbs schrie ebenfalls, voller Hass und hilfloser
Wut. „Ihr Schweine. Ich habe den Dreckskerl umgebracht. Ich war es. Lasst sie gefälligst in
Frieden.“ Der Typ lachte. „Ganz im Gegenteil, Mr. NCIS. Ich fange gerade erst an. Und für
jedes Wort von euch bekommen die Beiden hier mehr.“ Entsetzt biss Kate sich auf die Zunge,
um nicht noch mehr unbedachte Worte hervor zu stoßen und auch Gibbs presste die Lippen so
fest aufeinander, dass sie zu weißen Strichen wurden. Die Hiebe prasselten langsam und
genussvoll auf die hilflosen Opfer nieder. Abby versuchte verzweifelt, sich zu beherrschen,
aber der Schmerz bei jedem einzelnen Treffer war einfach zu viel für die junge Frau. Immer
wieder schrie sie verzweifelt auf. Sawyer neben ihr kämpfte verbissen damit, den Kerlen
diesen Triumph, dass er ebenfalls schrie, nicht zu gönnen. Er presste die Zähne so fest zusammen, dass er fast Angst hatte, sie sich abzubrechen. Schweiß brach ihm aus jeder Pore
seines Körpers und überzog diesen blitzschnell mit einer schmierigen Schicht. Seine Augen
saugten sich an Kates tränenüberströmten Gesicht fest. Er hatte die Hände so fest zusammen
gepresst, dass seine Fingernägel sich schmerzhaft in seine Handflächen bohrten. Sein Atem
kam zitternd und keuchend. Aber er gab keinen Laut von sich. Der Typ hinter ihm jedoch
wusste seinen verzweifelten Widerstand zu brechen. Immer schneller und härter prasselten die
Schläge auf Sawyers Rücken und endlich konnte der junge Mann sich nicht mehr beherrschen. Immer häufiger quetschte sich ein gequältes Keuchen über seine Lippen und dann
stieß auch er den ersten Schmerzenslaut aus.
„Wo sind Austen, Sciuto, Gibbs und Ford? Sie sind nicht in ihren Zellen
und auch nicht in den Erholungsräumen. Was soll das?“
„Ich habe keine Ahnung, Sir.“
„Dann finde es verdammt noch mal raus, aber schnell.“
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„Ja, Sir. Hey, Mark, ich bin es, Dean, wo sind 3, 8, 14 und sechzehn hin?
... Er macht was? Okay, danke. Sir, wie es aussieht, hat Mitchell sie eigenmächtig abholen und in den Folterraum bringen lassen ...“
„Er hat was? Schafft mir diesen Schwachkopf augenblicklich her und
sorgt dafür, dass die Vier da raus geholt werden, macht schon. Wenn sie verletzt sind, Gnade euch Gott.“
Mit Sawyers Beherrschung war es ebenfalls endgültig vorbei. Der Typ, der hinter ihm
die Peitsche schwang, hatte Ahnung von dem, was er da tat. Er hatte Sawyers hoffnungslosen
Widerstand gebrochen, indem er immer schneller und härter zugeschlagen hatte. Er gab dem
Südstaatler keine Chance mehr, zwischen den einzelnen Schlägen wenigstens ansatzweise
durchzuatmen. Abby war inzwischen so weit, das sie um Gnade bettelte. Jeder Schlag schien
feurige Blitze durch ihren gesamten Körper zu jagen. Gibbs weinte, Kate war nur noch ein
schluchzendes Bündel Verzweiflung. Wieder und wieder schlugen die Söldner zu. Wie lange
die Tortur schon ging, hätten die vier Gefesselten nicht sagen können. Ob zwanzig, fünfzig
oder schon hundertfünfzig Hiebe ihren Rücken getroffen hatten, Sawyer und Abby wussten es
nicht. Beide wollten nur noch eines: Dass es endlich vorbei war. Sawyer glaubte, es keine
weiteren Schlag mehr zu ertragen, ohne ebenfalls um Gnade zu winseln. Und dann war es
plötzlich vorbei. Kein weiterer Schlag erfolgte mehr. Keuchend, hustend vom Schreien,
stöhnend und krampfhaft nach Atem ringend hing Sawyer in den Fesseln, die das einzige
waren, was ihn noch aufrecht hielt. Abby neben ihm hing schluchzend in den Fesseln und
wimmerte leise: „Bitte ... bitte ... nicht mehr ....“ Vor Sawyers Augen tanzten bunte Kreise
einen irren Reigen und er klammerte sich an den Gedanken - Nicht die Besinnung verlieren ...
- Er spürte, wie er erneut in den Haaren gepackt wurde, spürte, wie sein Kopf brutal in den
Nacken gezerrt wurde und hörte wie durch Watte eine kalte Stimme an seinem Ohr zischen.
„So, mein Freund, wir hatten unseren Spaß und nun werden wir euren Leiden ein Ende
setzten.“ Sawyer spürte plötzlich kalten Stahl an seiner Kehle in seine Haut eindringen. Sein
gefolterter Körper war jenseits von Angst. Außer den Schmerzen auf seinem Rücken war er
nicht mehr in der Lage, noch irgendetwas zu empfinden. Er schloss ergeben die Augen...
*****
Bones starrte aus verweinten Augen wie hypnotisiert zum Bildschirm hoch. Sie hatte
die grausame Auspeitschung mit nacktem Entsetzen beobachtet, hatte irgendwann gemerkt,
dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Allison und selbst Dana weinten mit ihr. Ziva
standen Tränen des Hasses in den Augen. Mulder und Booth verfolgten zitternd vor Hass und
Hilflosigkeit die entsetzlichen Bilder und Locke und House wirkten fassungslos, wie para85
Die Anderen
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lysiert. „Die müssen aufhören ...“, wimmerte Cameron leise. „Die sollen bitte aufhören.“ Zu
mehr war die junge Ärztin nicht mehr fähig. Immer wieder stammelte sie diese Worte, wie
eine aufgezogene Sprechpuppe: „Aufhören. Die müssen jetzt aufhören. Sagt denen, dass sie
aufhören müssen ...“ Immer wieder schluchzte sie heftig auf. Dana konnte die Augen nicht
abwenden. So entsetzlich es war, sie hatte das Gefühl, es Sawyer und Abby schuldig zu sein,
bis zum Ende zuzusehen, es auszuhalten. Irgendwann stieß sie leise hervor: „Mulder ... Die
werden sie umbringen, wenn sie nicht bald aufhören.“ Mulders Hände krampften sich um die
Gitterstäbe, dass die Knöchel weiß wurden. „Ich weiß ...“ Und dann sahen sie, wie die Typen
plötzlich die grässlichen Peitschen aus den Händen legten, an Abby und Sawyer heran traten
und diesen mit einem brutalen Griff in die Haare die Köpfe in den Nacken zerrten. Sie hörten
die kalten Worte: „So, mein Freund, wir hatten unseren Spaß und nun werden wir euren
Leiden ein Ende setzten.“, und beobachteten fassungslos, wie Abby und Sawyer Messer an
die Kehle gesetzt wurden. „NEIN!“ Allison, Mulder, Dana und Ziva schrien das Wort wie aus
einem Mund hervor.
*****
Als Sawyer schon den scharfen Stahl in seine Haut eindringen fühlte und Kates
hysterischen Schrei: „NEIN!“, hörte, sprang völlig unerwartet die Tür zu dem Folterraum auf
und jemand brüllte laut: „Aufhören, sofort. Lass ihn los.“ Sawyer spürte warmes Blut seinen
Hals hinunter laufen und hörte den Typen, der ihn gepackt hatte, zurück schreien: „Vergiss es.
Die sind fällig. Mitchell hat uns eindeutig instruiert. Das ist hier eine Frage der Ehre.“ Sawyer
wagte kaum zu atmen. Er hörte Kate und Abby hysterisch Schluchzen und dann die erste
Stimme fluchen: „Du Penner weißt doch gar nicht, was Ehre ist. Und dein toller Dr. Mitchell
wird gerade zusammen geschissen dass es raucht und wenn du nicht willst, dass ich dir dein
Hirn raus puste, solltest du ihn lieber loslassen.“ „Ach, verpisst euch, wir folgen immer noch
unseren eigenen Regeln.“ Er wollte mit dem Messer schwungvoll den Schnitt über Sawyers
Kehle ausführen. Kate schrie ... Und dann gab es einen ohrenbetäubenden Knall, Sawyer
spürte den Kerl hinter sich zusammen zucken und dann verschwand das Messer von seiner
Kehle. Jedoch nicht, ohne ihm im Abrutschen noch einen schmerzhaften Schnitt an die Halsseite zu verpassen, aus dem augenblicklich das Blut spritzte. Sawyer stöhnte entsetzt auf. Er
hörte hinter sich einen schweren Fall. Der Kerl, der Abby gepackt hatte, ließ diese mit einem
wütenden Schnauben los und knurrte: „Ist ja gut, reg dich ab.“ Abby sackte zitternd und
schluchzend in den Fesseln zusammen. Kate hatte das Gefühl, jeden Moment den Verstand zu
verlieren. Sie bekam unterbewusst mit, dass man sie los machte und ohne auch nur eine
Sekunde zu zögern riss sie sich los und rannte zu Sawyer hinüber, der ebenfalls von den
Fesseln befreit wurde. Panisch versuchte er, den heftig blutenden Schnitt an seiner Halsseite
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mit der Hand abzudecken, hatte jedoch keine Chance. Erstens sah er nicht, wo er drücken
musste, zum Zweiten zitterten seine Hände viel zu stark. Er musste von zwei Wachen gestützt
werden, sonst wäre er zusammen gebrochen. „Er muss so schnell wie möglich zum Doc.“
*****
Die Kerkertür ging auf und vier Wachen kamen in den Raum gehetzt. Die Zellentüren
von Allison und Greg sprangen ebenfalls auf und schon wurden sie angeherrscht: „Los, beeilt
euch. Ihr habt es gesehen.“ Selbst House hetzte im Laufschritt zur Tür. Sie wurden zum Fahrstuhl gejagt und es ging zwei Etagen hoch. Dann folgten sie den Wachen im Eiltempo den
Flur entlang und vor ihnen öffnete sich eine Tür. Ein Mann streckte den Kopf hinaus und rief
ihnen entgegen: „Los doch. Oder wollt ihr, dass er verblutet?“ Allison rannte noch schneller
und erreichte den Raum als erste. Sie sah, dass es sich um einen kleinen OP handelte, sah
Kate neben dem OP Tisch stehen, weinend und die Hand verzweifelt an Sawyers Hals
pressend. „Beeilt euch. Er verblutet.“, schluchzte sie panisch. Sawyer selbst war kaum noch
bei Bewusstsein. Er hatte noch mit bekommen, dass er von den Wachen her geschleppt
worden war, dann wurde alles zusehends verschwommen und undeutlich. Viel zu schnell und
flach atmete er. Er hörte Kate weinen, dumpfe Stimmen, die er nicht mehr verstand, nicht
mehr unterscheiden konnte. Sein Körper war mit kaltem Schweiß überzogen. Ihm war kalt,
furchtbar kalt, aber er hatte nicht mehr die Kraft, jemanden darüber aufzuklären und um eine
Decke zu bitten. Sie mussten es doch sehen, dass er am ganzen Körper zitterte. Warum tat
keiner was dagegen? Sein Rücken tat weh ... Feuchtwarm lief es an seinem Hals herunter ...
Alles drehte sich vor seinen Augen. Er war müde, wollte nur noch einschlafen ...
Allison erfasste mit einem Blick die Lage. Sie setzte Sawyer als erstes eine Sauerstoffmaske auf. Dann legte sie einen Venenzugang und sah sich um. Auf einer Arbeitsplatte
an der Wand entdecke sie mehrere Beutel Hydroxyethylstärke1, sah Sawyer kurz abschätzend
an und fragte House dann hektisch: „Was meinst du, 75 - 80 Kilo etwa?“ House sah Sawyer
ebenfalls an und nickt. „Drück ihm 350 ml rein, das sollte reichen. Dann braucht er Echtblut.“
Allison griff sich ein bereit stehendes Tropfgestell. Sie eilte zu Sawyer zurück und schloss die
hypertone Lösung schnellsten an den Venenzugang, drehte die Tropfgeschwindigkeit auf
Druckinfusion. House hatte inzwischen Sawyers Beine mit einigen Decken über Herzhöhe
1
Hydroxyethylstärke: abgekürzt HES oder HAES ist ein künstlich hergestelltes Polymer. Es wird unter anderem als Blut-
plasmaersatzstoff verwendet. HES dient dabei als kolloidaler Volumenersatz, der wie die Dextrane und Gelatine zum Ausgleich
eines intravaskulären Volumenmangels eingesetzt wird.
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hoch gelagert, um einem hypovolämischen Schock2 möglichst entgegen zu wirken und
drängte mit sanfter Gewalt Kate ein wenig bei Seite. Er schnitt mit einer Schere Sawyers
Kittel auf und zog diesen vorsichtig unter dem Besinnungslosen hervor, ließ den Kittel achtlos
zu Boden fallen. Dass Sawyers Blutdruck viel zu niedrig und seine Pulsfrequenz viel zu hoch
war brauchte der Arzt nicht erst messen, das wusste er. „Du musst mich da ran lassen, okay.
Komm schon Kate, lass mich nach der Wunde sehen, bitte.“ Einer der Wachposten kam ihm
zu Hilfe und packte Kate beinahe sanft an den Schultern, zog sie zur Seite. Sofort blutete die
Schnittwunde stärker. House sah eine der Wachen an und sagte dann ruhig: „Wir brauchen
hier eine Bluttransfusion, Sir, das ist Ihnen klar, oder?“ Er griff nach einem Mundschutz und
Handschuhen, fragte: „Allison, wie weit bist du?“, und griff nach einem über dem OP Tisch
angebrachten Mikroskop.
„Sag mal, was ist eigentlich in dich gefahren? Bist du sadistischer Mistkerl endgültig übergeschnappt? Was hast du dir bei dieser Aktion gedacht?“
„Vielleicht schreist du mich mal nicht so an? Ich bin keiner von deinen
Deppen hier, mit denen du so umspringen kannst. Was bildest du dir eigentlich
ein?“
„Du elender Schwachkopf hast das ganze Projekt gefährdet mit deinem
idiotischen Verhalten. Du hättest Ford und Sciuto getötet, wenn wir dich nicht
aufgehalten hätten.“
„Allerdings hätte ich das. Gibbs und Austen, diese kleine Bitch, haben
drei meiner besten Leute gekillt. Sie hätten es verdient, hundertfach, ihre Lieblinge ebenfalls zu verlieren.“
„Du hast dir jedenfalls mit deinem eigenmächtigen Verhalten eine absolute Projektsperre eingefangen. Du wirst kein einziges der noch ausstehenden Projekte mehr alleine leiten, haben wir uns verstanden?“
„Du willst mir die Leitung der noch offenen Projekte entziehen?“
„Nein, Mitch, ich entziehe sie dir nicht nur, ich übertrage sie hiermit
offiziell Jerred.“
„Was? Diesem Penner?“
„Jerred wird die Leitung übernehmen, verstanden?“
„Das kann nicht dein Ernst sein.“
2
Volumenmangelschock, auch hypovolämischer Schock genannt, entsteht durch einen starken Flüssigkeitsverlust, wodurch
die Menge des in den Gefäßen zirkulierenden Blutes abnimmt. Ursächlich können große Blutverluste (hämorrhagischer Schock)
sein, wie sie zum Beispiel durch starke Blutungen nach Unfällen auftreten können.
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Allison war fertig, streifte ebenfalls Mundschutz und Handschuhe über und eilte an
Gregs Seite. Sie hatte einen Laborwagen gegriffen, breitete ein steriles Tuch darüber aus und
legte zurecht, was sie brauchten, um die tiefe Schnittwunde zu nähen. Sawyer rührte sich
nicht mehr, so konnte House anfangen. Kate stand zitternd da und starrte wie hypnotisiert auf
Sawyer hinunter. Er war so blass und kalter Schweiß überzog seinen Körper. House sah Kate
an und sagte leise: „Kate, du musst uns helfen, okay, halte bitte seinen Kopf fest, damit er
ganz ruhig liegt. Pass aber auf mit der Sauerstoffmaske.“ Kate nickte hektisch und beugte sich
zu Sawyer herunter. Sanft nahm sie seinen Kopf in ihre blutverschmierten Hände und hielt
ihn fest. Dabei flüsterte sie zärtliche Worte in Sawyers Ohren, die dieser gar nicht hören
konnte, weil er nicht mehr bei Besinnung war. Ruhig bat House: „Kannst du den Kopf ein
wenig nach rechts drehen, damit ich hier besser heran komme?“ Kate nickte wortlos und
drehte Sawyers Kopf sanft ein wenig auf die Seite. House reinigte das Umfeld der Wunde,
dann arbeitete er, assistiert von Allison, schnell und präzise weiter. Er verschloss die angekratzte Halsschlagader unter dem Mikroskop mit drei Stichen, wartete ein paar Augenblicke, ob die Ader auch wirklich dicht war, dann erst vernähte er den Rest des Schnittes. Erst
jetzt überprüfte er Sawyers Blutdruck um zu prüfen, wann Besserung eintrat. „64 systolisch.
Puls 140. Scheiße, komm schon, meine Junge, tu uns das nicht an.“ Er war gerade dabei, mit
Allisons Hilfe einen Verband anzulegen, als die Tür geöffnet wurde und eine weitere Wache
mit zwei Beuteln Blut in der Hand herein geeilt kam. Allison sprang auf und nahm dem Mann
das Blut ab. „0-? Sind Sie sicher, Sir?“, fragte sie beunruhigt. Der Wachmann nickte nur. So
zuckte Allison die Schultern und entfernte den letzten HEAS Beutel, schloss stattdessen den
ersten Beutel der Bluttransfusion an den Venenzugang und hängte den Beutel an das Tropfgestell. Sie stellte normale Durchflussgeschwindigkeit ein. Nach einigen Minuten überprüfte
sie erneut Sawyers Vitalfunktionen und auch House behielt den jungen Mann sehr genau im
Auge. „88 systolisch, Puls bei 105.“, gab sie an House weiter.
Kate stand immer noch da und hielt Sawyers Kopf sanft in ihren Händen. Sie schien
gar nicht mit bekommen zu haben, dass House schon lange fertig war mit dem Nähen. Dieser
hatte angefangen, Sawyers Hals und Schultern vom Blut zu reinigen. Er sah Kate an und sagte
leise: „Kate, du kannst ihn loslassen. Sieh mal, da ist ein Waschbecken, da kannst du dich
sauber machen. Den Jungen kriegen wir schon wieder auf die Beine, mach dir keine Sorgen.“
Kate sah verständnislos auf. „Was? Sauber machen?“ „Ja, Kate, du solltest dich waschen, du
bist ganz voll geblutet.“ Allison trat zu der jungen Frau hin. Diese sah an sich herunter und
schluckte trocken. Dann presste sie die Hand vor den Mund und sah sich hektisch um, entdeckte in der Ecke eine Tür mit der Aufschrift WC und eilte hinüber. Sie sank vor der Toilette
auf die Knie und übergab sich keuchend. Allison war ihr nachgekommen und half Kate auf
die Beine, nachdem diese sich beruhigt hatte. „Geht es wieder?“, fragte sie verständnisvoll.
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Kate schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Ich kann nicht mehr, Allison, ich kann einfach
nicht mehr. Ich halte das nicht mehr aus. Das wievielte Mal ist das jetzt, dass ich ihn fast verloren habe? Allison, ich halte das nicht mehr aus.“ Vollkommen fertig schluchzte Kate auf
und Allison zog die junge Frau an sich, bis das heftige Schluchzen langsam weniger wurde.
Dann führte sie Kate zum Waschbecken hinüber und half dieser, sich zu waschen. Eine der
Wachen verließ den Raum und kam Minuten später mit zwei sauberen Kitteln zurück, einen
für Kate und einen für Sawyer. Kate zog den vollkommen mit Sawyers Blut verschmierten
Kittel aus, ohne sich noch Gedanken darüber zu machen, dass mehrere Wachen anwesend
waren. Solche Nebensächlichkeiten schrumpften hier in dem allgegenwärtigen Horror ins
Nichts zusammen.
Gerade war der erste Beutel Blut durch gelaufen und Allison schloss sofort den
Zweiten an, um den Volumenverlust schnell zu beheben. Wieder überprüfte sie Sawyers
Vitalwerte. „Blutdruck bei 94 systolisch, Puls runter auf 95.“ Die Gefahr, dass Sawyer einen
hämorrhagischen Schock erlitt, war immer noch nicht gebannt. Kate beobachtete genau, was
Allison machte. Dann fragte sie nach: „Wie viel Blut hat er verloren, was meinst du?“ „Genau
lässt sich das natürlich nicht sagen, aber an Hand der Spuren würde ich sagen ... mehr als
anderthalb Liter. Er bekommt einen Liter wieder zugeführt, damit ist er außer Gefahr. Danach
hängen wir ihn an isotonische Kochsalzlösung3, damit wir den Restvolumenverlust auch ausgleichen können. Er wird sich erholen, Kate. Was macht dein Bein?“ „Das hatte ich ganz und
gar vergessen.“, stellte Kate erstaunt fest. Jetzt erst merkte sie, dass die Wunde pochte und
brannte. Allison zog der jungen Frau einen Stuhl heran und Kate ließ sich dankbar darauf
nieder. Sie hielt Sawyers Hand, streichelte ihm sanft über die Wangen und fragte dann:
„Braucht er den Sauerstoff noch?“ „Nein, ich denke, das können wir uns jetzt sparen. Seine
Vitalfunktionen sind den Umständen entsprechen wieder in Ordnung. Du kannst sie ihm abnehmen.“: erklärte House ruhig. „Das war nur eine reine Sicherheitsmaßnahme.“ Kate nickte
und streifte Sawyer sanft die Maske ab.
3
Isotonische Kochsalzlösung ist preisgünstig und die weltweit am häufigsten verwendete kristalloide Infusionslösung. Als In-
fusion/Infusionstherapie oder Flüssigkeitstherapie bezeichnet man die parenterale Verabreichung von Flüssigkeiten. Sie werden in
aller Regel intravenös verabreicht.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Phase 5: Neuaufbau
Nicht das Straucheln ist entscheidend, sondern das Wiederaufrichten, nicht die Resignation, sondern die Hoffnung.
Dr. Franz König
Reconstruction
Man kann den Körper nicht ohne die Seele heilen und die Seele nicht ohne den
Körper.
Aus Griechenland
Als der zweite Beutel Blut durch gelaufen war, fragte eine der Wachen: „Kann er auf
ein Zimmer?“ „Wenn wir ihn dort noch an einem Tropf mit einfacher Kochsalzlösung lassen
können, ist dem wohl nichts entgegen zu setzen.“, erklärte House. „Gut, dann werden wir ihn
in ein anständiges Bett bringen.“ Der Wachposten nahm eine Trage aus einem Schrank und
zusammen mit seinen Kollegen wurde Sawyer sehr vorsichtig hinauf gehoben. Den sauberen
Kittel legte der Wachposten auf Sawyers Körper. Kate beobachtete nervös, wie sie Sawyer
nun anhoben und aus dem Raum trugen. „Willst du nicht, oder kannst du nicht?“ Eine der
Wachen sah Kate auffordernd an. Sofort setzte sie sich humpelnd in Bewegung, folgte den
Männern. Es ging den Flur entlang und am Ende öffnete sich eine Tür, hinter der eines der
Erholungszimmer lag. Erstaunlich vorsichtig wurde Sawyer in das breite, bequeme Bett umgelagert. Allison hatte den Befehl bekommen, ebenfalls zu folgen, mit dem Tropfgestell und
zwei Beuteln Kochsalzlösung. Jetzt schloss sie einen der Beutel an und stellte die Tropfgeschwindigkeit ein. Dann sah sie die Wachen fragend an. „Los, mitkommen.“ Wortlos folgte
sie dem Wachposten und war überrascht, als House ihr schon entgegen kam, von einer
weiteren Wache am Arm gepackt und geführt. Am anderen Ende des Flures öffnete sich eine
weitere Tür und die Ärzte wurden in den Raum komplimentiert. Ebenfalls ein Erholungsraum.
Die Tür schloss sich und einen Moment standen die Beiden still da.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Dann zog House Allison wortlos an sich und nahm sie in die Arme. „Ich dachte einen
Moment, er schafft es nicht. Das war haarscharf an der Grenze. Er hat unglaubliches Glück
gehabt, dass er so schnell auf dem Tisch lag. Eine Minute länger und er wäre verblutet.“,
sagte Allison leise. „Ich weiß. Das dachte ich auch.“, gab House zu. „Weißt du noch, wie ich
dir damals gesagt habe, man kann nicht gleichzeitig ein guter Mensch sein und im Leben klar
kommen?“ Cameron nickte. „Ich habe mich geirrt. Ich bin stolz auf dich.“ Cameron sah überrascht zu House auf. Dann lächelte sie. „Ich habe drei Jahre versucht, deine Anerkennung zu
gewinnen. Wenn ich gewusst hätte, dass ich das auf diese Art erreichen kann, hätte ich mich
schon früher entführen lassen.“ House lächelte verschmitzt, erleichtert, dass Allison sich entschieden hatte, die Stimmung mit einem Scherz aufzulockern. Er hatte ihr sagen wollen, dass
er stolz auf sie war, aber er fühlte sich immer noch nicht wohl bei dem Gedanken, über seine
Gefühle zu sprechen. Wahrscheinlich würde er das nie tun und er war dankbar, dass Allison
das nicht von ihm verlangte. „Du hättest dich entführen lassen, damit ich dir sage, dass ich
stolz auf dich bin? Oder vielleicht doch eher, um mich ins Bett zu kriegen?“ Cameron lachte.
„Denkst du eigentlich auch mal an etwas anderes als Sex?“ House setzte eine ernste Miene
auf, als würde er scharf nachdenken. „Wenn ich mit einer schönen, spärlich bekleideten Frau
allein bin? Selten.“, antwortete er mit einem anzüglichen Lächeln und ließ seine Hände über
Camerons Rücken, bis zu ihrem Po wandern.
*****
Im Kerker herrschte allgemeines Entsetzen nach den schrecklichen Bildern auf den
Monitoren. „Oh, Gott. Wird er verbluten?“, fragte Mulder schockiert. „Das kommt darauf an,
wie viel Blut er verliert.“, erwiderte Ziva ganz schlau. „Ach, was du nicht sagst.“ Mulder war
zu genervt, um ruhig zu bleiben. Er hatte sich in der Schlafentzugphase von Booth wirklich
gut mit Sawyer verstanden, die Männer hatten sich richtig angefreundet und als Mulder nun
sah, wie dem Südstaatler fast die Kehle durchgeschnitten worden war, hatte ihn das tief getroffen. „Tut mir leid, Ziva, du kannst ja auch nichts dafür. Aber das ist mir schon durchaus
selbst klar.“, entschuldigte er sich sofort. Ziva nickte gestresst. „Kein Problem, war ja auch
eine saublöde Bemerkung. Es sieht schlimm aus. Hör zu. Ich mag den Jungen auch sehr
gerne, Mulder.“ Ziva starrte weiterhin auf den Bildschirm, wo Sawyer und Kate von den
Fesseln befreit worden waren. Sawyer versuchte verzweifelt, den tiefen Schnitt an seinem
Hals mit der Hand zu bedecken, um die Blutung zu stillen, aber er hatte keine Chance. Seine
Hände zitterten zu stark und er war zu geschwächt von der vorangegangenen Folter. Einer der
Wachen schrie herum. „Wir müssen ihn schnellstens in Raum 83 schaffen.“ Er zog Sawyer
mit sich, aber dessen Beine gaben nach und wenn nicht eine zweite Wache zu Hilfe geeilt
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Die Anderen
by Frauke Feind
wäre, wäre Sawyer zusammen gesackt. Kate stolperte vollkommen aufgelöst hinterher. Der
Wachposten sagte: „Wir müssen uns beeilen und die sollen ...“ Was wer sollte, war nicht
mehr zu verstehen. Unmittelbar nach diesen Bildern wurden House und Allison geholt und
die Übertragung auf dem Monitor unterbrochen. So wussten die Zurückgebliebenen nicht,
was los war. Ziva lief fast Amok, als die Bildverbindung gestoppt wurde. „Sind die irre. Ich
will wissen, was mit Abby und Gibbs ist.
Sie hatte sich noch nicht wieder beruhigt, als plötzlich via Lautsprecher die Ansage
kam: „Alle an die Löcher.“ Die wenigen, noch im Kerker verbliebenen Gefangenen erhoben
sich sofort und traten an die Zellentüren, die Hände auf den Rücken. Wachen kamen und
fesselten sie, dann wurden sie alle aus dem Kerker heraus geführt. Hoffnungslos verwirrt
wurden sie zu den Fahrstühlen gebracht und dort auf zwei verteilt. Locke, Mulder und Dana
wurden in den einen, Ziva, Bones und Booth in den anderen Fahrstuhl gedrückt. Für Locke,
Mulder und Dana ging es vier Etage nach oben, dann brachte man Locke den Flur nach
rechts, Dana und Mulder den Flur nach links entlang. Schließlich erreichten sie eine Tür, die
sich öffnete. Man löste ihnen die Handfesseln, dann bekamen sie einen sanften Schubs in den
Rücken und stolperten in einen Erholungsraum. Beide konnten es kaum fassen. „Was soll
denn das jetzt?“, fragte Dana überrascht. „Das weiß ich auch nicht, ist mir auch völlig egal.
Dana, was meinst du, hat Sawyer einen Chance?“ Mulder starrte Dana bestürzt an. „Ja, ja,
davon kannst du ausgehen. So schnell verblutet ein Mensch nicht. Sie werden ihn Retten, da
bin ich sicher. Immerhin ist die ganze Aktion ja scheinbar nicht genehmigt gewesen. Die
haben einen Mann erschossen, um Sawyer das Leben zu retten, also werden sie sicher alles
tun, um ihm zu helfen. Ich weiß, dass ihr euch angefreundet habt, ich mag Sawyer auch.“
Mulder zog Dana an sich. „Jetzt mögen wir schon Verbrecher und Mörder. Wie tief sollen wir
noch sinken?“ Er lächelte. Dann zog er Dana noch enger an sich und flüsterte ihr ins Ohr:
„Was meinst du, sollen wir aufs Bett sinken?“ Er wartete Danas Antwort nicht mehr ab,
sondern nahm die zierliche Frau einfach auf den Arm und trug sie zum Bett hinüber.
Vorsichtig ließ er sich mit ihr darauf nieder und in einem innigen Kuss verbunden ließ er sich
langsam auf das Bett sinken, Dana mit sich nehmend.
*****
Booth war beunruhigt, als man ihn zusammen mit Ziva und Bones abholte und zum
Fahrstuhl brachte. Es ging vier Etagen hoch, allerdings erst nach ein paar Minuten, als
warteten die Wachen auf etwas. Nun wurden sie von Ziva getrennt. Die junge Israelin wurde
den Flur nach links hinunter geführt, er und Bones in die andere Richtung. Nervös beobachteten Bones und Booth, wie sich vor ihnen einen Tür öffnete. Dann registrierten sie
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Die Anderen
by Frauke Feind
überrascht, dass ihre Fesseln gelöst wurden. Und ehe sie sich versahen, wurden sie mit einem
vorsichtigen Stoß in den Rücken vorwärts gedrängt. Völlig verwirrt sahen sie sich um. In
diesem Raum, oder einem identischen, waren sie schon gewesen. Bones drehte sich zu Booth
herum und dann lag sie in seinen Armen. „Booth, hoffentlich stirbt Sawyer nicht.“ Die
Anthropologin schüttelte sich regelrecht. „Er hat so furchtbar geblutet. Was war das bloß für
eine Aktion? Der Wachmann hat den Typen erschossen. Was war da bloß los?“ Booth zuckte
die Schultern und zog Bones zum Bett hinüber. Er war ziemlich fertig, genau wie Tempe.
Was da in den letzten Tagen wieder auf sie eingestürzt war an seelischer Belastung, war nach
allem einfach zu viel. Seit der Sache mit der Scheinhinrichtung waren sie nicht mehr wirklich
zur Ruhe gekommen. Es war Schlag auf Schlag gegangen. Die Zeit in der Deprivation, kaum,
dass die Verletzungen von dem Brückenabenteuer abgeheilt waren, und dann sofort diese
grässliche Menschenjagd, die nicht nur den unmittelbar Betroffenen alles abverlangt hatte. Er
seufzte. „Booth? Hast du mir überhaupt zu gehört?“ Bones sah Seeley an. „Ja, entschuldige,
ich hab dir zugehört. Bones, ich weiß es doch auch nicht. Für mich sah es so aus, als würden
die Jäger wirklich nicht zu den Leuten hier gehören. Ich vermute, die haben dafür, um ihre
eigenen Leute nicht in Gefahr zu bringen, eine Art Söldnertruppe angeheuert. Und diese
haben beschlossen, Kate und Gibbs mit dem Mord an Dreien von ihnen nicht so davon
kommen zu lassen.“
*****
Als Kate und Sawyer alleine waren, die Tür sich hinter den Wachen geschlossen hatte,
sank Kate vollkommen erledigt auf das Bett. Sie sah Sawyer an, der reglos im Kissen lag, der
Verband an seinem Hals leuchtet weiß, die ungesunde Blässe war wieder der inzwischen
normalen sonnenentwöhnten Blässe gewichen. Er hatte keinen kalten Schweiß mehr auf dem
ganzen Körper und man sah, dass es ihm deutlich besser ging. Kate nahm seine Rechte, in der
Linken steckte der Venenzugang, und hielt sie fest in ihren Händen. Sie merkte gar nicht, dass
ihr unaufhörlich Tränen über die Wangen kullerten. Minutenlang saß sie einfach nur da, sah
Sawyer an und beobachtete seine ruhigen, tiefen Atemzüge, die seine Brust beruhigend hoben
und senkten. Sie war so unendlich müde und kaputt, hatte jedoch schreckliche Angst davor,
einzuschlafen und nicht mit zu bekommen, wenn etwas mit Sawyer sein sollte. Sie merkte
nicht, wie ihr langsam die Augen zu fielen. Im Sitzen schlief Kate ein. Und zuckte zusammen,
als sie plötzlich spürte, dass Sawyer sich bewegte, dass seine Hand in ihren Händen zuckte.
Sofort war sie wieder voll da. Sawyer kam zu sich. Langsam öffnete er die Augen.
Desorientiert flackerte sein Blick herum, bis er an Kate hängen blieb. „Hey, Freckles ... Wo
sind wir? Was ist passiert?“ Er wollte mit der Linken an seinen Hals fassen, merkte aber
rechtzeitig, dass in seiner Handrückenvene ein Katheter mit einem Schlauch daran steckte. Er
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Die Anderen
by Frauke Feind
kniff die Augen zusammen und versuchte, sich zu erinnern. Die Auspeitschung, dann wollte
der Typ ihm die Kehle durchschneiden, Kate, die verzweifelt schrie, ein Schuss, ein heftiger
Schmerz am Hals ... Dann Schwärze. Alles, was dann kam, war wie in Watte gepackt. Er
konnte sich nicht erinnern, was danach geschehen war.
Kate brauchte ein paar Sekunden, um wieder klar zu werden. Dann stotterte sie überwältigt: „Sawyer ... Wie fühlst du dich?“ Sie löste ihre Linke von seiner Hand und strich ihm
unendlich zärtlich über die Wange. „Fühlen? Weiß nicht, als ob ich ausgepeitscht worden
wäre? Mein Rücken brennt furchtbar. Und mein Hals ... Was ist eigentlich zum Schluss
passiert?“ Kate wollte gerade antworten, als die Tür zu ihrem Raum aufging und ein Wachposten herein kam. Der Mann fragte Sawyer: „Wie geht es dir?“ Sawyers Augen weiteten sich
erstaunt. „Geht so.“, antwortete er kurz. „Hier.“ Der Wachposten warf Kate etwas zu, was
diese verdutzt auffing. „Für seinen Rücken. Wenn ihr was Essen wollt, ihr wisst ja, wie es
geht.“ Der Posten drehte sich herum und verließ das Zimmer wortlos. Kate starrte auf das,
was er ihr zugeworfen hatte. Eine kühlende Wundsalbe. „Schaffst du es, dich auf die Seite zu
drehen, ohne dir den Infusionsschlauch heraus zu reißen?“ „Ich schaffe noch ganz andere
Sachen.“, ächzte Sawyer und versuchte, sich auf die Seite zu rollen. Er biss die Zähne zusammen und schaffte es tatsächlich. Kate war erschrocken, als sie erstmals seinen Rücken
sah. Die verdammte Peitsche hatte unzählige, blutunterlaufene Striemen hinterlassen, an
einigen Stellen war die Haut aufgerissen und schon verschorft. Kein Wunder, dass Sawyer der
Rücken wehtat. Kate drückte einen Strang von der Salbe aus der Tube und begann, so vorsichtig wie möglich, Sawyers Rücken sanft damit einzureiben.
Er zuckte immer wieder heftig zusammen, wenn sie an aufgeplatzte Hautstellen kam,
aber alles in allem brachte ihm die herrlich kühlende Salbe eine ganze Menge Erleichterung.
Schließlich hatte Kate es geschafft. Und Sawyer wusste nicht, ob er sich wieder auf den
Rücken drehen, oder lieber so liegen bleiben sollte. Kate nahm ihm die Entscheidung ab.
„Bleib so liegen, das wird sicher angenehmer für dich sein, ich werde dich stützen, okay.“ Sie
schlüpfte aus ihrem Kittel und kuschelte sich vorsichtig an Sawyers Rücken, was dieser mit
einem wohligen Seufzen quittierte. Sie schlang den Arm um ihn und tastete nach seiner Hand,
klammerte sich an dieser fest. Sie konnte nicht mit ihm über all das Reden, was passiert war.
Zu müde und erschöpft war sie, als dass sie sich noch länger hätte wach halten können. Und
sie spürte, dass es Sawyer nicht anders ging. Er sagte nichts mehr, sondern schlief fast unmittelbar ein, kaum, dass das Brennen auf seiner Haut nachgelassen hatte. Und auch Kate
versuchte nicht mehr, wach zu bleiben. Sie wusste, sie würde spüren, wenn mit Sawyer etwas
sein sollte. Sie schloss die Augen, flüsterte leise: „Ich liebe dich so sehr.“, und war eingeschlafen, bevor die letzten Worte verklungen waren.
95
Die Anderen
by Frauke Feind
*****
Abby bekam nicht mehr viel mit, sie dümpelte am Rand der Besinnungslosigkeit
herum. Sie hätte alles getan, damit der Typ hinter ihr endlich aufhörte, ihr weh zu tun. Als
dann jedoch der Schuss erklang, kehrte ihr Verstand noch einmal an die Oberfläche zurück.
Sie merkte, dass der Mann, der ihr so schrecklich wehgetan hatte, sie los ließ. Dass der Typ
hinter Sawyer diesen im Zusammenbrechen noch lebensgefährlich verletzte, konnte Abby
nicht wirklich sehen, die Säulen, an die sie gefesselt waren, verhinderten den Blick. Gibbs
jedoch hatte einen Logenplatz neben Kate an der Wand. Er hatte die Eskalation der ganzen
Situation mit Schrecken beobachtet. Als die Kerle drohten, Sawyer und Abby die Kehlen
durchzuschneiden, war ihm speiübel geworden. Nacktes Entsetzen in den Augen, hatte er zusehen müssen, wie der Mistkerl Abbs brutal in die Haare griff und ihren Kopf in den Nacken
bog. Dann hatte sich die Tür geöffnet und die nächsten Minuten liefen eigenartig unwirklich
ab. Gibbs beobachtete, wie die Wachen Sawyer und Kate von den Fesseln befreiten. Sawyer
wirkte zu dem Zeitpunkt wie unter Schock. Mit heftig zitternden Händen versuchte er fahrig,
die tiefe Schnittwunde an der linken Halsseite mit der Hand abzudecken, hatte jedoch keine
Chance, die heftige Blutung zu stoppen. Zwei der Wachen packten ihn und mit Kate im
Schlepptau verschwanden sie so schnell es ging nach draußen, um Sawyer zu einem der Ärzte
zu schaffen.
Als nächstes hatte Gibbs beruhig gesehen, dass der Dreckskerl, der Abby bearbeitet
hatte, von zwei der verbliebenen Wachen raus geschafft wurde. Dann endlich befreite man ihn
ebenfalls von den Fesseln, und wie vorher Kate bei Sawyer, eilte Gibbs sofort zu Abby
hinüber, fing die junge Frau, die zusammen sackte, kaum, dass ihre Hände los gemacht
worden waren, auf. Wimmern klammerte sie sich an den NCIS Agent und flüsterte panisch:
„Bitte, Gibbs, die sollen mir nicht mehr wehtun, bitte, Gibbs ...“ Tränen in den Augen erwiderte Gibbs beruhigend: „Niemand wird dir mehr wehtun, Abbs, niemand.“ Die letzten
Wachposten gaben Gibbs ein Zeichen, ihnen zu folgen. Gibbs nickte. Mit Abby auf dem Arm,
die sich schluchzend an ihn klammerte, ging es den Flur entlang und schließlich blieben sie
vor einer Tür stehen, die sich in diesem Moment öffnete. „Bring sie da rein und leg sie aufs
Bett, mach schon.“ Gibbs betrat den Raum, stellte fest, dass er wie das Zimmer eingerichtet
war, in dem er nach dem Black Box Aufenthalt hatte verschnaufen dürfen und legte Abby auf
das große Doppelbett. Sorgfältig deckte er sie zu und wollte sich dann auf die Bettkante
setzen. „Komm.“, bekam er jedoch den Befehl. Flehend sah er den Wachmann an und dieser
erklärte: „Sie wird gut versorgt werden. Los jetzt, Abmarsch.“ Verzweifelt sah Gibbs Abby
an, beugte sich dann zu ihr herunter, gab ihr einen liebevollen Kuss auf die Stirn und sagte:
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Die Anderen
by Frauke Feind
„Halt durch, Kleines.“ Dann folgte er mit vor Müdigkeit und Erschöpfung zitternden Beinen
der Wache.
Er wurde durch den Flur zu einer anderen Tür geführt, die sich öffnete. „Rein da.“
Wortlos gehorchte Gibbs. Ein weiterer Erholungsraum. Erstaunt sah er Locke auf dem Sofa
der kleinen Sitzgruppe hocken. Die Tür schloss sich hinter ihm und es hätte nicht viel gefehlt,
und Gibbs wären die Beine weg gesackt. Locke hatte genau so verblüfft aufgeschaut, als die
Tür sich plötzlich öffnete und Gibbs herein getrieben worden war. Jedoch sah er sofort, in
welch jämmerlichem Zustand der Agent war, sprang auf, eilte zu Gibbs hinüber und verhinderte so, dass dieser wirklich zusammen brach. Sorgsam führte er den NCIS Mann zu dem
breiten Bett in der einen Zimmerecke. Vor Schwäche am ganzen Körper zitternd ließ Gibbs
sich auf das Bett sinken und eine Minute später bereits war er tief und fest eingeschlafen. Die
ganze Anspannung der letzten Tage fiel von ihm ab und nichts und niemand hätte noch verhindern können, dass er einschlief. Locke stand einen Moment neben dem Bett, sah den
Schlafenden an und dachte - Was habt ihr bloß alles durchmachen müssen. Hoffentlich lassen
sie uns jetzt alle eine Weile in Ruhe. - Dann kehrte Locke zum Sofa zurück, ergriff das Buch,
in dem er gelesen hatte, und machte es sich wieder bequem.
*****
Ziva war genervt. Sie konnte nicht fassen, dass man die Bildübertragung ausgerechnet
in dem Moment abbrach, in dem es darum ging, was mit ihren Kollegen geschehen würde.
Dass man sie kurz danach aus dem Kerker geholt hatte, zusammen mit den restlichen Gefangenen, hatte der jungen Mossad Spionin ein ungutes Gefühl gegeben. Waren sie fällig,
wieder irgendeinen verworrenen Test machen zu müssen? Genervt und verzweifelt ließ Ziva
sich durch einen Flur führen. Nachdem sie den Fahrstuhl verlassen hatten, war sie von Bones
und Booth getrennt worden. Jetzt blieb die Wache vor einer Tür stehen, die sich in diesem
Moment öffnete. Die Fesseln wurden ihr gelöst und der Mann drückte ihr eine Salbentube in
die Hand. Ziva sah den Kerl an, eine Augenbraue hoch gezogen, als hätte dieser den Verstand
verloren. - Gib mir doch lieber eine Büroklammer, mein Freund, und ich werde dir beibringen, wie man damit auf achtzehn verschiedene Arten jemanden wie dich umbringen kann.
- dachte die junge Frau. Der Wachposten gab ihr einen kleinen Stoß in den Rücken und
zischte leise: „Los, vorwärts. Mach schon.“ Ziva betrat also den Raum und riss die Augen
überrascht auf. „Abby.“
Abby zuckte erschrocken hoch, als die Tür auf ging. Ihr Rücken tat so weh, sie wusste
nicht, wie sie liegen sollte. Und sie hatte schreckliche Angst, hier alleine zu sein. Als sie ver97
Die Anderen
by Frauke Feind
schwommen Ziva auf sich zu eilen sah, schluchzte sie auf. „Ziva ...“ Ziva war schon bei der
Kollegin und vergaß in diesem Moment völlig, dass sie mit Frauen eigentlich nicht konnte.
Ohne auch nur eine Sekunde inne zu halten setzte sie sich auf das Bett zu Abby und nahm
diese beruhigend in ihre Arme. „Ganz ruhig, Abby, es ist vorbei. Du bist in Sicherheit, es
kann dir nichts mehr geschehen. Ich passe auf dich auf.“ Ziva achtete darauf, nicht an Abbys
Rücken zu kommen. Sie hatte Angst davor, wie dieser aussehen mochte. Als Abby sich
schließlich ein wenig beruhigt hatte, sagte Ziva sanft: „Lass mich mal nach deinem Rücken
sehen, Abbs, leg dich auf den Bauch, okay.“ Abby nickte erschöpft und legte sich auf den
Bauch. Ziva erschrak ein wenig. Feuerrote, blutunterlaufene, zum Teil aufgerissene Striemen
über dem ganzen Rücken verteilt, genau so hatte sie es sich vorgestellt. Ziva öffnete den
Kittel und half Abby, diesen auszuziehen. Dann sah sie sich die Salbentube an. Kühlende
Heilsalbe. Jetzt verstand sie. Sie drückte Abby einen Salbenstrang auf den Rücken und begann erstaunlich vorsichtig, die Salbe auf Abbys Rücken zu verteilen. Abbs zuckte immer
wieder leise wimmernd zusammen und Ziva entschuldigte sich wieder und wieder.
Schließlich keuchte Abby auf: „Wenn du dich noch einmal entschuldigst, David, bringe ich
dich um.“ Ziva lächelte und sagte dann: „Tschuldigung.“
Angespannte Entspannung
Nulla est redemptio ex infernis.
Gregor Brand
Mulder wachte langsam auf. Verwirrt bemerkte er, dass er Dana im Arm hielt und
öffnete überrascht die Augen. Dann kam schlagartig die Erinnerung vom Vortag wieder in
ihm hoch. Durch seine Bewegung wachte nun auch Dana auf. Nicht minder verwirrt, aber
ebenso schnell in die Realität zurück gerissen. Sie drehte sich zu Mulder herum und nuschelte
leicht verschlafen: „Morgen, Schatz, gut geschlafen?“ Mulder stöhnte genervt. „Morgen.
Nicht wirklich, ich habe mir einen Schwachsinn zusammen geträumt, da würden sich jedem
Therapeuten die Nackenhaare aufstellen.“ Dana lachte leise. „Glaube nur nicht, mir wäre es
anders gegangen. Ich habe die halbe Nacht damit verbracht, Heather aus der Schlucht zu
bergen. Und weil das so schön war, habe ich in der anderen Hälfte dann Adern von der Größe
eines Gartenschlauches flicken müssen, die kaum repariert an einer anderen Stelle löchrig
wurden.“ Dana streckte sich. „Wie es Sawyer wohl geht.“ Mulder schnaufte frustriert auf.
„Die Frage ist, ob es ihm überhaupt noch geht.“
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Die Anderen
by Frauke Feind
Er drehte sich herum und stand auf. Der Agent verschwand im Bad und Dana hörte die
Dusche rauschen. Sie rollte sich auf den Rücken und starrte geistesabwesend zur Decke. Und
schrak heftig zusammen, als plötzlich die Tür ihres Zimmers aufsprang und ein Wachposten
herein marschiert kam. Er stellte wortlos ein abgedecktes Tablett auf den Couchtisch und verschwand wieder, ohne Dana eines Blickes zu würdigen. Die Agentin zog irritiert die Augenbrauen hoch. Was war das gewesen? Sie stand auf und zog ihren Kittel verkehrt herum über.
Dann ging sie zum Tisch und hob den Deckel vom Tablett. Dass eine Kaffeekanne darauf
stand, war klar zu erkennen. Als sie den Rest sah, konnte sie es kaum glauben. Spiegeleier mit
Tost und Speck, zwei Äpfel, zwei frische Croissants, Butter, Käse, Milch und Zucker für den
Kaffee. Es hätte nicht viel gefehlt und Dana hätte sich in den Arm gekniffen, um sich zu
überzeugen, dass sie nicht noch schlief. Gerade kam Mulder aus dem Bad, ein Handtuch um
die Hüften gewickelt und sah erstaunt zu Dana hinüber. „Was ist das?“, fragte er. „Das wirst
du nicht glauben. Schau dir das an.“ Mulder warf einen kurzen Blick auf das hervorragende
Frühstück und stutzte. „Was soll denn das? Wen wollen die denn jetzt bestechen? Was da
wohl drin ist.“ Dana grinste. „Weißt du was, Mulder? Das ist mir vollkommen gleichgültig.
Wir haben seit Monaten kein Obst gegessen. Von Croissants ganz zu schweigen. Ich habe
Hunger. Und wenn die uns vergiften wollen, okay, dann sterbe ich wenigstens satt.“ Sie setzte
sich an den Tisch und nahm sich ihren Teil des Frühstücks vom Tablett und fing genüsslich
an zu essen.
Mulder stand noch da und beobachtete Dana mit verkniffenem Gesichtsausdruck. Der
Duft des gebratenen Speckes füllte den Raum, nachdem der Deckel gelüftet worden war. Ihm
lief das Wasser im Munde zusammen. Er hatte selbst Hunger. Dana kaute selig auf dem
Croissant herum und sah Mulder an. Sie grinste und reichte ihm eine Serviette. „Hier, du
tropft alles voll ...“ Mulder sah sie giftig an. „Hast du eine Ahnung, was du da gerade in dich
hinein stopfst?“ Dana nickte mit vollem Mund. Sie schluckte und erklärte dann locker: „Ja,
Schatz. Spiegeleier aus dem Schlaraffenland, gebratenen Speck aus dem Himmel und ein
Croissant aus dem Paradies.“ Mulder verzog total genervt das Gesicht. „Du bist eine Hexe.“
Er seufzte. „Ach, verdammt, sollen sie mich doch vergiften.“ Er setzte sich an den Tisch und
fing nun endlich auch an zu essen.
*****
Locke wachte davon auf, dass eine Tür geräuschvoll geöffnet wurde. Erstaunt sah er
auf. Wo war er? Dann schoss ihm die Erinnerung an den vergangenen Tag in den Kopf.
Sawyer. John fuhr im Bett in die Höhe und weckte mit dieser hastigen Bewegung Gibbs, der
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Die Anderen
by Frauke Feind
neben ihm im Bett noch geschlafen hatte. „Was ist los, was gibt es ...?“ Hektisch sah der
NCIS Agent sich um. Locke deutete auf den Couchtisch. „Frühstück, vermute ich.“, sagte er
lakonisch. „Was?“ Gibbs verstand nichts. „Wo sind wir?“ Bevor Locke ihm noch Antwort
geben konnte, kam Gibbs selbst die Erinnerung. „Oh, ich weiß ... Überflüssig zu fragen, ob du
was von Sawyer oder Abby und von den anderen gehört hast, oder?“ „Mehr als überflüssig.
Ich bin eben erst aufgewacht, als unser Zimmerservice kam.“ John ging zum Tisch und lüftete
den Deckel des Tablettes. „Meine Herren. Gibbs, steh auf, das ist Frühstück, und was für
eines.“ Locke setzte sich auf den Sessel und verteilte die Teller mit Spiegeleiern, Speck und
den anderen guten Sachen. Er schenkte Kaffee in beigestellte Becher und als Gibbs sich zu
ihm gesetzt hatte, nahm er seinen Kaffeebecher und trank ganz langsam einen Schluck der
braunen, heißen, wundervoll schmeckenden Flüssigkeit. „Wunderbar.“ Locke machte sich
über das Frühstück her. Er beobachtet seinen überraschenden Zimmergenossen aus dem
Augenwinkel. Dieser stocherte geistesabwesend auf dem Teller herum. Schließlich fragte
Locke ruhig: „Gar keinen Hunger?“
Gibbs sah ihn an. Er schnaufte frustriert. „Ob Sawyer noch lebt? Er hat genau gewusst,
was auf ihn zu kommt und hat trotzdem sofort ebenfalls versucht, die Aufmerksamkeit der
Kerle auf sich zu lenken.“ Locke nickte. „Ja, das konnten wir auf dem Monitor sehen. Die
Übertragung brach erst ab, als Kate und Sawyer losgebunden wurden. Danach haben wir
nichts mehr mit bekommen.“ Gibbs murmelte „Aha. Viel war dann auch nicht mehr. Sie
haben Sawyer und Kate im Eiltempo raus geschafft und uns dann ebenfalls befreit. Ich durfte
Abby in eines der Gästezimmer bringen, dann haben sie mich schon hier her zu dir gebracht.
Ich weiß nicht einmal, was aus Abbs geworden ist. Das macht mich wahnsinnig.“ Locke hörte
ruhig zu. Dann sagte er: „Das verstehe ich absolut, Gibbs, aber wenn du hungerst wirst du
davon auch nicht erfahren, was mit Sawyer und Abby ist. Das oberste Gebot hier muss
weiterhin heißen, alles zu tun, um bei Kräften zu bleiben, sonst sind wir wirklich verloren.“
Gibbs verzog das Gesicht. „Was meinst du denn, was das hier soll? Das ist doch nichts weiter
als die Vorbereitung auf die nächste Qual. Es ist wirklich nur noch eine Frage der Zeit, bis es
einen oder mehrere von uns erwischt. Wir wissen ja nicht einmal, ob Sawyer überhaupt noch
lebt. Vielleicht ist er verblutet.“ Locke nickte. „Du hast selbstverständlich Recht, Gibbs, aber
selbst, wenn dem so ist, hilfst du niemandem, wenn du dich hier selbst schwächst, in dem du
keine Nahrung zu dir nimmst.“ Gibbs schaute den eigenartigen Mann an und schmunzelte
dann kurz. „Was ist so lustig?“ Gibbs nahm Messer und Gabel in die Hand. „Wenn ich Tony
wäre, hätte ich jetzt von Gibbs eine Kopfnuss bekommen ...“ „Wer ist Tony?“ „Einer meiner
Leute. Er bettelt häufig um Schläge, weißt du, und ich tue ihm den Gefallen ...“ Gibbs fing an
zu Essen.
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Die Anderen
by Frauke Feind
*****
Cameron wachte in House’ Armen auf. Sie genoss das Gefühl, einfach nur mit Greg
zusammen im Bett zu liegen, seine Wärme zu spüren und ihn zu beobachten, während er
schlief. Sie hatte sich drei Jahre lang vorgestellt, wie es wäre, in House’ Armen einzuschlafen
und neben ihm aufzuwachen. Jetzt, wo sie dieses Gefühl kennen gelernt hatte, wünschte sie,
sie hätte öfter die Gelegenheit, es zu genießen. Cameron blieb noch eine Weile in den Armen
ihres Chefs liegen, stand aber schließlich auf, um Duschen zu gehen. Sie wusste nicht, wie
lange sie noch in diesem Raum würden bleiben dürfen, also wollte sie den Luxus einer heißen
Dusche noch einmal genießen, bevor man sie wieder in ihre Zellen brachte.
Das Geräusch des rauschenden Wassers weckte House und er beschloss, Allison ein
wenig Gesellschaft zu leisten. Er reckte sich, stand auf und gesellte sich zu der jungen Ärztin.
Allison dreht sich zu House herum, als sie hörte wie der Duschvorhang zur Seite geschoben
wurde. Greg zog die junge Frau in seine Arme. „Da haben wir schon mal Zeit für ein bisschen
Zweisamkeit und du schleichst dich aus dem Bett, um unter der Dusche zu verschwinden.
Was soll ich davon halten?“, fragte der Diagnostiker in gespielt verletztem Ton. Cameron
lachte. „Im Bett hatte ich nur dich und du hast auch noch geschlafen. Hier habe ich dich wach und aufmerksam - und heißes Wasser so viel ich will. Das ist ein gutes Geschäft.“
House grinste. „Du wirst gierig, Cameron. Ich habe einen schlechten Einfluss auf dich.“,
stellte er anerkennend fest. Allison zog House näher an sich und ließ ihn ihren nackten Körper
spüren. „Möchtest du wissen wie schlecht?“, fragte sie und ließ ihre Stimme verführerisch
klingen. „Unbedingt.“ House griff mach der Flasche mit dem Duschgel und begann Camerons
Körper ausgiebig einzuseifen, wobei er an einigen Stellen länger verharrte als an anderen.
Allison schloss die Augen und genoss seine zärtlichen Berührungen. „Lass uns wieder ins
Bett gehen.“, schlug sie schließlich vor. „Ich dachte, du wolltest alles auf einmal.“, stellte
House grinsend fest. „Das war, bevor meine Haut anfing, schrumpelig zu werden.“, lachte die
junge Frau. In Wahrheit war sie besorgt, dass das lange stehen House Schmerzen bereiten
würde, aber das würde sie ihm nicht einmal unter Folter sagen. Stattdessen stellte sie das
Wasser ab, trocknete sich eilig ab und zog House mit sich ins Bett.
Als Allison wenig später verschwitzt wieder in Gregs Armen lag, ging plötzlich die
Tür auf. Cameron zuckte zusammen und zog schnell die Bettdecke bis zur Brust hoch und
House zog die junge Frau instinktiv beschützend an sich. Doch der Wachposten, der herein
kam, zeigte keinerlei Interesse an dem Paar im Bett, sondern stellte nur wortlos ein Tablett
auf dem Tisch ab und verschwand wieder. Verwirrt sahen House und Cameron einander an,
dann zuckte House mit den Achseln, zog seinen Kittel über und humpelte zum Tisch hinüber.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Cameron streifte ebenfalls den Kittel über und folgte ihm. Als Greg den Deckel vom Tablett
hob, staunten die beiden Ärzte nicht schlecht. „Wow, jetzt gibt es hier plötzlich Zimmerservice. Nur die Marmelade haben sie mal wieder vergessen. Typisch für diesen Saftladen.“,
kommentierte House. Cameron lachte und begann begeistert, ihr Croissant mit Butter zu bestreichen, während House sich über die Spiegeleier her machte.
*****
Sara hatte ausgiebig geduscht und saß neben Gil, der immer noch tief und fest schlief,
im Bett. Sie wusste, wie erschöpft Gil nach den Strapazen der letzten Tage sein musste und
wollte ihn nicht wecken. Trotzdem wünsche sie sich, er würde aufwachen und ihr Gesellschaft leisten. Sie hatte furchtbare Angst um ihn gehabt und hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als Gil endlich wieder in die Arme schließen zu können. Und jetzt, wo sie endlich
wieder zusammen waren, schlief er nur. Nach einer Weile wurde Sara durch das Öffnen der
Tür aus ihren Gedanken gerissen. Eine Wache brachte ein Tablett herein. Auch Sara war erst
einmal zusammen gezuckt als die Tür sich öffnete, weil sie befürchtete, dass man sie schon
wieder in ihre Zellen bringen würde, oder schlimmeres. Aber der Wachmann verließ den
Raum genauso schnell wie er ihn betreten hatte. Sara stand auf und hob den Deckel von dem
Tablett. Einen Moment betrachtete sie das gute Frühstück erstaunt, dann stand sie auf um
Grissom nun doch zu wecken. „Gil, Zeit zum Aufstehen.“, sagte sie sanft. Gil öffnete langsam
die Augen und sah Sara verschlafen an. „Der Zimmerservice war da. Sie haben uns ein
richtigen Frühstück gebracht.“ Diese Information half Gil, schneller richtig wach zu werden
und ein paar Minuten später saßen er und Sara zusammen am Frühstückstisch.
Nachdem sie aufgegessen hatten fragte Gil: „Ist alles in Ordnung, Sara? Du bist so
still.“ „Ja, alles in Ordnung.“, antwortete Sara kurz angebunden, ohne Gil anzusehen. „Sara,
ich kenne dich lange genug, um zu merken, wenn dich etwas belastet. Bitte rede mit mir.“
Sara sah Gil in die Augen. „Hast du eine Ahnung, wie es für mich war, zu sehen, wie du von
diesen Schweinen gejagt und verletzt wurdest? Ich habe mir nichts so sehr gewünscht, wie zu
dir gebracht zu werden und dich wieder in den Armen zu halten. Ich wollte dir gestern zeigen,
wie viel du mir bedeutest, aber ich hatte keine Gelegenheit dazu, du bist sofort eingeschlafen.
Und als eben die Tür aufgegangen ist, da dachte ich, sie würden uns schon wieder abholen,
um wer weiß was mit uns anzustellen. Ich dachte, wir hätten vielleicht unsere letzte Chance
vertan, uns noch einmal nahe sein zu können.“ Sara liefen Tränen über die Wangen. Gil stand
auf und zog sie in seine Arme. „Aber das haben wir nicht. Ich weiß nicht, was uns hier noch
bevorsteht. Ich kann dir nicht versprechen, dass wir noch viele gemeinsame Jahre vor uns
haben. Aber wir haben diesen Moment. Ich liebe dich, Sara. Mehr als ich mit Worten sagen
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kann. Lass mich dir zeigen, wie viel du mir bedeutest.“ Sara nickte und ließ sich von Gil zum
Bett führen, wo er begann, langsam und zärtlich jeden Zentimeter ihres Körpers zu küssen, als
wäre es das erste Mal, das er die Chance hatte, sie zu berühren. Oder das letzte Mal.
*****
„Guten Morgen.“, sagte Jake lächelnd als Heather sich in seinen Armen verschlafen
rekelte. „Morgen.“, antwortete sie und schenkte Jake ein schüchternes Lächeln. „Bist du
schon lange wach?“ „Eine Weile. Ich wollte dich nicht wecken.“ Jake küsste Heather und ließ
seine Hände dabei zärtlich über ihren nackten Körper gleiten. Seine Berührungen weckten in
Heather Erinnerungen an die vergangene Nacht, die die junge Frau erröten ließen. Als Jake
sich schließlich von ihr löste und ihre roten Wangen bemerkte, grinste er. „Nach dem, was wir
gestern Nacht gemacht haben, hätte ich nicht erwartet, dass du rot wirst, sobald ich dich anfasse.“ Heather lachte nervös. „Ich werde gerade wegen dem, was wir gemacht haben rot.
Jedes Mal, wenn du mich streichelst oder küsst, denke ich daran, was du mit deinen Händen
und Lippen noch tun kannst.“, gestand sie verlegen. Jakes Grinsen wurde breiter. Er hatte
schon eine schlagfertige Bemerkung auf den Lippen, aber als er die Unsicherheit in Heathers
Gesicht sah, zog er sie sanft an sich und küsste sie zärtlich. „Ich liebe dich.“, sagte er schlicht.
„Ich liebe dich auch, Jake.“ Heather schmiegte sich an ihn und beide genossen es, einander
eine Zeit lang nur in den Armen zu halten.
Nach einer Weile ging die Tür auf. Jake zog schnell die Decke höher, sodass sie
Heather ganz bedeckte und diese rückte instinktiv näher zu Jake. Intellektuell wusste sie
natürlich, dass sie auf diese Art nicht verhindern konnte, von Jake getrennt zu werden, wenn
die Wachen kommen sollten, um sie zurück in ihre Zellen zu bringen. Trotzdem fühlte sie
sich sicher, wenn sie näher an Jake heran rückte. Beide atmeten erleichtert auf, als die Wache
nur ein Tablett auf dem Tisch abbestellte und wieder ging. Sie streiften schnell ihre Kittel
über und staunten, als sie das reichhaltige Frühstück vor sich sahen. „Wow, was ist denn in
die gefahren?“, fragte Jake erstaunt. „Keine Ahnung. Und weißt du was? Das ist mir im
Moment auch völlig egal.“, stellte Heather grinsend fest und begann zu essen. Jake beschloss,
die Gedanken über die Motive der Entführer zu verschieben und langte auch erst einmal herzhaft zu.
*****
Kate fuhr mit einem erstickten Schrei aus dem Schlaf hoch. Ein weiß bekittelter Mann
stand neben Sawyer am Bett und befreite diesen von der Venenkanüle. Kate starrte den Mann
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beunruhigt und verängstigt an. Der sah sie nur kurz an, dann klebte er Sawyer, der nicht einmal aufgewacht war, ein Pflaster auf den Handrücken, nickte Kate zu und schob dann das
Tropfgestell aus dem Zimmer. Die junge Frau brauchte ein paar Minuten, bis sich ihr heftig
pochendes Herz soweit beruhigt hatte, dass sie sich wieder zurück sinken lassen konnte. Eng
kuschelte sie sich wieder an Sawyer heran und schloss die Augen. Minuten später war sie
wieder eingeschlafen, tief und fest.
*****
Booth wachte davon auf, dass er Geschirr klappern hörte. Verwirrt schlug er die
Augen auf. Vage erinnerte er sich, dass Bones und er in das, oder in eines der Erholungszimmer gebracht worden waren. Wie viele dieser Räumlichkeiten es hier gab, wusste der FBI
Agent natürlich nicht. Seeley merkte, dass er alleine im Bett lag, Bones war offensichtlich
schon aufgestanden. Erstaunt richtete er sich auf und sah sich gähnend um. „Hey, du. Schau,
was wir bekommen haben.“ Tempe stand am Sofatisch und leerte ein großes Tablett, stellte
Teller, Becher, und eine Kaffeekanne auf den Tisch und legte Messer und Gabeln daneben.
Booth traute seinen Augen nicht. „Wann hast du das gemacht?“, fragte er grinsend, und
schwang die Beine aus dem Bett. Er stand auf, und bückte sich nach seinem Kittel, den er
achtlos neben das Bett geworfen hatte. Grinsend schlang er sich diesen um die Hüften. „Ob
die wieder was dagegen haben werden?“, fragte er und kam an den Tisch hinüber. Er beugte
sich zu Bones hinunter und gab ihr einen Kuss. „Hast du gut geschlafen?“ Bones erwiderte
den Kuss liebevoll und schüttelte dann den Kopf. „Nein, ich habe keine Ruhe gefunden.
Weißt du, ich habe schon sehr viel Schreckliches während meiner Arbeit gesehen, Dinge, die
selbst du teilweise nicht problemlos verkraftet hast, aber das gestern, Sawyer, der so entsetzlich geblutet hat ...“ Tempe verstummte und sah Booth an. „Ich komme mit meinen
Emotionen nicht mehr klar, Booth. Ich empfinde plötzlich Gefühle, die ich so nie zuvor
kennen gelernt habe. Ich habe Angst, dass ich meinen Job nicht mehr machen kann, wenn wir
hier überleben sollten. Ich habe Angst, dass ich beim Anblick einer verwesten Leiche anfange
zu schreien, statt mich auf die Fakten zu Konzentrieren. Ich habe Angst ...“
„Hey, Bones, Bones, nun bleib mal ruhig.“ Booth setzte sich zu Tempe auf das Sofa
und nahm die aufgeregte junge Frau in seine Arme. „Komm schon, Bones, krieg dich wieder
ein. Du bist die Beste, und das wirst du auch bleiben. Du reagierst wie ein Mensch, okay. Du
empfindest etwas für unsere Leidensgenossen, du siehst in ihnen nicht nur Fälle, die es zu
Lösen gilt, du hast Angst um sie, du machst dir Sorgen und du leidest mit, wenn sie leiden.
Du hast menschliche Gefühle. Kein Grund zur Sorge.“ Bones war sich nicht sicher, ob sie
Booth für diese Worte lieben oder hassen sollte. Sie entschied sich für ein Mittelding aus
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beiden. „Du nimmst mich auf den Arm.“ Booth lächelte liebevoll und zog Tempe noch enger
an sich, gab ihr einen Kuss. „Werde nur nicht zu menschlich, damit komme ich dann wohl
nicht mehr klar.“ Er warf einen Blick auf das herrliche Frühstück. „Hast du auch solchen
Hunger?“ Bones lachte. „Ich mag keine Spiegeleier.“ Sie sah auf ihren Teller hinunter. „Und
schon gar nicht mit Speck.“ Sie griff sich die Gabel und das Messer und schnitt sich dann ein
Stück Toast mit Spiegelei ab und stecke es sich wohlig aufseufzend in den Mund.
„Wunderbar.“
*****
Abby schrecke mehrmals in der Nacht auf. Immer wieder waren es grässliche Albträume, die die junge Frau aus dem Schlaf rissen. Mal sah sie Gibbs, von Pfeilen durchbohrt.
Mal sah sie Ziva, zerschmettert am Grunde der Schlucht. Dann wieder träumte sie von
Sawyer, der in einer immer größer werdenden Blutlache in ihrer Zelle lag, Sie versuchte verzweifelt, die Blutung zu stoppen, doch kaum hatte sie eine Stelle abgedichtet, sprudelte es an
einer anderen Stelle um so heftiger. Zwei Mal hatte sie durch ihre im Schlaf ausgestoßenen
Schreie Ziva ebenfalls geweckt. Und jetzt wachte sie wieder auf, erneut aufgeschreckt, diesmal jedoch von einem Geräusch, nicht von einem Traum. Ein Wachposten war im Zimmer
und stellte etwas auf den Tisch. Auch Ziva hatte die leisen Geräusche, die das verursachte,
offensichtlich gehört, denn die junge Israelin schreckte hoch und ihre Hand fuhr in einer absolut flüssigen Bewegung unter ihr Kopfkissen. Abby sah diese Geste mit gemischten Gefühlen. Was Ziva dort zu finden gehofft hatte, wollte Abbs lieber gar nicht wissen. Die
Mossad Agentin schnaufte genervt. „Was hat der Arsch da gebracht?“ Sie schwang geschmeidig die Beine aus dem Bett, griff ihren Kittel, den sie auf dem Nachtschrank deponiert
hatte und schlüpfte verkehrt herum hinein, sodass sie ihn vorne zusammen raffen konnte. Sie
ging zum Tisch und sah, dass es ein großes, abgedecktes Tablett war, auf dem eindeutig eine
Kaffeekanne zu erkennen war. „Abby, es gibt Kaffee.“
Abby stand ebenfalls auf. Kurz wurde ihr schwindelig, dann hatte sich ihr Blutdruck
gefangen. „Was macht dein Rücken?“ Ziva sah Abby besorgt an. „Brennt. Vielleicht kannst
du mir noch einmal von der Salbe ...“ Abby verstummte mitten im Satz und starrte auf das
Tablett. „Das glaube ich nicht. Was soll denn das nun wieder werden? Wollen die uns für die
nächste Horroraufgabe stärken?“ „Vielleicht ist da was drin? Drogen? Oder ... Oh, man, ich
höre mich schon an wie Mulder. Das ist ja nicht zu fassen. Komm, lass uns deinen Rücken
verarzten und dann werden wir uns das Frühstück schmecken lassen.“ Ziva schüttelte über
sich selbst den Kopf. Abby drehte sich herum und ließ Ziva ihren Rücken erneut mit der
kühlenden Salbe behandeln. Dann setzten sich die zwei Frauen an den Tisch und ließen sich
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das unerwartete Frühstück schmecken. Als alles aufgegessen war und sie noch eine weitere
Tasse Kaffee genossen, sagte Abby leise: „Macht es dich auch so fertig, nicht zu wissen, was
mit Sawyer, Gibbs und den Anderen ist?“ Ziva hatte schon ein Nein auf der Zunge, gestand
sich dann aber selbst ein, dass es sie sehr wohl extrem bedrückte. Sie hatte die meisten Mitgefangenen inzwischen wirklich gerne, zusammen durch gestandene Gefahren schweißten
einfach auch emotional zusammen. So sagte sie ehrlich: „Ja, Abbs, das ist eine grausame
Taktik der Entführer, uns im Unklaren über das Schicksal der Anderen zu lassen. Ich wüsste
auch gerne, was mit Sawyer ist, und wie es Gibbs, Kate und den Anderen geht. Die halten uns
so geschickt unter Spannung.“
*****
Sawyer wachte langsam auf. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er war. Dann
setzte langsam und Häppchenweise die Erinnerung an das, was am Vortag geschehen war,
wieder ein. Sawyer merkte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Das stundenlange
Warten, ohne zu wissen, was mit Kate war. Die Hoffnung, zu Kate gebracht zu werden, als
man Abby und ihn abgeholt hatte, dann der eiskalte Schrecken, als sie in diesen Folterraum
gebracht worden waren. Der Anblick Kates, an die Wand gekettet. Abby und er zwischen die
Säulen gefesselt. Die grausame Auspeitschung. Und schließlich ... Plötzlich sah er die Bilder
klar vor sich, seine Erinnerung setzte schlagartig wieder ein. Seine Hand tastete leicht zitternd
nach dem festen Verband an seinem Hals, dort, wo ihn der erschossene Mistkerl noch im Zusammenbrechen mit dem Rasiermesser erwischt hatte. Sawyer konnte nicht verhindern, dass
das Zittern seiner Hände auf seinen Körper übergriff. Er meinte, sein Blut noch immer am
Hals hinunter laufen zu fühlen, zu spüren, wie es aus der Halsschlagader pulsierte. Er
schluckte schwer und versuchte, den Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Kate. Wo war
sie? Er drehte sich vorsichtig herum. Da lag sie, noch tief und fest schlafend. Einen Moment
sah er sie einfach nur an. Sie sah selbst im Schlaf verängstigt, überfordert und vollkommen
fertig aus. Das er nichts, aber auch gar nichts tun konnte, um ihr zu helfen, machte Sawyer
wiederum völlig fertig.
Er rollte sich sehr vorsichtig herum und wollte aus dem Bett steigen, um zur Toilette
zu gehen. Es blieb jedoch ein frommer Wunsch, denn kaum hatte er sich aufgesetzt und die
Beine vom Bett geschwungen, wurde ihm schlagartig schwindelig und speiübel. Er keuchte
erschrocken und davon wachte Kate auf. Wie elektrisiert schoss sie hoch. „Sawyer? Was ist?
Ist alles in Ordnung?“ Panik schwang in ihrer Stimme mit. Sawyer sank zitternd und flach
und schnell atmend wieder in die Waagerechte zurück. Schlagartig war ihm extrem kalt geworden. Mit klappernden Zähnen versuchte er, Kate zu beruhigen. „Ja, es ist alles in Ordnung
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... Mach dir keine Sorgen.“ „Du hörst dich auch genau so an, als wäre alles in wunderbarer
Ordnung.“, schnaufte Kate besorgt. Sie hatte sich aufgerichtet und strich Sawyer nervös mit
der Hand einige Haarsträhnen aus der Stirn. „Mir ist nur etwas ... zitterig ... und schlecht.“,
stieß Sawyer gequält hervor. „Bin wohl zu schnell hoch gekommen.“ Kate zu bitten, ihm ins
Bad zu helfen, war ihm absolut unmöglich. Er wartet, bis sich der Schwindel gelegt hatte und
ihm auch nicht mehr so schlecht war. Dann versucht er erneut, sich aufzusetzen, diesmal
langsam und vorsichtig. Das klappte deutlich besser. „Kommst du klar?“ Kate sah ihn besorgt
an. Kurz nickte Sawyer, dann wankte er langsam und vorsichtig ins Bad. Minuten später kam
er zurück. Auf halbem Weg zum Bett fingen seine Beine bedenklich an zu zittern und er wäre
um Haaresbreite einfach zusammen gesackt, wäre Kate nicht augenblicklich zu ihm geeilt, um
ihm zu helfen. Sie stützte ihn und führte ihn zum Bett zurück. Unendlich erleichtert ließ er
sich wieder in die Waagerechte sinken. Er fror erbärmlich und zitterte vor Schwäche am
ganzen Leib. Kate standen Tränen der Angst in den Augen. Warum kann nicht wieder ein
Arzt, um nach Sawyer zu sehen.
Ein Arzt kam nicht, aber die Tür zu ihrem Raum ging auf und eine Wache kam herein,
mit einem Tablett in den Händen und stellte dies kommentarlos auf dem Couchtisch ab. Unter
dem Arm hatte der Mann noch einen zusammen geklappten Betttisch, den er nun ebenfalls
auf den Tisch legte. Dann verschwand er ohne ein Wort nach draußen. Kate wartete neben
Sawyer, seine Hand haltend, bis dieser sich ein wenig berappelt hatte, dann ging sie zum
Tisch hinüber und lüftete den Deckel, der über dem Tablett lag. Ihre Augen weiteten sich. Sie
eilte zu Sawyer zurück, half ihm, sich aufzusetzen und stopfte ihm ihr Zudeck in den Rücken.
Dann klappte sie den Betttisch auseinander und stellte den Teller mit den Spiegeleiern, einen
Becher Kaffee, das Croissant und den Apfel auf das kleine Tischchen, legte Besteck dazu und
trug dann das Ganze zu Sawyer ans Bett. „Wenn du etwas im Magen hast, wirst du dich
sicher besser fühlen, Schatz.“, sagte sie liebevoll. Er nickte verbissen und fing an zu essen.
Langsam und genussvoll aßen die Beiden ihr Frühstück. Als Sawyer aufgegessen hatte, nahm
Kate das Betttischchen weg und fragte ihn: „Willst du dich wieder hinlegen?“ Sawyer
schüttelte den Kopf. „Nein, lass mich ruhig eine Weile sitzen, okay. Wie geht es deinem
Bein?“ „Besser, es tut kaum weh. Das hat House wirklich gut verarztet. Aber, sag, wie fühlst
du dich? Tut der Schnitt weh? Und ein Rücken?“ Sawyer lächelte schwach und griff nach
Kates Hand. „Mach dir keine Sorgen, Freckles, ich komme schon wieder auf die Beine.“ Kate
wollte etwas erwidern, wurde aber davon unterbrochen, dass die Tür erneut geöffnet wurde.
Sie sah überrascht auf und glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können. In den Raum kamen
Dana und Mulder gestolpert.
*****
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by Frauke Feind
Bones und Booth hatten nach dem Frühstück die günstige Gelegenheit genutzt und
waren unter die Dusche gegangen, lange und ausgiebig. Sie waren noch dabei, sich abzutrocknen, als die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet wurde und zwei Wachen herein kamen. „Anziehen.“, wurden sie instruiert. Sie beeilten sich, dem Befehl Folge zu leisten und drehten sich
dann sicherheitshalber auch gleich herum, die Hände auf den Rücken legend. Im Stillen
dachte Booth - Das war es mit der Herrlichkeit, ich hab es ja gewusst. - Resigniert hatte er
den Kopf hängen lassen. Bones ging es nicht anders. Auch sie befürchtete das Schlimmste.
Die Karabinerhaken ihrer Handreifen schlossen sich und die Wachen nahmen sie an den
Oberarmen. Sie wurden über den Flur geführt und schließlich mussten sie vor einer Tür
stehen bleiben. Die Handfesseln wurden geöffnet und die Tür vor ihnen ging auf. „Rein da.“
Booth und Bones stolperten vorwärts und rissen die Augen auf. Ein Zimmer, identisch mit
dem, in dem sie die Nacht verbracht hatten, und in dem Bett saß Sawyer. Dana und Mulder
saßen bei ihm und Kate stand hinter Sawyer und hatte ihm die Hände auf die Schultern gelegt.
Die vier sahen vollkommen überrascht auf, als Bones und Booth in das Zimmer stolperten.
Einen Moment standen sie steif da und versuchten, zu erfassen, was sie sahen. Dann eilten sie
zum Bett hinüber und Bones beugte sich herunter, umarmte Sawyer freudig. Dieser wurde
feuerrot vor Verlegenheit.
Schon als Mulder und Dana ihn unendlich erleichtert umarmt hatten, hatte der Südstaatler vor Verlegenheit kein Wort heraus gebracht. Jetzt wirkte er, als würden ihm jeden
Moment die Tränen kommen. Als Booth ihm freundschaftlich auf die Schulter schlug und
dann zufrieden sagte: „Mensch, Junge, tut gut, dich noch unter uns zu haben.“, schluckte er
schwer. Er setzte an, etwas zu erwidern, schaffte es aber nicht, einen Ton heraus zu bringen.
Kate spürte, was in dem Südstaatler vorging. Er hatte nie Freunde gehabt, hatte nie jemanden
so nah an sich heran gelassen. Und nun merkte er, dass er den Mitgefangenen etwas bedeutet,
dass sie sich Sorgen um ihn gemacht hatten und froh waren, dass er noch lebte. Das war fast
mehr, als er im Augenblick emotional verkraften konnte. Und er hatte keine Gelegenheit, sich
zu fangen, denn Minuten später, Mulder, Dana, Booth und Bones hatten sich ebenfalls erfreut
begrüßt und auch Kate herzlich in die Arme genommen, ging die Tür erneut auf. Die Verblüffung wuchs bei allen Beteiligten ins unermessliche, als in kurzen Abständen hinter
einander nun tatsächlich auch alle anderen Gefangenen zu Kate und Sawyer gebracht wurden.
Die Letzten, die eintrafen, und völlig verwirrt um sich guckten, waren House und Allison.
„Was ist hier denn los? Wir dachten, wir sollen nach unserem Lieblingspatienten gucken.“
Allison eilte zu Sawyer hinüber und nahm diesen ebenfalls herzlich in die Arme. „Hey, wie
fühlst du dich?“ Sawyer schluckte. Dann sagte er überwältigend ehrlich: „Beschissen.“ Ziva
und Abby, die Gibbs begeistert begrüßt hatten, hockten auf dem Bett, ebenso wie Heather und
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by Frauke Feind
Allison. Sara hatte sich neben Gil auf das Sofa gequetscht, auf dem auch Locke und House
Platz genommen hatten. Jake, der auf der kleinen Anrichte in der Ecke einen Platz gefunden
hatte, fragte: „Kann uns mal jemand aufklären, was passiert ist, nachdem Sara und ich abgeholte worden waren?“
Sawyer hätte keinen Ton hervor gebracht, Kate ebenfalls nicht, und so erzählte
schließlich Gibbs in groben Zügen, was passiert war. Heather wurde immer blasser. Jake
schüttelte ungläubig den Kopf. „Das kann ja wohl alles nicht wahr sein. Die haben also untereinander auch nicht gerade Einigkeit. Mensch, Sawyer, das tut mir so leid. Das war mehr als
knapp, was?“ An Stelle Sawyers, der abwesend vor sich hin starrte, nickte Kate. „Ja, das war
es. Wenn ich das geahnt hätte ...“ Sie schluckte. Einen Moment herrschte Schweigen. Dann
meinte Gibbs leise: „Sein wir froh, dass wir da draußen nicht vor die Entscheidung gestellt
worden sind.“ Mulder beobachtete Sawyer aus dem Augenwinkel und bemerkte, dass dieser
emotional schwer angeschlagen war. So versuchte er, die allgemeine Aufmerksamkeit von
dem Südstaatler abzulenken. „Heather, was macht überhaupt dein Auge?“ Heather lächelte
dankbar. „Oh, das wird wieder. Es brennt kaum noch und ich konnte vorhin schon wieder fast
ohne Schleier auf dem Auge gucken. Ich hatte wirklich Todesangst, als das Vieh so plötzlich
zischend vor mir lag. Und als ich abgerutscht bin ...“ Sie schauderte im Nachhinein. Abby
legte der jungen Frau den Arm um die Schulter. „Was glaubst du, was wir uns erschreckt
haben. Die Kamera dort war ja so angebracht, dass wir nicht erkennen konnten, wie tief du
fielst. Du warst einfach weg.“ Abby sah zu Jake hinüber und nickte diesem freundlich zu. „Es
war schrecklich ...“, flüsterte der leise.
*****
Vielleicht eine Stunde durften die Gefangenen zusammen verbringen, dann wurden sie
nach und nach wieder abgeholt und in ihre Räume zurück gebracht. Das überraschte besonders die, die keine Verletzten zu beklagen hatten. Mulder und Dana ließen sich auf das
Sofa sinken und unterhielten sich über die plötzliche Großzügigkeit ihrer Gastgeber. „Was
hältst du von dem eigenartigen Verhalten? Worauf läuft das wieder hinaus, Mulder? ...
Mulder. .... Hey, Erde an Mulder, bitte melden.“ Der FBI Agent zuckte zusammen, als Dana
ihn an der Schulter packte und leicht schüttelte. „Was? Entschuldige, Scully, ich war mit den
Gedanken ganz woanders.“ „Ach, was du nicht sagst. Das ist mir doch tatsächlich auch aufgefallen.“ Dana lachte leise. „Sag schon, wo warst du?“ Mulder seufzte. „Nun, bei Kate und
Sawyer. Ist dir aufgefallen, wie fertig der war? Nicht wegen der Verletzung, er ist wirklich
gut versorgt worden von House, nein, ich meine emotional.“ Dana nickte. Sie stand auf, ging
an den kleinen Kühlschrank und schaute hinein. „Cola?“, fragte sie den Partner. „Ja, gerne.“
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by Frauke Feind
Dana griff sich zwei Dosen Cola aus dem Kühlschrank und ging zurück zu Mulder. „Er hat
extreme Probleme damit, dass jemand ihn mag. Und nun sind es so viele Leute, die ihn
mögen. Damit ist er hoffnungslos überfordert, wie es aussieht. Er tut mir leid, sein Leben
muss ein einziger Trümmerhaufen sein. Von dem Tag an, als sein Vater die Mutter und dann
sich selbst erschoss, dürfte Sawyer mehr oder weniger durch die Hölle gegangen sein. Es ist
kein Wunder, dass er niemanden an sich heran lassen mag. Er muss kolossale Bindungsängste
haben. Ich vermute mal, dass er damals nach dem Horror sicher keine Therapie bekommen
hat. Das er sich in Kate so heftig verliebt hat, wird ihm schon mehr Kopfzerbrechen bereiten
als ihm lieb ist.“ Mulder nickte. „Wenn er noch alleine wäre, Kate nicht kennen gelernt hätte,
ich glaube, er hätte sich hier schon lange umbringen lassen.“
Angst
Begründetes Misstrauen und berechtigte Hoffnung - wie oft werden doch beide
getäuscht.
Luc de Clapiers Vauvenargues
House und Allison hatten, bevor man sie in ihren Raum zurück brachte, noch den Befehl bekommen, Sawyers und Kates Wunden zu überprüfen. Ein Wachposten hatte einen
kleinen Laborwagen mit Verbandmaterial, Wunddesinfektion und Blutdruckmessgerät herein
gerollt und den beiden Ärzten den knappen Befehl gegeben, nach den Wunden zu sehen. So
hatte House sich um Sawyer gekümmert und Cameron hatte Kates Wunde angeschaut.
Sawyers Rücken sah schon deutlich besser aus. House hatte einige Stellen vorsichtig ein
wenig gereinigt, was Sawyer ab und zu ein leises Zischen entrissen hatte. Dann hatte Greg
den Südstaatler gebeten, den Kopf ein wenig zur Seite zu drehen und den Verband von der
Schnittwunde entfernt. Sawyer hatte unwillkürlich die Luft angehalten, aber House hatte ihn
schnell beruhigt. „Sieht hervorragend aus. Ich bin einfach gut.“ Ein ganz kurzes Lächeln war
bei diesen Worten über Sawyers Gesicht gehuscht. House hatte die Wunde neu verbunden,
dann hatte er bei Sawyer den Blutdruck überprüft. Der war ein wenig niedrig, aber das würde
sich in ein bis zwei Tagen auch gegeben haben. House hatte gegrinst und Sawyer erklärt:
„Lauf nicht so viel draußen herum, trink in den nächsten Tagen keinen Alkohol und iss viel
rohes Fleisch und Gemüse, dann bist du schnell wieder ganz fit.“ Sawyer hatte genickt.
„Werde ich mir merken. Und, wie sieht es aus?“ „Mach dir keine Sorgen, Tex. Sieht wirklich
gut aus, okay. Das wird problemlos verheilen und du wirst uns erhalten bleiben. Ruh dich aus,
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by Frauke Feind
solange sie uns lassen. Das gilt auch für dich, Kate, verstanden? Wir wissen nicht, was diesen
Arschlöchern als nächstes einfällt.“
Wieder in ihrem Zimmer machten House und Cameron es sich auf der Coach bequem.
House legte die Arme um Cameron und sie schmiegte sich an ihn. „Glaubst du, dass es
Sawyer besser geht?“, fragte sie. „Klar, er wirkte doch schon wieder ziemlich fit, als wir ihn
untersucht haben.“, erwiderte House überrascht. Cameron war eine gute Ärztin, sie musste
gesehen haben, dass es Sawyer schon viel besser ging. „Das habe ich nicht gemeint. Dass es
ihm körperlich besser geht, ist mir klar. Aber er wirkte irgendwie… abwesend. Als wüsste er
nicht, wie er damit umgehen soll, dass Kate und wir anderen uns um ihn sorgen.“ House
dachte einen Moment über seine Antwort nach. Normalerweise hätte er einen Scherz gemacht, um nicht zu viel von sich selbst und seinen Gefühlen preis zu geben. Aber in dieser
Situation war das etwas anderes. Er hatte einfach nicht mehr die Kraft, Allison von sich wegzustoßen. Und im Grunde wollte er das auch nicht mehr, auch wenn der Gedanke, jemanden
so nah an sich heran zu lassen, dass er es nicht würde ertragen können, ihn zu verlieren, ihm
immer noch eine Heidenangst machte. Besonders jetzt, wo er jeden Tag damit rechnen
musste, dass diese Schweine Allison etwas antun würden. „Es kann einem ziemliche Angst
machen, plötzlich Menschen zu haben, die sich um einen Sorgen, wenn man das vorher nicht
kannte. Besonders wenn man merkt, dass einem das viel zu gut gefällt.“, sagte er schließlich
leise.
Cameron drehte sich so, dass sie House in die Augen sehen konnte. Sie wusste, dass
Greg nicht nur von Sawyer sprach. „Jeder Mensch sollte jemanden haben, der sich um ihn
sorgt und um den er sich sorgen kann. Sicher ist es ein Risiko, sich auf einen anderen
Menschen einzulassen. Man hat immer Angst, einen geliebten Menschen zu verlieren. Aber
wenn man nichts zu verlieren hat, was hat man dann überhaupt noch?“ House musste nicht
lange über die Antwort nachdenken. „Freiheit. Man kann tun und lassen, was man will, ohne
darüber nachzudenken, welche Konsequenzen das für andere hat.“ Cameron sah House nachdenklich an. „Ist diese Freiheit es wirklich wert, dafür auf alles andere zu verzichten? Liebe,
Geborgenheit, jemanden, der einen tröstet, wenn man allein nicht mehr weiter weiß?“
Diesmal dachte House lange über seine Antwort nach. „Nein.“, antwortete er schließlich.
Allison lächelte und küsste House zärtlich. Anschließend zog House sie wieder eng an sich.
„Ich dachte bisher, dass es das wert wäre. Ich habe früh gelernt, dass man sich das Leben einfacher macht, wenn man niemanden nah genug an sich heran lässt, dass irgendetwas, dass er
tut oder lässt dich berühren könnte. Ich habe schon als Kind so gedacht. Mein Vater war ein
Arsch. Ein guter Soldat, aber ein lausiger Vater. Er hat von klein auf versucht, mich zu
Disziplinieren, wie seine Soldaten. Wenn ich einen Fehler gemacht habe, hat er mich im
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Garten schlafen lassen, bei Wind und Wetter, oder in Eiswasser baden. Ich habe schnell gemerkt, dass das leichter zu ertragen war, wenn ich mir nicht erlaubt habe, darüber enttäuscht
zu sein, dass mein Vater mich nicht geliebt hat. An den körperlichen Aspekt der Strafen habe
ich mich mit der Zeit gewöhnt. Und emotional war es leichter zu ertragen, als ich mir nicht
mehr erlaubt habe, etwas anderes als Hass und Verachtung für meinen Vater zu empfinden.
Als ich älter wurde habe ich mich dann von anderen Menschen mehr und mehr abgeschottet.
Ich hatte Bekannte, aber keine Freunde, Affären, aber keine Beziehungen. Bis Stacy in mein
Leben trat. Ich habe sie an mich heran gelassen und das war ein Fehler. Diesen Fehler wollte
ich nie wieder machen. Deswegen habe ich dich weggestoßen.“ Cameron waren bei Gregs
Schilderungen die Tränen gekommen. Als er fertig war, streichelte sie sanft seine Wange und
küsste ihn zärtlich. „Ich bin nicht Stacy, Greg. Ich liebe dich seit drei Jahren. Egal, wie du
dich benommen hast, egal wie oft du mich weggestoßen hast, ich habe nie aufgehört dich zu
lieben. Du wirst mich nicht los, hast du verstanden?“
*****
Ziva und Abby waren erstaunt, dass man sie in den Raum zurück brachte und nicht in
ihre Zellen. Abby wankte stöhnend zum Bett und ließ sich darauf sinken. „Das kann nicht
angehen, ich bin ganz platt, von dem bisschen ...“ Sie ließ sich seufzend in die Waagerechte
gleiten und deckte sich zitternd vor Schwäche zu. Ziva sah die Kollegin an. „Das liegt mehr
an deinem psychischen Zustand als am Physischen. Wir alle sind ziemlich fertig, dass hier
steckt keiner von uns mehr ohne Schaden zu nehmen weg. Wenn die tatsächlich noch irgendwas von uns wollen, sollten sie es bald verlangen, sonst wird kaum noch einer in der Lage
sein, ihnen nützlich zu sein.“ Abby wurde langsam wieder wärmer. „Was glaubst du, warum
sind die plötzlich so nett zu uns? Irgendwie glaubt man es nicht. Die werden sicher schon den
nächsten Scherz für uns in petto haben.“ Ziva ging an den Kühlschrank und griff zwei Dosen
Cola Light, warf Abby eine zu. „Ich weiß nicht, was das hier wieder zu bedeuten hat, aber du
kannst absolut davon ausgehen, dass es nichts Gutes sein wird. Bisher hatten die nie Gutes
mit uns vor.“ Abby trank einen Schluck Cola. Dabei grübelte sie vor sich hin. „Denkst du oft
an ... zuhause, an Tim, Tony, Ducky und daran, wie ... Weißt du, Ziva, ich glaube, wenn wir
je wieder hier raus kommen, werde ich mir Tim schnappen und ihm all das sagen, was ich
ihm nie gesagt habe, weil ich nicht wollte, dass er es weiß. Ziva?“ Ziva zuckte zusammen. Sie
hatte bei der Erwähnung Tonys traumverloren vor sich hin gestarrt. „Er bedeutet dir eine
ganze Menge, unser Tony, was?“ Abby lächelte Ziva verständnisvoll an. Diese zog auf ihre so
typische Art die Augenbraue hoch. „Blödsinn. Er ist ... nett und ein absoluter Kindskopf. Ich
würde ihn nach einer Woche umbringen.“ Abby lachte. „Ich wundere mich immer, dass Gibbs
ihn noch nicht umgebracht hat.“
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Die Anderen
by Frauke Feind
Die beiden jungen Frauen versuchten in den nächsten Stunden, nicht immer nervöser
zu werden. Dieses Gefühl, dass eine neue Gefahr wie ein Damokles - Schwert über ihnen
schwebte, machte besonders Abby schwer zu schaffen. Sie wurde immer zappeliger. Ziva war
da stoischer veranlagt. Dass sie ein wirklich hervorragendes warmes Essen serviert bekamen,
bestehend aus Lachsfilet, Salzkartoffeln, Sauce Hollandaise und zum Dessert Obstsalat, rettet
die Stimmung auch nicht. Die Frauen nutzten die Gelegenheit, sich zu unterhalten, aber
irgendwann wurde Abby immer stiller und auch Ziva schwieg schließlich ganz. Lange
herrschte Schweigen zwischen ihnen, dann sagte Abby leise: „Ziva, ich habe schreckliche
Angst, dass die uns plötzlich so gut behandeln kann unmöglich ein gutes Zeichen sein. Was
haben die bloß mit uns vor. Ich halte das nicht aus.“ Ziva sah die Kollegin an. Abbys wirkte
total verängstigt und schien den Tränen nahe zu sein. Ziva machte sich nichts vor, sie war
selbst ein wenig nervös, sie hatte nur den Vorteil, durch das extrem harte Training beim
Mossad gegangen zu sein. Nichts versetzte die junge Agentin so schnell in Angst und
Schrecken. Abby tat ihr aufrichtig leid. Ziva suchte nach passenden Worten, sie zu beruhigen,
aber ihr fielen beim besten Willen keine passenden Worte ein. So erwiderte sie schließlich nur
leise: „Abbs, wir können es ohnehin nicht verhindern. Es nützt uns nichts, uns vorher schon
verrückt machen zu lassen. Es ist Zeit genug, uns aufzuregen, wenn etwas passiert.“
*****
Heather konnte es nicht fassen. „Schau dir das an. Das ist tatsächlich Lachsfilet.
Wochenlang bekommen wir trocken Brot und Wasser, und jetzt das hier? Die sind doch nicht
normal.“ Jake starrte nicht weniger verblüfft auf das Mittag, das sie hier geliefert bekamen.
„Weißt du was? Es ist mir vollkommen egal, selbst, wenn es, wie Mulder sicher vermutet,
vergiftet wurde, ich werde es genießen und sollte ich danach sterben, bin ich satt und mit
einem sehr guten Essen im Magen gestorben.“ Heather sah Jake zweifelnd an. „Lohnt es sich,
für ein gutes Essen zu sterben?“ Sie warf einen Blick auf die Teller, dann nickte sie. „Ja.“
Und schon machte sie sich über das hervorragende Menu her. Als sie später mehr als gesättigt
waren, zog Jake Heather mit sanfter Gewalt zum Bett hinüber. „Komm schon, Kleines, du
solltest dich wirklich ausruhen, nach allem, was hinter dir liegt.“ Heather ließ sich widerstandslos zum Bett hinüber ziehen und die beiden jungen Leute streckten sich darauf aus.
Heather kuschelte sich eng in Jakes Arme und so lagen sie still beieinander. „Kate ... Sie hat
diesen Dreckskerl einfach so getötete. Jake, wie ist es, einen Menschen zu töten?“
Jake war mehr als überrascht von der Frage. Augenblicklich schoss ihm die Kleine in
Afghanistan in den Kopf. Er würde es sich nie verzeihen können, das Kind versehentlich er113
Die Anderen
by Frauke Feind
schossen zu haben. Aber das da draußen im Dschungel war natürlich etwas ganz anderes gewesen. Er überlegte, wie er Heather antworten sollte. „Weißt du, Töten ist nie gut, aber es gibt
durchaus Situationen, da fühlt es sich hervorragend an. Kate hat absolut richtig gehandelt.
Schade nur, dass sie und Gibbs nicht mehr von den Mistkerlen in die Hölle schicken konnten.
Dass diese Bastarde Sawyer und Abby dafür killen wollten, zeugt von der Mentalität dieser
Leute.“ Jake drückte Heather fest an sich. „Ich würde liebend gerne ein paar von ihnen umbringen, das kannst du mir glauben.“ Heather spürte Jake zittern vor Hass. Sie drehte den
Kopf und gab ihm einen sanften Kuss. „Das würde selbst ich gerne. Ist dir auch aufgefallen,
wie fertig Sawyer gewirkt hat? Das kann nicht die Verletzung an sich sein. Ich glaube, da
spielen bei ihm noch ganz andere Dinge eine Rolle.“ Nach einigen Minuten der Stille fragte
Heather: „Hast du es jemals bereut? Jemanden getötet zu haben, meine ich.“
Jake verkrampfte sich bei der Frage. Er dachte wieder an das kleine Mädchen. Konnte
er Heather wirklich davon erzählen? Würde sie ihn hassen, wenn sie wüsste, dass er ein unschuldiges Kind getötet hatte? Heather bemerkte Jakes Anspannung. „Du musst die Frage
nicht beantworten, wenn du nicht willst.“, versicherte sie. Jake sah Heather an. In ihren
sanften blauen Augen konnte er nichts als Liebe und Sorge um ihn erkennen. Jake atmete tief
durch. Wenn es irgendeinen Menschen gab, der ihn trotz seiner Vergangenheit lieben würde,
dann war es Heather. Und sie hatte ein Recht auf die Wahrheit. „Es war bei einem Einsatz in
Afghanistan. Wir waren nur zu viert und waren an dem Tag schon mehrmals beschossen
worden. Wir waren mit den Nerven am Ende. Da war dieses Mädchen… Ich habe sie nur von
weitem gesehen… Sie hatte etwas in der Hand, das aussah wie ein Gewehr. Ich habe einfach
geschossen….Als ich näher kam sah ich, dass sie nur einen Stock in der Hand hatte. Sie war
noch ein Kind, Heather. Vielleicht zehn Jahre alt…. Ich habe ein Kind erschossen…“ Jake
liefen Tränen über die Wangen und er schaffte es nicht, Heather in die Augen zu sehen. Die
junge Lehrerin zog Jake wortlos näher an sich. Dieser wehrte sich nicht dagegen, von ihr in
die Arme genommen zu werden. Er ließ seinen Kopf an ihrer Schulter ruhen, während sie sein
Haar streichelte und ihn sanft auf die Stirn küsste.
*****
Kate hatte Sawyer während des Besuches durch die Mitgefangenen nicht aus den
Augen gelassen. Ihr war sofort aufgefallen, wie angeschlagen er war. Die viele positive Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde, war ganz offensichtlich zu viel für sein Nervenkostüm.
Als sie wieder alleine waren, legte Kate sich erschöpft zu ihm ins Bett und kuschelte sich eng
an ihn. „Kannst du mir vielleicht mal verraten, was du die ganze Zeit hattest?“, fragte Kate
liebevoll. Sawyer warf ihr nur einen flüchtigen Blick zu. „Was meinst du?“, fragte er dann
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Die Anderen
by Frauke Feind
leise. „Schatz, du weißt genau, was ich meine. Man könnte denken, du würdest zur Schlachtbank geführt werden. Du hattest Besuch, alle haben sich große Sorgen um dich gemacht und
du hast die ganze Zeit gewirkt, als wenn du dich mindestens zur Hölle, wenn nicht noch
weiter weg wünschst. Bitte, Sawyer, was ist los?“ Eine Weile sagte Sawyer nichts, biss sich
kurz auf die Lippe und stieß dann mühsam hervor: „Weiß du, ich habe immer vermieden,
jemanden so nahe an mich heran zu lassen, dass mir sein Verlust wehtun könnte. Seit ich alt
genug bin ... Als meine Dad damals ... naja, als er Mum und sich ... Ich bin herum gereicht
worden. Die Verwandten meines Vaters haben meine Mutter für die Tragödie verantwortlich
gemacht, die Verwandten meiner Mutter haben ...“ Sawyer musste tief durchatmen. Kate
hörte einfach nur zu. „Sie haben meinen Dad verflucht. Und ich stand irgendwo dazwischen,
keiner wusste und wollte mit einem total verschreckten achtjährigen etwas anzufangen. Das
war allen zu viel. Schließlich landete ich bei meinem Onkel, einem jüngeren Bruder meines
Vaters.“
Wieder machte Sawyer eine Pause. Dann fuhr er fort: „Er hat mich ... Er hat mich wie
einen Sohn aufgenommen, hat mir meinen Vater wirklich fast ersetzt. Er starb jämmerlich an
einem Hirntumor, da war ich fünfzehn. Danach ... Kate, ich hatte nur noch Angst, verstehst
du? Noch jemanden zu verlieren. Das hätte ich nicht mehr ertragen. Ich wollte nicht einmal
dich so nah an mich heran lassen. Ich dachte wirklich, ich könnte dich mitnehmen in die
Staaten und irgendwann absägen, wie alle Frauen bisher. Ich hab es schon vor dem Abflug
gewusst, dass das nicht klappen würde. Und hier ... Hier sind plötzlich so viele Leute, die ...“
Seine Stimme klang, als würde sie jeden Moment brechen. „... die mir was bedeuten und
denen ich was bedeute. Und ich habe panische Angst davor, zusehen zu müssen, wie du ...
Oder wie einer von den Anderen ...“ Wieder biss er sich auf die Lippe. „Freckles, wenn dir
hier was zustößt ...“ Die Stimme versagte Sawyer endgültig. Kate waren Tränen in die Augen
geschossen. Das hatte Sawyer ihr bisher nicht erzählt. Der Moment, als sein Vater die Wahnsinnstat vollbrachte, hatte den kleinen, gerade einmal acht Jahre alten Jungen damals in die
Hölle gestoßen und dort befand er sich ganz offensichtlich immer noch. Kate rollte sich
herum und sah Sawyer an. Diesem standen ebenfalls Tränen in den Augen. „Hör mir zu, bitte.
Wir werden den ganzen Mist hier zusammen überleben und wir werden danach zusammen
sein, verstanden. Ich liebe dich. Und ich will dich nie wieder verlieren. Das könnte ich nicht
ertragen. Und, Sawyer, du hast hier Freunde gefunden, okay, genieße das und mach dir deswegen doch keine Gedanken, hörst du.“ Kate beugte sich zu Sawyer herunter und ihre Lippen
verschlossen ihm den Mund. Heftig drückte er sie an sich und erwiderte den Kuss voller Verzweiflung und Leidenschaft.
*****
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Die Anderen
by Frauke Feind
Gibbs und Locke hatten sehr dumm geguckt, als das großartige Mittag serviert worden
war. Als sie satt waren, hatte Gibbs im Kühlschrank zwei Dosen Bier gefunden und eine an
Locke weiter gereicht. Dann hatten die Männer sich unterhalten. Locke fragte Gibbs: „Es geht
mich zwar nichts an, aber ich habe das Gefühl, dass es dich unglaublich belastet, was mit
deiner Frau und deiner Tochter passiert ist. Vielleicht hilft es dir, darüber zu sprechen.“ Gibbs
sah den anderen Mann ruhig an. Er hatte über Kelly und Shannons Tod mit niemandem je
gesprochen. Aber irgendwie hatte er gegen die ruhigen Worte des geheimnisvollen Mannes,
der Abby und einigen anderen schon das Leben gerettet hatte, keine Abwehrkraft mehr. So
ließ er mit einem leisen Seufzen den Kopf hängen und berichtete dann: „Shannon ist damals
Zeugin eines Mordes geworden. Sie hatte beobachtete, wie ein mexikanischer Drogendealer,
Pedro Hernandez hieß der Mistkerl, einen Marine erschoss. Sie wollte gegen den Bastard aussagen. Shannon war die einzige Belastungszeugin. Hernandez lauerte dem Wagen auf, den
Shannon benutzte, sie wurde aus Sicherheitsgründen gefahren. Der Dealer jagte dem Fahrer
vom NIS, damals hieß der NCIS nur NIS, eine Kugel in den Kopf. ... Der Wagen, er verunglückte und ... meine Familie starb in dem Wrack.“ Locke hatte ruhig zugehört, ohne den
Special Agent zu unterbrechen. Er spürte, dass Gibbs im Fluss war und weiter reden würde.
„Ich war im Irak, 90, Desert Strom, und bekam die Nachricht, dass beide tot waren.
Ich bekam für die Beisetzung Heimaturlaub. Mein späterer Mentor und Vorgesetzter beim
NCIS, Special Agent Mike Franks, war mit der Untersuchung des Falles betraut. Er hatte
heraus gefunden, dass Hernandez sich nach Mexiko abgesetzt hatte und ... Er konnte mir
natürlich nicht offiziell sagen, wo Hernandez sich aufhielt, aber er verließ kurz sein Büro,
lange genug, dass ich in die Akten schauen konnte. Ich fuhr nach Mexiko und erschoss den
Dreckskerl. Dann kehrte ich zu meiner Einheit zurück. Ich geriet in ein Minenfeld und wurde
schwer verletzt. Ich hatte versucht, mich umzubringen, weißt du, John. Es hat nicht geklappt.
Ich lag neunzehn Tage im Koma, wachte aber wieder auf. Ich wurde mit dem Silver Star belobigt und quittierte den Dienst. Ich ging zum NCIS. Unter Mike Franks wurde ich Special
Agent. Alles, was ich kann, habe ich von ihm gelernt.“ Gibbs schwieg erschöpft. Dass er all
das so ohne weiteres Locke erzählt hatte, erschien ihm komischerweise völlig normal.
John nickte verständnisvoll mit dem Kopf. „Wahrscheinlich hast du dich besser gefühlt, nachdem du Rache geübt hattest.“, sagte er nachdenklich. „Ich bin ein Opfer geblieben,
indem ich meinen Vater bedrängt habe. Ich wollte es einfach nicht wahr haben. Darüber habe
ich die Frau verloren, die ich geliebt habe.“ Gibbs schaute überrascht auf. „Was wolltest du
nicht wahr haben, John?“ „Ich habe mich zum Narren gemacht und gedemütigt, indem ich vor
seinem Haus herumgelungert habe in der Hoffnung, ein Wort von ihm zu erhaschen. Ich
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by Frauke Feind
wollte nicht glauben, dass mein Vater mich eiskalt ausgenutzt hatte, dass das einzige, was er
von mir gewollt hatte, meine Niere gewesen war. Meine Mutter ist von ihm dafür bezahlt
worden, den Kontakt herzustellen. Ich war so glücklich, dass mein Vater mich sehen wollte,
dass ich mich habe übertölpeln lassen wie ein Schuljunge.“ Bitterkeit klang in Johns Stimme
und er schaute gedankenverloren seine Bierdose an. Gibbs erklärte leise: „Ich kann verstehen,
dass du eine Antwort von deinem Vater wolltest, John. Hast du sie wenigstens bekommen?“
„Sicher habe ich die Antwort bekommen. Er brauchte meine Niere, das war alles.“ „Was war
mit ... Helen, war das nicht ihr Name?“, wollte Gibbs wissen. „Helen wollte nicht, dass ich
mich erniedrige und lächerlich mache. Sie hat mich vor die Wahl gestellt, mein Vater oder
sie.“ „Und du hast dich entschieden, nehme ich an? Du sagtest, du hast die Frau verloren, die
du geliebt hast. Darf ich daraus folgern, dass du nicht von deinem Vater lassen konntest?“
Gibbs stellte die Frage sehr vorsichtig. „Ich konnte ihn nicht aufgeben, wollte erzwingen, endlich irgendwo hin zu gehören.“
*****
Ziva hatte Abby ein weiteres Mal den Rücken eingerieben. Dann hatten beide eine
Weile ihren dunklen Gedanken nach gehangen. Beide versuchten krampfhaft, ihre Gedanken
auf weniger unangenehme Dinge als ihre Angst vor dem, was sie sicher in Kürze erwarten
würde, zu richten. Plötzlich hatte Abby leise aufgelacht. Ziva sah überrascht auf. „Was ist so
komisch?“ Abby grinste. „Erinnerst du dich an unsere kleine Schlägerei, damals, als Gibbs im
Koma lag, nach dem Bombenanschlag auf dem Schiff? Damals habe ich dir nicht getraut. Ich
habe Kate vermisst. Und du warst so ... anders. Ist es wahr, dass Ari dein Halbbruder war?
Wir hatten noch keine Gelegenheit, darüber zu sprechen.“ Ziva grinste. Sie erinnerte die
kleine Ohrfeigerei noch lebhaft. Abby entnahm dem Grinsen, das die Kollegin sich sehr wohl
erinnerte. Jetzt sagte die Mossad Agentin: „Ja, das war er. Es fällt mir schwer, darüber zu
reden, verstehst du?“ Ziva zögerte merklich. „Mein Vater ... Er hat es mit der Treue nicht so
genau genommen. Aris Mutter war Palästinenserin, eine Ärztin. Ari wurde von meinem Vater
von Kindheit an auf sein späteres Leben als Hamas Maulwurf vorbereitet. Er hat von 1990 bis
94 an der University Edinburgh Medizin studiert und auch dort promoviert. Auf derselben
Uni war Ducky auch.“ Ziva schwieg. Dann fuhr sie leise fort: „Er hat unseren Vater abgrundtief gehasst, weil dieser von dem Anschlag auf das Lazarett im Gaza Streifen, bei dem seine
Mutter starb, wusste, und sie nicht gerettet hat. Ari hat mit seiner Mutter Hosmiyah zusammen in diesem Lazarett gearbeitet. Er war nicht anwesend, als der Anschlag damals
erfolgte.“
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by Frauke Feind
„Warum hast du es uns nie erzählt? Dass er dein Halbbruder war?“ Ziva lachte
ironisch. „Du hast mir auch ohne dieses Wissen keine Vertrauen entgegen gebracht. Was
glaubst du, was passiert wäre, wenn ihr gewusst hättet, dass der Killer eurer Kollegin mein
Halbbruder war?“ Abby sah Ziva schockiert an. „Du hast natürlich Recht. Keiner hätte dir
vertraut. Ich habe es ohnehin nicht getan, Tony hätte es ebenfalls nicht, und auch McGee wäre
es deutlich schwerer gefallen. Warum war es eigentlich so wichtig für dich, dass Gibbs
offiziell als Todesschütze angegeben wurde?“ Wieder lachte Ziva, diesmal resigniert und verzweifelt. „Ari hatte sehr viele treue und fanatische Anhänger. Wenn die erfahren würden, dass
ich, als seine Führungsoffizierin und Halbschwester den Todesschuss auf ihn abgegeben habe,
wäre mein Leben keinen Shekel mehr wert. Noch dazu, um einen Ungläubigen zu retten.“
Abbs sah Ziva ernst an. „Du hast deinen Halbbruder erschossen, um Gibbs zu retten. Das ist
mir erst jetzt völlig klar geworden, Ziva. Das ist ... unglaublich. Das hätte auch nicht jeder
gemacht. Kein Wunder, dass Gibbs dir uneingeschränkt vertraut. Er hat dir sein Leben anvertraut. Und das noch bevor er dich überhaupt richtig kannte. Das ist ... wow.“ Irgendwie wurde
Abby die Tragweite dessen, was Ziva getan hatte, erst jetzt wirklich klar. Und dann fiel der
Laborantin ein, das Ziva von einer Schwester gesprochen hatte. „Du hast auch eine
Schwester? Ich ... hab das nicht mehr so ganz im Kopf, was du ... Na ja, was du erzählt hat
während der Befragung.“
Ziva warf Abby einen undeutbaren Blick zu. Zum Teil genervt, zum Teil dankbar für
das Interesse und ganz sicher Dankbar dafür, dass Abby endlich die letzte Scheu abbaute.
Daher beschloss die Israelin blitzschnell, vorbehaltlos ehrlich zu sein und erzählte, leise,
stockend, zögerlich: „Tali und ich waren von unserer Mutter los geschickt worden, zum
Training im Mossad Camp. Auf dem Weg dort hin ... Wir mussten an einer großen
Menschenmenge auf einem Marktplatz vorbei. ... Es war nicht der erste Selbstmordanschlag,
den ich miterlebte. Es gab einen schrecklichen Knall, dann einen Lichtblitz und dann hörte ich
nur noch Schreie. Ich hatte bis auf ein paar Kratzer nichts abbekommen. Um mich herum
lagen ... menschliche Arme, Beine, tote Körper ... Überall war Blut ... Verletzte schrien,
Menschen suchten in dem Chaos nach ihren Angehörigen ... Und dann sah ich Tali ... Sie lag
nur wenige Schritte entfernt und ihr Bauch ... Sie war regelrecht aufgeschlitzt und versuchte,
ihre Eingeweide ... Ein umher fliegendes Metallteil hatte sie erwischt. Ich bin zu ihr gekrochen, hab sie ... Ich habe meine kleine Schwester in den Armen gehalten und dort ... so ...
ist sie gestorben, Abby. Sie war er sechzehn Jahre alt.“ Zum ersten Mal, seit Ziva beim NCIS
war zeigte sie offen ihre Gefühle. Tränen liefen der knallharten, jungen Frau unaufhörlich
über das Gesicht und sie schluchzte. Abby saß auf dem Bett und wusste nicht, was sie tun
sollte. Dann aber warf sie alle Überlegungen über Bord und eilte zu Ziva auf das Sofa. Fest
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Die Anderen
by Frauke Feind
nahm sie die junge Frau in die Arme und zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Schwester ließ
Ziva sich fallen.
*****
„Unglaublich, dass Bennett mit seinem Timing so hundertprozentig
Recht hatte. Ich kann es nicht fassen, dass die wirklich anfangen, sich vorbehaltlos zu öffnen.“
„Selbst David entblättert sich. Bei der hätte ich es am wenigsten erwartet. Kaum zu glauben, wirklich.“
„Ja, das ist wirklich erstaunlich. Aber auch Gibbs und Locke, sie geben
mehr von sich preis als in all den Jahren zusammen.“
„Bennett wird unerträglich sein, er wird sich wieder derart selbst beweihräuchern, weil er ‚es uns ja gleich gesagt hat’ dass es jetzt der richtige Termin
ist.“
„Ja, aber seien wir doch mal ehrlich, er hat schon ein besonders Feeling
dafür, wann Leute reif für bestimmte Dinge sind.“
„Das spreche ich ihm auch nicht ab. Sonst hätte der Konzern ihn wohl
auch nicht für die horrende Summe engagiert.“
Waffentraining
Auf die Bildung des Charakters haben Zucht und Übung einen bedeutenden
Einfluss.
Samuel Smiles
Die nächsten Tage verliefen für die Gefangenen ruhig und einförmig. Sie wurden tatsächlich einmal am Tag zu Kate und Sawyer gebracht, wo jeweils nach ihren Verletzungen
gesehen wurde, was immer House, Dana und Cameron übernehmen mussten. Die Wunden
verheilten schnell und zufrieden stellend. Auch Sawyer erholte sich zusehends. Die Besuche
nahmen ihn auch seelisch nicht mehr so mit, nachdem er bei Kate einmal alles aus sich heraus
gelassen hatte. Die Gefangenen versuchten in der Stunde, die sie zusammen verbringen
durften, einfach locker Konversation zu betreiben, sich so normal wie nur möglich zu verhalten. Nachdem Sawyer seine Stimme wieder gefunden hatte, wurde sogar herum gealbert
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Die Anderen
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und gelacht. Doch all das konnte nicht die immer deutlicher spürbare Angst bei den Gefangenen verleugnen. Jeder von ihnen erwartete minütlich eine neue Prüfung, Aufgabe, ein
neues Desaster. Dass sie mit sehr guter Nahrung versorgt wurden, drei Mal am Tage, dass sie
zu Trinken bekamen, was sie wollten, sogar Wein, dass sie sich wirklich erholen durften, bestätigte ihre Angst nur. Und dann passierte es. Kate und Sawyer zuckten zusammen, als ihre
Zimmertür auf ging. Kate griff unwillkürlich nach Sawyers Hand. „So, wir wollen doch nicht
ganz versauern hier, darf ich dann mal bitten?“ Mit zitternden Beinen standen Kate und
Sawyer auf, ließen sich die Hände auf den Rücken fesseln und wurden aus dem Raum geführt.
In einem anderen Zimmer geriet Heather in Panik, als eine Wache kam und Jake abholte. Außerdem wurden Gibbs, Mulder, Ziva, Bones, Locke und Booth eingesammelt.
Getrennt wurden sie alle in den Keller des riesigen Gebäudes gebracht. Nur, weil sie dort in
einem großen Raum mit Tischen und Stühlen zusammen gebracht wurden und man ihnen die
Fesseln abnahm, beruhigten sich die Gefangenen noch lange nicht. „Scheiße, jetzt sind wir
wohl wieder mal fällig.“, sinnierte Ziva und ließ sich genervt auf einen der Stühle sinken.
Kate stand eng an Sawyer gedrückt da und zitterte am ganzen Körper vor Angst. Sehr viel
besser ging es Bones auch nicht, sie hatte keinerlei Einwände, dass Booth die Arme um sie
gelegt hatte. Gibbs ließ sich neben seiner Agentin auf einen Stuhl sinken und Locke setzte
sich ruhig zu ihnen. „Wir können es ohnehin nicht ändern. Warten wir mal ab, was passieren
soll.“ „Wie sagt der schlaue Japaner? So, wie es ist, ist es gut ...“ Mulder verzog das Gesicht
zu einem ironischen Grinsen und machte eine einladende Geste zu Kate und Sawyer. „Darf
ich neben euch sitzen?“ Unwillkürlich zuckte ein freches Grinsen über Sawyers Gesicht.
„Aber nicht abschreiben.“ Schließlich saßen sie alle und harrten nervös der Dinge, die
kommen würden.
Und dann öffnete sich die Tür des Raumes und zwei Männer kamen herein. Sie waren
anders gekleidet als die Wachen. Geradezu militärisch. Einer der Männer hatte einen großen
Metallkoffer in der Hand, den alle sofort als Gewehrkoffer identifizierten. Langsam wurden
sie neugierig, was das hier werden sollte. Dass man sie kaum hierher gebracht hatte, um sie
mit einem Gewehr zu erschießen, war klar. Die schreckliche Nervosität legte sich ganz allmählich und machte erwartungsvoller Spannung Platz. Einer der Männer stellte sich an den
Schreibtisch an der Kopfseite des Raumes und der Koffer wurde auf den Schreibtisch gestellt.
Der andere Kerl blieb an der Tür stehen, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und behielt
die Gefangenen sehr genau im Auge. Der Typ am Schreibtisch fing an: „Ich weiß, dass jedem
von euch klar ist, was ich hier habe. In einer Schublade unter der Schreibfläche eurer Tische
findet ihr Block und Stifte. Ihr werdet euch Notizen machen, jedenfalls diejenigen von euch,
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Die Anderen
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die sich mit der Materie nicht so genau auskennen, klar?“ Ganz langsam legte sich die Angst
bei den überraschten Gefangenen immer mehr. Sie nickten verhalten und wurden sofort angefahren: „Habt ihr verstanden?“ Fast im Chor kam die scheinbar gewünschte Antwort. „Ja,
Sir.“ Alle sahen die Schublade, die der Kerl erwähnt hatte, öffneten sie und fanden drinnen
einen großen Schreibblock und zwei Bleistifte. Sie zogen diese Utensilien hervor und legten
sie vor sich auf die Tische. Dann sahen sie aufmerksam nach vorne.
Der Typ hatte gewartet, bis alle Block und Stifte vor sich liegen und sich wieder ihm
zugewandt hatten. Dann fing er an zu reden: „Ihr werdet selbstständig entscheiden, was ihr
euch notieren müsst. Ihr werdet über das, was ihr lernt, Prüfungen ablegen müssen. Solltet ihr
diese nicht bestehen, könnt ihr euch schon mal bei 1 und sechzehn ausführlich nach ihrem
Aufenthalt in der Black Box erkundigen, kapiert?“ „Ja, Sir.“ Die unterschwellige Drohung
machte allen sofort klar, dass es besser für ihre Gesundheit war, hier sehr genau aufzupassen.
Zufrieden nickte der Ausbilder. „Nun denn. Es geht um folgendes: Präzisions- oder Scharfschützen. Als Präzisionsschütze wird im Allgemeinen ein Schütze bezeichnet, der durch seine
Ausrüstung und Ausbildung in der Lage ist, auf größere Distanz Ziele präzise zu bekämpfen.
Er verfügt jedoch nicht über die Einzelkämpferausbildung eines militärischen Scharfschützen.“ Gibbs, Booth, Jake und Ziva waren wirklich sehr überrascht. Sie starrten den Ausbilder an, als wäre er ein Schaf mit zwei Köpfen. Die Anderen hatten angefangen, sich stichwortartige Notizen zu machen. Der Ausbilder sah sie der Reihe nach an und fuhr fort:
„Präzisionsschützen der Polizei haben den Auftrag, durch gezielte Schüsse eine extreme Gefahrensituation abzuwenden, also zum Beispiel Verbrechensopfer zu retten. Außerdem dienen
sie als Beobachter, was in den meisten Fällen ihre einzige Funktion bleibt, und helfen bei der
Planung von Sicherungsmaßnahmen bei gefährlichen Ereignissen. Im Vergleich zu
militärischen Scharfschützen ergeben sich für ihren Einsatz völlig andere Beschränkungen
und Rechtsgrundlagen, bedingt durch die Unterschiede von Polizeirecht und Kriegsrecht.
Auch der eigentliche Einsatz unterscheidet sich grundlegend: Polizeischützen schießen auf
vergleichsweise kurze Entfernungen zwischen fünfzig und hundertzwanzig Metern, während
militärische Scharfschützen Distanzen von bis zu zweitausendfünfhundert Metern abdecken.
Sie stehen dabei in ständigem Kontakt zur Einsatzleitung, die auch das Ziel und den Zeitpunkt
des Schusses klar festlegt. Außerdem müssen Präzisionsschützen der Polizei mit dem ersten
Schuss unbedingt den Straftäter an der Fortsetzung seiner Tathandlung hindern. Hierzu wird
nach Möglichkeit der Hirnstamm des Straftäters anvisiert. Bei Zerstörung des Hirnstammes
wird der Getroffene augenblicklich handlungsunfähig, die so genannte Mannstoppwirkung
oder auch der Finaler Rettungsschuss, und ist auch zu keinen reflexartigen Reaktionen mehr
fähig. Beispielsweise kann er so die Drohung nicht mehr wahr machen, eine Geisel zu töten,
falls auf ihn geschossen wird.“ Der Mann sah die vor ihm sitzenden Gefangenen ruhig an und
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sein Blick blieb an Mulder hängen. „Nummer 15, erkläre deinen Freunden, wo ein Schuss
treffen muss, wenn er präzise den Hirnstamm zerstören soll.“ Mulder schluckte. „Ziemlich
genau waagerecht in Nasenhöhe ... Ich habe es einmal erlebt ... Der Getroffene kommt wirklich nicht mehr zum leisesten Zucken ...“ Er schluckte erneut trocken. Bei den Worten liefen
Kate und Sawyer unwillkürlich Gänsehäute über den Rücken. Der Kerl, der Sawyer verletzt
hatte, hatte diese Zeit wohl auch nicht mehr gehabt, jedoch die, im Sterben unwillkürlich
seine Geisel wenn schon nicht zu Töten, so doch noch schwer zu verletzen.
Jetzt machte der Ausbilder eine kurze Pause, um den Gefangenen die Möglichkeit zu
geben, ihre Notizen zu vervollständigen. Dann redete er weiter. „Viele Probleme für
militärische Scharfschützen entfallen im Polizeieinsatz: Tarnung spielt keine so maßgebliche
Rolle wie bei den Streitkräften, da Polizeischützen in der Regel nicht durch Feindaufklärung
und Beschuss bedroht sind und nach der Schussabgabe nicht verborgen bleiben müssen.
Ebenso dauert ein polizeilicher Präzisionsschützeneinsatz nur wenige Stunden, in denen sich
die Schützen abwechseln können. Ein Problem für zivile Präzisionsschützen ist jedoch die
teilweise unterschiedliche Gesetzeslage hinsichtlich des finalen Rettungsschusses in den
einzelnen Bundesstaaten. Auch bei polizeirechtlich vorgesehenem finalem Rettungsschuss
muss die Verhältnismäßigkeit anschließend von der Justiz geprüft werden. Die Entwicklung
des polizeilichen Scharfschützenwesens lässt sich mit dem Aufkommen des Terrorismus und
ähnlicher Schwerstkriminalität in den 1970.ger Jahren ansetzen. Habt ihr soweit alles verstanden?“ „Ja, Sir.“ „Ich werde euch jetzt einen Hefter geben, in dem die rechtlichen Grundlagen für einen finalen Rettungsschuss in den einzelnen Staaten der USA Staaten durch die
Polizeikräfte aufgeführt sind. Ich erwarte, dass ihr sie auswendig lernt!“ „Ja, Sir.“
„Kommen wir nun zum psychologischen Anforderungsprofil. Scharfschützen sollen
besonders stressresistent, ausgeglichen, geduldig und intelligent sein. Ihr alle hier entsprecht
nach unserer Auffassung mehr oder weniger diesem Profil, auch, wenn es in den vergangenen
Wochen oft nicht so ausgesehen hat. Diese Fähigkeiten werden benötigt, da Scharfschützen
im Einsatz meistens auf sich gestellt sind, häufig einer sehr monotonen Aufgabe nachgehen
und unabhängig in kleinen Gruppen oder alleine operieren. Deshalb müssen sie in der Lage
sein, Entscheidungen selbstständig zu treffen, auf neue Situationen zu reagieren und zahlreiche Informationen auszuwerten. Die besondere Einsatzart des Scharfschützen, aus dem
Hinterhalt zu töten und nicht aus einer konkreten Notwehrsituation, kann besondere
psychische Probleme verursachen.“ Der Mann warf Booth einen besagenden Blick zu. „Dazu
wirst du uns nachher einiges erzählen, Nummer 1. Gut, weiter. Beispielsweise lernt der
Schütze während einer Observation, die in besonderen Fällen Stunden oder sogar Tage dauern
kann, das Ziel mit all seinen menschlichen Eigenheiten, Lachen, Essen und anderen Dingen
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des normalen Lebens, kennen und kann dessen Mimik sehen. Gleichzeitig stellen die beobachteten Personen keine persönliche Bedrohung dar und wissen oft nicht mal von der
Existenz des Schützen. Dabei kann eine Subjektivierung einsetzen, bei der das Ziel zu einem
Menschen wird, den man zu kennen glaubt. Wenn dann der Befehl zum Schießen kommt, ist
der Schütze nicht mehr in der Lage abzudrücken. Deshalb muss der Schütze psychisch so
stabil sein, auch bei vermeintlicher Individualisierung des Ziels abzudrücken, ohne dabei
übermäßig unter dem von ihm verursachten Tod des Ziels zu leiden. Nicht selten ist wegen
dieser Individualisierung psychologische Betreuung nach einem Einsatz erforderlich. Um dies
psychisch ohne Schaden zu verarbeiten, ist eine stabile Persönlichkeit nötig, die entweder
religiös oder in ihrer eigenen Philosophie verankert ist. Nummer 1, ich möchte, dass du uns
ein wenig zu deinen Gefühlen vor, während und nach einer Eliminierung erzählst.“
Booth schrak zusammen. Er sah den Ausbilder an, stieß: „Ja, Sir.“, hervor und wollte
dann anfangen zu reden. „Nein, du kommst hier zu mir, es sollen doch alle Anwesenden alles
mit bekommen.“ Booth seufzte resigniert und erhob sich. Er marschierte zum Schreibtisch
und stand dort etwas verlegen still. Dann begann er leise zu reden. „Meine Ausbildung zum
Scharfschützen habe ich bei den Army Rangers gemacht, 75.tes Regiment, sie ist also
militärischer Natur. Ich hielt es damals für eine gute Idee, zu den Shooters zu gehen. Die
psychologische Betreuung der Schützen wurde bei den Rangers großgeschrieben. Vor und
nach jedem Einsatz wurden wir von sehr fähigen Militärpsychologen ausgiebig betreut,
sodass die entstandenen Belastungen relativ gut abgebaut werden konnten. Wir bekamen im
Allgemeinen unsere Ziele genannt und waren zum Großteil für die Ausführung eigenverantwortlich. Ich habe im Kosovo mehrere Ziele eliminiert, aber nur General Ahmed Raddick
musste ich zur Erledigung meines Auftrages längere Zeit beobachten. Die Anderen waren
flüchtige Bilder, die ich zu erledigen hatte. Ich habe mich bemüht, nicht darüber nachzudenken, dass es Menschen waren, denen ich die Köpfe weg pustete. Ich bekam schließlich
Bescheid, dass ich eine Möglichkeit finden musste, den Schuss auf Raddick anzubringen.
Dass es ausgerechnet der Tag des Geburtstages seines Sohnes war ... Er wollte am Abend des
Tages eine weitere ethnische Reinigungsaktion durchführen. Ich hatte keine Wahl. Ich lag in
einem Versteck, gute tausendachthundert Meter vom Ziel entfernt. Und ich habe versucht,
jedes Gefühl, wie immer, vollständig auszublenden. Raddick war ein Bastard der übelsten
Sorte und ihn zu Töten war kein Problem. Er war ein Massenmörder, ein eiskalter Killer ohne
Gewissen. Aber sein kleiner Sohn ... Ihm war er ein guter Vater. Und ich musste abdrücken,
gerade, als der kleine Junge mit seinem Daddy seinen Geburtstag feierte. Es hat Wochen gedauert, bis ich mich nach dem Einsatz wieder in einem Spiegel betrachten konnte. Den
kleinen Jungen werde ich nie vergessen können, wie er da unter seinen schreienden Spielkameraden stand und auf seinen toten Vater starrte, über und über mit dessen Blut bespritzt.“
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Booth biss sich auf die Lippe und schwieg. „Du kannst dich wieder hinsetzen, Nummer 1.
Nummer sechzehn, wenn ich dich bitten dürfte ...“
Gibbs schmunzelte leicht und erhob sich. „Ja, Sir.“ Er kam nach vorne, stellte sich vor
den Schreibtisch und sagte ruhig: „Meine Ausbildung zum Scharfschützen absolvierte ich bei
den Marines. Ich war in zwei militärischen Einsätzen dabei, einmal 1989 von Mai bis
Dezember bei der Operation Nimrod Dancer in Panama und 1990/91 bei Desert Storm, sowie
einem Geheimauftrag in Kolumbien, in El Bagre. Bei beiden militärischen Einsätzen war es
meine Aufgabe, feindliche Scharfschützen zu finden und zu eliminieren. Ich hatte keine
großen Probleme damit, abzudrücken. Meine Ziele waren Gegner, die genau so wenig gezögert hätten, mich auszuschalten. Ich brauchte nie jemanden lange beschatten, meist war ich
alleine unterwegs, suchte mir Ziele und erledigte sie. Wenn die Möglichkeit sich bot, über die
jeweiligen Einsätze mit einem Psychologen zu sprechen, habe ich sie am Einsatzort immer
wahrgenommen. Nach Beendigung der Einsätze wurden die Scharfschützen auch zuhause
weiter betreut, viele hatten diese Betreuung auch nötig. Ich habe selbst häufig den Psychologen aufgesucht, es hat mir immer gut getan.“ Er schwieg. „Was war es für ein Geheimauftrag, den du in Kolumbien zu erledigen hattest?“ Gibbs zögerte. Dann erklärte er: „Es ging bei
dem Auftrag um die Eliminierung eines Drogenbarons. Er war der el jefe des Cali Drogenkartells, Cesar Castillo. Es gelang mir, ihn zu töten.“ „Nummer sechzehn, was war dein
Scharfschützengewehr?“ Gibbs sah den Ausbilder an. Dann erklärte er: „Ich hatte immer eine
M40A1, Sir.“ „Nummer 1?“ Booth stand auf und erklärte: „M24, Sir. Nur für die Distanzschüsse verwendete ich ein McMillan TAC-50.“ Gibbs durfte sich nun ebenfalls setzen. Der
Ausbilder wandte sich an Jake. „Du?“, fragte er kurz. Jake stand auf. „Ich habe mit einer Kate
geschossen, Sir.“ „Erkläre deinen Freunden hier, die nicht wissen, wovon du sprichst, was
eine Kate ist.“ „Ja, Sir.“ Jake wandte sich an die anderen. „Eine Kate ist die Bezeichnung für
die Bravo 51, eine Waffe, die auf dem Remington 700 basiert. Die Waffe hat eine Reichweite
bis tausend Meter und man verwendet 7.62 x 51mm Munition.“ „Danke, Nummer 2, du
kannst dich setzen.“
Der Ausbilder wandte sich Bones zu. „Du bist registrierte Scharfschützin beim NRA.
Erzähle bitte, mit welchen Waffen du vertraut bist.“ Außer Booth, der das selbstverständlich
wusste, sahen alle anderen Bones sehr überrascht an. Diese stand auf und erklärte ruhig: „Ja,
Sir. Ich habe den Schein mit einer Bolt Action Rifle gemacht, kann allerdings auch mit dem
Barrett M82A1, dem Bushmaster M17, dem Springfield T26 und Ruger Mini 14 gut umgehen. Handfeuerwaffen habe ich ebenfalls von verschiedenen Herstellern benutzt, bevorzuge
aber die Glock 31, die S&W 32 Double Action und die SIG Sauer P220.“ Ziva grinste. Das
kam ihr sehr entgegen. Der Ausbilder zog eine Augenbraue hoch und fuhr dann fort: „Warum
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darfst du während deiner Einsätze für das Bureau keine Dienstwaffe tragen?“ Bones Gesicht
verzog sich genervt und jetzt war es Booth, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
„Weil ich einem Verdächtigen, der mich anzünden wollte, einen gezielten Schuss in den
Oberschenkel verpasst habe, Sir.“, stieß Bones erbost hervor. Der Ausbilder fragte todernst:
„Wer wäre in deinem Falle für die Erteilung einer Lizenz zum Tragen einer Dienstwaffe zuständig, Nummer 6?“ Bones warf Booth einen giftigen Blick zu. „Er.“ Der Ausbilder
schmunzelte kurz, dann aber wurde er wieder ernst und nickte. „Nun gut, wir haben genug
gehört, Nummer 6, du kannst dich wieder setzte.“ „Ja.“ Bones wollte sich setzen, aber der
Ausbilder hielt sie auf. „Ja, Sir, das wollen wir doch nicht vergessen.“, sagte er kalt. Bones
beeilte sich: „Ja, Sir.“, zu sagen. Zufrieden wandte der Ausbilder sich wieder an die ganze
Gruppe.
„Allgemein gilt für Scharfschützengewehre folgendes: Scharfschützengewehre sind
meist Repetierer, da bei anderen Ladeverfahren, entweder durch Rückstoß oder Gasentladung
der Patrone, zu viele Teile bewegt werden und die Präzision darunter leiden könnte. Sie besitzen heute fast immer ein optisches Visier, ein Zielfernrohr, dabei sind bis zu sechzehnfache Vergrößerungen üblich. In seltenen Fällen ist ein mechanisches Notvisier vorhanden.
Wie bei vielen modernen Waffen sind meistens Möglichkeiten für das Anbringen von Zubehör, zum Beispiel einem Laserentfernungsmessers, vorhanden. Ich werde euch jetzt mal
speziell etwas über das M24 erzählen. Das M24 SWS ist ein Scharfschützengewehr für
Polizei und Militär. Es basiert auf dem Remington 700 der Waffenschmiede Remington
Arms. Das M24 SWS ist das Standard Scharfschützengewehr der US Army. SWS steht für
Sniper Weapon System. Wie alle Modelle der 700er Serie ist das M24 ein Repetiergewehr,
die leeren Hülsen werden durch Repetieren des Verschlusses ausgeworfen und eine neue
Patrone aus dem Magazin nachgeladen. Der Hauptunterschied zur Remington 700 ist das
militärische Zielfernrohr, ein 10 x 42 Leupold Ultra M3A ZF und die anpassbare Schulterstütze. Die effektive Kampfentfernung liegt laut Hersteller am Tage bei achthundert Metern,
in der Nacht mit Nachtsichtgerät bei dreihundert Metern. Für die großen Distanzschüsse wird
das McMillan TAC-50 verwendet, der bestätigte, weiteste Distanzschuss mit dieser Waffe
gelang 2002 dem kanadischen Scharfschützen Corporal Rob Furlong. Während des
Afghanistankrieges gelang es ihm mit Hilfe des TAC-50, einen Taliban-MG-Schützen über
eine Entfernung von zweitausendvierhundertdreißig Meter zu neutralisieren. Dies ist der
weiteste Treffer eines Scharfschützen im Kampfeinsatz, der bisher bestätigt werden konnte.“
Sehr eifrig machten sich alle Notizen, auch die, die mit diesen Gewehren vertraut waren.
„Remington Arms bietet ebenfalls eine modifizierte Variante des M24 an. Das M24A2
verfügt über ein zehn Patronen Magazin, eine aufgesetzte Picatinny-Schiene sowie einen ge125
Die Anderen
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änderten Lauf um einen Schalldämpfer aufzunehmen. Ein paar Daten zu dem Gewehr: Lauflänge 610 mm, maximales Gewicht 6,5 Kilo , 3 Züge, die effektive Reichweite beträgt achthundert Meter, eine maximale Weite wird mit zweitausend Metern angegeben. Die
Mündungsgeschwindigkeit beträgt 853 m/s. Die Munition ist, wie bei der Bravo 51 7,62 x 51
mm NATO. Fünf Patronen und eine Magazinfüllung von zehn Patronen sind möglich. Die
Kadenz sind 15 Schuss/min. Das Gewehr hat den Drall nach rechts. Wie die meisten Scharfschützengewehre ist es ein Repetiergewehr. Bei dem M40A1 handelt es sich um ein Scharfschützengewehr, welches aus dem System der Remington 700 entstand. So wurde das System
der Remington mit einem Atkinson Stainless Matchlauf und einem McMillan HTG Schaft
bestückt. Dieser Lauf verfügt über einen kürzeren 12er Drall um das schwerere 173 grGeschoss der Scharfschützenmunition, im Gegensatz zu den 150 gr-Geschossen der NATOStandard 7,62 mm, verschießen zu können. Verwendete Munition hier 7,62 NATO/LCAAP
oder Lapua sechzehn8 gr Sierra Match-King Präzisionsmunition. Das Magazin enthält fünf
Schuss. Das Gewicht beträgt 5,49 Kilo , 7 Kilo mit Zielfernrohr Die maximale Reichweite
wird mit tausendzweihundert Metern angegeben, die taktische Einsatzentfernung mit zirka
achthundert Metern.“ Der Ausbilder schwieg und beobachtete, wie alle eifrig mit schrieben.
„Als nächstes werden wir uns dem Aufbau eines Gewehres widmen. Ihr müsst die
Teile benennen können, daher passt sehr genau auf.“ Der Ausbilder packte das Gewehr aus
dem Koffer und trug es an den Tisch Zivas. „Na, los, Nummer 5, zeig uns mal, dass du das
Gewehr zusammen stecken kannst.“ „Ja, Sir.“ Ziva war den Zusatz ‚Sir’ vom Mossad und
ihrer Arbeit beim NCIS her genau so gewohnt wie er Booth, Jake, Mulder und Gibbs wie
selbstverständlich über die Lippen kam. Sie stand lässig auf, öffnete den Koffer und hatte
blitzschnell das darin befindliche M24 zusammen gebaut. „Nenne deinen Freunden doch mal
die sichtbaren Teile, Nummer 5.“ „Ja, Sir.“ Ziva drehte sich herum, sodass alle auf das Gewehr schauen konnten. Dann begann sie: „Dass das der Lauf ist, weiß jeder von euch.
Kimme, Korn, das hier ist der Vorderschacht, dies der Magazinschacht.“ Sie deutete der
Reihe nach auf die genannten Teile. „Das hier ist die Magazinverriegelung und der Abzug.
Hier oben ist der Repetierverschluss mit Sicherung und Kammstängel. Der Hinterschaft mit
Schaftkappe.“ Der Ausbilder nickte zufrieden. Dann trat er an eine drehbare Tafel hinter sich
und machte das dort befindliche Bild durch Drehung der Tafel sichtbar.
Er nahm einen Zeigestock und sah Mulder auffordern an. „Na, Mr. FBI Agent, wie gut
sind deine Kenntnisse?“ Mulder erhob sich und sah die Abbildung des Laufinneren auf dem
Bild an. Der Ausbilder deutet und Mulder versuchte, die richtigen Antworten zu geben.
„Schlagbolzen, Schloss, Sicherungshebel, keine Ahnung, Sir.“ An einem Teil blieb er hängen
und schaute fragend Ziva, Booth und Jake an. „Hülsenbrücke, Sir.“ Jake wusste die Antwort.
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„Gut, mach du weiter.“ Mulder setzte sich und lauschte aufmerksam auf Jakes weitere Ausführungen. „Ja, Sir. Zylinderverschluss, Verriegelungswalze, Hülsenkopf, Patronenauszieher,
Patronenlager.“ „Sehr gut, Nummer 2, setzt dich wieder.“ Jake erwiderte: „Ja, Sir.“, und ließ
sich auf seinen Stuhl sinken. „Ihr werdet eine Abbildung bekommen, verseht die Teile mit
den Bezeichnungen und lernt das auswendig, verstanden?“ „Ja, Sir.“ Der Ausbilder zog eine
Schreibtischschublade heraus und nahm einen kleinen Stapel Zettel heraus. Er drückte jedem
der Gefangenen eine Abbildung des Gewehres und des Laufes in die Hand und mit Hilfe
Jakes und Zivas beschrifteten alle die Teile.
Als nächstes mussten alle neun das Gewehr auseinander nehmen und wieder zusammen bauen. Wieder und wieder. Dabei durften Jake, Ziva, Booth und Gibbs Hilfestellung
leisten. Bones hatte es dank ihrer weitläufigen Waffenerfahrungen rasant schnell heraus, das
M24 zu zerlegen und wieder zusammen zu setzten. Als alle diese Aufgabe in einer vernünftigen Zeit geschafft hatten, wurden sie aufgefordert, aufzustehen und dem Ausbilder zu
folgen. Minuten später hatten sie das Gebäude verlassen, treulich begleitet von dem zweiten
Mann, der das M24 geladen in den Händen hielt, Grund genug für die Gefangenen, nicht mal
an eine Dummheit zu denken. Nicht mehr sonderlich überrascht wurden sie zu einem Schießstand gebracht. Der Ausbilder erklärte: „1, 2, 5, 6 und sechzehn, ihr werdet ein paar Probeschüsse abgegeben, damit ich sehen kann, wo ihr einzuordnen seid.“ Die fünf traten vor und
legten sich auf den Boden, in die Kabinen, zu den vorbereiteten Waffen. Kurz schoss ihnen
allen der Gedanke durch den Kopf, dass sie hier mit nackten Hintern am Boden lagen und mit
einem Scharfschützengewehr schießen sollten. Die Absurdität der Situation ließ sie kurz inne
halten. Gar zu lächerlich kamen sie sich vor. Doch der Ausbilder fuhr den nackten Köpern vor
sich am Boden ungeachtet fort: „Ihr werdet jeder vier Schüsse abfeuern, zweihundertfünfzig,
fünfhundert, siebenhundertfünfzig und tausend Meter Ziele. Nummer 1 fängt an.“ Booth
zielte sorgfältig, dann drückte er ab. Zielte erneut, drückte ab, neue Zielerfassung, abdrücken
und ein letztes Mal. Bei dem tausend Meter Schuss ließ er sich sehr viel Zeit beim Zielen,
dann atmete er aus und drückte langsam und ruhig ab. Die Zielscheiben blieben, wo sie waren
und Gibbs war der Nächste, der schießen musste. Nach ihm kam Jake, dann Bones und zum
Schluss Ziva. Als alle fünf ihre Schüsse abgefeuert hatten, wurden die Zielscheiben eingeblendet. Auf die zweihundertfünfzig Meter Distanz hatten alle fast ins Schwarze getroffen.
Die fünfhundert Meter Scheiben waren von Gibbs und Booth nur unmerklich aus der Mitte
getroffen worden, Bones bei der 6, Ziva lag mit ihrem Schuss bei der 5, Jake bei der 2. Die
siebenhundertfünfzig Meter hatten sowohl Booth als auch Gibbs geschafft, immer noch ins
Schwarze, allerdings Gibbs an der 5, Booth an der 3. Ziva hatte die Karte im 7.ner Ring getroffen, ebenso Bones. Jake hatte gar nicht mehr getroffen. Die tausend Meter Distanz hatten
nur noch Booth und Gibbs geschafft.
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„Das war sehr gut. Ihr werdet euren Kollegen zeigen, wie das M24 bedient wird.“ Die
nächste Stunde ging damit einher, dass der Ausbilder und die fünf Gefangenen den Anderen
genau zeigten und erklärten, wie das M24 verwendet wurde. Schließlich kamen alle einigermaßen damit klar, das Visier einzustellen, das Zielfernrohr auszurichten und alle hatte das
M24 auf die zweihundert Meter Distanz ausgerichtet. Kate war die erste, die es versuchen
sollte. Ziva hatte sich ihr gewidmet und alles genau gezeigt. Kate hatte aufmerksam zugehört
und nun war sie bereit. Sie zielte sorgfältig, dann drückte sie ab. Der Nächste, der schießen
musste, war Mulder. Gibbs hatte ihn eingewiesen und der FBI Mann drückte schließlich ebenfalls ab. Locke wurde von Booth betreut und war der nächste, ihm folgte Sawyer, der seine
Einweisung von Bones erhielt, die die Handhabung der Scharfschützenwaffe blitzschnell begriffen hatte. Als letzter kam Jake an die Reihe, dessen Treffsicherheit auf die große Distanz
dem Ausbilder nicht gereicht hatte. Er hatte Jake noch einmal ruhig und präzise alles erklärt.
Und Locke kannte das Jagen mit einem Gewehr, hatte daher ein leichtes Grundwissen. Er
drücke ruhig ab. Dann wurden die Zielscheiben begutachtet. Alle hatten getroffen. Mulder
hatte die Zielscheibe im Bereich der 2 erwischt, Locke und Sawyer in Höhe der 5 und am
besten hatte Kate getroffen. Ihr Einschussloch lag bei der 7. Sawyer zog Kate an sich und gab
ihr einen Kuss. Dann fragte er: „Sir, können wir es denn noch auf die fünfhundert Meter
Distanz versuchen?“ Der Ausbilder überlegte kurz, dann nickte er. „2 und 5, ihr werdet auch
noch einmal Schießen, auf die siebenhundertfünfzig Meter Scheibe und auf die tausend Meter
Scheibe. 1, 6 und sechzehn geben Hilfestellung.“
Nach einer weiteren Stunde hatte es auch Ziva zweimal geschafft, die tausend Meter
Scheibe zu treffen und Jake hatte sich auf die siebenhundertfünfzig Meter Scheibe eingeschossen. Mulder und Locke hatten noch mehrfach die zweihundertfünfzig Meter Scheibe
immer präziser ins Schwarze erwischt, aber bei der fünfhundert Meter Scheibe noch keinen
Treffer verbucht. Kate hatte die fünfhundert Meter Scheibe etliche Male ins Schwarze erwischt und auch Sawyer und Locke war es mehrfach gelungen, an den Rand des Schwarzen
zu kommen. Schließlich sagte der Ausbilder: „Das reicht für heute. Ihr werdet in eure Räume
zurückkehren. Ihr werdet im Schulungszimmer Gelegenheit haben, eure Notizen einzusammeln. Lernt sie auswendig, das kann ich euch nur raten. Wir verstehen mit Versagern
keinen Spaß. Morgen werdet ihr erneut zu Schießübungen geholt. Eine theoretische Prüfung
werdet ihr in ein paar Tagen absolvieren. Abmarsch jetzt.“ „Ja, Sir.“ Die Gefangenen wurden
durch den Schulungsraum geführt, dort durften sie sich ihre Notizen, den Hefter mit den
Gesetzesregelungen greifen und die Stifte mitnehmen. Dann ging es, erstmals ungefesselt, in
die Räume zurück.
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Jogging
Es werden mehr Menschen durch Übung tüchtig als durch Naturanlagen.
Demokrit
Heather hatten einen schrecklichen Tag hinter sich gebracht. Immer wieder war sie an
die Tür geeilt, um zu Lauschen, aber Jake kam nicht zurück. Zwischen Panik und Apathie
schwankend hatte sie die Stunden verbracht. Ihr Frühstück hatte sie noch mit Jake zusammen
eingenommen, da war noch alles in Ordnung gewesen. Das Mittag stand unberührt auf dem
Tisch. Der jungen Lehrerin war der Appetit vergangen. „Gott, Jake. Was machen sie nur mit
dir? Ich will dich wieder haben.“ Sie zuckte heftig zusammen, als irgendwann die Tür tatsächlich auf ging und Jake unverletzt und ziemlich guter Dinge zurück gebracht wurde. Heather
flog ihm regelrecht um den Hals. „Wo warst du? Was haben sie dir angetan? Ich habe mir
solche Sorgen gemacht. Ist dir etwas passiert? Was haben sie dir nur getan? Du sagst ja gar
nichts, war es so schlimm? Oh, Gott, Jake, ich ...“ Jake schmunzelte und verschloss der aufgeregten jungen Frau den Mund mit einem Kuss. Dann sagte er sanft: „Heather, mir ist nichts
geschehen. Ich habe Waffentraining bekommen, zusammen mit Mulder, Kate, Sawyer,
Bones, Booth, Gibbs, Locke und Ziva.“ „Waffentraining?“ Heather war vollkommen verwirrt.
Jake zog sie hinüber zum Sofa. Dann eilte er an den Kühlschrank und griff sich eine Cola. Er
setzte sich zu Heather und dann erzählte er ihr, was sich ereignet hatte, seit er abgeholt
worden war.
*****
Dana lief unruhig im Raum hin und her. Immer wieder sagte sie sich, dass Mulder den
Entführern hoffentlich zu wertvoll war, um ihn einfach zu verheizen. Schon der Moment, als
er am Morgen nach dem Frühstück abgeholt worden war, hatte Dana in Angst und Schrecken
versetzt. Das war es, was sie die ganze ruhige Zeit über befürchtet hatten. Erst wurden sie in
Sicherheit gewogen, dann kam das dicke Ende. Dana war nie eine ängstliche Frau gewesen,
sie hatte sich immer gut unter Kontrolle gehabt, aber hier, während dieser grausamen Gefangenschaft, war ihr diese Selbstkontrolle nach und nach abhanden gekommen. Als Mulder
weg gebracht wurde, war ihr kurz nach Schreien zu Mute gewesen. - Oh, Gott, nein, bitte. war alles, was sie hatte denken können. Sie zwang sich zur Ruhe, versuchte, sich einzureden,
dass das nicht zwangsläufig etwas extrem Schlimmes zu bedeuten hatte, dass Mulder abgeholt
worden war. Aber als die Stunden dahin tropften und er nicht zurückkam, fuhren immer
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wieder Wellen der Panik in ihr hoch, die sie von Mal zu Mal schwerer nieder ringen konnte.
Der Gedanken, mit dem Mulder selbst sie immer wieder zu Trösten versuchte, nämlich, dass
es irgendetwas gab, warum man sie entführt hatte, und dass sie gebraucht wurden, beruhigte
die Agentin nicht mehr. Dennoch versuchte sie, sich mit dem Gedanken zu trösten. „Reiß dich
gefälligst mal zusammen, Dana Scully.“, feuerte sie sich an. „Diesen ganzen Aufwand betreiben die wirklich nicht, um uns dann einfach umzubringen. Die wollen etwas von uns.“
Eine andere Stimme flüsterte ihr jedoch sofort ein: „Mag ja sein, aber wer sagt, dass
sie uns in einem Stück brauchen? Und wer sagt, dass sie Mulder brauchen?“ Dana konnte
nicht mehr verhindern, dass ihr Tränen über die Wangen kullerten. Verärgert wischte sie diese
weg. „Steigere dich nicht in etwas hinein.“, versuchte sie sich zur Ordnung zu rufen. „Diese
Leute tun nichts ohne Grund. Wenn sie Mulder umbringen wollten, hätten sie das getan, ohne
ihn vorher aufzupäppeln. Das wäre unlogisch gewesen und die handeln pragmatisch und mit
kalter Logik.“ Dana schlug verzweifelt die Hände vor das Gesicht. „Aber das hat sie nie daran
gehindert, uns nach Strich und Faden fertig zu machen. Schau dir doch nur mal Sawyer an ...“
Die andere, die höhnische Stimme, gab einfach keine Ruhe. Und dann ging die Tür auf.
Mulder kam herein. Unverletzt. Dana schoss vom Sessel hoch und fiel dem geliebten Mann
bebend um den Hals. „Himmel, wo warst du nur so lange? Ich bin fast verrückt geworden.
Haben sie dir etwas getan?“ Mulder hielt Dana überrascht im Arm. „Hey, mir geht es gut,
wirklich. Außer meinem Ego ist noch alles ganz an mir.“ „Was ist denn bloß passiert? Geht es
dir wirklich gut, Mulder?“ Dana löste sich ein wenig aus Mulders Armen und sah ihn an. Sie
musste sich überzeugen, dass er noch in einem Stück war. Mulder legte erneut den Arm um
sie, führte Dana so zum Sofa hinüber. Er selbst trat an den Kühlschrank und griff sich ein
kaltes Bier. Er hatte unheimlichen Durst. Damit setzte er sich zu Dana, die ihn erwartungsvoll
anschaute. „Sag schon, lass dir doch um Gottes Willen nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.
Was haben sie dir getan?“, fragte Dana ungeduldig. Und Mulder begann: „Wir hatten Schießtraining ...“
*****
Die Gefangenen gewöhnten sich langsam daran, ein wirklich ganz erstklassiges Frühstück zu bekommen. Dass es an diesem Morgen, dem fünften in den Luxuszimmern, noch mit
Joghurt und Obstsalat aufgestockt wurde, nahmen alle mit Beglückung zur Kenntnis. Was alle
weniger beglückend fanden war die Tatsache, dass sie nach dem Frühstück zimmerweise abgeholt wurden. Wo brachte man sie nur hin? Die Frage war schnell geklärt. Die Gefangenen
wurden in eine große Halle geführt. Gil stöhnte entsetzt. „Oh, nein.“ Ziva und einige andere
aus der Gruppe lachten erfreut auf. Eine Sporthalle. Blitzschnell überflog Ziva, dass es
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sechzehn Trainingsgeräte waren, die in Reih und Glied hier standen. Um die Halle herum war
eine Laufbahn angelegt und den Trainingsgeräten gegenüber standen fünfzehn Ergometer,
einfache Hometrainer. Sara war bemüht, nicht zu gehässig zu Grinsen. Sollten sie etwa so was
wie Bewegung bekommen? Sicher wusste das jeder von ihnen bis auf Gil zu Schätzen. Sie
wurden in die Mitte der Halle geführt. Dort lagen Trainingshosen und T-Shirts. Eine der
Wachen erklärte ihnen ruhig: „Zieht euch T-Shirts und Shorts an, beeilt euch.“ Eifrig gehorchten die Gefangenen und standen Minuten später bereit. Mehrere Wachen standen unauffällig in der Halle verteilt und behielten die Gefangenen sehr genau im Auge. Jetzt kamen
Personen zu den Gefangenen, vier Männer und zwei Frauen, und bauten sich vor ihnen auf.
Eine der Frauen begann: „Ihr werdet ab heute täglich Aufbautraining bekommen. Wir werden
euch in drei bis vier Leistungsklassen einteilen. Klasse 1) 1, 2, 5 und 8, Klasse 2) 12 und
sechzehn, wenn ihr mithaltet, ferner 3, 6, 7, 10, 11, 15. In der Klasse 3) 9 und 14. Nun, die
Klasse 4) ist aus verschiedenen Gründen außen vor. 4 und 13. Ihr bekommt einen speziellen
Trainer zugeteilt. Ihr geht mit ihm, Abmarsch, wenn ich bitten dürfte.“
Schwer genervt folgten House und Gil dem ihnen zugeteilten Trainer in eine Ecke der
Halle. Mulder und Sawyer schauten ein wenig vergrätzt aus der Wäsche. Sawyer waren seine
Gedanken sehr genau anzusehen und Kate grinste verhalten. Sie wurde aufgefordert „1, 2, 5
und 8, ihr kommt mit mir.“ Einer der männlichen Trainer drehte sich herum und die vier
gingen ihm nach, an die ersten vier Trainingsgeräte. „Wir machen erst einmal einen Test, ein
Belastungs-EKG , damit wir wissen, wo wir euch einsetzen können. Ihr werdet auf den
Ergometer steigen.“ Die vier stiegen also auf die Fahrräder und ließen sich verkabeln. Dann
bekamen sie Anweisung: „Und los, Herrschaften, gebt Gas. Dreißig Minuten volles Tempo,
wenn ich bitten darf.“ So legten alle vier los. Und strampelten die nächsten dreißig Minuten
mit aller Kraft. Auf die gleiche Weise wurden die Gruppen 2 und 3 getestet, nur waren bei
ihnen die Zeiten reduziert. Gruppe 2 sollten zwanzig Minuten, Heather und Abby zehn
Minuten strampeln. Als alle es geschafft hatten, wurde ihnen eine kurze Pause zugestanden.
Sie erhielten Wasser und durften sich auf bequeme Matten in der Hallenmitte setzen. Alle
pfiffen aus dem letzten Loch. Sie merkten, wie sehr sie hier außer Form geraten waren. Booth
kämpfte mit einen beginnenden Krampf im linken Oberschenkel. Ziva ging zu ihm, ließ ihn
sich auf den Rücken legen und nahm sein Bein hoch. Sie streckte es durch und lehnte sich mit
der Brust auf Booth’ Fuß. Sie übte auf diese Weise Druck auf das Bein aus und langsam
lockerte sich der verkrampfte Muskel.
Schließlich kam die Trainerin mit den Ergebnissen der EKGs zurück. „Wie haben
euch richtig klassifiziert. Ihr werdet aufgebaut, Ziel ist es, bis auf Nummer 4 alle in die Klasse
1 zu bekommen. Wir erwarten von euch vollen Einsatz, haben wir uns verstanden?“ Alle
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nickten. Damit war die Trainerin aber nicht zufrieden. „Hoch mit euch, zack.“, fuhr sie die
Gefangenen an. Erschrocken kamen diese auf die Füße. „Habt ihr verstanden?“ „Ja, Ma’am.“
„Verteilt euch auf eure Gruppen, aber schnell.“ Sekunden später standen die Gefangenen in
ihren Gruppen zusammen. „Alle an die Geräte.“ Eilig traten sie an das Multifunktionsgerät
und sahen dieses erst einmal genau an. „Ihr werdet die Rückenlehne herunter lassen.“ Es
dauerte ein paar Minuten, bis alles es geschafft hatten. Dann kam die Anweisung, sich auf die
Kante zu setzen und den Oberkörper nach hinten in die Waagerechte zu bewegen. Der Kopf
lag etwas niedriger als das Becken. Über dem Kopf war ein Griff für die Hände. Jetzt wurden
die Beine über eine gepolsterte Rolle gefädelt, die in Höhe der Kniekehle platziert war. Eine
zweite Rolle wurde auf die Oberschenkel abgesenkt. Und dann kam die Anweisung „Gruppe
1, fünfzehn Mal, dann eine Minute Pause, sechs Durchgänge. Gruppe 2, zehn Mal, dann
anderthalb Minuten Pause, vier Durchgänge. Gruppe 3, fünf Mal, dann zwei Minuten Pause,
drei Durchgänge. Auf geht’s.“ Die Trainer verteilten sich auf die Gefangenen und überprüften, ob alles die Übung richtig machten. Übung 2 war sehr ähnlich der Ersten, variierte
nur in der Beugung, diese geschah nun deutlich mehr aus der Hüfte heraus. Insgesamt waren
es zehn Übungen, die die Gefangenen im gleich bleibenden Rhythmus für jede Gruppe, 15-16, 10-1,5-4, 5-2-3 durch arbeiten mussten. Sie hatten keine Zeit, den anderen zuzuschauen, zu
sehr waren alle mit sich selbst beschäftigt. Auch durchtrainierte Sportler wie Ziva und Booth
merkten, dass die Zeit in der Gefangenschaft ihre Kondition nicht gut getan hatte. Am Ende
der Trainingseinheit waren alle fertig.
Gil und House wurden gesondert behandelt. House, das war vollkommen klar, war
natürlich an den Beinen nicht belastbar und Gil musste ganz neu aufgebaut werden. House’
erste Übung war der Ruderzug, dabei schaffte er 15-2-4. House saß dabei aufrecht mit dem
Gesicht zum Gerät und musste Hebel in einer Bewegung wie beim Rudern, daher auch der
Name der Übung, auf sich zu ziehen. Damit wurden die Oberarmmuskeln und die großen
Rückenmuskeln stimuliert. Bei der nächsten Übung für ihn, dem so genannten Seitheben,
hatte er mit den Armen gewichtsbeschwerte Hebel seitwärts von oben nach unten an seinen
Körper zu ziehen. Auch hier schaffte er 15-2-4 und war sogar stolz darauf. Als nächste Übung
stand für ihn das Rückenstrecken an. Dabei saß er aufreckt auf dem Trainingsgerät und wurde
über Oberschenkel und Schritt an der Sitzfläche fest geschnallt. Die Arme musste er vor der
Brust verschränken. Ein gepolstertes Gewicht drückte ihn nun sanft nach vorne und House
musste sich gegen dieses Gewicht wieder gerade machen. Er kämpfte hart, um hier seinen
Rhythmus ebenfalls zu halten, schaffte jedoch nur 10-2-2. Diese Übung war einfach zu hart.
Die nächste war ähnlich, betraf jedoch nur die Nackenmuskulatur. Hier schaffte der Arzt
ebenfalls nur noch 10-2-2.
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Gil wurde angewiesen, auf den Hometrainer zu steigen, dann wurde eine leichte Stufe
eingestellt und er wurde verkabelt. Dann hatte er zu Radeln. Dreißig Minuten, ohne sonderliche Anstrengungen. Danach hatte er eine kurze Pause, in der die EKG Werte ausgearbeitet
wurden. Dann musste er ebenfalls an den Trainer, durchlief einige Übungen, zuerst die Kniebeuge. Bei dieser einfachen Übung musste er nur mit den Schienbeinen ein gepolstertes Gewicht in die Höhe drücken. Er erhielt die Anweisung, dies zehn Mal hintereinander zu
machen, dann zwei Minuten Pause einzulegen und die Übung drei Mal zu wiederholen. 10-23 blieb auch bei den folgenden Übungen sein Rhythmus. Die nächste Übung für ihn war das
so genannte Barrenstützen. Dabei saß Gil aufrecht auf der Bank und musste mit den Armen
Gewichte herunter drücken, als würde er sich auf einem Barren hoch stemmen. Schließlich
kam eine Übung, die der Trainer Bauchreflexion nannte. Mit den Oberarmen auf einer gepolsterten Rolle aufgestützt, musste Gil durch leichtes nach vorne Beugen ein Gewicht in die
Höhe drücken. Seine letzte Übung für den ersten Tag war das so genannte Armbeugen, eine
Übung, bei der er mit der Kraft der Unterarme ein Gewicht drücken musste. Dann wurde er
zusammen mit den anderen Gefangenen zurück in die Zimmer gebracht.
Dort angekommen, verschwanden alle, ohne Ausnahme, sofort unter den Duschen.
Die Paare warteten nicht ab, bis die Partner fertig waren, sondern gingen gleich zusammen
unter den Wasserstrahl. Gibbs und Locke saßen nach dem Duschen bei einem kühlen Bier
zusammen. „Warum die uns wohl erst völlig außer Form geraten lassen, um uns jetzt wieder
aufzubauen.“ Gibbs starrte überlegend seine Bierdose an. „Ich vermute, dass alles dient lediglich dem Zweck, uns klar zu machen, dass unsere Gastgeber absolut die Kontrolle über uns
haben. Sie bestimmen alles. Wann wir Essen, Trinken, Schlafen, Reden, uns bewegen, auf die
Toilette gehen ... Es gibt nichts, was sie nicht bestimmen.“ Locke nahm einen großen Schluck
Bier. „Eine andere Erklärung wüsste ich auch nicht. Sie haben uns abgebaut, nun sind es auch
sie, die uns wieder aufbauen, in ihrem eignen Ermessen.“ Gibbs nickte. „Ja, etwas in der Art
vermute ich auch hinter der Aktion. Was wiederum die Überlegung, dass die Herrschaften
etwas Spezielles von uns wollen, immer logischer macht. Geklärt werden müsste nur die
Frage, ob sie wirklich jeden von uns brauchen, oder doch noch irgendwann eine Auswahl
treffen, nach dem Motto: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.“ Er nahm
einen Schluck und lachte resigniert auf. „Hm, so halten sie uns alle beständig unter Druck, bei
der Stange. Solche Leute könnte jede Ermittlungsbehörde brauchen.“ Er bewegte vorsichtig
die Beine und Arme und meinte dann frustriert: „Ich habe jetzt schon das Gefühl, der
Muskelkater grinst mir über die Schultern.“ Locke seufzte genervt. „Na, frag mich mal.“
Booth hatte sich nach dem Training auf das Bett fallen lassen. „Meine Herren, ich bin
derart außer Form, das ist ja nicht zu fassen. Im Moment würde ich vermutlich sogar einen
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siebzigjährigen Einbeinigen nicht einholen. Bones, ich bin ein Schlaffie geworden.“ Mit gespielter Verzweiflung stieß Booth diese Worte aus. Seine Hände ruhten, leichte Massagebewegungen ausführend, auf seinen kaum noch existenten, nichts desto weniger
schmerzenden Bauchmuskeln. Bones lächelte und ließ sich neben Seeley auf das Bett sinken.
„Wir alles sind abgeschlafft, nicht nur du. Ich war auch schon mal besser in Form. Ich hoffe,
das war hier heute keine Eintagsfliege. Körperliche Bewegung tut uns allen gut. Woher mag
dieser Umschwung kommen? Das Waffentraining, jetzt Sport. Was haben die nun wieder
vor?“ Booth rutschte mit genervt verzogenem Gesicht auf dem Bett hin und her. „Was fragst
du mich, Superhirn? Du bist der denkende Part von uns. Ich bin der, der dringend eine
Massage braucht. Mir tut jetzt schon alles weh.“ Bones schmunzelte. „Glaubst du denn, mir
nicht?“
Ein paar Türen weiter knurrte Sawyer ziemlich genervt herum. „Was denken die
Idioten sich eigentlich? Als ob ich nicht mindestens so fit bin wie dieser Kansas-Cowboy.
Was soll das, mich zu den alten Männer und den Mädels zu stecken? Nicht, dass ich was
gegen die Mädels hätte ...“ Seine Augen funkelten, als er an Allison, Dana oder Bones dachte.
„Trotzdem sind Mulder und ich alle mal fit genug, in eurer Gruppe mitzumischen. Idioten.“
Kate saß auf dem Bett und massierte sich die schmerzenden Oberschenkel. Sie grinste.
„Schatz, du wirst sicher schnell fit genug sein, auch in deren Augen, um in unsere erlauchte
Gruppe aufzusteigen.“ Sie ließ sich langsam in die Waagerechte sinken und sah Sawyer an. Er
stand da, nur ein Handtuch um die Hüften, und fluchte ungehalten vor sich hin. Sie warf ihm
einen einladenden Blick zu. „Was hältst du denn davon, wenn du schon einmal anfängst, mir
zu beweisen, dass du wieder absolut fit bist?“ Sawyer hielt inne und sah Kate an. „Meinst du,
das müsste ich dir beweisen?“, fragte er mit einem anzüglichen Grinsen auf dem Lippen. Kate
seufzte erleichtert. Das war seit der Sache mit der Halsverletzung das erste Mal, dass Sawyer
wieder das freche Grinsen zeigte, das Kate so sehr liebte. Sie lächelte. „Komm her und ich
beweise dir, wie fit ich nach den Übungen noch bin.“ Das ließ Sawyer sich nicht zweimal
sagen.
Mulder stand vor dem Spiegel im Bad und betrachtete sich darin, so gut es eben ging.
Dana lag bereits abgetrocknet auf dem Bett und wunderte sich, was Mulder noch im Bad
trieb. Der winzige Raum hatte nun wirklich nichts Spannendes zu bieten, außer dem kleinen
Spiegel. Sie hatte sich nach dem Duschen eine Cola gegriffen, die Notizen Mulders zum
Waffentraining, und sich damit auf das Bett gelegt. Ihr Körper fing an, sich anzufühlen, als
würde er spätestens morgen früh auseinander fallen. Sie wollte gerade fragen, was Mulder da
trieb, als sie seine Stimme hörte. „Scully, findest du nicht, dass ich gut genug in Form bin, in
der ersten Gruppe mitzumachen?“ Er kam jetzt aus dem Bad, nackt, und blieb vor dem Bett
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Die Anderen
by Frauke Feind
stehen, damit Dana ihn gründlich betrachten konnte. Diese sah nur kurz auf und nickte.
„Sicher, Schatz. Du bist fit ...“ Sie widmete sich wieder den Notizen. „Hast du dass alles
schon im Kopf?“, fragte sie. Mulder fluchte los. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu? Ich
frage dich, ob ich fit bin und du fragst mich nach Waffenkunde. Hallo. Ich stehe hier in
meiner ganzen Pracht und deine Aufmerksamkeit gilt einigen Notizen.“ Dana sah jetzt tatsächlich auf. Ihre Augen ruhten scheinbar gelangweilt auf Mulders Körper. „Was? Ich sagte
doch bereits, dass du fit bist, Mulder. Meinst du nicht, du solltest deine Notizen ...“ Weiter
kam Dana nicht, denn Mulder ließ sich überraschend auf das Bett fallen und zog sie blitzschnell an sich. Ehe sie sich versah, hatte er sich auf sie gelegt und küsste sie leidenschaftlich.
Als er seine Lippen von ihren löste seufzte Dana und erklärte dann: „Meine Güte, Mulder, du
bist wirklich fit.“
*****
Nach dem Mittag wurde die Schießgruppe erneut eingesammelt. Sie alle hatten nach
dem Sport frische T-Shirts und Shorts in ihren Räumen vor gefunden und keine Kittel. Auf
den T-Shirts prangte jetzt ihre Nummer. Sie wagten kaum zu hoffen, dass die Kittelzeit
vielleicht vorüber sein möge. Unendlich erleichtert waren sie in die Kleidungsstücke gestiegen. Als sie abgeholt wurden und die Wachen nichts sagten, war klar, dass die Shirts und
Shorts akzeptiert wurden. Sie wurden heute gleich zum Schießstand geführt. Anscheinend lag
nur Praxis an, keine Theorie. Der Ausbilder wartete dort bereits auf die neun Gefangenen und
erklärte ihnen: „Heute werdet ihr alle die siebenhundertfünfzig Meter Scheibe ins Schwarze
treffen, das ist unser heutiges Ziel. 1, 2, 5 und sechzehn, hier drüben, los. Ihr werdet mit dem
McMillan TAC-50 long range shots trainieren. Alle anderen: Anfangen.“ „Ja, Sir.“ Alle neun
legten sich auf den Boden zu ihren Gewehren. Unter der Aufsicht einiger Assistenten übten
sie erneut, die Zielfernrohre zu justieren. Dann gaben sie mehrfach Schüsse auf die fünfhundert Meter Scheibe ab. Bei Kate und Locke war schnell jeder Schuss ein Treffer. Bones,
Mulder und Sawyer taten sich ein wenig schwerer, aber schließlich hatten sie den Dreh ebenfalls heraus. Kate war es schließlich auch, die die siebenhundertfünfzig Meter Scheibe mit
sieben von zehn Schüssen traf.
Booth hatte es, wie Gibbs, geschafft, mit dem McMillan Schüsse auf tausendfünfhundert Meter und tausendsiebenhundertfünfzig Meter ins Ziel zu bringen. Ziva kämpfte mit
dem leichten Seitenwind, der an diesem Tag herrschte. Wieder und wieder verriss sie den
Schuss. Schließlich sagte der Ausbilder: „1, zeig es ihr, sonst sitzen wir morgen noch hier.“
Ziva drehte sich herum und warf dem Ausbilder einen mörderischen Blick zu, den dieser
grinsend ignorierte. Booth erhob sich und ging zu Ziva hinüber. Er legte sich neben sie und
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Die Anderen
by Frauke Feind
erklärte ihr dann in aller Ruhe, worauf sie bei Seitenwind achten musste. Und das half.
Nacheinander gelangen der jungen Frau fünf Treffer auf tausend Meter. Begeistert stellte sie
fest: „Mensch, Booth, das habe ich noch nie geschafft, auf eine solche Distanz. Was immer
uns hier auch noch hervor steht, aber dass ich das hier lerne ist gut.“ Kurz sah Booth Ziva
etwas verwirrt an, dann nickte er. Ihm war ein Licht aufgegangen, was die junge Frau meinte.
„Ja, ist doch schön, dass man aus allem Nutzen ziehen kann. Übrigens heißt es: bevor steht,
nicht hervor.“ Ziva funkelte ihn an. „Das ist sicher sehr wichtig. Ich spreche sechs Sprachen
fließend, drei weitere besser als durchschnittlich und ihr könnt nur darauf herum reiten, wenn
ich mal Kleinigkeiten durcheinander bringe.“ Booth grinste.
*****
Dana regte sich nicht mehr auf, als Mulder, nachdem Mittag serviert worden war,
diesmal Steak mit Bohnen im Speckmantel, Kartoffelbrei, und gemischten Salat, erneut abgeholt wurde. Sie wünschte ihm viel Glück, und wollte es sich ächzend wieder bequem
machen. Dazu kam sie nur nicht mehr. Die Tür ging erneut auf und auch Dana wurde abgeholt. Die Hände wie gewohnt auf den Rücken gefesselt, wurde sie in ein Labor geführt,
dass keine Wünsche offen ließ. Die Wache, die sie her gebracht hatte, gab ihr nun eine klare
Anweisung. „Diese Ratte dort ist mit einem Virus infiziert. Du wirst dieses Virus lokalisieren,
analysieren und heilen. Du hast vier Arbeitsgänge Zeit. Solltest du es in der Zeit nicht geschafft haben ... nun, du bist lange genug hier, um unser Bestrafungsprinzip zu kennen. Du
bekommst jedes Hilfsmittel, nur nicht mehr Zeit. Hast du alles verstanden?“ Dana nickte. „Ja,
Sir, das habe ich.“ Ohne zu ahnen, dass in zwei Nachbarräumen Allison und House genau die
gleichen Aufgaben bekommen hatten, machte Dana sich an die Arbeit.
Heather und Abby machten sich ebenfalls keine Sorgen mehr, als nach dem hervorragenden Mittag Ziva und Jake wieder abgeholt wurden. Dass man sie selbst kurz darauf
ebenfalls abholte, machte ihnen mehr Probleme. Auf dem Flur bereits stießen sie auf Sara und
Gil und mit ihnen zusammen wurden die beiden jungen Frauen in einen ziemlich großen, mit
Technik vollgestopften Raum geführt. Kurz und bündig bekamen sie nun Anweisungen. „Ihr
seid alle technisch begabt und werdet daher folgende Aufgabe erledigen: In diesem Raum ist
die Überwachungsanlage für die ganze untere Etage untergebracht. Ihr werdet gemeinsam
eine Möglichkeit ausarbeiten, die Räume 11 und 12 mittels einer Endlosschleife zu überbrücken, habt ihr das verstanden?“ Im Chor antworteten die Vier: „Ja, Sir, verstanden.“ „Ihr
habt zwei Arbeitsgänge Zeit, solltet ihr es dann nicht geschafft haben, werden andere für euch
betraft werden, ist das klar?“ „Vollkommen klar, Sir.“ Gil antwortete ruhig und beherrscht,
wie es seine Art war. Bevor die Wache den Raum verlassen konnte, fragte Heather
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Die Anderen
by Frauke Feind
schüchtern: „Entschuldigung, Sir, bitte, dürfen wir darüber später mit ... na ja, mit unseren
Partnern reden?“ Der Wachposten nickte. „Wenn wir euch Gespräche nicht ausdrücklich
untersagen, sind sie erlaubt.“ Auch Abby war froh, das zu hören. Mit Ziva darüber reden zu
können, was sie hier machen musste, war hilfreich, denn Ziva war ebenfalls technisch sehr
versiert. Die Wache verließ den Raum und die Vier sahen sich die Anlage gemeinsam an.
„Dann wollen wir mal sehen, was wir da machen können.“
*****
Als alle schließlich wieder in ihren Zimmern waren, fanden sie auf den Tischen je
zwei Schnellhefter, die neben ihrem Abendbrot lagen. Ziemlich erschöpft sanken alle auf die
Sofas und fast jeder griff nach einem Schnellhefter. Jake biss herzhaft in eines der frischen,
gut belegten Sandwichs, die es zum Abendbrot gab. Dann blätterte er den Schnellhefter durch.
Das erste, was er fand, war eine Checkliste.
Gesundheitscheck
1) Name:
2) Größe:
3) Gewicht:
4) Alter:
5) Kinderkrankheiten:
6) Impfungen:
7) Erbkrankheiten in der Familie:
8) Geisteskrankheiten in der Familie:
9) Geschlechtskrankheiten:
10) Regelmäßig eingenommene Medikamente:
11) Schwangerschaftsabbrüche:
12) Sexuelle Aktivitäten: a) Wechselnde Partner?
b) Prostituierte?
13) Fehlsichtigkeit:
14) Orthopädische Probleme:
15) Raucher/Nichtraucher:
16) Zahnärztliche Untersuchungen regelmäßig:
17) Herz/Kreislauferkrankungen:
18) Alkoholprobleme:
19) Drogenmissbrauch:
137
Die Anderen
by Frauke Feind
20) Allergien:
21) Diabetes:
22) Epilepsie:
23) Ohnmachtsanfälle oder Bewusstseinsstörungen:
24) Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen:
25) Schwerhörig:
26) Schwanger:
27) Asthma:
28) Rheuma:
29) Magen/Darmerkrankungen:
30) Krebs:
31) Unfälle oder Verletzungen:
32) Regelblutung:
„Oh, man, das meinen die ja wohl nicht ernst, oder?“ Jake starrte perplex die Fragenliste an. Heather beugte sich zu ihm und las mit. Sie hatte den zweiten Hefter noch nicht in die
Hand genommen. „Die haben bisher alles ernst gemeint, Jake. Und, bitte, erinnere dich, was
passiert ist, als du das letzte Mal Fragen wissentlich falsch beantwortet hast.“ Heathers
Stimme zitterte leicht. Jake nahm sie in den Arm und sagte ruhig: „Mach dir nur keine
Sorgen, ich werde garantiert nie wieder bei diesen Bastarden falsche Angaben machen, darauf
kannst du dich verlassen. Ich werde nie wieder riskieren, dass sie dir etwas antun.“ Jake aß
sein Sandwich zu Ende, dann griff er sich einen Bleistift und fing an, die Fragen ordnungsgemäß zu beantworten. Beim Gewicht zögerte er etwas. „Ich habe um die 82 Kilo gewogen,
bevor sie uns ... Tja, und ich habe bestimmt 10 Kilo abgenommen, oder was meinst du?“ Er
sah Heather an. „Du übrigens auch. Du, wir alle, sind richtig dünn geworden.“ Heather nickte.
„Ja, aber wenn wir weiter so gut versorgt werden, haben wir unser altes Gewicht schnell
wieder. Schreibe um die 72 Kilo hin, damit wirst du einigermaßen richtig liegen.“ Jake
nickte. Dann schrieb er bei Gewicht - zirka 72 Kilo mehr oder weniger - hin. Als er zu der
Frage nach den sexuellen Aktivitäten kam, wurde er rot. Dass er seine Partnerinnen häufig
gewechselt hatte, hatte er Heather bereits vor längerer Zeit erzählt, noch bevor er nach Sydney
gegangen war. Dass er aber zu Prostituierten gegangen war, wusste die junge Frau nicht. Verlegen druckste er herum. „Hör zu, ich ... oh, man, ich ... Heather, ich war ab und zu mit
Prostituierten im Bett, okay. Es tut mir leid, aber ich kann es nicht ändern.“ Er schwieg betreten. Heather hatte ihm verwirrt zu gehört, jetzt starrte sie ihn empört an.
„Was? Du hast Frauen dafür bezahlt, dass sie ... Jake.“ Jake seufzte hörbar ein.
„Heather, bitte ... Manchmal hat es sich einfach so ergeben, okay. Es war nicht geplant, aber
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Die Anderen
by Frauke Feind
ist einfach so gekommen.“ „Du kannst doch jede Frau haben, warum dann noch ... Ich verstehe das einfach nicht.“ Die junge Lehrerin schwieg. Was hätte sie noch sagen können?
Vielleicht gingen ja alle Männer ab und an zu diesen Frauen? Unerfahren, wie sie war, hatte
diese Mitteilung sie ziemlich erschreckt. Jake und ... Nein, sie wollte nicht daran denken. Das
war ja vor ihr gewesen und vorbei. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Jake die Frage mit Ja
beantwortete. Sie selbst wurde rot bei der Frage nach ihrer Regelblutung. Unglaublich verlegen starrte sie die Frage minutenlang an. Dann schrieb sie mit zitternder Hand - unregelmäßig und häufig mit starken Krämpfen - Sie blätterte schnell die nächste Seite im Hefter auf,
damit Jake ihre Antwort nicht sehen konnte.
Sara und Gil saßen neben einander auf dem Sofa. „Du hast abgenommen.“, stellte Sara
fest und sah den Freund an. „Du wiegst höchstens noch ... 150 Kilo .“ Die Ermittlerin lachte.
Gil sah sie an und verzog das Gesicht. „Jaja, lästere du nur, warte mal ab, wenn wir hier raus
kommen, bin ich schlank und fit.“ Sara lachte noch mehr. Gil beim morgendlichen Joggen ...
Eine herrliche Vorstellung. Sie hatte noch sehr genau das Debakel auf dem Laufband vor
Augen. „Weißt du noch, welche Kinderkrankheiten du hattest?“ Sara überlegte. „Ich weiß
sicher, dass ich Röteln hatte. Meine Mum war damals ganz glücklich darüber. Und ich habe
als Kind schrecklichen Husten gehabt, weiß aber nicht, ob es Keuchhusten war.“ Gil grübelte.
„Ich bin sicher, mich an Mumps und Masern erinnern zu können ... Mehr fällt mir nicht ein.“
Bei der Frage nach den Sexpartnern war Gil froh, dass Sara bereits von Lady Heather wusste.
So konnte er ruhigen Gewissens - Ja - schreiben. Sara stolperte über die Frage 18, Alkoholprobleme. Ganz kurz überlegte sie, dann beantwortete sie die Frage mit einem - Ja, zeitweilig
- und seufzte. Schließlich kam sie bei der letzten Frage an, antwortet mit einem - Keine
Probleme - und blätterte dann die nächste Seite in dem Schnellhefter auf. „Was ist denn das?
Sieht aus wie Konzentrationsübungen.“ Sie starrte die zweite Seite erstaunt an.
Beantworte die Fragen in möglichst kurzer Zeit.
1. Brückenwörter
Gesucht sind Wörter, die an das erste angehängt und dem zweiten vorangestellt
neue Begriffe ergeben.
z.B.:
Haus - Brief
Die Lösung ist Meister: Hausmeister - Meisterbrief
a)
b)
c)
d)
Dach
Pferde
Taschen
Lampen
Rahmen
Ball
Zeiger
Ständer
139
Die Anderen
by Frauke Feind
e)
f)
g)
h)
i)
j)
Fuß
Buch
Auto
Hasen
Gedicht
Kasten
Junge
Gymnastik
Panne
Pflege
Wurm
Rad
2. Konzentration
Stellen Sie fest, wie oft die folgende Zahl in der Ziffernfolge zu finden ist.
Die gesuchte Zahl lautet 4327
1328745738794587943272152321234246125478234584859856569787687432786
5635513
1243654756635348193656536327275483758743534879874327324535647698774
5432541
2121745748569857695695846462323305958747346384930209187sechzehn26234
872910293837
4764646372828239393978374646432721829394500505606958476362524242351
3213567
7677098765424556766677676432723458824345645756756657876879891223546
7677654
5445303293846456217219292983843847543272829827371954782643487676463
4657643
6436387823478587658756856985873763446565723748799498432797596075857
6004048
3. Wortquadrat
Bilden Sie mit den Buchstaben des Quadrats Wörter. Sie können jeweils ein Kästchen vorrücken und sich dabei senkrecht, waagerecht und diagonal in alle
Richtungen bewegen. Sie können Buchstaben pro Wort auch mehrfach benutzen,
müssen allerdings den Buchstaben vorher "verlassen" haben. Umlaute (ä,ö,ü) sind
ausgeschrieben (ae, oe, ue).
Als Beispiel ist das Wort "aber" eingezeichnet.
A
E
I
D
B
G
R
A
R
N
S
E
F
O
T
L
House grinste. Prostituierte ... Er erinnerte sich an die kleine Episode mit Jake, Bones
und den Telefonnummern. Er beantwortet die peinliche Frage mit einem - Ja - und sah dann
140
Die Anderen
by Frauke Feind
Allison an. Ihr Gesichtsausdruck war alles andere als begeistert und brachte Greg noch mehr
zum Grinsen. „Was denn? Nun tu nur nicht so, als wüsstest du es nicht. Ich habe immer gerne
die Dienste von Fachleuten beansprucht.“ Cameron schüttelte den Kopf. „Vielleicht sollte ich
mich von dir auch mal bezahlen lassen ...“, grübelte sie laut. House tat so, als würde er sich in
Hosentaschen greifen. „Dann werden wir wohl getrennt schlafen müssen, ich bin gerade nicht
gut bei Kasse und Wilson ist nicht greifbar, um mir ein paar mickerige Scheine zu leihen.“ Er
überflog die Fragen noch einmal und fragte dann: „Sag mal, gilt Vicodin als Medikament?“
Allison lachte. „Na, als was denn sonst?“ „Drogenmissbrauch ...“, kam die lakonische
Antwort ihres Chefs. „Schreib bei beiden Fragen ja, dann wirst du schon richtig liegen.“ Als
beide alle Fragen beantwortet hatten, wollte House den Hefter zu klappen. „Bist du nicht neugierig, was die sonst noch von uns wollen?“ fragte Allison und deutete auf die weiteren Zettel
in dem Hefter. „Hm, ich hatte gehofft, wir könnten die Unterhaltung über das Fachpersonal
ein wenig vertiefen.“ House sah Cameron anzüglich grinsend an. Diese schüttelte streng den
Kopf. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ erklärte sie und blätterte die nächste Seite auf.
Minuten später waren beide mit den Übungen beschäftigt. „Ich habe keine Idee für
Buch und Gymnastik.“ Cameron starrte genervt auf den Zettel vor sich. „Mir fällt zu
Lampen/Ständer nichts ein.“ Okay, zu Ständer wäre House schon etwas eingefallen, aber
Allison hatte ihm deutlich klar gemacht, dass er erst würde die Fragen durch arbeiten müssen.
Er grübelte über der Lampe. Dann ging ihm ein Licht auf. Lampen - Schirm - Ständer.
Zwischendurch schaute House immer wieder auf die Zahlenreihen, entdeckte die gesuchte
Kombination immer wieder mal und wenn er dort nichts mehr erkennen konnte, durchstöberte
er das Buchstabenquadrat nach Worten. - Aber - Lagern - Rabe - Gerber - Regen - Bei
jedem Drauf gucken kamen ihm neue Worte in den Sinn. Allison schlug sich eben mit der
Hand an die Stirn. „Rücken. Das ist es. Buch - Rücken - Gymnastik. Wie blöde kann man
denn sein.“ Sie widmete sich nun den Zahlen und Buchstaben. Schließlich hatte sie eine ganze
Reihe von Worten entdeckt. Ton - Gras - Dante - Fanta - Not - Neid Erst mal genug.
Gelangweilt blätterte sie weiter und erstarrte. Schlagartig war die Langeweile ziemlichem
Erschrecken gewichen. „Sieh dir das an.“
Ausstehende Untersuchungen und Eingriffe
Internistische Untersuchungen




Echokardiografie (Ultraschalluntersuchung des Herzens)
Farbdoppler-Sonographie der Halsschlagadern (Ultraschall)
Farbdoppler-Sonographie der Beingefäße (Ultraschall)
Sonografie des Abdomens (Ultraschall)
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Die Anderen
by Frauke Feind





Sonografie der Schilddrüse (Ultraschall)
Sauerstoffmessung (Sauerstoffgehalt im Blut)
Sehtest mit Perimetrie
Hörtest
Komplett-Labor
Zusatzuntersuchungen












Gastroskopie (Magenspiegelung)
Bronchoskopie (Bronchienspiegelung)
Urethrozystoskopie (Harnröhren & Blasenspiegelung)
Augendruckmessung
Allergiediagnostik
Haut-Check
Orthopädische Vorsorgeuntersuchung
HNO-Vorsorgeuntersuchung
Spiral-CT der Herzkranzgefäße
Röntgenuntersuchung Thorax
MRT Wirbelsäule
MRT Hirn
Komplett Labor
















Allgemeine Blutuntersuchung: vollständiges Blutbild einschließlich
Differenzierung des Blutausstriches, Retikulozyten
Sämtliche Blutfette: Gesamtcholesterin, HDL-Cholesterin, LDL-Cholesterin, Triglyceride
Leberwerte: SGOT, SGPT, Gamma-GT, LDH, alkalische Phosphatase, Cholinesterase, Bilirubin
Nierenwerte: Kreatinin und Harnstoff
Gichtwerte: Harnsäure
Entzündungswerte: CRP, Leukozyten, BSG
Elektrolyte und Mineralstoffe: Kalium, Eisen, Calcium, Magnesium, Natrium,
Chlorid
Eisenspeicherwerte: Transferrin, Transferrinsättigung
Diabetes: Blutzucker und HbA1c (Langzeitblutzuckerwert)
Immunsystem: Immunglobuline A, G, M, Elektrophorese
Messung der Stressbelastung ( freie Radikale, oxidativer Stress): d-ROM-Test
Messung des Arterioskleroserisikos: Hochsensitiver CRP
Allergie: IgE-Gesamtwert
Thrombose und Gerinnungswerte: Quick, INR, PTT, TZ, Dimer
Kompletter Urinstatus
Sauerstoffwert: perkutane Messung der Sauerstoffsättigung
142
Die Anderen
by Frauke Feind
Zusätzliches Labor




Schilddrüsenwerte: TSH, T3, T4
Biologisches antioxidatives Potential: BAP
Arterioskleroserisiko: Homocystein, Lipoprotein-A
Prostatavorsorge: PSA
Spezifische Untersuchungen



Gründliche zahnärztliche Untersuchung und Behebung evt. Mängel
Knochenmarkpunktion
Lumbalpunktion
Eingriffe


Einsetzen einer Spirale bei den Frauen.
Implantation eines Mikro-Chips in der Medulla oblongata bei allen Gefangenen.
Root treatment
Furcht besiegt mehr Menschen als irgendetwas anderes auf der Welt.
Ralph W. Emerson
Nicht nur Cameron und House waren schockiert, als sie gelesen hatten, was ihre Gastgeber noch für sie alle in petto hatten. Die meisten Menschen hatten vor irgendetwas, dass mit
Ärzten, Medizin, Untersuchungen, Eingriffen zu tun hatte, Angst. In der kleinen Gruppe der
Entführten gab es viele, die aus dem einen oder anderen Grund auch bis in die Tiefen ihrer
Psyche erschüttert waren. House hatte ganz allgemein etwas gegen allzu gründliche Untersuchungen. Heather hatte seit ihrer Jugend schreckliche Angst vor dem Gynäkologen. Durch
ihre zum Teil quälenden Schmerzen bei den Monatsblutungen hatte sie schon sehr früh
Bekanntschaft mit dem Frauenarzt gemacht. Sie brachte diese Art Arzt nur mit Schmerzen
und absoluter Beschämung in Verbindung. House, Dana und Allison wussten nur zu genau,
wie unangenehm einige der angekündigten Untersuchungen waren, um nicht Schweißausbrüche zu bekommen. Booth hatte eine phobische Angst vor dem Zahnarzt. Als er las: Gründliche zahnärztliche Untersuchung und Behebung evt. Mängel wurde ihm schlecht vor Angst.
143
Die Anderen
by Frauke Feind
„Bones ... Ich ...“ Tempe wusste von der Oralphobie ihres Partners. Sie nahm ihn in den Arm
und sagte beruhigend: „Hey, wird schon nicht so schlimm werden.“ „Nicht so schlimm?
Machst du Witze? Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr beim Zahnarzt. Der wird mich auseinander nehmen. Ich muss eine Wurzelbehandlung machen lassen, das weiß ich seit Jahren.
Scheiße, Bones, ich will hier weg.“
Sawyer las mehr oder weniger erschüttert, was die Entführer planten. Als er Magenspiegelung las, raste sein Herz. Die jüngere Schwester seiner Mutter war nach einer simplen
Magenspiegelung fast verblutet. Niemand hatte gemerkt, dass es zu einer Perforation in der
Magenwand gekommen war. Sawyer war mit seiner Mutter bei der Tante gewesen, als sie
einen heftigen Blutsturz erlitt. Sie konnte nur durch unglaubliches Glück gerettet werden. Seit
damals, obwohl er als Kind die Zusammenhänge nicht wirklich verstanden hatte, ließ jedoch
das Wort Magenspiegelung Sawyers Herz bis in den Hals schlagen. Mulder wiederum hatte
seit seiner Entführung durch Aliens panische Angst vor allem, was mit medizinischen Untersuchungen zu tun hatte. Zwar konnte er sich zu seinem Glück nicht an Einzelheiten erinnern.
Was er aber sehr genau in Erinnerung hatte war das Gefühl der völligen Unbeweglichkeit,
und Schmerzen, absolut unerträgliche, grauenvolle Schmerzen. Wie sie ihm zugefügt worden
waren wusste der Agent nicht. Das war auch nicht nötig. Er wusste nur, dass sie im Rahmen
von Untersuchungen verursacht worden waren. Als er las, was alles mit ihnen gemacht
werden sollte, sah er vollkommen verzweifelt Dana an. „Großer Gott, Scully, das überstehe
ich nicht. Ich werde denen vom Untersuchungstisch rutschen. Und wenn sie auf die schlaue
Idee kommen, mich zu fixieren, drehe ich durch.“ Er vergrub das Gesicht in den Händen.
„Dana, ich weiß nicht, was die Aliens mit mir gemacht haben, aber die Schmerzen, an die ich
mich erinnere, bereiten mir immer noch Albträume.“ Dana wusste von der Angst des Lebensgefährten, hatte jedoch keine Vorstellung, wie sie ihm helfen konnte. „Ich weiß nicht, wie ich
dir helfen kann, Mulder. Es wird diese Leute nicht beeindrucken, dass du Angst hast. Wenn
ich nur irgendwie könnte, würde ich alles tun, um dir das zu ersparen.“ Sie zog Mulder eng an
sich und spürte, dass er zitterte.
Locke und Gibbs hatten die Schnellhefter durch geblättert und waren sofort auf die
Liste mit den ausstehenden Untersuchungen gestoßen. Gibbs selbst hatte keine Angst, weder
vorm Zahnarzt noch vor normalen Ärzten. Als er jedoch die Stelle mit dem Mikro-Chip sah,
wurde ihm mulmig. Was sollte das? Warum wollten sie ihnen Chips einpflanzen? Gibbs lief
ein Schauer über den Rücken. „Hast du das gelesen, Locke? Die wollen uns einen Chip einsetzen. Ich kenne mich mit so was nicht sehr gut aus, aber das kann doch zur Ortung benutzt
werden, oder?“ Locke antwortete nicht. Er starrte geschockt auf die Liste in seiner Hand.
„John, ist alles in Ordnung?“ Gibbs sah den Zimmergenossen besorgt an. So schockiert hatte
144
Die Anderen
by Frauke Feind
er den Mann noch nie erlebt. Locke sah auf. In seinen Augen lag ein Ausdruck von Angst,
wie Gibbs ihn vorher noch nicht gesehen hatte. Locke hatte auf ihn immer einen sehr ruhigen
und gefassten Eindruck gemacht. Jetzt aber, nur, weil ärztliche Untersuchungen auf ihn zukamen, schien er ziemlich außer sich zu sein. „Ich ...“, setzte John zum Sprechen an: „Ich ...
Nach dem Mordversuch durch meinen Vater ... Als ich Querschnittgelähmt im Krankenhaus
aufwachte ... Die endlosen Untersuchungen, immer wieder ... Das ist seit damals nicht mehr
so mein Ding.“ Gibbs nickte verständnisvoll. „Das kann ich verstehen. Tut mir leid, Mann.“
Die nächsten Tage vergingen in einem ziemlich festen Rhythmus, abgesehen davon,
dass die Entführer immer noch jeglichen merkbaren Tagesrhythmus fehlen ließen. Die Zeiten,
an denen die Gefangenen mit Frühstück, Mittag und Abendbrot versorgt wurden, variierten
genau so wahllos wie bisher. Auch die Zeiten, in denen sie zum Waffentraining, welches nun
jeden Tag stattfand, oder dem Fitnesstraining, das ebenfalls täglich durchgezogen wurde, abgeholt wurden, waren von keinem erkennbaren, festen Rhythmus geprägt. Das Fehlen jeglicher fester Zeiten ließ nach wie vor keine Prognose zu, wie viel Zeit verging. Über allen
Aktivitäten schwebte nun selbstverständlich die Angst vor den angekündigten medizinischen
Untersuchungen. Die Ärzte wurden jeden Tag für eine gewisse Zeit ins Labor oder an
Schreibtische verfrachtet, wo sie Test oder Versuche durchzuführen, oder Berichte zu vorgegebenen Themen zu verfassen hatten. Gil, Sara, Heather und Abby bekamen im flotten
Wechsel immer neue technische Aufgaben, die sie zu erfüllen hatten. Das Fitnesstraining begann sich auszuzahlen, Gil war tatsächlich in die Gruppe 3 aufgestiegen, Mulder und Sawyer
ackerten nun bei Ziva und den anderen mit. Bei ihnen wechselten Geräte und leichtathletische
Aufgaben einander ab. Das erste Wettrennen gegen einander durften die Anderen beobachten.
Es ging über tausendfünfhundert Meter und forderte allen sechs alles ab. Noch lange nicht
wieder in alter Form, war es Booth, der ganz knapp hinter Ziva, die einen Schritt schneller
gewesen war, zweiter wurde. Mulder und Jake teilten sich den vierten Platz, Sawyer schlug
Kate knapp. Vollkommen erledigt brachte man sie zurück in ihre Zimmer. Nur langsam erholten sich die sechs von dem Wettlauf. Nach dem Abendbrot an dem Tag wurden sie alle
noch einmal wieder aus dem Zimmern geholt. Beunruhigt wurden sie über die Flure in einen
großen Schulungsraum gebracht. Als man sie abholte, wurden auch die Gesundheitsfragebogen eingesammelt.
Überrascht verteilten sie sich an die Tische. Und dann folgte ein Vortrag über Maler
des Realismus, Surrealismus, der Renaissance, Naturalismus, Impressionismus. Sie lernten
Picasso, Warhol, Rembrandt, van Gogh, Monet, Michelangelo, Dali kennen. Sie sahen Abbildungen berühmter Gemälde: Nachtcafé, Das Abendmahl, Mona Lisa, Der Schrei, Mädchen
mit Perle, Die Schule von Athen, Rafaels Engel. Sie erfuhren Wichtiges über den Louvre in
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Die Anderen
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Paris, die National Galerie in London und Berlin, das Guggenheim Museum, das
Vatikanische Museum, die Eremitage in Sankt Petersburg. Sie alle bekamen den Auftrag,
mitzuschreiben und auswendig zu lernen. Ganz besonderes Augenmerk sollten sie dabei den
Daten widmen: Wann welche Gemälde gemalt worden waren und ihre Größe, wann welcher
Künstler gelebt hatte, Bauzeiten der Museen, Eröffnungsdaten, ect. Sie erfuhren von der
Interpretation bestimmter Bilder, auch von den verwendeten Materialien, wie viel bestimmte
Gemälde wert waren und als man sie schließlich zurück in ihre Räume brachte schwirrte allen
ziemlich der Kopf, auch denen von ihnen, die etwas von Kunst verstanden. Kate und Sawyer,
der leicht gehumpelt hatte, sanken todmüde auf ihr Bett. „Was interessiert es mich, wo ich das
verdammte Abendmahl von da Vinci bewundern kann und ob es nun 422 cm × 904 cm oder
678 cm x 10 cm groß ist.“ Er stöhnte leise auf. „Ich bekomme gleich einen Krampf in der
Wade. Shit.“ Er fuhr hoch und hielt sich keuchend vor Schmerz den betreffenden Muskel.
Kate stand schon auf dem Bett und hielt Sawyers Bein in die Höhe, drückte den Fuß mit aller
Kraft durch, die Zehe Richtung Schienbein. Es dauerte nicht lange und der Krampf löste sich.
Als sie dann nebeneinander lagen, Sawyer hatte sich an Kate gekuschelt und seine
Finger spielten mit einer ihrer Haarsträhnen, sagte er leise: „Weißt du, Freckles, irgendwie hat
es fast Spaß gemacht ...“ Er schwieg verlegen. „Das finde ich auch. Endlich hat das Untätig
sein ein Ende.“ Sie drehte sich zu Sawyer herum und ihre Finger strichen sanft über seine
nackte Brust. „Wenn wir nicht gefangen wären, könnte es so direkt schön sein ...“ Sie gab ihm
einen zärtlichen Kuss. „Weißt du, das Sportprogramm macht sich schon bezahlt.“ Ihre Finger
glitten tiefer und strichen über Sawyers Bauch. „Da bilden sich wieder Muskeln ...“ Sie ließ
die Finger noch tiefer gleiten und Sawyer stieß gepresst vor Erregung hervor: „Da bildet sich
gerade noch ganz was anderes ...“ Er biss sich seufzend auf die Lippe und rollte sich dann
schwungvoll herum. Seine Hände begannen, sehr behutsam über Kates Körper zu gleiten und
schließlich konnte er sich nicht mehr zurück halten und glitt auf sie. Arm in Arm schliefen sie
schließlich ein. Kate wachte mitten in der Nacht davon auf, dass Sawyer neben ihr im Schlaf
panisch um sich schlug und unverständliches murmelte. Sie wich einem Schlag aus, dann
griff sie blitzschnell zu und hielt Sawyers Arme fest. „Schatz. Wach auf. Was ist? Du
träumst.“ Mit einem heftigen Keuchen schoss Sawyer hoch. „Wasis los ...“, stotterte er völlig
verwirrt. „Du hast geträumt und um dich geschlagen.“ Sawyer war Schweiß gebadet und
zitterte. „Ich hab von Leann geträumt ...“ Kate stutze. „Wer ist das, den Namen hast du bisher
nicht erwähnt.“ „Leann ... Die jüngere Schwester meiner Mutter. Sie ... sie wäre nach einer
Magenspiegelung fast verblutet. Ich war mit meiner Mutter bei ihr zu Besuch, zwei Tage nach
der Spiegelung und habe miterlebt, wie sie plötzlich einen Blutsturz hatte. Kate, ich habe eine
solche Scheiß Angst davor.“
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Die Anderen
by Frauke Feind
„Hier sind die Fragebögen. Ist schon interessant, alle haben die Wahrheit
gesagt.“
„Natürlich. Was hast du denn erwartet? Dass noch einer von ihnen den
Mut hat, uns anzulügen?“
„Nein, ganz bestimmt nicht. ... Wir hätten noch nach speziellen Ängsten
fragen sollen, meint ihr nicht?“
„Das ist für eine Gruppensitzung angedacht. Jerred erwähnte so was.
Sie sollen vor einander gestehen, wovor sie Angst haben.“
„Austen hat große Fortschritte gemacht, sie trifft immer besser.“
„Ist mir auch aufgefallen. Ich wusste, sie ist ein Talent. Und habt ihr bemerkt, wie Ford und Mulder sich rein gehängt haben, um in Gruppe 1 aufzusteigen?“
„Die sind alle plötzlich sehr ehrgeizig. Selbst Grissom, die faule Socke,
hat einen Zahn zu gelegt.“
„Apropos, Zahn, ich bin ja schon sehr auf morgen gespannt ...“
Der nächste Tag begann harmlos. Nach dem Frühstück wurden die Gefangenen gemeinsam abgeholt, wobei sich die Zahl der Wachen im Laufe der Zeit permanent reduziert
hatte. Mit auf den Rücken gefesselten Händen und dem Halsband hatten sie ohnehin keine
Chance zu fliehen. So hatten die Entführer nach und nach den Überhang an Wachposten verringert. Als alle sechzehn Gefangenen eingesammelt wurden, waren nur noch sechs Wachposten zugegen, quasi als Mahnwache. In drei Gruppen wurden die Gefangenen mit den Fahrstühlen einige Etagen nach unten gefahren und dann geschlossen in einen großen Raum am
Ende des Flures geführt. Als Booth sah, wohin man sie gebracht hatte, wurde ihm schlagartig
speiübel und sein Herz schlug ihm bis in die Kehle. - Oh, Gott, nein, bitte. - dachte er verzweifelt. Ein großer Raum, versehen mit zwei ultramodern ausgestatteten zahnärztlichen Behandlungsstühlen. An der einen Wand sechzehn Stühle, eine Röntgenkabine in einer Zimmerecke, zwei Ärzte, vier Assistenten. „Den Nummer nach auf die Stühle setzen. Nummer 1, zum
Röntgen.“ Mit zitternden Beinen ging Booth langsam hinüber zu der Röntgenkabine, fünf
Minuten später waren Röntgenaufnahmen von seinen Zähnen gemacht worden. Bones sah ihn
voller Mitleid an, als er zu seinem Stuhl zurück wankte. Leichenblass sank er auf seinen Platz
und schielte zur Tür hinüber. Eine der Wachen bemerkte seinen Blick und kommentarlos trat
der Mann zu Booth hin. Sekunden später war dieser mit einer Hand an den Stuhl fixiert. Seine
Leidensgenossen taten verlegen so, als bemerkten sie Seeleys offensichtliche Panik nicht.
Der Reihe nach wurden nun alle in den Röntgenraum beordert und es wurden
Röntgenaufnahmen ihrer Kiefer gemacht. Sie hatten kein ausdrückliches Redeverbot be147
Die Anderen
by Frauke Feind
kommen und so unterhielten sie sich leise miteinander. Booth beteiligte sich nicht an der
Unterhaltung. Genau genommen bekam er sie nicht einmal richtig mit. Seit er diesen Raum
betreten hatte, war er in seiner eigenen Welt gefangen, die nur noch aus nackter Angst bestand. Als Gibbs als letzter in den Röntgenraum gerufen wurde, wurde aus der Angst nackte
Panik. Er wusste, nun würde es bald losgehen. Er befürchtete, sobald seine Hand vom Stuhl
losgemacht würde, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Panisch beobachtet er, wie Gibbs an
seinen Platz zurückkehrte. Die beiden Ärzte und ihre Assistenten besprachen an der gegenüber liegenden Wand an einem Lichtbrett für die Röntgenaufnahmen, was bei den einzelnen
Gefangenen gemacht werden musste. Dann hieß es: „Nummer 1 und 2, auf die Stühle.“ Jake
erhob sich ruhig, er hatte nie Angst vor dem Zahnarzt gehabt und war ziemlich sicher, keine
nennenswerten Probleme an den Zähnen zu haben. Booth jedoch wurde steif. Er bekam
unterbewusst mit, dass eine der Wachen seine Hand los machte. Allerdings rührte er sich
nicht von der Stelle, saß steif, wie gelähmt, auf seinem Stuhl und starrte zu dem Behandlungsstuhl hinüber. Er hatte schon vorher bemerkt, dass die Stühle mit ein paar Zusatzteilen ausgestattet waren, wie man sie in einer normalen Praxis so sicher nicht finden würde. An den
Kopfstützen, den Armlehnen, sowie in Höhe der Oberschenkel und Knöchel hingen stabil
aussehende Ledergurte höhnisch herunter, angebracht, um renitente Patienten an den Stuhl zu
fixieren. Heftig zuckte er zusammen, als er an den Oberarmen gepackt wurde.
Hatte der sonst so knallharte FBI Mann auch bisher alles ohne sich zu wehren mit gemacht, war es jetzt schlagartig mit seiner Beherrschung vorbei. Fast unbewusst versuchte er,
sich los zu reißen. Mit einer geradezu lässigen Bewegung packte einer der Wachen seinen
rechten Arm und verdrehte Booth so schnell die Hand in einen extrem schmerzhaften Haltegriff, dass die Gefangenen dieser Aktion kaum mit dem Auge folgen konnten. Booth keuchte
auf und hatte absolut keine Chance, sich dagegen zu wehren, zu dem Behandlungsstuhl geführt zu werden. Innerhalb kurzer Zeit lag er vollkommen bewegungsunfähig auf dem Stuhl,
Kopf, Handgelenke und Beine mittels der Lederriemen fixiert. Auch die Tatsache, dass er
verzweifelt versuchte, die Zähne zusammen zu pressen, nützte ihm natürlich nichts, dieser
Versuch war der reinen Panik entsprungen. Es bedurfte nur eines geübten Griffes und aufstöhnend öffnete er den Mund. Blitzschnell wurde ihm ein Mundspreizer zwischen die Zähne
geklemmt und auf maximale Weite gespreizt. Nun wurde der Stuhl in die richtige Position
gebracht und dann beugte sich der Arzt über Booth, zog sich den Mundschutz über, brachte
den Strahler über dem Stuhl in die richtige Position und begann, mit einem Mundspiegel und
einer Zahnsonde Booth’ Gebiss einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.
Am anderen Stuhl unterzog der Zahnarzt dort Jakes Gebiss einer ebenso eingehenden
Untersuchung. Er sah die Zähne genau durch und gab Infos an seine Assistentin weiter. „18
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Die Anderen
by Frauke Feind
fehlt, 17 ohne Befund, sechzehn, 15, 14 Konkrement4, sechzehn Amalgamfüllung. Links 25
Amalgamfüllung, 28 fehlt. 48 fehlt, 47 Caries profunda5, 46, 45 ohne Befund, 44 Porzellanfüllung, 43 - 35 leichte Konkremente, 38 fehlt. Na, dann wollen wir mal.“ Die Assistentin
kam an den Stuhl. Der Zahn, der behandelt werden musste, wurde aufgebohrt und dann gefüllt. Jake zuckte zwar ab und zu ein wenig zusammen, hatte aber keine großen Probleme, still
zu halten. Dann wurden seine Zähne gründlich gereinigt und Zahnstein entfernt.
Abschließend nahm er eine Fluoridierung der Zähne sowie eine Fissurenversiegelung6 vor.
Dann war Jake fertig. Er bekam den Befehl, sich wieder zu den anderen zu setzen und Sawyer
wurde aufgefordert, auf den Stuhl zu kommen. Wie Jake hatte auch Sawyer keinerlei
Probleme mit dem Zahnarzt. Ruhig setzte er sich auf den Behandlungsstuhl, bekam das
Papierläppchen umgelegt und der Arzt streifte sich frische Handschuhe und einen sauberen
Mundschutz über. Dann begann er die Untersuchung bei Sawyer. „18 fehlt, 17 Amalgamfüllung mit sekundärer Karies7, ...“ Es folgte eine ganze Weile nur ohne Befund. Dann spürte
Sawyer, wie der Arzt mit seiner Sonde an einem Backenzahn im Oberkiefer kratzte. „26
caries profunda.“ Er suchte weiter und schloss seine Untersuchung schließlich mit dem Hinweis „Nur sehr leichte Plaque Bildung. Dann wollen wir uns mal den beiden Löchern zuwenden.“
Inzwischen hatte am anderen Stuhl der Arzt die Untersuchung bei Booth abgeschlossen. Er hatte an den Zähnen sechzehn und 27 gesunde Füllungen gefunden, an der 27
jedoch sekundäre Karies, an 26 und 34 Dentin Karies8, und an 25 die nötige Wurzelbehandlung diagnostiziert, die Booth schon bekannt war. Der Zahnnerv begann hier abzusterben und machte eine Wurzelkanalfüllung unabwendbar. Booth, der schweißgebadet und
zitternd auf dem Stuhl fest geschnallt lag, hatte mit wachsendem Entsetzen gehört, welche
Diagnose der Arzt stellte. Er war mehrfach zusammen gezuckt, als der Arzt mit der Sonde in
den Löchern herum stocherte. Als er mit bekam, wie der Dentist sich für die Behandlung
bereit machte, wimmerte Booth verzweifelt auf. Er sah, wie der Arzt nach dem Bohrer griff
4
Konkrement: Als Zahnstein bezeichnet man feste Auflagerungen auf dem Zahn, die man weder durch Spülen noch durch
Zähneputzen entfernen kann. Zahnstein entsteht durch die Einlagerung von Mineralien aus dem Speichel in die Plaque.
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Caries profunda: Zahnkaries, die 2/3 in die Tiefe des Zahnes eingedrungen ist.
Fissurenversiegelung: Eine Versiegelung der feinen Rillen auf den Backenzähnen zur Kariesprophylaxe.
Sekundäre Karies: Unter Füllungen oder Inlays gebildete, neue Kariesherde.
Dentinkaries: Bis auf die weicheren Dentinschichten reichende Karies. Das Dentin, auch Zahnbein, stellt einen großen Anteil
des Zahns dar.
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Die Anderen
by Frauke Feind
und dann spürte er das ekelhafte Bohren an seinem rechten, oberen Backenzahn. Seine Hände
krallten sich um die Stuhlgriffe und er zuckte immer wieder auf keuchend zusammen. Dabei
tat es wirklich noch nicht sehr weh. Die Assistentin saugte Speichel, Bohrflüssigkeit und feine
Zahnsplitter vom Bohren gründlich ab, da Booth durch die Fixierung ja nicht selbst spülen
konnte. Nach Stunden, so kam es dem FBI Agent jedenfalls vor, sagte der Doktor ruhig: „So,
das wäre erledigt, nun wollen wir uns mal dem Sorgenkind widmen, was?“ Vom anderen
Stuhl, auf dem Bones gerade auf Zahnpolierung wartete, kam von der jungen Anthropologin
ein schüchternes: „Können Sie ihm nicht bitte eine Lokalanästhesie geben, Sir? Bitte. Was
haben Sie denn davon, wenn er die Schmerzen spürt.“ Der Arzt sah ruhig zu Bones hinüber.
„Er ist doch ein ganzer Kerl, er wird ein wenig Schmerz schon weg stecken, richtig?“ Er sah
Booth an, der mit gewaltsam geöffnetem Mund und fixiertem Kopf nun wirklich nicht in der
Lage war, panisch zu verneinen. Der Doktor, der Bones behandelte, sagte gönnerhaft: „Wenn
du ganz brav bist, darfst du ihm die Hand halten.“ Bones biss sich auf die Lippe und stieß
gequält ein: „Danke, Sir.“, hervor.
Zwei Minuten später saß sie neben Booth, der Tränen in den Augen hatte, hielt seine
gefesselte Linke und hatte ihre Rechte sanft auf seine Stirn gelegt. „Es tut mir so leid ...“ Was
hätte sie auch sonst sagen sollen? Das es nicht wehtun würde? Der Arzt fing an, das Loch,
durch welches das Problem an dem Zahn entstanden war, aufzubohren. Das war schon
schmerzhaft und Booth zuckte immer wieder aufstöhnend in den Fesseln zusammen. Bones
durfte ihm mit Zellstofftüchern den Schweiß und die Tränen, die ihm unwillkürlich in die
Augen schossen, vom Gesicht wischen. Schließlich sagte der Arzt: „So, jetzt wird es unangenehm. Aber du wirst es überleben, Nummer 1.“ Er spannte einen 15.ner Wurzelkanalbohrer
in die Haltevorrichtung und beugte sich wieder über Booth. Und nun folgten einige wirklich
sehr qualvolle Minuten für diesen. Auf dem Nerv war der Schmerz unerträglich und Booth
lag zuckend und zitternd da, konnte durch die weite Spreizung des Mundes nicht einmal
richtig schreien. Hilflose Laute drangen aus seinem weit gespreizten Mund. Er schluchzte
verzweifelt und wünschte sich auf die Brücke, in den Schlafentzug oder in die Black Box
zurück, überall hin, nur nicht hier. Der Arzt arbeitet gründlich, bohrte die Nervenkanäle sorgfältig auf. Booth keuchte immer wieder gepeinigt auf. Schließlich erweiterte der Arzt die
Kanäle mit einem etwas größeren Bohrer und verursachte Booth damit noch einmal stärkere
Schmerzen. Bones liefen inzwischen ebenfalls schon Tränen über die Wangen. Das merkte sie
jedoch gar nicht. Der Arzt jedenfalls ließ sich von den Qualen seines Patienten nicht im
Mindesten beeinflussen. Ruhig arbeitet er weiter und reinigte schließlich mit antimikrobieller
Spülung die Kanäle gründlich durch. Noch einmal sondierte er die Wurzelkanäle und gab
seiner Assistentin dann ruhige Anweisungen, welches Füllmaterial sie fertig zu machen hatte.
Alles in allem hatte die Tortur für Booth über dreißig Minuten gedauert und dieser war mehr
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Die Anderen
by Frauke Feind
tot als lebendig, als man ihn schließlich los machte. Von Bones und Mulder gestützt, wurde er
noch einmal zu einer Kontrollröntgung in den kleinen Röntgenraum gebracht. Dort wurde
eine weitere Röntgenaufnahme gemacht, um zu überprüfen, ob die Wurzel bis in die Wurzelspitze gestopft war.
Agony of fear
Mut ist Widerstand gegen die Angst, Sieg über die Angst, aber nicht Abwesenheit von Angst.
Mark Twain
Auf dem Stuhl 2 saß inzwischen Abby. An einem Zahn wurde leichte Karies festgestellt und kurz und schmerzlos behandelt. Dann kam auch für Abby eine gründliche
Reinigung der Zähne vom Zahnstein sowie eine ebenfalls sehr gründliche Fluoridierung.
Währenddessen musste Booth auf dem Stuhl zurück. Auch bei ihm wurde noch Zahnstein
entfernt. Der junge Mann war viel zu fertig, um sich noch zu wehren. Er lag apathisch still,
ließ alles Weitere zitternd vor Schwäche über sich ergehen. Endlich war er ganz fertig und
Bones half ihm zu seinem Stuhl zurück. Auf den Behandlungsstuhl musste nun Mulder, auf
den zweiten Gibbs. Damit waren dann alle fertig. Gibbs hatte keinerlei Probleme, er war erst
kurz vor der Entführung bei seinem Zahnarzt in DC gewesen. Tatsächlich wurde bei ihm bis
auf ein wenig Plaque absolut nichts festgestellt. Er war schnell wieder herunter von dem Behandlungsstuhl. Bei Mulder sah die Sache schon anders aus. Er setzte sich verkrampft auf den
Stuhl, versuchte verzweifelt, sich unter Kontrolle zu halten. Als der Doktor ihn aber aufforderte, den Mund zu öffnen, überschwemmt Mulder plötzlich eine Welle der Panik. Er hatte
ein heftiges Déjà-vu. Er sah sich selbst auf einem sehr ähnlichen Stuhl gefesselt, vollkommen
bewegungsunfähig, einen ähnlichen Mundspreizer wie Booth zwischen den Zähnen ... Da war
noch mehr, aber er sah nur noch einen Bohrer oder etwas sehr ähnliches auf sich zu kommen
und hörte sich schreien. Und wollte panisch vom Stuhl springen.
Der Arzt gab den Wachen einen kurzen Befehl. „Los, fixiert ihn.“ Dana hatte mit
wachsendem Entsetzen bemerkt, dass Mulder eine Panikattacke bekam. Wenn er auch noch
bewegungsunfähig gemacht werden würde, würde er vermutlich durchdrehen. Sie hatten nie
wirklich darüber gesprochen, was bei den Aliens damals geschehen war. Dana hatte immer
das Gefühl gehabt, Mulder hätte zum Glück keine wirkliche Erinnerung daran. Sie selbst hatte
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Die Anderen
by Frauke Feind
in der Zeit, als er verschwunden war, immer wieder von Mulder geträumt, hatte ihn in absolut
grauenerregenden Situationen gesehen, gequält, gefoltert, bei lebendigem Leibe regelrecht
seziert. Sie hatte es lange als Albträume abgetan. Bis sie irgendwann, lange, nachdem Mulder
wieder aufgetaucht war, gemerkt hatte, dass er, scheinbar ohne selbst zu wissen warum, in
manchen Situationen, die ihm vor seinem Verschwinden keinerlei Probleme bereitet hatten,
plötzlich Panikattacken bekam. Die vorgeschriebenen regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen
zum Beispiel ließen ihn plötzlich schon Tage vorher Schweißausbrüche bekommen. War er
vor der Entführung ein absoluter Verfechter des Sicherheitsgurtes im Auto gewesen, musste
Dana ihn nun immer wieder dazu Ermahnen, sich anzuschnallen.
Vor der Entführung hatte er dazu geneigt, sein Schlafzimmer eiskalt zu haben. Nach
der Entführung achtete er plötzlich peinlich darauf, eine wirkliche Wohlfühltemperatur im
Schlafzimmer zu haben. Er hatte sich ein sehr dünnes Zudeck besorgt und lag häufig frei gestrampelt im Bett, wie, um zu vermeiden, zu sehr in die Zudecke eingemummelt zu sein.
Überhaupt vermied er alles, was ihn in seiner Bewegungsfreiheit beengte. Mehr, als ein
normal reagierender Mensch darauf achten würde. Und Dana begann sich zu fragen, ob sie
wirklich nur Albträumen aufgesessen war. Oder ob sie eine unerklärliche Verbindung zu
Mulder gehabt hatte. Vielleicht aus dessen Verzweiflung geboren? Möglicherweise hatte sie
in besonders furchtbaren Situationen Zeugin seiner entsetzlichen Qualen werden können, weil
es Mulder gelungen war, irgendwie eine geistige Verbindung zu ihr herzustellen, als letzten
Halt für sich, als letzten Rettungsanker, um nicht vor Angst und Schmerzen den Verstand zu
verlieren. Wie auch immer es zugegangen war, schließlich war Dana überzeugt, dass die
Aliens Mulder und seine mit ihm verschwundenen Leidensgenossen, von denen ja auch einige
wieder aufgetaucht waren, zum Teil mit vollkommen zerrüttetem Verstand, als Versuchskaninchen schrecklich gequält hatten.
Als sie ihn nun dort auf dem Zahnarztstuhl in helle Panik geraten sah, den Befehl
hörte, ihn zu Fixieren, sprang sie ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit auf. Sie eilte an
den Stuhl und stieß hastig und unterwürfig hervor: „Bitte, Sir, lassen Sie mich versuchen, ihn
zu beruhigen, bitte. Was nützt er Ihnen, wenn er hier vor Angst vollkommen zusammen
bricht. Sie wissen, was er erlebt hat. Bitte.“ Der Arzt hatte sie kommen sehen und schon den
Mund geöffnet, um etwas zu sagen. Jetzt überlegte er blitzschnell und nickte dann. „Ist in
Ordnung, lasst es sie versuchen.“, sagte er zu den beiden Wachen, die herbei geeilt waren,
und Mulder bereits fest auf den Stuhl drückten. Dana beugte sich über Mulder, der hysterisch
darum kämpfte, sich von den haltenden Händen zu befreien. Sie griff konsequent nach seinen
Händen und war bemüht, diese festzuhalten. „Mulder. Mulder, ich bin es, Dana. Hör mir zu.
Schatz, komm schon, du musst dich beruhigen, dir passiert nichts, hörst du. Hier sind keine
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Die Anderen
by Frauke Feind
Aliens, die dir etwas tun werden. Nur der Zahnarzt. Mulder, komm schon, beruhige dich.“
Minutenlang redete Dana so beruhigend und leise auf den geliebten Mann ein, bis sie merkte,
dass er sich wirklich langsam beruhigte. Er schien wie aus einem tiefen Traum in die Realität
zurück zu kehren, zitternd, schweißgebadet, heftig keuchend, wie man aus einem schweren
Albtraum erwachte. Er erkannte Dana, dass sah sie in seinen vor Grauen ganz dunklen Augen.
„Hey, geht es wieder? Mulder, das wird eine ganz simple Zahnbehandlung, okay. Du musst
versuchen, ruhig zu bleiben. Keiner wird dich hier quälen, dafür passe ich auf.“ Der Arzt warf
ihr bei diesen Worten einen ironischen Blick zu, den Dana tunlichst ignorierte. Mulder
brauchte noch ein paar Minuten, dann hatte er sich wieder soweit unter Kontrolle, dass er die
Behandlung mehr oder weniger entspannt über sich ergehen lassen konnte. Zwar hatte er die
ganze Zeit, während der Doktor in seinem Mund arbeitete, Angstschweiß auf der Stirn und
seine Hände krallten sich in die Stuhllehnen, aber er blieb ruhig sitzen, ließ es über sich ergehen.
Und endlich waren alle fertig. Booth hing mehr, als dass er saß auf, seinem Stuhl und
hatte die Hand auf die Wange gepresst. Er machte einen leicht abwesenden Eindruck, schien
immer noch in seiner eigenen Welt, gefangen in Angst und Schmerz, fest gehalten zu werden.
Als die Gefangenen Bescheid bekamen, in ihre Zimmer zurück zu dürfen, atmete Bones erleichtert auf. Booth bedurfte dringend einer Pause. Der Zahnarzt erklärte den Wachen:
„Schafft sie auf ihre Zimmer zurück, eine Stunde Pause, dann können sie zum Unterricht. 1
lasst den Rest des Tages in Ruhe. Und lasst 6 bei ihm, verstanden? Vier Stunden nichts Essen
für 1 und ihr anderen zwei Stunden nicht Essen oder Trinken. Abmarsch.“ Die Wachen
nickten. „Okay, ihr habt es gehört. Hände auf den Rücken, wenn ich bitten dürfte.“ Eine
Minute später waren allen die Hände gefesselt und sie wurden zu ihren Zimmern zurück gebracht. Booth musste von zwei Wachposten gestützt werden. In ihrem Raum angekommen
wurden die Fesseln gelöst. Noch einmal erklärten die Wachen: „Ihr habt gehört, eine Stunde
Pause, dann sammeln wir euch wieder ein, klar.“ Zu Bones sagte einer der Männer: „Pack
ihm Eis auf die Backe, das wird ein wenig helfen.“ Bones nickte abwesend. Sie hatte, kaum,
dass ihre Hände frei waren, nach Seeley gegriffen und führte diesen zum Bett hinüber.
Erschöpft, am Ende, sackte er dort in die Waagerechte und lag erledigt still. Bones deckte ihn
gründlich zu, denn Booth fing vor Kälte an, heftig am ganzen Leib zu zitterte. Als sie ihn zugedeckt hatte, strich sie ihm sanft über die Wange. „Booth? Geht es wieder?“ Er reagierte gar
nicht auf Tempe und diese versuchte es noch einmal, lauter und fordernder. „Booth. Ist alles
in Ordnung? Komm schon, du musst dich beruhigen, okay, du hast es überstanden.“ Und jetzt
schien er aufzuwachen. Er sah sie an und stöhnte: „Bones ... Ich erd nie ieder zum Zahnarsd
gehn ...“
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Die Anderen
by Frauke Feind
Vor Erleichterung schossen Bones die Tränen in die Augen. „Du hast mich zu Tode
erschreckt, weißt du das? Es tut mir so unendlich leid. Hast du Schmerzen?“ Seeley sah sie
aus rot geränderten Augen an. „Sollas ein Witzein? Du bisdoch die mit den megizinischen
Kenntnissn. Mir fliecht der Kopf auseinander, angefang im Mund ...“, nuschelte er undeutlich.
Er schloss die Augen und hielt sich verzweifelt die rechte Wange. „Oh, man. Da deng man,
man is hart im Nehm und die beweijen eim im Handumdrehn wieder ma dasch Gegendeil.“
Booth stöhnte leise auf. Tempe konnte sehen, dass seine Zunge im Mund unwillkürlich an
dem behandelten Backenzahn spielte. „Booth, abgesehen davon, dass du Marsianisch sprichst,
wird es dir besser gehen, wenn du den Mund hältst. Ich werde dir ein wenig Eis holen, okay,
das wird dir gut tun.“ Sie stand auf und ging zum Kühlschrank hinüber. Sie öffnete das kleine
Eisfach und fand eine Eisschale. Bones brach vier Eiswürfel heraus, füllte die leeren Fächer
gleich wieder mit Wasser und stellte die Schale zurück. Dann wickelte sie die Eiswürfel in ein
paar Tissues, die in einer Box im Bad standen und ging zu Booth zurück, der schwer atmend
im Bett lag. „Hier. Halt dir das an die Wange, das wird dir mit Sicherheit helfen.“, sagte sie
sanft. Sie hatte die durchaus berechtigte Hoffnung, dass der Schmerz in ein paar Stunden verschwinden würde. Jetzt war dort alles gestresst und wund. Es musste sich einfach alles etwas
beruhigen. Bei einem normalen Zahnarztbesuch würde die Betäubung noch so lange wirken.
Hier musste Booth einfach durchhalten.
*****
Mulder sank erschöpft auf das Sofa. Er starrte blicklos vor sich hin und Dana war klar,
dass ihr Partner erst einmal etwas Ruhe brauchte. Sie setzte sich stumm zu ihm und legte ihm
einfach nur die Hand auf den Oberschenkel. Eine einfache Geste, die deutlich machte - Ich
bin da - Sie musste selbst wieder einmal mit dem Erlebten fertig werden. Booth tat ihr unendlich leid. Was er hatte aushalten müssen, war Folter in höchster Potenz gewesen. Wer einmal
den Schmerz eines Bohrers auf einem unbetäubten Nerv gespürt hatte, konnte sich das
vielleicht vorstellen. Die entsetzliche Angst, die er zusätzlich empfunden hatte, machte das
Ganze noch hundertfach schlimmer. Denn wenn man Angst hatte, wurde Schmerz von jedem
Menschen als noch deutlich stärker empfunden. Dana schüttelte sich. Hatte er vorher schon
eine Phobie vor dem Zahnarzt gehabt, ging sie jede Wette ein, dass er nach diesem Erlebnis
vermutlich nie wieder freiwillig eine Praxis betreten würde. Der arme Kerl. Sie seufzte.
Immer, wenn sie dachten, das Schlimmste schon erlebt zu haben, gab es etwas, dass ihnen den
Beweis lieferte, dass es eben doch immer noch schlimmer ging.
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit gedanklich Mulder zu. Dieser hatte sich nach hinten
sinken lassen und lehnte bequem an der Rückenlehne des Sofas, den Kopf in den Nacken ge154
Die Anderen
by Frauke Feind
legt, die Augen geschlossen. - Was hast du nur erlebt, was haben sie dir angetan? - dachte sie
und wünschte, sie könne in seinen Kopf gucken. Er hatte einmal eine Regressionshypnose
machen lassen, um sich an die Nacht zu erinnern, in der seine Schwester für immer verschwunden war. Nun dachte Scully, dass ihm eine Hypnose in Bezug auf seine Entführung
vielleicht auch würde helfen können, das schreckliche Trauma besser zu verarbeiten. Ihre
Hand streichelte unbewusst sanft über seinen Oberschenkel und Mulder seufzte leise auf.
Seine linke Hand legte sich zärtlich auf ihre. Ohne die Haltung zu verändern sagte er leise:
„Das war doch ein schöner Vormittag. Das Entertainmentprogramm ließ wieder einmal kaum
Wünsche offen, was? Am besten hat mir die Szene im letzten Akt gefallen, als alle gehen
durften.“ Er öffnete die Augen und sah Dana an. Und erkannte in ihrem Gesicht Sorgen und
Konzentration. „Ohoh, worüber denkst du nach? Das sieht irgendwie nach nichts gutem aus.“
Dana schüttelte den Kopf und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Na, geht es wieder?“,
fragte sie liebevoll und spürte den beruhigenden Druck seiner Hand auf ihrer eigenen. „Wird
es ja wohl müssen, in weniger als einer Stunde muss ich wieder auf böse Pappkameraden
schießen.“ Mulder seufzte vernehmlich. „Booth war ja das Paradebeispiel eines Zahnarztphobikers, was? Was denkst du, wird er in den nächsten fünfhundert Jahren freiwillig wieder
eine Praxis betreten?“ Scully schüttelte den Kopf. „Da gehe ich jede Wette ein, den wird man
nur noch mit Gewalt auf einen Zahnarztstuhl bekommen.“
*****
Allison saß im Schneidersitz auf dem Bett. „Was haben die nur davon, warum machen
die solche Sachen?“ House saß auf dem Sofa und rieb sich sein Bein. „Warum? Nun, ich
nehme an, die wollen ihre Investitionen bei guter Gesundheit erhalten.“ Cameron sah zu Greg
hinüber. „Das meine ich nicht. Dir tut es gut, endlich mal gründlich durch gecheckt zu
werden. Ich meine, warum haben sie dem armen Booth nicht eine Betäubung gesetzt? Was
haben diese Bastarde davon, diese Tortur ohne Betäubung durch zuziehen? Wird er davon
besser für sie zu ... verwenden, wenn er so grässliche Schmerzen ertragen muss?“ „Sparmaßnahmen können es wohl kaum sein, die sie veranlassen, diese Art Eingriffe ohne eine Anästhesie vor zu nehmen. Die Punktionen9 und Endoskopien10 werden sie sicher auch ohne jede
9
Punktion: Eine Punktion ist in der Medizin das gezielte Setzen einer Nadel oder eines anderen spitzen Instrumentes. Die dabei
aufgenommene Gewebsflüssigkeit oder -probe heißt Punktat. Eine Punktion kann zur Einspritzung in den Körper oder zur Entnahme aus dem Körper (zum Beispiel Lumbalpunktion) dienen. Hierzu verwendet man Hohlnadeln.
10
Endoskopie: Ein Endoskop ist ein Gerät, mit dem das Innere von lebenden Organismen, aber auch technischen Hohlräumen
durch Bildgebung untersucht oder gar manipuliert werden kann. Ursprünglich für die humanmedizinische Diagnostik entwickelt,
wird es heute auch für minimal-invasive operative Eingriffe an Mensch und Tier eingesetzt. In der Medizin besteht es aus einer
sehr beweglichen Glasfaseroptik, die mit Kunststoff ummantelt ist. Häufig besitzt es eine Spül- und Absaugvorrichtung, einen
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Die Anderen
by Frauke Feind
Betäubung vornehmen, davon gehe ich aus. Und warum sie das ohne Anästhesie machen? Ich
kann es mir nur so erklären, dass sie klar machen wollen, dass SIE Herr über uns sind, bestimmen, wann wir Schmerzen leiden und wann nicht.“ House konnte nicht verhindern, dass
ihm eine Gänsehaut über den Rücken kroch. „Da werden wir alle noch viel Spaß bekommen.
Die Leberbiopsie war schon sehr lustig ohne Lokalanästhesie, bei den Punktionen und der
Gastroskopie11 und Bronchoskopie werden wir sicher alle Jubeln vor Freude.“ Er machte eine
kurze Pause, dann sagte er überlegend: „Booth hat eine ausgewachsene Oralphobie, aber was
war mit Mulder los? Das war eine Panikattacke, aber sie galt ganz offensichtlich nicht alleine
der Behandlung, denn dann wäre er nicht doch so ruhig sitzen geblieben. Es muss irgendwas
in seiner Vergangenheit geben, was ihm unglaublich zu schaffen macht. Er kann es absolut
nicht ertragen, bewegungsunfähig gemacht zu werden. Das ist mir schon mehrfach aufgefallen.“
Allison nickte. „Ja, das habe ich auch schon bemerkt. Ob an der Sache mit der Entführung durch Aliens wirklich etwas dran ist?“ Sie schauderte. „Ich habe keine Ahnung. Vorstellen kann ich es mir nicht, aber andererseits hat Locke uns bewiesen, dass es mehr gibt
zwischen Himmel und Erde, als wieder vermuten.“ Er stockte und lachte dann ironisch. „Als
nächstes pilgern wir vermutlich nach Roswell. Mal ehrlich, das Gefasel von Aliens entbehrt
doch jeder vernünftigen Grundlage. Wir sind Wissenschaftler, keine Fantasten. Er kann nicht
von Aliens entführt worden sein.“ Allison lächelte. Sie kannte House gut genug, um zu
wissen, dass er die Möglichkeit sehr wohl in Betracht zog. „Warum nicht? Ich glaube, nur,
weil wir es nicht glauben, nicht fassen können, muss es doch nicht unmöglich sein. Woher
nehmen wir die unsägliche Überheblichkeit, zu denken, wir wären die einzig intelligenten
Lebewesen im Universum? Zumal die meisten von uns nicht einmal intelligent sind.
Irgendwas hat Mulder jedenfalls erlebt, das ihn immer wieder einholt und in Angst und
Schrecken versetzt.“ Sie fuhr sich mit der Zunge über ihre Zähne. „Die haben gute Arbeit
geleistet, alles sehr sauber geworden.“
*****
Arbeitskanal, durch den die Instrumente (zum Beispiel Miniaturzangen) eingeführt werden, sowie ein Videosystem zur Licht- und
Bildübertragung auf einen Monitor.
11
Gastroskopie: Die Magenspiegelung ist eine Untersuchung des Magens mit Hilfe eines speziellen Schlauchs (Gastroskop).
Der Arzt kann so die Speiseröhre (Ösophagus), den Magen und Zwölffingerdarm (Duodenum) von innen betrachten. Bronchoskopie, ist das gleiche Verfahren, nur, dass hier die Bronchien einer endoskopischen Untersuchung unterzogen werden.
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by Frauke Feind
Nach dem Abendbrot wurden alle Gefangenen, auch Booth und Bones, noch einmal
abgeholt. Sie wurden in einen Raum gebracht, der sofort an einen Gruppentherapieraum erinnerte. Siebzehn Stühle, in einem großzügigen Kreis aufgestellt, legten die Assoziation nahe.
Sie verteilten sich auf die Stühle und warteten, was nun wohl geschehen würde. Allison erkundigte sich besorgt bei Booth wie es ihm ging. „Ich würde für eine Schmerztablette eine
Menge geben. Allerdings bin ich ehrlich nicht sicher, ob die Schmerzen real oder psychisch
sind.“ House sah ihn an. „Die Wange wird dick. Halt doch mal den Kopf still. Ja, eindeutig,
deine Backe schwillt an. Das heißt dann wohl, dass die Schmerzen real sein werden.“ Er trat
an Booth heran und legte diesem den Handrücken an die betreffende Stelle der Wange. „Aber,
Darling, doch nicht hier, vor all den Leuten.“, grinste Booth verkniffen. Sawyer sah House
herausfordernd an. „Hey, nimm deine Finger von ihm, ich werde ja eifersüchtig.“ Die Gefangenen schmunzelten. Ohne die ständigen dummen Bemerkungen einiger Leidensgenossen
wäre ihre Situation noch unerträglicher gewesen. House grinste und erklärte dann: „Fühlt sich
nicht heiß an, wird also mit ziemlicher Sicherheit keine Entzündung sein. Das sind einfach
Zahnschmerzen durch die Reizung, mein Freund. Das wird sich schon beruhigen, da bin ich
sicher.“ Er wollte noch etwas hinzufügen, aber die Tür öffnete sich und eine Frau mittleren
Alters kam herein. „Hinsetzen, los.“
House setzte sich nun auch auf seinen Stuhl. Etwas besorgt und nervös sahen die Gefangenen die Frau an. Booth fiel es ungeheuer schwer, nicht unruhig hin und her zu zappeln
vor Zahnschmerzen. Er kniff immer wieder gepeinigt die Augen zu und hatte mehr und mehr
Schwierigkeiten, ein schmerzvolles Zischen zu unterdrücken. Die Frau, die herein gekommen
war, hatte einen ganzen Stapel Schnellhefter in der Hand. Einige dicker, einige dünner mit
Papieren gefüllt. Sie legte diesen Stapel neben sich und nahm einen der Hefter in die Hand.
Sie blätterte scheinbar interessiert darin herum. Dann sah sie die Gefangenen abschätzend an.
Diese wurden immer nervöser. Durch das deutliche Unbehagen, welches sie alle empfanden,
stieg ihr Blutdruck und das führte bei Booth zu einer weiteren Steigerung seiner Zahnschmerzen. Er konnte nicht mehr verhindern, dass ihm ab und zu ein leises Zischen entwich.
Die Frau sah Booth an. Dann sagte sie leise etwas in ihr Headset und Minuten später ging die
Tür auf und ein Wachposten betrat den Raum. Er trat zu Booth und drückte diesem eine
Tablette und ein Glas Wasser in die Hand. Erstaunt sah Booth auf. „Danke.“, nuschelte er
undeutlich. Unglaublich erleichtert schluckte er die Tablette, eine Paracetamol. „Wir wollen
doch hören, was du zu sagen hast.“, erklärte die Frau kühl. „Ich bin Major Lila Garreau.
Einige von euch kennen mich vielleicht aus der Fernsehserie China Beach.“ Die Frau lachte
boshaft. „Wir alle waren der Meinung, euch einen Namen nennen zu müssen, mit dem ihr
mich ansprechen könnt. Dieser war der Erste, der mir einfiel. Nun denn. Wir werden uns
heute nett unterhalten. Ich erwarte ebenso motivierte Mitarbeit wie ihr sie bei meinem lieben
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Die Anderen
by Frauke Feind
Kollegen, Dr. Dick Richard, gezeigt habt.“ Wieder lachte die Frau leicht gehässig. House verzog angewidert das Gesicht. Er kannte die TV Serie China Beach und wusste, dass Dr. Dick
Richard eine weitere Figur dieser Serie war. Er war sehr gespannt, was kommen würde.
„Wir werden uns heute und in den nächsten Tagen ganz ausgiebig über euch unterhalten.“, fuhr die Frau fort. „So gründlich, wie wir alle möglichen physischen Schwachpunkte
untersuchen, werden wir auch die psychischen Problemfelder bei euch ausloten. Wir haben
Großes mit euch vor, das nicht dadurch gestört werden darf, dass an unpassender Stelle verdrängte Traumata eure Handlungsfähigkeit beeinträchtigen. Deshalb werden wir in den
kommenden Stunden und Tagen eure schlimmsten Erinnerungen hervorholen.“ Einigen der
Anwesenden liefen bei diesen Worten eisige Schauer über den Körper. Die weniger psychologisch geschulten Gefangenen fragten sich, wozu das gut sein sollte und hatten aus dem
Grunde Angst. Diejenigen, die psychologisch Bescheid wussten, machten sich genau aus
diesen Gründen Sorgen. „Wir beginnen mit Nummer 1 und gehen in der Reihenfolge der
Nummern vor. Jeder wird reihum die Frage beantworten. Welches Ereignis aus eurer Kindheit
würdet ihr als das Schönste bezeichnen?“ Booth zuckte zusammen. Er sah auf und überlegte.
Was war denn ein sehr schönes Ereignis gewesen? Dann fiel ihm ein Sommerurlaub in
Montana ein. Sein Vater hatte sich mit Seeley, ohne den jüngeren Bruder Jared, ein Kanu gemietet und sie waren zusammen drei Tage auf dem Big Horn River gepaddelt. Ein so enges,
schönes Verhältnis hatte er vorher und nachher nie wieder mit seinem Vater gehabt. Aber das
hier vor allen zu erzählen? Booth schluckte. Dann gab er sich einen Ruck und berichtete von
dem Paddelausflug.
Jake überlegte zu diesem Zeitpunkt bereits hektisch, was sein schönstes Kindheitserlebnis gewesen war. Mit seinem Vater hatte er sich schon als Kind häufig gestritten, weil er
als Kind und Jugendlicher ein kleiner, unbequemer Rebell gewesen war. Daher dachte er bei
schönen Ereignissen eher an seinen Großvater. Der hatte einige Meilen außerhalb von Jericho
eine Ranch betrieben, mit Rindern, Pferden, allem, was ein Junge großartig fand. Bei ihm
hatte Jake auch reiten gelernt. Einmal hatte sein Grandpa einen Ausritt über ein paar Tage mit
Jake gemacht. Da war er zehn gewesen. Jake hatte diesen Ausflug in lebhafter Erinnerung. Er
lächelte. Und schon wurde er angesprochen. „Nummer 2, bitte.“ Verlegen berichtet Jake von
dem Ausflug und war erstaunt, dass die anderen ihm sehr aufmerksam zu hörten. Sawyer
brauchte nicht darüber nachzudenken, was für ihn das schönste Kindheitserlebnis gewesen
war. Alles vor dem Tod seiner Eltern war traumhaft schön gewesen. Besonders waren ihm die
Wochenenden in Erinnerung, wenn seine Eltern mit ihm zur Picknick Area des nahe gelegenen Walker Lake gefahren waren. Es kostete ihn große Überwindung, das hier vor allen
zu erzählen. Wenn er mit Kate über so was redete, war es okay, aber vor allen ... Er schluckte
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Die Anderen
by Frauke Feind
und wünschte sich, seine Stimme würde nicht so zittern. Dann erzählte er leise von den
Stunden, die er mit seinem Pa spielend am Wasser verbracht hatte. Kate lauschte und Tränen
schossen ihr in die Augen. Sie wusste so genau, wie sehr Sawyer noch heute unter dem Verlust seiner Eltern litt.
House erzählte stockend davon, wie schön es gewesen war, wenn sein Vater durch
Abwesenheit geglänzt hatte. Das war für den jungen Gregory die schönste Zeit gewesen. Ziva
schossen Gedanken an unbeschwerte Ausflüge mit ihrer Schwester ans Meer durch den Kopf.
In den heißen Monaten stiegen die Temperaturen in Tel Aviv nicht selten weit über die 40°
Marke und jeder war froh, diese Zeiten am nahen Meer verbringen zu können. Mit ihrer
Schwester am Strand zu spielen, wenn Papa ihnen beim Burgen bauen geholfen hatte, war das
Höchste gewesen. Bei Bones waren es Erinnerungen an Weihnachten. Dana liebte es, wenn
ihr Vater sich intensiv mit ihr beschäftigt hatte. Kate liebte genau das Gleiche. Mit ihrem
Stiefvater durch die Wildnis zu streifen, tagelang, war für sie damals als Kind und Jugendliche das Schönste gewesen. Heather und Allison hatten keine Probleme, schöne Erinnerungen auszugraben. Bei Heather war es der Reitunterricht durch ihren Onkel, bei Allison
ein Urlaub in Europa, den sie in wunderschöner Erinnerung hatte. Sara fiel es deutlich
schwerer. Ihre gesamte Kindheit war von ihrem gewalttätigen Vater überschattet. Immer und
immer wieder hatte sie mit ansehen müssen, wir er ihre Mutter zum Teil krankenhausreif
schlug. Und nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihren Bruder und sie selbst. Sie zermarterte
sich den Kopf nach einem schönen Ereignis. Dann fiel ihr tatsächlich etwas ein. Sieden heiß
durchzuckte sie die Erinnerung daran, wie sie als zehnjährige Zeuge geworden war, wie ihr
Vater von ein paar Schlägern aus der Nachbarschaft übel zusammen geschlagen worden war.
Sara hatte es damals als mehr als überfälligen Ausgleich angesehen.
Locke fiel es auch sehr schwer, sich an ein wirklich schönes Kindheitserlebnis zu erinnern. Seinen Vater hatte er als Kind gar nicht in Erinnerung. Und seine Mutter, sie hatte ihn
mit sechzehn Jahren bekommen, und fast unmittelbar nach der Geburt weg gegeben ... Er
seufzte. Schließlich berichtete er von einem besonders schönen Ausflug mit einer seiner
Pflegefamilien. Es war in die Berge gegangen und Locke hatte einen Berglöwen gesehen.
Dieses Ereignis hatte er nie vergessen können. Für Gil war es schon als Kind das Schönste
gewesen, in der freien Natur zu sein und Insekten zu suchen. Ab und zu hatte sein Vater ihn
mitgenommen und sie waren zusammen Wandern gegangen. Dann durfte Jung-Gilbert
Insekten sammeln um sie seiner Sammlung zuzuführen. Abby brauchte nicht lange zu überlegen. Wenn ihre Eltern an ihren Geburtstagen eine Zaubervorstellung gegeben hatten, war
Abby jedes Mal das glücklichste Kind in ganz Amerika gewesen. Mulder war klar, dass
nichts, was nach dem Verschwinden Samanthas gekommen war, noch schön genug war, hier
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Die Anderen
by Frauke Feind
Erwähnung zu finden. So kramte er in den Erinnerungen vor dem Verschwinden der geliebten
Schwester. An den Sommerwochenenden hatten seine Eltern ihre Kinder geschnappt und
waren an die Lucy Vincent Beach gefahren, hatten dort stundenlang mit den beiden Kindern
gespielt. Hier hatte sein Vater ihnen Schwimmen beigebracht. Gibbs hatte zeitlebens die Erinnerung an einen ganz bestimmten Geburtstag als wunderschönes Kindheitserlebnis abgespeichert. Als er zehn geworden war hatte sein Vater sich den Jungen geschnappt und war
mit ihm auf einen Verkehrsübungsplatz in der Nähe gefahren. Und hier hatte er seinem zehn
Jahre jungen Sohn Auto fahren bei gebracht. Gibbs grinste.
Memorys
Die Erinnerungen verschönen das Leben, aber das Vergessen allein macht es erst
erträglich.
Honore de Balzac
„In der zweiten Fragerunde wenden wir uns einer weniger angenehmen Erinnerung zu.
Ihr werdet von einem Tag, einem Ereignis erzählen, dass nicht unbedingt traumatisch, aber
unangenehm war.“, meldete sich ‘Major Garreau‘wieder zu Wort. Sie hatte stumm, aber
interessiert zugehört und sich Notizen gemacht. Mulder behielt die Frau im Auge. Sie verstand ihr Handwerk. Alle waren eingeschüchtert und machten sich Sorgen, was noch kommen
würde. Und dass sie rein gar nichts zu den Antworten der Gefangenen sagte, machte das
Ganze noch unheimlicher. Bei Booth wirkte inzwischen die Schmerztablette ein wenig und er
war etwas entspannter, obwohl die Zahnschmerzen und die damit verbundene Angst noch
nicht annähernd weg waren. Unangenehm. Gutes Stichwort. Aber etwas, was heute stattgefunden hatte, meinte die eigenartige Frau wohl nicht. So überlegte Seeley. „Es gibt da eine
Erinnerung, die ziemlich unangenehm ist. Ich war mit meiner Mutter unterwegs, wir wollten
einen Onkel besuchen, in Weirton, etwa fünfundzwanzig Meilen außerhalb Pittsburghs. Auf
der 22 hat meine Mutter einen Hund übersehen und angefahren. Er starb auf meinem Schoss,
bevor wir mit ihm einen Tierarzt erreichen konnten.“ Booth schwieg. Er sah im Geiste das
Tier vor sich. Das war kein schönes Erlebnis gewesen. Jake dachte daran, wie ein Pferd auf
der Ranch seines Großvaters erschossen werden musste. Es hatte sich das Bein gebrochen und
der Tierarzt kam und konnte für den Wallach nichts mehr tun. Sein Großvater selbst holte
einen Revolver und schoss dem Tier eine Kugel in den Kopf. Jake wusste, dass es seinem
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Die Anderen
by Frauke Feind
Großvater extrem schwer gefallen war. Dem alten Mann waren Tränen über die Wangen gekullert, als er den Wallach zusammen brechen sah.
Sawyer überlegte lange. Dann erzählte er leise, stockend: „In der Nachbarschaft
meines Onkels, bei dem ich ... Da gab es einen Jungen, Pete soundso, der hat immer wieder
kleinere Kinder verprügelt. Mich hat er lange in Frieden gelassen. Doch eines Tages schließlich hatte er mich als Opfer ausersehen. Er lauerte mir auf und ich versuchte, abzuhauen. Ich
war einen Kopf kleiner als Cassius. Ich rannte in den Nachbargarten und versteckte mich
hinter dem Geräteschuppen. Pete verfolgte mich und übersah dabei eine Harke, die verkehrt
herum im Garten lag. Er trat sich die Zinken durch den linken Fuß. Er hatte zwar die Absicht,
mich zu verprügeln, aber das hab ich ihm nicht gegönnt.“ Sawyer schwieg. House hatte Zeit
genug gehabt, sich eine weniger traumatische Erinnerung ins Gedächtnis zu rufen. Es hatte
eine Zeit gegeben, da hatte sein Vater sich in den Kopf gesetzt, für seine Mutter einen
Gartenpavillon zu bauen. Dabei war ein Nachbar, der hatte helfen wollen, vom Dach gestürzt
und hatte sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen. Greg hatte bei ihm bleiben müssen
und sein Vater war ins Haus geeilt und hatte einen Rettungswagen gerufen. Da draußen mit
dem verletzten Mann zu sitzen, hatte House als sehr unangenehm in Erinnerung. Bei Ziva war
es die Erinnerung an einen sehr heftigen Streit zwischen ihren Eltern, der ihr sehr unangenehm in Erinnerung geblieben war. Bones wiederum hatte einen Umzug, noch mit ihren
Eltern, in sehr, sehr schlechter Erinnerung. Ihrem Vater hatte damals beim Verladen ihren
kleinen Plattenspieler fallen lassen. Bones hatte das als mittlere Katastrophe angesehen.
„Mein Bruder brach sich den Arm, da war ich neun. Ich hatte auf ihn aufpassen sollen,
war unaufmerksam und er kletterte in einen Baum. Mein Vater hat mich furchtbar ausgeschimpft.“ Scully schluckte trocken. Sie hatte immer um die Gunst ihres Vaters gekämpft
und dann war ihr ein solcher Fehler unterlaufen. Das war ihr bis heute unangenehm. Kate
überlegte. Ihre ganze Kindheit war zum Teil unschön gewesen, wenn sie zu Hause bei den
Eltern hatte sein müssen. Schön war es nur bei ihrem Stiefvater gewesen. Aber es gab einen
dunklen Punkt in ihrer Kindheit, der ausschlaggebend für ihre spätere Klaustrophobie gewesen war. Als der Country Highway B24 gebaut worden war, nicht weit von ihrem Elternhaus entfernt, hatte Kate zusammen mit ein paar Freunden auf der Baustelle für eine kleine
Brücke gespielt. Das Grundgerüst der Brücke war fertig gewesen und Kate und eine Freundin,
Lilly, hatten sich beim verstecken Spielen genau unter diesem Gerüst versteckt, als der Sand
ins Rutschen gekommen war. Die beiden Mädchen wurden von den Sandmassen aus der
Böschung verschüttet. Kate konnte mit einem schwerer Schock gerettet werden, für Lilly kam
jede Hilfe zu spät. Heather entschied sich für die Gelegenheiten, zu denen der strenge Vater
sie für kleinere Verfehlungen getadelt hatte. Er war nie gewalttätig geworden oder hatte sie
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angeschrien. Aber er hatte ihr immer irgendwie das Gefühl vermittelt, nicht gut genug zu sein.
Cameron musste nicht lange überlegen. „Ich war siebzehn und unheimlich stolz, als ich den
Brief bekam, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich ein Stipendium für die Uni bekommen
würde. Ich bin sofort zu meinen Eltern gelaufen und habe ihnen von dem Stipendium erzählt.
Aber sie haben nicht gerade so reagiert, wie ich gehofft hatte. Meine Mum meinte nur: ‚Das
ist schön. Aber möchtest du das wirklich machen? Du bist so ein hübsches Mädchen. Du wirst
sicher irgendwann heiraten und eine Familie gründen. Warum willst du dich noch so anstrengen und Medizin studieren?’“
Sara musste lange nachdenken. Sie fand fast alles in ihrer Kindheit unangenehm und
das Meiste, das vor dem Tod ihres Vaters gewesen war, würde nicht das Kriterium ’nicht
traumatisch’ erfüllen. Schließlich erzählte sie sichtlich widerwillig von einem Erlebnis aus
ihrer Zeit im Heim. „Die meisten Kinder waren nicht sehr lange im Heim. Viele wurden nach
kurzer Zeit von Verwandten oder Freunden der Familie abgeholt. Manche kamen auch
irgendwann zurück zu ihren Eltern. Die Jüngeren wurden oft adoptiert oder kamen zu Pflegefamilien, bei denen sie bleiben konnten. Zwischen einigen der älteren Kinder herrschte eine
Art Wettbewerb: wer häufiger Besuch von Verwandten bekam und wer schneller eine Pflegefamilie fand. Eine von den Guten. Mit einem von den Mädchen, mit denen ich mir ein
Zimmer teilen musste, kam ich überhaupt nicht klar. Sie war ehrlich unerträglich. Immer,
wenn wir eine Meinungsverschiedenheit hatten, hat sie mir gesagt ’Kein Wunder, dass dich
niemand haben will.’ Ich habe das einfach nur als dummen Spruch abgetan. Aber als sie nach
einiger Zeit zu einer Pflegefamilie kam und ich Jahre später immer noch im Heim war, fing
ich an zu überlegen, ob sie nicht vielleicht Recht hatte.“ Locke hatte an viele ähnliche Erlebnisse gedacht, während Sara gesprochen hatte. Schließlich erzählte er von einem Weihnachtsfest bei einer seiner Pflegefamilien. Die Familie war ganz in Ordnung gewesen, sie hatten ihn
anständig behandelt und er hatte sich gut mit dem Sohn seiner Pflegeeltern, einem Jungen in
seinem Alter, verstanden. An seinem ersten Weihnachtsfest in der Familie kamen die Großeltern, Tanten und Onkel zu Besuch. Jeder von ihnen hatte ein Geschenk für den leiblichen
Sohn der Familie, aber niemand für ihn. Das hatte ihm überdeutlich klar gemacht, dass er
auch in dieser Familie nicht wirklich dazu gehörte.
Gil knüpfte an Lockes Geschichte an und erzählte vom ersten Weihnachtsfest nach
dem Tod seines Vaters. „Meine Mutter hat immer schon sehr zeitig alle Weihnachtsgeschenke
besorgt, deswegen hatte sie auch schon die Geschenke für meinen Vater. Sie hat die Päckchen
unter den Baum gelegt und ein Gedeck für meinen Vater aufgelegt. Sie hat einfach so getan,
als wäre er noch bei uns. Ich war neun und wusste nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich war
in diesem Jahr froh, als Weihnachten vorbei war.“ Abby erzählte davon, wie sie sich als
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Zehnjährige bei einem Sturz mit ihren Inline Skates das Bein gebrochen hatte. Mulder
konzentrierte sich auf seine Kindheit, bevor Sam verschwunden war. Die Zeit danach war für
den damals erst zwölfjährigen Jungen ein einziges Trauma gewesen. Aber er erinnerte sich an
eine sehr unangenehme Sache, die er in der ersten Klasse der Junior Highschool erlebt hatte.
Sie hatten einen Aufsatz in Geschichte schreiben müssen. Als die Lehrerin die Aufgabe gestellt hatte, war Mulder damit beschäftigt gewesen, mit einem Freund Comics zu Tauschen.
So hatte er die Aufgabe falsch verstanden und dementsprechend falsch gelöst. Die Lehrerin
hatte ihn vor der ganzen Klasse zur Schnecke gemacht. Und Mulder hatte sich gewünscht, ein
Loch möge sich auftun, in das er hätte versinken können. Gibbs hatte sich die anderen angehört und sich dabei an ein eigenes, sehr unangenehmes Erlebnis erinnert. Er war in einem
Bus auf dem Weg zur Schule gewesen. Plötzlich hatten sich zwei Jungen im Bus angefangen
zu Schlagen. Einer von ihnen hatte den anderen übel zusammen geschlagen. Gibbs hatte sich
damals vorgenommen, so schnell wie möglich einen Kampfsport zu erlerne, um sich gegen so
was wehren zu können. Sein Vater hatte rigoros abgelehnt. Das hatte Gibbs als sehr unangenehm empfunden. Er hatte seinen Vater verflucht.
Wieder hatte der Major ruhig zugehört. Dass sie sich Notizen in den Schnellheftern
machte, beunruhigte die Gefangenen mehr, als sie sich eingestehen wollten. Gespannt
warteten sie auf die nächste Frage. Und die kam, ohne Pause. „Kommen wir zu einem
typischen Tag eurer Kindheit, Herrschaften.“ Kühl und unpersönlich kam die Frage. Und die
Gefangenen begannen erneut, zu überlegen. Für Booth hatte ein ganz normaler Tag in seiner
Kindheit darin bestanden, mit dem Kindermädchen und seinem Bruder alleine zu sein. Sein
Vater war als Pilot ständig unterwegs gewesen und seine Mutter als Werbedesigner den
ganzen Tag in der Agentur. Er hatte mit seinem Bruder und dem Kindermädchen zusammen
gefrühstückt, war in die Schule gefahren, nachmittags wieder gekommen und hatte unter Aufsicht des Kindermädchens Hausaufgaben gemacht. Dann war Sport oder Spielen angesagt
gewesen. So sah ein normaler Tag aus. Bei Jake hatte ein ganz normaler Tag ähnlich ausgesehen, nur ohne Kindermädchen. Seine Mutter war als Krankenschwester ebenfalls oft rund
um die Uhr beschäftig und sein Vater hatte selbst an den Wochenenden wenig Zeit gehabt. So
waren Eric und Jake oft alleine gewesen. Aber da der Großvater sich viel um die Jungs gekümmert hatte, hatten beide es nicht als so schlimm empfunden.
Sawyer bekam langsam aber sicher ein immer schlechteres Gefühl in dieser Gesprächsrunde. Dass es wieder um ein relativ harmloses Thema ging, beeindruckte ihn nicht
sehr. Er konnte sich kaum an die Zeit erinnern, als seine Eltern noch bei ihm gewesen waren.
Er war gerade einmal acht Jahre alt gewesen und der grauenhafte Mord und Selbstmord hatte
das Kind damals derart traumatisiert, dass vieles, was vor diesem Tag geschehen war, in
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Die Anderen
by Frauke Feind
Sawyers Gedächtnis so tief vergraben war, dass es ihm extrem schwer fiel, es auszugraben.
Aber er wusste, dass seine Mutter nicht gearbeitet hatte. Vage versuchte er, einen normalen
Tag vor dem Ereignis, dass sein Leben zerrüttet hatte, zusammen zu kratzen. Als er jedoch
anfing zu reden, merkte er, dass er etwas ganz anderes erzählte. „Ich wurde hin und her gereicht. Die Angehörigen meines Vaters gaben meiner Mutter die Schuld und anders herum.
Keiner hatte Lust und Zeit, sich mit mir zu befassen. Ein typischer Tag ... Alleine aufstehen,
alleine zur Schule, alleine nachmittags Schularbeiten machen. Im Garten hören, wie meine
Großeltern väterlicher und mütterlicherseits herum keiften, dass Mary - nein Warren, Schuld
hatte. Schließlich irgendwann alleine zu Bett gehen. Ein typischer Tag im Hause Ford.“
Gedankenverloren verstummt Sawyer und spürte, wie Kate nach seiner Hand griff und diese
fest in ihre nahm. Dankbar sah er sie an.
House schnaufte. „Ein typischer Tag in meinem Leben? Mein Vater schmiss mich um
5 Uhr in der Frühe aus dem Bett, jagte mich raus, zum Zeitungen austragen. Ich durfte gnädig
vor dem Frühstück duschen, dann wurde ich in den Schulbus gesetzt. Nach der Schule hatte
ich meine Hausaufgaben in seinem Beisein zu machen und wenn ich das Pech hatte, eine
schlechte Note nach Hause zu bringen, lernte ich die Vorzüge einer ausrangierten Hundehütte
kennen. Tja, Freunde, den Entschluss, Medizin zu studieren, haben ich bei minus 8 Grad in
einer Hundehütte im Garten meiner Eltern gefasst. Wenn ich mal ganz einfach in mein
Zimmer gehen und in meinem Bett schlafen durfte, war das ein außergewöhnlich guter Tag.“
Auch House schwieg nach diesem Bericht und starrte zu Boden. Ziva dachte an ihre Kindheit
in Israel zurück. Ihr Vater hatte sie und ihre Schwester von klein auf darauf vorbereitet, eines
Tages zum Mossad zu gehen. Es war für sie völlig selbstverständlich gewesen, dass sie eines
Tages ihrem Land dienen würde. An einem typischen Tag kamen sie und ihre Schwester von
der Schule nach Hause, aßen zu Mittag und machten ihre Hausaufgaben. An zwei Nachmittagen in der Woche hatten sie Kampfsportunterricht. Es war ihre Mutter gewesen, die
durchgesetzt hatte, dass ihre Töchter zum Ausgleich Klavierstunden bekamen. Wenn Ziva
vom Kampfsporttraining nachhause kam, hatte sie es immer genossen, abends noch eine
Stunde Klavier zu spielen. Die Musik hatte sie entspannt und es hatte ihr gefallen, ihrer
kleinen Schwester neue Klavierstücke beizubringen.
Für Bones war ein typischer Tag vor dem Verschwinden ihrer Eltern einer gewesen,
an dem ihre Mutter sie und ihren Bruder geweckt und später zur Schule gebracht hatte.
Nachhause kamen sie allein. Dann hatte ihre Mutter streng und unnachgiebig die Hausaufgaben überwacht. Waren diese erledigt, durften Russell und sie noch Spielen. An zwei Tagen
in der Woche hatte Tempe Judounterricht gehabt. Das hatte ihr immer viel Spaß gemacht.
Abends im Bett hatte ihr Vater, der gegen 17 Uhr nachhause kam, ihr eine Geschichte vor164
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gelesen. Wie sehr hatte sie sich gewünscht, dass es immer so weiter gegangen wäre. Auch bei
Dana und ihren Geschwistern hatte ein typischer, normaler Tag wirklich normal ausgesehen.
Aufstehen, Schule, Hausaufgaben, draußen Spielen, Abendbrot, dann ein bis zwei schöne
Stunden mit Mum und Dad, Dana erinnerte sich gerne an ihre behütetet Kindheit. Nach Dana
begann Kate zu erzählen, immer noch Sawyers Hand in ihrer. „Meine Mutter hat viel gearbeitet, aber sie kam immer pünktlich nach Hause. Dann hat mein Vater sie regelmäßig verprügelt und ich konnte nichts dagegen machen. Er hat mich oft stundenlang in den Keller gesperrt und wenn er schlechte Laune hatte, auch schon mal in einen Schrank.“
Heather berichtete, dass ihre Tage nicht besonders aufregend gewesen waren. Wenn
sie von der Schule nachhause kam, aß sie mit ihrem Vater und ihrem Bruder zu Mittag und
machte dann den Abwasch, erledigte ihre Hausaufgaben und half ihrem Bruder mit seinen
Schularbeiten. Die Nachmittage verbrachte sie damit, mit ihrem Bruder draußen zu spielen
und einige Hausarbeiten zu erledigen. Auch Allison hatte nicht viel zu berichten. Sie hatte
getan, was alle Kinder taten: Zur Schule gehen, Hausaufgaben machen und mit Freunden
spielen. Sara schluckte. Gerade nach den harmlosen Schilderungen von Heather und Allison
hatte sie absolut keine Lust einen normalen Tag aus ihrer Kindheit zu schildern. Aber sie hatte
längst begriffen, dass irgendjemand darunter leiden würde, wenn sie sich weigerte, wahrscheinlich Gil. Also begann sie zu erzählen. „Wenn mein Bruder und ich aus der Schule
kamen, haben wir versucht, uns möglichst unsichtbar zu machen, um unserem Vater keinen
Grund zu geben, auszurasten. Aber es gab immer einen Grund. Er hat Mum geschlagen, wenn
das Essen zu heiß oder zu kalt war. Wenn mein Bruder oder ich ein Spielzeug irgendwo
liegen gelassen hatten oder wir nicht schnell genug kamen, hat er uns verprügelt. Mum hat
immer versucht, dazwischen zu gehen und uns zu helfen und dann hat sie das Schlimmste
abbekommen. Sie hat fast nie das Haus verlassen, damit man die Verletzungen nicht sah.
Meistens hat sie die Verletzungen selbst behandelt, ihre und unsere. Nur wenn es ganz
schlimm war, sind wir in die Notaufnahme gefahren. Aber auch das kam oft genug vor.“ Sie
verstummte und sah auf den Boden vor sich. Diese ganze Sache hier brachte Erinnerungen
hoch, die Sara längst als erledigt angesehen hatte. Sie wollte nicht daran denken und konnte
es doch nicht verhindern. Locke hatte zugehört und überlegte für sich, wie ein normaler Tag
in seinem Leben ausgesehen hatte. „Einen wirklich typischen Tag gab es für mich nicht, dazu
habe ich zu oft die Pflegefamilie gewechselt. Aber meistens liefen meine Tage ziemlich
normal ab. Schule, Hausaufgaben und mit meinen Pflegegeschwistern spielen.“ Gil brauchte
nicht lange nachzudenken. „Ich war schon immer fasziniert von Insekten. Wenn ich meine
Schularbeiten fertig hatte und nicht draußen war, um Insekten zu sammeln, habe ich nach der
Schule viel Zeit in Bibliotheken verbracht. Ich habe entweder entomologische Fachbücher
gelesen oder alles von Shakespeare.“
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Die Anderen
by Frauke Feind
Abbys Tage in New Orleans als Kind waren erfüllt von den Erinnerungen an die
Eltern. Welches Kind konnte schon behaupten, beide Eltern wären Zauberer. Als Kind waren
ihre Eltern die Größten für Abby gewesen. Sie und ihr taubstummer Bruder Jerry hatten zu
geguckt, wenn ihre ebenfalls taubstummen Eltern übten. Als Abby später alt genug war, zu
begreifen, dass das, was ihre Eltern taten, nur Illusionen waren, war Abby zum größten und
zuverlässigsten Kritiker für ihre Eltern geworden. Auf Abbys und Jerrys Urteil hatten sich
Mr. und Mrs. Sciuto immer verlassen können. Mulder lauschte aufmerksam. Viele seiner
Mitgefangenen hatten eine ziemlich üble Kindheit gehabt. Locke, Kate, Sara, House, Bones
später auch, aber er kam nicht umhin, sein ganzes Mitgefühl Sawyer zukommen zu lassen.
Was der durch gemacht hatte, gönnte man seinem schlimmsten Feind nicht. Als er selbst an
der Reihe war, einen ganz typischen Tag in seiner Kindheit zu schildern, nahm der Special
Agent ganz selbstverständlich einen Tag vor dem Verschwinden seiner Schwester. Dad ging
früh morgens aus dem Haus, denn er arbeitete auf dem Festland, musste mit der Fähre jeden
Tag rüber nach New Bedford fahren. Er war immer erst spät am Abend wieder da. Seine
Mutter hatte die Aufsicht über die Kinder. Und sie führte ein strenges, aber faires Regime. Er
hatte viele gute Erinnerungen an die Zeit vor dem Verschwinden Sams. Und auch Gibbs erinnerte sich grundsätzlich gerne an seine Kindheit. Ein typischer Tag im Hause Gibbs hatte
für ihn ebenfalls so ausgesehen, dass er zur Schule ging, dort bis sechzehn Uhr war, nach
Hause kam und dann spielen gehen durfte, wenn nichts weiter auf dem Zettel stand. Dass sein
Vater häufig lange abwesend war, gehörte für den jungen Leroy zur Selbstverständlichkeit.
Gespannt, angespannt, warteten nach diesem Durchgang nun alle darauf, was als nächstes
kommen würde.
Die Projektleiterin hatte sich wieder eifrig Notizen gemacht. Jetzt sah sie die Gefangenen der Reihe nach an. Diese warteten inzwischen etwas müde und geschlaucht auf die
mit Sicherheit folgende Runde. Und sie brauchten nicht lange zu warten. „Nun haben wir uns
warm gearbeitet. Ich möchte von jedem von euch euer schlimmstes Kindheitserlebnis hören.“
In der Runde herrschte entsetztes Schweigen. Einige, wie Mulder, Sawyer, Sara oder Bones
hatten absolut nicht die Absicht, sich hier seelisch soweit zu entblößen, andere, wie Abby,
Gil, Heather oder Allison legten keinerlei Wert darauf, die Seelenqualen ihrer Mitgefangenen
live und in Farbe miterleben zu müssen. Was sollten sie tun? Geradezu panisch schaute
Sawyer Kate an, fuhr Sara zu Gil herum, suchte Mulder Danas Augen, als könnten die Partner
das Unvermeidliche doch noch abwenden. Gnadenlos kam jedoch die Anweisung der
Rundenleiterin: „Braucht ihr eine Extraeinladung?“ Booth war es, der anzufangen hatte. Er
hatte eine relativ glückliche Kindheit gehabt, abgesehen davon, dass sein Vater teilweise
schwer getrunken hatte, aber es gab eine Sache, an die er sich erinnerte. Eine schreckliche
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Sache, wenigstens in den Augen des damals siebenjährigen Kindes. „Es gab in unserer
direkten Nachbarschaft eine alte Frau, Mrs. Hockstetter. Sie lebte alleine und war in der
ganzen Gegend als Hexe verschrien. Nicht als Hexe im Sinne von Märchen. Sie war eine
zänkische, nörgelige, unzufriedene Person, die wohl schon mit fast jedem Nachbarn vor Gericht gewesen war. Eines Tages, ich hatte zu meinem Geburtstag ein wunderschönes, knallrotes Feuerwehrauto bekommen und spielte damit auf der Straße, kam Mrs. Hockstetter mit
ihrem großen Mercedes vom Shoppen nach Hause. Sie sah mich und vergaß einfach, ein
wenig auszuweichen, fuhr direkt über mein nagelneues Spielzeugauto.“
Booth schwieg kurz und versuchte, sich die folgenden Stunden möglichst genau ins
Gedächtnis zu rufen. Die anderen sahen ihn an, ahnend, dass das noch nicht das Schlimmste
gewesen war. „Ich stand da, sieben Jahre jung und sah die Trümmer meines Spielzeugwagens.
Und dann fing ich an zu weinen und schrie Mrs. Hockstetter an ’Du bist eine böse Hexe, ich
wünschte, du würdest in einem Backofen verbrennen.’ Ich rannte nach Hause. Meine Mutter
brauchte ewig, um mich zu beruhigen. Am Abend desselben Tages ... Es gab im Haus von
Mrs. Hockstetter einen Brand. Es war niemand dafür verantwortlich, das wurde später eindeutig geklärt. Sie hatte im Wohnzimmer eine Kerze brennen lassen und war im Schlafzimmer auf ihrem Bett eingeschlafen. Sie verbrannte. Okay, sie starb schon vorher, an einer
Rauchvergiftung, aber das habe ich damals natürlich nicht verstanden. Für mich war die böse
Hexe verbrannt. Ich habe monatelang gedacht, es wäre meine Schuld gewesen.“ Booth
schwieg und Tempe lächelte ihn zärtlich an. Jake hatte zugehört und fing nun selbst leise an
zu reden. „Unspektakulär und schnell erzählt, aber deswegen nicht weniger schlimm, okay.
Ich habe meine Grandpa über alles geliebt, das sagte ich ja schon. Er hatte einen schweren
Reitunfall, da war ich neun. Er galt tagelang als vermisst, keiner glaubte, dass er überhaupt
noch am Leben sei. Ich dachte damals, ich hätte meinen Großvater verloren. Meine Mum war
vollkommen aufgelöst, sie weinte ständig. Als ihr Dad dann doch noch lebend gefunden
wurde, konnte es keiner fassen, dass er noch am Leben war.“
Sawyer geriet langsam aber sicher in Panik. Er hatte Booth und Jake zugehört,
hoffend, dass beide reden würden, bis sie befreit wurden. Das war natürlich ein frommer
Wunsch. Er hatte während der grässlichen Befragung schon angedeutet, was passiert war,
aber irgendwie wusste er, dass er jetzt, hier, heute bedeutend gründlicher würde werden
müssen. Als Jake verstummte und alle ihn anschauten, schüttelte er entsetzt den Kopf. Die
Projektleiterin sah ihn kalt an. „Du willst sicher nicht, dass wir deiner kleinen Freundin zu
ihren vielen Traumata noch ein weiteres hinzufügen, Nummer 3, oder? Du fängst besser an zu
reden, denn ich gelte nicht als sonderlich geduldiger Mensch ...“ Sie ließ die Drohung in der
Luft schweben und Kate konnte nicht verhindern, dass sie erzitterte. Sawyer ließ ergeben den
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Kopf hängen. Dann fing es leise an zu erzählen. „Mein Vater war selbstständig, er leitete eine
sehr gut gehende Baufirma. Er war sehr viel unterwegs, daher hatte der Betrüger damals wohl
leichtes Spiel bei meiner Mutter. Ob sie aus Trotz oder aus Einsamkeit ein Verhältnis mit ihm
anfing, wurde nie geklärt. Sie war verliebt. Mein Dad bekam es nicht einmal mit, weil er
kaum zuhause war. Dann kam der Zeitpunkt, an dem meine Mum merkte, dass sie einem Betrüger aufgesessen war. Das ganze ersparte Geld war weg. Mein Dad ... Er rastete komplett
aus. Er wollte Mum aus dem Haus werfen. Sie schrien sich nur noch an. Ich weiß nicht, wie
oft ich in meinem Zimmer saß und das Schreien aus dem Wohnzimmer hörte. Irgendwann
verschwand Dad für einige Tage. Meine Mum hatte Angst. Sie brachte mir bei, mich reglos
unter dem Bett in meinem Kinderzimmer zu verbergen.“
Sawyer schwieg kurz und merkte gar nicht, dass ihm unaufhörlich stumme Tränen
über die Wange liefen. Er redete wie in Trance weiter. Er bekam auch nicht mit, dass Kate
ganz dich an ihn heran gerutscht war und einen Arm um ihn gelegt hatte. Er war ganz in dem
furchtbarsten Tag seines Lebens gefangen. „Dann kam der Abend, als Dad total betrunken vor
der Haustür stand wie aus dem Himmel gefallen. Er tobte. Versuchte, die Tür einzutreten.
Mum kam zu mir. Sie war in heller Panik. Sie zerrte mich aus meinem Bett, befahl mir
hektisch, mich unter dem Bett zu verstecken und mich nicht zu rühren, egal, was auch
passieren würde. Ich kroch also ganz unter das Bett, lag da, zitternd vor Angst. Meine Mutter
machte blitzschnell mein Bett, als wäre ich nie drinnen gewesen. Dann rannte sie auf den Flur
und ich hörte sie meinen Vater anschreien, dass sie die Polizei rufen würde. Sie schrie, ich
wäre nicht da, würde bei Grandpa und Grandma übernachten. Ich hörte ein Krachen und
Splittern, es war meinem Dad gelungen, die Haustür aufzubrechen. Ich hörte meine Mum
verzweifelt weinen, einen Schrei und einen lauten Knall. Dann herrschte plötzlich Ruhe, die
mir mehr Angst machte als der Lärm vorher. Ich lag wie gelähmt vor Angst unter dem Bett
und sah plötzlich die Füße meines Vaters. Er kam langsam in mein Zimmer, blieb stehen und
sah sich um. Ich wurde unter dem Bett fast verrückt. Dad setzte sich auf meine Bettkante. Ich
hörte ihn kurz lachen, dann einen weiteren, viel lauteren Knall. Seine Beine zuckten und er
sank zusammen ...“ Sawyer verstummte. Mit gesenktem Kopf saß er da. Seine Schultern
zuckten. Er vermied den Blick in die Gesichter der anderen.
Er wollte dort nicht Mitleid und Bedauern sehen. Das hatte er nie gewollt. Außer der
Familie gab es niemanden, der diese Geschichte so ausführlich kannte. Diese sechzehn
Menschen hier, und die, die jetzt über Lautsprecher zugehört hatten, waren die ersten Leute
außerhalb der Familie, die die Geschichte in allen Einzelheiten zu hören bekamen. Nach dem
späteren Tod seines Onkels, des einzigen Menschen, dem an dem Jungen James etwas gelegen hatte, war Sawyers ganzes Sinnen und Trachten davon geprägt gewesen, niemanden
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Die Anderen
by Frauke Feind
mehr an sich heran zu lassen. Er hatte keine Schulfreunde gehabt. Er hatte später kaum wirklich Freundschaften entwickelt. Er hatte immer nur andere Menschen ausgenutzt, betrogen,
geradezu panisch vermieden, zu irgendjemandem eine Beziehung aufzubauen. Beziehungen,
das war etwas, was nur unglaublich schmerzhaft immer wieder zu Ende ging. Das konnte er
nicht gebrauchen. Sein Leben war von einer unerträglichen Verlustangst geprägt und beherrscht. Die einzige Kontrolle die er über den Verlust hatte, war, dafür zu sorgen, dass
niemand ihm so nahe kommen konnte, dass dessen Verlust wehtun würde. Und das hatte er
im Laufe der Jahre perfektioniert. Bis er Kate getroffen hatte. Sein Plan, sie mit zurück nach
LA zu nehmen, dort eine schöne Zeit mit ihr zu verbringen, und sie dann sitzen zu lassen, war
eigentlich in Sydney bereits gescheitert. Spätestens im Flugzeug war ihm klar gewesen, dass
die junge Frau zu einem ernsthaften Problem werden würde. Er liebte sie schon da. Wären sie
nicht in diese Gefangenschaft geraten, hätte er es vielleicht sogar noch geschafft, die Beziehung zu beenden. Vielleicht. Obwohl Sawyer es bezweifelte. Sollten sie je hier heraus
kommen, wusste Sawyer nur eines: Er würde Kate nie wieder gehen lassen.
Traumata
Ich fürchte nicht die Schrecken der Natur, wenn ich des Herzens wilde Qualen
zähme.
Johann F. von Schiller
Ein paar Stühle weiter schwitzte House Blut und Wasser bei der Vorstellung, gleich an
der Reihe zu sein. Er hatte Sawyers Geschichte gehört und war erschüttert gewesen, wie wohl
alle in der Runde. Der schreckliche Verlust, den Sawyer erlitten hatte, war zumindest zur
Hälfte etwas, das Greg gerne erlitten hätte. Nicht nur einmal hatte er sich gewünscht, sein
Vater würde sterben. Oder wenigstens für immer verschwinden. Eine der schlimmsten Erinnerungen hatte er an ein eine Zeit, als sein Vater nach einer Verletzung im Dienst wochenlang zu Hause gewesen war. Er hatte Greg so sehr drangsaliert, dass dieser schließlich an
jenem schrecklichen Tag, vollkommen gestresst und verängstigt, mit einer fünf in Mathe nach
Hause gekommen war. Daraufhin hatte sein Vater ihn furchtbar beschimpft, dass er ein Versager wäre, ein Nichtsnutz, der es nie zu etwas bringen würde, wenn er nicht endlich lernte,
Disziplin an den Tag zu legen. Er hatte seine Frau los gejagt, zur Tankstelle, um dort zwanzig
Sack Eiswürfel zu besorgen. Damit hatte er die Badewanne gefüllt und Greg befohlen, in die
Wanne zu steigen. Schaudernd dachte House daran, wie er in dem Eis gelegen und vor
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Die Anderen
by Frauke Feind
Schmerzen geweint hatte. Sein Vater hatte ihn eine halbe Ewigkeit so liegen lassen. Dann
hatte er Greg in den Keller gesperrt und dort musste dieser die Nacht verbringen. Nachdem er
diese Geschichte erzählt hatte, schwieg er erschöpft. Er hatte so sehr gehofft, sein Vater
würde vor seinen Augen explodieren. Und Sawyer? Der wäre vermutlich selbst für diese
schreckliche Aufmerksamkeit dankbar gewesen. Der hätte sich sicher lieber schlechte Aufmerksamkeit von seinem Dad gewünscht als gar keine ...
Ziva hatte bedrückt zugehört, was ihre Leidensgenossen zu sagen hatten. Sie wusste
genau, was für sie das schlimmste Ereignis gewesen war. Als House verstummte, begann sie
stockend zu berichten. „Ich war sieben oder acht damals. Ich war mit meinen Eltern und
meiner Schwester in einem Vergnügungspark im Süden Tel Avivs. Wir standen gerade in der
Schlange, um Tickets für das Riesenrad zu kaufen, als dieser Kerl auftauchte. Später erfuhr
ich, dass er für die Hamas gearbeitet hat. Er zog plötzlich eine Waffe und fing an, auf meinen
Vater zu schießen. Ich habe in dem Moment gerade in seine Richtung gesehen und meinem
Vater eine Warnung zugerufen. Er ist in Deckung gegangen, aber er hat es nicht ganz geschafft, der Kugel auszuweichen. Mein Vater wurde in der Schulter getroffen. Trotzdem hat
er es noch geschafft, seine eigene Waffe zu ziehen, bevor der Kerl einen zweiten Schuss abgeben konnte. Mein Vater hat ihn erschossen, mit einem Kopfschuss. Es war das erste Mal,
dass ich jemanden habe sterben sehen. An diesem Tag habe ich verstanden, warum mein
Vater nirgendwo ohne seine Waffe hinging. Seit ich beim Mossad bin, habe ich das auch nie
getan. Ich schlafe sogar mit einer Waffe unter dem Kopfkissen.“ Einmal mehr wurde Gibbs
und Abby bewusst, dass das Leben der jungen Israelin in Tel Aviv blutig und brutal gewesen
sein musste. Vermutlich waren ihr die ersten Monate in Washington langweilig und uninteressant vorgekommen. Auch die anderen Gefangenen begriffen, warum Ziva von allen
hier die Gefangenschaft immer noch am besten verkraftete. Gegenüber dem, was die junge
Frau in ihrer Heimat und ihrem Dienst beim Mossad erlebt hatte, war die Gefangenschaft hier
vermutlich wie ein Wellnessurlaub.
Bones hatte schweigend und bedrückt den anderen zugehört, die vor ihr an der Reihe
waren, ihr Innerstes nach außen zu kehren. Sie konnte Sawyer so unendlich gut verstehen.
Wie sehr hatte sie unter dem Verlust ihrer Eltern gelitten. Und sie hatte nicht einmal gewusst,
ob diese noch lebten oder tot waren. Der Tag, an dem sie spurlos verschwanden, war auch
gleichzeitig der schlimmste Tag in ihrem ganzen Leben gewesen. „Ich war fünfzehn als meine
Eltern spurlos verschwanden. Ich kam von der Schule nachhause, mein Bruder erwartete mich
in der Küche und erklärte mir, dass Mum und Dad verschwunden waren. Ich glaubte ihm kein
Wort. Ich habe ihn angeschrien. Dann bin ich durchs ganze Haus, habe nach meinen Eltern
gesucht. Sie waren weg. Mums Kleider fehlten, Dads Anzüge, Schuhe, Socken, alles war
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Die Anderen
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weg. Ich dachte, sie würden ein paar Tage Urlaub machen. Aber sie kamen nicht wieder. Die
Wochen vergingen. Dann war Weihnachten. Mein Bruder ...“ Bones fuhr sich mit der Hand
über die Augen. „... mein Bruder hatte alles ... Er hat den Baum geschmückt, das Haus, hat
unsere Geschenke, die Mum und Dad da gelassen hatten, gefunden und unter dem Weihnachtsbaum aufgebaut. Er wollte mir ein schönes Fest bereiten, trotz allem. Ich habe ihn angeschrien. Ich wollte nur meine Eltern zurück. Daraufhin ist er gegangen. Er war neunzehn,
mit der Situation vollkommen überfordert. Dann war ich alleine ...“ Bones schluchzte verzweifelt auf und Booth zog sie an sich, hielt sie im Arm und strich sanft über ihren zuckenden
Rücken.
Die Nächste, die an der Reihe war, war Dana. Sie hatte lange überlegt, denn aus ihrer
Kindheit erinnerte sie eigentlich nichts wirklich Schlimmes. Doch dann war ihr eine Sache
eingefallen, die sie als Kind ziemlich aus der Bahn geworfen hatte. Heute erschien ihr das
lächerlich, angesichts dessen, was die Mitgefangenen zu berichten hatten, aber damals hatte
sie es als Katastrophe empfunden. Als ihre Eltern von San Diego nach Berkeley ziehen
mussten, war Dana das erste Mal verliebt gewesen. Der Junge, ein gewisser Martin Riggs,
hatte damals den Ruf gehabt, jedes Mädchen kriegen zu können. Dana schmunzelte unwillkürlich. Sie waren zwölf gewesen und Dana war unglaublich stolz, dass Martin sich ausgerechnet in sie verliebt hatte. Sie waren zusammen gegangen. Zwei Monate lang, für Kinder
eine Ewigkeit. Und dann kam eines Tages ihr Vater und erklärte Dana, dass sie nach Berkeley
ziehen müssten, da er dort einen sehr guten Job angeboten bekommen hatte. Dana glaubte,
sich verhört zu haben. Das konnte ihr Dad nicht ernst meinen. Eine Welt brach damals für den
Teenager zusammen und sie hatte ihre Eltern gehasst.
Kate hatte so aufmerksam den anderen zu gehört und war erneut von Sawyers
Geschichte dermaßen ergriffen, dass sie erstaunt aufschreckte, als sie nun schon an der Reihe
war. Sie überlegte einen Moment. Es war eigentlich immer schlimm gewesen, wenn Wayne
ihre Mutter geschlagen hatte. Aber ein Abend war ihr besonders im Gedächtnis geblieben.
„Wayne ist oft betrunken nach Hause gekommen und hat meine Mum geschlagen, aber da
war dieser eine Abend, an dem es besonders schlimm war. Er hatte richtig miese Laune als er
nachhause kam, wahrscheinlich hatte ihn irgendetwas auf der Arbeit geärgert. Und er war
betrunken, wie meistens. Meiner Mutter ging es an dem Tag nicht gut, sie hatte die Grippe
und lag krank im Bett. Aber Wayne hat trotzdem verlangt, dass sie aufstand und ihm etwas zu
essen machte. Sie hat es versucht, aber er hat die ganze Zeit auf ihr rumgehackt, weil sie zu
langsam war. Ich habe ihm gesagt, dass er Mum in Ruhe lassen soll und dass er doch sehen
müsste, dass es ihr schlecht ging. Ich habe ihm gesagt, dass ich etwas machen würde. Aber
ich war damals erst acht und konnte nicht viel mehr als Spaghetti kochen und das wusste er
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Die Anderen
by Frauke Feind
natürlich. Er ist völlig ausgerastet und hat mich angeschrien, dass ich ihm gefälligst nicht
sagen sollte, was er zu tun hatte. Dann hat er mich gepackt und in einem kleinen Abstellraum
im Keller eingesperrt. Er hat mich die ganze Nacht in dem Raum gelassen. Am Anfang habe
ich gehört, wie er meine Mum anschrie und schlug. Ich konnte sie weinen hören. Und dann
habe ich irgendwann überhaupt nichts mehr gehört. Erst am nächsten Morgen, als Wayne weg
war, ist meine Mutter gekommen und hat mich befreit. Vorher hatte Wayne sie nicht zu mir
gelassen.“
Ohne große Unterbrechung ging es weiter. Die junge Lehrerin war an der Reihe. Ihr
liefen Tränen über die Wangen, bevor sie überhaupt anfing zu Reden. Was sie hier hörte,
machte sie fassungslos vor Mitleid. Sie erzählte vom Tod ihrer Mutter, als sie acht Jahre alt
gewesen war. Sie erinnerte sich noch sehr lebhaft an den Tag, an dem ihr Vater sie aus dem
Unterricht geholt hatte, um ihr zu sagen, dass ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben
gekommen war. Ihr Vater war mühsam beherrscht gewesen und als Heather angefangen hatte
zu weinen, hatte er sie getadelt und ihr erzählt, dass es egoistisch sei, um einen verstorbenen
Menschen zu trauern. „Sie ist an einem besseren Ort.“, hatte er ihr gesagt, aber das hatte
Heather wenig getröstet. Sie war nur ein kleines Mädchen gewesen, das seine Mutter vermisste. Allison erzählte von ihrer Kindheitsfreundin Michelle. „Michelle war in meiner
Klasse. Wir waren unzertrennlich, seit wir fünf Jahre alt waren. Als wir neun waren, erkrankte
Michelle an Leukämie. Sie haben sie ein Jahr lang mit Chemotherapie behandelt, aber ohne
Erfolg. Michelle wurde immer schwächer und starb schließlich, ein paar Wochen vor ihrem
zehnten Geburtstag. An dem Tag habe ich beschlossen Ärztin zu werden. Ich fand es einfach
nicht fair, dass Michelle so jung schon hatte sterben müssen und ich wollte, wenn ich groß
war, alles tun, um Leben zu retten.“
Sara wusste, dass sie nach Allison an der Reihe war, sprach aber erst, als sie von der
Leiterin ihrer kleinen Fragerunde dazu aufgefordert wurde. „Mein schlimmstes und zugleich
irgendwie auch schönstes Erlebnis war der Tag, an dem meine Mutter meinen Vater umgebracht hat. Ich war damals zwölf. Mein Vater hatte mich fürchterlich geschlagen, weil ich
versehentlich etwas zerbrochen hatte. Meine Mutter hatte wieder versucht, dazwischen zu
gehen, aber er hat sie nur weggestoßen und weiter auf mich eingeschlagen. Danach weiß ich
nicht mehr viel. Es ging alles so schnell. Das nächste, an das ich mich erinnere ist, dass meine
Mutter ein blutiges Messer in der Hand hatte und mein Vater tot auf dem Boden lag. Überall
in der Küche war Blut. Sie muss immer und immer wieder auf ihn eingestochen haben. Ich
weiß nicht, wer die Polizei gerufen hat, aber irgendwann waren mehrere Streifenwagen da
und eine Frau vom Jugendamt hat mich aus dem Haus gebracht. Ich habe einfach nur ihre
Hand festgehalten und mich von ihr ins Krankenhaus und später dann ins Heim bringen
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Die Anderen
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lassen. An mehr erinnere ich mich nicht.“ Sara schwieg verbissen. Sie konnte nicht verhindern, dass Tränen über ihre Wangen kullerten und ärgerte sich darüber.
Locke erzählte inzwischen stockend von dem Tod seiner Pflegeschwester Jeannie.
„Sie ist beim Spielen von einem Klettergerüst gestürzt und hat sich das Genick gebrochen. Ich
hatte eigentlich auf sie aufpassen sollen. Jeannie war damals erst sechs Jahre alt, ich war
neun. Ich war dabei, als sie starb, aber ich konnte nichts mehr tun, es ging alles so schnell. Sie
fiel, landete so unglücklich, dass ihr Genick sofort brach. Jeannie war augenblicklich tot. Sie
hat beim Fallen gelacht, nicht einmal Angst gehabt, so sind wir vorher schon 100-mal von
diesem Gerüst gefallen. Wir, die anderen Kinder. Niemand hat damit gerechnet, dass so was
passieren könnte. Es war kein hohes Gerüst. Meine Pflegemutter hat den Tod ihrer Tochter
nie ganz verwunden. Sie hat sich zurückgezogen und sich nicht mehr um mich gekümmert.
Ich bin dann zur nächsten Pflegefamilie weiter gereicht worden.“ Locke brauchte alle Beherrschung, um nicht zu Schluchzen. Bis heute hatte er von dem Unfall Albträume und
machte sich Vorwürfe.
Jetzt war Gil an der Reihe. „Mein Vater starb als ich neun Jahre alt war. Er kam eines
Tages nachhause und sagte, dass er sich nicht ganz wohl fühle. Er wollte sich nur einen
Moment auf der Coach ausruhen, aber er ist nie mehr aufgewacht. Ich konnte das damals einfach nicht begreifen, mein Vater wirkte am Morgen noch völlig gesund und am Abend war er
tot. Möglicherweise hatte das etwas mit meiner Entscheidung zu tun, Forensiker zu werden.
Mein Job ist es, Puzzles zusammen zu setzen und Todesfälle zu erklären.“ Auch Abby war
schnell mit ihrem schlimmsten Erlebnis durch. „Ich war zwölf, und mit einer Freundin im
Metairie Playground unterwegs. Wir trafen uns häufig dort zum Spielen, weil die Gegend als
wirklich ziemlich sicher galt. Man konnte Kinder dort alleine spielen lassen, ohne zu befürchten, dass sie irgendeinem Irren in die Finger fielen. An dem Tag jedenfalls hatten wir
uns dort verabredet und wollten einigen älteren Jungs beim Fußball spielen zugucken. Auf
dem Weg zum Fußballfeld tauchte vor uns ein großer Dobermann auf.“ Abby schlucke. Die
Erinnerung überschwemmte sie und ein Zittern lief durch ihren Körper. „Der Hund stand vor
uns und als wir näher kamen, fing er plötzlich an zu Knurren. Seine Nackenhaare stellten sich
auf und er zeigte uns die Zähne. Und dann kam er auf uns zu. Meine Freundin Jill war
schneller, sie brachte sich hinter einem Baum in Sicherheit und schaffte es, einen Ast zu ergreifen und sich in die Höhe zu ziehen. Da oben fing sie dann an zu schreien, dass man es
vermutlich bis Baton Rouge hörte. Ich jedoch stand wie gelähmt auf dem Weg und plötzlich
hörte ich in einiger Entfernung einen Mann schreien. Da griff der Hund aber schon an. Er
erwischte mich am Arm und ... Gar nicht so schlimm, eigentlich. Bevor er noch ein zweites
Mal zu beißen konnte, war der Besitzer schon da und riss das Tier zurück. Ich wurde zu173
Die Anderen
by Frauke Feind
sammen mit Jill, die einen schweren Schock hatte, in ein Krankenhaus gebracht. Die Wunde
war wirklich gar nicht so schlimm. Aber der Hund hatte sich mit Tollwut infiziert und durch
den Biss mich nun auch. Die Wunde entzündete sich und ich musste sechs Wochen im
Krankenhaus liegen, wäre fast an der Tollwutinfektion gestorben. Seit damals habe ich
panische Angst vor Hunden.“ Abby schwieg nun auch erschöpft.
Und unaufhaltsam war Mulder nun an der Reihe, von seinem schlimmsten Erlebnis zu
erzählen. Natürlich wussten inzwischen alle in der Runde, oder vermuteten es zumindest, was
der FBI Agent erzählen würde. Dana legte ihm in einer Geste der Liebe die Hand auf das
Bein. Mulder holte noch einmal tief Luft, dann begann er mit fester Stimme zu berichten. „Ihr
werdet inzwischen wohl ahnen, was mein schlimmstes Erlebnis überhaupt, nicht nur aus der
Kindheit, ist. Ich weiß, dass viele von euch offen oder im Stillen grinsen werden, das ist in
Ordnung, ich bin es gewohnt. Ich war zwölf, meine Schwester Samantha acht, als meine
Eltern eines Abends noch einmal weg mussten, in den Ort, um eine Besorgung zu machen.
Auf Martha’s Wineyard war es damals und sicher auch heute noch völlig normal, Kinder
alleine zu lassen. Die Insel ist nicht gerade für ihre hohe Verbrechensrate bekannt ... Sam und
ich saßen vor dem Fernseher und stritten uns darüber, welches Programm wir sehen wollten.
Ich wollte Sport gucken, es liefen gerade die Play offs. Sam wollte einen Zeichentrickfilm
anschauen. Wir haben uns, wie Kinder eben sind, um die Fernbedienung geprügelt. Dann
hörte ich draußen im Garten ein Geräusch und plötzlich war das ganze Haus in ein überwältigend grelles Licht getaucht.“ Dana spürte den Mann neben sich heftig zittern bei den
Erinnerungen, die in ihm hoch kamen.
„Ich stand auf und trat an eines der großen Fenster, die in den Garten gingen. Ich
konnte nichts erkennen. Minutenlang versuchte ich, in der gleißenden Helligkeit irgendetwas
wahr zu nehmen. Der Fernseher lief weiter und ich war sicher, Sam würde davor sitzen und
ihren Film schauen. Plötzlich wurde es im Haus still und dunkel, der Strom war ausgefallen.
Ich drehte mich zu Sam herum und wollte sie auffordern, die Sicherung wieder rein zu
drehen. Und da merkte ich, dass sie nicht mehr vor dem Fernsehgerät saß. Sie schwebte ...
Irgendwie schwebte sie ... in dem Licht ... Gleichsam wie auf einem Strahl. Langsam.
Rückwärts auf die plötzlich weit offen stehende Tür zu. Sie schrie nach mir ...“ Mulder hörte
in seinem Kopf die Stimme seiner Schwester nach hallen. „Schrie immer wieder: Fox, hilf
mir, hilf mir doch, Fox. Ich stand wie gelähmt am Fenster, konnte mich nicht rühren. Und
dann war sie weg. Nach draußen gesogen ... Plötzlich konnte ich mich wieder bewegen und
rannte los. Wollte die Waffe meines Vaters holen ...“ Mulder verstummte, endgültig von
seinen schrecklichen Erinnerungen überwältigt. Längst liefen ihm Tränen über die Wangen
und er schluchzte. „Sie war weg. Die nächsten Tage habe ich nur sehr verschwommen in Er174
Die Anderen
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innerung. Keiner wollte mir glauben. Alle waren der Meinung, ich würde mir was zusammen
spinnen. Aber Sam tauchte nicht wieder auf. Sie war wie vom Erdboden verschluckt. Viele
Jahre später erst erfuhr ich, dass mein Vater, der gar nicht mein Erzeuger war, ihrer Entführung zugestimmt, sie sogar veranlasst hatte.“ Mulder konnte nicht weiter reden. Weinend
saß er da, und Dana zog ihn an sich. „Ist schon gut, Mulder, es ist vorbei.“, flüsterte sie ihm
sanft ins Ohr. Sie sah sich um. Niemand grinste. Alle saßen mehr oder weniger betroffen still
und Sawyer sagte schließlich todernst: „Das hört sich irre an, aber ... Das ist zu irre, um es
sich auszudenken. Ich fürchte, ich glaube dir. Gruselig.“
Gibbs konnte das selbstverständlich nicht toppen. Er erzählte schnell und ruhig von
einem schweren Autounfall, bei dem er als dreizehnjähriger Zeuge geworden war. Als er geendet hatte, herrschte Schweigen. Die Projektleiterin machte sich noch ein paar Notizen, dann
sah sie auf ihre Armbanduhr, stand auf und griff sich ihren Stapel Hefter. „Wir machen
Schluss für heute, aber morgen früh sehen wir uns wieder, und dann geht es um das Thema
Traumata im Erwachsenenalter. Wir werden an euren schlimmsten Ängsten arbeiten, sie ans
Licht zerren. Ich wünsche euch eine angenehme Nachtruhe.“ Sprachs und verschwand. Die
Gefangenen saßen wie betäubt da. Sie hatten gehofft, es hinter sich zu haben. Jetzt wurden sie
brutal eines Besseren belehrt. Geschockt erhoben sie sich und wurden nun in ihre Räume
zurück gebracht. Erschöpft, ausgelaugt, emotional leer gelutscht. Und morgen früh sollte es
gleich weiter gehen? Wie sollten sie das schaffen? Sawyer und Kate sanken unendlich erledigt
in ihr Bett und lagen still nebeneinander. Sawyer hatte nicht einmal Interesse, Kate in den
Arm zu nehmen. Dieser Abend hatte ihn bis ins tiefste Innere erschüttert. Nicht genug, dass er
sich seinem eigenen Horror hatte stellen müssen, die Leiden der Anderen mitzuerleben war
auch nicht sehr spaßig gewesen. Sawyer fielen vor Müdigkeit die Augen zu und er schlief ein.
Sein Schlaf war, wie der vieler seiner Leidensgenossen in dieser Nacht von Albträumen
durchsetzt. Immer wieder fuhr er schweißgebadet hoch und fühlte sich am Morgen wie gerädert. Er stand sachte auf, weil er mit bekommen hatte, dass Kate genau so unruhig geschlafen hatte. Leise ging er ins Bad und stieg unter die Dusche. Er holte tief Luft, dann
drehte er den Wasserstrahl auf kalt. Minutenlang hielt er das Gesicht in den kalten Wasserstrahl. Zitternd und zähneklappernd stand er da und spürte langsam Leben in seinen Körper
zurückkehren.
Eine gute Stunde später, nach einem leichten Frühstück, saßen die Gefangenen wieder
zusammen in dem Raum, alle mehr oder weniger müde und mit Schatten unter den Augen. Es
war allen ohne Ausnahme anzusehen, dass sie schlecht geschlafen hatten. Die Projektleiterin
hatte für alle Kaffee und Wasser bereitstellen lassen, sie hatten jetzt statt der einfachen Stühle
kleine Pulte vor sich stehen. „Ich nehme an, ihr wisst noch alle, um was es geht? Ich will euer
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Die Anderen
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schlimmstes Erlebnis seit eurer Kindheit hören.“ „Abgesehen von unserer Entführung durch
euch?“ House konnte nicht mehr verhindern, dass ihm dieser Satz entschlüpfte. Aber die
Projektleiterin ignorierte ihn zum Glück. Sie nahm selbst hinter einem Schreibtisch Platz, der
jetzt vor ihrem Stuhl stand und legte den Stapel Schnellhefter wieder vor sich. Sie griff sich
den Obersten und sah dann Booth herausfordernd an. Der hatte sich auch die halbe Nacht in
Albträumen neben Bones im Bett hin und her gewälzt. Sein Zahn brummte nach wie vor zum
Wände hoch gehen und Booth hatte panische Angst, dass er noch einmal, wohlmöglich zur
Extraktion, auf den verdammten Stuhl musste. Schon der Gedanke machte den jungen FBI
Mann ganz krank. Er war fast froh, hier etwas Ablenkung zu bekommen. Aber hier über das
wirklich schlimmste Ereignis in seinem Leben zu reden, war sehr schwer. Er brauchte
mehrere Anläufe. Dann berichtete er. „Es war im November 2001. Wir waren in der Nähe von
Leposavić im Einsatz. Plötzlich wurden wir von Aufständischen angegriffen. Unsere Gruppe
wehrte sich. Wir wollten uns in einer kleinen Schützenstellung in Sicherheit bringen. Mein ...
Kumpel verlor beim Rückzug seine Waffe. Er wollte sie bergen. Ich habe versucht, ihm
Deckung zu geben. Dabei ...“ Booth sah kurz zu Tempe hinüber. „Dabei fing ich mir einen
Brustschuss. Mein Kumpel schaffte es nicht.“ Booth schwieg verbissen.
Leichen im Keller
Die Trauer ist nicht die Folgeerscheinung unseres
Schmerzes, sondern bereits ein Heilmittel gegen diesen.
Unbekannt
Natürlich gab sich die Leiterin mit dieser recht knappen Schilderung in keiner Weise
zufrieden. Kalt sah sie Booth an. „Und? Das war es? Was war es für ein Gefühl? Was hast du
empfunden? Wir hören.“ Booth sah sie trotzig an. „Schmerzen. Ich hatte eine Kugel in der
Brust.“ Kalt klang die Stimme der Projektleiterin in die Stille. „Das ist kein Spiel, Nummer 1.
Du weißt nur zu genau, was wir hören wollen. Gerne unterstützen wir dein Erinnerungsvermögen etwas durch Schmerzensschreie von Nummer 6.“ Eine herrische Kopfbewegung ließ
zwei Wachen rechts und links neben Bones treten, die augenblicklich anfing, heftig zu zittern.
Booth keuchte entsetzt auf. „Nein. Ist ja gut. Ich ... Was wollt ihr denn hören, verdammt noch
mal? Dass ich Angst hatte, dort zu krepieren, mit der faustgroßen Wunde in der Brust? Das
ich Blut gehustet habe? Sind es diese Details, an denen euch etwas liegt? Oder lieber ... dass
mein bester Freund neben mir starb? Dass ich es trotz allem nicht geschafft hatte, ihn zu
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Die Anderen
by Frauke Feind
retten? Das ich umsonst ...“ Verzweifelt und schwer atmend verstummte Booth erneut. „Das
kommt der Sache schon näher.“, sagte der Major kalt. „Wir machen später weiter, 1.“ Sie
winkte die Wachposten von Bones weg und wendete sich dann mit einem Lächeln wie ein
Velociraptor vorm Zubeißen Jake zu. Dieser nickte ergeben. Ein Blick zu Heather hatte ihm
klar gemacht, dass er es ganz bestimmt nicht riskieren würde, dass sie ihr etwas taten.
Leise begann er zu reden. „Wir waren mit einer kleinen Gruppe Söldner in den
Bergen, bei Mahabad, etwa hundertfünfzig Meilen östlich von Mosul im Einsatz. Wir sollten
das Gebiet um den kleinen Ort Masu von Aufständischen befreien. Ich war mit drei anderen
in den Ort vor gedrungen. Wir waren bereits mehrfach unter Feuer genommen worden, zwei
von uns waren bereits leicht verletzt und wir waren alle hochgradig nervös.“ Jake musste erst
einmal tief durch atmen, bevor er weiter sprechen konnte. Seine Stimme zitterte. Er schaffte
es nicht mehr, seine Mitgefangenen anzuschauen, sondern senkte den Blick zu Boden. Dann
fuhr er sehr leise fort: „Wir näherten uns dem örtlichen Versammlungshaus, als aus einer
extrem dunklen Gasse plötzlich ... Ich konnte es nicht sehen. Es war zu dunkel. Sie hatte
etwas in der Hand, etwas längliches, dass ... Es sah dort, mitten in der Nacht, unter feindlichem Feuer ... es sah aus, wie ein Gewehr ...“ Jake biss sich heftig auf die Lippe, konnte
jedoch einen Schluchzer nicht mehr zurück halten. „Ich habe nur noch reagiert. Herum fahren
und abdrücken war eins. Erst als ... Sie schrie. Dass sie uns nichts tun wollte ... Sie wollte uns
... Oh, Gott. Sie wollte uns ein Versteck zeigen ... Nur ein Versteck. Sie hatte keine Waffe,
sondern einen Stock, mit dem sie im Dunkeln den Boden nach Schlangen abtastete. Sie starb,
ohne zu begreifen, warum ... Sie war erst elf Jahre alt.“ Jake konnte endgültig nicht mehr.
Verzweifelt schlug er die Hände vor das Gesicht und weinte. Heather liefen ebenfalls Tränen
über die Wangen. Sie rutschte ganz eng an Jake heran und nahm diesen fest in die Arme.
Die Leiterin der Runde kümmerte sich nicht weiter um Heather und Jake, ließ die
junge Frau gewähren. Ihr kalter Blick wendete sich Sawyer zu. Der schwieg. Er brachte es
einfach nicht fertig, anzufangen zu Reden. Kate wusste, was er getan hatte, auch die Anderen
wussten es bereits, aber das ganze hier in allen Einzelheiten zu schildern ... Sawyer schüttelte
es. „Was ist, wir warten.“, klang die kalte Stimme des Majors. „Ich kann nicht ...“, stammelte
Sawyer verzweifelt. „Aber wir können. Nummer 3 kann morden, aber nicht darüber reden.
Motivieren wir ihn doch ein wenig.“ Wieder bekamen die Wachen einen Wink und traten
blitzschnell zu Kate hinüber. Ehe die junge Frau wusste, wie ihr geschah, wurde sie vom
Stuhl hoch gezerrt und zur Tür gestoßen. Panisch brüllte Sawyer los. „NEIN! Bitte. Ich ...
rede ja, bitte ... Ich rede ja ...“ Er war zitternd aufgesprungen und einige Schritte hinter den
Wachen mit Kate her geeilt. Jetzt stand er da, ein Bild der Verzweiflung, flüsterte noch einmal: „Bitte.“ Die Wachen sahen den Major fragend an und nach kurzem Zögern nickte diese
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knapp. Kate erhielt einen Stoß und taumelte vorwärts, direkt in Sawyers Arme, der sie auffing
und fest umschlang. Arm in Arm gingen die Beiden zu ihren Stühlen zurück. Der Major erklärte kalt: „Das war das letzte Mal, dass wir Gnade vor Recht ergehen ließen. Bildet euch
nicht ein, dass ihr uns zum Narren halten könnt. Bei der nächsten Verweigerung gibt es eine
drastische Strafe. Und jetzt rede endlich, 3.“ Und 3 redete.
„Ich hab in all den Jahren, seit ich alt genug war, versucht, den Schweinehund zu
finden, der indirekt meine Eltern auf dem Gewissen hatte. Als Kind wollte ich ihm nur sagen,
was er mir angetan hatte. Irgendwann als Erwachsener ... Ich wollte ihn irgendwann einfach
nur noch umbringen. Eines Tages vor ... bevor eure nette Einladung erfolgte, kam ein ...“
Sawyer lachte freudlos. „... ein Freund, Jason Hibbs, zu mir. Er war ... er ist Geldeintreiber
und hat auch schon als Privatdetektiv gearbeitet. Er hat für mich immer ein wenig Ausschau
nach dem echten Sawyer gehalten. Er kam also zu mir, warf mir einen Aktenordner hin und
behauptete, den Bastard in Sydney aufgetrieben zu haben. Ich sah mir seine Beweise an und
es war alles Hieb und Stichfest. Also besorgte ich mir ein Ticket und flog nach Sydney. Ich
nahm drüben Kontakt zu einem Typen auf, der mir eine Waffe verschaffte. Der Betrüger
nannte sich Frank Duckett und hatte draußen im Southerland Shire, im Stadtteil Kurnell, eine
Shrimpsbude. Ich hatte meine Waffe, meinen Brief und meinen unbändigen Hass und suchte
den Schweinehund auf.“ Sawyer redete immer leiser. Es war jedem einzelnen seiner Worte
anzuhören, wie schwer es ihm fiel, es auszusprechen. „Der Typ, Duckett ... Er war nett. Er
freute sich, einen Landsmann zu sehen. Er wollte mir eine extra große Portion Shrimps
machen. Ich stand da, die Waffe in meiner Jacke in der Hand, ich wollte warten, bis wir
alleine waren und dann wollte ich ihn abknallen wie einen tollwütigen Hund. Soweit mein
Plan. Ich konnte es nicht. Ich konnte nicht ...“
Erneut schwieg Sawyer, um sich für den Rest der Geschichte zu wappnen. Dann
sprach er weiter, apathisch, resigniert. „Ich haute wieder ab. Ich setzte mich in meinen verdammten Leihwagen und schwirrte ab. Ich suchte mir ne Kneipe und fing an, mich zu besaufen. Ein anderer Gast, der mir schon einige Whiskeys voraus hatte, sprach mich an und ...
Er erzählte mir, dass er Ärger mit seinem Sohn hatte, schon seit Jahren, weil er zu feige gewesen war, eine Sache, die zwischen ihnen stand, zu bereinigen. Er riet mir, meine Sache zu
Ende zu bringen. Er meinte es gut ... Er hatte ja keine Ahnung, was meine Sache war. Nach
einer Flasche Scotch schließlich ... Ich bin wieder zu ihm gefahren. Er hatte Feierabend gemacht, es goss wie aus Kübel, er brachte gerade seinen Müll zum Container, da rief ich ihn
an. Er drehte sich zu mir herum und ich ... drückte ab. Der ... Schuss traf ihn in den Bauch. Er
wurde gegen den Müllcontainer geschleudert und starrte mich verständnislos an.“ Sawyer
liefen unaufhaltsam Tränen über die Wangen, so, wie an jenem Abend Regenwasser über sein
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Gesicht gelaufen sein musste. Mit zitternder Stimme fuhr er fort: „Ich ging zu ihm hinüber
und dann ... dann las ich ihm den Brief vor, wie ich es mir zwanzig Jahre lang vorgestellt
hatte. Lieber Mr. Sawyer. Sie wissen nicht, wer ich bin, aber ich weiß, wer Sie sind und was Sie getan
haben. Sie hatten Sex mit meiner Mutter und dann haben Sie all das Geld meines Vaters gestohlen. Er
wurde sehr wütend und hat meine Mutter umgebracht und dann sich selbst. Alles, was ich weiß, ist ihr
Name. Aber eines Tages werde ich Sie finden und ihnen diesen Brief geben, damit Sie sich immer
daran erinnern, was Sie mir angetan haben. Sie haben meine Eltern getötet, Mr. Sawyer. ...... Er sah
mich vollkommen verwirrt an und keuchte was davon, dass er Hibbs doch bezahlen wollte ...
dass ich Hibbs sagen sollte, er würde zahlen. Er begriff überhaupt nicht, wovon ich sprach. Er
war nichts weiter als irgendein armes Schwein, dass bei Hibbs Schulden gehabt hatte ... Ich
hatte einen unschuldigen Menschen umgebracht.“
Der Major ließ, wie schon vorher bei Jake und Heather, zu, dass Kate sich um Sawyer
kümmerte. Sie gab den Gefangenen eine ganz kurze Pause, denn wie schon bei Jake waren
nicht nur die direkt Betroffenen erschüttert. Die Ermittlungsbeamten vergaßen, dass sie unter
normalen Umständen Handschellen um Sawyers Handgelenke hätten schnappen lassen
müssen. Mulder nahm sich fest vor, sollten sie je hier raus kommen, alles daran zu setzen,
dem jungen Mann zu helfen, den echten Betrüger zu finden. Ähnliche Gedanken gingen Ziva,
Gibbs und Booth durch den Kopf. Locke saß still da und in seinem Kopf arbeitete es.
Irgendwas lag ihm auf der Zunge, er konnte es nur nicht greifen. Und er wurde auch abgelenkt, weil House anfing, zu reden.
Er wäre eigentlich lieber gestorben, als hier in aller Öffentlichkeit darüber zu reden,
was ihn so heftig belastete. Aber ein Blick in Allisons angstvoll auf ihn gerichtete Augen
machte dem Zyniker erneut klar, dass er nicht den Hauch einer Chance hatte. So sagte er
schließlich möglichst emotionslos: „Ich hatte ein Blutgerinnsel im Oberschenkel. Der behandelnde Arzt damals hat meine Diagnose und meine Behandlungsvorschläge gekonnt
ignoriert. Daraufhin kam es zu einem Muskelinfarkt. Partiell starb mein Oberschenkelmuskel
ab. Durch die permanent starken Schmerzen begann ich, Vicodin zu schlucken. Gegen die
Schmerzen, selbstverständlich. Ich habe ein Schmerzproblem ... Ich wurde abhängig.“ Er
schwieg verbissen. „Und du meinst, das war es schon? Erzähle, was genau geschah. Erzähle
uns allen hier, die wir neugierig lauschen, von Stacy und ihrer Entscheidung, dir dein lausiges
Leben zu retten. Komm schon, Mr. Zyniker.“ House warf der Frau einen mörderischen Blick
zu, den diese mit einem kalten Grinsen konterte. Dann fuhr er fort: „Vier Tage nachdem das
Blutgerinnsel sich gebildet hatte, bekam ich auf eigenen Wunsch einen Bypass gelegt. Durch
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die Unterbrechung des Blutflusses in dem betroffenen Muskel hatten sich Zytokine 12 und
Kalium in der verschlossenen Blutbahn angesammelt, die nun in meinen Organismus gespült
wurden. Zytokin kann zu Multiorganversagen, Kalium zu Herzstillstand führen. Ich war
bereit, diese Risiken einzugehen. Die Alternative, nämlich eine Amputation, erschien mir zu
einschneidend. Die postoperativen Schmerzen in dem Muskel waren so stark, dass selbst
Morphium nur noch bedingt half. Nach einem unbemerkten Anstieg des Kaliumspiegels in
meinem Blut kam es dann tatsächlich zu einer Breitkomplextachykardie. Mit anderen Worten,
ich hatte einen Herzstillstand, war über eine Minute klinisch Tod. Danach bat ich um die Versetzung in ein künstliches Koma. Tja, und da ich den Fehler gemacht hatte, meiner damaligen
Lebensgefährtin für einen Notfall die Handlungsfreiheit zuzugestehen, wachte ich nach drei
Tagen wieder auf, und die bösen Ärzte hatten mir doch einfach meinen Muskel geklaut.“
Er starrte verbissen auf sein rechtes Bein. „Ist das nicht wundervoll? Du schläfst als
ganzer Mensch ein und wachst als halber Mensch wieder auf. Weder die Schmerzen hatten
übermäßig nachgelassen, noch hatte ich irgendeinen anderen, sich mir darlegenden Vorteil
von der OP, außer der unumstößlichen Tatsache, dass ich nun humpelte, einen Stock brauchte
und Hydrocodon13 schluckte wie andere Menschen Dauerlutscher. Sie wollen von Stacy
hören? Oh, ich kann Ihnen versichern, sie war zutiefst betroffen, so über mich und mein
Leben entschieden zu haben. Es war nur nicht mehr rückgängig zu machen. Ich war von dem
Tage an ein verdammter Krüppel. Nichts von dem, was ich vorher geliebt hatte, war mir nach
diesem Eingriff noch möglich. Ich hatte es geliebt, zu Joggen. Ich war für mein Leben gerne
Golfen gegangen. Ich spielte Tennis, Squash, habe Fußball, Baseball und Basketball gespielt.
Konnte ich jetzt alles vergessen. Und Stacy? - Ach, es tut mir leid, Schatz, aber sieh es doch
mal so, du lebst. - Ja, ich lebte. Von dem Tag, als ich aufwachte, allerdings etwas verändert.
Als Krüppel und ohne Stacy.“ Aus jedem seiner Worte war die Enttäuschung, die Verzweiflung und Verbitterung zu hören. Allison hatte alles gewusst, aber es so aus seinem Mund
zu hören, ließ sie leise Aufschluchzen. Mulder dachte für sich - Er hat drei Menschen in
seinem Leben gehabt, die ihm etwas bedeuteten und alle drei haben ihn mehr oder weniger
verraten. Sein Vater, seine Mutter und die Frau die er liebte. - Der Major warf House einen
abschätzenden Blick zu. Sie war sicher, dass dieser gerade unfreiwillig mehr von seinen
12
Zytokin oder Cytokin ist ein zuckerhaltiges Protein, das regulierende Funktionen für das Wachstum und die Differenzierung
von Körperzellen hat.
13
Hydrocodon ist ein Analgetikum (Schmerzmittel), das dem Codein strukturverwandt ist und wie dieses zu den Derivaten des
Morphin gehört (Opioid). In den USA ist das Mittel hauptsächlich als Kombinationspräparat mit Paracetamol unter den Markennamen Vicodin bekannt und hat in den letzten Jahren einen ständig wachsenden Umsatz zu verzeichnen.
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tiefsten Empfindungen preisgegeben hatte, als noch irgendjemand aus ihm heraus kitzeln
konnte. So nickte sie zufrieden, sagte: „Na, seht ihr, es geht doch.“, und wandte sich an Ziva.
Diese hatte bei ihren Vorrednern aufmerksam zugehört. Das Ganze war besonders bei
Sawyer unglaublich emotional geworden und Ziva war immer noch aufgewühlt. Sie konnte
nicht fassen, was für eine schlimme Kindheit und Jugend der Südstaatler gehabt hatte. Wenn
sie auch in einem von Kriegen und Mord und Totschlag geschüttelten Land aufgewachsen
war und schon als Kind mit Gewalt, Blut und Tod konfrontiert worden war, würde Ziva ihre
Kindheit und Jugend trotzdem immer als schön bezeichnen. Ihre Eltern hatten in all dem
Grauen, das zu Zeiten um sie herum vorging, alles daran gesetzt, ihren Kindern Geborgenheit
und Liebe zu geben. Sie erwarteten von ihren drei Kindern auch Leistungen, wussten aber die
Heranwachsenden zu Motivieren. Dass sie als einzige von den drei Geschwistern noch lebte,
erschien Ziva manchmal unglaublich. Sie wusste, dass von ihr erwartet wurde, von ihrem
traumatischsten Erlebnis zu sprechen und sie wusste genau, was es war, was sie am stärksten
belastete. Sie schaute in die Runde und sagte dann mit ruhiger Stimme: „Ich bin als Israeli
früh mit Grauen konfrontiert worden. Ich habe Bombenanschläge erlebt, habe Menschen
sterben sehen, die mir nahe standen. Habe erlebt, wie meine Schwester bei einem solchen
Anschlag starb, habe Attentate auf meinen Vater erlebt. Später habe ich Antiterroreinsätze mit
gemacht. Mein ganzes Leben wurde von Gewalt und Tod bestimmt. Ich bin deswegen nicht
traumatisierter als andere Menschen, da ich ... Nun, der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und
in diesem Fall trifft das zu. Man gewöhnt sich daran.“
Ziva versank kurz in Überlegungen. Dann fuhr sie fort: „Als ich in Washington beim
NCIS vom Mossad den Auftrag hatte, Gibbs daran zu hindern, meinen Halbbruder Ari umzubringen, war ich fest davon überzeugt, als Aris Führungsoffizierin, dass die Vorwürfe, die
Gibbs gegen ihn erhob, unzutreffend waren. Ich hätte ... ja, ich hätte mein Leben darauf verwettet, dass es nicht Ari gewesen war, der Caitlin Todd erschossen hatte. Ich hätte das Leben
meiner Eltern darauf verwettet, dass es nicht Ari war, der jetzt Abby und Tim und Tony nach
dem Leben trachtete. Ich war meiner Sache so verdammt sicher. Und dann musste ich feststellen, dass ich Ari schon lange nicht mehr kannte, dass ich nicht wusste, wer er wirklich
war. Ich musste mir eingestehen, dass ich bei ihm vollkommen versagt hatte. Ich konnte nur
noch verhindern, dass er weiter mordete. Das war ich mir selbst, allen, die Ari über Jahre verarscht hatte und Gibbs und seinem Team schuldig. Ich habe ihm ... direkt in den Kopf geschossen. Er hat nichts mehr gespürt. Ich musste es tun. Ja, ich habe gelitten wie nie zuvor
und nie danach. Aber wenn ich vor die gleiche Entscheidung noch einmal gestellt wäre, ich
würde wieder genau so handeln.“ Sie musste tief durch atmen. Dann erklärte sie: „Und wenn
ihr auch damit droht, Gibbs und Abby in Streifen zu schneiden, mehr werdet ihr von mir nicht
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zu sehen und zu hören kriegen. Ich habe meinen Bruder getötet. Ich würde es wieder machen.
Ich bereue es nicht. Es hat mich fast zerrissen, als ich abdrücken musste, trotzdem habe ich
nicht gezögert. Und wenn ich es noch hundert Mal machen müsste, dann würde ich es hundert
Mal machen, ich würde so wenig Zögern wie beim ersten Mal.“
Der Major nickte. Die üblichen Notizen, dann wandte sie sich direkt an Bones, ohne
Ziva noch zu beachten, scheinbar war ihr klar, dass mehr von der jungen Frau nicht zu erwarten war. „Bereit?“ Tempe schüttelte den Kopf, sagte aber gleichzeitig: „Ja.“ Die Leiterin
zog ironisch eine Augenbraue in die Höhe. „Na, wenn das keine klare Aussage ist. Solange
die Worte stimmen, habe ich nichts gegen die Pantomime.“ Bones wurde tatsächlich rot.
Dann griff sie nach Booth’ Hand und fing an zu Reden. „Ich war fünfzehn, als meine Eltern
verschwanden. Und bis vor etwas mehr als anderthalb Jahren war ich überzeugt, dass meine
Eltern tot sein mussten, sie hatten sich all die vielen Jahre ja nicht ... Ich war überzeugt, wenn
sie noch gelebt hätten, irgendwo, dann ... dann hätten sie sich gemeldet. Im November 2005
bekam ich einen unidentifizierten Schädel auf meinen Arbeitstisch. Es stellte sich heraus, dass
es der Schädel meiner Mutter war. Sie war erst zwei Jahre nach ihrem Verschwinden gestorben.“ Brennan verstummte und schaute zu Boden. Sie erwartete, dass Dana nun anfangen
würde zu Reden. Doch sie hatte nicht mit der Hartnäckigkeit des Majors gerechnet. Wie
schon bei Booth fragte sie kalt: „Und das ist alles? Damit willst du uns gesagt haben, dass das
dein traumatischstes Erlebnis als Erwachsene war? Du willst sicher nicht wirklich, dass wir
dich mit Hilfe von Nummer 1 zu weiteren Ergüssen motivieren, oder?“
Bones sah die Frau an. „Was soll ich denn noch dazu sagen?“, fragte sie tonlos. „Ich
war damals vollkommen durcheinander.“ „Erzähle uns mehr, die Umstände, deine Gefühle,
und bete, dass ich nicht ungeduldig werde.“ Bones seufzte und nickte dann verhalten. „Die
Umstände. Gut. Meine Eltern verschwanden, als ich fünfzehn war, das sagte ich ja bereits.
Mein Bruder war neunzehn. Er wusste auch nichts, war genau so schockiert wie ich. Drei
Tage nach ihrem Verschwinden wurde der Wagen meiner Eltern gefunden. Dreitausend
Kilometer entfernt von Chicago. Wo meine Eltern zwischen ihrem verschwinden 91 und dem
Tod meiner Mutter 93 gewesen waren, konnte damals nicht geklärt werden. Sicher ist nur,
dass ihr verschwinden in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Mordanschlag auf die
Beiden durch den Auftragskiller Vince McWicker steht. Dieser hatte von einer Gruppe Bankräuber und Rassisten, denen meine Eltern sich unerklärlicher Weise angeschlossen hatten, den
Auftrag, sie als unliebsame Zeugen aus dem Weg zu räumen. Wie wir ermitteln konnten, verletzte er meine ... Er verletzte meine Mutter mit einem Bolzenschussgerät, aber meinem Vater
gelang es, sie im letzten Moment aus dem Gefahrenbereich zu ziehen, sodass es nur zu einer
scheinbar oberflächlichen Verletzung kam.“ Bones musste tief durch atmen und trank einen
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Schluck Wasser. „Leider war die Verletzung nicht so oberflächlich wie es den Anschein hatte,
denn meine Mutter starb fast zwei Jahre später doch noch daran. Sie wusste vermutlich nicht,
dass die Verletzung zu Spätschäden in ihrem Schädel geführt hatte. Sie starb im September 93
an einem subduralen Hämatom. Mein Vater begrub sie in Salisbury und ...“
Wieder musste die junge Frau eine Pause machen. Dann stieß sie hervor: „Ich erfuhr
damals, dass meine Eltern gesuchte Bankräuber waren. Ich erfuhr, dass sie nach einem
schweren Überfall im Jahre 1978 die Namensänderung von Keenan auf Brennan vor nahmen
und untertauchten. Ich erfuhr, dass mein Bruder dies wusste und mir nie gesagt hatte.“ Sie
schluchzte heftig. „Ich erfuhr auch, dass Vince McWicker nicht nur meine Eltern, sondern
auch meinen Bruder und mich hatte töten sollen, das war der Grund, warum meine Eltern nie
zu uns zurückgekommen sind. Sie wollten uns nicht der Gefahr aussetzen, dass man uns fand.
McWicker war inzwischen im Zeugenschutzprogramm, aber er wurde dennoch verhaftet und
sitzt heute für den Mord an meiner Mutter lebenslang im Gefängnis. All das innerhalb von
wenigen Tagen zu erfahren ... Es war die Hölle. Es war ... Ohne Booth und meine Kollegen
im Jeffersonian hätte ich das alles damals nicht geschafft. Die Ironie war, dass meine Mutter
und ich ... Wir kamen beide im September 1998 im Jeffersonian an. Familienzusammenführung der ganz besonderen Art.“ Bones schluchzte hemmungslos auf und Booth nahm sie in
die Arme. Der Major hatte die ganze Zeit in Tempes Akte geschaut und hier und da ein paar
Einträge gemacht. Nun nickte sie zufrieden und erklärte: „Na, geht doch. Dann kommen wir
mal zu dir, 7.“ Wie eine Schlange fuhr ihr Blick zu Dana hinüber.
Dana zuckte zusammen. Natürlich war ihr klar gewesen, dass sie nach Bones an der
Reihe war. Jedoch hatte sie so intensiv zugehört, was die junge Anthropologin zu erzählen
hatte, dass ihr gar nicht bewusst geworden war, dass diese ihre bedrückende Geschichte beendet hatte. Dana wusste sehr wohl, was ihr furchtbarstes Erlebnis in ihrem Erwachsenenleben gewesen war. Sie hatte den Vater, relativ schnell danach ihre Schwester verloren, ihre
eigene Entführung, dann die beinahe tödliche Krebserkrankung, all das war entsetzlich gewesen. Aber die Agentin, die bei allen Kollegen als sehr beherrscht, spröde, kühl und
emotionslos galt, hatte einen wunden Punkt, einen extrem wunden Punkt. Sie sah Mulder an
und dann zu Boden. Es fiel ihr extrem schwer, hier offen über ihre Gefühle zu reden, da sie es
zeitlebens vermieden hatte, Gefühle nach außen zu tragen. Nun konnte sie es nicht vermeiden.
So begann sie leise: „Jeder von euch weiß mittlerweile, was Mulder und ich für einander
empfinden. Dank unserer freundlichen Gastgeber ...“, an dieser Stelle hielt sie kurz die Luft
an, es folgte aber keine Konsequenz, also fuhr Dana fort: „... war es ja schnell nicht zu übersehen, wer zu wem welches Verhältnis hat. Mulder und ich, wir ... sind schon so lange rein
platonisch ein Paar gewesen, dass ich den Übergang zu einem wirklichen Paar nicht ... Ich
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weiß nicht, wann es passiert ist. Ich konnte es nicht steuern. Ich wollte nicht, dass es soweit
kommt, aber ... Als er Ende 99 entführt wurde, haben wir gesucht, wir haben so verzweifelt
gesucht. Unser Assistent Director, Walter Skinner, war Augenzeuge der Entführung. Er hat
mir so sehr geholfen. Schließlich, zirka acht Wochen nach seinem Verschwinden ...“ Dana
griff nach Mulders Hand und klammerte sich regelrecht an ihm fest. „... wurde er gefunden. In
Montana. Er war ... Alles deutete darauf hin, dass er ... tot war. Die ... die Beerdigung war ...
Ich hatte das Gefühl, es würde mich zerreißen ...“ Dana verstummte endgültig.
Der Major und alle anderen Zuhörer sahen Dana und Mulder an, mit Unverständnis in
den Augen. Schließlich, nachdem Dana keine Anstalten machte, fortzufahren, hakte der Major
nach. „Willst du deine Mitgefangenen dumm sterben lassen? Willst du sie nicht aufklären,
wie es angehen kann, dass er beerdigt wurde und hier heute dennoch bei uns sitzt? Das würde
sicher deine Freunde hier besonders interessieren.“ Dana zitterte. „Wir wissen es ja selbst
nicht mit Sicherheit. Ungefähr drei Monate nach der Beerdigung wurde ein junger Mann,
Billy Miles, der wie Mulder in Oregon verschwand, mit Anzeichen deutlicher Verwesung im
Meer treibend aufgefunden. Sein Körper sollte schon zur Beisetzung frei gegeben werden, als
durch puren Zufall festgestellt wurde, dass er noch Vitalzeichen aufwies. Kein Arzt konnte
sich das Erklären. Und Skinner ... Als er davon hörte, und davon, dass dieser Billy Miles sich
erstaunlich schnell erholte und regenerierte, ließ er heimlich Mulders Körper Exhumieren.
Und tatsächlich wies auch er noch schwache Lebenszeichen auf.“ Dana liefen unaufhörlich
Tränen über die Wangen. „Zu dem Zeitpunkt wusste ich schon längst, dass ich ein Kind erwartete. Man wollte mich nicht zu Mulder lassen, weil er ... er sah ... Aber nichts und
niemand hätte mich davon abgehalten, zu ihm zu gehen. Er lebte. Er lebte wirklich. Ich ...
Keiner konnte es verstehen, erklären, auch nur ansatzweise begreifen. Er erholte sich im
Krankenhaus in Rekordzeit und war wieder vollkommen der Alte.“ Mulder saß stumm neben
ihr. Er kannte die Geschichte selbstverständlich, auch, wenn er sich an vieles nicht erinnerte.
Er wusste nur definitiv, dass er mit seinem Vorgesetzten zusammen in Oregon Nachforschungen angestellt hatte, er erinnerte sich vage an ein grelles Licht ... Dann war alles, was
danach geschehen war, in dunklen Nebel gehüllt. Ab und zu brachen Fragmente der Zeit
während seiner Entführung durch. Das waren die Momente, die ihn mit absoluter Panik auf
Fesselungen, Untersuchungen, Spritzen, ect. reagieren ließen. Er war sich sicher, sich an
Schmerzen, unsägliche Schmerzen erinnern zu können. An die Zeit, da er beerdigt gewesen
war und daran, wie er nach der Exhumierung im Krankenhaus gelegen hatte, konnte er sich in
keiner Weise erinnern. Seine Erinnerung setzte erst wieder ein, als er in einem Krankenhaus
aufwachte und Dana neben sich sitzen sah.
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Verwirrt und ohne Verstehen starrten alle Mulder an. Der Major selbst taxierte den
FBI Agent wie eine Schlange das Kaninchen. Mulder fühlte sich sehr unbehaglich unter den
Blicken und wünschte, man würde sich Kate zuwenden. Für ihn war die Entführung ein derart
traumatisches Erlebnis gewesen, dass es ihm auch in keiner Weise half, sich nicht mehr an
Details erinnern zu können. In sich tief verborgen trug er das Wissen, bei den Aliens durch
die Hölle gegangen zu sein. Endlich klang die Stimme des Majors auf. „So, Herrschaften,
wenden wir doch unsere Aufmerksamkeit von dem überaus interessanten Objekt der derzeitigen Neugierde unserer kleinen Vatermörderin zu. Nummer 8, dein schlimmstes Erlebnis,
wenn ich bitten dürfte.“ Kate war unter den gehässigen Worten wie unter Schlägen zusammen
gezuckt. Sawyer legte ihr in einer Geste der Vertrautheit eine Hand auf den Arm und gab ihr
damit das Gefühl, nicht alleine zu sein. Mit leiser Stimme fing Kate an zu reden. „Ein Freund,
der in der Klinik von Des Moines arbeitete, hatte mich informiert, dass meine Mutter im
Sterben lag. Dieser Freund, Tom, ... wir kannten uns aus Spencer, er war mein bester Freund
noch aus Kindertagen ... Er schmuggelte mich in die Klinik ein, meine Mutter wurde von der
Polizei überwacht, weil man annahm, dass ich versuchen würde, sie noch einmal zu sehen.
Sie ahnten, dass ich es wenigstens versuchen würde. Er ... Tom organisierte es so, dass meine
Mutter zu einer Untersuchung gebracht werden sollte. Stattdessen wartete ich in dem Untersuchungsraum.“ Kate musste erst einmal tief durch atmen.
„Sie erkannte mich und bevor ich noch groß etwas sagen konnte, fing sie an zu
schreien. Der Wachposten auf dem Gang wurde aufmerksam und mir blieb nichts anderes
übrig als zu Fliehen. Tom folgte mir. Er wollte mir helfen, mich begleiten. Ich habe alles,
alles versucht, ihm das auszureden. Er gab mir seinen Autoschlüssel unter der Bedingung,
dass ich ihn mitnehmen sollte. Er stieg einfach mit ein. Ich fuhr los. Der Polizist hatte uns
inzwischen bis ins Parkhaus verfolgt. Er verständigte über Funk Kollegen, die die Ausfahrt
blockierten. Ich habe Tom angefleht, auszusteigen, er wollte es nicht. Und dann habe ich
Vollgas gegeben.“ Kate wurde von Schluchzen geschüttelt. „Ich ... ich fuhr weiter, wir
wurden von den wartenden Polizisten beschossen ... Es gelang mir, durchzubrechen. Und
dann ... Oh, Gott ... dann sah ich, dass Tom getroffen worden war. Von einer verirrten Kugel
... Er war tot. Er war tot. Ich hatte meinen besten Freund umgebracht ...“ Ungerührt sah der
Major die weinenden junge Frau an. „Dir gelang es, zu fliehen. Wie so oft. Würdest du
Nummer 3 genau so tot zurück lassen, einfach liegen lassen?“ Kate sah den Major entsetzt an.
„Niemals. Ich würde sterben für ihn!“ Sie schrie diese Worte geradezu heraus. Der Major
grinste. „Oh, wenn das dein Wunsch ist, das könnte ich arrangieren.“ Kate vergaß zu
schluchzen. Fassungslos starrte sie den Major an. Und nicht nur sie. Und ausgerechnet Sara
brachte auf den Punkt, was alle dachten. „Ihr seid Monster!“
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Der Major lachte. „Das ist interessant. Ihr haltet uns für Monster? Ihr alle hier, bis auf
wenige Ausnahmen, habt deutlich mehr getötet also wir.“ Sie sah Booth an und schoss die
nächsten Worte regelrecht auf diesen ab. „Wie viele Tötungen, 1?“ Überrumpelt stotterte
Booth: „Neunundvierzig.“ Der Blick wanderte zu Jake. Dieser starrte erschrocken den Major
an. „Keine Ahnung, über ... dreißig.“ „Nummer 3 ist nur einmal zum Mörder geworden. 5?“
Ziva biss sich auf die Lippe. Dann sagte sie ruhig: „Sechsundsechzig.“ „Und wie viele
Menschen hast du brutal gefoltert?“ Ziva schwieg. „Komm schon, sag es uns.“ Mühsam beherrscht stieß Ziva schließlich: „Über vierzig.“ hervor. Der Major grinste, schaute Bones an.
„Bei dir war es einer, richtig?“ Bones schüttelte betroffen den Kopf. „Nein, drei.“ Nun sah
Garreau zu Dana herüber. „Beglücke uns doch auch mal mit einer Zahl, Nummer 7. Wie viele
Menschenleben hast du in Ausübung deiner Pflicht ausgelöscht?“ Dana schluckte. Sie wusste
jeden einzelnen genau, weil jeder einzelne Tote sie bedrückte. „Achtzehn.“, flüsterte sie leise.
„Du hast deinen eigenen Vater getötet, sowie zwei unserer Söldner, Nummer 8, davon wirst
du uns gleich auch noch berichten, denke schon mal drüber nach. Und du, 11? Dein Dienst
macht den Schusswaffengebrauch nicht zwangsläufig erforderlich. Wie viele waren es bei
dir?“ Sara erschrak. Sie hatte sehr selten von ihrer Schusswaffe Gebrauch machen müssen.
„Drei, ich habe drei Mal ...“ Gil seufzte. Er hatte sechs Menschen erschossen im Laufe seiner
Dienstzeit. „Sechs.“ Major Garreau wandte sich Mulder zu. Verbissen starrte der zurück.
„Einundzwanzig, es waren einundzwanzig.“ Garreau lachte. „Und nun kommen wir zu
meinem Lieblingskiller. Komm schon, Leroy Jethro Gibbs, kläre deine Mitgefangenen auf.“
Gibbs beherrschte sich am besten. Ruhig erklärte er: „Im Armeedienst für mein Land habe ich
siebenundachtzig generische Soldaten getötete. Und in Ausübung meiner Pflicht als NCIS
Ermittler waren es zweiunddreißig Verbrecher, die ich erschießen musste. Nicht zu vergessen
Pedro Hernandez, den ich jederzeit erneut töten würde. Und natürlich euren Kollegen.“ Der
Major schaute in die Runde. „Dreihundertvierundzwanzig Tötungsdelikte sitzen in diesem
Raum zusammen.“ Sie sah den Wachposten an der Tür an. „Wie viele Menschen hast du getötete?“ Die Wache sagte ruhig: „Keinen, Major.“ Garreau nickte. „Ich selbst? Nun, auch
keinen. Ich würde sagen, es steht dreihundertvierundzwanzig zu null. Wer sind hier also die
Monster?“
Betroffenes Schweigen herrschte in der Runde. Das unterbrach der Major schließlich,
sie sah Kate an und forderte: „Das passt zwar nicht in die Fragerunde, aber ich will, dass du
deinen Freunden hier erzählst, wie du deinen Vater gegrillt hast, komm schon.“ Kate starrte
die Frau an, als wäre diese ein Alien. „Ich ... Ich kann das nicht.“, stieß sie entsetzt hervor.
„Komm schon, Nummer 8, du hattest keine Skrupel, als du ihn verbrannt hast, jetzt brauchst
du auch keine Skrupel haben, es allen zu erzählen.“ Kate schluchzte. „Nein ...“ Dem Major
riss endgültig der Geduldsfaden. Kalt gab sie in das Head Set den Befehl: „Los.“, und in der
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nächsten Sekunde rutschte Sawyer brüllend vor Schmerzen vom Stuhl und krallte die Finger
um das Halsband. Schreiend wand er sich am Boden. Kate schrie ebenfalls, vollkommen
hysterisch: „Ja, ja ich rede ja, bitte, ich rede ja schon!“ Sie war neben Sawyer auf den Boden
gesunken und hielt ihn verzweifelt im Arm. Alle anderen wagten nicht, auch nur zu zucken.
Fassungslos sahen sie zu, wie Sawyer sich in Schmerzen wand und Kate schrie noch einmal
„Bitte!“ „Es reicht.“ Garreau gab diese Worte ruhig ins Head Set und augenblicklich lag
Sawyer keuchend still. Er brauchte mehrere Minuten, um sich auch nur halbwegs zu fangen.
Die Zeit bekam Kate, durfte ihm schließlich sogar zurück auf den Stuhl helfen. Dann aber
forderte der Major kalt: „Los jetzt, lass uns nicht noch länger warten.“ Und Kate begann ...
„Er kam wieder einmal volltrunken nach Hause. Mum arbeitete noch. Sie hatte einen
Job in einem kleinen Diner in der Stadt. Wayne konnte kaum alleine gehen. Ich hasste ihn so
sehr ... Ich ... ich half ihm ins Haus, wie schon unzählige Male zuvor. Er nutzte, wie jedes
Mal, die Gelegenheit, mir an Stellen zu greifen, die ... Ich hatte es so satt. Er sollte mich nie
wieder so anfassen können. Und er sollte Mum nie wieder blutig schlagen! Ich schaffte ihn
ins Schlafzimmer.“ Kate schluchzte heftig, musste einige Male tief durchatmen. Sawyer ging
es langsam etwas besser. Er hatte die Kraft, Kate in den Arm zu nehmen und ihr leise zu
sagen: „Ist in Ordnung, Baby ...“ Kate fuhr fort. „Ich half ihm ins Bett, zog ihm die Schuhe
aus. Dann ... Ich ging in die Küche. Dort drehte ich alle vier Herdplatten voll auf. Ich kehrte
noch einmal ins Schlafzimmer zurück, stellte dort mehrere Kerzen auf. Er schlief schon ... Ich
nahm meine Papiere, ein paar Klamotten und wartete, bis es ... Dann verließ ich das Haus, ich
ging und schob mein Motorrad ein Stück vom Haus weg. Ich setzte mich auf sie und wartete.
Und dann explodierte das Haus und blies den Dreckskerl direkt in die Hölle ...“ Kate stieß die
letzten Worte hasserfüllt hervor. Die Anderen hörten schweigend und betroffen zu. Der Major
sah Kate kalt an. „Würdest du es wieder machen?“ Kate sah die Frau an, das Gesicht tränenüberströmt. „Ja ... Ja, ich würde es wieder tun, ich würde ... Ja.“ Zufrieden nickte der Major.
„Du hättest Nummer 3 die Schmerzen ersparen können.“ Sie sah sich unter den Gefangenen
um und fixierte dann Heather. „Nummer 9, wärest du so freundlich?“
Heather zuckte zusammen, sie hatte Kates Geschichte gelauscht und war ein wenig
überrumpelt, dass es ansatzlos weiter ging. Leise sagte sie: „Sie können mit mir machen was
Sie wollt, aber mein schlimmstes Erlebnis seit ich Erwachsen bin, ist die Entführung durch
Sie. Es tut mir leid, dass ich mit nichts Schrecklicherem aufzuwarten habe. Ich habe ein ganz
normales kleines Leben in einer ganz normalen kleinen Stadt als ganz normale kleine Grundschullehrerin geführt. Das Schlimmste, was in meinem Leben passiert ist, war der Tod meiner
Mutter, an den ich mich kaum erinnere und das Aufwachen in Ihrem Käfig.“ Verzweifelt
schwieg Heather und wartete auf Konsequenzen. Die erfolgten jedoch nicht. Der Major
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wandte sich Allison zu. „Bei dir sieht es ähnlich aus, Nummer 10. Wahrscheinlich bist du
ebenfalls schnell damit durch.“ Allison nickte. „Das ist wohl richtig. Der Tod meines Mannes,
den ich nicht einmal wirklich geliebt habe, war sicher das Schlimmste, was mir passiert ist.
Ich habe mir damals eingeredet, vollkommen am Boden zerstört zu sein. Heute weiß ich, dass
es nur Mitleid war. Das ist kein Trauma gewesen, nur eine ... eine schlimme Episode in einem
nicht sonderlich ereignisreichen Leben.“ Sie sah ihre Mitgefangenen an. „Und bei dem, was
hier schon ans Licht gekommen ist, danke ich Gott auf Knien dafür, dass es so ereignislos
verlaufen ist.“
Der Major sah Allison scharf an. „Eine Frage hätte ich an dich. Kannst du uns
vielleicht ein wenig über einen Patienten erzählen? Du wirst dich sicher an den Namen erinnern: Ezra Powell. Du hast schon einmal von ihm erzählt.“ Allison zuckte zusammen.
Entsetzt stotterte sie: „Woher wissen Sie ... Ich meine, er ... er war ein Patient, er hatte Krebs
und er ist gestorben.“ Der Major grinste kalt. „Erzähle uns doch mal ausführlicher, woran er
gestorben ist.“ Allison sah panisch um sich. Ihre Augen blieben an House hängen, der verbissen zu Boden starrte. Er hatte damals den Verdacht gehabt und bei der schrecklichen Befragung hatte sich sein Verdacht bestätigt. Garreau wurde ungeduldig. „Woran ist er gestorben, Nummer 10.“ Allison liefen Tränen über die Wangen. Sie zitterte am ganzen Körper,
dann flüsterte sie: „Er wollte es. Er hat mich angefleht, ihm zu helfen. Bitte, er hat es doch so
sehr gewollt.“ Sie schluckte. „Woher wissen Sie davon?“ Garreau schnaubte. „Wir wissen
alles, das solltet ihr langsam kapiert haben. Aber deine Freunde hier wissen immer noch nicht,
was los ist. Soll ich es ihnen sagen?“ Allison starrte den Major vollkommen entsetzt an. Sie
schüttelte verzweifelt den Kopf. Garreau lachte kurz und erklärte dann: „Ich deute dein
Schweigen als Zustimmung. Im Jahre 2003 wurde Ezra Powell, in den 60.ger und 70.ger
Jahren der führende Krebsforscher in den Staaten, ins Princeton Plainsboro eingeliefert.
Akutes Lungenödem. Nummer 4 und seine tolle Truppe fanden nicht heraus, was dem Mann
fehlte. Powell wollte, dass sie ihm Sterbehilfe leisteten. Stattdessen wurden weitere Tests gemacht. Unser Moralapostel hier ...“ Sie warf Allison einen kalten Blick zu. „... kam dahinter,
dass Powell 1967 Neugeborenen radioaktive Agenzien injiziert hatte, um zu sehen, ob sie
einen ureteralen Reflux14 bekommen. Nachdem sie das herausgefunden hatte, wusste
Nummer 10 nicht mehr, ob sie den Mann hassen oder ihm helfen sollte, nicht wahr?“ Allison
starrte tränenüberströmt vor sich hin. „Schließlich stellte sich heraus, dass er an einer
Amyloidose A der Lunge, der Niere, des Knochenmarks und des Gehirns litt, eine in jedem
Falle tödlich verlaufende Krankheit, die bei ihm bereits im Endstadium war. Nummer 4, kläre
doch einmal auf, was Amyloidose ist.“ House sah skeptisch in die Runde, dann erklärte er:
14
Vesikorenale Reflux (Synonyme: vesikoureteraler Reflux, vesiko-uretero-renaler Reflux, VRR, VUR) ist ein unphysiologischer Rückfluss von Harn aus der Blase über die Harnleiter (Ureteren) in das Nierenbecken.
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by Frauke Feind
„Als Amyloidose bezeichnet man die Anreicherung von abnorm veränderten Proteinen im
Interstitium, also außerhalb der Zellen. Kommt es zu einem Befall von Organen, resultiert
daraus eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit oder ein Funktionsverlust des betroffenen
Organs, bei fortschreitender Krankheit ein nicht mehr aufzuhaltender Prozess.“ „Aber nun
glaubt bitte nicht, dass Mr. Powell daran starb. Weit gefehlt. Er starb an einer Überdosis
Morphium, richtig, Nummer 10?“ Allison schluchzte hysterisch auf. „Somit können wir der
Liste eurer Tötungsdelikte noch ein weiteres hinzufügen.“ Garreau nickte zufrieden. „Und
weiter geht es.“
Unerwartetes
Die Wahrheit ist das einzige Produkt, das uns garantiert keine Überraschungen
erspart.
Walter Fürst
Sara war die Nächste, die der Major streng anschaute. „Nun, Nummer 11, wie ist es,
gibst du uns einen Einblick in deinen dunkelsten Erinnerungen?“ Sara dachte noch darüber
nach, ob sie und die Leidensgenossen hier die Monster waren, weil sie in Ausübung ihrer
Pflicht ... die meisten jedenfalls ... Menschenleben vernichtet hatten. Außerdem hatte Kates
Geschichte die junge Ermittlerin sehr mitgenommen. Wie oft hatte sie sich gewünscht, ihren
Vater umbringen zu können. Sie hatte vollstes Verständnis für Kate und verurteilt diese nicht
im Geringsten dafür, dass sie die günstige Gelegenheit genutzt hatte, sich ihres Quälgeistes zu
entledigen. Sie wurde von der Frage etwas überrumpelt und stotterte. „Ähm, meins ... Ja.
Mein schlimmstes Erlebnis ist und bleibt der gewaltsame Tod meines Vaters. Ich habe kein
anderes schlimmes Erlebnis vorzuweisen, tut mir leid. Ich habe den Mistkerl so sehr gehasst,
er hat mich, meinen Bruder, meine Mutter, immer wieder krankenhausreif geschlagen. Kein
Hahn hat danach gekräht, ob Danny oder ich, oder meine Mum selbst, wieder einmal mit
Hämatomen, Platzwunden, gebrochenen Rippen, Handgelenken oder Fingern in der Notaufnahme standen. Es wurde ein Protokoll auf genommen und der Tipp gegeben, den Haushaltsvorstand nicht so zu ärgern. Wenn ich nur gekonnt hätte, ich hätte den Schweinehund wie
Kate selbst weg geblasen.“ Saras Augen blitzten vor Hass. „Dann kam der Tag. Schon auf
dem Heimweg von der Schule hatte ich ein komisches Gefühl. Ich wäre am liebsten gar nicht
nachhause gekommen. Ich hatte eine drei in Mathe bekommen am Tag zuvor und mein Er-
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Die Anderen
by Frauke Feind
zeuger würde das inzwischen wissen, das war mir klar. Ich hatte solche Angst, aber wenn ich
nun auch noch zu spät gekommen wäre ... Ich ging also ins Haus und er hatte wieder gesoffen, stank nach Scotch. Ich wollte unauffällig in mein Zimmer verschwinden. Danny saß
am Tisch, mit verweinten Augen und einer aufgeplatzten Lippe ... Er rief mich zu sich. Ich
musste zu ihm gehen. Und dann packte er mich und legte los.“
Kurz musste Sara Pause machen, dann konnte sie weiter sprechen. „Ich weiß nicht,
wie oft er zu schlug. Irgendwann riss ich mich los und wollte fliehen. Er erwischte mich in
der Küche und prügelte weiter auf mich ein. Ich bekam schon gar nicht mehr richtig mit, wie
oft und wohin er mich traf. Und dann hörte ich plötzlich meine Mutter ... Sie schrie, brüllte
ihn an: Du Drecksau wirst keins meiner Kinder mehr schlagen. Sie stand hinter ihm und hatte
ein großes Küchenmesser in der Hand. Damit stach sie auf ihn ein, wieder und wieder.“ Sara
schwieg erneut. Dann sagte sie leise: „Ich habe mit bekommen, wie ein Polizist mich an der
Hand zu einem Krankenwagen brachte. Danach weiß ich nicht mehr bewusst, was passierte.
Ich habe keine Erinnerung daran, wo die Polizei so plötzlich herkam, ich habe nur Bilder von
sehr, sehr viel Blut in Erinnerung.“ Sie schaute in die Runde und senkte dann den Kopf. „Ich
hasse und verabscheue bis zum heutigen Tag Männer, die Kinder oder Frauen schlagen.“ Der
Major hatte, wie die anderen Gefangenen, stumm zu gehört. Sie machte sich Notizen, dann
ging es auch schon weiter.
„Mr. Magic, du bist an der Reihe. Lass hören.“ Locke hatte Zeit genug gehabt, sich auf
seinen Einsatz vorzubereiten. Trotzdem zuckte er zusammen, als nun er angesprochen wurde.
Er setzte sich unwillkürlich gerade und begann dann möglichst ruhig zu sprechen. „Im Frühsommer 2003 besuchte mich ein junger Mann Namens Peter Talbot in meiner Wohnung. Er
erzählte mir, dass seine Mutter heiraten wolle. Einen Mann, den Talbot für einen Heiratsschwindler hielt. Talbot berichtet mir, dass er den richtigen Namen dieses Mannes ausfindig
gemacht hätte und dabei unter anderem auch auf meinen Namen gestoßen war. Der Name des
Mannes war Anthony Cooper. Mein Vater.“ Locke schluckte kurz. Dann fuhr er fort: „Talbot
flehte mich an, etwas zu tun ... Zu verhindern, dass seine Mutter diesen schrecklichen Fehler
machte, da er wusste, dass Cooper es nur auf das Geld seiner Mum abgesehen hatte. Ich ließ
mich erweichen und überraschte meinen Vater einige Tage später in einem Blumenladen, wo
er gerade Mrs. Talbot einen Blumenstrauß kaufen wollte. Ich stellte ihn zur Rede und ließ ihm
die Wahl: Entweder, er würde die Beziehung zu Mrs. Talbot selbst beenden oder ich würde
Mrs. Talbot darüber aufklären, dass sie einem Heiratsschwindler aufgesessen war. Mein ...
Erzeuger versprach mir, die Beziehung zu beenden. Ich war naiv, war mit dieser Antwort zufrieden und fuhr nachhause. Auf dem Parkplatz der Apartmentanlage in der ich wohnte wurde
ich von zwei Polizeibeamten angesprochen. Ob ich einen Peter Talbot kenne. Ich erklärte den
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Die Anderen
by Frauke Feind
Beamten, dass er mir ein Zeitschriftenabo hatte verkaufen wollen. Dann fragte ich vorsichtig
nach, warum sie nach dem jungen Mann suchten. So erfuhr ich, dass man Peter tot aufgefunden hatte. Er war ermordet worden.“
Locke musste an dieser Stelle tief durch atmen. Er war aufgewühlt. Nicht mehr so
ruhig fuhr er fort: „Ich war geschockt. Als die Beamten fort waren suchte ich nach dem
Wohnort meines Vaters und fand seine Adresse im Telefonbuch. Ich fuhr zu ihm, stellte ihn
zur Rede. Er stritt ab, Peter Talbot getroffen zu haben, dann erklärte er mir, dass er mit Mrs.
Talbot Schluss gemacht habe, es gäbe also keinen Grund, ihren Sohn zu töten. Er wurde laut
und empört und erklärte mir, wenn ich ihm nicht glauben würde, solle ich doch selbst bei
Mrs. Talbot anrufen. Er zeigte mir, wo das Telefon stand. Auf einen kleinen Beistelltisch am
Fenster. Ich ging ... und wollte nach dem Hörer greifen als ... Er stürmte plötzlich auf mich zu
... Ein heftiger Stoß ... Er stieß mich einfach durch die Scheibe ... Ich fiel ... acht Stockwerke
tief ... Es war mein Vater ...“ Locke weinte. „Mein Vater. Ich ... lag tagelang im Koma ... Als
ich schließlich aufwacht, war ich gelähmt. Die Polizei kam zu mir ... Sie erklärten mir, dass
der Tatverdächtige nach Mexico geflohen war. Sie wollten von mir wissen, ob ... sie wollten
wissen, was ich bei dem Mann, der mir das angetan hatte, gewollt hatte. Ich erklärte den
Beamten, dass Anthony Cooper ... dass er ... mein Vater ist. Sie fragten erstaunt nach ...
Anthony Cooper? Das ist sein Name? Ich verstand nicht ... Ich begriff nicht, was die Frage
sollte. Daraufhin ...“ Urplötzlich hielt Locke inne. Das Schluchzen blieb ihm in der Kehle
stecken. Sekundenlang starrte er zu Boden. Dann schüttelte er langsam den Kopf, ungläubig,
fassungslos. Von einer Sekunde zur anderen war ihm klar geworden, was er unterbewusst
schon seit der grausamen Befragung, spätestens aber seit der entsetzlichen Geschichte
Sawyers wusste. Sein Kopf fuhr hoch und er sah den Südstaatler an. Dem wurde plötzlich kalt
unter diesem Blick. Locke fuhr fort und alle Aufmerksamkeit war jetzt intensiv auf ihn gerichtet. „Die Beamten erklärten mir, dass der Name, unter dem Cooper in Tustin gemeldet
war, Michael Sawyer lautete.“
Im Raum herrschte Totenstille. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Wie
magisch angezogen richteten sich alle Augen auf Sawyer. Der junge Mann saß auf seinem
Stuhl, reglos, er schien selbst das Atmen vorübergehend eingestellt zu haben. Keiner Reaktion
fähig, fassungslos, wie gelähmt saß er da und starrte Locke an. Der Major hatte ebenfalls
überrascht aufgeschaut. Jetzt blätterte sie hastig in den Unterlagen herum. Sie hatte detaillierte
Angaben, wo sich die Angehörigen der Gefangenen aufgehalten hatten. Sie rechnete blitzschnell nach. 1977 ... Da stand es. Adresse: 17 Florida Avenue, Jasper, Alabama. Wütend
griff sie sich den Hefter und gab den Wachen die Anweisung, vor der Tür auf Posten zu
gehen. Dann verließ sie den Raum.
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Die Anderen
by Frauke Feind
„Wie konnte das passieren? Wie, zum Teufel konnte euch ein so
wichtiges Detail entgehen? Wofür werdet ihr eigentlich bezahlt, ihr verdammten Idioten?“
„Das ist ... ungeheuerlich. Niemand konnte das ahnen.“
„Seit wann verlassen wir uns auf Ahnungen? Unsere Arbeit hat nicht das
Geringste mit Ahnungen zu tun. Unsere Arbeit beruht auf harten Fakten. Und
dafür haben wir hunderte von überbezahlten Leuten im Einsatz.“
„Verflucht noch mal, wie sollte ich das denn bitte wissen?“
„Es ist deine Aufgabe gewesen, diese Informationen zusammen zu
tragen. Es war deine Aufgabe, deine Leute vernünftig zu Koordinieren und zu
Instruieren. Es ist einfach nicht zu glauben.“
„Meine Leute sind von mir ganz hervorragend koordiniert und instruiert
worden, aber einen solchen Zusammenhang ...“
„Deine Leute sind genau solche Versager wie du. Ich warne dich. Erst
die Sache mit Ford und Sciuto, jetzt das hier, Mitch, ich schwöre dir, noch ein
einziger Fehler und du bist raus aus dem Projekt.“
Im Raum herrschte immer noch gespenstische Stille. Dass die Wachen und der Major
den Raum verlassen hatten, hatte kaum einer wirklich registriert. Sawyer saß immer noch reglos da und starrte Locke an. Ihm wurde die Tragweite dessen, was Locke da gesagt hatte, erst
langsam bewusst. Er hatte das Gefühl, einen Eimer Eiswasser über den Kopf bekommen zu
haben, bei fünfzig Grad Wärme. Zu viel war in den letzten Monaten auf ihn, wie auf alle
anderen hier, eingestürmt, als dass er diesen Schlag in den Magen noch problemlos hätte
schlucken können. Sawyer registrierte kaum, dass Kate seine Hand ergriffen hatte und ganz
fest hielt. Mit einer Stimme, die ihm selbst fremd vorkam, fragte er leise: „Wie war das? Wie
war der Name, den er benutzt hat?“ Locke sah Sawyer an, nicht minder entsetzt und betroffen.
Dann wiederholte er leise: „Er nannte sich Sawyer, Michael Sawyer. Und er hat sich in den
späten 70.gern in ... Alabama, Mississippi und Georgia rumgetrieben. Er hat mir mal von
einer Mary Ford erzählt, mit der er ein Verhältnis hatte ... Gott, ich hätte schon viel eher
darüber stolpern müssen ... Spätestens seit dem Verhör. Sawyer, es tut mir unendlich leid. Die
Wahrscheinlichkeit, dass mein Vater für den Tod deiner Eltern verantwortlich ist, ist wohl
hundert Prozent.“ „Wo hält er sich jetzt auf?“ Sawyer fragte dies erschreckend ruhig. Locke
schüttelte frustriert den Kopf. „Ich weiß es nicht. Die letzte Adresse war die in Tustin, im
Parker Drive, wo er versucht hat, mich umzubringen. Dort ist er verschwunden ... Ich habe
seine Spur verloren, weil ich zehn Wochen im Krankenhaus war und anschließend musste ich
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Die Anderen
by Frauke Feind
weitere zwölf Wochen zur Reha. Ich kann es dir wirklich nicht sagen.“ Sawyer sah ihn an.
Dann sagte er ruhig, ohne den Hauch eines Zweifels zu lassen: „Ich werde ihn töten.“
„Sawyer, rede keinen Quatsch. Hier sind jede Menge Ermittlungsbeamte, die das ernst
nehmen könnten.“ House hatte als Erster seine Stimme wieder gefunden. Der Südstaatler warf
dem Arzt einen ruhigen Blick zu. „Ich meine es ernst, absolut ernst.“ „Sawyer, du wirst bisher
in den Staaten nicht wegen Mordes gesucht. Wenn du diesen Schweinehund umbringst, versaust du dir dein Leben. Du machst dich unglücklich.“ Gibbs versuchte, an Sawyers Vernunft
zu appellieren. Sawyer lachte verzweifelt. „Oh, ja. Wo ich bisher auch so unendlich glücklich
war und so ein großartiges Leben hatte, das es lohnt, erhalten zu werden ...“ „Wenn Sawyer es
nicht tut, werde ich dieses gute Werk hoffentlich eines schönen Tages selbst vollziehen
können.“, ließ John sich vernehmen. Mulder sah Kate an und sagte: „Kate, um Himmels
Willen, sag du doch auch mal was dazu. Ihr habt euch gerade erst gefunden, lass nicht zu,
dass das gleich wieder weg geworfen wird.“ Kate hatte bisher nichts gesagt, sie hatte der Eröffnung Lockes genau so fassungslos gelauscht wie alle Anderen. Sie sah Mulder an und
lächelte. Sie war dem FBI Mann sehr dankbar für seine Worte. Ruhig antwortete sie: „Weißt
du, Mulder, ich hatte weniger Grund, meinen Erzeuger umzubringen, und trotzdem habe ich
es ohne zu Zögern und ganz sicher ohne Reue getan, als sich die Gelegenheit ergab. Ich werde
in den Staaten wegen Mordes gesucht, es ist also nicht gerade so, dass uns ein friedliches,
ruhiges Leben erwartet, sollten wir jemals frei gelassen werden. Wenn es uns gelingt, diesen
Hurensohn zu finden, wird es mir ein Vergnügen sein, ihn festzuhalten, während Sawyer ihn
killt.“
Kurz starrten alle Kate an, dann sagte ausgerechnet Booth: „Ich kann es verstehen. Bei
mir hätte der Dreckskerl auch keine Überlebenschance, wenn er mir das angetan hätte, was er
Sawyer angetan hat.“ „Bei mir auch nicht. Und wenn es das Letzte wäre, was ich in meinem
Leben täte.“ Ziva sagte diese Worte kalt und überlegen. „Ich würde ihn auch umbringen, ohne
zu Zögern und ohne mir Gedanken über die Konsequenzen zu machen.“, erklärte auch Jake
voller Inbrunst. „Ich ebenfalls.“ „Ich auch.“ Sara und Bones waren zum ersten Mal seit ihrer
Gefangennahme einer Meinung. Und dann seufzte Mulder frustriert. „Ich habe versucht, den
Mörder meines Vaters zu Töten, und der war ... ein Kollege beim FBI. Ich denke, ich sollte
mich mit schlauen Ratschlägen ein wenig zurück halten.“ Dana dachte in diesem Augenblick
daran, dass sie die Mörder ihrer Schwester Melissa ebenfalls ohne zu Zögern auf der Flucht
erschossen hätte und nickte. „Ich sage lieber auch nichts dazu.“ Abby sah Gibbs an, dann
sagte sie verbissen: „Gibbs, du bist bis nach Mexiko gefahren, um Shannons und Kellys
Mörder zu eliminieren. Du solltest vielleicht auch nicht gerade mit Tipps dafür, den echten
Sawyer nicht umzubringen, daher kommen. Ich denke, fast jeder hier könnte unter diesen
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Die Anderen
by Frauke Feind
Voraussetzungen Töten. Und Kate und Sawyer könnten die Staaten verlassen ... Gesetzt den
Fall, wir kommen in diesem Jahrhundert noch raus hier.“
Weiter kamen die Gefangenen nicht, denn in diesem Moment betrat der Major den
Raum wieder, setzte sich an ihren Platz und meinte leutselig: „Na, ihr hattet ein wenig Zeit,
diese kleine Überraschung zu verarbeiten, daher kann ich wohl damit rechnen, dass ihr in der
Lage seid, weiter zu kooperieren. Nummer 13, wenn ich dann mal bitten dürfte.“ Gil hatte
sich gedanklich bereits darauf vorbereitet, und er wusste auch sicher, was seine finstersten
Momente als Erwachsener gewesen waren. So begann er: „Ja, Ma’am. Einer meiner Mitarbeiter, Nick Stokes, wurde vor zwei Jahren von einem Psychopathen entführt, in einen
Glassarg, ähnlich ausgestattet wie der, den ihr bei Mulder verwendet habt, gesteckt und vergraben. Mein Team und ich mussten innerhalb eines festgelegten Zeitraumes eine Million
Dollar Lösegeld herbei schaffen. Wir konnten über eine in der Kiste befindliche Kamera via
Internet verfolgen, in welch miserabler Verfassung Nick war. Was wir nicht wussten war die
Tatsache, dass wir jedes Mal, wenn wir die Kamera betätigten, eine Vorrichtung aktivierten,
die die Sauerstoffzufuhr in die Kiste unterbrach.“ Gil dachte an den Schrecken und die Panik
in den Augen Nicks, besonders gegen Ende, als Nick in seiner Verzweiflung die Kamera zerschossen hatte und durch das entstandene Loch Feuerameisen in den Sarg eindrangen. Als
letztes Geschenk hatte der Entführer, Walter Gordon dann noch einen Zündmechanismus
unter Nick angebracht, der losgehen und zu einer Explosion führen würde, sobald Nicks Gewicht nicht mehr auf dem Zünder ruhte. „Wir bekamen das Lösegeld selbstverständlich nicht
gestellt. In unserer Verzweiflung ging meine Vertretung, Catherine Willows, zu ihrem Vater,
dem ein Spielkasino gehört. Sie schaffte es, das Geld von ihm zu bekommen. Bei dem Versuch, das Lösegeld zu übergegeben, sprengte sich der Entführer in die Luft, ohne uns zu
sagen, wo Nick vergraben war. Ihm war es nie auf das Geld angekommen. er wollte sich an
unserem Team rächen, weil wir seine Tochter Kelly hinter Gitter gebracht hatten. Als er nun
tot war ... Das ganze Team hat alles gegeben, um den Kollegen zu retten. Durch die Feuerameisen gelang es mir, das Zielgebiet zu ermitteln. Endlich wussten wir den Ort, wo Nick
vergraben war und konnten ihn frei legen. In der Kiste befanden sich inzwischen hunderte
von Feuerameisen und Nick ... Er brüllte vor Entsetzen, vor Schmerzen von den unzähligen
Bissen und flehte und bettelte, dass wir ihn endlich da raus holen mögen. Das ging aber nicht,
da ein Zündmechanismus dann eine Explosion verursacht hätte, die ihn zerfetzt hätte. Wir
retteten ihn schließlich, in dem wir ihm ein Seil am Gürtel befestigten und dann eine Baggerschaufel Sand in den Sarg fallen ließen. Zusammen rissen wir Nick aus dem Sarg und durch
den Sand wurde die Explosion um Bruchteile von Sekunden verzögert.“
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by Frauke Feind
Gil schwieg und Sara, die erschüttert zugehört hatte, wischte sich ein paar Tränen von
den Wangen. Sie hatte nicht gewusst, dass Gil diese furchtbare Sache so mitgenommen hatte.
Sie selbst hatte die Entführung und verzweifelte Suche ebenfalls noch in sehr schlechter Erinnerung. Nick hatte ein paar Tage im Krankenhaus verbracht und musste danach zur
Therapie. Noch heute hatte er unter der Geschichte zu Leiden. Das ganze Team hatte darunter
zu Leiden. Sie alle hatten sich so hilflos gefühlt, den Kollegen in diesem elenden Glassarg
liegen zu sehen, verzweifelt, in unfassbarem Grauen und Todesangst, und sie hatten nichts für
ihn tun können. Sara schoss durch den Kopf, dass die Kollegen sich wohl im Augenblick ähnlich hilflos fühlten, da sie über ihren und Gils Verbleib nichts wussten. Flüchtig registrierte
Sara, dass die Leidensgenossen stumm auf ihren Stühlen saßen und wohl im gleichen Maße
wie sie selbst mit den eigenen Traumata als auch mit den Erlebnissen der Anderen zu
kämpfen hatten. Der Major ließ einige Minuten verstreichen, dann sah sie Abby an. „Du
redest doch so gerne, dann zeig mal, was du kannst.“
Abby sah Gibbs an. Dann erklärte sie bedrückt: „Ich habe, mal abgesehen von dem
hier, was vielleicht nicht nur für Heather das Schlimmste ist, was ihr bisher widerfuhr, als
schlimmstes Erlebnis den Tod unserer Kollegin Caitlin Todd empfunden. Ich war nicht dabei,
nur Gibbs und Tony waren bei ihr, als sie starb. Aber ich musste ja an den Untersuchungen
teilhaben ... Wir alle mussten das. Sie war meine Freundin und Ari hatte kein Recht dazu, sie
einfach so zu Töten. Ich bin Ziva so unendlich dankbar, dass sie verhinderte, dass er auch
noch Gibbs umbringt ... Obwohl sie dafür ihren Halbbruder umbringen musste.“ Ziva hatte
sich etwas in der Richtung gedacht. Daher war sie nicht überrascht, dass Abby dieses Erlebnis
als ihr Schlimmstes wertete. Gibbs schaute Abby an und nickte aufmunternd. Der Major
schien zufrieden, jedenfalls machte sie sich ihre Notizen, sah dann Mulder an. „So, Spooky,
dann wollen wir uns mal mit dir beschäftigen. Ich bin sehr gespannt, ob es etwas irdisches
gibt, dass dich berührt.“ Der abfällige Ton war eine deutliche Provokation, aber Mulder
lächelte nur mild. So einfach konnte man ihn nicht aus der Reserve locken. Er sah Major
Garreau an und nickte ruhig. „Das gibt es in der Tat.“
Sein Blick wanderte zu Dana und er griff deren Hand. „Die scheinbare Hinrichtung
Danas durch ihre lieben Kollegen dürfte nicht Ihre Zustimmung finden, nehme ich an. Daher:
Die Krebserkrankung meiner Partnerin war für mich das schlimmste Erlebnis seit dem Verschwinden meiner Schwester. Sicher mögen einige denken, die Entführung müsse das
Schlimmste gewesen sein, oder das beerdigt werden ... Gleichwohl, ich habe davon nichts
bewusst mit bekommen, also kann es für mich nicht das Schlimmste sein. Aber Dana sterben
zu sehen, das war sehr realistisch, sehr irdisch und entsetzlich für mich. Ich bin dem Schicksal
unendlich dankbar, dass es mir gelang, sie im letzten Moment zu retten. Und ich hoffe, so
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etwas nie wieder mit ansehen zu müssen.“ Gibbs beschloss, nicht erst darauf zu warten, dass
die Ärztin, Therapeutin, was immer sie darstellen mochte, nun ihn aufforderte, zu erzählen. Er
begann freiwillig. „Was mein schlimmstes Erlebnis war, wissen inzwischen alle. Aber ich
berichte gerne noch einmal davon, nur wird die Geschichte nicht schöner, je öfter ich sie
erzähle. Ich war im Irak, bei Desert Storm, als die Nachricht mich erreichte, dass meine Frau
Shannon und unsere gemeinsame Tochter Kelly bei einem Autounfall ums Leben gekommen
waren. Ich wurde sofort beurlaubt und kehre in die Staaten zurück. Hier erfuhr ich, was geschehen war.“
Gibbs schluckte. Wie jedes Mal, wenn er davon sprechen musste, kamen die Erinnerungen wie Schläge mit einem Vorschlaghammer auf ihn nieder. „Weiter, Gunny ...“
Gibbs atmete tief durch, dann fuhr er fort: „Ich erfuhr, dass der Fahrer des Wagens, in dem
Shann und Kelly gesessen hatten, von einem Heckenschützen bei hohem Tempo erschossen
worden war. Bei dem daraus resultierenden Unfall ... Sie starben in den Flammen ... Ich habe
sie beerdigt und habe den Mörder dann bis Mexico verfolgt. Dort habe ich ihn eliminiert.
Danach habe ich meinen Dienst quittiert und habe beim NCIS angefangen. Mike Franks, der
Agent, der mir indirekt half, den Mörder meiner Familie zu finden, wurde mein Mentor und
wir sind heute noch gute Freunde.“ Gibbs schwieg und die anderen Gefangenen warteten verzagt, dass es in die nächste Fragerunde gehen würde. Aber erstaunlicherweise kam das nicht.
Major Garreau nickte sehr zufrieden und erklärte: „Herrschaften, das war es für heute. Wir
werden zu einem anderen Zeitpunkt weiter machen. Ihr könnt euch bis zu unserem nächsten
Treffen mit der Frage beschäftigen, was eure größten Ängste sind. Und es geht nicht nur um
Dinge wie Feuer, Nummer 15, oder Klaustrophobie, 5 und 8, haben wir uns verstanden?“
Über sechzehn Lippen kam unwillkürlich ein: „Ja, Ma’am.“
Aktennotiz Dr. Maggie Curtis, 19.02.06, 23.40 Uhr
Nach den ersten Sitzungen, in denen ich die Probanden nach
ihrem schlimmsten Kindheits- und Erwachsenenerlebnis fragte,
ist klar, dass keiner von ihnen sich an das Trauma des Nahtods
erinnert. Lediglich Austen gibt dies als unangenehmes Erlebnis
an. Das ist nicht weiter verwunderlich, da sie alle noch sehr
jung waren. Was erstaunlicher ist, ist die Tatsache, dass
keiner von ihnen das eigene Überleben als Erwachsener bemerkenswert findet. Viele hatten schon diverse Verletzungen,
z.T. auch wirklich lebensbedrohliche, aber keiner von ihnen
scheint zu merken, dass sie alle die Fähigkeit haben, schnell,
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Die Anderen
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deutlich schneller als normale Menschen, zu regenerieren.
Einige, wie zum Beispiel Ford, haben zeitweise ausgeprägte
Todessehnsucht, die sich bei ihm wohl durch das Auftauchen
Austens erledigt haben dürfte. Übrigens auch bei Mulder und
Green zu beobachten gewesen. Der leichte Hang zur Selbstzerstörung, der auch bei House, Gibbs und Green teilweise zu
beobachten ist, scheint für viele von ihnen phasenweise zu
gelten. Es ist sehr wichtig, das im Auge zu behalten. Ich bin
gespannt, wie die erzwungene Therapie anschlägt. Die nächsten
Sitzungen werden sich mit dem Thema Unfälle in der Kindheit
und Beobachtungen an sich selbst befassen.
Dr. M. Curtis
In ihren Räumen waren alle erst einmal wieder schweigsam, jeder musste das Gehörte
und Gesagte verarbeiten. Besonders Sawyer hatte es erneut schwer. Dass der Vater Lockes
der Mörder seiner Eltern war, hatte ihn vollkommen unerwartet erwischt und er würde Tage
brauchen, das wirklich zu Realisieren. Kate ließ ihn in Ruhe, sie spürte, dass er die jetzt
brauchte. Er hatte sich, kaum dass sie im Zimmer angekommen waren, auf das Bett sinken
lassen und lag dort still, einen Arm unter dem Kopf, den anderen locker auf der Brust. Kate
hatte sich auf das Sofa fallen lassen. Sie beobachtete Sawyer unauffällig und dachte darüber
nach, wie sie selbst wohl auf eine solche Nachricht in seiner Situation reagieren würde.
Schnell kam sie zu dem Ergebnis, dass sie es sich nicht vorstellen konnte. Sie wusste nur
eines: Wenn sie hier je heraus kommen sollten, würde sie all ihre Kraft dazu einsetzen,
Sawyer bei der Suche nach Anthony Cooper zu helfen.
Die Aufgabe
Die Ungewissheit schlägt mir tausendfältig die dunklen Schwingen um das Bange
Haupt.
Johann W. von Goethe
„Wir haben die letzten Ergebnisse, leider sind die nicht hundertprozentig aussagekräftig. Ich hatte mit einem eindeutigeren Ergebnis gerechnet.“
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„Das stimmt. Wenn man sich diese Auswertungen anschaut, besteht
immer noch die Möglichkeit, dass es sich um zufällige Treffer handelt.“
„Wir werden vermutlich kein wirklich befriedigendes Resultat erzielen
können, oder wie seht ihr das?“
„Ich würde gerne noch einen Test unter extremen Bedingungen machen.
Seht euch diese Versuchsanordnung einmal an, bitte.“
„Hm, das sieht gut aus. Alle 4?“
„Ja, und Locke wird nicht erfahren, wer es sein wird. Das bedeutet für
ihn gleich drei wichtige Entscheidungen: Wer es sein wird, wie es zu verhindern ist und die Verhinderung selbst.“
„Wer wird denn im Falle des Versagens das Zeitliche segnen? Eigentlich
bräuchten wir sie alle, aber daran soll dein kleiner Test nicht scheitern.“
„Nun, ich habe beschlossen, dass es ... Oh, Sekunde. Ja, Eric? Ich höre
... Sehr schön, dann können wir los legen.“
Dass die folgenden Tage ohne nennenswerte Vorkommnisse waren, täuschte keinen
der Gefangenen darüber hinweg, dass es jederzeit zu einem weiteren Übergriff kommen
konnte. Aber dennoch wurden alle etwas ruhiger, fingen an, sich ein klein wenig zu erholen.
Gute Versorgung, nicht mehr in den Zellen, zusammen sein zu dürfen, sinnvolle Beschäftigung, halbwegs vernünftige Bekleidung, all dies trug dazu bei, sie nach und nach etwas
zu Entspannen. So war Kate nicht sonderlich beunruhigt, als sie nach dem Frühstück Besuch
von einer Wache bekamen. Sie hockte mit Sawyer auf dem Sofa und die Beiden fragten sich
gegenseitig die Teile des M24 ab. Als die Wache herein kam und Kate aufforderte, sich die
Hände fesseln zu lassen, war diese nicht annähernd so nervös wie noch vor ein paar Tagen.
„Wir machen nachher weiter.“ Sawyer nickte und lächelte ihr zu, als sie sich herum drehte
und die Hände brav auf dem Rücken zusammenlegte. „Machen wir. Du bist schon sehr gut.“
Er sah ihr hinterher, als sie aus dem Raum geführt wurde, dann widmete er sich wieder
konzentriert seinen Gewehrteilen. Dass er selbst kurze Zeit später ebenfalls abgeholt wurde,
machte Sawyer auch nicht übermäßig unruhig.
Kate wurde drei Etagen nach oben gefahren, dann führte der Wachmann sie zu einer
Tür, die sich öffnete. Die Handfesseln wurden der jungen Frau gelöst und sie bekam die Aufforderung, in den Raum zu treten. Erstaunt sah sie sich um. Heather, Bones und Dana befanden sich bereits in dem Raum und sahen Kate nicht minder überrascht an. Heather lächelte.
„Was die wohl von uns wollen? Einen Häkelklub sollen wir sicher nicht gründen.“ Kate
grinste und ließ sich auf das im Raum befindliche große Sofa fallen. „Kaum. Seid ihr schon
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lange hier?“, wollte sie wissen. Dana schüttelte den Kopf. „Nein, wir wurden auch gerade erst
her gebracht.“ Sie deutet auf einen die halbe Wand ausfüllende Monitor. „Vielleicht sollen
wir einen Film oder etwas Ähnliches gezeigt bekommen.“ „Wäre denkbar.“ Dana setzte sich
zu Kate auf das Sofa und fragte: „Könnt ihr eure Gewehrteile schon auswendig?“ Kate
schaute die Agentin an. „Wir waren gerade dabei, uns abzufragen, als ich geholt wurde.“
Heather nickte. „Ich habe Jake auch gerade abgefragt. Er hat erzählt, dass du hervorragend
bist auf tausend Meter.“ Sie sah Bones an, die sich ebenfalls setzte. „Ich bin ja ausgebildet, es
ist also nicht verwunderlich, dass ich sehr gut bin.“ „Bescheidenheit ist wirklich nicht deine
Stärke, was?“ Kate konnte ein Kichern nicht unterdrücken.
Die vier Frauen unterhielten sich eine Weile, nutzten einfach die Gelegenheit, einmal
ungestört von Frau zu Frau reden zu können. Sie sprachen darüber, dass sie das Gefühl, jederzeit Duschen zu können, unglaublich genossen. Nach endloser Zeit ohne Kamm oder Bürste
war es unendlich angenehm, jetzt auf den Zimmern eine Bürste zur Verfügung zu haben.
Bones sah Kate an und meinte: „Du mit deinen Locken wirst sicher schon extreme Probleme
gehabt haben, zu verhindern, dass das Haar völlig verknotet, aber die arme Ziva ist ja zeitweise verzweifelt. Sie mit ihrer wilden Naturkrause. Himmel, sie hat Stunden damit verbracht, auf ihrer Liege zu sitzen und Knoten aus ihren Haaren zu fummeln.“ Die Zeit verging
und irgendwann bemerkte Heather: „Sagt mal, was soll das eigentlich, warum haben die uns
hier her geschafft, wenn wir nur herum sitzen und uns unterhalten dürfen? Normalerweise
machen die doch nichts grundlos.“ Auch Dana hatte schon begonnen, sich Gedanken zu
machen. Es war inzwischen wenigstens eine Stunde her, seit sie in diesen Raum gebracht
worden waren, da war die FBI Agentin sicher. „Vielleicht hat sich der Film verheddert oder
die werden sich nicht einig, ob sie uns Johnny Depp oder Antonio Banderas zeigen sollen.“,
grinste Kate. Bones sah die junge Frau verständnislos an. Dann kam ihr Standard-Satz: „Ich
weiß nicht, was das bedeutet.“ Kate, Dana und Heather sahen sich an und kicherten los. Selbst
Bones musste lachen. Als jedoch genau in diesem Moment der Monitor vor ihnen an der
Wand aufflackerte, verging ihnen das Kichern sehr schnell.
*****
Booth wunderte sich, dass er zusammen mit Mulder, Jake und Sawyer abgeholt wurde.
Spezialtraining? Nein, wohl nicht. Sie wurden in die Tiefgarage gebracht und dann mussten
die vier Männer in einen kleinen, geschlossenen Kastenwagen steigen, einen Ford Transit,
wie Booth beiläufig bemerkte. Sie bekamen den Befehl, sich auf den Bauch auf den Boden
des Wagens zu legen und sich nicht zu rühren, bis man es ihnen gestattete. Langsam, aber
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sicher breitete sich ein unbehagliches Gefühl in den vier Männern aus. Die Fahrt dauerte nicht
sehr lange, höchstens vierzig bis fünfundvierzig Minuten, dann hielt der Wagen mit einem
sanften Ruck an. „Ihr rührt euch erst, wenn wir es sagen, verstanden!“ Die Haltung, die
Hände auf dem Rücken, auf dem Bauch liegend, war an sich schon unbequem, aber durch das
durchgeschüttelt werden während der Fahrt war es noch unangenehmer gewesen. Die Männer
wären froh gewesen, sich erheben zu können, wurden aber noch einige Minuten so liegen
gelassen, bevor der Befehl kam: „So, hoch mit euch.“ Etwas steif und unbeholfen kamen die
Vier auf die Füße. Sie wurden aus dem Wagen beordert und kniffen im grellen Sonnenlicht
die Augen zusammen. Viel konnten sie nicht erkennen, dazu waren ihre Augen noch zu geblendet. Es dauerte einige Minuten, bis diese sich an das ungewohnte, helle Licht angepasst
hatten. Sie erkannten, dass sie im Dschungel waren, vor ihnen lag eine Schlucht. Um sie
herum Bäume, Grün, Dschungelgeräusche. Vor ihnen standen nebeneinander vier einfache
Liegen. Und bei den Liegen stand, und das war sicher das Verwirrendste, ein Leiterwagen der
Feuerwehr. Die Leiter war waagerecht vielleicht zur Hälfte ausgefahren und an ihrem Ende,
auf einer Länge von drei bis vier Metern, war eine sehr stabil aussehende Metallschiene
montiert worden. In diese Metallschiene eingelassen waren vier runde Metallplatten, die mit
je vier soliden Haken versehen waren, am linken Rand einer, im Abstand von vielleicht acht
Zentimetern der nächste, drei Zentimeter Platz, zwei weitere Haken und dann kam im Abstand von zehn Zentimetern die nächste Platte.
Vollkommen verständnislos sahen sich die vier Gefangenen an. Sie wurden zu den
Liegen hinüber geführt, die Handfesseln wurden gelöst und sie erhielten den Befehl, sich
ihren Nummer nach, Booth ganz rechts, auf die Liegen zu verteilen. Mit einem inzwischen
deutlich unangenehmen Gefühl im Bauch gehorchten die Männer. Als sie auf den Liegen
Platz genommen hatten wurden die Hände rechts und links an den Halsbändern befestigt. Jetzt
machten sich die Wachen daran, ihnen dick gepolsterte Manschetten um die Fußgelenke zu
drapieren, die alle vier Männer sofort an Halterungen, wie sie beim Bungee Jumping benutzt
wurden, erinnerten. Während sie verpackt wurden, trat einer der Wachposten an die Leiter mit
der Metallschiene heran. „Ihr fragt euch sicher, was wir vorhaben. Nun, ich werde es euch
kurz mal demonstrieren. Schließlich sollt ihr nicht dumm sterben.“ Er grinste verhalten und
trat dann unter die ausgefahrene Leiter. Er stellte sich unter eine der runden Platten, griff nach
den zwei äußeren Haken der Platte und hielt sich daran fest. Dann rief er einem weiteren
Wachposten zu: „Zieh mich hoch.“ Der Angesprochene saß auf dem Leiterwagen an einem
Schaltpult und betätigte einen Hebel, der die Leiter ein Stück in die Höhe fuhr. Dann rief der
Wachmann, der jetzt vielleicht dreißig Zentimeter hoch an den Haken baumelte, laut: „Jetzt.“
Ein metallisches Klicken ertönte, die Metallplatte löste sich aus der Verankerung und die
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Die Anderen
by Frauke Feind
Wache fiel das kurze Stück auf die Füße, die Platte in der Hand. Er grinste und den vier
Männern wurde innerlich eiskalt. Was sollte das alles? Die Antwort erhielten sie Augenblicke
später.
Die Leiter wurde wieder abgesenkt, dann traten die Wachen, die mit ihren Fußgelenkpolstern fertig waren, an die verbliebenen drei Deckel heran. Sie griffen nach diesen und
hatten sie Sekunden später in den Händen. Mit den Deckeln nun traten sie an die Liegen
heran. Über die Polster hatte man den Männern noch stabile Ledermanschetten geschnürt, an
denen ebenfalls rechts und links der Knöchel je ein sehr stabiler Karabinerhaken befestigt
war. Mit diesen Karabinern wurden nun die Metallplatten an den Fußmanschetten fest gemacht. Die vier Männer bissen sich auf die Lippe. Als die Leiter vorsichtig zu ihnen herüber
geschwenkt wurde, ahnten sie, was kommen würde. Und schon erhielten sie den Befehl, die
Beine anzuheben. Mit Hilfe der Wachen hoben sie ächzend die Beine in die Höhe, was mit
den dicken Metallplatten daran gar nicht so ganz einfach war. Die Wachen fädelten die
Platten wieder in die dazu gehörigen Löcher der Schiene ein und arretierten sie. Dann traten
sie neben die Männer und die Leiter wurde langsam und vorsichtig angehoben. Schwer
atmend spürten die vier Wehrlosen, wie sie Kopf nach unten mit samt der Leiter in die Höhe
gehoben wurden, bis sie wie Wäschestücke zum Trocknen nebeneinander unter der Leiter
hingen. Die Wachen traten noch einmal an sie heran, lösten die Hände von den Halsringen,
nur, um sie auf dem Rücken wieder zusammen zu Fesseln. Dann wurde unter dem kollektiv
entsetzten Aufkeuchen der vier Männer die Leiter langsam und vorsichtig so geschwenkt,
dass die Gefesselten schließlich über der Schlucht hingen, nur noch von den Metallplatten
gehalten, fünfzig Meter über dem Erdboden. Keiner von ihnen konnte noch ein heftiges
Zittern unterdrücken. Alle vier atmeten flach und schnell. In ihren Mägen schien sich eine
eisige Faust zu ballen. Was sollte das hier wieder werden? Und dann wurde es ihnen erklärt.
„Leider waren die Testergebnisse eures Kumpels 12 nicht eindeutig so eindeutig wie
wir es gerne gehabt hätten. Sie konnten unsere Neugierde nicht hundertprozentig befriedigen.
Daher sehen wir uns heute gezwungen, einen weiteren, abschließenden Test mit ihm zu
machen. Ich werde euch erklären, was es hiermit auf sich hat. Einer von euch, wer, wird nach
dem Zufallsprinzip gleich vom PC ausgesucht, wird, wenn 12 es nicht verhindert, hier in
zwanzig Minuten den Abflug machen.“ Die Wache, die diese Erklärung lieferte, machte eine
künstlerische Pause, um die Worte einsickern zu lassen. „Die Sache ist die.“, fuhr er dann
fort: „Mr. Magic hat zehn Minuten, heraus zu finden, wer von euch der Todeskandidat sein
wird. Dann hat er weitere fünf Minuten, um heraus zu finden, an welchem von vier Schaltpulten der Auslösemechanismus aktiviert wird. Und er hat weitere fünf Minuten, den
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Die Anderen
by Frauke Feind
Richtigen von drei Schaltern an dem betreffenden Schaltkasten zu finden, der den Mechanismus abschaltet. Sollte ihm das gelingen, werden eure Mädels euch alle in zwei Stunden
wieder in die Arme nehmen können. Gelingt ihm das nicht, ist bewiesen, dass er doch nicht
annähernd so gut ist, wie wir dachten. Ach, und einer von euch Helden liegt dann zermanscht
da unten, ein ekliger, roter Fleck in der Landschaft, das ist klar.“
*****
Kate und Heather stöhnten nach den kalten Worten des Wachmannes entsetzt auf. Sie
hatten am Monitor verwirrt und zutiefst beunruhigt die Vorbereitungen beobachtet, hatten
gebannt gesehen, was man mit den vier Männern anstellte. Als sie über die Schlucht geschwenkt wurden, hatten alle vier Frauen entsetzt auf gekeucht. „Oh, Gott, nein, nicht schon
wieder. Bitte nicht schon wieder. Das ertrage ich nicht mehr. Lasst ihn endlich in Ruhe, ihr
elenden Bastarde!“ Kate schrie diese Worte vollkommen verzweifelt hinaus. Und wie, um sie
noch ein wenig mehr zu Quälen, erschien in diesem Moment eine Nahaufnahme von Sawyers
Gesicht auf dem Monitor. Angespannt, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen gepresst, selbst auf dem Monitor war die Angst in seinen Augen zu erkennen. Die Kamera ging
jetzt auf Jakes Gesicht. Heather schluchzte auf. Dem jungen Mann war der Stress mehr als
deutlich in das blasse Gesicht geschrieben. „Oh, Gott, Jake ...“ Und schon war Booth’ Gesicht
in Nahaufnahme zu sehen. Die dunklen Augen wie festgesaugt an dem Abgrund unter ihm
klebend, hastig durch den Mund atmend, hing er da. Bones starrte aus vor Grauen weit aufgerissenen Augen in sein Gesicht. Und als letzter wurde nun bereits Mulder gezeigt und Dana
wimmerte leise: „Du darfst es einfach nicht sein, was soll ich denn William erzählen ...“ Sie
merkte gar nicht, dass ihr Tränen über die Wangen kullerten. Dann sagte sie ganz leise, mit
dünner Stimme: „Locke, du hast ihn einmal gerettet, du musst es einfach wieder schaffen.“
Kate schluchzte. „Ja, er hat Sawyer auch schon einmal gerettet. Ich mache alles, alles,
wenn er es wieder hin bekommt.“ Heather konnte nicht fassen, was sie da hörte. „Was? Die
beiden auch? Jake hat er ...“ Sie kam nicht dazu, auszureden, denn Bones fuhr dazwischen.
„Mir auch. Er hat mir auch das Leben gerettet. Die wollten ... die wollten mich in ein Becken
mit ausgehungerten Piranhas senken ...“ „Mulder wollten sie mit einem Flammenwerfer verbrennen ...“ „Jake war auf ein Laufband gefesselt, dass auf eine Säge zu fuhr.“ „Sawyer haben
sie aufgehängt.“ „Dann hat er ja schon einige von uns ... Oh, bitte, lieber Gott, er muss es einfach wieder schaffen. Wenn Jake hier ...“ Heather konnte nicht weiter reden. Und plötzlich
leuchtete oben am Monitor in dessen rechter Ecke eine 20.00.00 auf und fing an, gnadenlos
rückwärts zu zählen. 19.59.59,58,57,56 ..... Kate weinte hoffnungslos vor sich hin. Sie tastete
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Die Anderen
by Frauke Feind
nach Bones Hand und die beiden Frauen hielten sich regelrecht an einander fest. Und auch
Heather und Dana griffen ohne es bewusst zu merken, nach den Händen ihrer Leidensgenossinnen. Und ausgerechnet Bones war es, die panisch stammelte: „Ich will ihn nicht verlieren, ich könnte es nicht ertragen, ihn zu verlieren.“
*****
Locke hatte mit Gibbs gefrühstückt. Die beiden Männer verstanden sich gut, konnten
sich sehr gut unterhalten. Unmittelbar nach dem Frühstück war ein Wachposten gekommen
und hatte Locke aufgefordert, mit zu kommen. Locke hatte ordnungsgemäß die Hände auf
den Rücken gelegt und war dann von dem Wachposten in die Tiefgarage gebracht worden.
Hier hatte man ihm die Augen verbunden und dann wurde er in ein Auto verfrachtet. Er
wurde eine Weile durch die Gegend gefahren, dann kam der Wagen zum Stehen und Locke
wurde heraus gezogen. Mit noch verbundenen Augen wurde er geführt und spürte schließlich
wieder festen Boden unter den Füßen. Die Augenbinde wurde entfernt. Er stand so, dass er
aus einem Fenster vor sich gucken konnte. Und erschrak zutiefst. In einiger Entfernung stand
ein Leiterwagen, wie ihn die Feuerwehr verwendete und an der Leiter hingen, Köpfe nach
unten, Booth, Jake, Sawyer und Mulder über einer Schlucht. Von seinem Standpunkt aus
konnte Locke nicht sagen, wie tief die Schlucht war, aber sicher tief genug, um die Männer
im Falle eines Absturzes zu töten. Locke erfasste blitzschnell die Situation. Vor sich sah er
vier Schalttafeln mit je drei Schaltern. Er ahnte, was kommen würde. Und schon erklärte die
Wache, die bei ihm stand, was er zu tun hatte. „Nummer 12, du wirst drei Aufgaben
erledigen. Zuerst wirst du herausfinden müssen, welcher der Herren dort in Kürze in den Tod
stürzen wird. Das haben wir inzwischen vom Computer via Zufallsgenerator ermitteln lassen.
Dann wirst du herausfinden, welcher Schalterkasten es ist, den du benutzen musst und zu
guter Letzt musst du den passenden Schalter finden, der die Auslösung des Abwurfmechanismus verhindert. Du hast alles in allem zwanzig Minuten Zeit. Hast du alles verstanden?“ Locke hatte entsetzt zugehört. Er dachte an House und die Nagelvorrichtung. Da
hatte er nur acht Minuten Zeit gehabt und war von Allisons Weinen und Gregs Gebrüll nicht
unerheblich abgelenkt gewesen. Hier war er weit weg von den Männern, die es treffen sollte
und hatte drei Aufgaben zu erledigen. Er nickte. „Ja, ich denke, ich habe alles verstanden,
Sir.“ „Gut, dann kann es losgehen. Das Leben eines der Männer da draußen liegt in deiner
Hand.“ Locke verzog angewidert das Gesicht. - Mal wieder, danke, ihr elenden Bastarde. dachte er verzweifelt. Dann versuchte er, sich zu konzentrieren.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Am Rande des Abgrundes
Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich
hinein.
Friedrich Nietzsche
Über dem Abgrund hingen die vier Männer stumm und verängstigt nebeneinander und
sahen in die Tiefe. Sawyer versuchte immer wieder, den Blick abzuwenden, irgendwo anders
hin zu sehen, nur nicht nach unten. Er konnte nicht verhindern, dass sein Inneres sich anfühlte, als würde es von den Füßen an vereisen. Er war der dritte in der Reihe und hörte neben
sich Jake und Mulder heftig atmen. Booth hing weiter rechts wie gelähmt an der Schiene.
Sawyer musste genau hinschauen, um zu sehen, ob der Mithäftling überhaupt noch atmete. Er
zuckte erschrocken zusammen, als die Leiter, an der sie hingen, leicht im Wind vibrierte. Jake
keuchte ebenfalls erschrocken auf und seine auf den Rücken gefesselten Hände zuckten unkontrolliert. „Scheiße ... Oh, man, ich ... ich war doch schon einmal dran, verdammter Mist.“
Panik klang aus seiner Stimme. Wie aus einem Mund stießen Mulder und Sawyer hervor
„Hey, ich auch.“ „Was? Du ...?“ Mulder sah zu Sawyer hinüber. Dieser kniff vor Schmerzen
kurz die Augen zusammen. Das Hängen mit Kopf nach unten war sehr unangenehm und ging
ziemlich auf die Wirbelsäule. Sawyer biss die Zähne zusammen dass es knirschte. Wenn er
derjenige sein sollte ... Dann wären Schmerzen in der Wirbelsäule sein geringstes Problem.
„Aufgehängt ... Sie haben mich aufgehängt.“, keuchte er. „Mich wollten die Säcke grillen.
Flammenwerfer.“ Mulder klapperten die Zähne aufeinander, als er daran dachte. „Mich ...
auseinander sägen. Sie wollten mich zersägen.“ Jake schüttelte es. „Sie haben Bones in ein
Becken mit Piranhas herunter gelassen ...“, stieß Booth mit vor Anstrengung zitternder
Stimme hervor. „Ich ... ich bin froh, dass sie das nicht mit erleben muss.“, fügte er leise hinzu.
Und ohne Ausnahme erwiderten die anderen Männer wie abgesprochen: „Ich auch.“
*****
Kate und die anderen Frauen hatten fassungslos den Stimmen der Männer gelauscht.
„Sie wissen es nicht. Sie wissen ...“ Dana versagte die Stimme. Die Agentin war am Ende.
Von ihrer kühlen Beherrschtheit war nichts mehr übrig. „Wenn meine Kollegen mich jetzt
sehen könnten ... Sie würden nicht glauben, dass ich es bin ... Ich habe noch nie ... Ich ... Er ist
alles, was ... Ich habe ihn schon einmal verloren, das ertrage ich nicht noch einmal ...“
204
Die Anderen
by Frauke Feind
Aufschluchzend schlug sie die Hände vor das bleiche Gesicht und weinte hemmungslos. „Wir
müssen einfach an Locke glauben. Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Er wird es
schaffen. Er hat es schon einmal geschafft. Er muss. Er muss es schaffen. Er muss. Er muss.
Er muss ...“ Kate wiederholte diese Worte wieder und wieder. „Er ist großartig. Er wird es
ganz sicher wieder schaffen, davon bin ich überzeugt.“ Heathers Stimme, vom Weinen ganz
zitterig, stieß diese Worte leise hervor. Sie klangen mehr wie ein Gebet als wie eine fest
stehende Tatsache, an die sie wirklich glaubte. Als wolle sie sich selbst davon überzeugen,
was sie hier aussprach. Alle vier Frauen hatten bereits Einblick in die Fähigkeiten Lockes
bekommen, aber sie waren trotzdem nicht überzeugt, dass er es wirklich gewesen war oder
einfach nur pures Glück gehabt hatte. Bones hatte keinen Ton von sich gegeben. Die
Anthropologin, die sonst ihren Mund nicht halten konnte, war vor Angst um Booth sprichwörtlich sprachlos. Sie saß auf dem Sofa, starrte zum Bildschirm hoch und klammerte sich
regelrecht an Kates Händen fest, dass es der jungen Frau fast wehtat. Plötzlich sagte sie leise
und wie zu sich selbst: „Ich habe es nie gemerkt. Wir arbeiten schon so lange zusammen. Er
hat mich immer wieder beschützt, so selbstverständlich, dass ich es nicht gemerkt habe. Er ist
immer da, wenn ich ihn brauche. Er hat mir immer geholfen. Er war ... sarkastisch und verärgert, wenn ich mich mit Männern verabredete. Ich habe nicht verstanden, warum er das war.
Ich habe es einfach nicht verstanden. Er liebt mich. Obwohl er mich kennt, liebt er mich.“ Sie
schaute Kate ins Gesicht. „Ich liebe ihn.“ Die Uhr auf dem Monitor zeigte 12.23.44
*****
Locke musste sich fangen. Er brauchte einige Minuten, um sich zu sammeln. Er setzte
sich im Schneidersitz auf den Boden, legte die Hände locker auf die Knie und schloss die
Augen. Er bemühte sich, das Drumherum auszublenden und atmete tief und ruhig ein und aus.
Leider hatte er es trotz intensiver Bemühungen noch nicht geschafft, seine Gedanken schnell
und gezielt in eine bestimmte Richtung zu lenken. Manchmal geschah es von ganz alleine,
aber unter Druck war es ihm bisher noch selten gelungen, sofort Verbindung zu dem Ziel
seiner Wünsche herzustellen. So ging es John auch jetzt. Er sah alles Mögliche vor seinem
geistigen Auge auftauchen, nur nicht das, was er so verzweifelt zu sehen erhoffte. Er sah
Kate, an die Wand gefesselt, verzweifelt schluchzen, er sah Gil, der mit Allison auf den
Armen aus dem Kerker rannte, er sah den Ayers Rock in der Abendsonne, seine Freunde bei
sich. Er wusste, er durfte nicht ungeduldig werden, er musste seinem Geist Gelegenheit
geben, sich zu sammeln. Ganz behutsam versuchte er, an Mulder zu denken, der vom ersten
Moment an von Johns Fähigkeiten fasziniert gewesen war. Der FBI Mann war ein guter An-
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Die Anderen
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satzpunkt. Die Minuten tropften dahin. Fünf waren bereits vergangen, aber das wusste Locke
in seinem jetzigen Zustand nicht.
*****
Der Wachmann hatte den kleinen Container, in dem die Schaltanlage untergebracht
war, verlassen und stand draußen bei seinen Kollegen. Die Männer unterhielten sich leise und
lästerten über die wehrlosen Gefangenen, die da in tödlicher Gefahr über dem Abgrund
baumelten. Diese spürten langsam, wie ihnen immer mehr das Blut in den Kopf lief. Es
hämmerte in ihren Köpfen und rauschte in ihren Ohren. Sie hingen schon recht lange mit dem
Kopf nach unten und ihre Herzen hatten in der für den Körper ungewohnten Haltung die
schwere Aufgabe, fünf bis sechs Liter Blut nach Möglichkeit vom tiefsten Punkt, in diesem
Falle dem Kopf, wegzupumpen. Ganz allmählich war die ungeheure Belastung, die diese
Aufgabe für die Herzen der Männer darstellte, zu merken. Immer wieder schüttelte der eine
oder andere der Vier kurz den Kopf, um diesen wieder klar zu bekommen. Auch die Augen
mussten sie immer wieder zusammen kneifen, um besser sehen zu können. Der Abgrund
unter ihnen verschwamm hin und wieder vor ihren Augen. Sawyer war schwindelig und er
hatte das Gefühl, sein Kopf machte sich bereit, zu platzen. Aus dem Augenwinkel sah er
einen der Wachposten langsam zu ihnen herüber geschlendert kommen. Er zuckte zusammen,
weil ihm Schweiß in sein linkes Augen lief und kniff dieses zusammen, als er das Brennen
spürte. Der Wachposten stand am Abgrund und grinste zu den Gefesselten hinüber. „Na, wie
hängt es sich so?“
Er erhielt keine Antwort, damit hatte er aber auch nicht wirklich gerechnet. Er lachte
gehässig. „Die Hälfte der Zeit ist um, Jungs. Euer medialer Kumpel sitzt gemütlich auf dem
Boden des Containers und versucht, euch euren Arsch zu retten. Einem von euch. Ach, und
irgendwie haben wir vorhin doch glatt vergessen zu erwähnen, dass eure Ladys zuhause am
Monitor diesem netten, kleinen Experiment beiwohnen.“ Er grinste, als er die fassungslosen
Gesichter der vier Männer sah. Seine gehässigen Worte trafen die Wehrlosen wie Schläge in
den Magen. Und dann passierten mehrere Dinge gleichzeitig. Die Wachposten lachten gemein
los. Die gefesselten Männer über dem Abgrund keuchten vor Wut und Fassungslosigkeit auf.
Mulder sprach aus, was alle dachten: „Ihr miesen Schweine.“ Im selben Moment wurde die
Containertür aufgerissen und Locke stürmte ins Freie. „Ihr müsst sie sofort rein holen.“,
schrie er geradezu panisch. „Schnell, holt sie zurück.“ Die Wachen waren herum gefahren, als
John aus der Tür gestürzt kam. Verständnislos sahen sie ihm entgegen, als er zu ihnen rannte
und schrie. Zwei der Wachleute stürzten sich sofort auf ihn und packten ihn an den Armen.
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„Was willst du? Wovon redest du eigentlich?“, wurde er angefahren. „Holt sie rein, bitte, ihr
müsst sie rein holen.“ Locke war in echter Panik. „Warum sollten wir das tun?“, fragte einer
der Wachen genervt. Auch die vier über der Schlucht baumelnden Männer sahen erschrocken
und verwirrt zu Locke hinüber. So aufgeregt hatten sie den Mithäftling noch nie erlebt. Was
hatte er denn bloß? Und die Antwort auf diese Frage erhielten sie alle postwendend. „Ihr
müsst sie rein holen, weil die Leiter gleich abbrechen wird.“
*****
Die Frauen vor dem Monitor hatten ihre Augen nicht von den Männern gelassen. Jede
war mit der Mimik ihres eigenen Partners so vertraut, dass sie sahen, dass die Männer Angst
hatten. Und nicht nur Angst, sie litten unter der äußerst unangenehmen Haltung. Dana hatte
sich gefangen und redete sich immer wieder ein, dass Locke Mulder schon einmal gerettet
und sie allen Grund hatte, dem medial begabten Mann zuzutrauen, das ein zweites Mal zu
schaffen. Sie saß auf dem Sofa und konnte die Augen nicht mehr von Mulder lassen. Wie ihre
Leidensgenossinnen hatte sie das eigenartige Gefühl, es Mulder schuldig zu sein, wenigstens
mit den Augen bei ihm zu bleiben. In Gedanken sagte sie immer wieder - Du musst es
schaffen, Locke, bring ihn mir wieder. Du schaffst es, ich bin sicher. - Leider war sie von
diesen Worten nicht annähernd so überzeugt, wie sie es gerne gewesen wäre. Auch Heather,
Kate und Tempe waren ruhiger geworden. Ob sie einfach das Gefühl hatten, Locke würde es
schaffen, oder ob sie vor Angst um die Männer, die sie so sehr liebten, einfach wie gelähmt
waren, hätten die Frauen selbst nicht sagen können. Sie behielten sowohl die vier Männer als
auch die Uhr im Auge und warteten, dass endlich etwas geschah. Doch kein Locke zeigte sich
an der Tür des Containers, der im Hintergrund zu erkennen war. Die Frauen sahen die
Wachen, die sich unterhielten, konnten die wenigen Worte, die ihre Männer von sich gaben,
hören, und bekamen dann mit, wie der Wachposten die Männer darüber aufklärte, dass die
Hälfte der Zeit herum war und dass sie, die Frauen, alles am Monitor verfolgen konnten. Und
sie bekamen mit schreckgeweiteten Augen mit, wie Locke plötzlich aus dem Container gestürzt kam und schrie: „Ihr müsst sie rein holen, weil die Leiter gleich abbrechen wird.“ Kate
zuckte entsetzt zusammen. „Was redet er da? Ich verstehe nicht ...“ Dana war ebenfalls wie
unter einem elektrischen Schlag zusammen gezuckt. „Wie, die Leiter wird abbrechen ... Ich
verstehe nicht ...“ Im selben Moment schrie Heather gellend auf. „Nein! Oh Gott, nein, bitte
nicht.“ Wie hypnotisiert starrte sie auf den Monitor.
*****
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Sawyer riss die Augen auf und starrte Locke entgeistert an. Und auch Mulder, Booth
und Jake starrten zu ihrem Mitgefangenen hinüber. „Was?“ „Was redest du da, Locke?“
Dieser bemühte sich hektisch, die Wachen von seinen Worten zu überzeugen. „Ihr müsst mir
einfach glauben. Die Leiter wird gleich anfangen, abzubrechen, bitte, holt doch ...“ Weiter
kam er nicht mehr, denn in diesem Moment ging ein leises Knacken durch das Metall der
Leiter und ein Ruck. Die vier Männer spürten dies genau und keiner von ihnen war in der
Lage, einen erschrockenen Laut zu unterdrücken. „Scheiße. Da hat was geknackt.“, stieß Jake
erschrocken hervor. Unwillkürlich waren die Männer zusammen gezuckt, was unmittelbar zu
einem weiteren Knacken und einem heftigeren Ruck in der Leiter führte. Und dann zeigte sich
ein Knick im rechten Holm der Leiter, etwa in der Mitte des ausgefahrenen Stückes, der unaufhaltsam größer wurde. „Verfluchter Mist.“ Die Wachleute, die Locke bisher fest gehalten
hatten, ließen diesen los und rannten zum Wagen hinüber, einer sprang in das Fahrerhaus und
warf den Motor an. Kaum setzte sich der Wagen in Bewegung, begann die Leiter zu
schwanken und der Knick wurde stärker. Entsetzt schrien Locke und die vier gefesselten
Männer auf. „Halt. Das geht nicht!“, brüllte auch einer der Wachleute. „Halt sofort wieder an.
Die Bewegungen sind zu viel.“ „Versucht es ganz langsam mit Schwenken.“, rief Locke
angsterfüllt. Die vier Männer in ihrer hilflosen Lage gerieten langsam auch in Panik. Immer
mehr verbog sich die Leiter und dann passierte es. Das Metall des Holmes riss ein, mehrere
Zentimeter tief.
Durch den entstehenden Ruck kamen die Vier natürlich in Bewegung und Locke rief
ihnen bestürzt zu: „Ihr müsst ganz still hängen. Um Gottes Willen, bewegt euch nicht!“ Das
war natürlich angesichts ihrer hoffnungslosen Lage leichter gesagt als getan. Sie wagten kaum
zu atmen, konnten aber nicht verhindern, dass ein panisches Zittern sie erfasste. Sie waren ja
auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, dass den Wachen und Locke etwas einfallen
würde, um sie zu retten. Wieder gab es einen Ruck und erneut sackte das Leiterende ein Stück
tiefer. „Oh, Gott.“, stieß Jake hervor. Einige der Wachen waren zu einem entfernt erkennbaren kleinen Schuppen gerannt und kamen mit Seilen zurück. „Wie sollen wir denn bitte die
Seile befestigt bekommen? Wie stellst du dir das vor?“, fuhr einer der Wachen auf. „Was
weiß denn ich. Mach doch einen besseren Vorschlag.“, fauchte eine andere Wache gestresst
zurück. Ein weiterer Posten saß auf dem LKW und bediente den Schwenkhebel, versuchte,
ganz langsam die ausgefahrene Leiter in Richtung festen Boden zu schwingen. Die vier daran
hängenden Männer bemühten sich verzweifelt, vollkommen ruhig zu bleiben. Jedes Mal,
wenn es einen leichten Ruck gab, hielten sie entsetzt die Luft an und kniffen unwillkürlich die
Augen zusammen. Ungefähr die Hälfte der Strecke war geschafft, Booth, der ja am dichtesten
zur Kante hing, wagte ein schwaches Aufatmen. Vielleicht schafften sie es ... Und genau in
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diesem Moment, als er gerade so etwas wie Hoffnung verspürte, geschah es. Ein ziemlich
lautes Knacken und dann ein heftiger Ruck. Die Leiter brach am rechten Holm endgültig an
der Knickstelle auseinander und bog durch. Ein mehrstimmiger, entsetzter Aufschrei ertönte,
nicht nur aus der Tiefe.
*****
Die vier Frauen starrten vollkommen entsetzt auf den Monitor, wo Locke und die
Wachen mehr oder weniger hilflos zusehen mussten, wie der Knick in der Leiter immer
stärker wurde. Sie konnten die nackte Angst in den Augen ihrer Männer sehen und allen vier
Frauen liefen unaufhaltsam Tränen über die Wangen. Bones Hand klammerte sich so fest an
Kates Arm, dass diese schließlich ein: „Au ... Du tust mir weh.“, nicht mehr unterdrücken
konnte. Auf dem Bild vor ihnen schwang die Leiter Zentimeter für Zentimeter auf die
Schluchtkante zu. Ganz, ganz vorsichtig fassten die Frauen etwas Hoffnung. Als Booth, der ja
am dichtesten innen hing, nur noch höchstens einen Meter von der sicheren Kante entfernt
war, passierte es. Mit einem lauten, metallischen Knacken und Reißen brach die Leiter endgültig an der Knickstelle auseinander und bog sich durch. Vor den in nacktem Grauen aufgerissenen Augen der vier Frauen verschwanden die Männer in der Tiefe ...
*****
Alle Wachen und auch Locke stürzten zur Schluchtkante. Entsetzt starrten sie in die
Tiefe. Da unten hingen die vier Männer, sie waren heftig zusammen geprallt und dann gegen
die felsige Schluchtwand gekracht. Booth hatte das Meiste ab bekommen, Jake, Sawyer und
Mulder waren gegen ihn geschwungen und hatten ihn noch zusätzlich gegen die Wand gedrückt. Er war mit dem Hinterkopf gegen den Felsen geprallt und hatte augenblicklich das
Bewusstsein verloren. Aus einer Platzwunde an seinem Hinterkopf lief Blut. Jake hatte nur
unwesentlich mehr Glück gehabt. Sein Aufprall auf die Felswand war nur geringfügig durch
Booth’ Körper gebremst worden. Er war mit der Stirn gegen den Fels geprallt und blutete
ebenfalls heftig aus einer Platzwunde oberhalb des rechten Auges. Er stöhnte vor Schmerzen,
zuckte noch einmal und hing dann auch still. Sawyer und Mulder war der direkte Aufprall auf
die Felswand zwar erspart geblieben, aber dafür hatte Sawyer Jakes Hinterkopf fast direkt in
den Solarplexus bekommen und jappte verzweifelt nach Luft, während gleichzeitig ein betäubender Schmerz durch seine linke Körperseite raste. Sein eigener Kopf hatte Mulder
schmerzhaft in Höhe der unteren Rippen getroffen, auf der linken Seite, und Mulder hatte das
Gefühl, sich dort mindestens drei, vier Rippen durch den harten Aufprall gebrochen zu haben.
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Er war der einzige der vier Männer, der noch halbwegs bei Bewusstsein war. Sawyer
dümpelte ebenfalls am Rande der Bewusstlosigkeit dahin. Er bekam nicht mehr mit, dass die
Leiter mit ihnen daran immer weiter sackte. Mulder dafür umso deutlicher. „Um Himmels
Willen, holt uns doch rauf.“, schrie er verzweifelt.
Locke war der Erste, der in die Tiefe sehen konnte. Mit einem Blick erfasste er sie
Situation. Er griff nach einem Seil, schlang es sich um die Taille und griff nach einen
weiteren Seil. Er warf das Seilende den Wachen zu. „Haltet mich fest.“, bat er und ohne
Antwort abzuwarten stieg er auf die Leiter hinaus, bis er die Abrissstelle erreicht hatte. Sehr
vorsichtig ließ er sich auf den Bauch nieder und lag nun auf den Sprossen. Dann streckte er
sich und begann, das zweite Seil um die Sprossen des abgebrochenen Leiterteiles zu binden.
Er verband so den festen mit dem losen Teil und schlang das Seil vorsichtig, heftige Bewegungen vermeidend, wieder und wieder um die Sprossen, um eine Verbindung zu erhalten,
die das Gewicht der vier Männer aushalten würde. Dabei sprach er Mulder an. „Mulder?
Hörst du mich? Wir holen euch hoch, verlass dich darauf. Bist du verletzt?“ Während er mit
Mulder redete, knotete Locke das Ende des Seiles mit geübten Griffen zu einem sicheren
Knoten zusammen. Schmerzverzerrt kam Mulders Stimme von unten hoch. „Ich hab mir ...
ein paar Rippen gebrochen. Booth und Jake hat es ... aaah ... hat es ziemlich erwischt, fürchte
ich. Sawyer? Sawyer.“ Von dem Südstaatler war ebenfalls nichts mehr zu hören und Mulder
schüttelte mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf. „Sieht nicht gut aus. Am besten, ihr beeilt euch ...“ Er musste plötzlich trocken Husten, was ihm Tränen des Schmerzes in die Augen
trieb. Und dann schmeckte Mulder einen leicht metallischen Geschmack auf der Zunge.
„Locke ... Irgendwas stimmt nicht ... Ich kann nicht atmen ... und huste Blut ...“ Dem FBI
Agent wurde schwindelig und dann glitt er ebenfalls in die Dunkelheit der Ohnmacht...
Locke schüttelte entsetzt den Kopf. „Wir müssen sie schnellstens hoch schaffen. Sie
sind alle verletzt.“ Einer der Wachposten fragte: „Wie wollen wir es am besten machen,
gerade oder besser weiter seitlich schwingen?“ Locke sah zurück und sagte dann: „Wir
müssen versuchen, die Leiter langsam aufzurichten und dann weiter zu schwingen, ich
glaube, so könnte es am besten gehen.“ Er bewegte sich rückwärts wieder von der Leiter
herunter und stand schließlich bei den Wachen auf dem festen Boden. Der Posten, der am
Schalthebel der Leiter stand, begann bedächtig, die Leiter Stück für Stück aufzurichten. Durch
das Seil, das Locke über die Bruchstelle geschlungen hatte, war der abgebrochene Teil verhältnismäßig sicher mit dem Rest verbunden. Durch das langsame Aufrichten der Leiter
drückten die Männer nicht mehr gegen die Felswand und schließlich schwangen Mulder und
Sawyer wieder frei, gleich darauf auch Jake und endlich war auch Booth wieder von der
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Felswand weg. Reglos, wie tot, hingen alle vier Männer in ihren Fesseln. Jetzt waren sie frei
genug, um die Leiter auf den festen Boden zu schwingen. Und zusammen mit drei der Wachleute trat Locke dicht an die Kante heran und konnte schließlich unendlich erleichtert Booth
an den Schultern greifen und festhalten. Minuten später waren auch Jake, Sawyer und schließlich Mulder in Sicherheit. Vorsichtig senkte der Mann auf dem Wagen die Leiter wieder ab,
sodass die Verletzten sanft auf den Boden gelegt werden konnten. Hastig befreite man sie von
den Beinmanschetten und machte ihre Arme los, damit sie vernünftig liegen konnten. „Wir
müssen sie schnellstens zurück schaffen, besonders 15. Packt mit an, wir müssen sie in den
Wagen schaffen. Für 15 brauchen wir was zum Tragen, schnell.“ Sawyer, Booth und Jake
wurden unter den Armen und an den Beinen gepackt und zum Transporter geschafft. Man
legte sie vorsichtig auf die Ladefläche. Für Mulder war eine Trage gebracht worden, auf die er
sehr vorsichtig gehoben wurde. Dann wurde er schnell ebenfalls zum Transporter geschleppt
und Locke stieg als letzter auf die Ladefläche. Er setzte sich auf den Boden zu Mulder und
sah diesen besorgt an. Viel zu flach ging der Atem des FBI Beamten und ein feiner Blutfaden
lief ihm aus dem linken Mundwinkel.
*****
Kate schrie gellend auf, genau wie Bones, Heather und Dana neben ihr. Als die Frauen
sahen, wie die Leiter abbrach, hatten sie alle vier das Gefühl, in ihnen würde ebenfalls etwas
zerbrechen. Dann aber keuchte Bones: „Sie ist nicht ganz abgerissen. Sie sind nicht ganz abgestürzt.“ Die nächsten zehn Minuten wurden für die verzweifelten Frauen zu einer einzigen
Qual. Sie standen vor dem Monitor, auf dem Sofa hatte sie nichts mehr gehalten, und starrten
wie hypnotisiert auf die Bilder, die sie zu sehen bekamen. Sie hörten wie durch Watte, dass
alle vier Männer verletzt waren, konnten Mulders letzte Worte hören und Heather legte der
verzweifelt aufschluchzenden Dana den Arm um die Schultern. Und endlich, endlich lagen
alle vier Männer, wenn auch reglos, auf dem sicheren, festen Boden. Die Frauen konnten
noch verfolgen, wie die Verletzten in den Transporter geschafft wurden, dann wurde der
Monitor abgeschaltet. Und einmal mehr waren sie im Unklaren darüber, was mit ihren
Liebsten gerade geschah. Heather begann, unruhig im Zimmer auf und ab zu laufen, Kate
sank einfach, wo sie stand, auf den Boden und schluchzte leise vor sich hin, Dana und Bones
standen wie erstarrt vor dem Bildschirm, als könnten sie diesem Kraft ihrer Gedanken weitere
Bilder entlocken. Die Minuten zogen sich zäh dahin. Keiner kam, um sie zu holen, um sie zu
unterrichten, was mit den Männern war, oder einfach nur, um sie in ihre Zimmer zurück zu
bringen. Irgendwann, Kate hatte das Gefühl, es wären Tage vergangen, seit dem Unfall, hielt
sie es nicht mehr aus. Sie sprang auf die Füße und eilte zur Tür, fing verzweifelt an, dagegen
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Die Anderen
by Frauke Feind
zu hämmern und schrie vollkommen aufgelöst: „Lasst mich endlich zu ihm, ihr Mistkerle. Ich
will zu ihm.“ Zitternd und bebend sank sie auf die Knie und schluchzte zum Steinerweichen.
Intensivstation
Liebe mag das Höchste der Gefühle sein, Verzweiflung das Tiefste.
Erhard Blanck
Sawyer spürte unterbewusst, dass der Boden, auf dem er lag, rüttelte. Mühsam versuchte er, die Augen zu öffnen, was ihm nur unter Anstrengung gelang. Seine linke Bauchseite tat erbärmlich weh und er stöhnte gequält auf. Die Schmerzen strahlten bis in die linke
Schulter. Erneut stöhnte Sawyer auf. Das war nicht normal. Verschwommen erkannte er
Locke, der bei ihm auf dem Boden hockte. Er wollte ihn fragen, was los war, bekam aber
keinen Ton heraus. Und dann fuhr der Wagen über ein Hindernis am Boden und ein derartiger
Schmerz zuckte durch Sawyers Bauchhöhle, dass er nur noch leise aufseufzte und dann
wieder die Besinnung verlor. Locke hatte besorgt beobachtet, wie der junge Mann zu sich
gekommen war. Allerdings nur für sehr kurze Zeit, dann war er wieder in die Besinnungslosigkeit zurückgeglitten, was angesichts des Schmerzes, den Locke in seinen Augen gesehen
hatte, wohl auch besser war. Endlich stoppte der Wagen und Locke wartete, dass die Türen
sich öffneten. Vier Rollbahren standen bereit und die Männer wurden sehr vorsichtig auf die
Bahren gehoben. Locke durfte ungefesselt nebenher laufen. Im Eiltempo ging es aus der Tiefgarage ins Gebäude hinein. Im Fahrstuhlbereich wurden Mulder und Jake in den linken,
Booth und Sawyer in den rechten Fahrstuhl geschoben und dann ging es mehrere Etagen aufwärts. Locke war sich sicher, hier oben war er noch nie gewesen. Diese Etage hatte ganz eindeutig Krankenhauscharakter. Die Wachen schoben die vier besinnungslosen Männer durch
eine große Schwingflügeltür und Locke erkannte, dass sie sich ganz eindeutig in einem
richtigen Notaufnahmeraum befanden, wie ihn jedes Krankenhaus hatte. Hier nun wurde er
aufgefordert, draußen zu bleiben. Widerwillig verließ er den Raum. Ein Wachposten nahm
ihn in Empfang und wenige Minuten später bereits stand er in dem Zimmer, dass er sich mit
Gibbs teilte.
*****
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Die Anderen
by Frauke Feind
House und Allison waren gerade dabei, ein Dossier zusammen zu stellen, eine Aufgabe, die sie aufgetragen bekommen hatten, als eine Wache in den Raum geeilt kam. „Auf
geht’s, ihr werdet mal wieder gebraucht, da ist was passiert.“ Der Wachposten deutete House
und Cameron an, ihm zu folgen. Eben noch in recht guter Stimmung, sank den Beiden das
Herz in die Hose. Was war denn nun wieder los? Sie hatten fest damit gerechnet, dass die
Zeiten der brutalen Tests vorüber waren. Hastig eilten sie der Wache zum Fahrstuhl hinterher.
Und dann ging es sehr weit nach oben. Auch Allison und House waren ziemlich sicher, hier
oben noch nicht gewesen zu sein. Sie wurden in eine Umkleideschleuse gebracht und man
befahl ihnen, sich für einen Notfall vorzubereiten. „Oh, Gott, was ist denn passiert?“, fragte
Allison, während sie in OP Kleidung schlüpfte. „Es gab während eines Tests einen Unfall. 3
und 15 scheinen schwer verletzt, 1 und 2 nicht ganz so schlimm.“ House stockte der Atem.
„Schwer verletzt, so wie ... schwer verletzt?“ Die Wache nickte nur. Jetzt sehr eilig machten
House und Allison sich fertig, schlüpften in die OP Kleidung, schrubbten sich die Hände,
desinfizierten sie und eilten dann in den Notaufnahmeraum, sich Handschuhe überstreifend.
Und erschraken heftig, als sie die vier Bahren mit den reglosen Männern sahen.
Ein flüchtiger, erster Blick zeigte deutlich, dass Booth und Jake aus tiefen Platzwunden am Kopf heftig bluteten, beziehungsweise geblutet hatten. Mulder lief ein feiner
Blutfaden aus dem Mundwinkel, was auf eine Lungenverletzung hindeutete. Er atmete flach,
pfeifend und schnell. Sawyer war besinnungslos, an ihm waren keine äußerlichen Verletzungen zu erkennen. Nur eine Wache stand im Raum und erklärte: „Sie sind heftig zusammen geprallt. Sie hingen kopfüber und ...“ „Wie, sie hingen kopfüber? Wir brauchen
genaue Angaben.“, fuhr House auf. „Es war ein Test für Nummer 12. Wir haben die Vier
Kopf nach unten an eine ausfahrbare Leiter gehängt, nebeneinander. Dann wurden sie über
eine Schlucht geschwenkt. 12 sollte herausfinden, welcher der Vier mittels eines Mechanismus in die Schlucht stürzen würde und hatte die Aufgabe, dies zu verhindern. Dann brach die
Leiter, an der die Probanden hingen, in sich zusammen und sie wurden gegeneinander und
gegen die Schluchtwand geschleudert. 15 war ganz außen, dann 3, 2 und 1 war der Wand am
Nächsten. 7 wird jeden Moment hier sein und euch helfen.“ Damit ließ die Wache Allison
und House bei den Verletzten stehen. Und in dem Moment wurde die Schwingtür erneut aufgerissen und eine panische Dana stürmte in den Raum. „Wie geht es ihm? Was ist mit ihm?
Sagt doch ...“ Sie stürzte zu Mulder und erstarrte. „Oh, Gott ...“ House schüttelte den Kopf.
Die Agentin würde sicher eine große Hilfe sein. „Wir sind auch gerade erst hier, Dana. Der
Wachposten hat uns erklärt, was passiert ist. Du musst dich beruhigen, sonst kannst du nicht
helfen. Also, folgendes ist ...“ „Ich weiß, was los war. Wir hatten wieder einmal das Vergnügen, am Bildschirm Zeugen zu werden ...“
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Die Anderen
by Frauke Feind
Die Agentin zwang sich, sich zu beruhigen. Und es klappte. Einmal mehr griff ihr
Abwehrmechanismus für Stresssituationen. Es war nicht das erste Mal, dass sie Mulder in
lebensbedrohlichem Zustand sah. Tief atmete Dana ein und spürte, wie ihre Professionalität
Oberhand über ihre Panik gewann. House hatte begonnen, Booth und Jake zu untersuchen.
Die Beiden hatten wirklich heftige Platzwunden, Booth am Hinterkopf, Jake rechts an der
Stirn, knapp unter dem Haaransatz. Greg bat Dana: „Siehst du dich im Stande, die Beiden zu
Nähen?“ Dana nickte. „Ja, selbstverständlich.“ Sie atmete noch einmal tief durch, dann begann sie, sich um Booth zu kümmern. House beobachtete sie kurz, dann aber wandte er sich
beruhigt Mulder zu. Allison kümmerte sich derweil um Sawyer. „Ich kann keine äußeren Verletzungen feststellen. Erst mal Mulder, das scheint mir wichtiger.“ Sie eilte an die Bahre mit
Mulder und half dort House, diesen zu untersuchen. Dafür schnitten sie erst einmal das TShirt auf und zogen es vorsichtig unter Mulder heraus. Das Gleiche hatte Dana bereits bei
Booth und Jake gemacht. Gemeinsam tasteten sie Mulder nun ab und Allison war es, die
schnell auf mindestens zwei gebrochene Rippen stieß. „Das sieht nicht gut aus. CT?“, fragte
Cameron und sah sich um. Tatsächlich stand auf einer Tür am anderen Ende des Raumes CT /
MRT / Röntgen und ohne noch zu Zögern schob Allison mit Mulder in Richtung der Tür ab.
House folgte ihr, half der Ärztin, Mulder auf den CT Tisch umzubetten und eilte dann zu
Sawyer zurück, um nicht zu verpassen, falls der junge Mann aufwachte. Allison setzte den CT
in Betrieb und stellte ihn so ein, dass nur von Mulders Thorax Aufnahmen gemacht wurden.
zwanzig Minuten später hatte sie die Bilder in der Hand und konnte klar erkennen, dass drei
Rippen gebrochen waren und eine der Rippen sich in Mulders linken Lungenflügel gebohrt
und diesen perforiert hatte. Dadurch war Luft aus der Lunge in den so genannten Pleuraspalt
eingedrungen und es war linksseitig zu einem Pneumothorax gekommen.
Als Pleura wurden zwei feine Hautschichten bezeichnet, die aus Lungen- und Rippenfell bestanden und der feine Spalt zwischen den beiden Hautschichten war der so genannte
Pleuraspalt. Dieser feine, mit einer schmiermittelähnlichen Flüssigkeit gefüllte Spalt trennte
die beiden Hautschichten. Bei einer Verletzung, wie Mulder sie durch die gebrochene Rippe
davon getragen hatte, kam es zu einem Pneumothorax, einem Kollaps eines oder im
schlimmsten Fall beider Lungenflügel. Durch die Punktion des Lungenflügels mit der gebrochenen Rippe war Luft in den Pleuraspalt eingedrungen und hatte den dort herrschenden
Unterdruck aufgehoben. Dadurch konnte Mulders Lunge nicht mehr den normalen Atembewegungen folgen und war in ihrer Ausdehnung behindert. Er konnte nicht mehr genug
Atmen und der linke Lungenflügel war kollabiert. Wäre er bei Besinnung gewesen, hätte er
stechende Schmerzen in der Brust gehabt. Allison rief nach House und zusammen hoben sie
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Die Anderen
by Frauke Feind
Mulder äußerst vorsichtig auf die Bahre zurück. Dann schoben sie ihn in den Notaufnahmeraum zurück, wo sie ihn auf den kleinen Untersuchungstisch legten. Dana war mit der Erstversorgung bei Booth und Jake fertig und eilte zu House und Allison hinüber.
„Pneumothorax?“, fragte sie nur. Allison nickte knapp. „Wir müssen ihn sofort operieren. Er
braucht eine Pleurasaugdrainage und die Rippe muss gerichtet werden.“
House hatte schon alles bereit gelegt, was sie für den kleinen Eingriff brauchten.
Mulder war, wie ein Stich mit einer Nadel in seine Bauchdecke zeigte, in einer so tiefen
Ohnmacht, dass er nicht einmal zuckte. Um seinen Organismus zu schonen entschied House,
dass sie den kleinen Eingriff ohne Narkose durchführen würden. Mulder würde es kaum
spüren. So desinfizierte House die Haut über der gebrochenen Rippe schnell und gründlich,
deckte Mulder mit sterilen OP Tüchern ab und mit Hilfe der beiden Ärztinnen führte er den
kleinen Eingriff durch. Er machte einen Hauteinschnitt über der Bruchstelle. Während Allison
den kleinen Schnitt spreizte und Dana Blut weg tupfte, zog House die gebrochene Rippe vorsichtig aus dem Lungengewebe und richtete sie gerade. Dabei stöhnte Mulder kurz vor
Schmerzen auf und seine Hände zuckten in einer unwillkürlichen Abwehrbewegung. Dana
und Allison reagierten blitzschnell und hielten die Hände solange fest, bis House mit dem
Richten der Rippe fertig war. Dann vernähte er das kleine Loch in der Lunge, was Mulder
keinerlei Unbehagen verursachen konnte, da Lungengewebe schmerzunempfindlich war.
Schließlich legte er die Saugdrainage, einen dünnen Schlauch, durch den mittels eines
kontinuierlichen Soges über eine kleine Saugpumpe die Luft aus dem Pleuraspalt gesaugt
wurde. So wurde gewährleistet, dass der Unterdruck dort wieder einsetzte und der Lungenflügel sich wieder voll ausdehnen konnte. Dies wurde mittels Ultraschall genau überwacht.
Die Saugdrainage verblieb zur Sicherheit vierundzwanzig Stunden an Ort und Stelle. House
schloss die Wunde, sicherte die Drainage, die an Mulders linker Seite in Höhe des vierten
Rippenbogens aus seinem Körper ragte und dann bekam Dana den Auftrag, am Ultraschall zu
überwachen, ob der kollabierte Lungenflügel sich wieder zur Gänze ausdehnte. Die weitere
Versorgung überließ er Allison und Dana. Jake und Booth waren vorerst soweit versorgt,
sobald sie wussten, was mit Sawyer war, würden sie auch die beiden Männer zum CT
schaffen, um zu überprüfen, ob es keine Schädelbrüche gegeben hatte. Aber erst mal musste
sichergestellt werden, was mit Sawyer war.
Und als wäre das sein Stichwort, wachte dieser in dem Moment auf. Vollkommen
orientierungslos flackerte sein Blick hin und her. Er hatte unerträgliche Schmerzen im Oberbauch und keuchte gequält auf. Sein ganzer Körper war von kaltem Schweiß überzogen, was
House aufs Äußerste besorgt sein ließ. „Sawyer. Du musst mir unbedingt sagen, wo du
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Die Anderen
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Schmerzen hast. Komm schon, mein Junge, nicht gleich wieder weg driften, okay. Wo tut es
dir weh?“ Sawyer verzog vor Schmerzen das Gesicht. Er atmete schnell und gepresst. Seine
Linke presste sich in Höhe der Niere auf seine linke Seite und er ächzte zähneklappernd unter
Schmerzen: „Linke ... Seite ... ganze Bauch ... bis in die Schulter ... Mir ist so ... kalt ...“ Und
das war es auch schon wieder. Sawyer glitt zurück in die Besinnungslosigkeit. House hatte
genau zu gehört. Er schnitt auch dem Südstaatler das T-Shirt auf und entfernte es. Nun tastete
er Sawyers Abdomen ab und stellte linksseitig im Bauchraum starke Abwehspannungen15
fest. Er seufzte. „Das sieht nach Milz- oder Leberruptur aus. Ab in den CT, und zwar ganz
schnell.“ Mit Allisons Hilfe wurde nun Sawyer in den CT Raum geschafft. Weitere zwanzig
Minuten später stand fest, dass er einen Milzriss mit starker Einblutung in den Bauchraum
hatte. Erneut mussten die drei Ärzte sich auf eine Notoperation vorbereiten. Diesmal aber
musste eine Vollnarkose gemacht werden. Dana übernahm die Sauerstoffversorgung. Sie
drückte Sawyer, den sie zusammen vorsichtig auf den kleinen OP Tisch gehievt hatten, eine
Sauerstoffmaske über Mund und Nase. Allison legte ihm indessen eine Venenverweilkanüle
in den Handrücken der rechten Hand. House hatte eine Spritze mit Narkosemittel vorbereitet.
Langsam spritzte er Sawyer ein kombiniertes Schlaf- und
Schmerzmittel, Propofol und
Remifentanil, über die Kanüle in die Vene. Allison hatte bereits Tubus und Beatmungsgerät
zu Recht gelegt.
Als nach Einsetzen der Narkosewirkung Sawyers Spontanatmung langsam stoppte,
legte Allison ihm vorsichtig den Tubus, während Dana und House Sawyers Körper mit
sterilen Tüchern abdeckten und den Operationsbereich großzügig desinfizierten. Nachdem
Allison die sichere Lage des Tubus noch einmal überprüft hatte, schloss sie das Beatmungsgerät an und Sawyer war nun tief narkotisiert und wurde künstlich beatmet. Schnell legte
Allison die Elektroden für die EKG Überwachung und stülpte Sawyer den Pulsoxy16 über den
rechten Zeigefinger. Dann begann der eigentliche Eingriff. Dana zog sanft Sawyers linken
Arm über dessen Körper und fixierte ihn mit Hilfe eines Stückes Binde in dieser Haltung an
dem OP Tisch. Nun öffnete House Sawyers Bauchraum durch einen Schnitt im linken, oberen
Bereich und sah sofort große Mengen Blut, die durch den Milzriss hier eingedrungen waren
15
Abwehrspannung ist ein Fachbegriff aus der Medizin. Man bezeichnet damit die unwillkürliche starke Anspannung der
Bauchmuskulatur bei einem starken, plötzlich einsetzenden und dann anhaltendem Bauchfellreiz. Meist liegt dem Bauchfellreiz
eine Perforation, das heißt ein Durchbruch eines Hohlorganes in die freie Bauchhöhle, zugrunde.
16
Pulsoxymeter: Die Pulsoxymetrie ist ein Verfahren zur nicht invasiven Ermittlung der arteriellen Sauerstoffsättigung über die
Messung der Lichtabsorption bzw. der Lichtremission bei Durchleuchtung der Haut. Die Messung erfolgt mit einem Sättigungsaufnehmer (Clip oder Klebesensor) an einem leicht zugänglichen Körperteil, vorzugsweise an einem Finger. Die so ermittelte
Sauerstoffsättigung wird als partielle Sauerstoffsättigung bezeichnet.
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Die Anderen
by Frauke Feind
und die ihm entgegen quollen. Während Dana die Operationswunde vorsichtig spreizte,
reinigte Allison Sawyers Bauchhöhle gründlich von ausgetretenem, zum Teil schon geronnenem Blut und House nahm indessen die Splenektomie vor, das heißt, er entfernte die
Milz komplett. Er trennte dafür die Bandgewebe, die die Milz mit Darm, Zwerchfell und
Magen verbanden, durch und durchtrennte auch die großen Blutgefäße. Allison klemmte
diese sofort ab und vernähte sie, damit nicht noch mehr Blutungen entstanden. Jetzt konnte
House die verletzte Milz aus ihrer Kapsel nehmen und kontrollierte, ob die umgebenden
Lymphknoten in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Das waren sie zum Glück nicht. So
vernähte House die letzten Gefäße und schließlich konnte Sawyer wieder zu gemacht werden,
was Allison alleine übernahm. Und endlich konnten Dana und House auch Jake und Booth
zum Röntgen schaffen. Bei den beiden Männern nahmen sie sicherheitshalber ein MRT vor.
Booth hatte außer der Platzwunde unglaublicher Weise nicht einmal Haarrisse in der Schädeldecke davon getragen, bei Jake jedoch stellten sie ein deutliches, epidurales Hämatom fest.
„Verdammt, was soll denn der Scheiß?“, fluchte House los. Das war doch nicht zu fassen.
Vor drei Stunden war die Welt noch in Ordnung gewesen und nun lagen drei von ihnen hier
mit lebensgefährlichen Verletzungen und sie konnten zusehen, wie sie die drei wieder zusammen flickten.
Es nützte nichts, auch Jake musste operiert werden. Dana übernahm abermals die Beatmung. Sie legte Jake sanft die Atemmaske über Mund und Nase und Allison legte auch ihm
eine Kanüle in die Vene. Dann bekam er das gleiche Mittel wie Sawyer injiziert. Erstaunlich
schnell setzte bei ihm die Narkosewirkung ein und Dana legte dem jungen Mann ebenfalls
einen Tubus. Sie überprüfte die Lage und schloss dann das zweite Beatmungsgerät an. Auch
Jake wurde nun künstlich beatmet. EKG und Pulsoxy wurden auch ihm angelegt. Sie
schnallten Jakes Kopf sicher am OP Tisch fest, nicht, dass er aus einer unkontrollierten
Zuckung oder ähnlichem im falschesten Moment den Kopf bewegte. Dann nahm House die
dritte OP des Tages vor. Mit einem Bohrer wurde ein kleines Loch in Jakes Schädel direkt
über dem Hämatom gebohrt und dann führte House einen feinen Schlauch ein, mit dessen
Hilfe nun die Einblutung gezielt abgesaugt wurde. Der Eingriff wurde über einen kleinen
Bildschirm genau kontrolliert. Mit Hilfe des Schlauches spülte der Arzt ein Medikament in
die kleine Wunde, um schon geronnenes Blut aufzuweichen und so auch absaugen zu können.
Endlich war House zufrieden und zog den Schlauch sehr vorsichtig zurück. Die kleine Wunde
wurde versorgt, dann seufzten die drei Ärzte erleichtert auf. „So, und wie geht es weiter?
Eigentlich müssten sie alle, auch Booth, der wenigstens für eine Nacht, zur engmaschigen
Überwachung auf die Intensiv.“ House sah sich um und entdeckte eine Kamera. „Hey, wir
sind hier fertig, wie soll es weiter gehen?“ Kaum eine Minute später kam ein Wachposten
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Die Anderen
by Frauke Feind
herein und erklärte: „Wir haben hier eine kleine Intensivstation, dort werden wir die Vier hin
bringen und dort könnt ihr sie intensivmedizinisch betreuen.“
Keine zehn Minuten später lagen alle vier Verletzten gesäubert in den sauberen Betten
einer kleinen, aber ultramodernen Intensivstation. Mulder, Jake und Sawyer wurden an die
Volumenzufuhr angeschlossen. Außerdem wurden die Infusionspumpen17 für die Medikamentengabe angeschlossen. Sawyer und Jake wurden weiterhin künstlich beatmet, die
Narkose aufrechterhalten. Jetzt bekamen auch Booth und Mulder Pulsoxymeter auf die Zeigefinger der linken Hand gesteckt, um die arterielle Sauerstoffsättigung in ihrem Blut noninvasiv rund um die Uhr zu überwachen, was besonders bei Mulder wichtig war. Sie wurden
nun von Dana, Allison und House an die Geräte zur engmaschigen Überwachung ihrer Vitalparameter angeschlossen. Herzfrequenz, Blutdruck, Temperatur, Puls, Atemfrequenz wurde
jetzt überwacht, EKG Kabel wurden angelegt und schließlich waren alle vier so gut versorgt,
wie es nur ging. Endlich kam Dana dazu, sich ganz um Mulder zu kümmern. Sie überprüfte
mit dem Ultraschallgerät erneut, ob dessen Lungenflügel sich vernünftig ausdehnte, aber da
schien alles in Ordnung zu sein. House und Allison zogen sich zurück, um sich zu reinigen
und umzuziehen. Und dann ging plötzlich eine Tür am anderen Ende der kleinen Intensivstation auf und Kate, Heather und Bones stolperten herein, wankten mehr, als dass sie gingen,
zu den Betten mit den jeweiligen Partnern und standen dann starr und erschlagen an den
Seiten ihrer Männer. Bones war einfach nur unermesslich glücklich, dass Booth weiter nichts
geschehen war. Dana hatte sich einen Stuhl heran gezogen und saß neben Mulder, der wieder
ruhig, gleichmäßig und vor allem tief atmete. Sie überprüfte den Drainageschlauch und sah
Mulder in das blasse Gesicht. „Ich liebe dich ...“, flüsterte sie und Tränen liefen ihr über die
Wangen. Sie hatte nicht einmal registriert, dass die Leidensgenossinnen herein gekommen
waren.
Kate stand zitternd und schluchzend an Sawyers Bett. Sein Anblick hatte sie getroffen
wie ein Schlag in den Magen. Aus panisch aufgerissenen Augen starrte sie ihn an, sah den
Beatmungsschlauch in seinem Mund, die Schläuche, Kabel, piepsenden Geräte, die Monitore,
die Pulsschlag, Herzfrequenz und Blutdruck anzeigten und schluchzte leise vor sich hin. Sie
wagte es nicht einmal, ihn zu berühren. Den Verband an seinem Bauch konnte sie nicht sehen,
17
Infusionspumpen: Infusionstechnik ist ein Teilbereich der Medizintechnik. Unter Infusionstechnik versteht man apparative
Techniken, die dazu bestimmt sind Flüssigkeiten in den menschlichen Körper zu applizieren. Man unterscheidet Infusionspumpen
und Spritzenpumpen. Infusionspumpen fördern die zu applizierenden Flüssigkeiten aus einem Vorratsbehältniss über eine Rollenpumpe oder eine Peristaltik, damit der Transport der Flüssigkeit in einem geschlossenem System stattfindet, um Verunreinigungen während der Infusion zu vermeiden.
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Die Anderen
by Frauke Feind
da der junge Mann natürlich zugedeckt war. So hatte sie keine Ahnung, was eigentlich mit
ihm war. Ähnlich ging es auch Heather ein Bett weiter. Zwar sah sie den Verband an Jakes
Stirn, aber warum er an das Beatmungsgerät angeschlossen war und an all die anderen Geräte,
konnte sie nicht raten. Es ging der jungen Frau wie Kate: Sie wagte nicht, die Hand auszustrecken und Jake zu berühren. Wie gelähmt stand sie an dem Bett und schaute weinend auf
den jungen Mann herunter. Hilfe suchend sah Kate sich in diesem Moment um. Dana saß an
Mulders Bett, sie war sich überhaupt nicht bewusst, dass es noch andere Anwesende im Raum
gab. Und Bones war in Booth versunken, sie hatte im Moment auch kein Auge für die Nöte
der anderen beiden Frauen. Unendlich verzweifelt wandte Kate sich wieder Sawyer zu. Sie
stand da und starrte ihn an und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hatte Angst, ihn zu berühren, auf keinen Fall wollte sie ihm irgendwie wehtun. Plötzlich spürte sie eine Hand auf
ihrer linken Schulter und zuckte mit einem leisen Keuchen erschrocken herum. Neben ihr
stand, unbemerkt zu ihr getreten, House und hatte Kate sanft die Hand auf die Schulter gelegt.
Und als wäre er ein Rettungsanker fiel Kate dem Arzt weinend in die Arme, klammerte sich
zitternd an ihm fest und wimmerte: „Wird er sterben?“
Schmerzhafte Heilung
Schmerzen wären etwas wunderbares, wenn sie nicht so wehtun würden.
Ralf Brebeck
House war überrascht von der Heftigkeit, mit der Kate auf sein Erscheinen reagierte.
Aber er bewies, dass er durchaus Mensch sein konnte. Er hielt die verzweifelte junge Frau
fest in seinen Armen und strich ihr beruhigend über den Rücken. „Hey, beruhige dich, Kate,
pssst. Ist doch alles gut, Mädchen.“ Wieder und wieder ließ er seine Hand über den Rücken
Kates gleiten, bis er endlich merkte, dass sie sich ein wenig entspannte. Er ließ sie los, zog ihr
den Stuhl, der neben Sawyers Bett stand, heran und drückte Kate sanft darauf nieder. „Geht es
wieder?“, fragte er ruhig. Kate nickte. „Was ist denn mit ihm ...“, stammelte sie unglücklich
und zu Tode verängstigt. House ließ sich vorsichtig auf Sawyers Bettkante sinken und griff
nach Kates Händen. „Was passiert ist, habt ihr ja am Bildschirm miterlebt, habe ich gehört.
Sawyer hat bei dem Unfall wie es scheint Jakes Kopf mit voller Wucht in den Körper bekommen. Dadurch kam es zu einem so genannten stumpfen Bauchtrauma, dass einen Milzriss
verursachte.“ Kate wurde noch blasser. „Milzriss? Oh Gott ...“ „Bleib ruhig, Mädchen. Wir
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Die Anderen
by Frauke Feind
mussten ihn Notoperieren und haben die Milz ganz entfernt, da wäre nichts mehr zu machen
gewesen. Er hat innerlich ziemlich viel Blut verloren. Die OP hat er aber gut überstanden.“
„Gut? Warum muss er dann beatmet werden?“, fragte Kate panisch.
„Weil er noch in Narkose ist. Wir werden ihn noch ein paar Stunden in Narkose
halten, denn eine Milzentfernung ist eine unangenehme Sache. In seinem jetzigen Zustand,
tief und fest schlafend, merkt er nichts von den postoperativen Schmerzen. Er wird hier über
die Medikamentenpumpe mit einer Kombination aus sehr starken Schlaf- und Schmerzmitteln
in Narkose gehalten. So verschläft er selig die erste Zeit des besonders starken Wundschmerzes, Kate. Die Narkosemedikamente entspannen seinen Körper so sehr, dass auch sein
Atemzentrum Pause macht, daher muss er künstlich beatmet werden. Siehst du den Apparat
dort? Damit wird die Menge an schlaferhaltendem Schmerzmittel immer neu ermittelt, er bekommt gerade so viel, dass er ruhig schläft, sein Kreislauf aber stabil bleibt, der dort
permanent überwacht wird.“ House zeigte Kate genau, welche Geräte dafür vorgesehen
waren. „Siehst du, dort wird seine Körpertemperatur überwacht, sie liegt jetzt bei 35,7° Die
Körpertemperatur neigt nach einer Operation dazu, zu niedrig zu sein. Wäre er wach, würde
er vor Kälte am ganzen Leib schlottern. Ich denke, wir werden ihn noch sechs bis acht
Stunden unter Narkose halten, dann werden wir die Betäubung langsam ausklingen lassen.
Dann können wir ihn auch Extubieren.“ House schlug Sawyers Zudeck beiseite und zeigte
Kate den Verband. „Siehst du, hier haben wir ihn auf gemacht. Die ganze Wunde ist nicht viel
größer als sein Mittelfinger. Er wird sich schnell erholen.“ Kate hatte konzentriert zugehört
und spürte eine ungeheure Erleichterung. „Darf ich ... darf ich ihn ... anfassen?“, fragte sie
schüchtern. „Natürlich. Rede mit ihm, streichel ihn, halt seine Hand, er wird es spüren, dass
du bei ihm bist. Intensivpatienten brauchen viel Zuspruch, weil eine Intensivstation immer
Angst auslöst, sowohl beim Betroffenen als auch bei den Angehörigen, merkst du ja gerade,
oder?“ House warf einen Blick zu Heather und Allison hinüber. Er war sicher, dass dort am
Bett ein ähnliches Gespräch ablief. Bei Jake würden in Kürze schon die Narkotika abgesetzt
werden können. Der Eingriff, der bei dem jungen Mann hatte gemacht werden müssen, war
nicht dramatisch gewesen.
„Hör zu, Kate, wenn wir später die Narkose bei Sawyer absetzen, wird er beim Aufwachen ziemlich verwirrt sein. Er wird immer wieder einschlafen, in einer Art Dämmerzustand sein. Darüber brauchst du dir keine Sorgen machen, in Ordnung? Es ist wie ein überdimensionaler Kater. Es wird Tage dauern, bis Sawyers Stoffwechsel sich von den Nachwirkungen der Narkose ganz erholt hat. Er wird ziemlich orientierungslos wirken, verwirrt,
kann sein, dass er dummes Zeugs redet. Noch dümmeres als sonst, meine ich.“ Über Kates
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Gesicht zuckte ein vorsichtiges Lächeln. House fuhr fort: „Alles kein Grund zur Beunruhigung. Du solltest dann versuchen, ihm möglichst viel zu Trinken zu geben, das hilft,
die Reststoffe der Narkosemittel aus seinem Organismus zu spülen. So, und nun muss ich
nach Booth, Mulder und Jake sehen.“ Das musste er zwar nicht, aber er spürte, dass Kate einfach ein wenig Zeit alleine bei Sawyer brauchte. Mühsam stand er auf und humpelte dann zu
Booth hinüber. Dieser kam gerade zu sich. „Na, wieder bei uns? Wie fühlst du dich?“ Booth
hatte Schwierigkeiten, umzusetzen, wo er war. Das Letzte, an das der FBI Agent sich erinnerte, war das entsetzliche Gefühl gewesen, als die Leiter brach und sie hilflos in die Tiefe
stürzten. Er sah die Felswand in rasender Geschwindigkeit auf sich zu kommen, konnte sich
schwach erinnern, vor Angst aufgeschrien zu haben ... dann Schmerz und Schwärze. Und jetzt
lag er in einem Bett, ganz offensichtlich ... auf einer Intensivstation? Bones saß neben ihm,
rote Augen vom Weinen, und hielt seine linke Hand fest in ihren Händen. Seeley musste sich
ungeheuer konzentrieren, um wenigstens auf House‘ Frage eine Antwort geben zu können.
„Mein Schädel fühlt sich an, als wäre er unter eine Walze gekommen.“ Jedes einzelne Wort
verursachte kleine Explosionen in seinem Kopf. Er wünschte sich fast, wieder die Besinnung
zu verlieren. Dumpf hörte er die Stimme Gregs an seine Ohren dringen „Ich werde dir etwas
gegen die Schmerzen geben, kann sein, dass du davon ein wenig benommen sein wirst.“
„Mehr als jetzt?“, ächzte Booth gequält.
Er bekam mit, dass House an einer der Maschinen, die ihn umgaben, etwas einstellte,
hatte das Gefühl, dass er spüren konnte, wie über einen Zugang auf seinem rechten Handrücken irgendwas in seine Vene floss und schloss stöhnend die Augen. „Mir ... mir ist speiübel ...“ Jetzt endlich fand Bones ihre Stimme wieder. „Du wirst eine Gehirnerschütterung
haben, bei dem Aufprall.“ Booth lag still, mit geschlossenen Augen da und reagierte nicht auf
ihre Worte. Tempe dachte schon, er hätte die Besinnung wieder verloren, aber nach einigen
Minuten öffnete er dann die Augen doch wieder. „Der Schmerz lässt nach, Gott sei Dank.“,
seufzte er erleichtert. „Gehirnerschütterung? Fühlt sich mehr an wie ein Schädelbruch. Was
ist ... Ich habe eine Gedächtnislücke, von dem Augenblick, als die Leiter brach und wir abstürzten bis eben.“ House warf einen prüfenden Blick auf die Geräte, an die sie Booth sicherheitshalber angeschlossen hatten. Aber er konnte keine Auffälligkeiten feststellen. So sagte
er: „Viel ist nicht passiert, Hoover, sie haben euch aus der Schlucht gefischt und her gebracht.
Wir bekamen den Auftrag, euch zusammen zu flicken, und das war es.“ Booth hatte zu gehört
und fragte leise: „Was ist ...“ Er verstummte, schien Angst vor der Frage zu haben. „Was ist
mit den anderen?“ „Mulder hat sich ein paar Rippen gebrochen, eine hat einen Pneumothorax
verursacht. Jake hat ein epidurales Hämatom und Sawyer hat es am Schlimmsten erwischt, er
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hat einen Milzriss und wir mussten eine Splenektomie vornehmen. Bones kann dir das alles
erklären, okay, ich muss nach den Anderen sehen.“
Allison hatte derweil Heather genau so gründlich darüber aufgeklärt, was mit Jake
passiert war, wie House es ein Bett weiter bei Kate und Sawyer gemacht hatte. Die junge Frau
war genau so verängstigt wie Kate und hatte Allisons Worte in sich aufgesogen. Jetzt war ihr
die Erleichterung mehr als anzusehen. „Er wird sich ganz erholen?“, fragte sie schüchtern
nach. „Ganz und gar, mach dir keine Sorgen. Die Bisswunde von der Muräne war viel
Schlimmer. Wirklich. Er wird ein paar Tage tüchtig Kopfschmerzen haben, das ist alles. Bleib
bei ihm, rede mit ihm, auch, wenn er noch schläft, sei einfach für ihn da, er wird es auch in
der Narkose spüren. Und wenn er später zu sich kommt, sei nicht besorgt, wenn er einen verwirrten Eindruck macht. Zum einen kann das schon alleine von der Verletzung ausgelöst
werden, zum anderen ganz bestimmt durch die Vollnarkose. Gib ihm möglichst viel zu
trinken. Das hilft, die Narkosemedis aus seinem Organismus zu spülen. Es ist möglich, dass er
sich übergeben muss. Er wird vermutlich ... er wird ganz bestimmt eine Gehirnerschütterung
haben und von der Narkose wird den allermeisten Menschen schlecht.“ Heather hatte aufmerksam zugehört und nickte. „Wenn wir dürfen, werde ich ... Sie werden uns doch bei ihnen
lassen, oder?“ Darauf wusste Cameron natürlich auch keine Antwort. Aber sie nickte und versuchte, möglichst zuversichtlich zu klingen. „Ganz bestimmt werden sie das.“
*****
Mulder hustete leicht und stöhnte auf. Dana war sofort alarmiert. Sie hielt seine linke
Hand und wartete ab, ob er zu sich kommen würde. Die Augenlieder des Agenten flackerten
und dann flüsterte er schwach: „Ihr habt uns hoch geholt, was?“ Müde schlug er die Augen
auf. Dana konnte nicht verhindern, dass ihr vor Erleichterung Tränen über die Wangen liefen.
„Mulder ... Du hast mich zu Tode erschreckt, weißt du das?“ Mulder wollte mit der Linken
nach der Nasensonde tasten, die er sicherheitshalber umgelegt bekommen hatte. Dana beugte
sich über ihn und hielt seine Hand fest, erklärte: „Du musst vorsichtig sein, du hast eine
Drainage gelegt bekommen. Das Ende schaut links aus deinem Brustkorb. Komme nicht dagegen.“ Mulder sah seine Partnerin vollkommen verständnislos an und ließ die Hand, wo sie
war. „Was hab ich? Was ist eigentlich zum Schluss passiert? Ich kann mich nicht erinnern ...
wir hingen da ... und dann?“ Dana sah ihren Lebensgefährten scharf an. „Wie fühlst du dich?“
„Müde. Je wacher ich werde, desto mehr tut mir die linke Seite weh. Wie viele Rippen sind
gebrochen?“ Dana strich Mulder sanft über die Wange. „Drei. Und eine davon hat deinen
linken Lungenflügel perforiert. Du hattest einen Pneumothorax. Wir haben dich operiert und
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Die Anderen
by Frauke Feind
die Rippe gerichtet. Du wirst mindestens vierundzwanzig Stunden die Saugdrainage tragen
müssen.“ Mulder hatte zu gehört und schloss kurz müde die Augen. Dann sah er Dana an.
„Was ist mit den anderen?“ Er sah hinüber zu den Betten rechts und links von ihm. Booth sah
gerade zu ihm herüber und deutete ein schwaches Nicken an. Dana sah Mulder besorgt an. Er
atmete wie jeder, der gebrochene Rippen hatte, wegen der Schmerzen flach und zu schnell.
Eindringlich sagte sie: „Du musst unbedingt versuchen, trotz der Schmerzen normal zu atmen,
Mulder. Andernfalls wirst du dir schnell eine Lungenentzündung holen. Ich werde dir etwas
gegen die Schmerzen geben, okay, es wird dich aber müde machen.“ Mulder verzog das Gesicht zu einem gequälten Grinsen. „Dann ändern sich nur die Schmerzen.“ Dana nahm an der
Medikamentenpumpe eine kleine Änderung vor. „So, es wird gleich besser werden.“ Mulder
nickte dankbar. Dann fragte er leise: „Was ist mit Jake und Sawyer?“ Dana erklärte es ihm.
*****
Ziva wunderte sich, warum sie beim Schießtraining mutterseelenallein war. Gibbs kam
mit Verspätung, Locke, Mulder, Bones, Booth, Kate, Sawyer und Jake fehlten ganz. Als
Gibbs und sie alleine waren, um die M24 vorzubereiten, fragte Ziva: „Sag mal, weißt du, was
los ist? Wo sind die alle?“ Locke hatte kein Redeverbot erhalten und Gibbs berichtete, was
geschehen war und so hatte auch der keine Hemmungen, Ziva aufzuklären. Die junge Israelin
hörte mehr und mehr erschüttert zu und fluchte. „Diese elenden Bastarde! Die Vier hätten tot
sein können. Und wir erfahren wieder einmal nicht, was mit ihnen ist, da möchte ich wetten.“
„Locke meinte, Mulder hätte mit Sicherheit mehrere gebrochene Rippen und vermutlich hat
mindestens eine davon seine Lunge verletzt. Jake und Booth hatten auf jeden Fall heftige
Platzwunden, bei Sawyer war nichts zu sehen, aber er ist auf dem Rückweg kurz zu sich gekommen und hat sich die linke Seite gehalten. Was nun wirklich im Einzelnen passiert ist,
konnte Locke nicht sagen. Sie haben ihn eben unmittelbar vor mir abgeholt, mal sehen, was
sie nun wieder mit ihm vorhaben.“
*****
Locke wurde zu seinem eigenen maßlosen Erstaunen wieder in die obere Etage zurück
gebracht. Er wurde in einen Raum geführt, in dem er sich einen weißen Kittel über ziehen
musste, dann brachte der Wachposten, der ihn begleitete, ihn auf eine richtige kleine Intensivstation. Locke riss überrascht die Augen auf. So was hatte er hier nicht erwartet. Er sah vier
Betten, in denen Booth, Mulder, Jake und Sawyer lagen. Jake und Sawyer wurden künstlich
beatmet, Booth und Mulder waren halbwegs wach. Locke sah die Wache fragend an, der
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Die Anderen
by Frauke Feind
Mann nickte und Locke eilte zu Mulder ans Bett. Dana sah auf und erhob sich. Dankbar fiel
sie Locke um den Hals und stammelte: „Du hast ihn schon zum zweiten Mal gerettet. Ich
weiß nicht, wie ich dir danken soll.“ Locke hielt die zierliche Frau kurz fest, dann drückte er
sie von sich und fragte besorgt: „Was ist denn mit Mulder los? Ist er schwer verletzt?“ Dana
erklärte Locke, was mit Mulder und den anderen Männern los war und der geheimnisvolle
Mann hörte genau zu. Als Dana mit ihrem Bericht fertig war, machte der Wachposten den
Mund auf. „Na, das hast du ja sehr schön berichtet. Ich habe auch etwas zu berichten. Der
Test wird wiederholt. Sobald sich die Vier erholt haben, werden wir den Test erneut machen.“
Bis auf Jake und Sawyer hörten alle diese herzlosen, kalten Worte und starrten den Wachmann entsetzt an. Nur Locke blieb entspannt. Er sagte ganz ruhig: „Das wird nicht notwendig
sein, Sir.“ Der Wachposten grinste. „Du hast die Aufgabe nicht gelöst. Du wirst es uns überlassen müssen, zu entscheiden, was notwendig ist.“ Locke nickte. „Selbstverständlich. Aber
Sie wollten von mir drei Dinge, richtig? Gut, Sir, dann geben Sie bitte weiter: Es wäre Booth
gewesen, der in den Tod gestürzt wäre, es war der zweite Schaltpult von links und es war der
mittlere Hebel. Und dass wusste ich schon, bevor ich die Vision der brechenden Leiter hatte.“
*****
„Sawyer geht es am Schlechtesten. Sie mussten ihm die Milz entfernen.“ „Und die
wollten ernsthaft den Test wiederholen?“ Ziva konnte nicht glauben, was Locke ihr und Gibbs
zwanzig Minuten später erschüttert berichtete. „Sie hatten es ernsthaft vor, ja. Kaum zu
fassen. Aber wie es aussieht sind sie zufrieden damit, dass ich noch vor der Vision der abbrechenden Leiter wusste, was ich wissen sollte.“ Ziva schüttelte bestürzt den Kopf. „Und wir
dachten, das Schlimmste wäre vorbei. Wenn du nicht gewesen wärest, hätten wir heute auf
einem Schlag vier von uns verloren.“ Gibbs schaute geistesabwesend zu den Schießscheiben
hinüber, die er heute auch auf tausend Meter mehrfach gut getroffen hatte. „Eigentlich acht
von uns, denn davon hätten sich die Frauen nicht mehr erholt.“ Locke hatte sich auf den
Boden gelegt und drückte den Kolben seines M24 ruhig an die Schulter. Er atmete aus und
hielt die Luft an. Der Schuss traf die tausend Meter Zielscheibe am Rande der 9 und Locke
sagte ruhig: „Man muss sich wundern, wie viel es beim Zielen bringt, wenn man an unsere
Gastgeber denkt.“ Von Ziva kam ein kurzes, gefährliches Lachen.
*****
Bones erstarrte vor Entsetzen, als sie die Worte des Wachmannes hörte. Sie spürte,
wie Booth’ Hand sich fester um ihre Schloss. Mulder drei Betten weiter schloss ergeben die
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Die Anderen
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Augen. Er war von den Schmerzmitteln schon viel zu benommen, um sich über die Mitteilung
noch aufzuregen. Er dämmerte vor sich hin und hörte die nächsten Worte wie durch Watte.
Dafür bekamen Kate und Heather sie umso deutlicher mit. Kate musste sich mächtig zusammen reißen, um nicht los zu schreien. Aber schon erfolgte Lockes ruhige Erklärung, die
allerdings Booth und Tempe erneut erzittern ließ. Ihn hätte es also getroffen. - Na, prima. dachte der junge Agent resigniert. Aber so weit war es ja nicht gekommen. Daher hatte es
keinen Sinn, deswegen noch beunruhigt zu sein. Ein viel zwingenderes Problem war im
Moment, dass ihm speiübel war. Er versuchte krampfhaft, sich zu entspannen und atmete
hektisch und flach durch den Mund. Immer wieder musste er trocken schlucken. Dana bekam
dies trotz ihrer Sorge um Mulder sehr wohl mit und sah zu Booth hinüber. Bones registrierte
sein Verhalten ebenfalls und sie schaute ihn besorgt an. Dann sagte sie leise, ihm eine Hand
auf die Stirn legend :„Ist dir schlecht?“ Booth verzog das Gesicht, nickte aber. „Unter dem
Bett müssten Spuckschalen stehen.“, erklärte Dana ruhig und Bones nickte. „Ja, hier sind
welche.“ Vorsichtshalber nahm sie schon eine und stellte sie auf den Nachttisch. Wenn es
auch Booth vor Scham Tränen in die Augen trieb, aber er konnte nicht mehr. Er fuhr hoch,
was Explosionen in seinem Kopf auslöste und übergab sich keuchend. Bones hielt ihn
stützend im linken Arm, hielt die Pappschüssel mit der Rechten und redete beruhigend auf ihn
ein. Gequält stöhnte der FBI Agent auf. Sein Kopf schien jeden Moment in tausend Stücke
zerspringen zu wollen. Vollkommen erledigt sank er schließlich in das Kissen zurück, was ihn
sofort wieder aufstöhnen ließ. Er drehte den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Er fühlte
sich furchtbar. Und dass er sich vor Bones hatte übergeben müssen, gab ihm den Rest. Er
schämte sich und wünschte fast, Tempe würde verschwinden. Stattdessen wusch sie ihm vorsichtig das verschwitzte Gesicht und gab ihm Wasser, um sich den Mund auszuspülen. Sie tat
dies mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass es Booth schließlich schaffte, sich ein
wenig zu entspannen. Ihr schien es nicht das Geringste auszumachen, ihn so zu sehen. Müde
schloss Seeley die Augen.
„Verfluchter Mist, das hätte bös in die Hose gehen können, ist euch
Idioten das klar?“
„Ja, Sir, wir haben die Leiter vorher kontrolliert, da war alles in
Ordnung.“
„Nun, ganz kann ja wohl nicht alles in Ordnung gewesen sein, oder?
Sonst wäre es kaum zu diesem Zwischenfall gekommen, oder“
„Natürlich, Sir, es war offensichtlich ein Materialfehler, den keiner vorher
sehen konnte.“
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„Wir stecken hier in einem Millionengeschäft und alles, was euch einfällt
ist ein Materialfehler? Wir hätten um Haaresbreite vier wertvolle Probanden
verloren.“
„Das ist mir auch klar, Sir, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass
es nicht unsere Schuld war. Mitchell hat den Versuch genehmigt, er sah keine
Probleme dabei.“
„Mitchell steht, wie ihr wohl wisst, auf der Abschussliste ganz oben. Ihr
tätet gut daran, euch nicht an dem Mann zu orientieren.“
Heather hatte derweil nur Augen für Jake. Sie hatte den Stuhl ganz dicht an sein Bett
heran gerückt und beobachtete ihn genau. Die Geräte, die ihn überwachten, piepsten leise vor
sich hin. Der Puls und Herzschlag war langsam, aber kräftig. Die Atmung wurde noch von der
Maschine geregelt. Er schlief ruhig und Heather war ein wenig gefasster. Allison hatte ihr ja
versichert, dass er sich vollkommen erholen würde und die junge Lehrerin musste sich einfach an den Gedanken klammern. Vor ein paar Minuten hatte House nach Jake geguckt und
Heather erklärt, dass dieser langsam in die Aufwachphase kam. Es würde nicht mehr lange
dauern, dann würden sie ihn Extubieren können. Erleichtert hatte Heather aufgeatmet. Der
Tubus und die künstliche Beatmung waren wohl das Schlimmste, künstliche Beatmung
suggerierte immer Gefahr. Wenn er erst einmal wieder alleine atmete, würde es optisch
wenigstens nicht mehr so dramatisch wirken. Allison hatte Heather genau erklärt, womit sie
nach der OP und der Vollnarkose rechnen musste und die junge Lehrerin wusste daher, was
kommen könnte. Sie hielt Jakes Hand und flüsterte: „Ich bin bei dir, mach dir keine Sorgen.
Wir passen alle auf dich auf, du kannst ganz entspannt schlafen und wenn du aufwachst, bin
ich bei dir. Du wirst sicher Kopfschmerzen haben und vielleicht wird dir auch schlecht
werden. Das macht aber nichts, das kann von der Narkose kommen und davon, dass du sicher
eine Gehirnerschütterung haben wirst.“ Sie streichelte Jake sanft über die Wange und seufzte.
Als dieser etwas später anfing, unruhig zu werden, rief Heather nach House und
Allison, die gerade bei Mulder nach dem Rechten sahen und sich mit Dana unterhielten.
Allison eilte zu Jake hinüber und beobachtete ihn einen Moment. „Er wird bald zu sich
kommen. Wir lassen ihn sicherheitshalber intubiert, bis er ganz bei sich ist. Ich bleibe bei
euch, mach dir keine Sorgen, es wird schon gut gehen.“ Die beiden Frauen saßen bei Jake,
unterhielten sich leise und beobachteten den jungen Mann genau. Schließlich öffnete er
schwerfällig seine Augen. Glasig und ohne Erkennen sah er Allison und Heather an. Allison
drückte ihm die Lider abwechselnd auf und kontrollierte seine Pupillenreflexe. Diese
reagierten aber normal. So steckte sie die kleine Augenlampe wieder in ihre Kitteltasche und
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Die Anderen
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sprach Jake an. „Jake, hörst du mich?“ Jakes Augen versuchten, Allison zu Fixieren. Das fiel
ihm schwer. Er wollte etwas sagen, aber das ging wegen des Tubus natürlich nicht. Unruhig
wollte er nach dem störenden Gegenstand greifen, aber Allison hielt seine Hände sanft fest.
Ganz ruhig erklärte sie: „Du bist intubiert, Jake, kein Grund zur Beunruhigung. Du kannst im
Moment nicht Sprechen wegen des Tubus. Nicke einfach, in Ordnung.“ Jake nickte. „Ist dir
schwindelig?“ Kopfschütteln. „Du weißt, wer du bist?“ Nicken. „Weißt du, wer wir sind?“
Erneutes, müdes Nicken. „Weißt du, wo du bist?“ Er nickte, schüttelte dann aber sofort den
Kopf. Allison war zufrieden. Sie lächelte sanft und erklärte dann: „Ich werde dich von dem
Beatmungsgerät befreien, dann wirst du dich wohler fühlen. Das wird einen ganz kleinen
Würgereiz verursachen, versuche, dich einfach zu entspannen.“ Sie drückte Jakes Kopf vorsichtig etwas in den Nacken, dann befreite sie ihn endlich von dem Tubus. Jake würgte
hustend und atmete auf, als der Schlauch draußen war. „Besser so?“ Mit etwas zittriger
Stimme krächzte Jake: „Ja, besser. Was ... ist passiert? Ich erinnere ... mich nicht ...“ Allison
warf noch einen prüfenden Blick auf die Statusmonitore, dann sagte sie: „Das kann Heather
dir alles erzählen. Aber du solltest dich ausruhen, hörst du? Wenn etwas ist, wir sind in der
Nähe, sofort rufen, okay.“ Heather nickte. „Danke.“
*****
Kate saß Stunde um Stunde bei Sawyer, müde und verspannt, hielt seine Hand,
streichelte ihm immer wieder sanft und zärtlich über die Wange, die Stirn, oder einfach über
die Hand und redete leise mit ihm. Sie wusste nicht, was sie sagte, das war auch nicht wichtig.
Wichtig war nur, dass er spürte, dass sie bei ihm war, dass er ihre Stimme hörte, dass er
merkte, er war nicht alleine. Voller Mitleid sah sie ihn an. Es war erschreckend, wie verletzlich er aussah, mit all den Kabeln und Schläuchen, die zu seinem Körper führten. Sie mochte
ihn gar nicht alleine lassen, aber ab und zu musste sie sich einfach die Beine vertreten. Der
Stuhl, auf dem sie schon seit Stunden hockte, war nicht eben bequem. Meist ging sie dann zu
Dana hinüber. Mit Bones konnte Kate nicht sehr viel anfangen und mit der schüchternen
Lehrerin noch viel weniger. Aber mit der FBI Agentin konnte Kate sich sehr gut unterhalten,
zumal Dana ihr auch noch verschiedene Fragen bezüglich Sawyers Operation beantworten
konnte. „Wofür ist die Milz eigentlich da? Braucht er die denn nicht? Hat er davon jetzt
irgendwelche gravierenden Nachteile? Muss er zu ... was weiß ich, einer Art Milzdialyse oder
so etwas? Oder Tabletten schlucken für den Rest seines Lebens?“ Dana beantwortete geduldig
die Fragen. „Die Milz ist ein in den Blutkreislauf eingeschlossenes lymphatisches Organ,
welches zum einen der Bildung der weißen Blutkörperchen dient, aber auch alte rote Blutkörperchen aussortiert, wenn du so willst. Bei Kindern ist sie sehr wichtig für die Blutbildung.
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Die Anderen
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Ein Erwachsener kann sehr gut ohne Milz leben, neigt dann nur ein wenig zur Abwehrschwäche. Sawyer sollte daher in Zukunft etwas gezielter darauf achten, seine Abwehrkräfte
zu stärken. Und im Falle von Verletzungen sollte er behandelnde Ärzte darüber unterrichten,
dass er keine Milz mehr hat, da Menschen ohne Milz zur Sepsis neigen.“ Dana lächelte.
„Keine ausgedehnten Saufgelage, seine Leber wird in Zukunft mehr Arbeit leisten müssen.“
Dana lächelte. Auch über Kates Gesicht huschte ein kurzes Lächeln, dann jedoch fragte sie
besorgt: „Wird er starke Schmerzen haben, wenn er aufwacht?“ Dana sah Kate an und nickte
langsam. „Was hat es für einen Sinn, wenn ich nein sagen würde? Ja, Kate, er wird ein paar
Tage lang ziemliche Schmerzen haben, aber das wird schnell vorbei sein. Vielleicht genehmigen sie ja wenigstens diesmal weiter Schmerzmittel. Dann wird es für ihn sehr viel einfacher.“
An dieses Gespräch dachte Kate Stunden später, als House die Narkose bei Sawyer
langsam ausklingen ließ. Dieser wurde zusehends unruhig und House stand bei Kate, um zur
Hand zu sein. Fahrig, unwillkürlich, zuckte Sawyers Linke in Richtung seines Mundes, um
etwas gegen den unangenehmen Fremdkörper in Hals und Rachen zu tun. Kate griff schnell
zu und hielt seine Hand fest in ihrer. „Honey, ich bin es, Kate. Du brauchst keine Angst zu
haben, es ist alles in Ordnung. Bleib einfach ganz ruhig. Ich bin da, ich bin bei dir, okay, dir
kann gar nichts passieren.“ Zitternd öffneten sich Sawyers Augenlider. Ohne Verstehen
schaute er direkt in Kates Gesicht. Es war deutlich zu merken, dass er etwas sagen wollte.
Kate streichelte ihm zärtlich über die Wange. „Hey, Baby, psst, es ist alles gut. Du bist intubiert, okay, du kannst nicht reden, weil du einen Schlauch in der Luftröhre hast. Du wirst
ausnahmsweise mal die Klappe halten müssen. Das ist unangenehm, aber House wird dich
gleich davon befreien.“ Aus glasigen Augen starrte Sawyer Kate vollkommen verständnislos
an. Wieder versuchte er, etwas zu sagen. Kate redete weiter beruhigend auf ihn ein und langsam reagierte er und wurde etwas ruhiger. Nun sagte House: „Okay, jetzt können wir ihn
Extubieren. Dann wird er sich wohler fühlen. Hältst du seinen Kopf ein wenig, Kate?“ Kate
nickte und zwei Minuten später war Sawyer den Intubationsschlauch ebenfalls los. Er musste
heftig würgen und Tränen schossen ihm unkontrolliert in die Augen. Kate gab ihm auf Anweisung von House ein paar Schluck Wasser. Dann tupfte sie ihm das Gesicht mit einem
feuchten Tuch ab.
„Wo sind meine Eltern?“, krächzte Sawyer, kaum, dass der Tubus heraus gezogen
war. „Eben waren sie doch ... noch hier. Hol sie zurück, bitte.“ Hilflos sah Kate House an. Geh drauf ein. - formten dessen Lippen. Mit Tränen in den Augen wandte Kate sich wieder
Sawyer zu. „Sie sind sich ausruhen gegangen, Schatz. Sie kommen später wieder, okay.“ Sie
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gab ihm noch einmal Wasser, dann versuchte sie ihn direkt anzusprechen. „Wie fühlst du
dich? Kannst du mir sagen, ob du Schmerzen hast?“ Sawyer versuchte, sich anderes hinzulegen und zuckte zusammen. „Ah ... Innen fühlt sich alles ... kaputt an ...“ House nickte. „War
klar. Ich werde die Dosis etwas verändern, dann wird er sich besser fühlen.“ Er gab ein paar
Zahlen in den Computer ein, der die Medikamentenpumpe regulierte. Dann schlug er Sawyers
Zudeck beiseite, entfernte vorsichtig den Verband und sah sich die Operationswunde an.
Sawyer bekam das gar nicht wirklich mit. Er wirkte völlig abwesend, wie betrunken. Und ihm
fielen die Augen bereits wieder zu. Kate schluchzte auf. „Er tut mir so leid, House, es zerreißt
mir das Herz, ihn so zu sehen. Warum sollte ich darauf eingehen, mit seinen Eltern?“ Greg
legte einen neuen Verband und sagte wie zu sich selbst: „Die Wunde sieht gut aus.“ Dann
wandte er sich an Kate. „Hör zu, Mädchen, er weiß später ohnehin nichts mehr davon, was hat
es also für einen Sinn, ihm zu widersprechen? Du würdest ihn nur noch mehr verwirren und
unnütz aufregen. Er wird von Wachphase zu Wachphase klarer werden, dann wird er auch
wissen, dass seine Eltern nicht hier waren. Rege ihn nicht auf, damit hilfst du ihm am
ehesten.“ Kate nickte. „Okay, das leuchtet mir ein. Wie lange wird es dauern, bis er klar ist?“
House schüttelte sanft den Kopf. „Das weiß ich nicht, Kate, das kann man nie sagen. Er war
ungefähr 12 Stunden narkotisiert, sein Stoffwechsel wird eine Weile brauchen, das zu verarbeiten. Lass ihn schlafen, solange er nur kann. Die Schmerzmittel, die er bekommt, werden
ihn schlapp machen, daher wird er noch viel schlafen. Wenn er wach ist, gib ihm viel Wasser.
Und sei einfach für ihn da.“
Als Sawyer eine ganze Zeit später erneut wach wurde, wirkte er im ersten Moment
recht klar. Müde sah er Kate an. „Hey, du. Was ... ist passiert? Wo ... wo sind wir hier? Was
ist mit mir?“ „Sawyer. Wie fühlst du dich?“ Kate sah Sawyer besorgt an. Aus glasigen Augen
sah der blonde Mann zu Kate hoch. „Wie durchgekaut und ausgespuckt.“ Er schluckte
trocken. Dann sagte er leise: „Meine Mum ... Sie hat mit mir geschimpft vorhin ... Ich weiß
nicht, warum ... Kate, ich ... ich weiß nicht mehr, warum ... Kannst du sie ... suchen, bitte ...“
Seine Stimme wurde immer leiser und lalliger und schließlich konnte Kate nicht mehr verstehen, was er noch nuschelte. Eine Weile dämmerte er in einer Art halb wachem Zustand vor
sich hin, der Kate Tränen in die Augen trieb. Immer wieder redete er wirres Zeug, von seinen
Eltern, davon, dass jemand ihm eine eins in einer Mathearbeit geklaut hatte ... Kate versuchte
dann, ihn zu beruhigen. Er hatte sicher schlimme Dinge angestellt in der Vergangenheit, aber
deswegen hatte er das alles hier trotzdem nicht verdient. Diese Bestien hier waren viel
schlimmer als Sawyer je sein könnte und hatten einfach nicht das Recht, ihm oder irgendeinem anderen von ihnen das alles anzutun. Kate schüttelte es vor Hass. Sie musste auf die
Toilette und da Sawyer wieder fest zu schlafen schien, löste sie ihre Hand sanft von seiner
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und eilte das hastig zum Klo. Als sie wieder kam, war Sawyer gerade wieder am Aufwachen.
„Kate ... Kate.“ Sie lief die letzten paar Schritte und war bei ihm. Die junge Frau beugte sich
über Sawyer und streichelte ihm sanft über das Haar, nahm seine Rechte und flüsterte zärtlich: „Ich bin hier, Schatz.“ Sie sah ihm in die Augen und stellte fest, dass diese ziemlich klar
wirkten.
Es geht bergauf
Geduld und Liebe überwindet alles.
Theodor Storm
„Freckles. Was ist passiert? Das Letzte, an das ich mich erinnere, ist ... wie wir über
der verdammten Schlucht hingen ... Bin ich abgestürzt?“ Die junge Frau schüttelte den Kopf.
„Nein, aber die Leiter ist abgebrochen an einer Seite und ihr wurdet gegen einander und
gegen die Felswand geschleudert.“ Sawyer hörte zu und versuchte, sich zu konzentrieren.
„Was ist mit den Anderen?“, fragte er müde. „Sie sind alle hier, Schatz.“ Sawyer schaute kurz
zur Decke, als hoffe er, dort Erklärungen zu finden, dann fragte er erschöpft: „Was ist mit
mir? Warum fühle ich mich so schrecklich müde und ... Warum bin ich so ... müde?“ In
kurzen Worten erklärte Kate, was los war. Sawyer hörte zu, versuchte, zu begreifen, was Kate
erzählte, dann sagte er bestimmt: „Er soll ... House soll die Schmerzmittel reduzieren.“ Kate
erschrak. „Bitte, Schatz, lass es so, du wirst ziemliche Schmerzen haben ... Bitte.“ Sawyer
schüttelte müde den Kopf. „Nein, Kate, lass gut sein .... Mit Schmerzen kann ich ... umgehen,
aber nicht mit dieser Tranigkeit. Ich will ... ich will klar im Kopf sein. Ich muss hier einfach
klar sein ...“ Wieder fielen ihm fast die Augen zu und er lallte verzweifelt: „Bitte, Freckles ...“
Kate biss sich auf die Lippe. „Natürlich, Baby ...“ Sie sah sich um und entdeckte House,
winkte ihn zu sich. „Hör zu, er möchte, dass du die Medis reduzierst. Er möchte endlich wach
werden.“ House sah Sawyer an, der bereits wieder weg gedöst war und nickte. „Okay, wenn
er das möchte ... Kann ich sogar verstehen.“ Er veränderte erneut etwas an der Medikamentenzusammensetzung, dann erklärte er: „Wenn das zu wenig ist und seine Schmerzen zu
stark werden, sag sofort Bescheid, es muss nicht sein, dass er unnütz leidet.“ Kate nickte.
„Worauf du dich verlassen kannst.“, sagte sie bestimmt. „Wie geht es Booth und Jake?“
House lächelte beruhigend. „Soweit gut. Booth hat eine üble Gehirnerschütterung, genau wie
Jake. Sie kotzen um die Wette.“
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In den nächsten Stunden wurde Sawyer zusehends klarer, die Verwirrtheit durch die
Narkose ließ unter der reduzierten Menge Analgetika deutlich nach. Kate sorgte konsequent
dafür, dass er viel trank und so die Giftstoffe der Narkosemittel aus seinem Organismus
spülte. Die Herabsetzung der Schmerzmitteldosis brachte natürlich mit sich, dass, je klarer
Sawyer wurde, seine Schmerzen immer mehr zunahmen. Er lag im Bett, hielt sich verbissen
die linke Seite und brauchte alle Beherrschung, um nicht bei jedem Luftholen leise zu
Stöhnen vor Schmerzen. House beobachtete das eine Weile, dann ging er hinüber zu Sawyer
und Kate. Er redete eine Weile auf Sawyer ein. Schließlich vereinbarte er mit ihm, dass dieser
sich mittels einer PCA Pumpe18 exakt eingestellte Dosen des Analgetikums Piritramid selbst
injizieren konnte. So hatte er es in der Hand, wie lange er sich mit den postoperativen
Schmerzen herum quälen wollte. Zuerst hatte Sawyer empört abgelehnt, als House ihm erklärt
hatte, dass Piritramid ein opioides Schmerzmittel war. Aber nachdem sowohl House als auch
Allison und Dana ihm versichert hatten, dass er bei ordnungsgemäßer und vor allem nur zeitbegrenzter Anwendung des Mittels nicht Gefahr lief, abhängig zu werden, hatte er schließlich
zugestimmt. Trotzdem zögerte er eine Injektion so lange hinaus, bis Kate, die neben ihm auf
dem Stuhl hockte, schließlich verzweifelt der Kragen platzte. „Verdammt noch mal, Schatz,
sei doch nicht so unerträglich stur. Du wirst hier nicht zum Superhelden, wenn du dich möglichst lange herum quälst, kapiert? Wenn du dir jetzt nicht sofort das Schmerzmittel verabreichst, mache ich es, und zwar so, dass du drei Tage durchschläfst, hast du das begriffen?“
Trotz der inzwischen wirklich heftigen Schmerzen musste Sawyer unwillkürlich
schmunzeln, als Kate so wütend auf ihn einredete. Allerdings war es nur ein sehr kurzes
Schmunzeln, dann kniff er wieder die Lippen zu dünnen Strichen zusammen und stöhnte leise
auf. Er hatte das Gefühl, innerlich immer noch zerschnitten zu werden. Und um eine
Eskalation und eine erneute Narkotisierung zu vermeiden, drückte er schließlich resigniert
den Auslöser für die Pumpe. Zehn Minuten später schon lag er entspannt und fast schmerzfrei
in seinem Bett und seufzte erleichtert. „Ist schon besser so ...“ Kate schüttelte genervt den
Kopf und gab ihm vorsichtig einen zärtlichen Kuss. „Du bist ein solcher Sturkopf. Hast du
eigentlich eine Vorstellung davon, wie es für mich ist, wenn ich dich so Leiden sehe?“
Ärgerlich fuhr sie sich mit der Hand über das Gesicht, um Tränen fort zu wischen. „Es tut mir
leid.“ flüsterte Sawyer ziemlich erschöpft. „Es ist wirklich schon schlimm genug, dich hier so
18
Die PCA Pumpe (patient-controlled analgesia) in Form der tragbaren Infusionspumpe gibt dem Schmerzpatienten die
Möglichkeit, selbst auf seine Schmerztherapie einzuwirken. Er kann sich nach seinem subjektiven Empfinden, zusätzlich zu der
vom Arzt programmierten kontinuierlichen Schmerzmittelgabe, per Knopfdruck eine Dosis selbst verabreichen.
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Die Anderen
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... so liegen zu sehen. Wenn du dann noch freiwillig solche Schmerzen ... Das ertrage ich einfach nicht, verstehst du das nicht?“ Kate liefen immer mehr Tränen über die blassen Wangen.
Noch einmal flüsterte Sawyer erschüttert: „Kate, es tut mir leid ... Ich ... bin ein Idiot.“
Schluchzend stimmte die junge Frau ihm zu und Sawyer zog sie sehr vorsichtig zu sich
herunter, hielt sie im Arm. Und in dieser Haltung schliefen schließlich beide ein, Kate vor
purer Erschöpfung, Sawyer erneut durch das Schmerzmittel leicht sediert.
*****
Booth und Tempe waren irgendwann zurück in ihr Zimmer gebracht worden. Booth
fühlte sich sehr viel besser, nachdem er die Nacht ruhig durch geschlafen hatte. Er hatte sich
bei Jake und Mulder verabschiedet, Sawyer war nicht wach gewesen, und war mit Unterstützung Allisons in den Raum zurück gebracht worden, den er zusammen mit Bones jetzt
quasi bewohnte. Erleichtert sank er ins Bett und hörte sich die Instruktionen an, die Allison
Tempe gab. „Achte darauf, dass er sich schont, behalte die Wunde im Auge, und wenn sie
euch in Ruhe lassen, wäre es vernünftig, wenn er noch ein, zwei Tage liegen bliebe.“ Bones
nickte. „Ich werde streng sein und aufpassen.“ Sie sah Cameron an und sagte dann: „Allison,
ich bin nicht besonders gut, was die soziale Interaktion mit lebenden Menschen angeht. Ich
versuche, mich den soziokulturellen Normen anzupassen, aber es fällt mir noch ziemlich
schwer. Du bist ein Mensch, den ich nicht einordnen kann. Du bist zu jedermann freundlich
und hilfsbereit. Du hast den Beruf ergriffen, um Menschen zu helfen, das habe ich auch. Aber
du bist ganz anders als ich. Ich kann nur gut mit der Materie umgehen, nicht mit wirklichen,
lebenden, fühlenden, denkenden Menschen. Ich kann deine Empfindungen oft nicht nachvollziehen, aber ich bewundere dich für das, was du bist und ich kann dir gar nicht sagen, wie
dankbar ich dir und House bin für das, was ihr schon wiederholt für Booth getan habt. “
Bones verstummte und sah Allison abwartend an. Diese hatte Bones ruhig zugehört. Jetzt
sagte sie: „Ich wünschte, ich hätte manchmal mehr deinen Abstand zu den Dingen. Das alles
hier ... Das ständige Leid und die Angst und der Schmerz, der hier allgegenwärtig ist, sollte
uns alle zusammen schweißen. Was den vier Männern da wieder passiert ist, hätte sie alle das
Leben kosten können. Pass gut auf ihn auf.“ Abrupt drehte die junge Ärztin sich herum und
verließ fluchtartig das Zimmer.
*****
Jake hatte das Gefühl, sein Kopf müsse jeden Moment zerspringen. Scheinbar hatte
House vergessen, den Bohrer zu entfernen und dieser fraß sich in sein Hirn. Jake konnte ein
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Aufstöhnen nicht mehr unterdrücken. Er lag mit geschlossenen Augen da, wenn er sie öffnete,
schossen zusätzliche Schmerzen durch seinem ohnehin überstrapazierten Schädel. Heather
bekam die Qualen sehr deutlich mit und rief ungeduldig nach House und Allison. „Könnt ihr
bitte mal her kommen und etwas für ihn tun? Er hat so schlimme Schmerzen.“ House warf
Allison einen auffordernden Blick zu und diese nickte. Sie eilte zu Jake und Heather hinüber,
nahm sanft Jakes Hand und fragte: „Jake? Hast du nur Schmerzen, oder ist noch etwas
anderes? Ist dir schwindelig? Oder hast du Sehstörungen? Merkst du irgendetwas anderes,
was dir komisch vorkommt? Lähmungserscheinungen, Sprachstörungen, andere Koordinationsprobleme?“ Jake hatte vorsichtig die Augen geöffnet, als er Camerons Stimme
hörte. Jetzt flüsterte er müde: „Nein, es ist nichts, wirklich, nur ultimative Kopfschmerzen.
Kannst du bitte die Dosis erhöhen?“ Allison zog die kleine Augenlampe aus der Kitteltasche,
dann beugte sie sich über Jake und kontrollierte seine Pupillenreflexe, keine Rücksicht darauf
nehmend, dass dies in seinem Kopf für weitere Explosionen sorgte. Erleichtert registrierte die
junge Ärztin, dass Jakes Pupillen völlig normal reagierten und nickte zufrieden. „Es sieht
alles soweit gut aus, ich kann die Dosis etwas erhöhen, das wird keine negativen Auswirkungen haben und du bist die Schmerzen los.“
Sie änderte an der Einstellung der Medikamentenzusammensetzung bei Jake etwas,
dann nickte sie beruhigend. „Wird gleich besser werden. Sollte sich irgendetwas an deinem
Allgemeinbefinden verschlechtern, sag bitte unbedingt sofort Bescheid, verstanden? Nicht aus
falschem Stolz nichts sagen, versprich mir das.“ Jake hatte die Augen bereits wieder geschlossen und seufzte. „Ich verspreche es, wirklich.“ Allison nickte zufrieden. „Gut, ich verlasse mich darauf.“ Sie sah Heather ernst an. „Wenn du das Gefühl hast, irgendwas ist
komisch, rufe uns sofort, verstehst du. Ich erwarte nicht ernsthaft, dass Komplikationen auftreten, aber ... Wir sollten einfach vorsichtig sein.“ Die junge Frau nickte verstehend. „Ich
werde jede Veränderung, die mir eigenartig vorkommt, sofort melden, das schwöre ich ...“ Sie
warf einen Blick zu Mulder und Sawyer hinüber und fragte leise: „Wie geht es den beiden?“
Allison lächelte beruhigend. „Sie werden sich auch erholen, bei Mulder wird es ein wenig
dauern, bis die Rippen verheilt sind und Sawyer ... Nun, er wird sein Leben ein wenig ändern
müssen ohne Milz, aber er wird schnell wieder vollkommen fit sein. Das Schlimmste hat er
hinter sich.“ Leise meinte Jake, der ebenfalls zugehört hatte: „Das hätte wieder mal auch
anders enden können ...“ Ernst erklärte Allison: „Ja, ihr hättet alle vier tot sein können. Es ist
nur Locke zu verdanken, dass ihr noch am Leben seid. So, du solltest versuchen, zu schlafen.
Schonen ist die beste Medizin, glaube mir.“
*****
233
Die Anderen
by Frauke Feind
Zwei Tage später lag Mulder in ihrem Zimmer im Bett und stöhnte genervt. „Ich hasse
gebrochene Rippen, verdammt.“ Er hatte versucht, sich schwungvoll aufzusetzen, um ins Bad
zu gehen und eine heiße Schmerzwelle war durch seinen Körper geschossen. Dana, die gerade
mit einem Glas Cola zur Schlafzimmertür herein kam, lachte mitleidig. „Das tut mir so leid,
Mulder, aber du wirst noch eine ganze Weile davon gut haben. Rippenbrüche sind einfach
sehr unschön. Komm, ich helfe dir und wenn es nicht anders geht, musst du eben Fentanyl
bekommen.“ Sie half Mulder, sich aufzusetzen und sah ihm nach, wie er, sich die Seite
haltend, langsam ins Bad ging. Minuten später lag er seufzend vor Erleichterung wieder auf
dem Bett. Am Morgen dieses Tages hatte man sie ins Zimmer zurück gebracht. Jake und
Heather waren ebenfalls auf ihr Zimmer gebracht worden und so waren Sawyer und Kate auf
der Intensivstation nun alleine. „Was meinst du, Scully, wie lange sie Sawyer noch auf der
Station behalten werden?“ Dana sah von dem Buch, in dem sie las, auf. „Das hängt stark
davon ab, wie der Heilungsprozess weiter geht. Bisher hat er sich recht gut erholt. Erstaunlich
gut eigentlich. Er ist ein wenig wie du, er regeneriert auch rasant schnell ...“ Dana dachte
darüber nach, wie es bei Mulder war. Es ging ihm zumeist ein paar Tage richtig schlecht,
dann aber setzte die Erholung mit nahezu unglaublicher Geschwindigkeit ein. Wenn sie so
darüber nach dachte, welche der Männer hier schon verletzt, schwer verletzt worden waren,
und wie die Heilung abgelaufen war, kam sie zu einem erstaunlichen Ergebnis.
„Mulder?“ Der Partner sah erstaunt auf. Danas Stimme klang gespannt. „Ja?“
„Mulder. Überlege bitte mal, wer von euch hier schon welche Verletzungen hatte und dann
denke daran, wie die Heilung verlief.“ Mulder sah Dana überlegend an. Man konnte sehen,
wie es in seinem Kopf arbeitete. Dann sagte er langsam: „Wenn du die Tatsache meinst, dass
es allen Betroffenen ... Es ging allen Betroffenen erst ein paar Tage richtig schlecht, dann aber
...“ Dana nickte und erklärte elektrisiert: „Dann aber ... Ja, genau. Dann aber ging die Heilung
erstaunlich schnell und alle waren in kürzester Zeit wieder voll einsatzfähig. Nach dem
Steineklopfen zum Beispiel. Die Wunden, die wir alle hatten, hätten theoretisch Wochen benötigt, um wirklich vernünftig zu verheilen. Einige von uns waren aufgescheuert bis auf die
Knochen. Oder Booth nach der Sache mit der Brücke, Jake nach dem Muränenbiss, Locke
nach der schweren Verletzung am Fuß, und Ziva, das ging alles nach den ersten, schweren
Tagen in rasanter Geschwindigkeit.“ Jetzt war auch Mulder wie aufgezogen. Er setzte sich
auf, was er selbst mit einem wütenden Schimpfen kommentierte und überlegte. „Auch Kate
und Heather, sowie Gil haben sich nach den Verletzungen schnell erholt. Dana, du hast Recht.
Ich habe das noch nie aus dieser Sicht gesehen. Überlege auch bei dir einmal gründlich. Wenn
du Verletzungen hattest, warst du immer extrem schnell wieder auf den Beinen. Gott, ich
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Die Anderen
by Frauke Feind
werde verrückt. Ich möchte mit den Anderen darüber reden. Vielleicht haben wir soeben
einen winzigen, roten Faden gefunden, der einige von uns hier verbindet.“
*****
Sawyer und Kate waren dankbar, dass sie weiter zusammen bleiben durften. Der junge
Mann benutzte inzwischen widerstandslos die Injektionspumpe und brauchte immer weniger
des Schmerzmittels, um die postoperativen Schmerzen auszuhalten. House und Allison waren
ebenfalls wieder auf ihr Zimmer gebracht worden, und so waren Kate und Sawyer die meiste
Zeit alleine. Schließlich entschied einer der Ärzte, die nach Sawyer schauten, dass er bereit
war, ebenfalls auf das Zimmer zurück zu kehren. Zwei Pfleger halfen ihm auf eine schmale
Rollbahre und dann schafften sie ihn vorsichtig, Kate an seiner Seite, zurück in den Raum,
den Kate und er zur Verfügung gestellt bekommen hatten. „Nummer 4 oder 10 werden deine
weitere Betreuung übernehmen. Schmerzmittel bekommst du nicht mehr.“ Sprachs, und verließ den Raum. „Danke, du Arschloch.“, knurrte Sawyer leise hinterher und versuchte, sich
bequem hinzulegen. Kate hatte ähnliches gedacht, überließ das Fluchen aber lieber Sawyer.
Sie schmunzelte und half dem jungen Mann, sich bequem hinzulegen. „Wie fühlst du dich?
Ist alles in Ordnung?“ Sawyer nickte. „Ja, mach dir keine Sorgen, mir geht es gut. Ich bin
froh, dass wir wieder hier sind, auf dieser Krankenstation war es grässlich. Ich hasse
Krankenhäuser.“ Kate rutschte zu ihm auf das Bett und kuschelte sich sehr vorsichtig an seine
rechte Seite. „Ich hasse noch mehr, wenn du ständig in Krankenhausbetten herum liegst, mein
Schatz.“
Irgendwann tauchte House auf und sagte grinsend: „Na, da ist unser trauter Kreis ja
wieder vollständig. Wie fühlst du dich? Lass mich mal die OP Narbe anschauen.“ Sawyer
verdrehte die Augen. „Man, so oft, wie du in den letzten Monaten an mir rum geflickt hast,
wurde ich in zwanzig Jahren nicht ärztlich behandelt. Bleibst du mein Housearzt wenn Kate
und ich nach Princeton ziehen? Du kennst mich innen und außen besser als jeder andere Doc,
Doc.“ House grinste breit. „Vergiss es. Hab ich nie erwähnt, dass ich Patienten hasse?“ Er
beugte sich über Sawyers Körper und entfernte vorsichtig und mit erstaunlich sanften Fingern
den Verband. Kurz weiteten sich seine Augen, dann erklärte er: „Du hast erstaunlich gute
Heilhaut. Ich habe die Wunde zwei Schlafphasen lang nicht gesehen, und sie ist sehr gut verheilt.“ Er tastete Sawyers linke Seite gründlich ab und nahm auch keine Rücksicht darauf,
dass dieser ab und zu zusammen zuckte und auf keuchte. „Ah ... sag mal, geht’s noch?“ Kate
hielt seine Hand und lächelte aufmunternd. House sah Sawyer an. „Weißt du was? Eigentlich
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Die Anderen
by Frauke Feind
müsstest du mir eine aufs Maul hauen vor Schmerzen. Nicht nur deine Haut scheint gut zu
heilen. Ein paar Tage noch Bettruhe, dann bist du wieder fit und ... Vergiss es.“ Er schluckte
herunter, was er noch hatte sagen wollen. Er warf Kate einen beruhigenden Blick zu und
sagte: „Mach ein anderes Gesicht, Mädchen, der Kerl hier bleibt dir noch erhalten.“
*****
House durfte nach dem Besuch bei Sawyer und Kate gleich weiter machen, er wurde
nun zu Booth und Bones geführt. Booth war an diesem Tag erstmals wieder zum Unterricht
erschienen und hatte die Auflage bekommen, ab dem kommendem Tag wieder an den
Schießübungen teilzunehmen. House begrüßte die beiden und erklärte: „Na, was mach die
Birne? Lass mich mal sehen und halt schon mal 100 Dollar bereit, soviel bekomme ich nämlich eigentlich für einen Hausbesuch.“ Booth lachte. „Klar man, kein Problem. Geht ein
Schuldschein?“ Er setzte sich auf einen der Stühle am Tisch und House sah sich die Wunde
gründlich an. Es war kaum noch etwas zu sehen. Er tastete auch hier die Wunde gründlich ab,
aber Booth zeigte kaum noch Unbehagen. „Sieht gut aus, Hoover, du bist gesundgeschrieben.
Halt deinen Kopf bloß in nächster Zeit aus Ärger raus, mir reicht es mit Arbeit.“ Bevor House
den Raum humpelnd verlassen konnte, fragte Bones hastig: „Was machen Sawyer, Mulder
und Jake?“ Ebenso hastig antwortete House „Sawyer geht es ganz gut, bei den anderen war
ich noch nicht ...“ „Setz deinen Arsch in Bewegung, das ist hier keine Konferenz.“, wurde er
von dem Wachposten, der die ganze Zeit bei ihm blieb, angeherrscht und House beeilte sich,
diesem nach draußen zu folgen.
Er wurde nun als nächstes zu Jake und Heather gebracht. Jake lag auf dem Bett und
büffelte mit Heather Spanisch. Spanisch und Französisch Unterricht waren zu ihrem schon
bestehenden Tagespensum für alle die dazu gekommen, die die Sprachen nicht beherrschten.
Seit einigen Tagen bereits rauchte den Gefangenen bei dem Sprachunterricht der Kopf.
Während der Verletzungspause hatte auch der Unterricht geruht, nun aber waren scheinbar
alle gesund genug, um weiter zu Lernen. Spanisch war in Amerika an fast allen Schulen
Standard, sodass nur Locke, Allison und Heather zum Beispiel überhaupt kein Spanisch
sprachen. Ziva, Bones, Jake, Gibbs und House selbst sprachen die Sprache fließend, Sawyer,
Mulder und Dana hatten sehr gute Grundkenntnisse. Mit Französisch sah es schon anders aus.
Nur Ziva war von dem Unterricht ganz befreit, Heather und Allison hatten geringe Schulkenntnisse, Abby, aufgewachsen in New Orleans sprach sehr gut Französisch und Dana hatte
als einzige ziemlich gute Grundkenntnisse. Alle anderen hatten von der Sprache keine
Ahnung. Gerade fragte House, der zu Jake geschickt worden war: „Tengo que decirte algo, y
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Die Anderen
by Frauke Feind
es que ...“ „Moment, ich weiß: Ich muss dich etwas fragen und zwar ...“ Heather schüttelte
den Kopf und House knurrte: „Du musst nicht fragen, sondern sagen: Ich muss dir etwas
sagen und zwar ... möchte ich mir deine Verletzung ansehen.“ Jake fluchte. „Das kann nicht
wahr sein, immer wieder verwechsle ich das. Hallo, House. Meinen Kopf? Da ist nicht viel
drinnen, wie man sieht.“ Heather schmunzelte. „Da ist schon eine ganze Menge drinnen, du
hast gar nicht so viele Schwierigkeiten wie du denkst, Jake, dein Spanisch ist ziemlich gut.“
House war an Jake heran getreten und dieser setzte sich so, dass der Arzt sich seine Wunde
genau anschauen konnte. Auch hier hatte er keine Beanstandungen und erklärte: „Wenn du
vorsichtig bist, kannst du ab morgen wieder zum Schießtraining. Booth darf auch wieder, nur
Sawyer noch nicht.“ Ohne, dass der Wachmann etwas zu Bemängeln hatte, war es House so
gelungen, Infos über die Anderen weiter zu geben und Jake und Heather nickten dankbar.
House nickte den Beiden noch einmal zu, und humpelte zur Tür. „Sobald ich gegessen habe,
werden wir spazieren gehen.“ Im hinausgehen lauschte House auf die Antwort, die diesmal
Heather zu geben hatte: „En cuanto coma, nos vamos a pasear.“ „Sehr gut.“
Mulder lag auf dem Bett, Dana saß im Schneidersitz bei ihm und hier wurde krampfhaft Französisch gepaukt. Als die Beiden House hereinkommen sahen, stöhnte Mulder und
meinte: „Was heißt: Je voudrais bien aller au cinéma avec toi? Scully quält mich damit schon
fünf Minuten.“ House verdrehte die Augen und humpelte zum Bett hinüber. „Je voudrais ...
Könnt ihr nicht Spanisch machen, das kann ich. Irgendwas mit Kino ... Wo ist das nächste
Kino?“ Scully lachte. „Ich möchte gerne mit dir ins Kino gehen.“, erklärte sie dann. Mulder
grinste wie ein Schuljunge. „Gibt’s einen Porno?“ Er musste Lachen, bereute das aber sofort
und krampfte sich, die Hand über die gebrochenen Rippen legend, zusammen. House wartete,
bis der Agent sich wieder gefangen hatte, dann bat er: „Leg dich mal ganz entspannt hin, dann
kann ich den Verband aufschneiden und mir deine Seite anschauen, okay. Scully kann dir
anschließend einen neuen Verband anlegen, ich habe haftende, elastische Binde dabei. In
Verbänden war ich nie gut.“ Mulder machte sich vorsichtig lang, House zog eine Schere aus
der Tasche, die er bei sich hatte und schnitt vorsichtig den strammen Verband um Mulders
Brust auf. Darunter kam ein großer, in allen Farben schimmernder Bluterguss zum Vorschein
und House nickte anerkennend. Scully grinste. „Cela a l'air très multicolore.“ House und
Mulder sahen die Agentin an und verdrehten die Augen. „Irgendwas ist bunt ...“, grübelte
Mulder und House erwiderte „Genau: Das sieht sehr bunt aus, richtig?“ Dana nickte zufrieden. House tastete vorsichtig, aber gründlich die Seite ab und Mulder brach der Schweiß
aus. Er klammerte sich an Scullys Hand und ächzte.
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Die Anderen
by Frauke Feind
House aber war zufrieden. Er überlegte kurz, dann sagte er: „Tout en ordre, aucune
raison à la hâte.“ Scully verschluckte sich vor Lachen. „Nein, bestimmt kein Grund zur Eile.
Du meinst: Tout en ordre, aucune raison au souci. Alles in Ordnung, kein Grund zur Sorge.“
House warf der Agentin einen giftigen Blick zu. „Harhar. Usted tiene cosa principal
divertida19.“ Scully wurde rot. „Das ist gemein ...“ Mulder, der Spanisch ziemlich gut verstand, grinste schon wieder. „Das stimmt, allerdings. Danke, House.“ „Du solltest versuchen,
nicht nur auf dem Bett zu liegen, okay, es wird dir gut tun, wenn du dich vorsichtig bewegst.
Bei gebrochenen Rippen ist das Problem, dass die Betroffenen vor Schmerzen falsch atmen.
Scully wird das noch in Erinnerung haben. Mach mehrmals am Tag mit ihm Atemübungen,
lege die Hände auf seine Seite und übe sanften Druck aus, lass ihn ganz tief einatmen,
mindestens vier Mal zehn Minuten lang, versuch die Zeit zu schätzen.“ Dana hatte zu gehört
und nickte jetzt. „Werde ich machen.“ House erhob sich und erklärte dann: „Leg ihm wieder
einen schönen, festen Verband an, hier hast du Binde. Und er darf noch nicht wieder zum
Schießen, der Ruck wäre Gift. Aber wie Jake und Booth kann er wieder am Unterricht teilnehmen, wenn er sich vorsichtig bewegt und zwischendurch aufstehen darf, wenn er nicht
mehr sitzen kann.“ Wie schon bei Jake und Heather hatte House auf diese Weise auch
Mulder und Scully über das Befinden der anderen aufgeklärt. Er nickte den beiden Agenten
noch einmal zu, dann verschwand er aus dem Raum.
Peinliche Fragen
Man hört nur die Fragen auf welche man im Stande ist, eine Antwort zu finden
Friedrich Nietzsche
House war nach den Visiten in den Raum zurück gebracht worden, den er mit Allison
bewohnte. Die junge Ärztin wartete gespannt auf einen Bericht ihres Chefs, wie es den
Männern ging. Sie beherrschte sich mühsam, bis sich die Tür hinter House geschlossen hatte,
dann aber eilte sie zu ihm und zog ihn zum Sofa. Schwer ließ der Arzt sich in das Polster
sinken und rieb verbissen sein Bein. „Wie geht es Sawyer, Mulder und Jake? Sag schon.“
House grinste. „Danke, mir geht es gut, auch, wenn ich wieder kilometerweit ohne meinen
Stock herum humpeln musste.“ Allison schüttelte den Kopf. „Erstens sind das keine Kilo19
Sinngemäß: Du hast auch nicht viel zu lachen.
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Die Anderen
by Frauke Feind
meter und zweitens warst du nicht verletzt. Und nun sag schon, wie geht es den Jungs?“
House erklärte streng: „Erst will ich einen Kuss und was zu Trinken.“ Allison verdrehte die
Augen, dann aber stand sie auf und eilte an den Kühlschrank. „Wasser oder Cola?“ „Scotch
...“ „Also Wasser.“ Allison griff sich eine Flasche Perrier und trug diese zu House hinüber.
Dann gab sie ihm einen zärtlichen Kuss. „Und wenn du jetzt nicht erzählst, kannst du heute
Nacht im Bad schlafen.“ „Na, bei einer solch kuriosen Drohung muss ich wohl wirklich
erzählen, was?“ Allison nickte überzeugt. „Booth und Jake geht es sehr gut, die sind ab
morgen wieder diensttauglich. Mulder habe ich gesagt, er soll sich vorsichtig bewegen, er
atmet zu flach, Dana muss unbedingt darauf achten, sonst fängt unser Spooky sich noch eine
Pneumonie. Und Sawyer ...“ House verstummte und starrte vor sich hin. Allison hätte ihn
schütteln mögen. Gerade Sawyer lag der jungen Frau besonders am Herzen.
„Was ist mit Sawyer, Himmel noch mal. Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase
ziehen.“ „Allison, ist dir bei den Verletzten hier mal etwas aufgefallen, ich meine, wir haben
ja schon genug von ihnen wieder zusammen geflickt.“ Allison ließ sich vorsichtig auf Gregs
Schoss gleiten und sagte dann konsterniert: „Aufgefallen abgesehen davon, dass viel zu viele
von ihnen schon viel zu oft von uns geflickt werden mussten?“ „Ja, abgesehen davon, du
Klugscheißer. Überlasse das mal mir, das kann ich besser.“ Cameron wurde ernst. „Ich weiß
wirklich nicht, worauf du hinaus willst.“ „Denke einmal an die jeweiligen Verletzungen und
daran, wie lange es jeweils dauerte, bis die Jungs wieder fit waren.“ Allison versuchte, sich
zurück zu erinnern. „Richtig hart war es bei uns allen nach der Schufterei mit den Steinen. Da
waren wir alle betroffen und ...“ Allison überlegte. Sie selbst hatte immer sehr gute Heilhaut
gehabt, schon ihre Mutter hatte immer zu ihr gesagt - Kind, du heilst schneller, als du dir
Schrammen holst. - Daher hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet, dass der Heilungsprozess bei ihr schnell verlaufen war und ... Allison stutzte. Sie waren alle ein paar Tage wirklich krank gewesen und bei allen hatte dann die Genesung schnell und zügig eingesetzt, nicht
nur bei ihr. House sah der jungen Ärztin an, dass sie auf dem richtigen Wege war. Fieberhaft
überlegte die Immunologin jetzt weiter. „Jake und Sawyer, Booth, Locke, Ziva, Mulder, Kate,
Heather, Gil ... Ich glaube, das waren alle, oder? Sie alle waren ein paar Tage lang richtig
krank, und dann ...“ Sie verstummte und sah House an. „Und dann?“ „Setzte die Heilung
blitzschnell ein, deutlich schneller als eigentlich normal ...“
*****
Am Abend kamen die Wachen und brachten den Gefangenen Essen. Es gab Filetsteaks mit Bratkartoffeln und Bohnen im Speckmantel, Obstsalat und für alle Paare eine
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by Frauke Feind
Flasche Rotwein. Gar keinen ganz schlechten, wie House feststellte. Nach dem Essen kam
dann eine kleine Überraschung. Alle Gefangenen, auch Mulder und Sawyer, wurden aufgefordert, sich in einem der Unterrichtsräume zu versammeln. Schweiß gebadet erreichten
auch die beiden Männer mit Hilfe Kates und Danas schließlich den Raum und sanken erschöpft und schwer atmend, sich keuchend die Seiten haltend, auf die Stühle nieder. Ein paar
Minuten brauchten beide, um sich zu erholen. Dann kam ein älterer Mann zur Tür herein und
sah in die Runde. „Nein, wie nett, da haben wir alle Probanden wieder zusammen. Nun, was
soll ich lange um den heißen Brei reden. Leider sind einige von euch derzeit nicht in der erwünschten Verfassung, was, das muss ich klar zugeben, nicht eure, sondern unsere Schuld ist
und so nicht vorgesehen war. Aber wir möchten nicht, dass ihr Däumchen dreht, daher haben
wir eine unbedeutende Planänderung vorgenommen. Auch unsere bettlägerigen Freunde sind
sicher im Stande, ihr Hirn einzusetzen. Wir haben einen kleinen Fragenkatalog für euch erarbeitet. Einige Fragen werden euch vielleicht in ähnlicher Form schon von dem Gesundheitsfragebogen bekannt vorkommen. Das soll euch egal sein. Ihr werdet die Fragen beantworten
und in den nächsten Tagen werden wir uns nett über eure Antworten unterhalten. Und um
euch schon einmal einzustimmen, wird 6 so nett sein, und die Fragen kurz verlesen. Nur die
Fragen, bitte sehr.“ Er drückte Bones drei Zettel in die Hand. Bones starrte diese an und
schluckte. Dann las sie laut vor.
„Nenne alle chirurgischen Eingriffe, die bei dir durchgeführt wurden:
Zähle alle Unfälle auf, die du hattest:
Nenne alle Krankheiten, die du hattest:
Nenne deine fünf hauptsächlichen Ängste:
Nenne in deiner Ausbildung erworbene Fertigkeiten, Stärken und Schwächen:
Wurdest du jemals hereingelegt oder ernsthaft gehänselt:
Gewinnst du leicht Freunde:
Sind deine Freundschaften von Dauer:
Informationen über dein Sexualleben
Einstellung deiner Eltern Sexualität gegenüber:
Wann und wie bist du sexuell aufgeklärt worden:
Hattest du im Zusammenhang mit Sex oder Masturbation jemals irgendwelche Angst
- oder Schuldgefühle: (wenn "ja" bitte näher ausführen).
Gibt es irgendwelche Besonderheiten bezüglich deiner ersten sexuellen Erfahrung:
Bist du mit deinem gegenwärtigen Sexualleben zufrieden:
Bist du sexuell in irgendeiner Hinsicht gehemmt:
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Die Anderen
by Frauke Feind
In welchem Alter hattest du die erste Periode:
Hast du dabei Schmerzen:
Beeinflusst die Periode deine Stimmung:
Daten über deine Familie
Beziehung zu deinen Geschwistern früher und heute:
Beschreibe die Persönlichkeit deines Vaters und seine Einstellung dir gegenüber:
Beschreibe die Persönlichkeit deiner Mutter und ihre Einstellung dir gegenüber:
In welcher Form wurdest du von deinen Eltern bestraft, als du noch ein Kind warst:
Schildere die Atmosphäre in deinem Elternhaus (wie vertrugen die Eltern sich miteinander und mit den Kindern):
Konntest du deinen Eltern vertrauen:
Haben deine Eltern Verständnis für dich gezeigt:
Was haben deine Eltern beruflich gemacht:
Ich bin ein Mensch, der...
Mein ganzes Leben lang...
Von der Zeit an, als ich noch ein Kind war...
Eine Sache auf die ich stolz bin, ist...
Ich gebe ungern zu...
Eine Sache, die ich nicht verzeihen kann, ist...
Eine Sache, bei der ich mich schuldig fühle, ist...
Was ich von meiner Mutter benötigte und was sie mir niemals gab, war...
Was ich von meinem Vater benötigte und was er mir niemals gab, war...
Gibt es in deinem gegenwärtigen Verhalten etwas, das du gerne ändern würdest:
Welche Gefühle möchtest du verändern (zum Beispiel intensivieren oder abbauen):
Welche Empfindungen sind besonders angenehm für dich:
Welche Empfindungen sind besonders unangenehm für dich:
Beschreibe eine für dich sehr angenehme Fantasievorstellung:
Beschreibe eine für dich sehr unangenehme Fantasievorstellung:
Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Freude bringt:
Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Kummer bringt:“
Nachdem Bones verstummt war, herrschte einmal mehr tosende Stille im Raum. Jeder
der Gefangenen war von irgendeiner der vorgelesenen Fragen, die Meisten sogar von erheblich mehr als nur einer, tief erschüttert. Der ältere Mann grinste, dann drückte er Bones einen
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Die Anderen
by Frauke Feind
Stapel zusammen gehefteter Zettel in die Hand und befahl: „Verteil die an deine Freunde hier
und dann ab zurück in eure Zimmerchen.“ „Ja, Sir.“ Bones erhob sich augenblicklich und
verteilte stumm die Zettel. Dann erhoben sich die Gefangenen ebenso wortlos und machten
sich auf den Rückweg zu ihren Räumen. Dana und Kate mussten die Männer stützen und
beide mussten ertragen, immer wieder gequälte Laute über die Lippen der beiden Männer
kommen zu hören. Kate flüsterte leise und aufmunternd: „Nur noch ein paar Schritte, dann
haben wir es geschafft.“ Eine Minute später hatten sie ihre Zimmertür erreicht, die jetzt auf
sprang und kurz darauf half Kate Sawyer vorsichtig, sich aufs Bett zu legen. Schweißgebadet,
am ganzen Leib zitternd und keuchend lag dieser still. Er brauchte Minuten, um sich zu
fangen. „Scheiße ... Ich würde sonst was für eine Schmerztablette geben ...“ Kate strich ihm
sanft eine verklebte Haarsträhne aus der Stirn. „Ich weiß nicht, was ich machen soll.“, sagte
sie unglücklich. „Schon okay, Süße. Wird sicher gleich wieder gehen.“, stöhnte Sawyer gepresst. Er versuchte, sich zu entspannen und nach einiger Zeit ließen die Wellen heißen
Schmerzes nach und er seufzte erleichtert: „Geht langsam wieder.“
Kate hatte ihn in Ruhe gelassen, damit er sich sammeln konnte. Jetzt deckte sie ihn zu
und fragte: „Willst du etwas trinken?“ „Gerne. Haben wir Scotch im Hause?“ Kate schüttelte
den Kopf. „Für dich sowieso nicht mehr. Hat sich aus gescotcht.“ Sawyer verdrehte frustriert
die Augen. „Na, was für ein herrliches Leben kommt da auf mich zu ... Kann’s kaum erwarten.“ Kate lachte und kam mit einer Flasche Cola ans Bett zurück. Sie schenkte Sawyer
ein Glas voll, half ihm, sich aufzusetzen und stopfte ihm Kissen in den Rücken, sodass er sich
bequem anlehnen konnte. Er trank einen Schluck Cola und verzog angewidert das Gesicht.
„Keine Verdünnung ... Sollte ich sagen, was das bisher Schlimmste war ...“ Kate kicherte.
„Du wirst es überleben, weitestgehend ohne Alkohol alt zu werden ...“ Sie schluckte und
wurde ernst. „Falls wir es überhaupt schaffen, alt zu werden.“ „Hey, Freckles, wir schaffen
das, daran müssen wir einfach glauben, okay. Komm her.“ Er deutete auf seine rechte Seite
und Kate setzte sich vorsichtig zu ihm, kuschelte sich an ihn und legte den Kopf auf Sawyers
Schulter. „Die Fragen sind der Hammer, was?“ Sie hatte einen der Fragebogen mit ans Bett
genommen und erst jetzt sahen sie die ersten Fragen, bei denen sie unterstreichen mussten,
was jeweils auf sie zu traf. Sawyer las mit und verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. „Unterstreiche alles, was als Kind auf dich zutraf: Nächtliche Ängste, Ängste,
Daumenlutschen, Bettnässen, Stottern, Fingernägel kauen, glückliche Kindheit, unglückliche
Kindheit. Man, ich glaube es nicht. Ich werde doch nicht vor allen ausdiskutieren, ob ich ins
Bett gepinkelt habe.“ Seine Stimme klang verzweifelt. Kate sah ihn fragend an. „Nach dem
Tod meiner Eltern ...“, flüsterte Sawyer unglücklich.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Ein paar Türen weiter debattierten Ziva und Abby hitzig die Fragen. „Haben die einen
Knall? Die können doch nicht ernsthaft erwarten, dass ich über mein erstes Mal mit euch diskutiere.“ Abby war ganz rot im Gesicht vor Aufregung. „Stell dir vor, vor all den Männern,
das ist ja wohl das allerletzte.“ Ziva zog die linke Augenbraue hoch. „Das macht mir kein
Kopfzerbrechen. Aber hier: Hast du dabei Schmerzen? Was geht es Sawyer oder Booth an, ob
ich Unterleibschmerzen habe, wenn ich meine Regel hab? Wie wäre es denn gleich mit einer
Untersuchung zur Veranschaulichung? So vor allen anderen?“ Ziva schnaufte. „Eine Sache
auf die ich stolz bin ist ... wenn es mir gelingt, möglichst viele von euch Arschlöchern zu
killen ...“ Abby kicherte. „Das wäre dann die angenehme Fantasievorstellung.“ Bei der Frage
war Sara einige Räume weiter ebenfalls gerade angekommen. Sie sah Gil an, der auf dem
Sofa lümmelte und fragte: „Was wäre denn deine angenehme Fantasievorstellung?“ Gil sah
auf und lächelte milde. „Nun, wie wäre es damit: Wir beide am Strand von Malibu ...“ Sara
lachte. „Warum glaube ich dir das nur nicht?“ Gil schmunzelte und meinte dann: „Brauche
ich einen Anwalt?“ Die CSI Ermittlerin schüttelte den Kopf. „Nein, noch nicht. Hör dir das
mal an: Schildere die Atmosphäre in deinem Elternhaus (wie vertrugen die Eltern sich miteinander und mit den Kindern). Als ob ich das nicht schon sehr ausführlich schildern durfte.“
Sie schüttelte sich innerlich. Das alles noch einmal mit den Leidensgenossen durchzugehen
war eine sehr unschöne Vorstellung.
Am darauf folgenden Morgen wurden bis auf Sawyer und Mulder alle zu den
jeweiligen Unterrichtsstunden abgeholt. Mulder wurde tatsächlich zu Sawyer auf den Raum
gebracht und die beiden Männer erhielten die Auflage, zusammen Französisch zu üben.
Mulder, der Unterlagen und einen kleinen CD Player in der Hand hatte, stand ächzend an
Sawyers Bett und keuchte: „Rutsch mal zur Seite.“ Sawyer grinste verkniffen. „Gib mir doch
bitte meine Unterlagen. Du stehst gerade, die liegen da hinten auf dem Tisch ...“ Mulder verdrehte genervt die Augen, dann quälte er sich zum Tisch hinüber und nahm die Unterlagen
mit zum Bett. Mühsam ließ er sich neben Sawyer auf die Zudecke sinken und stöhnte erleichtert auf, als er sich lang machen konnte. „Tut’s weh?“, fragte Sawyer mit einem säuerlichen Grinsen. „Nein, nur wenn ich lache.“ Die beiden Männer wagten nicht, sich allzu viel
zu Unterhalten, sondern konzentrierten sich auf die Übungen, die sie zu absolvieren hatten.
Einfache Sätze wie - Mein Name ist - oder - Ich wohne in - konnten sie schon bilden. „Mon
nom est - J'habite dans -“ Jetzt wurden die Sätze schwieriger und die Männer hatten zu
Kämpfen. Sie waren darauf angewiesen, die Wörter und ihre Aussprache an dem CD Player
abzuhören. „Ich arbeite für das Umweltministerium: Je travaille pour le ministère
d'environnement.“ Wieder und wieder mussten sie sich den Satz anhören, bis die Aussprache
klappte. Schließlich brachte Sawyer auf den Punkt, was beide dachten. „Ich hasse
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Die Anderen
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Französisch.“ Angesichts der Tatsache jedoch, dass man ihnen drastische Strafen angekündigt
hatte, wenn sie nicht bestimmte Ziele erreichten, arbeiteten die Männer verbissen weiter.
In einem der Schulungsräume amüsierten sich inzwischen Locke und Heather nicht
minder verbissen mit dem Erlernen der Sprache Spanisch. Allerdings hatten sie einen Lehrer,
der ihnen Fragen beantwortete und ihnen half. Kate, Jake, Ziva, Bones, Booth und Gibbs
hatten das Waffentraining wieder aufgenommen. Gerade hatte Kate erstmals auf tausend
Meter direkt ins Schwarze getroffen und freute sich sehr darüber. „Sawyer wird grün vor
Neid.“ Ziva lachte. „Das war ein sehr guter Schuss. An wen hast du gedacht, als du abdrücktest?“ Ohne Zögern erklärte Kate: „An unseren lieben Major mit ihren neckischen
Fragen.“ In einem Labor im Gebäude waren House, Allison und Dana derweil mit der
chemischen Analyse von Brucellose-Erregern beschäftigt. Sie steckten in Sicherheitsanzügen
und hantierten mit dem Bakterium extrem vorsichtig. Sie hatten die Aufgabe, erkrankte
Ratten zu behandeln, nachdem sie herausgefunden hatten, was die Erkrankung verursachte. Es
beunruhigte die Ärzte sehr, dass es in diesem Gebäude ganz offensichtlich biologische
Kampfmittel gab.
Beim Abendbrot unterhielten House und Allison sich darüber. „Die können noch ganz
andere Sachen hier haben. An Brucellose kommen sie heran, warum nicht auch an Anthrax
oder Rizin. Greg, die sind wirklich zu allem fähig, wenn sie mit solchen Dingen arbeiten.“
House trank einen Schluck Wein, der vom Vortag über geblieben war. „Das wir es hier nicht
mit Kuschelhasen zu tun haben, war doch wohl klar. Dass sie biologische und vielleicht auch
chemische Kampfstoffe hier lagern, sollte uns nicht überraschen. Dass sie uns damit Versuche
machen lassen, beunruhigt mich. Was sollte sie hindern, das eine oder andere nette Gift oder
Bakterium an einem von uns auszuprobieren?“ Allison schüttelte sich. „Wie kannst du dabei
nur ruhig deinen Wein trinken.“ „Meinst du, sie lassen es, wenn ich ihn stehen lasse? Vergiss
mal die Kampfmittel, was meinst du, ob den Entführern hier klar ist, dass wir scheinbar alle
schnell heilen, wenn wir uns verletzt haben? Ich vermute schon.“, gab er sich selbst die
Antwort. Er stopfte sich den letzten Happen Bratwurst in den Mund und sah Allison an. „Na,
komm schon, mach ein anderes Gesicht. Die werden uns nicht vergiften.“ Hoffte er jedenfalls.
*****
Die nächsten Tage verliefen wieder ruhig und gleichförmig. Man gab Sawyer und
Mulder noch ein wenig Zeit, die beide jedoch kaum noch brauchten. Schnell erholten sie sich
jetzt und konnten nach vier weiteren Schlafphasen wieder an allem Teilnehmen. Fast schien
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Die Anderen
by Frauke Feind
es, als hätten die letzten Vorfälle alle Gefangenen beflügelt, denn sowohl beim Schießen als
auch beim Sprachunterricht und allem anderen machten sie ziemliche Fortschritte. Ziva hatte
zusätzlich zu ihren Aufgaben noch das Erlernen von Japanisch befohlen bekommen und hatte
jeden Tag zwei Stunden Unterricht. So hatten alle Sprachunterricht. Beim Schießen waren
alle inzwischen so weit, dass sie auf tausend Meter fast immer ins Ziel trafen. Booth, Gibbs
und Jake hatten ihre Treffsicherheit auf weitere Distanzen sehr verbessert. Alles in allem
waren die Tage für die Gefangenen befriedigend und anstrengend. Sie wurden am frühen
Morgen aus den Betten geklingelt, hatten den ganzen Tag ein volles Programm. Angefangen
mit Sport, dem einzigen Programmpunkt, der alle ohne Ausnahme betraf, über Schießen,
Sprachen, Laboruntersuchungen, allgemein bildender Unterricht, abends waren alle froh,
wenn sie sich lang machen konnten. Die einzigen wirklich unangenehmen Dinge während der
nächsten Tage waren einige Untersuchungen, zu denen man sie holte. Blut wurde ihnen abgenommen, sie mussten alle Urinproben abgeben, der Hör und Seh Test, den Sawyer und Gil
bereits ganz am Anfang ihrer Gefangenschaft hatten machen müssen, wurde nun bei allen
Gefangenen vorgenommen. Ebenso wurden alle zu einer Blutsauerstoffmessung geholt.
Als dann auch eine Echokardiografie (Ultraschalluntersuchung des Herzens), eine
Farbdoppler-Sonografie der Halsschlagadern, eine Farbdoppler-Sonographie der Beingefäße,
eine Sonografie des Abdomens und eine Sonografie der Schilddrüse gemacht wurde, hatten
sie einige wichtige Untersuchungen der Liste hinter sich gebracht. Beim Abendbrot des Tages
bemerkte Mulder nach einem vergleichenden Blick auf die Liste: „Na, da stehen ja nur noch
die wirklich schönen Sachen aus: Punktionen, Spiegelungen, MRTs.“ Dana seufzte. „Du
weißt, dass Beste am Schluss.“ Mulder grinste frustriert. „Wie weh tun die Punktionen?“,
fragte er zwischen zwei Löffeln Eintopf. Dana sah ihn an. „Sehr.“, sagte sie dann kurz. Ihr
war komisch. Mulders Gesicht schien zu wachsen, dann wieder zu schrumpfen. Fasziniert
beobachtete Dana das Phänomen. Dann aber wurde ihr zusätzlich schwindelig und ihre
Glieder fühlten sich plötzlich schwer und taub an. „Mulder ...“ Sie seufzte leise und sackte in
sich zusammen. Mulder wollte aufspringen und zu ihr eilen, aber so weit kam er nicht mehr.
Mit einem erschrockenen Stöhnen fasste er sich an den urplötzlich heftig drehenden Kopf und
lag im nächsten Moment besinnungslos am Boden.
Phase 6: Klarheit
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Die Anderen
by Frauke Feind
Gelehrte Erklärungen rufen meist den Eindruck hervor, dass alles,
was klar und verständlich war, dunkel und verworren wird.
Leo Tolstoi
Consternation
Der Tod lächelt uns alle an, das einzige was man machen kann ist zurücklächeln.
Marcus Aurelius
Beth Turner kam langsam zu sich. Die junge Frau öffnete vorsichtig die Augen, um sie
im nächsten Moment schmerzerfüllt wieder zusammen zu kneifen. In ihrem Schädel
hämmerten unerträgliche Kopfschmerzen. Beth atmete ein paar Mal tief durch. Mühsam versuchte sie, die unterschiedlichsten Erinnerungsfetzen an den vergangenen Abend in einen
Kontext zu bringen. Mick und sie waren dem abtrünnigen Vampir durch die halbe Stadt gefolgt. Mick hatte auf eine günstige Gelegenheit gewartet, sich den Killer zu Greifen. Als
dieser tatsächlich auf einen stillen, dunklen Hinterhof einer leer stehenden Fabrik abbog,
waren Beth und Mick ihm gefolgt. An den folgenden Kampf konnte Beth sich nur zu gut erinnern. Der Killervampir war extrem stark gewesen. Mehr als einmal hatte Beth entsetzliche
Angst gehabt, dass Mick es nicht schaffen würde. Dieser hatte sich irgendwann im Verlauf
des Fights ebenfalls in seine Vampirgestalt verwandelt. Als Beth schon befürchtete, es wäre
zu Ende, Mick würde sterben, war es diesem durch eine Finte gelungen, dem Killer einen
Pflock ins Herz zu stoßen. Augenblicklich war der Killer paralysiert. Das dann folgende war
grausam, aber unvermeidbar gewesen. Mick hatte den Vampir mit Benzin übergossen und
abgefackelt. Dann hatten sie sich zurückgezogen. Die Flammen konnten zu schnell unliebsame Zeugen auf den Plan rufen.
Bis hier war der jungen Frau alles klar. Mick und sie hatten sich in ihr Hotel zurückgezogen. Mick war ziemlich angeschlagen gewesen und hatte die Blutkonserven, die sie im
Kühlschrank des Hotelzimmers deponiert hatten, mehr als nötig gehabt. Beth hatte das Ge246
Die Anderen
by Frauke Feind
fühl, ihr Kopf würde jeden Augenblick platzen. Schwach erinnerte sie sich, Mick unter Aufbietung all ihrer Kräfte ins Zimmer geschafft zu haben. Sie hatte ihn auf das Bett gelegt und
wollte das Blut holen … Hatte sie es ihm gegeben? Was, zum Henker, war passiert, nachdem
sie das Zimmer erreicht hatten? Mick … Wie elektrisiert schoss die junge Journalistin hoch.
Wo war Mick überhaupt. Und wo war sie selbst? Erst jetzt wurde sich die blonde, hübsche
junge Frau ihrer Umgebung und ihrer Lage bewusst. Die grelle Neonbeleuchtung über ihr, die
ihren Augen eben noch ein solches Unbehagen verursacht hatte, zeigte jetzt mit brutaler Deutlichkeit erschreckende Details. Beth sah sich vorsichtig um. Sie lag auf kaltem, weißem
Fliesenboden. Um sie herum kahle Wände, in einer Ecke ein WC und ein kleines Waschbecken, an einer anderen Wand ein Bett, mehr gab es nicht zu sehen. Das ganze auf vielleicht
drei Mal drei Quadratmeter verteilt. Beth stöhnte und legte beide Hände an den schmerzenden
Kopf. Und dann erst wurde ihr plötzlich überdeutlich klar, dass sie nackt war. Und wie
magisch angezogen glitt ihr Blick an die Zellendecke und sie erkannte dort unverwechselbar
die Linse einer Kamera. Sie wurde beobachtet. Das Nächste, was sie bewusst registrierte war,
dass sie um den Hals und um die Hand- und Fußgelenke sehr stabil wirkende, gepolsterte
Stahlringe mit Metallösen und Karabinerhaken trug. Zu abgelenkt, um sich damit im Augenblick länger als nötig zu befassen, wandte sich die junge Frau wieder ihrer Umgebung zu.
*****
House wachte langsam auf. - Man, ich werde wirklich alt. Jetzt habe ich schon einen
Kater ohne Suff. - schoss ihm durch den Kopf. Oder hatte er gesoffen? Hatten ihre Gastgeber
ihnen zur Feier des Tages Whiskey spendiert? House schüttelte über diesen Gedanken den
Kopf. Er wusste nicht, wie er ins Bett gekommen war. Was war nun wieder los? Er rappelte
sich auf. Allison schlief … House wurde schlagartig hellwach. Da gab es keine Allison. Er lag
auch nicht in dem bequemen Doppelbett in der winzigen Wohnung, die er zusammen mit
Cameron in den letzten … in der letzten Zeit bewohnt hatte. House schloss kurz die Augen,
öffnete sie wieder, aber das Bild blieb das Gleiche. Er steckte wieder in der verhassten Zelle.
Um ihn herum waren die Trennwände herunter gelassen, diesmal verwehrten sie sogar den
Blick auf die Plattform. Grell leuchtete das rote Licht und verhinderte noch immer nachhaltig,
dass House etwas sagte. Was, zum Teufel, sollte das jetzt wieder? Greg konnte nicht verhindern, dass ihm eine Gänsehaut über den Körper huschte. Was hatte die Entführer zu einer
derart drastischen Maßnahme veranlasst, ihn wieder in den Zellentrakt zu schaffen, nachdem
er, wie alle anderen auch, gedacht hatte, dieser Teil ihrer Gefangenschaft wäre vorbei. Was
war passiert? Dieser Gedanke ging dem Arzt nicht mehr aus dem Kopf. Sie hatten einen anstrengenden Tag gehabt, Tests, Sport, Spanisch bzw. Französisch, abends noch Bildungs247
Die Anderen
by Frauke Feind
unterricht, dann hatten sie auf dem Zimmer ihr Abendbrot serviert bekommen und waren
irgendwann ins Bett gegangen, weil ihnen nicht ganz gut gewesen war. Zwischen dem ins
Bett gehen in der Wohnung und dem Aufwachen hier in der Zelle fehlte irgendwie ganz deutlich etwas. Ob wohl die Anderen auch wieder in der Zelle steckten? House erhob sich mühsam und humpelte zum Waschbecken. Er schöpfte sich mit beiden Händen Wasser ins Gesicht. Dann benutzte er das WC und setzte sich auf sein Bett. Mehr, als der Dinge harren, die
da kommen mochten, konnte er ohnehin nicht.
Und die kamen. Plötzlich ertönte der Weckton. Damit hatte Greg im Augenblick nicht
gerechnet und musste sich mächtig zusammen reißen, um nicht vor Schreck aufzukeuchen.
Minutenlang passierte nichts, dann hoben sich langsam die Wände. Da noch immer das rote
Licht leuchtete, wagte House nicht, etwas zu sagen. Still, angespannt und, ja, verängstigt,
wartete der Diagnostiker ab, was geschehen würde. Er richtete seinen Blick nach rechts, um
auszumachen, ob Allison ebenfalls wieder in der Zelle hockte. Als sich die Wände immer
höher in die Decke schoben, konnte House schließlich sehen, dass alle Gefangenen mehr oder
weniger verwirrt und munter in den kleinen Zellen hockten. Sein Augenmerk galt natürlich
aber in erster Linie erst einmal Cameron. Dieser schien es aber gut zu gehen, wie ein Blick zu
der jungen Ärztin hinüber zeigte. Sara in der Zelle neben ihm … House stutzte und stand auf.
Er trat an das Gitter der Nachbarzelle, vollkommen ignorierend, dass er wieder einmal nackt
war, und starrte konsterniert hinein. Da war keine Sara. Eine ebenfalls nackte, hübsche,
blonde junge Frau saß dort vollkommen verwirrt am Boden, versuchte krampfhaft, ihre Blöße
zu bedecken und starrte hoffnungslos überfordert um sich.
Die anderen Gefangenen waren zum Teil ebenfalls schon vor dem Weckton zu sich
gekommen. Keiner von ihnen konnte sich erklären, wie sie wieder in den Zellen gelandet
waren. Alle hatten das Gefühl, einen fürchterlichen Kater zu haben. Sawyer war sich sicher,
Arm in Arm mit Kate eingeschlafen zu sein. Jetzt lag er in seiner Zelle, Kate in ihrer. Hatten
sie irgendetwas getan, was diese Bestrafung rechtfertigte? Ähnliche Gedanken gingen Jake
und Heather durch den Kopf. Nachdem man sie endlich in ihre Miniaturwohnung gebracht
hatte, hatten sie sich über den Tag unterhalten. Dann waren sie müde und erschöpft ins Bett
gefallen, nachdem sie noch schnell das Abendbrot, einen Bohneneintopf, weg gelöffelt hatten.
Heather hatte das Gefühl, noch immer Jakes zärtliche Hände zu spüren, die sanft ihren Körper
gestreichelt hatten. Und nun lag sie in der Zelle, von der sie so sehr gehofft hatte, sie nie
wieder zu sehen. Das war grausam. Mulder trat an das Gitter und sah sehnsüchtig zu Dana
hinüber. Er hätte gerne gefragt, ob sie sich erinnerte, wie sie hier her gekommen waren, aber
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Die Anderen
by Frauke Feind
das rote Licht wirkte bei ihnen allen so gründlich, dass keiner der Gefangenen wagte, auch
nur laut zu denken.
Nach dem Schock, wieder in den Zellen zu stecken, kam gleich der nächste Schock,
als nämlich alle nach und nach mit bekamen, dass Sara, und wie nun zu sehen war, auch Gil
fehlten. Hatten die Beiden als Einzige Glück gehabt und durften in der Wohnung bleiben? So
musste es sein. Schnell setzte sich dieser Gedanke bei den Inhaftierten in den Köpfen fest.
Einen anderen Gedanken wollten sie nicht zulassen. Nach House waren es nun Jake und
Gibbs, die bemerkten, dass Saras Zelle neu belegt war. Und dann sahen es schlagartig auch
alle anderen Gefangenen. Die junge Frau hockte zusammen gekauert auf dem Boden und versuchte immer noch, ihre Nacktheit mit den Händen und Armen zu verdecken. Sie hatte ihre
Umgebung ein wenig genauer in Augenschein genommen und hatte registriert, dass es eine
ganze Reihe von Zellen wie ihre eigene gab, kreisförmig in einer großen Runde aufgeteilt, in
der Mitte des Zellentrakts eine ziemlich große freie Fläche. Beth beschloss, Kontakt zu ihren
Mitgefangenen aufzunehmen. Mit zitternder Stimme fragte sie: „Wo … wo sind wir hier?
Was ist das hier? Wer sind Sie alle?“ Booth war es, der den schmerzhaften Stromschlag für
unerlaubtes Reden bekam und erschrocken los fluchte. „Ah, verdammt noch mal.“
Postwendend entfuhr Ziva ein Schmerzlaut. Ihr gelang es aber, jedes Wort zu unterdrücken.
Wieder fragte Beth verängstigt: „Was ist hier los? Wer seid ihr?“ Diesmal durchfuhr Mulder
ein heftiger Stromstoß und der FBI Mann konnte einen Schmerzlaut nicht mehr unterdrücken.
Beth war viel zu verwirrt, um den Zusammenhang zwischen ihren Worten und den gequälten
Lauten einiger der anderen Zelleninsassen herzustellen. Verzweifelt rief sie: „Warum reden
Sie nicht mit mir. Sagen Sie mir doch …“ Sie wurde von dem schmerzgequälten Aufschrei
des jungen Mannes in der Zelle neben ihr unterbrochen.
Mit schmerzverzehrtem Gesicht legte dieser in einer überdeutlichen Geste den Zeigefinger über die Lippen und deutete dann auf die rote Lampe in der Decke der Zelle. „Redeverbot?“, fragte Beth und diesmal keuchte eine junge Frau in der Zelle, die Beth gegenüber
lag, erschrocken auf. Der junge Mann in der Nachbarzelle nickte entschieden und Beth nickte
ebenfalls, verstehend. Sie schwieg. Und musterte die anderen Gefangenen genauer. In den
Zellen saßen sieben Männer und sieben Frauen, alle nackt, soweit Beth es sehen konnte.
Ihnen schien dieser Zustand nicht viel auszumachen. Beth fiel auf, dass die Inhaftierten sehr
blass aussahen, als hätten sie alle lange keine Sonne gesehen. Selbst Mick hatte mehr Farbe.
Mick. Beth schlug aufschluchzend die Hände vor das Gesicht. Wo mochte er nur sein? Jake
und House hätten die junge Frau gerne getröstet, aber das rote Licht brannte permanent
weiter. Sawyer stand an der Zellentür und sah zu Kate hinüber. Diese zuckte die Schultern.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Was sollte das nur wieder? Dass Sara und Gil fehlten, beunruhigte die Gefangenen mehr, als
sie sich eingestehen wollten. Das sie nicht reden durften, verschlimmerte die Sorge. Und das
statt Saras jetzt eine blonde Frau in der Zelle hockte und Gils Zelle ganz leer war, trug nicht
dazu bei, die Gefangenen zu beruhigen. Die Blonde trug, genau wie die Gefangenen, den
Halsring und die Hand und Fußgelenkringe. Nur, dass sie natürlich keine Ahnung hatte, was
sie da trug. Gibbs sah zu Abby hinüber, die sehr verschreckt wirkte. Er machte beruhigend
mit dem Daumen das Zeichen für - Alles okay - Dabei hatte er nicht das Gefühl, dass irgendwas okay war.
Plötzlich zuckten alle Gefangenen kollektiv zusammen. Die Lautsprecherstimme erklang. „Alle aufstehen und an die Gitter.“ Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern standen alle
Gefangenen auf und traten rücklings an die Gitter, streckten die Hände durch die Löcher in
der Zellentür. Beth beobachtete dieses Verhalten und dachte entsetzt - Mein Gott, die parieren
wie gut geschulte Hunde. - Sie selbst rührte sich nicht. Ganz bestimmt würde sie hier nicht
splitterfasernackt vor vierzehn Fremden aufstehen und sich präsentieren. Sie hatte diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da schrie die junge Frau vor Schmerzen gellend auf. Ein
heftiger Stromstoß zuckte durch ihren Körper. In Sekundenbruchteilen war sie auf den
Beinen. Zitternd stand sie in der Mitte der Zelle und versuchte jetzt stehend, ihre Blöße zu
bedecken. Und schrie erneut auf. Wieder hatte ein Stromstoß, durch den Fußboden geleitet,
sie schmerzhaft getroffen. Jetzt beeilte sie sich, an die Tür zu treten und streckte zitternd und
schluchzend ihre Hände ebenfalls durch das Loch in der Zellentür. Heftig weinend und am
ganzen Körper zitternd stand sie da und wartete, was nun passieren würde. Sie hörte Leute in
den Zellentrakt kommen. Und zuckte entsetzt zusammen, als sie spürte, dass man ihre Handgelenke zusammen fesselte. Dafür waren also die Stahlringe an den Hand und Fußgelenken
da.
Die Türen der Zellen sprangen auf, ohne, dass jemand etwas Sichtbares dazu bei getragen hätte und aus dem Lautsprecher ertönte der Befehl: „Raus aus den Zellen und rückwärts an die Gitter stellen.“ Augenblicklich gehorchten die Gefangenen. Zögernd gehorchte
auch Beth, der immer noch Tränen der Scham über die Wangen kullerten. Die Männer, die
den Kerker betreten und ihre Handgelenke gefesselt hatten, befestigten die Halsbänder der
Gefangenen an einem der Gitterstäbe. So standen die Gefangenen nun vollkommen hilflos
gefesselt da. Beth schüttelte entsetzt den Kopf und wich panisch zurück. Ironisch grinsend
packte der Typ, der vor ihrer Zelle stehen geblieben war, sie brutal am Arm und Sekunden
später schon war auch Beth hilflos an einen der Gitterstäbe gefesselt. Dadurch, dass ihre
Hände auf den Rücken gefesselt waren, hatten die Gefangenen keine Chance, ihre Blöße zu
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verdecken. Beth bemerkte wieder, dass die anderen Gefangenen diese Tatsache ziemlich
gleichgültig hinnahmen, es wirkte auf die junge Frau, als wären die Mitgefangenen es durchaus gewohnt, nackt und gefesselt zu sein. Beth schämte sich jedenfalls zu Tode und hatte entsetzliche Angst davor, jeden Moment von den Männern, die sie hier gefangen hielten, vergewaltigt zu werden. Sie betete zu Gott, dass Mick auftauchen und sie retten möge. Und ihr
Wunsch wurde fast umgehend erfüllt, jedoch auf eine Weise, die Beth entsetzt aufschreien
ließ. Und nicht nur sie schrie vor Entsetzen auf.
In der Mitte des Zellentrakts schob sich ein Teil des Fußbodens zur Seite und eine Art
Reck wurde langsam hoch gefahren. Und an diesem Reck hing Mick, mit sehr stabil aussehenden Ketten an den Armen hängend, die Beine rechts und links an die aufrechten Stangen
gefesselt, ebenfalls nackt. Was Beth und einige der anderen Gefangenen jedoch erschrocken
aufschreien ließ, war die Tatsache, dass in Micks Brust, in Höhe seines Herzens, ein zugespitzter Holzpflock steckte. Eine sehr dünne Blutspur zog sich über Micks Oberkörper bis
über den Oberschenkel hinaus. Vampire bluteten nicht wie Menschen. Mit dem gefesselten
Mann zusammen waren weitere Wachen aufgetaucht, die Geräte in der Hand hielten, die die
meisten Gefangenen sofort als Flammenwerfer erkannten. Mit diesen blieben zwei vor dem
Gefesselten stehen, die anderen verteilten sich auf die restlichen gefesselten Gefangenen.
House, Allison und Scully starrten mit nacktem Entsetzen in den Augen auf den sterbenden,
gefesselten Mann. House war es, der auf das Redeverbot pfiff und entsetzt hervor stieß: „Dem
Mann muss geholfen werden, Herrgott noch mal. Wenn Sie ihn dort so hängen lassen, ist er in
wenigen Minuten tot.“ Einer der Wachposten, die keinen Flammenwerfer in den Händen
hielten, trat zu House, holte aus und gab den Wehrlosen eine schallende Ohrfeige. „Wer hat
dich gefragt?“, wurde er angeschnauzt. Dann fuhr er Wachposten fort: „Außerdem ist der
Penner schon tot.“
Entsetztes Schweigen in der Runde. Nur das Schluchzen der jungen, blonden Frau war
zu hören. Geschlagen worden waren sie bisher nicht, darum erschreckte die Ohrfeige, die
House sich gefangen hatte, die Gefangenen so sehr, dass keiner mehr wagte, etwas zu sagen.
Und der Satz, dass der Mann sowieso schon tot war, bewirkte, dass alle geschockt schwiegen.
Beth jedoch schluchzte verstört: „Mein Gott, Mick. Hilf mir doch, bitte. Du musst etwas tun
…“ Alle schoben diese Worte dem Schock zu. Die junge Frau hatte es offensichtlich noch gar
nicht registriert, dass der junge Mann an dem Reck so gut wie tot war. Mitleidig sahen alle die
Blonde an und hätten ihr gerne etwas Tröstendes gesagt. In diesem Moment ging die Kerkertür auf. Ein Mann kam herein, der den Gefangenen hinlänglich bekannt und verhasst war. Es
war der Arzt oder Wissenschaftler, der die brutalen Verhöre geleitet hatte. Milde lächelnd trat
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er in die Mitte vor den Sterbenden und sah ihn aufmerksam an. Entspannt verschränkte er die
Hände hinter dem Rücken. Dann begann er, für die Gefangenen vollkommen unverständlich
und erschreckend, in lockerem Plauderton ein Gespräch mit dem sterbenden, jungen Mann.
„Mick St. John. Gehört habe ich von dir schon so einiges. Aber dass ich mal in den
Genuss kommen würde, dich persönlich kennen zu lernen, hätte ich nie für möglich gehalten.
Ich werde dich und deine Begleiterin über ein paar grundlegende Regeln hier aufklären. Sollte
ich das Gefühl haben, du schenkst mir nicht deine volle Aufmerksamkeit, werden wir Maßnahmen ergreifen, uns deine Aufmerksamkeit nachhaltig zu sichern, die dir nicht gefallen
werden.“ Er machte eine Handbewegung in Richtung der Wache, die bei Beth stand. Diese
schaltete kalt lächelnd den Flammenwerfer ein und drehte den Strahl klein. Dann wandte er
sich Beth zu, bis diese die Hitze des Flammenstrahles an ihrem nackten Bauch spürte. Panisch
keuchte die gefesselte junge Frau auf und schrie im nächsten Moment gellend auf vor
Schmerz. Ruhig fuhr der Arzt fort: „Solltest du auch nur in einer Weise gucken, die uns nicht
gefällt, wird die kleine Miss Buzz Wire Stück für Stück gegrillt. Und nicht nur das. Auch eure
Mitgefangenen werden dann viel Spaß auf deine Kosten kriegen.“ Wieder machte der eiskalte
Mann eine Handbewegung und im nächsten Moment brüllte Jake schmerzerfüllt auf, als die
Feuerzunge des Flammenwerfers über seinen Bauch huschte und einen roten Brandfleck
hinterließ.
Die Gefangenen starrten vollkommen entsetzt auf den Arzt, der mit dem so gut wie
toten jungen Mann sprach, als wäre dieser kerngesund und quietschvergnügt. Wenn sie bisher
schon Angst vor ihren Entführern hatten, wurde daraus nun nackte Panik. Der Arzt war ganz
offensichtlich durch gedreht oder die Entführer hatten sich ein neues, sehr grausames Spiel für
die Gefangenen überlegt. Als sie sahen, dass der Arzt aufstand und sich vor den reglosen
jungen Mann stellte, und dessen Kopf ein wenig anhob, hielten die Gefangenen die Luft an.
Der Arzt wandte sich an die junge Frau und fragte kalt: „Er hat alles verstanden, oder was
meinst du?“ Zitternd nickte die blonde Frau und immer noch kullerten ihr Tränen über die
blassen Wangen. Genervt schüttelte der Arzt den Kopf und gab der Wache einen Wink. Diese
trat daraufhin an Beth heran und verpasste der jungen Frau ebenfalls eine Ohrfeige. Nun
fragte der Arzt erneut: „Er hat alles verstanden?“ Beth hatte bei der schallenden Ohrfeige leise
aufgewimmert. Jetzt beeilte sie sich, zu Antworten: „Ja, das hat er, er bekommt alles mit.“ Die
wehrlosen Gefangenen beobachteten das Geschehen mit wachsendem Entsetzen. Der Arzt
nickte zufrieden und grinste diabolisch. „Du kennst ihn besser.“ Er sah wieder den jungen
Mann an, dann sagte er leise, aber laut genug, dass alle es hören konnten: „Dann wollen wir
unseren neuen Ehrengast mal in unserem trauten Kreis willkommen heißen.“ Er griff langsam
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Die Anderen
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nach dem Holzpflock und sagte zu den Wachen: „Passt auf.“ Seine Rechte schloss sich um
das Holz und dann zog er es mit einem Ruck aus dem Fleisch des Mannes. Nicht nur Heather
entwich ein entsetzter Aufschrei. Auch Kate und Abby schrien erschrocken auf.
Vampir
Ein guter Mensch, ja, wer wäre es nicht gerne.
Berthold Brecht
Und dann starrten alle fassungslos auf den gefesselten Mann. Dieser hatte ebenfalls
aufgeschrien vor Schmerzen. Ein dünner Blutstrom ergoss sich aus der Wunde und alle waren
überzeugt, die letzten Sekunden seines Lebens zu beobachten. Allison war die Erste, der auffiel, dass die Blutung schnell weniger wurde. Sie starrte fassungslos auf die tiefe, eigentlich
tödliche Brustwunde. Was sie beobachtete, ließ sie an ihrem Verstand zweifeln. Die Wunde
begann, sich zu schließen. Der junge Mann hing keuchend vor Schmerzen in den Fesseln, der
Kopf baumelte haltlos auf der Brust, aber die Wunde schloss sich. Dass die Kerkertür geöffnet wurde und ein weiterer Wachposten herein kam, der eine übergroße, mit einer dunklen
Flüssigkeit gefüllte Spritze bei sich trug, registrierten die Gefangenen gar nicht. Als es dem
jungen Mann trotz unglaublich schnell verheilender Wunde immer schlechter ging, dafür
brauchte man nicht einmal Arzt sein, um das zu bemerken, schrie Beth verzweifelt auf. „Ihr
müsst es ihm geben. Schnell.“ Der Arzt nickte. „Sieht so aus, als würde er es nicht ohne
schaffen.“ Er setzte die Nadel an der Halsschlagader des Gefesselten an und drückte den
Kolben langsam nieder, bis der gesamte Inhalt der Spritze in dessen Blutbahn geflossen war.
Dann beobachtete der Arzt den jungen Mann aufmerksam. Und obwohl es vollkommen unmöglich war, erholte dieser sich zusehends. Unter den entsetzt aufgerissenen Augen der Mitgefangenen kam wieder Leben in den Körper. Und nach einigen Minuten war die Wunde
vollkommen verschwunden, der junge Mann offensichtlich kerngesund und die anderen Gefangenen, vielleicht abgesehen von Beth, Scully und Mulder, absolut fassungslos.
Der Arzt behielt den gefesselten Gefangenen genau im Auge. Der zerrte probehalber
ein wenig an den Ketten, aber diese hielten. Der Arzt grinste zufrieden. „Dann wollen wir uns
mal ein wenig unterhalten, oder was meint ihr? Willkommen in unserer illustren Runde. Da
wir großzügige Menschen sind, werden wir euch eine kleine Einführung geben. Wir wissen,
wer und vor allem was du bist, Mick St. John. Und wir wissen inzwischen auch genug über
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deine kleine Miss Buzz Wire hier.“ Er deutete auf Beth. „Wir sind eine … Organisation mit
umfangreichen Zielen. Diese Herrschaften hier …“ Er machte eine ausholende Geste in die
Runde. „… sind seit einigen Monaten unsere lieben Gäste. Wir haben sie eingeladen, uns bei
einer wahrhaft großen Sache zu unterstützen. Noch sind sie ihren kommenden großen Aufgaben nicht gewachsen, aber das macht nichts, wir haben Zeit. Und jetzt haben wir dich.“ Er
grinste den jungen Mann teuflisch an. Dieser versuchte, cool und gelassen auszusehen. Da
seine Blicke immer wieder zu der blonden, jungen Frau huschten, gelang ihm das jedoch nur
mäßig. „Ihr beide werdet für die Dauer eures Aufenthaltes hier Nummern bekommen, wie alle
anderen auch. Diese Nummern sind von dieser Sekunde an gleichsam eure Namen. Miss Buzz
Wire, du hast den Namen deiner verstorbenen Vorgängerin geerbt und bist fortan Nummer
11. Mr. Privatdetektiv hier wird die Nummer 13 seines ebenfalls verstorbenen Vorgängers
übernehmen, wenngleich auch einigen von uns die Nummer 666 vorschwebte.“
Wieder grinste der Arzt und schaute sich dann im Rund um. Die Wirkung seiner
Worte auf die Gefangenen war unterschiedlich. Gelassen fasste keiner diese Nachricht auf. In
einigen Gesichtern zeichnete sich eindeutig Wut und Hass ab, in Anderen genau so eindeutig
Schrecken und Entsetzen. Heather und Allison liefen Tränen über die blassen Wangen. Gil
und Sara tot. Aber sie hatten keine Zeit, darüber nachzudenken. Denn schon fuhr der Arzt
fort: „Ich möchte unsere neuen Gäste noch über einige wichtige Regeln aufklären: 1) Ihr
werdet jeden einzelnen Befehl unverzüglich befolgen. Tut ihr es nicht, werdet ihr nicht selbst
bestraft, das wäre zu einfach. Die Strafe für Vergehen wird immer und konsequent an einem
anderen Mitgefangenen ausgeführt. 2) Solange rotes Licht ist, habt ihr absolutes Redeverbot.
3) Ihr werdet Kleidung erhalten, die ihr zu tragen habt. 4) Ihr habt die Wachen und Wissenschaftler, die sich mit euch befassen werden, höflich und mit Respekt zu behandeln, Anweisungen ist Folge zu leisten, ihr werdet ihnen niemals in die Augen sehen und sie stets mit
Sir oder Ma’am ansprechen. 5) Sobald eure Nummern aufgerufen werden, habt ihr rückwärts
an die Tür zu treten und die Hände durch das Loch zu strecken. Habt ihr das verstanden?“ Er
sah Beth und Mick an. Beth nickte. Der Arzt zog einen kleinen Gegenstand aus der Tasche
und drückte diesen ohne zu Zögern gegen Micks schlanken Bauch. Aufbrüllend zuckte dieser
in den Fesseln zusammen. Der Arzt wiederholte seine Frage an Beth. „Hast du das verstanden?“ Hastig stieß Beth hervor: „Ja, Sir, ich habe es verstanden.“
Zufrieden wandte sich der Arzt wieder Mick zu. „Ich nehme an, du hast es auch verstanden?“ Noch mit den Nachwirkungen des heftigen Stromstoßes kämpfend stieß Mick
zwischen zusammen gebissenen Zähnen gepresst hervor: „Ja, Sir, ich … habe es auch verstanden.“ Der Arzt nickte zufrieden. „Nun zu unseren Sicherheitsvorkehrungen. Die Zellen254
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türen lassen sich zwar mit Gewalt öffnen, sollte das aber versucht werden, geschieht
folgendes …“ Der den Gefangenen schon so bekannte Monitor wurde von der Decke abgesenkt und flimmerte auf. Auf dem Bildschirm erschien das Bild einer Zellentür, die in eine
Wand eingearbeitet war. Ein Mann in einem Schutzanzug, vor dessen Brust ein größeres
Stück Fleisch an einer Schnur hing, und der eine Art Taucherhelm auf dem Kopf hatte, versuchte, die Tür gewaltsam zu öffnen. Als er es geschafft hatte, strömte plötzlich ein scheinbar
durch Farbzusatz sichtbar gemachtes Gas aus einer Öffnung in der Tür, dort, wo normalerweise der Schlüssel eingesteckt wurde. Die gasförmige Substanz traf das Fleischstück und
zersetzte es innerhalb von wenigen Sekunden zu einer undefinierbaren Masse. Entsetzt sogen
die Gefangenen die Luft ein. DAS hatten sie bisher selbst nicht gewusst. Der Arzt amüsierte
sich offensichtlich königlich. „Das funktioniert übrigens in beide Richtungen, die gesamte
Zelle samt Nachbarzellen wird damit besprüht werden und nebenbei ist das auch nur eine der
Sicherheitsmaßnahmen. Die Anderen werden wir euch nicht unter die Nase reiben.“ Er
grinste.
„Nun werden wir kurz demonstrieren, was passiert, wenn ihr euch mit den Halsbändern aus dem Bereich zu entfernen versucht, den wir für euch vorgesehen haben.“ Das
schon bekannte Video mit der Demonstration der Halsbänder ließ auch Mick und Beth entsetzt auf den Monitor starren. Als das Video zu Ende war, fragte der Arzt: „Das kann nicht
einmal einer wie du ab, richtig? Zumal wir uns erlaubt haben, deine Sprengladung so zu erhöhen, dass du auf jeden Fall den Kopf verlieren wirst. Ach, ehe ich es vergesse, wenn ihr
nicht pariert, sind die Halsbänder auch sehr nützlich.“ Er gab einen leisen Befehl in sein
Headset und Sekunden später brüllten sowohl Beth als auch Mick vor Schmerzen gepeinigt
auf und hingen zuckend in ihren Fesseln. Alle, die die verheerende Wirkung des Halsbandes
schon zu spüren bekommen hatten, zuckten kollektiv mit zusammen. Beth und Mick
brauchten ein paar Minuten, um sich zu fangen. Der Arzt fuhr unbeeindruckt fort: „Alles
Weitere dürfen euch eure Zellennachbarn erzählen. Ab morgen seid ihr mit einigen Tests
dran. Ruht euch aus und bereitet euch auf eine angenehme Zeit vor. Und Nummer 13, wir
wollen, dass du deinen Mitgefangenen vorbehaltlos reinen Wein einschenkst über dich und
deine kleinen … Besonderheiten. Du solltest ehrlich sein, sonst wird Nummer 11 darunter
leiden.“ Er gab den Wachen den Befehl: „Schafft sie alle in ihre Zellen und wenn er auch nur
falsch guckt, wisst ihr, was ihr zu tun habt.“
Zuerst wurden nun die Gefangenen von den Zellentüren los gemacht und in die Zellen
zurück verfrachtet. Türen schlossen sich. Man ließ ihnen noch die Hände gefesselt. Dann
wandten sich die Wachen dem jungen Mann Mick zu. Vier sicherten mit Flammenwerfern,
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zwei lösten dessen Fesseln. Aber die Sorge war unbegründet, denn der junge Mann war nicht
dumm. Widerstandslos ließ er sich in die Zelle führen, die bisher Gil bewohnt hatte. Als er
sicher dort angekommen war und die Tür sich auch hinter ihm schloss, wurden den restlichen
Gefangenen die Handfesseln gelöst. Die Wachen verließen den Kerker, das rote Licht sprang
auf grün um und die verwirrten und bestürzten Gefangenen waren alleine. Noch einmal ging
die Kerkertür auf und eine Wache drückte sowohl Dana als auch Locke einen Stapel Kittel in
die Hand mit den Worten: „Weiter verteilen.“ Dann waren die Gefangenen wieder allein.
Dana und Locke verteilten die Kittel ordnungsgemäß weiter und Augenblicke später hatten
alle wieder ihre niedlichen, moderesistenten Krankenhauskittel mit den Nummern an. „Na,
welch wundervoll vertrauter Anblick.“, brach Sawyer das herrschende, verlegene Schweigen.
Er sah zu Mick und Beth hinüber. „Ich bin zwar nicht die Nummer 1, aber ich mache einfach
mal den Anfang. Mein Name ist Sawyer.“ Nacheinander stellten sich alle vor, und Beth und
Mick bemühten sich, alle Namen und die dazu genannten Berufe zu behalten. Dann erklärte
Beth leise: „Beth, Beth Turner. Ich bin Journalistin beim Internet-Magazin Buzz Wire in LA.“
Alle wandten sich Mick zu. Dieser hatte vor dem was zwangsläufig kommen musste,
Angst gehabt. Und schon kam die alles entscheidende Frage. „Wer du bist, interessiert hier
glaube ich keinen sonderlich, dafür umso mehr, was, zum Henker du bist. Ich habe ja schon
einiges an wundersamen Heilungen gesehen, aber nie einen Menschen, der mit einem
zwanzig Zentimeter langen Zahnstocher von der Stärke eines Vibrators im Herzen nach einer
geheimnisvollen Injektion mit … ja, was eigentlich, vollkommen geheilt war, und das innerhalb von fünf Minuten. Also, sei ein guter Junge und kläre uns auf.“ House sah Mick auffordernd an. Dieser holte tief Luft und wollte gerade verzweifelt sein so wohl gehütetes
Geheimnis vor all den Fremden hier preisgeben, als die Stimme des Mannes, der sich als FBI
Special Agent Fox Mulder vorgestellt hatte, ihm zuvor kam. „Ich glaube, ich kann erklären,
was Mick ist. Du bist ein … Vampir, richtig?“ Alle hielten die Luft an. Und nach kurzem
Zögern sagte Mick sehr leise und mit gesenktem Blick: „Oder wie Buffy in der gleichnamigen
Fernsehserie einmal so treffend formulierte, ein Untoter Amerikaner. Ja, ich bin ein Vampir.
Es … es gibt uns wirklich. Ich …“ Er suchte verzweifelt nach Worten, die sein Monster-Sein
irgendwie weniger monsterhaft erscheinen ließen. „Ihr seid nicht in Gefahr durch mich … Ihr
müsst nachts nicht ... ihr braucht keine Kruzifixe oder Knoblauch ...“
Wieder verstummte er unglücklich. Beth allein wusste, wie schwer Mick diese simple
Offenbarung, zu der man ihn zwang, fiel. Er schämte sich so entsetzlich für das, was er war,
dass er selbst vor ihr noch Hemmungen hatte, darüber zu Reden. Und nun war er gezwungen,
vor so vielen Fremden sein streng gehütetes Geheimnis zu lüften. „Wie alt bist du?“, wollte
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Mulder wissen. Mick sackte noch weiter in sich zusammen. Dann sagte er sehr leise, fast
schon flüsternd: „Fünfundachtzig.“ Sawyer lachte begeistert. „Na, man, Alter, wenn das kein
Grund ist, sich beißen zu lassen.“ Fasziniert starrten alle Mick an. Fünfundachtzig. Er sah aus
wie höchstens dreißig. Wieder war es Mulder, der eine neue Frage stellte. „Wie ist es zu der
Verwandlung gekommen? Wem hast du … Wer hat dich zu einem Vampir gemacht?“ Bevor
Mick auf die Frage antworten konnte, sprudelte Abby dazwischen. Sie hatte bislang still zugehört, um das Unfassbare zu begreifen. Jetzt hielt sie es nicht mehr aus. „Du bist doch nicht
allen Ernstes ein … Blutsauger, ein echter Vampir, wie Graf Dracula? Verwandelst du dich in
eine Fledermaus?“ Bevor Mick auf Abbys Frage antworten konnte, mischte Bones sich ein.
„Graf Dracula war kein Vampir, sondern ein Adeliger namens Vlad Dracul, der von 1395 bis
1447 lebte. Er hatte die Angewohnheit, seine Feinde durch Pfählen zu töten. Er war einfach
nur ein besonders kriegerischer Fürst. Erst viele Jahre später entstand die Legende, er sei ein
Vampir gewesen. Der Vampirmythos entstand erst durch die hysterische Reaktion einiger so
genannter Wissenschaftler des Mittelalters auf Porphyrie-Kranke20. Da Menschen mit dieser
Krankheit kein Hämoglobin21 bilden können, liegt es nahe, sie mit Fledermäusen in Verbindung zu bringen, obwohl diese Analogie der Komplexität der Erkrankung kaum Rechnung
trägt.“ Mick selbst war zu fertig, um den ungläubigen Tonfall in Abbys Stimme überhaupt zu
bemerken. Ernsthaft erwiderte er, nachdem Bones Redeschwall beendet war: „Nein, das ist
ein Ammenmärchen, wir verwandeln uns nicht in Fledermäuse. Aber wir können sehr hoch
springen und aus großer Höhe in die Tiefe hüpfen, ohne uns zu verletzen.“ Bones starrte den
jungen Mann an wie einen bedauernswerten Irren. „Natürlich. Und nachts schläfst du in
einem Sarg.“
An dieser Stelle unterbrach Allison die Anthropologin. „Wir haben doch alle gesehen,
wie schnell die Wunde verheilt ist. Wie willst du das anders erklären, Bones?“, fragte die
Immunologin genervt. Sie hatte das Phänomen mit eigenen Augen gesehen, sie glaubte es fast
selbst dennoch nicht. „Ich bin Anthropologin, keine Ärztin, Allison. Und ich verstehe nicht
viel von den Produkten der Filmindustrie, wie du weißt. Das muss irgendein Trick sein.
Vielleicht haben die ihm ein Mittel gegeben, dass die Hämostase22 anregt. Es muss eine
20
Porphyrie: Unter den Porphyrien versteht man eine Gruppe erblicher Stoffwechselerkrankungen, die mit einer Störung des
Aufbaus des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin einhergehen.
21
Als Hämoglobin bezeichnet man den eisenhaltigen roten Blutfarbstoff in den roten Blutkörperchen der Wirbeltiere und seine
Varianten. Es stellt wie auch das Myoglobin einen wichtigen Sauerstoff-Transporteur im Körper dar.
22
Hämostase ist ein lebenswichtiger Prozess, der die bei Verletzungen der Blutgefäße entstehenden Blutungen zum Stehen
bringt. Dadurch wird der übermäßige Austritt von Blut aus dem Blutkreislauf verhindert und die Voraussetzung für eine Wund-
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Die Anderen
by Frauke Feind
wissenschaftliche Erklärung dafür geben. Es gibt keine Vampire. Das ist ein Mythos, der entstanden ist, weil die Menschen im Mittelalter Personen, die unter bestimmten Krankheiten
litten, hauptsächlich Porphyrie, irrtümlich für Monster hielten.“ Fast verzweifelt stieß Bones
diese Worte hervor. Keiner sagte etwas, keiner fragte, was Porphyrie oder Hämostase war.
Kate starrte derart fasziniert zu Mick hinüber, durch die Zellen hindurch, dass Sawyer für
Sekunden einen kleinen Stich im Herzen fühlte. Aber so schnell, wie dieses Empfinden aufgetaucht war, verschwand es auch wieder. Ziva und Gibbs sahen skeptisch, wenn auch nicht
ganz ungläubig aus. Ihr Glaube hatte schon durch Mulders Geschichte erheblich gelitten. Ihm
glaubten sie seine Alien-Entführung inzwischen. Und sie waren fair genug, einzuräumen, dass
es, wenn es Aliens gab, auch andere Dinge geben konnte, die einer wissenschaftlich logischen
Erklärung entbehrten. Scully und Mulder hatten im Laufe der Zeit ein wenig von ihren Fällen
bei den X Akten erzählt, da waren haarsträubende Dinge geschehen. Warum also nicht auch
Vampire?
Scully, Locke und Heather glaubten vorbehaltlos, was sie eben mit eigenen Augen gesehen hatten. Scully wusste um Wesen, die jeder verleugnet hätte. Ihr fiel es leicht, zu
Akzeptieren, dass nun ein solches Wesen unter ihnen war. Locke glaubte ohnehin an das
Übersinnliche. Er war ebenso fasziniert wie Mulder. Bei Heather und Abby war es die Tatsache, dass sie es mit eigenen Augen gesehen hatten. Jake, Sawyer, Booth und Kate waren
merklich verwirrt, lehnten die Tatsache, dass es so was wie Vampire gab, aber nicht kategorisch ab. Und House und Allison waren in ihren Grundfesten erschüttert. House hätte Mick
am liebsten eigenhändig den Holzpflock erneut in die Brust gerammt, nur, um zu testen, ob er
wirklich gesehen hatte, was er glaubte, gesehen zu haben. Allison war da pragmatischer veranlagt: Sie glaubte, was sie sah. Und was sie beobachtet hatte, war ein junger Mann, dem ein
absolut tödlicher Holzpflock, der jeden anderen Menschen sofort umgebracht hätte, aus der
Brust ragte und der nach Entfernen des Selben blitzschnell genesen war und sich nun offensichtlich bester Gesundheit erfreute. Sie akzeptierte diese Tatsache.
Mick hatte die kurze Diskussion zwischen den beiden jungen Frauen beobachtet und
überlegte, wie er der Skeptikerin seine Existenz glaubhaft erklären konnte. Vorher jedoch
platzte der junge FBI Agent aus der Zelle gegenüber, Booth, dazwischen. „Mal ganz was
anderes, Mick, wo haben die euch erwischt und was für ein Datum haben wir?“ Alle erstarrten. Dass sie auf die naheliegendste Frage nicht selbst gekommen waren. Gibbs hätte sich
heilung geschaffen. Die Blutstillung muss im Fall einer Verletzung hinreichend schnell einsetzen, um größeren Blutverlust zu
vermeiden.
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Die Anderen
by Frauke Feind
in den Hintern beißen können. Mick und Beth sahen erstaunt ihren Mithäftlingen in die erwartungsvollen Gesichter. „Wie, welches Datum?“, fragte Beth mit einem Tonfall, als hätte
sie es mit kleinen Kindern zu tun. House erwiderte im gleichen Tonfall: „Weißt du, wenn ihr
keinen eingebauten Kalender habt, werdet ihr schnell auch nicht mehr wissen, welches Datum
wir haben. Und wir sind schon etwas länger hier, Mami.“ Beth starrte ihn erschrocken an.
„Mein Gott, wie lange seid ihr denn alle schon hier?“ Mulder warf ein: „Das können wir euch
sagen, wenn ihr uns das aktuelle Datum nennt. Wir sind am 11.11. entführt worden.“ Beth
schüttelte ungläubig den Kopf. „Um Himmels Willen. Heute ... Wir haben den 3.ten April.“
Nach diesen Worten herrschte Schweigen. Die Gefangenen wirkten auf Beth und Mick
wie gelähmt. Der blonde junge Mann, der sich zuerst vorgestellt hatte, Sawyer, stieß leise und
resigniert: „April ... Na, prima.“ hervor. Beth, der man eine unglaubliche Beobachtungsgabe
nachsagte, hatte, als sie an die Gitter gefesselt da gestanden hatten, bei ihm eine relativ frische
Narbe unter dem linken unteren Rippenbogen bemerkt, die auf gar keinem Fall schon über
vier Monate alt war. Sie musste ihm hier beigebracht worden sein. Beth lief eine Gänsehaut
über den Rücken. Die Menschen hier wussten ganz offensichtlich nicht, wo sie waren und bis
eben auch nicht, wie lange dieser Zustand schon währte. Was hatten die Ärmsten hier wohl
schon durch gemacht? Auch der junge Mann im Käfig rechts neben Beth flüsterte leise:
„April ... Und wo?“ Mick hatte sich auf das Bett gesetzt und erklärte dann: „Jakarta ...“
Ungläubig schüttelte Jake den Kopf. „Jakarta ... Java ... Ihr seid in Indonesien ...“ Mick sah zu
dem jungen Mann hinüber. „Wir sind ein Stück geflogen worden und ... Ich habe ein sehr
gutes Gehör, wisst ihr, ich konnte die Kommunikation zwischen dem Tower und der Frachtmaschine hören. Wir sind in ... Palangkaraya gelandet.“ „Pala ... was?“ Sawyer hob müde den
Kopf. „Palangkaraya, Borneo.“, seufzte Mulder. „Borneo, also wirklich.“
Vermutet hatten alle das seit der Hetzjagd bereits, jetzt wurde es bestätigt. Borneo.
Indonesien. Also hatten sie sich nicht geirrt. Minutenlang herrschte Schweigen, dann sprach
Abby aus, was eigentlich alle, selbst die Optimisten unter ihnen, im Moment dachten. „Die
finden uns hier wirklich niemals.“ Nicht Wut oder Aufregung folgten dieser Tatsache,
sondern eher ruhige Ergebenheit, Resignation, Aufgabe. Ziva sprach aus, was allen im Kopf
herum ging. „Wir werden hier stecken, bis wir veraltert sind.“ „Verschimmelt. Oder entsorgt
wie Gil und Sara.“, erwiderte Abby. Beth war klar, dass die Gefangenen eigentlich sicher
gerne alles über Mick erfahren hätten, aber sie wollte gerne wissen, was den Menschen hier in
den Zellen widerfahren war. „Bitte, könntet ihr uns vielleicht ein wenig aufklären, was das
hier soll, warum ihr alle schon so lange hier ... Warum ihr nicht wisst, welches Datum wir
haben? Was hier los ist?“ Sie riss mit ihren Fragen einige der Gefangenen aus der ent259
Die Anderen
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standenen Lethargie. Aber es war Mulder, der letztlich eine Erklärung zusammenfasste.
„Wann wir entführt wurden, wisst ihr ja nun ...“ Hier unterbrach Beth noch einmal. „Wieso,
ihr seid doch nicht alle an einem Tag ...“ „Doch.“ Mulder klang frustriert. „Wir wurden auf
dem Rückflug von Sydney nach LA ...“ Wieder kam Mulder nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Diesmal war es Mick, der ihn unterbrach. „Jetzt sagt nicht, dass Beth und ich die vermissten Passagiere aus der Qantas 815 gefunden haben.“
Mulder seufzte. „Wenn du es gefunden haben nennst ... Ja, habt ihr. Damit ist das wie
ja auch geklärt. Wir wurden im Flugzeug betäubt und wachten erst hier wieder auf. Wir hatten
keine Ahnung, wo man uns hin geschafft hatte, nur eine vage Ahnung, nachdem einige von
uns bei einer Hatz durch den Dschungel Orang-Utans gesichtet haben. Wir hatten die Wahl
zwischen Borneo oder Sumatra, oder keines von beiden, den netten Leuten hier wäre es auch
zuzutrauen, die Affenbegegnung getürkt zu haben. Warum wir nicht wissen, wie lange wir
hier sind und welches Datum ist: Ganz einfach, seht ihr irgendwo ein Fenster oder einen
Kalender? Wir, das heißt, einmal alle und zwei Mal kleinere Gruppen von uns, waren in der
gesamten Zeit nur drei Mal außerhalb des Gebäudes. Bei diesen Gelegenheiten konnten wir in
Erfahrung bringen, dass wir irgendwo in den Tropen sind. Mehr aber auch nicht.“ Mulder
machte eine kleine Pause, dann fuhr er fort: „Was hier los ist? Nun, wir wissen seit einigen
Minuten, dass wir offensichtlich für eine große Sache vor gesehen sind.“ Er schmunzelte über
Beth’ verblüfftes Gesicht. „Ihr werdet es schnell merken, Aufklärungsarbeit wird hier nicht
gerade großgeschrieben. Sehr viel eher werden euch knallharte Befehle um die Ohren gehauen. Und was wir hier schon für Spaß hatten, wollt ihr nicht wissen, glaubt mir.“
„Schlimm?“, fragte Beth zaghaft. „Schlimmer.“, kam es aus vierzehn Zellen wie aus einem
Mund.
Kurz herrschte wieder Schweigen, dann meinte Locke ruhig: „Mick, du solltest lieber
tun, was unsere Gastgeber verlangen, sie sind nicht gerade für Geduld bekannt, die Bestrafungen hier sind ... unangenehm. Nie, oder nur sehr, sehr selten für den Betroffenen selbst,
weit eher für Unbeteiligte. Und in deinem Falle wohl für Beth. Macht nicht den Fehler, die
Herrschaften hier zu unterschätzen, das ist schon ganz anderen nicht bekommen.“ Er sagte
dies in ruhigem Ton und erreichte damit, dass Mick nickte. „Ja, du hast sicher Recht. Ich
werde ganz bestimmt nichts riskieren, was Beth gefährden könnte. Es fällt mir nicht leicht,
darüber zu reden, aber was möchtet ihr wissen?“ Er sah die Mitgefangenen an. Keiner mochte
eine Frage stellen, also übernahm Mulder gerne diese Funktion. „Du bist fünfundachtzig,
wann wurdest du zum Vampir?“, fragte er. Mick seufzte leise. „1952 ... Ich ... ich lernte auf
einer Party eine Frau kennen, Coraline Duvall, verliebte mich hoffnungslos in sie. Wir
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Die Anderen
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heirateten. In der Hochzeitsnacht ... machte sie mich zu einem Vampir.“ An dieser Stelle
prustete Bones kopfschüttelnd: „Natürlich. Und seither schläfst du mit dem Kopf nach unten.“
Mick warf der jungen Frau am anderen Ende der Zellenreihe einen ruhigen Blick zu. „Nein, in
einer Kühltruhe.“, sagte er dann trocken.
Aufklärungsarbeit
Der flammende Beweis für die Unsterblichkeit ist unsere Unzufriedenheit mit
jeder anderen Lösung.
Ralph Waldo Emerson
Bones verschlug es kurzfristig die Sprache. Und nun war es Kate, die nachfragte: „In
einer Kühltruhe? Ich dachte immer, Vampire schlafen tagsüber in Särgen ...“ Sie schwieg verlegen und sah sich hilfesuchend um. Mick schmunzelte. „Tja, es wird viel Blödsinn über uns
gesagt. Tatsache ist, dass wir überhitzen, wenn wir nicht die Möglichkeit haben, uns innerhalb
eines Tages für mindestens drei Stunden an einem Ort aufzuhalten, der um die Minus drei bis
fünf Grad hat.“ Bones schüttelte erneut den Kopf. „Und wovon ernährst du dich? Rohe
Burger? Oder doch von Blut?“ Mick sah zu Boden. Er schämte sich entsetzlich. Verzweifelt
schlug er die Hände vor sein Gesicht und fuhr sich dann in einer hilflosen Geste damit durch
die dunklen Haare. Hier zu erklären, dass er sich wirklich ausschließlich von Blut ernährte,
war ihm unmöglich. Er schwieg weiter. Und dann schrie Beth plötzlich schmerzerfüllt auf.
Ein heftiger Stromschlag war durch den Boden ihrer Zelle gezuckt und hatte sie voll erwischt.
Mick schoss entsetzt hoch. „Beth. Was ist ...?“ Trocken bemerkte Jake: „Haben wir wohl vergessen, zu erwähnen ... Die überwachen uns 24/7, wir können keine Bewegung machen, ohne
dass die es sehen und kein Wort von uns geben, ohne dass die es mithören ...“ Mick ballte vor
Zorn die Hände zu Fäusten. Dann stieß er gepresst hervor: „Ja, ja, ich muss mich von Blut
ernähren. Nein, ich gehe nicht auf Jagd. Ich beziehe meine Nahrung von der Blutbank.“ „Wie
Angel.“, entfuhr es Abby.
Wieder schüttelte Bones den Kopf. „Das ist doch irre. Ihr könnt das doch nicht wirklich glauben. Booth, Herrgott, sage doch auch mal etwas dazu. Die ... Mein Gott, die nehmen
uns doch auf den Arm.“ Sie wirbelte zu Mick herum. „Zeig es uns. Los, verwandle dich, oder
wie immer man es in euren Kreisen nennt. Werde zu einem Vampir. Das kannst du doch
sicher.“ Mick sah betroffen zu Bones herüber. „Du würdest auch das nur für einen Trick
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Die Anderen
by Frauke Feind
halten, oder?“, fragte er leise. Beth lief eine Gänsehaut über den Rücken und sie setzte sich
hastig auf das Bett. „Nützt nichts, irgendwie wird der Strom auch da geleitet.“, erklärte Kate
resigniert. Sie hatte Beth beobachtet. „Mick. Bitte, Baby, zeige es ihr, ich ...“ Sie verstummte,
wollte Mick nicht unter die Nase reiben, dass sie Angst hatte, erneut geschockt zu werden.
Mick ließ den Kopf hängen. Mal ganz abgesehen davon, dass er sich gerade wie ein Tier im
Zoo fühlte, dass neugierig begafft wurde, hatte er sich noch nie zu Vorführungszwecken in
den Vampir in sich verwandelt. „Ich bin nicht sicher, ob ich ...“ ’es schaffe’ hatte er sagen
wollen. Soweit kam er nicht, denn die Entführer beschlossen, ihm ein wenig in die Gänge zu
helfen. Ehe er überhaupt begriff, wie ihm geschah, zuckte von dem Halsreif ausgehend erneut
ein derartiger Schmerz durch seinen Körper, dass die Verwandlung in den Vampir sich unmittelbar abspielte. Er hatte keine Kontrolle mehr darüber, diese übernahm der Schmerz.
„Ich habe gewonnen, rüber mit der Kohle.“
„Ich habe nicht damit gerechnet, dass alle anderen es schlucken.“
„Nicht mal House hat gezweifelt.“
„Ob Brennan mitspielt?“
„Machst du Witze. Die wird im Dreieck springen. Ich kann es kaum erwarten.“
„Ich weiß, du kannst sie nicht leiden. Aber sie ist die Intelligenteste von
allen.“
„Das ist mir auch klar. Aber die Frau ist ein Alien.“
Aufbrüllend sank er auf die Knie, krallte die Finger um den Reif und dann stöhnte
Allison entsetzt auf und wich ans Gitter zur Zelle Jakes zurück. Eine Fratze wie aus einem
Horrorfilm starrte ihr ins Gesicht. Kalte, aber in einem unheimlichen Feuer lodernde hellgraublaue Augen, gefährliche, lange Reißzähne in dem bis vor Sekunden ebenmäßigen Gebiss.
Fauchend starrte die Kreatur zu ihr hinüber und sah dann gequält in die Runde. Und nicht nur
Allison war entsetzt. Dana und Mulder hatten Ähnliches schon gesehen, sie traf der Anblick
nicht. Alle anderen Gefangenen waren geschockt. „Er tut euch nichts. Hört ihr. Er ist kein
Monster. Bitte. Habt keine Angst vor ihm. Bitte.“, wimmerte Beth, die spürte, dass die
Stimmung im Kerker umzuschlagen drohte. Mick war verzweifelt bemüht, sich wieder unter
Kontrolle zu bekommen und schließlich schaffte er es und wurde wieder zum menschlichen
Teil in ihm. Bones war still. Sie konnte nicht fassen, was sich da eben abgespielt hatte. Er war
ein Vampir. Das musste die kühle Wissenschaftlerin erst mal verdauen.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Mick hatte sich auf sein Bett fallen lassen und lag still und starr da, einen Arm über
die Augen gelegt. Er hatte genau diese Reaktion erwartet. Keiner hier würde noch ruhig
schlafen, nachdem sie alle wussten, mit welch einer Kreatur sie es zu tun hatten. Verzweifelt
biss Mick sich auf die Lippe. Und zuckte heftig zusammen, als er plötzlich eine Hand auf
seinem rechten Arm spürte. „Mach dir keine Sorgen, Mick, niemand hält dich für ein
Monster, okay? Die wahren Monster sind die Leute, die uns alle hier gefangen halten wie
Tiere. Wenn wir eines gelernt haben in den letzten Wochen, dann die Tatsache, dass wir,
wenn überhaupt, nur eine Chance haben, wenn wir zusammen halten. Das beinhaltet von nun
an auch dich und Beth. Ich habe keine Angst vor dir und die Anderen auch nicht.“ Die zierliche, hübsche Rothaarige aus der Nachbarzelle hatte sich ans Gitter gehockt und Mick in
einer freundschaftlichen Geste die Hand auf den Arm gelegt. Kurz hatte Mick das Bedürfnis,
die Hand abzuschütteln und der Frau, Dana, wenn er sich richtig erinnerte, entgegen zu
schreien: Du nicht, aber alle anderen hier. Dann jedoch riss ihn eine andere Stimme aus
seinem Vorhaben. „Dana hat Recht, Mick, ich war nur erschrocken, es tut mir leid. Das alles
hier ist auch schon furchtbar genug, ohne dass wir unter einander Misstrauen und Angst
empfinden. Es tut mir leid, ich wollte wirklich nicht so hysterisch reagieren.“
Mick konnte es kaum glauben. Die junge Ärztin, die sich als Allison Cameron vorgestellt hatte, war wieder dicht ans Gitter getreten und schaute ruhig zu ihm hinüber. Mick
lachte leise und verzweifelt. „Ist schon in Ordnung. Ich bin weit schlimmere Reaktionen gewohnt.“, sagte er und setzte sich auf, um beruhigend zu Beth hinüber zu nicken. Bones
schüttelte erneut den Kopf, scheinbar die einzige Geste, zu der sie heute fähig war. „Ich kann
es nicht glauben. Ist dir klar, dass du meine gesamte Weltanschauung auf den Kopf stellst?“
Mick zuckte die Schultern. „Kann ich mir gut vorstellen, ja.“ Der Vampir sah in die Runde.
„Noch Fragen?“, meinte er dann leise und verlegen. „Ja, allerdings. Was stimmt denn so,
Knoblauch und Kruzifixe helfen gegen euch?“ Booth klang fast gut gelaunt. Irgendwie gefiel
ihm die Vorstellung, dass Bones etwas zugeben musste, dass sie nicht wissenschaftlich erklären konnte. Mick wurde noch verlegener. „Nein, das stimmt wirklich nicht, wenn ich
Essen würde, würde ich Gerichte mit Knoblauch bevorzugen, ich mochte ihn immer gerne.
Und auch Kreuze halten uns nicht auf. Auch, wenn ich mir selbst mit Sicherheit keins in die
Wohnung hängen würde. Das hat aber eher mit der Tatsache zu tun, dass ich Atheist bin. War
ich übrigens schon vor der ... Bevor ich zum Vampir gemacht wurde. Nebenbei, ich habe das
nicht gewollt, okay? Sie hat mich nicht gefragt, was ich dazu zu sagen hatte, sie hat es einfach
gemacht. Ich habe sie verlassen ...“
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Die Anderen
by Frauke Feind
„Verstehe das bitte nicht falsch, aber wie kann man euch töten?“, fragte Locke
interessiert. „Oh, wäre das klug, wenn ich es euch verraten würde?“, grinste Mick verhalten.
„Es gibt die unappetitliche Möglichkeit, uns in Grillfleisch zu verwandeln. Das entspricht
einer Endlösung. Nicht weniger unappetitlich und genau so wirkungsvoll ist es, uns die Köpfe
abzuschlagen. Wer etwas länger Zeit hat, kann ausprobieren, wie es ist, einen Vampir der
Sonne auszusetzen. Entgegen den allgemein verbreiteten Infos, aus einschlägigen Hollywoodfilmen zum Beispiel, tötet uns das nicht sofort, sondern schön langsam und qualvoll.“ Gibbs
warf ein: „Das viel gelobte und in diesen einschlägigen Filmen gern gezeigte Pfählen hilft
nicht wirklich, was?“ „Du kennst Vampirfilme? Hast du Brad Pitt gesehen in ‘Interview with
a ...‘ Ähm, Tschuldigung, falsches Thema ...“ Abby wurde knallrot und Ziva und Sawyer
lachten leise. Mick grinste verhalten. „Holzpflöcke paralysieren uns und wir sind nach einer
derartigen Behandlung dankbar, wenn wir ... eine kleine Injektion bekommen.“ „Das war es
also, was sie dir gespritzt haben, was? Blut?“ House sah zu Mick hinüber. Dieser nickte
stumm. „Freunde, ich möchte ja ungern der Spaßkiller sein, aber wir unterhalten uns hier mit
einem offensichtlich echten Vampir über Vampire und vergessen dabei, dass man zwei von
uns ... scheinbar getötet hat.“, erklärte Jake leise. Heather erschrak. „Gott, Jake, du hast Recht.
Wir sind schrecklich. Wir haben zwei von uns verloren, und keiner von uns ...“ Sie verstummte und sah hilflos zu Jake hinüber.
Betroffen wurde den Anderen bewusst, dass sie den eventuellen Tod zweier Leidensgenossen übergangen hatten. „Du hast Recht, Heather, wir sollten unsere Sensationsgeilheit
hinten anstellen und darüber nachdenken, dass zwei von uns von diesen Schweinen vermutlich getötet wurden. Wir können uns nicht vor der Tatsache verschließen.“, sagte Mulder
leise. Beth hatte zu gehört und fragte leise: „Wer waren sie, Sara und Gil?“ „Mitarbeiter des
CSI Las Vegas.“, antwortete Ziva kurz. „Meint ihr, die haben sie wirklich getötet? Nicht hier
in der Zelle, das würde ich spüren.“, warf Mick ein. Er konzentrierte sich und schloss die
Augen. Sein Kopf neigte sich leicht zur Seite, als würde er auf etwas Lauschen. Locke tat in
seine Zelle das Gleiche. Er versuchte, eine Vision Gils oder Saras herbei zu führen. Er
schaffte es nicht, hatte aber einfach das Gefühl, dass die Beiden noch am Leben waren.
Häufig schon hatte ihn sein Gefühl nicht getrogen. Allerdings war es müßig, darüber nachzudenken, denn die Entführer würden ihnen ganz bestimmt ohnehin nicht die Wahrheit sagen.
Eine ganze Weile herrschte Schweigen, alle, einschließlich Beth und Mick, hingen den
sehr trüben Gedanken nach. Mick hatte, wohl zu Recht, das Gefühl, dass auf Beth und besonders auf ihn eine sehr unangenehme Zeit zukommen würde. Der junge Mann, der eigentlich schon über achtzig Jahre alt war, war sich darüber im Klaren, dass diese Leute, die ihn
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Die Anderen
by Frauke Feind
und Beth, sowie die anderen Personen hier entführt hatten, ihn hundertprozentig unter
Kontrolle hatten. Solange Beth sich in ihren Händen befand, würde Mick alles tun, was sie
von ihm erwarteten. Er hatte die noch sehr frische Narbe bei dem jungen Mann Namens
Sawyer ebenfalls sofort bemerkt, und nicht nur die. Auch der junge Jake, zwei Zellen weiter,
hatte recht frische Verletzungsnarben, ebenso der FBI Agent Booth, in der Zelle gegenüber.
Was Mick aber besonders erschütterte, war die Hoffnungslosigkeit, Resignation und Angst,
die er in den Augen aller anderen Gefangenen überdeutlich sah. Die Ermittler machten nicht
den Eindruck, als wären sie leicht zu erschüttern und auch dieser Jake und Sawyer sahen nicht
so aus, als könne man sie mir nichts, dir nichts einschüchtern. Was mussten sie ertragen
haben, um diese Angst, Verzweiflung, Resignation und Hoffnungslosigkeit in den Augen zu
haben? Ihm wurde schlecht wenn er daran dachte, einen solchen Gesichtsausdruck auch bald
bei Beth ertragen zu müssen.
Die junge Anthropologin Temperance Brennan, Bones, wie sie von den anderen
scheinbar genannt wurde, war es schließlich, die das herrschende Schweigen brach. Sie hatte
die letzten Minuten damit verbracht, über das Gesehene und Gehörte nachzudenken und war
zu dem Ergebnis gekommen, dass man sie hier auf schreckliche Weise auf den Arm nahm. Es
war 2006 und Vampire gab es nicht. Egal, was man ihnen hier versuchte, vor zu machen. Wer
wusste schon, was für Tricks hier gerade verwendet wurden. Bones trat ans Gitter, fixierte
Mick und sagte dann ruhig: „Hör zu, Vampir, ich glaube nicht, dass du bist, was du vorgibst
zu sein. Ich nehme an, unsere Gastgeber sind in der Lage, mit Tricks zu arbeiten, die uns unmöglich erscheinen mögen. Wir haben hier die Hölle auf Erden, seit wir gekidnappt wurden
und ihr beide, Beth und du, arbeitet mit den Entführern zusammen, davon bin ich überzeugt.“
Mick hatte die Worte gehört und war ein wenig verwundert, dass Bones so hartnäckig an
seiner Existenz zweifelte. Bedrückt sagte er: „Temperance ... Bones, wenn ich das sagen darf,
ich weiß nicht, wie ich dir beweisen kann, dass ich tatsächlich ein Vampir bin ... Es ist ja
nicht so, dass ich stolz darauf bin und ...“ Bevor er seinen Satz beenden konnte, ertönte plötzlich die Lautsprecherdurchsage: „Nummer 6 und 13.“ Bones erschrak und beeilte sich, ans
Gitter zu treten und ihre Hände durch das Loch zu strecken. Mick beobachtete scharf ihre
Reaktion und trat ebenfalls ans Gitter. Er strecke seine Hände wie gefordert auch durch das
Loch und wartete, was nun geschehen würde. Einige Wachen betraten den Raum. Zwei
gingen zu Bones und Mick und fesselten ihnen die Hände auf den Rücken, zwei weitere traten
zu Beth an die Zelle, mit Flammenwerfern bewaffnet, und warfen Mick einen kalten Blick zu.
Widerstandslos ließ dieser sich Sekunden später von der Wache aus der Zelle stoßen
und zur Mitte des Kerkers führen. Er biss die Zähne zusammen, als er nun Zeuge wurde, wie
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die Stangen, an denen er vorhin schon gehangen hatte, wieder aus dem Boden gefahren
wurden. Zwei Minuten später hing er in der gleichen Haltung erneut in den Fesseln. Bones
hatte die Vorbereitungen mit gemischten Gefühlen beobachtet. Jetzt wurde sie am linken Arm
gepackt und zu dem hilflos gefesselten Mann hinüber geführt. Eine der Wachen, die vor Beth‘
Zelle Aufstellung bezogen hatten, marschierte hinüber zu Booth und baute sich vor dessen
Zelle auf. Aus dem Lautsprecher ertönte: „Nummer 1.“ Booth gehorchte genau so schnell wie
Bones. Kurze Zeit später stand er, mit Hilfe des Halsbandes erneut außen an die Zelle gefesselt, abwartend still und harrte der Dinge, die kommen würden. Die Wache griff nach
seinem Kittel, hob diesen an und klemmte ihn kurzerhand an Booth’ Halsband ein. In der
Raummitte starrte Bones besorgt zu Mick auf. Sie wusste nicht, auf was das hier hinaus
laufen sollte und hatte ein sehr ungutes Gefühl. Beth stand am Gitter, hatte die Hände um die
Gitterstäbe gekrallt und beobachtete aus panisch aufgerissenen Augen die seltsamen Vorbereitungen. Alle anderen Gefangenen hatten die Aktionen ebenfalls sehr besorgt beobachtet.
Was sollte das werden?
Die Antwort erhielten sie augenblicklich. Die Kerkertür ging erneut auf und der Arzt
kam zurück in den Zellentrakt. Er ging zielstrebig zu Bones hinüber. Kalt sah er die
Anthropologin an. „Du zweifelst? Nun, wir dachten, dass hätten wir euch in den vergangenen
Monaten ausgetrieben. Was jetzt kommt, hat Nummer 13 dir zu verdanken, damit das klar
ist.“ Er zog einen Gegenstand aus der Kitteltasche und Bones entfuhr ein erschrockenes
Ächzen, als sie den Gegenstand als ziemlich große Messerscheide mit Inhalt identifizierte.
„Du wirst einen kleinen, medizinischen Versuch machen, den sicher alle gerne beobachten
werden. Ich will, dass du dieses Messer nimmst.“ Die Wache hinter Bones öffnete deren
Handfesseln. Der Arzt drückte der jungen Frau das zirka fünfzehn Zentimeter lange Jagdmesser in die zitternde Hand. „Überzeuge dich bitte genau davon, dass es ein echtes Messer
ist.“, bekam sie den Befehl. Unsicher sah Bones sich das Messer an, fasste vorsichtig die
Klinge, um fest zu stellen, ob diese echt war, bückte sich und stieß die Klinge auf den Boden,
um sicher zu gehen, dass sie nicht in den Messergriff verschwinden würde. Dann kam sie unsicher wieder hoch und nickte. „Es ist echt, Sir ...“, sagte sie leise.
„Du wirst jetzt zu Nummer 1 gehen und ihn mit dem Messer schneiden.“ Bones wurde
blass und Tränen schossen ihr in die Augen. Entsetzt schüttelte sie den Kopf. „Nein ....“ Der
Arzt sah sie kalt an. „Nummer 6, für jedes Nein wirst du Nummer 1 einen weiteren Schnitt zu
fügen, also, sieh lieber zu, dass du deinen Hintern zu ihm bewegst und tust, was wir von dir
verlangen.“ Aufschluchzend wankte Bones zu Booth hinüber, der ihr angstvoll entgegen
starrte. „Wir sind schon bei zwei Schnitten, wenn du nicht willst, dass es noch mehr werden,
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solltest du jetzt lieber anfangen.“ Panisch wimmerte Bones auf. „Bitte ... Das könnt ihr nicht
verlangen. Ich flehe euch an.“ „Drei.“, kam die kalte Stimme des Arztes und Booth schluckte.
„Nun mach schon, Bones, sonst bin ich bald Gulasch.“, keuchte er verzweifelt. Bones
schluchzte noch heftiger, dann trat sie vor ihn hin. „Es tut mir so leid ...“ Booth nickte, biss
die Zähne zusammen und wappnete sich gegen den Schmerz. „Wo?“, wimmerte Bones leise.
„Auf dem Bauch.“, kam der kalte Hinweis. Mit zitternden Händen hob Bones das Messer. Sie
sah an Booth’ heftig sich heben und senkender Brust, wie schnell er atmete und wusste, dass
der geliebte Mann Angst hatte. Blind vor Tränen biss sie sich auf die Lippe, dann tat sie etwas
Überraschendes. Ganz dicht trat sie an Booth heran und küsste ihn, leidenschaftlich und
intensiv. Und während ihres Kusses zog sie ihm das Messer drei Mal zu kurzen Schnitten
über den Bauch. Sie spürte ihn heftig zusammen zucken und hörte sein schmerzvolles Aufkeuchen. Aber die zufriedene Stimme des Arztes machte ihr klar, dass sie scheinbar richtig
reagiert hatte.
Weinend trat sie zurück und starrte entsetzt auf die heftig blutenden Schnittwunden.
Booth nickte ihr beruhigend zu. „Alles ... in Ordnung.“, stieß er gepresst hervor. Bones bekam
den Befehl: „So, das war schon sehr schön für den Anfang. Jetzt kommen wir zu Teil zwei
deiner Prüfung. Komm hier herüber.“ Mit zitternden Knien kam die junge Frau wieder in die
Mitte auf die Plattform. Mick und Beth hatten entsetzt beobachtet, was vorgegangen war.
Langsam verstand Mick den gehetzten Ausdruck in den Augen der Mitgefangenen. Was
waren ihre Entführer für Menschen? Bones stand tränenüberströmt wieder vor Mick und
starrte auf das Messer in ihrer Hand. Und dann kam die ungeheure Ansage des Arztes: „Du
hast dich überzeugt, dass es sich um ein echtes Messer handelt, ja?“ Bones nickte, beeilte sich
dann aber: „Ja, Sir.“, zu sagen. „Gut. Du wirst dieses echte Messer zu echten Demonstrationszwecken ganz in echt unserem vampirischen Freund hier in den Bauch stechen.“ Nicht nur
Mick, Bones und Beth erstarrten.
„NEIN!“ Bones wich vollkommen entsetzt zurück. „Nein, niemals. Ich töte doch
keinen Menschen. Seid ihr irre? NEIN!“ Ein gnadenloses Nicken zur Wache bei Booth
hinüber war die einzige Reaktion des Arztes. Der Posten warf ohne zu Zögern den Flammenwerfer an und Booth keuchte auf vor Angst und Entsetzen. Bones war nahe daran, das erste
Mal in ihrem Leben wirklich vollkommen die Fassung zu verlieren. Und ausgerechnet Mick
war es, der sich hektisch einmischte. „Bones. Bones, hör zu. Hör zu, verdammt. Tu es. Mach
schon, du kannst mich nicht töten. Los doch.“ Bones schüttelte immer hektischer den Kopf.
„Ihr seid ja alle verrückt. Vollkommen irre. Ich werde keinen Mord beg....“ Weiter kam sie
nicht. Booth’ gellender Schmerzensschrei, als die Wache den Flammenwerfer über seinen
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Die Anderen
by Frauke Feind
Bauch zog, unterbrach sie. Mick fuhr entsetzt herum und jetzt schrie auch Beth: „Bones, du
musst es machen. Du kannst ihn nicht umbringen, aber die werden Booth grillen.“ Und Mick
vervollständigte: „Nun mach schon.“ Es war nicht so, dass er keine Angst vor den Schmerzen
gehabt hätte, die er ganz normal wie jeder lebende Mensch empfand. Aber das Wissen, dass
diese Schmerzen nicht lange anhalten würden, half ihm, seine Angst in Grenzen zu halten.
Immer noch zögerte Bones und wieder schrie Booth gequält auf. Und nun brüllte Mick die
junge Frau heftig an. „LOS!“ Bones zitterte am ganzen Leib, trat auf Mick zu und schluchzte:
„Es tut mir so leid.“ Dann hielt sie den Kittel Micks zur Seite und stach zu.
Gehorsam
Angst kann man immer in sich finden, man muss nur tief genug suchen.
André Malraux
Beth’ entsetzter Aufschrei, den sie trotz des Wissens, dass Mick nichts ernsthaftes geschehen würde, nicht zurück halten konnte, vermischte sich mit dem gequälten Schmerzensschrei Micks und den entsetzten Aufschreien Allisons, Heathers und Kates. Dana und Abbys
Zellen waren in Micks Rücken, daher wurde ihnen der Anblick erspart. Mick hatte in Bones
Augen gesehen, dass die junge Anthropologin nun zustechen würde und hatte verzweifelt
versucht, sich gegen den Schmerz zu Wappnen. Als jedoch das Messer in seinen Körper, in
seine Muskeln, seine Nervenstränge fuhr, war der Schmerz doch viel zu allumfassend, als das
der Vampir einen gellenden Schrei hätte zurück halten können. Bones ließ das Messer los, als
hätte sie sich an dem Griff verbrannt, sank auf die Knie und schlug die Hände vor ihr Gesicht.
Booth hatte zu große eigene Schmerzen, um noch allzu viel mit zu bekommen. Mick hing
keuchend und hustend in seinen Fesseln. Und der Arzt nickte zufrieden. Bones wagte nicht,
den Blick zu heben. Sie wollte nicht sehen, wie der junge Mann durch ihre Hand starb.
Weinend hockte sie am Boden. Und dann hörte sie plötzlich, schmerzgequält, aber dennoch
fest, Micks Stimme.
„Bones, wenn du ... bitte das ... Messer wieder ... heraus ziehen könntest ....“ Bones
Kopf zuckte hoch und sie starrte vollkommen ungläubig in Micks Gesicht. Der quälte ein
Lächeln auf seine Lippen, obwohl ihm viel eher nach Schreien zu Mute war. Seine Eingeweide schienen in Flammen zu stehen. Solche Schmerzen hatte er lange nicht mehr gehabt.
Schweiß lief ihm in Strömen über den Körper. Bones konnte es nicht fassen. Langsam
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Die Anderen
by Frauke Feind
rappelte sie sich auf die Füße. „Mick ...“ Der junge Mann biss die Zähne zusammen dass es
knirschte und keuchte: „Zieh es raus ... bitte.“ Bones glaubte, jeden Moment den Verstand zu
verlieren. Sie packte den Griff des Messers, zog und mit einem Übelkeit erregenden Geräusch
glitt die Klinge aus dem Körper des Gefesselten, was dieser mit einem weiteren gepeinigten
Schrei quittierte. Bones ließ das Messer fallen. Sie hatte plötzlich Angst davor, es sonst in die
grinsende Visage des Arztes vor ihr zu stoßen. Stattdessen versuchte sie, mit bloßen Händen
den Blutstrom, der sich aus der Stichwunde ergoss, zu stoppen. Mick hing keuchend in den
Fesseln, Beth schrie verzweifelt: „Er braucht Blut, bitte.“, und der Arzt zog eine Spritze aus
der Tasche, die mit einer dunkelroten, zähen Flüssigkeit gefüllt war.
Er drückte Bones die Spritze in die Hand und sagte: „Hier, eine Spritze in die Halsschlagader wirst du ja wohl hin bekommen.“ Bones zögerte nicht mehr. Sie nahm hastig die
Spritze, stieß die Nadel in Micks Halsschlagader und drückte dann den Kolben nach unten.
Und wie schon bei dem Holzpflock erholte Mick sich zusehends. Nach einigen Minuten war
die Wunde nicht mehr zu sehen und der gefesselte Mann atmete wieder ruhig und entspannt.
Bones war so fassungslos, dass sie sogar Booth’ schmerzerfülltes Stöhnen kaum wahrnahm.
„Du bist ... Du lebst ... Du stirbst ... nicht ... Du bist ein ... Das gibt es doch nicht. Du bist ein
Vampir ...“ Mick nickte. „Kümmere dich lieber um Booth ... Der hat es wesentlich nötiger als
ich, fürchte ich.“, sagte er leise. Erst jetzt wurde Bones bewusst, dass Booth keuchend vor
Schmerzen an der Zellentür hing. Aber bevor sie auf die Idee kommen konnte, zu ihm zu
eilen, wurde sie von dem Wachposten an den Armen gepackt und Sekunden später schloss
sich die Zellentür hinter ihr.
Mick wurde nun aus seiner mehr als unangenehmen Lage befreit und zurück in die
Zelle geschafft. Dann wurden Booth’ Fesseln gelöst und die Wache stieß ihn rücksichtslos in
die Zelle zurück. Neben den drei Schnitten hatte er quer über dem Bauch eine rot leuchtende
Brandwunde, die höllisch schmerzte. Keuchend sank er auf sein Bett und versuchte, sich zu
entspannen. Der Arzt verkündete kalt: „Das war’s für heute, Probanden.“ Er wandte sich an
Beth und Mick. „Ihr solltet die Nacht zum Schlafen nutzen, morgen steht einiges auf dem
Programm.“ Er grinste diabolisch und dann verließ er zusammen mit den Wachen den Kerker.
Das grüne Licht ging aus und machte dem Roten Platz. Bones stand verzweifelt am Gitter und
hätte so gerne gefragt, wie es Booth ging, aber sie schwieg. Ähnlich empfand Beth, aber auch
die junge Journalistin hatte begriffen, dass ein Anderer würde Leiden müssen, wenn sie unerlaubt sprach. So konnte sie nur durch die Gitterstäbe zu dem Mann hinüber schauen, den sie
liebte. Die Drohung des Arztes machte der jungen Frau Angst, obwohl sie sich nach dem
ersten Schock, in dieser Zelle aufzuwachen, wieder etwas gefangen hatte.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Mick erholte sich schnell, allerdings wurde ihm allmählich warm. Eigentlich hätte er
in seinen Freezer klettern müssen. Hier hatte er nur ein Bett. Er starrte die ungewohnte
Schlafstatt an und warf dann Beth einen Blick zu, der Bände sprach. Die junge Frau biss sich
nervös auf die Lippen. Sie hatte ein Mal erlebt, wie es Mick ging, wenn er sich nicht Abkühlen konnte. Damals wäre er fast gestorben. Besorgt schaute sie durch die Gitterstäbe zu
ihm hinüber. Er zuckte die Schultern und in diesem Moment ging das Licht aus. Die anderen
Gefangenen, an den Rhythmus gewöhnt, legten sich in ihre Betten. Und dann kamen noch
einmal Wachen in den abgedunkelten Kerker. Die Zellentüren öffneten sich nach und nach
und die genervten Gefangenen wurden wieder an die Betten gefesselt. Sawyer hatte eine
Sekunde im Kopf, aufzubegehren, zwang sich aber zur Ruhe. Booth zuckte heftig zusammen,
als auch er gnadenlos an das Bett gefesselt wurde und die Zudecke über ihn gelegt wurde. Die
Wärme an der Brandwunde trieb ihm bereits nach kurzer Zeit den Schweiß auf die Stirn. Er
wand sich unruhig in seinen Fesseln und konnte schnell ein gequältes, leises Stöhnen nicht
mehr unterdrücken. Bones hörte diese Geräusche überdeutlich und wieder kullerten der
jungen Frau Tränen über die Wangen.
House kämpfte mit dem Impuls, los zu schreien, man möge ihn gefälligst zu Booth
lassen, um dem zu helfen. Auch Allison hätte dem jungen Mann gerne geholfen. Aber die
Vernunft siegte bei beiden. Einen Aufstand zu machen hätte Booth nur noch mehr in
Schwierigkeiten gebracht. Gefährlich waren die Verletzungen nicht wirklich, nur sehr
schmerzhaft. Alle versuchten, einzuschlafen, aber das war schwer. Zum einen war die
Fesselung erneut vollkommen ungewohnt, dann hatten alle wieder mehr Angst, irgendwie
hatten die netten Zimmer ein gewisses Maß an Sicherheit vermittelt. Schon das Gefühl, zusammen sein zu können, hatte besonders den Paaren Mut gemacht. Jetzt hier wieder hilflos
gefesselt herum zu liegen, die geliebten Partner weder sehen noch sprechen zu können, war
außerordentlich deprimierend. Kate lag in der Dunkelheit, zu Bewegungslosigkeit verurteilt
und sehnte sich nach Sawyers Armen, in denen sie sich so unglaublich geborgen fühlte.
Heather ging es ähnlich, sie wünschte so sehr, bei Jake im Arm liegen zu können. Mulder und
Dana waren zu sehr damit beschäftigt, über den neuen Mitgefangenen nachzudenken.
Selbstverständlich vermissten sie einander ebenfalls schmerzlich, aber die Vorstellung, einen
echten Vampir bei sich zu haben war besonders für Mulder elektrisierend. Und auch Locke in
seinem Bett fand die Vorstellung faszinierend. Ziva, Abby, Gibbs und Jake waren immer
noch fassungslos über das, was sie gesehen hatten.
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by Frauke Feind
In seinem Bett wurde Booth immer unruhiger. Die Brandwunde, von der Wärme der
Zudecke angeheizt, brannte wie Feuer und die drei Schnittwunden in demselben Bereich
waren auch nicht sehr hilfreich. Verzweifelt versuchte er, das Zudeck von seinem Körper zu
bekommen, aber in der Position, in der die Gefangenen an die Betten gefesselt waren, hatte er
keine Chance, das zu schaffen. Allerdings war Booth nicht der Einzige, der sich unruhig hin
und her wälzte. Auch Mick wurde mit jeder verstreichenden Minute unruhiger. Schon alleine
die Tatsache, nicht in seinem Freezer zu liegen, war schlimm genug, aber hier auch noch gefesselt und zugedeckt herum zu liegen, war für den Vampir bald unerträglich.
Eigenartigerweise fühlte er sich seltsam kraftlos. Er hatte probehalber an den Fesseln gezerrt,
wie alle Gefangenen am Anfang und hatte beunruhigt festgestellt, dass er es nicht schaffte, die
Fesseln zu zerreißen. Mick wusste nicht, woran seine unerklärliche Schwäche lag, hatte aber
das ihm verabreichte Blut in Verdacht. Es gab bestimmte Möglichkeiten, Vampire zu
schwächen, so, wie es Möglichkeiten gab, Vampire vorübergehend (oder auch für immer?)
wieder in Menschen zu verwandeln. Mick vermutete, dass diese Leute hier eine Substanz
hatten, die ihm die Kraft raubte. Nicht, dass dies eine angenehme Vorstellung für den Vampir
gewesen wäre.
Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber er spürte, dass er fieberte. Wenn er
tatsächlich chemisch geschwächt wurde, verlor sein Körper zwangsläufig auch einiges an
Widerstandskraft, ergo wirkte sich das Fehlen der Kühlung schneller negativ aus als unter
normalen Umständen. Der junge Mann spürte, dass ihm das Zudeck am Körper klebte und
biss die Zähne zusammen, um nicht aufzustöhnen. Er baute immer schneller ab, erheblich
schneller, als er es normalerweise in dieser Situation getan hätte. In menschlichen Maßstäben
gemessen, hatte er inzwischen sicher über 40° Fieber. Sein Körper, der wirklich glühte, war
durchaus im Stande, ihn mit Schüttelfrost zu Quälen und tat dies sehr ausgiebig. Seine Zähne
klapperten aufeinander, und er zitterte am ganzen Leib unter der Zudecke, die, wenn nicht
bald etwas geschah, sein Leichentuch werden würde. Vor seinen Augen verschwamm alles
und er wusste aus Erfahrung, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Er musste unbedingt in eine
Kühltruhe, wenn er überleben wollte. Doch überdeutlich und glasklar wurde ihm bewusst,
dass sein Überleben nicht mehr in seiner Hand lag. Er hatte sich, seit er ungewollt zum
Vampir gemacht worden war, nicht mehr so hilflos und ausgeliefert gefühlt. Und plötzlich
kam Todesangst in ihm hoch. Er war unfähig, etwas zu seiner Rettung beizutragen, war der
Laune dieser Leute hier absolut hilflos ausgeliefert. Schlagartig verstand Mick den Ausdruck
in den Augen seiner Leidensgenossen.
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Die Anderen
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Als er glaubte, es keine Minute länger zu ertragen, ertönte plötzlich ein unangenehmes
Tröten und die wenigen Gefangenen, die tatsächlich eingeschlafen waren, fuhren erschrocken
hoch. Licht ging an und zwei Wachen mit einem Servierwagen kamen in den Kerker. Sie
traten an Danas Käfig und dieser ging auf. Dana wurde wortlos von den Fesseln befreit und
erhielt ein Tablett, Wasser und ihre Vitamine, dann traten die Wachen vor Micks Zelle.
Grinsend sahen sie auf den sterbenden Vampir herunter und einer der Kerle meinte kalt: „Na,
unserem Ehrengast geht es nicht sehr gut, was? Wie sieht es aus, Nummer 13, Interesse an
einen Kühlschrank?“ Beth hörte die Worte und war schockiert. So schnell durfte es Mick
eigentlich nicht so schlecht gehen. Was war denn nur los mit ihm? Dana hatte schon eine
Weile das leise Stöhnen und Zähneklappern aus der Zelle neben sich vernommen. Kaum war
sie von ihren Fesseln befreit, trat sie an das trennende Gitter und sah zu dem jungen Mann
hinüber. Sie war Ärztin und ihm ging es schlecht. So vergaß Dana komplett, was Mick war.
Er war nur noch ein kranker junger Mann, der dringend Hilfe benötigte. Mick hatte die
zynischen Worte der Wache in seinem fieberumnebelten Hirn registriert und versuchte, mit
heftig klappernden Zähnen eine Antwort hervor zu bringen. „Ja .... Sir .... Großes ... großes
Interesse .... Bitte ....“ Er verstummte stöhnend. „Ich nehme an, du bist bereit, dafür in allen
Belangen mit uns zu kooperieren?“ Verzweifelt und aus gelb geränderten Augen starrte Mick
zur Decke und nickte zitternd. „Ja ... Sir ...“
Die Wache sagte leise etwas in ihr Headset und kurze Zeit später öffnete sich die
Kerkertür und ein Hubwagen mit einer Kühltruhe darauf wurde in den Zellentrakt gebracht.
Die Tür zu Micks Zelle öffnete sich, die beiden Wachen befreiten den Vampir von den
Fesseln und halfen ihm aus dem Bett. Alleine war er nicht mehr fähig zu stehen. Der dritte
Wachmann nahm Kissen und Zudeck vom Bett, dann klappte das Teil hoch. Nun brachte der
Posten die Kühltruhe in die Zelle und stellte sie dorthin, wo das Bett gewesen war. In der
Wand unter dem Waschbecken öffnete sich eine kleine Klappe, hinter der eine Steckdose zum
Vorschein kam. Die Kühltruhe wurde angeschlossen, dann hievten sie Mick zu dritt in das
Gerät hinein und verschlossen den Deckel mit einem stabilen Vorhängeschloss. Der Vampir
war jetzt in der Truhe gefangen. Er bekam kaum noch etwas mit, taumelte quasi am Rande
der Besinnungslosigkeit dahin. Die Wachen warfen noch einen letzten Blick durch den Glasdeckel des Freezers, dann verließen sie die Zelle und zogen die Tür hinter sich zu. Nach und
nach befreiten sie auch die anderen Gefangenen und schließlich kamen sie zu Booth, der ein
leises Wimmern vor Schmerzen teilweise nicht mehr unterdrücken konnte. Als endlich die
Zudecke von dessen Körper entfernt wurde, stöhnte der junge Agent erleichtert auf. Im ersten
Moment kam ihm das Fehlen der warmen Decke wie ein Geschenk des Himmels vor, aber das
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Empfinden hielt nicht lange an, dann setzte das Brennen verstärkt wieder ein und Booth entfuhr erneut ein Stöhnen.
House, Allison und Dana sahen besorgt zu dem jungen Mann hinüber, der sich mühsam aufrichtete, um die Toilette zu benutzen. Als er fertig war, sank er ächzend auf sein Bett
zurück und wünschte, man würde ihm irgendwie mit Brandwundensalbe oder etwas Ähnlichem helfen. Er sah an sich herunter und erschrak ein wenig. Sein Bauch glühte hochrot und
kleine Bläschen hatten sich gebildet. In dieser Brandwunde fielen die Schnittwunden kaum
auf. Bones war, kaum dass man sie befreit hatte, aus dem Bett gesprungen und an das Gitter
getreten, um zu Booth herüber zu schauen. Dieser hatte sich sofort wieder lang gemacht, was
Bones als schlechtes Zeichen wertete. Sie hoffte verzweifelt, dass endlich das grüne Licht
angehen würde, aber den Gefallen taten ihnen die Entführer nicht. Man ließ den Gefangenen
Zeit, sich in Ruhe mit der neuen Situation zu befassen. Beth hatte es im Moment am
Schwersten. Schon den Mund halten zu müssen war für die mitteilsame junge Frau eine Qual.
Das auf sie und Mick einiges zukommen würde, war ihr vollkommen klar. Sie hatte Angst,
dass konnte sie nicht unterdrücken. Um sich, noch mehr aber um Mick. Er war es sicher, der
im Mittelpunkt des Geschehens stehen würde. Sie, darüber war sich die Journalistin vollkommen im Klaren, war nur Mittel zum Zweck. Solange die Entführer sie hatten, würde Mick
alles tun, was man von ihm verlangte. Beth sah sich um. Sie hatte ein extrem geschultes Auge
für zwischenmenschliche Beziehungen und die Paarungen hier in diesem grässlichen Kerker
waren überdeutlich zu erkennen.
Die einzigen vollkommen unabhängigen Gefangenen waren der ältere Mann am
anderen Ende des Zellentraktes, John Locke, und die drei NCIS Mitarbeiter. Diese verband
nur, dass sie Kollegen waren. Dass Kate und Sawyer, Heather und Jake, Bones und Booth und
Dana und Mulder Paare waren, stand für Beth unumstößlich fest. Sie starrte auf die Kühltruhe
in Micks Zelle und hätte sonst was gegeben, wenn sie gewusst hätte, wie es ihm ging.
Kühlung alleine, dass wusste sie, ließen ihn nach einer solchen Tortur nicht genesen. Er hätte
Blut gebraucht, welches er nicht zu bekommen schien. Beth warf einen Blick zu dem jungen
Agent hinüber, den diese Anthropologin, Bones, mit dem Messer hatte verletzen müssen. Ihm
ging es ebenfalls ziemlich schlecht, er hatte scheinbar erhebliche Schmerzen. Eigentlich
machte er nicht den Eindruck, bei Kleinigkeiten gleich einzuknicken, aber wenn Beth sich
unter den Leidensgenossen so umschaute, hatten diese wohl schon sehr, sehr vieles durch gemacht, was sie alle zermürbt hatte. So war es kein Wunder, dass Booth fertig war. Beth hätte
sehr gerne erfahren, was hier schon abgelaufen war, akzeptierte aber das rote Licht, wie alle
anderen auch. Es würde sich schon noch die Gelegenheit ergeben, Fragen zu stellen.
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Die Zeit verging langsam, das rote Licht blieb an und die Gefangenen wurden mit
jeder Minute, die ereignislos verstrich, unruhiger. Booth hatte irgendwann die wahrhaft
zündende Idee, sich mittels des Toilettenpapiers kaltes Wasser auf die Brandwunde zu tupfen,
vergaß dabei nur leider, dass das Wasser aus der Leitung mit Salz versetzt war. Als er sich das
getränkte Papier auf die Brandwunde legte, entfuhr ihm unwillkürlich ein leiser Aufschrei.
Hatte er vorher gedacht, die Wunde brenne, wurde er nun dramatisch eines Besseren belehrt:
JETZT brannte sie. Keuchend und mit Tränen in den Augen kippte Booth sich seinen ganzen
Trinkwasservorrat auf den Bauch, um das Salzwasser abzuspülen, aber der Schaden war angerichtet. Das aggressive Salz hatte sich in die verbrannte Haut gesetzt und verursachte dort
Schmerzen, wie Booth sie noch nicht kennen gelernt hatte. Irgendwann krümmte er sich auf
seinem Bett zusammen und konnte ein Wimmern endgültig nicht mehr unterdrücken. Und das
war der Punkt, wo House es nicht mehr aus hielt. Er stand von seinem Bett auf, stellte sich
vor die Überwachungskamera in seiner Zelle, sagte laut und deutlich: „Tut mir leid,
Freunde.“, und erklärte dann Richtung Kamera: „Hören Sie, ich bitte, ich bettle, ich flehe Sie
an, aber lassen Sie mich Bo ... Nummer 1 helfen.“ Sawyer keuchte auf, als er einen schmerzhaften Schlag bekam, nahm es aber gelassen hin. Er hoffte so sehr, dass House mit seinem
Appell an die Menschlichkeit ihrer Entführer etwas erreichte.
Und das Wunder geschah. Keiner konnte es fassen, aber die Kerkertür ging auf, ein
Wachposten kam herein und House’ Zellentür sprang auf. Eine Minute später bereits stand
dieser bei Booth am Bett. Die Wache hatte ihm eine kleine Arzttasche in die Hand gedrückt.
Er gab dem Diagnostiker einen Stoß und sagte kalt: „Mach schon, sonst überlegen wir es uns
anders.“ House beeilte sich. Er beugte sich über Booth und sagte: „Was machst du Idiot denn?
Vergessen, dass unsere Gastgeber sehr großzügig mit dem Salz sind?“ Booth sah House aus
roten Augen an, als wolle er ihn Fressen. „Man, rede nicht, hilf mir lieber.“ Er keuchte auf.
„Hast du eine Ahnung, wie weh das tut?“ House nickte. „Ja, Alter, habe ich ... Zeig mal her.“
Er nahm fast sanft Booth’ Hände zur Seite und sah sich die Brandwunde und die Schnittwunden gründlich an. Er wunderte sich selbst, wie tief die Verbrennungen gingen. Es hatte
nicht so schlimm gewirkt von weitem. Aber was House hier sah, waren Verbrennungen
zweiten Grades. Booth’ Haut warf Blasen und war feuerrot. Nicht nur die Epidermis war betroffen, die Verbrennungen reichten bis in die Dermis, die mittlere Hautschicht, hinunter.
House seufzte. Warum nur musste hier alles gleich extrem werden? Er schüttelte den Kopf
und erklärte Booth leise: „Das sieht nicht sehr gut aus.“ Er schaute in die Tasche und
kontrollierte, was alles vorhanden war. Alles, was er benötigte, um die Wunden zu behandeln
... Nur kein Schmerzmittel. - Ihr elenden Bastarde. - dachte House hasserfüllt.
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Als hätte der Posten seine Gedanken gelesen, grinste er House gehässig an. „So einfach machen wir es uns doch nicht, Doc.“, erklärte er kalt. Booth verstand nicht, um was es
hier ging. Er lag zitternd da und wartete, dass House etwas tat. Der hatte den Posten giftig
angestarrt, wandte sich dann aber Booth zu. Er reinigte die Schnittwunden, was für Seeley
schon starke Schmerzen bedeutete. Heather hatte sich zu diesem ans Gitter gehockt und durch
die Stäbe hindurch nach dessen Hand gegriffen, die andere Hand legte sie liebevoll und
tröstend auf Booth’ schweißnasse Stirn. - Wieder einmal. - dachte die junge Frau. House
stöhnte genervt auf, dann erklärte er: „Booth, das wird noch mehr wehtun, ich kann es nicht
ändern. Beiß die Zähne zusammen, okay.“ Er nahm eine antiseptische Lösung und begann
dann vorsichtig, aber gründlich, Booth’ Brandwunde zu Reinigen und zu Desinfizieren. Booth
wand sich hier und da vor Schmerzen, hielt aber weitestgehend still. Schließlich war House
zufrieden. „Du warst gut.“, grinste er mitleidig und suchte in der Tasche nach Verbandmaterial. „Ich werde dir die Wunde gut verbinden, davon wird der Schmerz zwar nicht
weniger, aber wir dürfen auf keinen Fall eine Sepsis riskieren. Sonst ist schnell wieder eine
Zelle frei für Neuzugänge.“, erklärte er Booth. Er breitete nun einen Brandwundenverband
über die große Wunde und befestigte diesen mit viel Pflaster sicher auf Booth’ Haut.
Als er schließlich fertig war und sich erhob fragte Booth leicht panisch: „Hey, Doc,
wie sieht es denn mal mit einem ... Schmerzmittel aus?“ House seufzte. „Tut mir leid,
Hoover, nichts da. Unsere Gastgeber sind der Meinung, du schaffst das auch so.“ Booth
starrte resigniert vor sich hin. Er biss verzweifelt die Zähne zusammen und nickte. „Okay.
Danke, House.“ Der Wachposten packte House am Arm und sagte ruhig: „So, los jetzt, wir
haben noch mehr auf dem Plan, als hier für euch Kindermädchen zu spielen.“ Er brachte
House in seine Zelle zurück und ging dann zur Zelle des Vampirs. Die Tür sprang auf und der
Wachposten betrat die kleine Zelle. Er öffnete die Truhe, in der Mick nun schon einige
Stunden eingesperrt lag und öffnete den Deckel. Er sah Mick, der wach war, an und befahl:
„Los, raus jetzt da, genug ausgeruht. Wir haben noch einiges vor.“ Beth und auch die anderen
Gefangenen starrten erwartungsvoll zu Mick hinüber und dieser erhob sich aus der Truhe und
stand dann etwas unsicher vor dem Wachposten. Er hätte dringend Nahrung benötigt, war
aber nicht sicher, ob er einfach danach fragen durfte. Sicherheitshalber schluckte er alles, was
ihm auf der Zunge lag, lieber herunter. Aus dem Augenwinkel sah er, dass der Wachmann die
Truhe wieder verschloss. Also keine Chance, sich zwischendurch hinein zu legen ...
Resigniert seufzte er.
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Die Anderen
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Der Wachposten verließ die Zelle und den Kerker. Beth verfluchte das rote Licht, dass
immer noch leuchtete. Irgendwann musste doch mal das grüne Licht angeschaltet werden. Sie
wollte Mick fragen, wie es ihm ging. Sie wollte von den anderen Gefangenen wissen, was
hier schon alles los gewesen war. Sie hatte tausend Fragen und das erzwungene Schweigen
machte die junge Journalistin wahnsinnig. Sie kam jedoch nicht dazu, sich weiter den Kopf
darüber zu zerbrechen, dass sie zu Schweigen hatte, denn die Kerkertür öffnete sich und ein
weiß bekleideter Mann kam herein. Er hatte ein Glas mit einer roten Flüssigkeit in der Hand
und ging zu Mick hinüber. Durch das Loch in der Zellentür reichte er diesem das Glas und
erklärte: „Wir wollen doch unseren Ehrengast bei ... Kräften halten.“ Er grinste gehässig und
Mick war klar, was das kurze Zögern vor dem Wort Kräften zu bedeuten hatte. Verlegen
nahm er das Glas in die Hand und starrte in die verheißungsvoll glänzende Flüssigkeit. Ihm
war durchaus klar, dass alle Augen auf ihm ruhten. „Ich warte.“, knurrte der Mann, der ihm
das Glas gebracht hatte und tippte scheinbar genervt mit dem Fuß auf den Boden. Mick
schloss kurz ergeben die Augen, dann setzte er das Glas an und trank es mit ein paar großen
Schlucken leer. Sein geschulter Geschmacksinn erkannte sofort den fremden Geschmack in
der für ihn lebenserhaltenden Flüssigkeit. Scheinbar spiegelte sein Gesicht dies wieder, denn
der Weißkittel grinste. „So groß müssen deine Kräfte nun auch wieder nicht sein ...“
Er ließ sich von Mick das Glas zurück reichen und ging dann gemütlich zu Booth’
Zelle hinüber. Der junge Agent lag auf seinem Bett und versuchte, irgendwie den Schmerz in
der Brandwunde zu ignorieren, was ihm mit jeder Minute schwerer fiel. Er hätte sonst was für
ein paar Schmerztabletten gegeben. Der Weißkittel starrte Booth durch die Gitterstäbe an und
fragte dann sarkastisch: „Tut es sehr weh?“ Booth erstarrte förmlich und zwang sich mit
letzter Kraft, dem Mistkerl nicht einen Fluch entgegen zu schleudern. Wie sehr er diese
Bastarde hasste. Er stöhnte, vor Schmerz, Hass, Hilflosigkeit und Wut. Und wusste, dass der
Mann eine Antwort erwartete. Und so knirschte er schließlich „Ja, Sir. Es tut sehr weh.“
Zufrieden nickte der Mann. Dann sagte er laut: „Du weißt auch, wessen Ungehorsam du die
Schmerzen zu verdanken hast?“ Booth biss sich auf die Lippe und nickte. Im selben Moment
schrie Heather erschrocken auf. Und Booth beeilte sich, hastig: „Ja, Sir, das weiß ich.“, hervor
zu stoßen. Der Weißkittel zuckte zu Bones herum, die bei Booth’ Worten heftig zusammen
gezuckt war. „Nummer 6, weißt auch du, wem Nummer 1 seine Schmerzen zu verdanken
hat?“ Und obwohl der jungen Frau Tränen über die Wangen kullerten, sagte sie laut und deutlich: „Mir, Sir. Er hat seine Schmerzen mir zu verdanken.“
Die Kerkertür öffnete sich in diesem Moment und mehrere Wachposten kamen in den
Zellentrakt. „Nummer 6 und 11.“, tönte es aus dem Lautsprecher. Bones und auch Beth be276
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eilten sich, an die Zellentür zu treten und die Hände durch das Loch zu strecken. Booth aus
seiner liegenden Position und Mick beobachteten nervös, wie die beiden jungen Frauen nun in
die Mitte des Zellentraktes gebracht wurden. Aus der Plattform fuhren zwei Stangen empor
und Bones bekam den Befehl: „Fessel 11 zwischen die Stangen, mach schon.“ Zitternd gehorchte Bones und sah Beth um Verzeihung bettelnd an. Diese ließ sich, gleichfalls zitternd,
zwischen die Stangen fesseln. „Nummer 6, du wirst uns ein wenig zur Hand gehen. Damit
beweist du uns zum einen, dass du durchaus im Stande bist, uns zu gehorchen, zum anderen
verschaffst du damit Nummer 1 das dringend herbei gesehnte Schmerzmittel. Hast du das
verstanden?“ Hastig erklärte Bones: „Ja, Sir, ich habe verstanden.“ Der Weißkittel nickte zufrieden. Dann schlenderte er zu Mick hinüber. „Vampir ... Wir möchten von dir Namen und
Adressen einiger deiner Brüder und Schwestern haben, mein Freund. Es ist so, dass wir vermeiden möchten, dass du dich für etwas Besonderes hältst. Du bist, wie alle anderen hier,
einschließlich deiner kleinen Freundin, jederzeit austauschbar.“ Wie eine Schlange fuhr er zu
den anderen Gefangenen herum und sagte kalt und laut: „Jeder von euch ist das.“
Dann wandte er sich wieder Mick zu. „Du wirst uns mindestens zwanzig Namen und
Adressen verraten. Da wir gerne motivierte Mitarbeiter haben, wird Nummer 6 dir ein paar
gute Gründe geben, die auch dich überzeugen werden, mit uns zusammen zu arbeiten.“ Er
wandte sich leutselig an Bones und erklärte der schockierten Anthropologin: „Du wirst
Nummer 11 sofort fünf Stromschläge mit dem Taser verpassen.“ Er nickte einem der anwesenden Wachposten zu und dieser zog einen Elektrotaser aus der Tasche, drückte diesen
Bones in die zitternde Hand. Mick starrte vollkommen geschockt zu Beth hinüber, die entsetzt
auf keuchte. „Nein, das ist nicht nötig.“, stieß er panisch hervor. Kalt erklärte der Weißkittel:
„Sieben, Nummer 6.“ Bones liefen Tränen über die Wangen, aber sie zögerte nicht mehr. Sie
fragte nur leise: „Wo?“, und erhielt die Auskunft: „Bauch, das hatten wir ja schon.“ Mit einer
Hand hielt sie Beth‘ Kittel ein wenig zur Seite, mit der anderen Hand drückte die
schluchzende jungen Frau den Taser sieben Mal hintereinander an Beth‘ nackte Haut. Die
junge Journalistin hing schreiend zwischen den Stangen. Nie zuvor hatte sie solche
Schmerzen empfunden. Bei jedem Schlag, der ihren schlanken Körper durchzuckte, wand sie
sich in den Fesseln. Die anderen Gefangenen starrten in nacktem Entsetzen auf die grausame
Szene und konnten die unglaubliche Brutalität, die ihre Entführer immer wieder an den Tag
legten, einmal mehr nicht fassen.
Mick jedoch, für den das alles ja noch neu und unbegreiflich war, zitterte vor Hass,
Wut, Verzweiflung am ganzen Körper. Es kostete ihn unglaubliche Anstrengung, nicht los zu
brüllen. Aber er hatte sofort gemerkt, jede noch so kleine Renitenz wurde augenblicklich ge277
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ahndet und so zwang er sich verzweifelt, keinen Laut von sich zu geben. Als Bones die verlangten Stromschläge ausgeführt hatte, sah der Weißkittel Mick herausfordernd an und zückte
einen Zettel und einen Stift. Beides reichte er Mick in die Zelle und lehnte sich dann entspannt an die Gittertür. „Na, dann mal los. Zwanzig Namen, und nicht etwa Gegner, verstanden, wir möchten gerne Freunde von dir kennen lernen. Ach, und nicht denken, wir
könnten das nicht überprüfen, mein spitzzähniger Freund.“ Mick nickte unmerklich. Er hatte
keine Wahl. Und so begann er, Namen und Adressen auf den Zettel zu notieren. Schließlich
war er fertig und reichte den Zettel und den Bleistift zurück. Der Weißkittel nahm ihm die
Liste ab und las sie durch. Er warf Mick einen bedauernden Blick zu und sagte ruhig:
„Nummer 6, zwei weitere Schläge bitte.“ Entsetzt schluchzte Beth auf. „Nein, bitte. Mick ...“
Wieder hallten ihre Schmerzensschreie durch den Kerker und Mick krallte die Hände um die
Gitterstäbe. „Was?“, fragte er verzweifelt. „Coraline Duvall und Josef Kostan ...“ Mick erstarrte innerlich. Diese Dreckskerle waren wirklich gut unterrichtet. Hasserfüllt stieß er
hervor: „Wo Coraline sich aufhält weiß ich nicht, und wenn Sie Beth und alle anderen hier in
Streifen schneiden. Ich weiß es nicht. Josef ... 2886 Arizona Avenue, LA.“ Zufrieden nickte
der Weißkittel. „Na, es geht doch.“ Er befahl den Wachen: „6 und 11 in die Zellen zurück. 1
bekommt Fentanyl. Und schafft 13 in den Untersuchungsraum.“
Erste Tests
Und wenn dich der Tod nicht als Sieger antrifft, soll er dich wenigstens als
Kämpfer finden.
Aurelius Augustinus
Die Wachen befreiten nun Beth von ihren Fesseln und schafften die junge Frau, die
vollkommen fertig war, in die Zelle zurück. Sie mussten sie stützen, alleine hätte sie es nicht
geschafft. Achtlos ließen sie die Journalistin auf das Bett fallen, dann schlossen sie die Tür
der Zelle. Bones wurde wenig rücksichtsvoll in ihre eigene Zelle zurück verfrachtete. Ein
Wachposten trat zu Allisons Zellentür, die auf sprang und befahl der jungen Ärztin, die noch
geschockt von den vergangenen Minuten war: „Los, schaff deinen Hintern zu Nummer 1
hinüber.“ Hastig folgte Allison dem Mann und stand dann bei Booth am Bett, dem vor
Schmerzen der Schweiß auf dem Körper stand. Sie bekam eine Spritze in die Hand gedrückt
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by Frauke Feind
und eine kleine Flasche Desinfektionsmittel, sowie einen Tupfer. Hastig beugte sie sich über
Booth, griff sich dessen linken Arm und tupfte die Armbeuge ab. Dann verabreichte sie ihm
die Spritze und wurde sofort in ihre Zelle zurück geschafft. Zu guter Letzt bekam dann Mick
den Befehl: „Los, ans Gitter und die Hände her.“ Ergeben gehorchte der junge Mann und
spürte, wie die Karabiner seiner Handfesseln ineinander schnappten. Zwei Wachen packten
ihn nun an den Oberarmen und führten ihn aus dem Kerker. Zurück blieben die völlig
konsternierten Gefangenen.
Kaum hatten die Wachen mit dem jungen Vampir den Kerker verlassen, ging endlich
das grüne Licht an. Es leuchtet noch nicht richtig, da stieß Bones auch schon verzweifelt:
„Booth. Wie geht es dir?“, hervor. Sawyer stieß hasserfüllt: „Diese Bastarde.“, hervor und
House trat ans Gitter zu Beth’ Zelle und fragte die junge Frau: „Beth, geht es wieder? Du
wirst dich schnell erholen, diese elenden Stromstöße sind unglaublich schmerzhaft, aber
richten keinen großen Schaden an.“ Beth versuchte bereits, sich aufzusetzen und stöhnte: „Es
geht ... gleich wieder.“ Booth hoffte verzweifelt, dass das, was immer er gerade gespritzt bekommen hatte, endlich wirken würde. Mühsam presste er hervor: „Mach dir keine Sorgen, das
wird schon wieder ...“ Einige Minuten lang ließ man die Gefangenen in Ruhe, dann, als Beth
sich deutlich erholt hatte, ertönte erneut eine Lautsprecherdurchsage. „Achtung. Nummer 3,
14 und 2, ihr werdet unserem neugierigen Neuzugang ein wenig darüber aufklären, was wir so
an netten Überraschungen für euch bereit gehalten haben und auch in Zukunft noch bereit
halten werden. Sie ist ja schon ganz scharf darauf, zu erfahren, wo eure dekorativen Narben
her stammen. Also, nur frei erzählt. Ach, und ihr dürft erstmals alles erwähnen.“
*****
Mick wurde durch kahle, weiße Gänge geführt. Er hatte ein sehr ungutes Gefühl im
Magen und war sicher, dass er keiner allzu sonnigen Zukunft entgegen blickte. Er versuchte,
sich irgendetwas aus den Fluren oder dem Fahrstuhl, mit dem er zwei Etagen nach oben gebracht wurde, zu merken, aber es gab nichts, was er sich hätte merken können. Auch seine
anderen Sinne verrieten ihm nicht, wo er war, was das für ein Gebäude war, wie groß die Anlage sein mochte. Er hörte etliche verschiedene Stimmen, spürte die unterschiedlichsten
Emotionen und wurde schließlich aus seinen Gedanken gerissen, als man ihn in einen leeren,
kleinen Raum beförderte, in dem sich nur ein Glaszylinder aus sehr stabilem Glas befand, der
zirka zwei Meter hoch war und einen Durchmesser von vielleicht anderthalb Metern hatte.
Ein weiterer, weiß bekittelter Mann hatte sie begleitet und trat an Mick heran. „Wir haben von
deinen Fähigkeiten, bestimmte Dinge spüren zu können, gehört und möchten wissen, wie weit
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das, was man sich so erzählt, zutrifft. Du wirst in verschiedene Räume geführt und wirst uns
jeweils sagen, was du empfängst, verstanden?“ Mick nickte. „Ja, Sir, ich habe verstanden. Es
klappt nicht immer, soviel ist sicher, Sir.“
Mick sah sich um, schloss die Augen und konzentrierte sich. Vor seinem geistigen
Auge entstand ein Bild ... Sawyer, auf einem sich langsam absenkenden Podest, eine Schlinge
um den Hals, nackte Todesangst in den Augen, den Mund aufgerissen, in der verzweifelten
Hoffnung, noch Luft zu bekommen, Kate, die in panischem Entsetzen gegen das Glas
trommelte und nichts für Sawyer tun konnte ... Mick schauderte. Scheinbar bekam er auf
diese Weise einen drastischen Einblick in das, was diesen hoffnungslosen, gehetzten Blick bei
den Gefangenen verursacht hatte. Er riss die Augen auf und erklärte leise: „Hier wurde
Sawyer fast aufgehängt, Sir.“ Der Mann im weißen Kittel nickte zufrieden und machte sich in
einem PDA Notizen. „Das war sehr gut. Mal sehen, was du zum nächsten Raum sagst.“
Wieder ging es durch identisch aussehende Gänge, mit dem Fahrstuhl hinauf und runter, dann
betraten sie einen Raum, der quer mit einer Scheibe abgetrennt, ansonsten aber ebenfalls leer
war. Mick bekam einen sachten Stoß in den Rücken und machte zwei weitere Schritte in den
Raum hinein. Er sah sich kurz um, dann schloss er erneut die Augen und konzentrierte sich.
Sein Gesicht verzog sich nach ein paar Sekunden angewidert. Er sah den jungen Jake, auf ein
Laufband gefesselt, eine große Kreissäge, die drohte, ihn in zwei Teile zu schneiden, Heather,
die vor Entsetzen schreiend an der Scheibe stand und panisch dagegen trommelte ... Mick
musste sich zwingen, nicht angeekelt den Kopf zu schütteln. „Ich sehe meinen Zellennachbarn, Jake, glaube ich, war der Name, auf einem Förderband gefesselt, auf eine laufende
Kreissäge zufahren. Heather, die vor der Glasscheibe dort kniet und verzweifelt dagegen
hämmert.“
Der Weißkittel machte sich erneut Notizen und nickte zufrieden. „Du bist gut, Vampir.
Weiter geht’s bei unserer heutigen Besichtigungstour.“ Der nächste Raum war groß und beinhaltete ein riesiges, leeres Wasserbecken. Komischerweise hatte Mick hier einige Probleme,
zu sehr wurden die Ereignisse vom Geruch frischen Blutes überdeckt. Er musste sich sehr
konzentrieren, dann aber ... Bones, an eine Art Kran gefesselt, in dem Becken hungrige
Piranhas, Booth, der an dem Becken stand und nur hilflos zusehen konnte, wie Bones immer
weiter dem todbringenden Wasser entgegen schwebte. Wie auch schon in den beiden Räumen
vorher spürte Mick die Gegenwart es älteren Mannes, dieses John Locke, ganz deutlich. Der
hatte in allen drei Räumen eine unglaubliche Präsenz. Mick konnte nur nicht einordnen, worin
diese Bestand. Es war, als würde er John nur durch seinen Schleier sehen können. Er war da,
hatte eine wichtige Funktion, aber Mick konnte nicht mit Sicherheit sagen, welche. Es schien,
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als wäre Locke von einer undurchdringlichen Aura umgeben. Mick öffnete die Augen und sah
sich noch einmal gründlich um. Er versuchte, auszumachen, was es gewesen war, das Locke
hier machte, aber so sehr er sich auch anstrengte, er sah es nicht. Frustriert gab er auf und erklärte stattdessen: „Bones, die in das Becken abgesenkt wird. In dem Becken sind Piranhas
und Booth ... Er steht am Becken und kann nur hilflos zuschauen.“ Dass er Locke sah und
nicht erkennen konnte, was dieser im Raum machte, verschwieg Mick. Der Weißkittel schien
aber auch so zufrieden.
Der nächste Raum war vollkommen leer. Es war der erste Raum, in dem Mick die
Gegenwart Lockes nicht spürte. Langsam trat er in den Raum hinein und ließ seine Augen
schweifen. Dann schloss er sie. Die Vision kam schnell. Die junge Ärztin aus der Zelle neben
ihm, ihr Chef, Dr. House, sowie Bones und Booth ... Mick sah die Ärztin und Booth in
Wassertanks stecken, die sich langsam füllten. Er sah, wie Bones in panischem Entsetzen zusah, wie das Wasser über das Gesicht des FBI Agents spülte und er sah House und Allison am
Boden neben Booth knien und um dessen Leben kämpfen. Schaudernd kehrte er ins hier und
jetzt zurück und gab seine Eindrücke weiter. Der Weißkittel nickte sehr zufrieden. „Du bist
wirklich gut. Einen Test haben wir noch. Zwar gibt es noch mehr interessante Räume auf
unserer Sight Seeing Tour, aber du hast hinlänglich bewiesen, dass du es kannst.“ Wieder
ging es für Mick durch endlose Flure, die alle vollkommen identisch aussahen. Mit dem Fahrstuhl ging es rauf, dann wieder hinunter. Mick war klar, dass man ihn so verwirren wollte.
Das war jedoch unnötig, selbst für seine extremen Sinne gab es hier keine Unterschiede in den
Fluren, die sich zu merken lohnen würde.
Schließlich erreichten sie einen Gang, in Naturstein hinein gemeißelt, mehr ein
Tunnel. Am Ende des Tunnels landeten sie an einem kleinen Strand und vor sich sah Mick
eine Bucht. Er wurde ins Wasser getrieben, zum Glück lag der Strand im Schatten, und stand
schließlich bis zu den Hüften in den kühlen Fluten. Geistesabwesend starrte er über die
Wasseroberfläche und versuchte, Schwingungen von etwas, das hier passiert sein könnte, aufzufangen. Ohne es zu merken, ging er noch tiefer in das Wasser hinein und schließlich reichte
es ihm bis zu Brust. Durch die auf den Rücken gefesselten Hände hatte Mick Schwierigkeiten,
das Gleichgewicht zu halten. Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Und dann zuckte er
zusammen. Er sah den jungen Mann, Jake, wie er unter Wasser von ... etwas gepackt wurde
und konnte regelrecht spüren, wie dem Jungen die Luft mehr und mehr ausging. Er sah ihn
panisch durchs Wasser kraulen und mehrere Haie hinter ihm her schwimmen. Mick lief ein
Schauer über den Rücken. Tiere hatten eine sehr eigenwillige, höchst aggressive Art, auf
Vampire zu reagieren, er hatte da schon einschlägige schlechte Erfahrungen gemacht. Haie
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bildeten da sicher keine Ausnahme. Er riss die Augen auf und was er dann sah, war nicht
besser als die Vision, ganz im Gegenteil, erheblich schlimmer. Vor sich im Wasser sah er
einen grauen Schatten, der zielstrebig auf ihn zu geschossen kam. Und im nächsten Moment
sah er messerscharfe Zähne auf sich zu kommen, spürte den Biss an seinem rechten Oberschenkel und brüllte auf vor Schmerzen.
*****
Die drei ausgewählten Gefangenen redeten abwechselnd und Beth hörte erschüttert zu.
Abby berichtete von dem Experiment, bei dem sie fast erschossen worden wäre. Jake berichtete unter anderem von der Säge, Sawyer erzählte bedrückt von dem Galgen. Das waren
auch Dinge, von denen nicht alle Mitgefangenen bisher gewusst hatten. Nicht weniger bestürzt hörten diese ebenfalls aufmerksam zu. Bones war unsicher, ob es erlaubt war, beschrieb
aber vorsichtig, was ihr in dem Wassertank fast widerfahren war und als keine Strafe erfolgte,
berichtete auch House von dem Versuch, ihn mit dem Nagelbrett umzubringen. Mulder ließ
Dana von dem Experiment mit den Flammenwerfern erzählen. Bei Booth wirkte endlich das
Schmerzmittel und so brachte er die Sprache auf die Geschichte mit den Wassertanks, bei
denen er fast ums Leben gekommen wäre. Sawyer erzählte von der Sache mit der Schlucht,
bei der Booth, Mulder, Jake und er selbst um Haaresbreite ihr Leben verloren hätten. Abby
klärte Beth, die immer entsetzter lauschte, über die camera silens auf, Jake beschrieb die
Schlafentzugtests. Kate und Gibbs erzählten abwechselnd von der Menschenjagd im
Dschungel und Gibbs und Locke berichteten Beth von der Tortur auf dem Steinacker. Auf
dem Gesicht der Journalistin spiegelten sich immer mehr die Angst und das namenlose Entsetzen wider, dass sie empfand. Es grenzte bei einigen der Leidensgenossen an ein Wunder,
dass sie überhaupt noch lebten. Und einige hatten das ganz offensichtlich Fähigkeiten zu verdanken, an die sie eigentlich nicht glaubten. Beth warf einen Blick zu John Locke hinüber,
dem Mann, der den Namen eines der bekanntesten englischen Philosophen trug, und der
offensichtlich übersinnliche Fähigkeiten hatte, genau wie Mick. Sie würde sich gerne einmal
mit dem interessanten Mann unterhalten haben. Ob sie noch lange genug dafür leben würde?
Und wo hatte man Mick hin gebracht?
*****
Mick spürte, wie die rasiermesserscharfen Zähne des Raubfisches in sein Fleisch eindrangen, spürte den ungeheuren Schmerz und dann das charakteristische Kopfschütteln des
Tieres, als es versuchte, ein Stück aus Mick heraus zu beißen. Durch die gefesselten Hände
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konnte der junge Mann nichts zu seiner Verteidigung tun. Er spürte, wie er in den Wellen den
Halt verlor und das Wasser über ihm zusammen schlug. Ertrinken konnte er nicht, aber wenn
er lange genug von einem Hai zerfetzt werden würde, bliebe auch von ihm nicht mehr genug
übrig, dass weiter zu Leben wert gewesen wäre. Panisch versuchte er, sich los zu reißen. Der
Fisch ließ ihn kurz los, nur, um dann noch einmal zuzubeißen. Der Schmerz war ungeheuerlich. Selbst unter Wasser konnte Mick einen Aufschrei nicht zurück halten und bekam Wasser
in den Mund und die Luftröhre. Immer panischer versuchte er, sich los zu reißen. Und plötzlich waren Hände da, die ihn aus dem Wasser zogen, Hände, die den Hai versuchten, abzuwehren, Hände, die ihn Richtung Strand zogen. Noch einige Male biss der Raubfisch zu und
Mick brüllte erneut auf vor Schmerzen, trat im Wasser nach dem Fisch, die einzige Möglichkeit, die er hatte, sich zu verteidigen, dann hatten sie ihn endlich in so flachem Wasser, dass
der Raubfisch nicht mehr folgen konnte. Die Wachen zerrten Mick an den Strand und legten
ihn dort in den Sand. Aus den tiefen Bisswunden an seinem rechten Bein spritzte das Blut und
hinterließ Lachen im Sand. Dass würde allerdings schnell aufhören.
Der Arzt schaute sich die Verletzungen an, während Mick sich in Schmerzen wand.
„Was ist, heilt das oder brauchst du was?“, fragte er den Vampir besorgt. Keuchend versuchte
Mick, sich aufzusetzen und die Verletzungen anzusehen. „Blut ... Und ... den Freezer ...“ Die
Wunden sahen grässlich aus, würden aber ebenso narbenlos verheilen wie alle Wunden.
Allerdings brauchte Mick schon manchmal Hilfsmittel. Der Arzt nickte verstehend. Die
beiden Wachposten bekamen den Befehl: „Schafft ihn in den Kerker, schnell. Und ich werde
zusehen, dass ich ihm eine Ration Blut besorge.“ Kommentarlos griffen sie sich Mick, zogen
ihn, sein schmerzgequältes Stöhnen missachtend, auf die Beine und schleppten ihn im Eiltempo den Tunnel entlang und zum Fahrstuhl. Minuten später kamen sie mit dem schwer verletzten Vampir im Kerker an und unter den entsetzten Augen der anderen Gefangenen
schafften sie ihn in seine Zelle. Während der eine Wachmann die Truhe öffnete, löste der
andere Mann Micks Handfesseln. Dann beförderten sie ihn in den Freezer. Kaum lag er darin,
kam auch schon der Weißkittel mit einer kleinen Flasche Blut in der Hand in den Kerker gehetzt. Bei den Gefangenen herrschte schon seit einiger Zeit wieder rotes Licht, sodass sie
nicht fragen konnten, was geschehen war.
Beth hatte die grässlichen Wunden an Micks rechtem Bein gesehen und war entsetzt.
Auch, wenn sie wusste, dass normale Verletzungen den Vampir nur kurz beeinträchtigten, so
war ihr doch absolut bewusst, dass er die Schmerzen der jeweiligen Verletzungen wie ein
lebender Mensch spürte. Daher berührte es die Journalistin sehr, als sie Mick in der
schlechten Verfassung sah. Vollkommen entsetzt starrte sie durch die Gitterstäbe zu seiner
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Zelle hinüber und schließlich konnte sie sich nicht mehr beherrschen. „Was habt ihr mit ihm
gemacht, ihr Mistkerle? Los, sagt schon, was ist mit Mick!“ In seiner Zelle keuchte Gibbs
schmerzerfüllt auf. Beth ignorierte das und rief verzweifelt: „Warum sagt ihr nichts?“
Diesmal war es Kate, die aufschrie. Sie hatte das unangenehme Gefühl, von den Füßen aufwärts taub zu sein, so heftig war der Stromschlag gewesen. Wütend drehte Beth sich zu Kate
herum und zuckte entschuldigend die Schultern. Dann sank sie verzweifelt auf ihr Bett nieder.
Mick bekam währenddessen die Flasche mit dem Blut gereicht. Mit heftig zitternden
Händen setzte er sie an die Lippen und trank sie gierig leer. Dann bat er leise: „Bitte, den
Deckel ... zu.“ Der Weißkittel nickte und der Deckel wurde geschlossen. Dann verließen die
drei Männer Micks Zelle und Sekunden später auch den Zellentrakt. Die Gefangenen waren
alleine. Und nun konnten sie überlegen, was mit dem Vampir geschehen war. Allerdings
blieben sie nicht lange ungestört. Nach einiger Zeit kamen erneut zwei Wachen in den Kerker.
Die Lautsprecherdurchsage: „Alle in die Betten.“, ertönte und die Gefangenen legten sich hin.
Der Tag schien ihnen sehr kurz gewesen zu sein, aber das war egal. Wenn es hieß, hinlegen,
blieb den Gefangenen ohnehin keine Wahl. Auch Beth legte sich schweren Herzens ins Bett.
Sie machte sich heftige Sorgen um Mick, wusste aber, dass es ihm am kommenden Tag
wieder gut gehen würde als wäre nichts gewesen. Booth hatte richtiggehende Angst vor der
kommenden Schlafphase. Noch wirkte das Schmerzmittel, aber wenn es nachlassen würde,
war er schnell wieder soweit, vor Schmerzen nicht mehr klar denken zu können. Und er ging
nicht davon aus, freundlicherweise weitere Spritzen für die Nacht zu bekommen. Er wartete
auf die Wachen, die ihn und die anderen ans Bett fesseln würden, aber das geschah eigenartigerweise nicht. Erleichtert machten es sich die Gefangenen gemütlich und nach den zwei
fast durchwachten Nächten schliefen sie schnell ein.
*****
In seinem Freezer erholte Mick sich nach dem Trinken des Blutes schnell von dem
furchtbaren Haiangriff. Der war offensichtlich nicht geplant gewesen. Die Wachen hatten sich
selbst in Gefahr gebracht, um ihn aus dem Wasser zu bergen. Es war immer das Gleiche:
Tiere reagierten extrem auf Vampire. Mick konnte seinen vielen schlechten Erfahrungen auf
diesem Gebiet nun noch eine weitere hinzufügen. Er versuchte, einzuschlafen, oder das, was
bei einem Vampir dem Einschlafen am nächsten kam, aber es wollte ihm nicht so Recht gelingen. Zum einen tat das Bein noch zu stark weh. Je heftiger Wunden waren, desto länger
brauchten sie, um zu verheilen. Mick konnte durchaus auch schon einmal stundenlang besinnungslos sein, beispielsweise nach schweren Schussverletzungen. Er hatte hier ebenfalls
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im Laufe seines ... Daseins einschlägige Erfahrungen gemacht. Wurde er von Silber in jeglicher Form, Kugel, Klinge, oder was den Gegnern noch einfallen mochte, verletzt, konnte das
schon einmal zu längeren Erkrankungen führen. Mick dachte darüber nach, was geschehen
wäre, wenn der Hai ihm Gewebe heraus gerissen oder im schlimmsten Falle das Bein abgebissen hätte. Ob amputiertes Fleisch wieder nach wuchs ... Mick konnte es nicht sagen. Er
hatte selbst keine Erfahrungen mit Gewebeverlust und war sich sicher, auch noch nie von
einer solchen Verletzung gehört zu haben bei einem seiner Brüder oder Schwestern.
Unwillkürlich glitt seine Hand hinunter zu den Wunden am Bein, die sich oberflächlich
bereits geschlossen hatten. Ein amputiertes Bein, das war dem Vampir klar, wäre nicht wieder
nachgewachsen.
Mick dachte daran, dass er heute, um Beth zu retten, ein uraltes Gesetz gebrochen
hatte: Ein Vampir gab niemals einen anderen Vampir preis. Und er hatte nicht nur zwanzig
Namen preisgegeben, nein, er war gezwungen gewesen, auch noch seinen besten Freund zu
verraten. In hilfloser Wut schlug Micks Faust gegen die Wand des Freezers. Irgendwie hatte
er das ungute Gefühl, dieser Verrat war erst der Anfang. Er hatte in den nicht einmal achtundvierzig Stunden ihrer Gefangenschaft bereits hinlänglich begriffen, wie skrupellos diese
Leute waren. Er wusste absolut sicher, solange sie Beth als Druckmittel hatten, würde er so
ziemlich alles tun, was sie von ihm verlangten. Der Vampir hatte sich in den langen Jahren
seines Lebens, seiner Existenz, nie so hilflos gefühlt. Dass diese Leute obendrein noch ein
Mittel zu besitzen schienen, dass ihn, ähnlich dem Kryptonit bei der Comic-Figur Superman,
schwach und dadurch zusätzlich hilflos machte, war nicht dazu angetan, Micks Laune zu
bessern. Was immer es war, dass sie ihm unter seine Nahrung mischten, wirkte zuverlässig
und nachhaltig. Er fühlte sich schwach und er war es auch.
Micks Gedanken schweiften zu den Dingen, die er in den Räumen, in die man ihn geführt hatte, gesehen hatte. Was hier mit den Leidensgenossen gemacht worden war, war
schlicht bestialisch. Was Mick vollkommen irritierte war die Tatsache, dass er die Anwesenheit Lockes, aber nicht dessen Rolle bei den grausamen Tests gespürt hatte. Eine solche
Blockade hatte der junge Mann nie zuvor gespürt und es irritierte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Irgendetwas an dem älteren Mann war ungewöhnlich. Mick bewegte sich in
eine etwas andere Haltung und stöhnte auf. Noch schmerzte das Bein ziemlich. Der junge
Mann war überzeugt, dass diese Schmerzen mit Sicherheit nicht die letzten Schmerzen waren,
die er hier würde erdulden müssen. Das war auch kein sehr angenehmer Gedanke. Mick gestand sich ehrlich ein, dass er Angst hatte. Ihm fielen spontan einige Tests ein, die er mit
einem Vampir machen würde, wäre er einer der Entführer gewesen ... Und alle hatten eines
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gemeinsam: Sie waren nicht sonderlich angenehm. Mick schämte sich seiner Angst nicht.
Wer hatte schon gerne Schmerzen? Er nahm sie in seinem Job in Kauf, war schon oft angeschossen worden, wurde durch Messer verletzt, im Kampf, wo auch immer, eines hatten die
Schmerzen, egal, wodurch sie entstanden, gemein: Sie waren qualvoll und unangenehm. Und
Vampir zu sein bedeutete nicht zwangsläufig, Superheld ohne Gefühle zu sein. Mick wäre nie
auf die Idee gekommen, sich als Helden zu sehen. Er war ein ganz normaler Mensch gewesen,
Musiker, und war nun ein ganz normaler Vampir. Wobei das natürlich ein Widerspruch in
sich war. Resümee war, er wollte keine Schmerzen ertragen müssen, war aber sicher, dass
ihm das nichts nützen würde.
Mick war gerade am Einschlafen, als seine ausgeprägten Sinne ein dumpfes Grollen
wahrnahmen. Erstaunt und beunruhigt hob er den Kopf. Lauschend lag er in der Dunkelheit
und dann spürte er ganz deutlich ein Beben in der Erde. Das Grollen wurde lauter, ebenso die
Bewegungen, die er spürte. Er setzte sich auf und drückte probehalber gegen den Deckel
seiner Truhe. Sie war nicht verschlossen und er konnte den Deckel aufstemmen. Von den
anderen Gefangenen schienen nur Booth, der unruhig auf seinem Bett hin und her rutschte,
und John Locke, der sich ebenfalls aufgerichtet hatte, wie Mick in der trüben Dämmerigkeit
des Kerkers sehr wohl sehen konnte, die Bewegungen zu spüren. In den anderen Zellen regte
sich nichts. Nach kurzer Zeit herrschte wieder Stille, das dumpfe Grollen verschwand so
schnell, wie es angefangen hatte und auch die Bewegungen ließen nach. Mick war klar, was
diese zu bedeuten hatten: Irgendwo in nicht allzu großer Entfernung war es zu einem kurzen,
aber heftigen Erdstoß gekommen. Er kannte dies zur Genüge aus LA. Da weiter nichts geschah, schloss der junge Vampir den Deckel seiner Truhe wieder und schlief schnell ein.
Beth Turner, Buzz Wire
Man schließt die Augen der Toten behutsam; nicht minder behutsam muss man
die Augen der Lebenden öffnen.
Jean Cocteau
Als das Dröhnen des Weckrufs ertönte, hatten alle Gefangenen das Gefühl, gerade erst
eingeschlafen zu sein. - Was soll das? - dachte Kate müde. Sie setzte sich auf und sah zu
Sawyers Zelle hinüber. Es brannte nur die funzelige Nachtbeleuchtung, daher konnte sie
Sawyer kaum erkennen. Dieser hatte sich frustriert sein Kopfkissen über den Kopf gelegt und
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versuchte so, zu ignorieren, dass ein weiterer Tag in diesem Paradies vor ihm lag. Genervt
warteten alle auf grünes Licht und die Wachen, die endlich mit Frühstück und vor allem
Wasser kommen würden. Die jedoch kamen nicht. Es kam niemand. Kein Licht ging an,
weder rotes noch grünes. Man ließ sie schweigend dort in ihren Zellen, ohne sich um sie zu
kümmern, Booth hatte inzwischen wieder heftigen Schmerzen, die ihm immer öfter ein
Keuchen oder Stöhnen entlockten. Die Zeit verging, niemand kam. Ganz allmählich machte
sich so unter den hilflos Gefesselten Besorgnis breit. Was um alles in der Welt war jetzt
wieder los? Stunden vergingen, es änderte sich nichts, es blieb dunkel, kein Licht ging an,
niemand erschien. Irgendwann hielt Abby es nicht mehr aus. Leise sagte sie: „Sorry ... Was ist
hier los?“ Und nun kam das unheimlichste an diesem Vormittag: Nichts geschah. Keiner erhielt einen strafenden Stromschlag. Kurz hielten alle Gefangenen die Luft an, erwartungsvoll,
ängstlich. Und dann kam aus mehreren Zellen die verwirrte und unsichere Frage: „Was ist
jetzt wieder los?“ „Warum kommt keiner, uns zu Füttern?“ „Was soll das wieder?“ „Die
müssen uns doch mal Wasser und etwas zu Essen bringen.“ „Warum geht das Licht nicht an?“
In seiner Zelle hatte Mick den Weckruf ebenfalls vernommen. Er drückte den Deckel
des Freezers auf. Dann setzte er sich hin. Sein Bein sah aus wie neu und war vollkommen
schmerzfrei. Geschmeidig erhob er sich, stieg aus der Box und reckte sich. Dann klappte er
den Deckel zu und sah zu Beth hinüber, die angstvoll zu ihm schaute. Er konnte sie mit seinen
Vampiraugen erheblich besser sehen als sie ihn im Dunkel erkennen konnte. „Na, gut geschlafen?“, fragte er sie lächelnd. Beth beschloss, ebenfalls zu ignorieren, dass kein grünes
Licht leuchtete. Immerhin brannte ja auch kein Rotes, daher fragte sie: „Mick ... Geht es dir
gut? Was war los? Was haben sie dir getan?“ Mick überlegte. Man hatte ihm nicht gesagt,
dass er für sich behalten sollte, was los gewesen war. Er wusste aus Erfahrung, dass seine
Lebensgefährtin sehr hartnäckig werden konnte. Er sah, dass auch die anderen Zelleninsassen
gespannt lauschten. „Man hat mich in verschiedene, leere Räume gebracht und wollte von mir
wissen, was sich in diesen Räumen abgespielt hat. Dann sind wir durch einen Tunnel zu einer
kleinen Bucht gekommen und ich stand im Wasser, um heraus zu bekommen, was dort geschehen war.“ Er setzte sich im Schneidersitz auf die Truhe und redete weiter. „Naja, plötzlich wurde ich von einem Weißspitzen Riffhai attackiert. So schwer es mir fällt das zuzugeben, aber die Wachen habe mich davor gerettet, Haifutter zu werden.“ Jake hatte sich ebenfalls auf sein Bett gesetzt und meinte: „Hört sich nach dem Spielplatz an, an dem ich Baden
gehen durfte.“ Mick nickte. „Ja, ich habe dich gesehen, unter Wasser, festgehalten von ... ich
bin nicht sicher, war es eine Muräne? Und als du zurück zum Strand schwammst, wurdest du
ebenfalls von Riffhaien verfolgt. Das habe ich deutlich gesehen.“
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Locke hatte interessiert zu gehört. Jetzt fragte er ruhig: „Was meinst du damit genau,
du hast es gesehen?“ Mick sah sich nach dem Mann um, dessen Präsenz er in den Räumen so
überdeutlich gespürt hatte. Er erklärte „Nun, ich kann seit meiner Umwandlung ein wenig in
die Zukunft, sehr viel deutlicher aber in die unmittelbare und auch weiter zurück liegende
Vergangenheit sehen. Ich kann bestimmte Ereignisse manchmal voraus sehen, aber das
Zurückschauen geling so gut wie immer. Wir waren in verschiedenen Räumen, in einem
wurdest du ...“ Er sah zu Sawyer hinüber. „ ... beinahe aufgehängt. In einem anderen hatte
man dich, Jake, auf ein Laufband geschnallt und du wurdest auf eine große Kreissäge zu befördert. Ein anderer Raum wäre dir ...“ Blick zu Bones. „... fast zum Verhängnis geworden,
nachdem die Dreckskerle dich in ein Becken mit Piranhas senken wollten.“ Er registrierte das
Nicken bei Bones und wandte sich zu Allison um, die ihn einigermaßen fasziniert anstarrte.
„Dann habe ich gesehen, wie Booth und du, in Wassertanks gefesselt, fast ertränkt worden
wäret.“ House hatte Camerons Blick bemerkt und spürte, wie schon am Tage zuvor Sawyer,
einen Stich. Dann aber sagte er sich, dass er den Vampir nicht minder fasziniert an starrte und
gestand Allison das gleiche Recht zu.
Locke fragte neugierig: „Siehst du das richtig plastisch vor dir, oder ist es mehr eine
Ahnung?“ Mulder lauschte äußerst interessiert auf Micks Antwort. Der junge Mann - jeder
hier ignorierte die Tatsache, dass er über fünfundachtzig Jahre alt war - beeindruckte den
Agent extrem. „Ich sehe es wie einen Film vor meinem inneren Auge ablaufen. Teilweise
winzige Details. Allerdings kann ich es nicht steuern. Was kommt, darauf habe ich keinen
Einfluss. Ich muss nehmen, was ich angeboten bekomme. Noch unkontrollierbarer ist es mit
dem Sehen in die Zukunft. Das können alle Arten von Einblicken sein. Kurze Bilder von Gefahren, Fragmente von Ereignissen, die eintreten werden ... Oft ergeben diese Dinge keinen
Sinn. Oder ich erkenne den Sinn zu spät.“ „Warum hast du dich eigentlich entschlossen,
Privatermittler zu werden?“, fragte Heather interessiert. Mick sah entspannt zu der zierlichen
jungen Frau hinüber. Er lächelte und Heather erwiderte das Lächeln verlegen. „Ich wurde 64’
Privatdetektiv, naja, um ... um meine besonderen Fähigkeiten dafür zu nutzen, Menschen zu
helfen. Ich habe vor meiner ... Ich habe Kriminologie studiert, an der LSU in Baton Rouge.
...“ Abby rief aufgeregt dazwischen: „Hey, ich habe da auch studiert. Kennst du Geronimo?
Ich hatte ihn in Ballistik. Meine Güte, der war doch wirklich ...“
„Sir, wir haben ein ernstes Problem.“
„Was ist nun wieder los? Hier gibt es neuerdings zu viele ernste
Probleme.“
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„Sir, es ist uns allen ein Rätsel, wie es passieren konnte, aber das Erdbeben heute Nacht hat die komplette Stromversorgung im Hause lahm gelegt,
Sir. Wir kommen nicht zu unseren Probanden.“
„Können Sie das noch einmal wiederholen?“
„Es tut mir sehr leid, Sir, aber ... Wir kommen nicht in den Kerker. Sie
wissen selbst am besten, was geschieht, wenn wir die Türen gewaltsam öffnen,
uns bleibt nur die Möglichkeit, das System zu rebooten. Unsere besten Leute
arbeiten bereits daran.“
„Wie konnte das passieren? Ein technischer Fehler?“
„Ziemlich sicher, Sir. Es handelt sich um einen Stromzusammenbruch
größeren Ausmaßes im Umkreis von dreihundert Kilometern. Unser System ist
so umfangreich, dass es Tage dauern kann, bevor wir alle Bereiche wieder
unter Kontrolle haben, Sir. Wir arbeiten mit Hochdruck daran. Sir, es besteht
die Möglichkeit, dass wir ... nun, Sir, es könnte sein, dass wir einige Probanden
verlieren. Und Sie wissen ja, Sir, mechanisch können wir die Türen nicht aufbrechen, dann verlieren wir alle Probanden, selbst den Vampir. “
„Ich rate euch, seht zu, dass ihr das System wieder zum Laufen kriegt,
bevor dort unten jemand stirbt. Sonst werden hier noch mehr Leute sterben.“
„Wir tun wirklich alles in unserer Macht stehende, Sir, das Programm
wieder zu starten, aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das kein
simpler PC ist, den man einfach wieder startet.“
„Ich verlasse mich auf euch. Wir haben die besten Techniker und
Computerspezialisten hier, ihr habt jede Unterstützung, die ihr braucht.“
Gibbs unterbrach seine Laborantin an dieser Stelle mit einem liebevollen Schmunzeln
auf den Lippen: „Abbs ...“ „Ja, Gibbs, den hättest du kennen ...“ „Abby.“ „Gibbs. Lass mich
doch mal ...“ „Abby, Mick war bestimmt ein paar Jahre vor dir auf der LSU.“ „Warum? Er ist
doch ...“ Verlegen verstummte Abby. Ziva beendete sarkastisch den Satz. „... ein paar Jahrzehnte älter.“ Gibbs grinste. Dann fragte er Mick: „Wann hast du studiert?“ Mick grinste
ebenfalls und verzog dann das Gesicht. „46 - 50.“ Mit hochrotem Kopf stotterte Abby: „Ich
hab ja nur gedacht ...“ Sie verstummte verlegen. Was musste dieser Greis auch so verflucht
jung und gut aussehen. Konnte er nicht wie jeder anständige fünfundachtzigjährige ausschauen? „Ist doch wahr ...“, maulte die junge Frau leise. In der Zelle neben ihr war Booth
durch die Unterhaltung abgelenkt und spürte seine Schmerzen im Moment nicht sehr. Er hatte
sich ein Grinsen über Abbys Eifer nicht verkneifen können. Booth hatte sich aufgesetzt, um
seine Mitgefangenen sehen zu können. Er warf einen Blick zu Bones hinüber, die diesen
Blick im Halbdunkel zu spüren schien und ihrerseits in seine Richtung guckte. „Hey, du. Geht
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es dir gut?“, fragte Booth die junge Frau. „Mir? Ja. Was ist mit dir, Ba ... Booth?“ Verlegen
brach Bones das zärtliche Baby gerade noch ab und machte Booth daraus.
Booth grinste. „Es geht. Mach dir bloß nicht so viele Sorgen, Bones, ich war selbst
hier schon deutlich schwerer verletzt.“ Bones schnaufte genervt. „Das ist selbstverständlich
ein ziehendes Argument, nicht in Sorge zu sein.“, meinte sie. „Apropos, Sorge ... Hat heute
Nacht noch jemand den kleinen Erdstoß mit bekommen?“, wandte Booth sich an seine
Leidensgenossen. Locke nickte. „Ja, ich hatte auch das Gefühl, etwas zu spüren.“ Mick
stimmte Locke zu. „Eindeutig, ja, das war ein kleines Erdbeben, nicht sehr weit weg, es war
deutlich zu hören und zu spüren.“ Keiner der Anderen hatte es mit bekommen und es wurde
nicht weiter darüber gesprochen. „Meint ihr, da kommt noch mal jemand?“, fragte Kate leise.
„Wir sind schon eine ganze Weile wach ... So lange hat es noch nie gedauert, bis jemand kam
und uns Lebensmittel und Wasser brachte. Wo stecken die denn heute bloß? Und dass nicht
einmal Licht angeht und wir nicht für das unerlaubte Reden gestraft werden ist auch sehr seltsam.“ „Betriebsversammlung ...“, meinte Mulder lakonisch. „Betriebsausflug ...“, schnaufte
Sawyer. „Puffbesuch, da möchte ich wetten.“, gab House seinen Senf dazu. „Ich habe Angst
...“, brachte Allison auf den Punkt, was sicher alle im Hinterkopf hatten. „Ach was, Mädchen,
die werden schon kommen. Die werden sicher nicht ihre teuren Investitionen hier verhungern
und verdursten lassen.“, erklärte House nun beruhigend. Ziva hatte die Gespräche verfolgt.
Als sich unterschwellig Angst im Kerker ausbreitetet, sagte sie munter: „Sag mal, Mick, du
hast erwähnt, dass ihr von uns und unserem Verschwinden aus dem Flug 815 wisst. Was ist
denn da so durch die Presse gegangen? All die toten Passagiere ...“
Es schien fast, als hätte Beth nur auf ein solches Stichwort gewartet. „Tote? Wie
kommst du denn darauf? Den anderen Passagieren geht es gut. Sie wurden nur betäubt und
mitten im Nirgendwo mitsamt Flugzeug stehen lassen. Ich habe mit ihnen gesprochen, als sie
auf dem LA International ankamen.“ Nach diesen Worten herrschte kurz Schweigen, dann
redete alles durcheinander. „Wie, die sind nicht umgebracht ...“ „Wann hast du mit ihnen gesprochen ...“ „Wie ist denn der Stand der Ermittlungen?“ „Ist in der Presse etwas von den
Angehörigen ...“ „Welche Behörden ermitteln?“ „Wo haben die das Flugzeug denn abgestellt?“ „Haben die denn einen Verdacht?“ „Gibt es überhaupt den Hauch einer Chance,
dass die uns hier finden?“ Beth versuchte, der Reihe nach zu antworten. „Nein, sie leben und
erfreuen sich bester Gesundheit. Das Flugzeug wurde am Tag nach eurem Verschwinden in
Palangkaraya gefunden. Einen Tag später wurden die Passagiere nach LA ausgeflogen, wo
ich mit ihnen gesprochen habe und auch mit euren Kollegen vom FBI und NCIS. Seit klar
war, dass US Bundesbeamte vermisst wurden, hat das Australische Militär die Ermittlungen
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Die Anderen
by Frauke Feind
FBI und NCIS überlassen. Und ob es einen konkreten Verdacht gibt, wollten mir eure lieben
Kollegen nicht sagen.“
Erneut herrschte kurz Stille, die Abby dann leise durchbrach. „Kollegen?“ Ihre
Stimme klang plötzlich, als müsse sie mit Tränen kämpfen. „Welche Kollegen hast du ...?“
Beth sah mitleidig zu der jungen Frau hinüber. „Nun, ich sprach am LA International mit
zwei FBI und zwei NCIS Ermittlern. Die sollten gemeinsam Nachforschungen anstellen. Und
einer von ihnen, so ein arroganter, selbstverliebter Agent namens Dino ... Daniso ...“
„DiNozzo ...“, unterbrach Ziva erschüttert. „Du hast mit Tony gesprochen ... Wie geht es
ihm? Wie war er drauf? Er ist nicht arrogant und selbstverliebt.“ „Wer war denn noch da? Sag
doch was.“, stieß Abby hervor. „Immer langsam, ich habe ein gutes Gedächtnis, aber ich bin
kein Computer. Das ist vier Monate her. DiNozzo war der Name des einen, richtig. Er hat erst
versucht mich anzubaggern und sich dann bemüht, möglichst lässig rüber zu kommen. Aber
er sah besorgt aus und nach seinen Augenringen zu urteilen, hatte er mindestens zwei Nächte
nicht geschlafen. Und der andere Name war irgendwas mit Mc... Der war nett. Nicht sehr gesprächig, aber freundlich. Er hat sich sehr nett über dich geäußert, Abby.“ „McGee. Mein
Gott, Gibbs. Sie hat tatsächlich mit Tim und Tony gesprochen. Gibbs.“ Abby schlug die
Hände vor ihr Gesicht und fing an zu weinen. Ziva hatte ebenfalls einen Kloß in der Kehle.
Wie sehr Tony und seine Frechheiten ihr fehlten. Dass er Beth angebaggert hatte, war für die
junge Mossad Agentin keine Überraschung. Tony baggerte alles an, was weiblich, unter
sechzig und nicht bei drei auf den Bäumen war.
Dana sah Mulder an und stellte dann die Frage: „Wer vom FBI war denn da, Beth?“
Die junge Journalistin überlegte. Sie musste sich zurück erinnern, immerhin war das Ganze ja
wirklich schon über vier Monate her und Beth war in allem gut, nur nicht, sich Namen lange
zu merken. „Vom FBI waren ein Ermittler und eine Agentin da. Die Frau war auch nett, aber
ein bisschen sonderbar. Sie hat gesagt, sie hätte von Anfang an gefühlt, dass ihr zu den Vermissten gehört, aber noch lebt. Sie sagte irgendwas über Schwingungen. Ihr Vorname war
Monica und der Nachname etwas Spanisches. Und der Mann stellte sich als Spezial Agent
John Doggett vor, wie Dogge, deswegen habe ich mir den Namen gemerkt.“ Mulder hatte
gespannt zu gehört. Eigentlich war ihm klar gewesen, dass Skinner in der Hauptsache Doggett
und Reyes auf ihr Verschwinden ansetzen würde. Mulder dachte an die etwas eigenartige
Kollegin Reyes. Seit er erfahren hatte, wie sehr sie Dana bei der Geburt Williams geholfen
hatte, hatte Mulder die junge Kollegin ins Herz geschlossen. Dass sie sich mit Numerologie
befasste, machte dem selbst sehr schrulligen Agent nichts aus. Er stand auf dem Standpunkt,
dass es vollkommen egal war, wie man Erfolg hatte, solange man ihn überhaupt hatte.
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Die Anderen
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Dana konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. - Irgendwas von Schwingungen - Ja, das
hörte sich sehr nach Monica an. Und Doggett. Dana erinnerte sich, wie sehr John ihr geholfen
hatte, als Mulder damals verschwunden war. Zu spät hatte sie gemerkt, dass der Agent sich in
sie verliebt hatte. Seit Mulder wieder aufgetaucht war, herrschte eine gewisse Spannung
zwischen den beiden Männern. John war der Überzeugung, Mulder wäre nicht gut für Dana
und Mulder konnte es nicht lassen, in Johns Gegenwart mehr als deutlich zu demonstrieren,
dass Dana und er ein Paar waren, etwas, dass er sonst nie auffällig zur Schau stellte. So
herrschte ständig unterschwellig Spannung im Team. Aber eines war sicher: Doggett war der
ideale Mann für die Suche nach Vermissten. Er hatte einen beinahe untrüglichen Instinkt und
würde alles daran setzten, sie zu finden. „Du hast mit unseren direkten Kollegen gesprochen.
Doggett und Monica sind den X Files zugeteilt worden, als Mulder damals verschwunden
war.“, erklärte Dana leise. „Über vier Monate ... Hast du, oder habt ihr denn noch irgendwie
weiter verfolgt, wie es um die Ermittlungen steht?“
„Ich habe es versucht, aber ihr solltet selbst wissen, wie stur Agenten sind, wenn es
darum geht, Informationen an die Presse weiter zu geben. Ich weiß nur, dass insgesamt zweiundzwanzig Leute verschwunden sind und man sechs von ihnen verdächtigt hat, zu den Entführern zu gehören. In den Pressemitteilungen sprachen eure Kollegen immer nur von einer
‘terroristischen Vereinigung‘ der sie wahrscheinlich angehören. Ob sie wirklich nicht mehr
wissen oder nur nicht mehr sagen, weiß ich nicht.“ „Was hat man denn nach dem Verschwinden der Maschine damals gedacht?“, fragte Jake bedrückt. „Die werden doch sicher
erst mal an einen Absturz gedacht haben ...“ Beth seufzte leise. „Zuerst ja. Das australische
Militär hat tagelang Hubschrauber eingesetzt, um auf der planmäßigen Route nach dem
Wrack zu suchen. Aber es ist schnell durchgesickert, dass es keinen Notruf gab und das Flugzeug plötzlich vom Radar verschwunden ist. Das passte nicht zu der Absturz-Theorie. Sie
haben trotzdem weiter gesucht, bis der Pilot sich bei der Qantas gemeldet hat. Das man die
Maschine auf Borneo fand, hielten alle für eine falsche Spur, das ging aus den Medien klar
hervor. Die Suche beschränkte sich auf die Staaten, Europa, Australien und Südamerika.“
„Das war ein kluger Schachzug von den Entführern, die Maschine genau dort stehen zu
lassen, wo das Versteck ist.“, meinte Gibbs leise. „Ich hätte das genauso für eine falsche Spur
gehalten wie die Ermittler in unserer Entführung ...“
Jetzt meldete sich Heather schüchtern zu Wort. „Hast du in den Medien irgendwas
darüber mit bekommen, naja, ich meine, es sind eine ganze Menge Bundesagenten verschwunden und einige Zivilisten ... Haben die sich da je Gedanken drum gemacht?“ Beth
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überlegt kurz, dann aber dachte sie - Das werden sie ohnehin irgendwann erfahren - und fuhr
mit ihren Erklärungen fort. „Da gab es die wildesten Spekulationen. Die haben sogar in Talkshows darüber gesprochen. Eine beliebte Theorie war, dass die Agenten, die Ermittler vom
CSI, Dr. House und Dr. Cameron für einen gigantischen Terroranschlag eingesetzt werden
sollten. Die Agenten, weil sie die Sicherheitsmaßnahmen in Regierungsgebäuden genau
kennen, unter anderem. Und die Ärzte, um einen neuartigen biologischen Kampfstoff zu entwickeln. Und die Zivilisten ... Nun ja, die meisten Leute gingen der Einfachheit halber davon
aus, dass ihr zu den Entführern gehört. Sorry, Heather, es tut mir sehr leid.“ „Das wir was?“,
entfuhr es Jake geschockt. Kate und Sawyer verzogen nur frustriert die Gesichter. Es überraschte sie nicht sonderlich, immerhin dürfte es für die ermittelnden Behörden ein Kinderspiel
gewesen sein, herauszufinden, wer und was sie waren. Und die Beiden waren sich einig, dass
sie nicht zu America’s Beautiful People gehörten, schon eher in die Kategorie America’s
Most Wanted...
„Wer genau war unter Verdacht, wisst ihr das?“, fragte Sawyer desillusioniert.
„Offiziell wurde darüber nichts bekannt.“, erklärte Beth ruhig. „Aber ich habe da so meine
Kontakte. Ich weiß, dass dein Vater zu einem Verhör beim NCIS vorgeladen wurde, Kate. Da
ihr, du und Sawyer, vorbestraft seid, hat man wohl vermutet, dass ihr in der Sache mit drinnen
steckt. Und ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass die Ermittler versucht haben, näheres
darüber zu erfahren, was du im Irak getrieben hast, Jake. Sie wissen, dass du als Söldner gearbeitet hast und das wohl am Rande der Legalität. Und du warst der einzige, von dem
bekannt war, dass er eine Passagiermaschiene fliegen kann. Der Verdacht, dass du es warst,
der das Flugzeug gelandet hat, lag nahe.“ Jake stieß ein leises, frustriertes Lachen aus. „Na
klar, ich bin Pilot, ich muss natürlich etwas damit zu tun haben ... Heather, weißt du nun, was
ich meine? Ich werde meine Vergangenheit nie ganz loswerden ...“ Er ließ sich auf sein Bett
sinken und machte sich lang. Die Arme unter den Kopf verschränkt, lag er da und starrte die
Decke über sich an, als liefe dort ein spannendes Play off Spiel. Kate starrte erschüttert vor
sich hin. Ihr Vater ... Sam Austen, der Vorzeigesoldat ... Zu einem Verhör, ihretwegen.
Tränen traten der jungen Frau in die Augen und sie warf sich schluchzend auf ihr Bett.
Sawyer stand verzweifelt am Gitter, die Hände um die Stäbe gekrallt, und hätte Kate
so gerne in die Arme genommen. Aber wenn er nicht zum Großen Houdini mutieren würde,
hatte er keine Chance, aus dem Käfig heraus und in Kates Käfig hinein zu kommen. Leise und
verzweifelt sagte er: „Kate ... Es tut mir so leid, Süße. Komm schon, Freckles, sei nicht so
verzweifelt.“ Kate reagierte gar nicht. Schluchzend vor Hoffnungslosigkeit und Angst lag sie
da. Beth taten diese Menschen hier unendlich leid. Sie hielten hier schon vier Monate durch,
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Beth hatte das Gefühl, keine vier Tage auszuhalten, ohne durchzudrehen. Sie wurde in ihren
Überlegungen durch die Stimme Abbys unterbrochen. „Beth? Kannst du ... ich meine, was hat
Tim gesagt?“ Verlegen wand sich Abby hin und her. Gibbs grinste. „Ich habe ihn und
DiNozzo gefragt, ob sie euch nahe stehen. Agent McGee hat über euch alle mit viel Respekt
gesprochen, aber von dir hat er regelrecht geschwärmt. Er sagte, es ist unmöglich, dich nicht
zu mögen. Und dass du, wenn du jemanden einmal ins Herz geschlossen hast, die treuste und
verlässlichste Freundin bist, die man sich wünschen kann. Du hättest sein Gesicht sehen
müssen, als er über dich geredet hat.“ Abby standen nun auch wieder Tränen in den Augen.
Tränen der Freude. Erst hier, weit weg von Tim, war ihr klar geworden, dass sie ganz heftig
verliebt in ihn war. Sie wollte ihn wieder sehen und ihm das sagen.
Ziva zögerte noch, dann aber fragte sie scheinbar gelangweilt: „Sag mal, Beth, was hat
DiNozzo denn so an Blödsinn von sich gegeben?“ Beth zog bei der Erinnerung an den von
sich so extrem überzeugten NCIS Agent eine Augenbraue in die Höhe. „Zuerst hat er versucht
witzig zu sein. Er sagte so was wie: So nahe man einem Ex-Marine, der den einsamen Krieger
spielt, einer Goth-Lady, die in Särgen schläft und einer Spionin, die Jackie Chan Konkurrenz
machen würde, eben stehen kann.“ Beth sah Gibbs an und zuckte die Schultern. Der ExMarine, der den einsamen Kämpfer spielte, grinste. „Tja, da ist wohl bei nächster Gelegenheit
eine Kopfnuss fällig.“, erklärte er. Ziva und Abbs schmunzelten. Beth fuhr fort: „Er hat dann
aber doch bestätigt, was Agent McGee über Abby gesagt hat. Er meinte, sie hätte sich auch
für ihn schon wirklich reingehängt, als er in Schwierigkeiten steckte. Und nicht einmal ein
Danke dafür erwartet. Und er hat gesagt, dass er gerne unter Gibbs arbeitet und von keinem
mehr gelernt hat.“ Beth war froh, den drei Menschen gute Nachrichten bringen zu können,
wenn auch keine Hilfreichen in Bezug auf Rettung.
Ziva schaute erwartungsvoll zu Beth hinüber. Diese bemühte sich, zusammen zu
kratzen, was dieser unangenehme Agent gesagt hatte. „Und über dich hat er gesagt, dass du
der temperamentvollste und leidenschaftlichste Mensch bist, den er je kennen gelernt hat. Und
dass es mit dir nie langweilig wird, weil man nie weiß, was du im nächsten Moment tust. Und
er hat noch gesagt, dass du jede Lüge durchschaust und dass du ihn wahrscheinlich besser
kennst als er sich selbst. Und dass er das unheimlich finden würde, wenn er nicht wüsste, dass
du dieses Wissen niemals gegen ihn verwenden würdest.“ Das waren seine Worte gewesen.
Beth beobachtete Ziva aufmerksam. Das Beobachten von Menschen war der Journalistin im
Laufe ihres Berufslebens in Fleisch und Blut übergegangen. Sie machte dies gar nicht
bewusst, sondern einfach unbewusst, unwillkürlich. Und sie bekam mit, dass Ziva sich offen-
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sichtlich über das Gehörte freute. Scheinbar bedeutete dieser Agent DiNozzo ihr mehr, als sie
ahnte.
Mick hatte die ganze Zeit still zu gehört. Auch er hatte die Leidensgenossen bei diesen
zum Teil unschönen Mitteilungen genau im Auge behalten. Nachdem er nun wusste, was die
Entführten hier hatten durch machen müssen, taten diese ihm unendlich leid. Schon alleine
die ständige Bedrohung der Partner, Freunde, Kollegen mit Schmerzen oder gar Tod war unendlich zermürbend. Mick verstand eine ganze Menge von Psychologie, und was er bisher
wusste, jagte dem Vampir einen Schauer über den Rücken. Die Entführer hatten sehr
systematisch dafür gesorgt, dass ihre Gefangenen schnell jedes Selbstwertgefühl verloren
hatten. Die ausnahmslose Anrede mit der Nummer, die Deprivation, alleine in den kleinen
Zellen, ohne Möglichkeit, sich zu beschäftigen. Das ständige bedroht werden, die ständige
Bedrohung auch der Anderen. Viele Dinge waren, das hatte Mick sofort gesehen, direkt hier
im Keller abgelaufen. Akut zermürbend und hier sicher als gezielte Zerstörungswaffe eingesetzt, war das Mithören und Sehen von Schreien und Qualen der anderen Gefangenen. Alle
hatte sehen können, wie sehr einzelne Mitgefangenen leiden mussten. Sie hatten es nicht nur
mit ansehen müssen, sondern konnten auch jederzeit damit rechnen, die Nächsten zu sein. Bis
auf kurze Phasen, in denen man ihnen Zeit gegeben hatte, sich ein wenig zu erholen, war die
Bedrohung durch Verletzungen oder auch den Tod ständig vorhanden gewesen. Besonders
qualvoll war die permanente Todesbedrohung, das wehr- und rechtlose Ausgeliefertsein an
einen gnadenlosen Vernichtungswillen ohne Rechtfertigung und Verstrickung in eine auch
nur irgendwie geartete Schuld.
Ebenso war die Gewissheit sicher am Anfang lange unfassbar, dass das ganze nicht
zeitlich begrenzt zu sein schien, sondern nur mit der höchstwahrscheinlichen körperlichen
Vernichtung enden würde, eine entlastungslose Angst. So waren die Häftlinge auch noch gezwungen, über die tägliche Qual froh zu sein, die sie wenigstens lebend verbringen durften.
Besonders zermürbend war auch der Umstand, dass sich alles ohne zwischengeschaltete Entlastung abspielte, mit Ausnahme der kurzen Pausen, die aber sicher gezielt als AngstIntervalle genutzt wurden. So hatten die Gefangenen keinerlei Möglichkeit, sich wenigstens
auf der untersten vegetativen Stufe wieder zu fangen und etwas zu regenerieren. Mick fragte
sich, für den Fall, dass sie hier doch irgendwann wieder heraus kommen sollten, wie das
weitere Leben der Gefangenen wohl aussehen mochte. Er konnte sich nicht zusammen
reimen, wozu das alles hier diente. Kaum anzunehmen, dass diese Leute hier nur zufällig ausgewählt worden waren. Irgendetwas musste die Wahl auf sie hatte fallen lassen. Vielleicht
ließ sich da ja etwas heraus finden, dass den Anschein eines gemeinsamen Nenners hatte. Das
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Die Anderen
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er den Umstand seiner Anwesenheit in diesem kuscheligen Gebäude dem puren Zufall zu
verdanken hatte, war Mick absolut klar. Sie hatten wohl gewusst, wer er war, aber ihn dort zu
entdecken, wo man ihn und Beth geschnappt hatte, war der pure Zufall gewesen, davon ging
Mick einfach aus. Allerdings machte das Wissen seine und Beth’ Lage nicht angenehmer.
*****
Carpe diem
Vermutlich hat Gott die Frau erschaffen, um den Mann klein zu kriegen.
Voltaire
Beth hatte auf weitere Fragen gewartet, die aber nicht erfolgten. So konnte sie selbst
endlich Fragen stellen, die sie brennend interessierten. „Sag mal, Mulder. Ich habe da am
Flughafen aufgeschnappt, dass du und Dana paranormale Phänomene erforscht. Leider war
nicht mehr darüber herauszukriegen. In welchen Fällen ermittelt ihr denn? Und wie kommt
man zu so einer Abteilung?“ Mulder schmunzelte. Natürlich war nicht nur der Mitteilungsdrang einer Journalistin groß, sondern auch deren Neugierde. Da die X Akten aber kein
großes Geheimnis waren, erklärte er Beth ruhig, welche Fälle er zusammen mit Dana bearbeitete, wie er und später Dana in dieser Spezialabteilung gelandet waren. Er berichtete kurz
von seinem Verschwinden und dass daraufhin Doggett und Reyes ins Team gekommen
waren. Beth, aber auch Mick hörten interessiert zu. Man konnte regelrecht sehen, wie es in
Beth‘ Kopf arbeitete. Hätte man sie in diesem Moment gefragt, was sie am liebsten hätte,
wäre die Antwort sicher: Ein PDA. gewesen.
„Wow, es ist echt unglaublich, was ihr schon alles erlebt habt. Dana sollte dich also
ausspionieren?“, fragte Beth grinsend. „Das nenne ich einen interessanten Start für eine Beziehung. Ihr seid doch zusammen, oder?“ Dana konnte ein ironisches Lachen nicht unterdrücken. Die junge Frau hatte den Journalismus scheinbar schon mit der Muttermilch zugeführt bekommen. Ließe man sie bei ihren Entführern zehn Minuten ungestört zu Wort
kommen, sie würde erfahren, welchem Zweck das alles hier diente. Mulder war von der
direkten Frage so überrumpelt, dass er eifrig antwortete: „Ja, sind wir, Dana und ich sind seit
...“ Er stutzte und schüttelte erstaunt den Kopf. Dann erklärte er gelassen: „Ich verweigere die
Aussage.“ Beth lachte. „Ach komm schon. Ist sicher eine schöne Geschichte, wie ihr zu296
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sammen gekommen seid. Und schöne Geschichten können wir hier wirklich brauchen.“ Dana
erwiderte leicht ungeduldig: „Erstens ist es keine schöne Geschichte, zweitens kennen alle sie
bereits und drittens sind wir keine Privat-Auskunftei.“ Beth beschloss, sich vorerst jemand
anderem zuzuwenden. Sie wollte ja niemanden verärgern.
Sie schaute zu Ziva rüber. „Ziva, Agent DiNozzo hat gesagt, du wärst vom Mossad
zum NCIS gekommen.“ Beth hoffte, die Erwähnung des Kollegen, nach dem Ziva so
interessiert gefragt hatte, würde sie zum Reden bringen. „Wie kam es denn dazu?“ Ziva sah
zu Beth hinüber und zog eine Augenbraue leicht in die Höhe. „Hat Tony auch erwähnt, dass
ich alleine achtzehn Möglichkeiten kenne, einen Menschen mit einer Büroklammer zu
killen?“, fragte die junge Mossad Agentin spitz. „Ich habe hier nirgendwo eine Büroklammer
gesehen.“, entgegnete Beth mit einem entwaffnenden Lächeln. Ziva stand geschmeidig von
ihrem Bett auf, auf dem sie gehockt hatte. Dicht trat sie an die Tür und sagte gefährlich
freundlich: „Weißt du, Herzchen, ich beherrsche auch die Kunst des Tötens ganz ohne Waffe
...“ „Kannst du auch durch Gitterstäbe gehen?“: fragte Beth grinsend. „Aber mal im Ernst,
Ziva: Ich will dich nicht ärgern. Ich möchte die Leute, mit denen ich hier festsitze, einfach ein
bisschen besser kennen lernen. Ihr alle hier habt euch genau kennen gelernt. Mick und ich
möchten auch gerne wissen, mit wem wir es zu tun haben. Machen wir doch ein Spiel draus:
Für jede beantwortete Frage dürft ihr mich auch etwas fragen. Egal was. Und ich werde ehrlich antworten. Das ist wie 20 Questions. Hast du das nie im College gespielt?“ Ziva
schüttelte über so viel Hartnäckigkeit den Kopf. Dann erwiderte sie sarkastisch: „Als das in
Tel Aviv im College gespielt werden sollte, gab es einen Bombenangriff, weißt du, deshalb ist
das Spiel bei uns ausgefallen. Wir waren zu sehr damit beschäftigt, zerfetzte Körper zu bergen
...“
Gibbs und Abby hatten die Unterhaltung grinsend verfolgt. Beth war hartnäckig, ohne
Zweifel, aber Ziva war mit Sicherheit hartnäckiger. Abby war sich auch sicher, dass die
Kollegin nicht wusste, was 20 Questions war, aber das würde sie Beth nicht unter die Nase
reiben. Diese hatte erschrocken die Augen aufgerissen. „Das tut mir leid.“, sagte sie ehrlich
betroffen. „Es muss furchtbar sein, so aufzuwachsen.“ Angesichts der Betroffenheit der
jungen Frau taten Ziva ihre harten Worte ein wenig Leid. „Hör zu, Beth, ich wollte dich nicht
schockieren, aber ich mag es nicht, wenn man mich ausfragt, okay, akzeptiere das bitte einfach und spiele mit den Anderen das Spiel ... Ich kenne es nicht einmal. Lass mich da raus.
Bei uns hat man solche Spiele nicht gespielt, verstehst du? Du und ich, wir kommen aus
völlig unterschiedlichen Welten. In meiner Welt wirst du schnell Erwachsen ... sehr schnell.
Du hast gar keine Wahl.“ Sie sah zu Beth hinüber, die unter den Worten merklich zusammen297
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schrumpfte. Aber so schnell gab sich die junge Frau noch nicht geschlagen. Sie versuchte, die
Stimmung etwas aufzulockern. „Du kennst 20 Questions nicht? Da hast du echt was verpasst.
Das kann sehr lustig werden, vor allem nach ein paar Bier. War mein zweitliebstes PartySpiel auf dem College.“ Mick drehte sich in seiner Zelle ab. Hätte er noch länger zu seiner
Lebensgefährtin herüber geschaut, hätte er angefangen zu Lachen. Beth war einmalig. Sie
hockten hier bei vollkommen unkalkulierbaren Psychopathen in Gefangenschaft, und sie
forderte die physisch und psychisch schwer angeschlagenen Menschen, die hier seit vier
Monaten gequält und mit dem Tod bedroht wurden, zu einem College-Spielchen heraus.
Bevor Mick noch etwas zu Beth sagen konnte, meldete sich nun Locke zu Wort. „Beth
... Ich bin nicht sicher, ob dir klar ist, dass fast jeder von uns hier schon mehrfach knapp am
Tode vorbei geschrammt ist? Dass viele von uns gequält, gefoltert, misshandelt wurden, wir
alle seit vier Monaten ohne Sonne, ohne Tageslicht, hier gefangen gehalten werden? Bis
gestern nicht einmal wussten, welches Datum wir haben? Und dass wir fast sicher immer
noch davon ausgehen müssen, jederzeit wieder gequält oder doch noch getötet zu werden? Ich
bin nicht sicher, ob du in der Lage bist, zu ermessen, was das bedeutet. Wir alle hier sind
nicht an College-Spielen interessiert, sondern nur und ausschließlich daran, weiter zu überleben.“ Ganz ruhig, beinah freundlich, kamen diese wohldurchdachten Worte von dem
geheimnisvollen Mann. „Es tut mir leid, wirklich. Ich dachte nur, ihr hättet etwas Aufmunterung verdient. Ich bin erst einen Tag hier und habe schon das Gefühl, verrückt zu
werden. Ich kann nur ahnen, wie ihr euch fühlt. Es macht mich wahnsinnig, hier absolut
nichts tun zu können. Das muss euch doch genauso gehen. Ich denke, ein bisschen Ablenkung
würde uns allen gut tun. Wir drehen durch, wenn wir hier sitzen und nichts weiter tun als
darüber nachzugrübeln, was als nächstes passieren wird. Okay, das Spiel war eine blöde Idee.
Aber könnt ihr nicht einfach mit mir reden?“, fragte Beth, mühsam um Fassung bemüht.
- Wie kann man nur etwas mit einer Journalistin anfangen? - murmelte Bones ganz
leise vor sich hin und warf einen verständnislosen Blick zu Beth hinüber, die ihre geflüsterten
Worte natürlich nicht verstanden hatte. Mick dafür umso besser. Und er hatte kein Problem
damit, Bones mit seinem übersinnlichen Gehör zu konfrontieren. Grinsend erwiderte er: „Du
wirst es nicht glauben, Bones, aber manchmal habe ich mich das selbst schon gefragt.“ Bones
verschlug es die Sprache. Sie starrte Mick so verblüfft an, dass dieser lachen musste. Da kein
anderer Bones Flüstern verstanden hatte, entging ihnen natürlich der Sinn der Worte, die
Mick an Bones richtete. Verständnislos sahen sie hinüber und dann war es Heather, die fast
mitleidig sagte: „Okay, Beth, was möchtest du denn so wissen?“ Beth lächelte Heather dankbar an. „Wie wär‘s wenn du mir erzählst, was du überhaupt in Australien gemacht hast? Habt
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ihr dort Urlaub gemacht?“, fragte sie, in der Hoffnung damit ein unverfängliches Thema anzusprechen. Heather seufzte, als sie an die schöne, unbeschwerte Zeit in Sydney dachte. Dann
erzählte sie mit einem Verständnis erbittenden Blick zu Jake, wie und warum sie in Australien
gelandet war und Beth hörte aufmerksam zu. „Du bist ans andere Ende der Welt geflogen, um
Jake zurückzuholen, obwohl ihr euch gerade erst kanntet? Und es hat tatsächlich
funktioniert?“, fragte Beth staunend. „Wow, das muss wirklich so was wie Liebe auf den
ersten Blick gewesen sein.“
Heather wurde rot. „Eher eine Spätzündung ...“, rutschte ihr heraus, bevor sie es verhindern konnte. Beth sah erstaunt zu der jungen Frau hinüber. „Wie meinst du das denn?“,
fragte Beth neugierig. Die Reporterin hatte bereits wieder vergessen, dass sie die anderen
eigentlich nicht mehr löchern wollte. Heather wurde dunkelrot. „Naja, stimmt schon, es war
Liebe auf den ersten Blick. Zumindest für mich.“, antwortete sie und sah kurz zu Jake rüber.
„Aber es hat trotzdem eine Weile gedauert, bis wir... zusammen gekommen sind. Richtig zusammen, meine ich.“, erklärte die junge Frau und sah beschämt zu Boden. Sawyer grinste.
„Irgendwas hast du wohl am Anfang verkehrt gemacht.“ Jake warf ihm einen giftigen Blick
zu. „Tja, so toll kann es mit deinen Künsten nicht sein, dass du erst fast umgebracht werden
musst, damit Heather deine Qualitäten in bestimmten Lebenslagen zu schätzen weiß.“, gab
House sarkastisch seinen Senf dazu. Nicht nur Sawyer lachte los. Jake sah House mit einem
Blick an, der diesen sofort getötet hätte, wären Blicke dazu im Stande gewesen.
Beth warf Jake einen verstehenden, mitleidigen Blick zu. Dann sah sie zu Mick
hinüber. Sie verstand gut, wie es Jake gegangen war. Bei ihr und Mick hatte es fast ein Jahr
gedauert, bis sie zusammen gekommen waren. Als sie sich kennen gelernt hatten, war Beth
noch mit ihrem damaligen Freund zusammen gewesen, obwohl aus der Beziehung schon seit
einer Weile die Luft raus gewesen war. Nach dem gewaltsamen Tod ihres Freundes Josh
Lindsey hatten sie und Mick angefangen zu daten, aber er hatte immer wieder einen Rückzieher gemacht, aus Angst, er würde die Kontrolle über sich verlieren und Beth verletzen oder
ihr die Chance auf ein normales Leben nehmen. Selbst heute hatte er noch manchmal Bedenken, er könne sie versehentlich anknabbern, wenn die Leidenschaft ihn übermannte. Beth
jedoch hatte nie Angst gehabt, dass er ihr etwas antun könnte. Sie sah Heather an und lächelte
aufmunternd. „Das ist okay, Heather. Manche Dinge sind es wert, darauf zu warten.“ Heather
lächelte ebenfalls, wenn auch immer noch verlegen. Beth war noch nicht gewillt, sich zufrieden zu geben. Sie wollte mehr über Sawyer und Kate erfahren. Was über die Beiden in
den Medien zu lesen gewesen war, klang nicht sonderlich Vertrauenerweckend. Da war die
Rede von Mord und schwerem Betrug gewesen. Beth überlegte, wie sie das Gespräch am
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besten beginnen konnte. Sie sah zu Sawyer hinüber, der sie aber nicht zu bemerken schien.
Seine Augen ruhten auf Kate, die immer noch auf ihrem Bett lag und ins Leere starrte. Beth
beschloss, mit ihr anzufangen und zu versuchen, die junge Frau aus ihrer Lethargie zu reißen.
„Kate, was hat dich und Sawyer nach Australien verschlagen? Habt ihr dort gelebt
oder nur Urlaub gemacht?“ Kate antwortete, ohne überhaupt nachzudenken. „Ich werde in
Australien nicht gesucht, darum war ich dort, schon seit Monaten. Ich habe mich mit Gelegenheitsjobs durch gebracht. Sawyer und ich ...“ An dieser Stelle setzte sie sich auf und sah
zu dem blonden Mann hinüber, der erleichtert schien, dass sie sich wieder an der Konversation beteiligte. „Wir haben uns eines Abends in Kings Cross getroffen, ich habe ...“ Sie
lachte kurz. „... ich habe ihn fast um gerannt.“ Beth grinste. „Hat er dir bestimmt nicht übel
genommen.“ An Kates Stelle antwortete Sawyer. Frech grinste er Beth an. „Weißt du, Louis
Lane, wenn eine hübsche Frau in mich rein rennt, werde ich bestimmt nicht böse sein.
Außerdem hat Kate mir Schmerzensgeld gezahlt.“ „Lass mich raten? Du hast die Gelegenheit
genutzt und dir von Kate einen Drink ausgeben lassen?“ Kate schüttelte den Kopf. „Genau
genommen hat er mich angefleht, mit ihm ein Bier trinken zu gehen.“ Sawyer schnaufte
missmutig. „Nun plaudere unserer Miss Newsflash doch nicht alles aus.“ Beth grinste. „Du
hast es also nötig, die Mitleidstour abzuziehen, um eine Frau dazu zu kriegen, mit dir was
Trinken zu gehen?“ Sawyer zog eine Augenbraue in die Höhe und schmunzelte. „Weißt du,
Veronica, ich brauche überhaupt keine Tour, ich habe genug Qualitäten, die keiner zur Schaustellung bedürfen.“ Beth war wirklich erstaunt, dass Sawyer Veronica Guerin zu kennen
schien. Immer neugieriger wurde sie. Wie kam ein so offensichtlich gebildeter, gut aussehender, charmanter Mann dazu, als Betrüger sein Geld zu verdienen? „Du kennst Veronica
Guerin?“, fragte sie erstaunt. „Du steckst voller Überraschungen.“ Sawyer grinste cool. „Ich
bin ein vielschichtiger Typ, Süße.“
„Offensichtlich.“ Beth störte nicht, dass Sawyer sie Süße genannt hatte. Viel zu sehr
war sie an dem jungen Mann interessiert. Am liebsten hätte sie ihn direkt gefragt, wie er zum
Betrüger geworden war, aber nicht einmal sie war so plump. „Hast du Geschichte studiert
oder so was?“ Beth wusste natürlich, dass Sawyer oder James Ford, wie er wirklich hieß, nie
auf dem College gewesen war, hoffte aber, so etwas aus ihm heraus zu kriegen. Sawyer lehnte
entspannt am Gitter. Dass die Journalistin ihn so offensichtlich ausfragte, amüsierte ihn.
Aufmerksam, aber unauffällig behielt er Mick im Auge, aber der hockte vollkommen entspannt auf der Kühltruhe und grinste. Die Anderen wirkten, als wären sie froh, nicht selbst
ausgefragt zu werden und so zuckte Sawyer in Gedanken die Schultern. „Nein, ich habe nicht
einmal die Highschool beendet.“ „Tatsächlich? Wie kommt es dann, dass du so gebildet
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Die Anderen
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bist?“, fragte Beth direkt. Sawyer grinste. „Ich kann lesen, weißt du. Und in meinem ... Job als
... Con Man brauche ich ein fundiertes Wissen.“ Da Sawyer selbst angesprochen hatte, was er
machte, dachte Beth bei sich, eine direkte Frage wäre einen Versuch wert. „Das klingt, als
hätte es dir Spaß gemacht, als Betrüger dein Geld zu verdienen.“ Sawyer grinste noch breiter.
Es war ihm klar gewesen, dass Beth Bescheid wusste. So konnte er ruhig sagen: „Ich hatte mit
neunzehn die Wahl, in Streifen geschnitten zu werden, oder mir schnell eine größere Geldsumme zu besorgen. Ich lebe noch. Nein, es hat mir keinen Spaß gemacht, es sei denn, ich
konnte Leute rein legen, die noch mieser waren als ich.“
Sawyers Offenheit überraschte Beth und einen Moment lang wusste sie nicht, wie sie
darauf reagieren sollte. Schließlich fragte sie: „Kam das oft vor? Dass du dich mit richtig
miesen Typen angelegt hast?“ Sawyer schmunzelte immer noch. Langsam sagte er:
„Manchmal. Aber nur, um Irrtümer zu vermeiden, Blondie: Ich bin kein zweiter Robin Hood,
okay.“ „Den Eindruck hatte ich auch nicht. Du bist schließlich ein vielschichtiger Typ,
richtig? Also, was hat dich denn nun nach Australien geführt?“ Beth konnte nicht anders, sie
musste den Mitteilungswillen wenigstens eines ihrer Mitgefangenen ausnutzen. Sawyer lachte
leise. „Die Liebe meines Lebens.“ Beth runzelte die Stirn. „Ich dachte, du hättest Kate erst in
Australien kennen gelernt.“ Kate hatte gespannt darauf gewartet, wie weit Sawyer sich ausfragen lassen würde. Zwar war er gezwungen gewesen, vor all den Anderen den Mord in
Sydney zuzugeben, aber Kate spürte sofort, dass er absolut nicht gewillt war, Beth in sein
Geheimnis einzuweihen. Und sie hatte Recht. Todernst erklärte Sawyer: „Weißt du, ich
wusste, dass ich Kate in Sydney treffen würde.“ „Weißt du, du könntest auch einfach sagen,
dass du die Frage nicht beantworten willst.“, antwortete Beth etwas enttäuscht. Das Gespräch
hatte so viel versprechend begonnen. Sarkastisch meinte Sawyer: „Weißt du, wenn du mir
deine finstersten Geheimnisse alle anvertraut hast, werde ich dir meine ebenfalls anvertrauen.
Wir wollen uns doch noch ein paar Gesprächsthemen für unser nächstes Date aufheben.“
„Das klingt als hättest du doch Lust auf eine Runde 20 Questions.“, antwortete Beth
grinsend. „Zu schade, dass Kate wahrscheinlich etwas gegen das Date hätte.“ Jetzt wirkte
Sawyer wieder vollkommen entspannt. „Du scheinst ja ein Faible für College-Spielchen zu
haben, Goldlöckchen. Wie wäre es denn, wenn wir - Ich hab noch nie - spielen würden? Zwar
haben wir keinen Scotch, aber das können wir uns ja einfach mal vorstellen.“ „Warum nicht?
Ich habe heute nichts anderes vor.“ Jetzt mischte Mick sich verwirrt ein. „- Ich hab noch nie Was ist das für ein Spiel, Beth?“ Beth sah erstaunt zu Mick hinüber. „Sag bloß, das gab es zu
deiner College-Zeit noch nicht?“ Mick schüttelte den Kopf. „Nein, Kleines, wenn es das
schon gegeben hätte, würde ich kaum fragen, oder?“ „Kann ja auch sein, dass du einer von
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diesen pflichtbewussten Studenten warst, die an den Wochenenden tatsächlich gelernt haben,
statt auf Partys zu gehen.“, antwortete Beth. „- Ich hab noch nie - ist ganz einfach. Jemand
sagt ’Ich hab noch nie‘ und ergänzt den Satz irgendwie. Zum Beispiel: ‚Ich hab noch nie
einen Joint geraucht.‘ Und jeder, der das schon mal getan hat, muss einen Schluck trinken.“
Nicht nur Mick schaute vollkommen verständnislos drein. Auch Bones, House, Gibbs und
Ziva verstanden offensichtlich kein einziges Wort von dem, was Beth da gerade erklärt hatte.
Kate und Heather warfen ebenfalls fragende Blicke abwechselnd zu Beth und Sawyer. Ziva
sprach aus, was die vier dachten. „Bitte. Das macht absolut keinen Sinn.“ „Natürlich macht
das keinen Sinn.“, erklärte Beth, selbst verwirrt. „Es ist ein Party-Spiel.“
„Party-Spiel? Wie spielt man denn Party? Eine Party ist ein gesellschaftliches Ereignis, auf dem sich Menschen treffen, um Konversation zu treiben. Das spielt man doch nicht.“,
bemerkte Bones staunend. Sawyer, Mulder und Booth mussten sich fast am Gitter festhalten
vor Lachen. Beth sah völlig fassungslos zu Booth herüber. „Meint sie das ernst?“ „Todernst.
Zwischenmenschliches ist ein riesiges Fragezeichen für Bones. Zwischenmenschliches und
vieles mehr.“ Booth wischte sich Lachtränen aus den Augen. Wer hätte gedacht, dass die
junge Journalistin mit ihrer Neugierde für so viel Heiterkeit in dieser Hölle sorgen würde.
Beth schüttelte verwirrt den Kopf. Wie sollte sie zwei Männern im Alter ihres Vaters und
einem, der defakto älter war als ihr Großvater, einer Ausländerin und einem Alien den Sinn
von Trinkspielen erklären? Beth seufzte und setzte zu einer genaueren Erklärung an. „Es ist
ein Spiel, das man auf einer Party spielt, um sich besser kennen zu lernen. Anfangs sind die
Fragen relativ harmlos, aber je mehr die Leute trinken, desto ... intimer werden die Fragen.
Man baut Hemmungen ab und wird offener. Es ist interessanter und weniger verkrampft als
die anderen einfach aufzufordern, ihre Lebensgeschichte zu erzählen.“
Bones hatte wirklich interessiert zu gehört. Jetzt sah sie Beth an. „Ich habe auf dem
College mit bekommen, wie verkrampft über Fortpflanzung und Paarungsrituale gesprochen
wurde. Der Austausch von Körperflüssigkeiten ist ein vollkommen normaler Vorgang, den
hinter vor gehaltener Hand zu Thematisieren mehr als überflüssig ist. Es werden Umschreibungen benutzt, die absurd am Thema Reproduktion vorbei gehen, wie die alberne und
nicht auf den Menschen übertragbare Geschichte mit den Bienchen und den Blümchen.
Warum muss zur Behandlung dieser Themen erst ein Spiel erfunden werden?“ Diesmal
brüllten nicht nur Mulder, Sawyer und Booth vor Lachen, alle, bis auf Heather, die rot wurde,
und Beth und Mick, die absolut nichts verstanden, lachten Tränen. Beth fragte verwirrt: „Du
willst also damit sagen, dass man das Thema Sex vollkommen offen angehen und darüber
reden sollte wie über jedes andere Thema? Das ist doch aber schon etwas sehr intimes und ...“
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„Die Fortpflanzung und damit Arterhaltung ist weder etwas verwerfliches noch etwas, dass
man heimlich hinter vorgehaltener Hand besprechen muss. Es ist ein für jede Spezies überlebenswichtiger Vorgang. Spätestens, wenn bei einer Frau eine Schwangerschaft zu erkennen
ist, weiß ohnehin jeder, dass es, um dazu zu kommen, zuerst zu Geschlechtsverkehr kommen
musste. Daher ist das Verheimlichen desselben pure Zeitverschwendung.“ Beth starrte mit
großen Augen zu Bones hinüber. „Das kann nicht dein Ernst sein. Du würdest dich ganz entspannt darüber unterhalten, wie Booth im Bett ist?“
Der Wille zu Leben
Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft - vielmehr aus unbeugsamen Willen.
Mahatma Ghandi
House in seiner Zelle schüttelte verständnislos den Kopf und fragte Mick: „Wie hältst
du das denn bloß auf Dauer aus? Hat sie irgendwo einen Aus-Knopf oder können Vampire die
Ohren abschalten?“ Mick grinste, während aus Beth‘ Zelle ein empörtes Schnauben zu hören
war. Aus Heathers Zelle dagegen kam ein leicht panisches: „Können wir vielleicht mal
darüber sprechen, warum sich keiner um uns kümmert? Ich habe entsetzlichen Durst, warum
nur kommen die nicht endlich, um uns zu versorgen? Warum geht kein Licht an? Es ist ...
Stunden her, dass wir geweckt wurden.“ Ihre Stimme klang leicht hysterisch. Jake sprang auf
und stellte sich dicht an das Gitter. „Heather, bitte, du musst doch keine Angst haben, ich bin
sicher, wir werden bald unsere Rationen bekommen.“, versuchte er die junge Frau zu beruhigen. „So, meinst du? Was veranlasst dich zu dieser optimistischen Prognose?“ Bones
hatte Booth trotz der gelungenen Ablenkung durch die Unterhaltung immer wieder Aufkeuchen hören vor Schmerzen und war extrem beunruhigt, dass sich heute keiner um sie alle
zu kümmern schien. Sawyer, der immer wieder besorgt zu Kate hinüber schaute, grinste
Bones frustriert an. „Ich hatte doch tatsächlich schon ganz vergessen, dass du manchmal ein
richtiger, kleiner Sonnenschein sein kannst ...“ Ziva stieß ein leises Kichern aus. Dann aber
sah sie zum ungezählten Male zur Kerkertür hinüber. Aber der Versuch, ihre Kerkermeister
heran zu gucken half leider auch nicht.
Mick stand am Gitter, starrte zur Kerkertür und bemühte sich krampfhaft, außerhalb
des Kerkers irgendetwas zu hören, aber, aus was auch immer die Wände ihres Gefängnisses
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gefertigt waren, es drangen keine Geräusche hindurch. Er konnte ohne Belastung zwei, drei
Tage ohne Nahrung auskommen, dann aber wurde es kritisch. Die anderen Gefangenen hatten
in den vergangenen zwei Tagen außer der Literflasche Wasser und dem Stückchen Brot
jeweils morgens nichts bekommen. Ihnen musste der Magen knurren. Und, das war Mick
mehr als bekannt, der Durst war noch erheblich schlimmer als der Hunger. Abgesehen davon,
dass er unangenehm war, führte er natürlich auch schnell zur Dehydrierung. Und das Gefühl
des Verlassenseins würde bei den ohnehin psychisch und physisch schwer angeschlagenen
Menschen hier schnell zu Panik führen.
Dana versuchte, die Leidensgenossen zu beruhigen. „Hört mal, die haben so viel in
uns investiert, was hätten sie denn davon, uns hier verhungern und verdursten zu lassen? Das
sie sich heute nicht um uns kümmern, entspringt sicher der Willkür und wird kein Dauerzustand werden. Kommt schon, wir sollten nicht gleich den Mut verlieren.“ Locke stimmte
Dana ruhig zu. „Dana hat Recht, Freunde, gerade, nachdem sie Mick in ihren Händen haben,
werden sie nicht sang und klanglos verschwinden und uns unserem Schicksal überlassen.“
Abby sah zu Locke hinüber. „Wenn nun aber etwas geschehen ist? Wenn die ... fliehen
mussten? Und uns hier einfach verrotten lassen? Wenn schon lange keiner mehr von ihnen da
ist? Wir kommen hier nicht raus und werden in diesen elenden Zellen jämmerlich ...“ „Abby,
Kleines, beruhige dich. Niemand wird hier in der Zelle sterben, komm schon. Tim wartet
doch zu Hause in Washington auf dich und Mr. Massenspektrometer auch.“ Gibbs sah beunruhigt zu Abby hinüber. Wie vielleicht bis auf Ziva alle Frauen hier war Abby einer Panik
nahe. Gibbs konnte ja selbst den Gedanken, hier zum Sterben zurück gelassen worden zu sein,
nicht ganz aus seinem Kopf bekommen.
Eine Weile herrschte Schweigen. Die Gefangenen versuchten, die aufkommende
Panik in den Griff zu bekommen. Gibbs warf einen Blick in die Runde. Beth lief, ebenso wie
Ziva, Sawyer, Allison und Mulder, unruhig in der winzigen Zelle hin und her. Wie eingesperrte Tiere, hin und her, hin und her. Kate, Heather und Jake saßen auf ihren Betten und
starrten Löcher in die Luft. House schnaufte immer wieder total genervt vor sich hin. Locke
hockte im Schneidersitz auf dem Boden seiner Zelle und versuchte, sich zu konzentrieren.
Irgendwann begann auch Dana, nervös in der Zelle auf und ab zu gehen. Mick hatte sich auf
die Kühltruhe gelegt und dachte an seinen Freund Josef in LA und daran, dass diese Leute
hier jetzt dessen Namen und Adresse kannten. Er trommelte nervös mit den Fingern auf dem
Deckel des Freezers herum, bis Allison aufgebracht meinte: „Herrgott, kannst du das Getrommel bitte lassen, das macht mich wahnsinnig.“ Mick sah zu der jungen Ärztin hinüber.
„Tut mir leid, auch Vampire werden nervös.“ Er setzte sich auf und lächelte Allison freund304
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lich an. „Kommt schon, wir dürfen hier nicht den Kopf hängen lassen, nur, weil eure Freunde
mal einen Tag lang nicht nach euch, nach uns, sehen. Mir ist etwas aufgefallen. Ich konnte in
den Räumen sehen, was mit euch geschehen ist, und ich bin sicher, die Gegenwart Johns gespürt zu haben. Was ich nicht sehen konnte war der Grund, warum du da warst. Das habe ich
noch nie zuvor erlebt. Wer bist du? Was bist du?“
John hatte aufgeschaut und lächelte kurz. Dann erklärte er: „Ich bin nichts Besonderes,
bestenfalls habe ich noch eine besondere Gabe. Ähnlich wie du kann ich bestimmte Dinge
sehen. Und, wenn es mir auch schwer fällt, das zu sagen, ich habe es unseren lieben Gastgebern zu verdanken, dass ich diese Gabe ganz allmählich gezielt einsetzen kann.“ Mick hatte
interessiert zu gehört, ebenso wie die anderen Gefangenen, die froh waren, eine Ablenkung
geliefert zu bekommen. „Worin genau besteht denn deine Begabung?“, fragte Beth neugierig.
House grinste. Allzu lange konnte die junge Frau offensichtlich nicht schweigen. Locke trat
ans Gitter und schlang die Arme um die Gitterstäbe. Einen kurzen Moment durchfuhr ihn das
zwingende Bedürfnis, an der Zellentür zu zerren, doch so schnell, wie dieser sinnlose Gedanke in ihm hoch kam, so schnell verschwand er auch wieder. Ruhig erklärte er: „Nun, ich
erkläre es dir am besten an Hand eines Beispiels. Unsere Torwächter beliebten, mich einigen
Tests zu unterziehen, deren Auswirkungen Mick offensichtlich in den Räumen sehen konnte.
Die Versuchsanordnung war immer die Gleiche: Jemand hier wurde in akute Lebensgefahr
gebracht und meine Aufgabe war es, dessen Tod zu verhindern.“
„Wie das denn?“, hakte Beth nach. Locke seufzte. „Du hast Sawyer gesehen, richtig?
Am Galgen?“ Mick nickte. „Ja, und nicht nur das.“ Locke erklärte. „Sie hatten sich ein
System ausgedacht, bei dem ich heraus bekommen musste, welcher von zehn Schaltern die
Mechanik, die unweigerlich zum Tode des Betroffenen geführt hätte, ausschaltete. Ich hatte
unterschiedlich viel Zeit und war unterschiedlichen Ablenkungen ausgesetzt. Am Anfang, bei
Bones und Sawyer, die die ersten Probanden auf der Liste unserer Entführer waren, hatte ich
die meisten Probleme. Ich hatte so gezielt vorher noch nie versucht, meine Fähigkeiten einzusetzen.“ Bones hatte sich auf ihr Bett gesetzt und versuchte, die Erinnerung an die Piranhas zu
Ignorieren. Sawyer merkte gar nicht, dass er sich unwillkürlich an den Hals fasste, dort, wo
das Henkerseil seine Luftzufuhr unnachgiebig abgeschnürt hatte. Er konnte ein Zittern nicht
unterdrücken, als er an den Test dachte. Beth und Mick hörten entsetzt zu. „Wenn du es nicht
geschafft hättest ...“, begann Mick, wurde aber von Sawyer unterbrochen. „Wären einige von
uns nicht mehr hier.“ Beth sah zu dem jungen Mann hinüber. Er wirkte, als müsse er sich mit
Gewalt beherrschen, nicht auszuflippen. Die Erinnerung daran, fast gehängt worden zu sein,
schien ihn extrem zu belasten. In seinem Gesicht arbeitete es. Allerdings schien einiges seiner
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Unruhe auch deutlich auf die Tatsache zurückzuführen zu sein, nichts für Kate tun zu können,
die seit Beth‘ Eröffnung ziemlich geschockt wirkte.
Mick und John bemerkten ebenfalls, dass die Berichterstattung der Versuche im
Moment kein so gutes Thema war. So fragte Mick stattdessen: „Was ich nicht verstehe ist,
warum ich den Grund deiner Anwesenheit nicht sehen konnte. Es war, als wäre ein Schleier
zwischen uns. Ich konnte dich in den Räumen deutlich spüren, aber nicht erkennen, was du
dort getan hast. Kannst du ...zum Beispiel telepathische Verbindung aufnehmen?“ Locke
schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste. Was ich in seltenen Fällen hin bekomme, sind
gewisse heilungsunterstützende Kräfte. Aber leider gelingt mir das noch nicht annähernd so,
wie ich es gerne hätte.“ Obwohl er das Gefühl hatte, vorhin bei Booth etwas bewirkt zu
haben. Das behielt John aber für sich, er würde ja merken, ob es dem Agent besser ging. Er
hatte John so entsetzlich leid getan, dass dieser versucht hatte, die Heilung der Brandwunde,
die Seeley so extreme Schmerzen verursachte, zu beschleunigen. Und Booth hatte nach
einigen Minuten, in denen John sich sehr auf ihn konzentriert hatte, aufgehört, zu keuchen.
Ein schneller Blick in die Zelle des Jungen machte John klar, dass Booth entspannt auf dem
Bett lag und zu Dösen schien. Unendlich erleichtert grinste John. Es schien tatsächlich geklappt zu haben.
Mick hatte den Blick sehr wohl bemerkt und dachte sich seinen Teil. Ihm war sehr
wohl aufgefallen, dass der Agent irgendwann ruhiger und deutlich entspannter geworden war.
Mick war im zweiten Weltkrieg zum Sanitäter ausgebildet worden und kannte sich dementsprechend aus. Er hatte sich gewundert, dass Booth ruhiger wurde, eine Brandwunde hörte
normalerweise nicht einfach mir nichts, dir nichts auf, weh zu tun, aber keine Ursache dafür
feststellen können. Nun aber war es dem Vampir klar, was da geschehen war. Johns zufriedener Gesichtsausdruck sprach Bände. Anscheinend hatte es gerade geklappt mit den
Heilkräften per Telepathie. Mick sah sich erneut unauffällig im Kerker um. Er konnte die
Angst der Anderen überdeutlich spüren, merkte mit seinen übernatürlichen Sinnen, dass es bei
einigen hier nur noch ein schmaler Grat war, bis sie die Grenze zur Panik und Hysterie überschritten. Dann konnte es unangenehm werden. Er sah gezielt zu Beth hinüber und erkannte
auch in den Augen der Freundin extreme Angst. „Hey, versuche, ruhig zu bleiben, okay. Von
Panik wird es auch nicht besser. Beth, du musst versuchen, ruhig zu bleiben.“ Die Journalistin
sah ihm in die Augen. „Ja, ja, ich weiß, Mick, aber ... Die Vorstellung, hier ...“ Sie spreizte
und schloss nervös abwechselnd die Hände. „Die Vorstellung, hier verschimmeln zu müssen,
ist nicht sehr angenehm.“ „Das wird nicht passieren. Du musst fest daran glauben, hörst du?
Du musst.“ Beth schluckte. „Okay. Ich werde es mir merken, versprochen.“ Ganz dicht trat
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die junge Frau an die Gitterstäbe. Was hätte sie dafür gegeben, von Mick im Arm gehalten zu
werden. Diese Nähe zu einander, die doch so entsetzlich unüberwindlich war, als läge das
gesamte Weltall zwischen ihnen, machte die Journalistin wahnsinnig. Wie hatten die Anderen
dies nur so lange ausgehalten? Den geliebten Menschen ständig vor Augen, quasi in Reichweite, und doch Lichtjahre voneinander entfernt? Wütend schlug sie gegen das Gitter. „Ich
will hier raus.“
Irgendwann wurden die Eingesperrten müde. Nach und nach legten sie sich auf die
Betten und fielen in einen sehr unruhigen Schlaf, aus dem jeder von ihnen immer wieder hoch
schreckte. Schon alleine Hunger und Durst sorgten dafür, dass sie nicht tief und fest schliefen.
Allen knurrte inzwischen der Magen ziemlich lautstark. Wenn auch nicht immer viel, hatten
sie doch die ganze Zeit regelmäßig zu essen bekommen. Jetzt zu hungern war ein vollkommen neues, unbekanntes Gefühl, für alle. Wirklich gehungert hatte in seinem Leben noch
keiner von ihnen, abgesehen von Ziva. So war es kein Wunder, dass sie alle unruhig schliefen
und wieder und wieder hoch schreckten. Mal glaubten sie, zu hören, wie die Kerkertür sich
öffnete, mal hatten sie das Gefühl, jemand stellte ihnen etwas in die Zellen. Doch nichts der
Gleichen geschah. Niemand kam, niemand brachte etwas, niemand kümmerte sich um sie.
Sawyer ertappte sich irgendwann bei dem Gedanken, dass er sogar für eine schmerzhafte
Untersuchung dankbar gewesen wäre, solange sich nur jemand um ihn kümmern würde. Ähnliche Gedanken gingen aber auch einigen der Anderen durch die Köpfe. Bones warf sich in
ihrem Bett hin und her und versuchte, die Gedanken, dass Angela, Jack und Zack sich bald
über ihre Knochen beugen würden, um eine Todesursache zu finden, zu vertreiben. Sie döste
ein und im Traum setzte sich der Gedanke fort. „Ich bin verdurstet.“, sagte sie im Schlaf laut
und ungeduldig und weckte damit nicht nur sich selbst, sondern auch Sawyer und Ziva wieder
auf, die endlich eingeschlafen waren. „Entschuldigt, ich habe schlecht geträumt.“, erklärte sie
verlegen.
Irgendwann gaben die ersten von ihnen schließlich den fruchtlosen Versuch, doch
noch richtig einzuschlafen, auf und erhoben sich stattdessen. Obwohl immer noch weder rotes
noch grünes Licht an war, kam kein Gespräch auf. Unruhig und mit laut knurrendem Magen
sahen die Gefangenen immer und immer wieder in der nur schwach von der Notbeleuchtung
aufgehellten Dunkelheit zur Kerkertür hinüber. Nichts geschah. Die Stunden vergingen, alle
waren inzwischen aufgestanden, aber keiner kam zu ihnen in den Kerker. Schon glitten die
Blicke der Gefangenen immer häufiger zu den kleinen Wasserhähnen hinüber. House und
Allison fielen diese Blicke auf und sie mahnten besorgt: „Vergesst es, okay. Reißt euch zusammen. Wenn ihr davon trinkt, wird es erst richtig schlimm.“ Einer Eingebung folgend stand
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Locke auf und drehte seinen Wasserhahn auf. Nichts. Kein Tropfen kam aus der Leitung.
Sofort sprangen einige der Anderen auch auf und versuchten ihr Glück, mit dem gleichen
Erfolg. Das Wasser war abgestellt worden. „Verdammt noch mal, das gibt es doch gar nicht.“
Sawyer fluchte genervt los. „Wenn die uns umbringen wollen, sollen sie es schnell machen,
verdammt.“ Der junge Mann sank mutlos auf sein Bett und fuhr sich mit den Händen durchs
Haar.
Booth, der sich seit einer ganzen Weile erheblich besser fühlte, hätte am liebsten
gegen die Wand getreten. Mühsam beherrscht fragte er dann aber lieber House: „Sag mal, wie
sieht es aus, muss der Verband mal ... was weiß ich, ab, wechseln dürfte irgendwie schwierig
werden ...“ House trat ans Gitter. „Wie sieht es mit den Schmerzen aus?“ Booth zuckte die
Schultern. „Die sind seit ... gestern Nachmittag plötzlich fast weg.“ House überlegte, dann
erklärte er: „Okay, dann lös mal vorsichtig das Pflaster ... Noch besser, lass es Heather
machen, ich glaube, sie könnte feinmotorisch besser sein als du.“ Heather wurde feuerrot,
denn um an den Verband zu kommen, musste Booth den Kittel zur Seite nehmen, was
wiederum bedeutete, dass er mehr oder weniger nackt vor Heather stehen würde. Dann sollte
sie auch noch an seinen Körper greifen. Ein schwerer Test für die schüchterne, junge Frau.
Jake warf House einen dankbaren Blick zu, durchschaute er doch, warum House die junge
Frau dazu aufgefordert hatte: Um sie abzulenken. Total verlegen trat die Lehrerin ans Gitter.
Booth musste sich auf die Zunge beißen, um ein Grinsen zu unterdrücken. Gleichgültig hielt
er den Kittel zur Seite. Heather wurde, falls das möglich war, noch roter und wand sich vor
Verlegenheit, als sie durch die Gitterstäbe nach dem Pflaster griff. Mit zitternden Fingern versuchte sie, möglichst ohne mit Booth‘ nackter Haut in Berührung zu kommen, das Pflaster zu
lösen.
Dass sie dabei nach unten gucken musste, genau dorthin, wo sie eigentlich für nichts
in der Welt hin gucken wollte, machte das Ganze für sie noch schwieriger. Selbst Jake konnte
ein Grinsen nicht ganz unterdrücken, als er Heathers verzweifelte Bemühungen beobachtete.
Hätte sie eine Zange zur Hand gehabt, sie hätte blind mit der Zange an Booth herum gestochert, um die Pflaster, die den Verband quer über seinem Bauch hielten, zu entfernen.
Endlich hatte sie mit hochrotem Kopf eine Stelle gelockert bekommen und löste, trotz ihrer
Verlegenheit sehr vorsichtig, alle Pflasterstreifen ab. Dann versuchte sie sanft, den Verband
abzuheben. Er war an einigen Stellen etwas angeklebt und Heather bemühte sich, ohne Booth
weh zu tun, die Wundauflage dort ebenfalls zu lösen. Dabei verging Booth das Grinsen dann
doch und er zischte ab und zu auf vor Schmerzen. Aber schließlich war auch das geschafft,
und Heather hielt die gesamte Wundauflage in den zitternden Händen. Hektisch fuhr sie
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herum, um endlich den Blick von Booth wegzunehmen. Gnadenlos jedoch erklärte House:
„Das hast du gut gemacht. Nun musst du dir bitte die Brandwunde genau anschauen und mir
sagen, wie es aussieht, Mädchen. Booth kann das von oben an sich herunter nicht objektiv
beurteilen.“
Allison warf House einen vernichtenden Blick zu, als sie sah, wie die junge Frau
gegenüber heftig zusammen zuckte. Booth und Mulder konnte hören, wie sie leise: „Oh, man,
das glaub ich nicht.“, vor sich hin murmelte. Als ob sie zu ihrer Hinrichtung müsste, drehte
sie sich herum, trat erneut ans Gitter und versuchte, ihre Augen ausschließlich auf die Brandwunde zu konzentrieren. Noch einmal kam ein sehr leises: „Oh, man ...“, über ihre Lippen,
dann riss sie sich zusammen und untersuchte die Wunde so gut es ihr im Halbdunkeln möglich war. Mit zitternder Stimme gab sie weiter, was sie sah. „An den Stellen, wo die Schnittwunden sind, ist es noch ein wenig geschwollen und an drei Stellen ...“, sie drückte sehr vorsichtig mit dem Zeigefinger dagegen: „... wässert es ein wenig. Aber die Brandwunde selbst
sieht gut aus, soweit ich das beurteilen kann. Die Blasen sind ... so gut wie abgeheilt, es ist
nicht mehr rot und auch die Schnittwunden verheilen sehr gut.“ Am Ende ihrer Kraft fuhr sie
endgültig herum und sank stöhnend auf ihr Bett. Booth musste sich ebenfalls schnell herum
drehen, sonst hätte er das Grinsen nicht mehr vor Heather verbergen können. House nickte
ernsthaft. „Das hast du sehr gut gemacht. Wenn du mal einen Job suchst, kannst du dich
jederzeit bei uns melden.“
Nachdem diese kleine Einlage alle ein wenig abgelenkt hatte, setzte langsam wieder
die inzwischen fast greifbare Angst ein. Mick und Beth hatten vollkommen verblüfft beobachtet, wie Heather sich vor Verlegenheit wand. Die Anderen schienen dieses Verhalten
durchaus schon zu kennen, denn außer unterdrücktem Grinsen ging keiner darauf ein. Beth
jedoch hatte die ganze Zeit eine höhnische Bemerkung auf der Zunge, die sie allerdings tunlichst herunter schluckte. Scheinbar war die junge Frau extrem prüde. Beth hatte die Ablenkung ebenso erfreut zur Kenntnis genommen wie die Anderen. Jetzt jedoch kehrten die
Gedanken erschreckend schnell zu ihrer hoffnungslosen Lage zurück. Beth hatte langsam das
Gefühl, die Kerkerwände würden sie erdrücken. Der jungen Frau war leicht schwindelig.
Seufzend ließ sie sich auf das Bett sinken und atmete tief ein, um den Schwindel zu vertreiben. Sie hatte Angst. Ähnlich hilflos hatte sie sich sicher als Kind gefühlt, als Micks ExFrau, Coraline Duvall, sie entführt hatte, um sie in ein Vampir-Kind zu verwandeln. Vampire
konnten keine Kinder zeugen, noch bekommen, und so hatte Coraline sich, um Mick, der mit
seiner Verwandlung überhaupt nicht glücklich gewesen war, zu besänftigen, überlegt, ein
Kind zu entführen und es zum Vampir zu machen, um auf diese Weise eine richtige Familie
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zu werden. Damals hatte, das wusste Beth inzwischen, Mick sie gerettet und angenommen,
seine Ex-Frau bei der Befreiungsaktion getötet zu haben. Das hatte sich später als fataler Irrtum heraus gestellt. Hier und jetzt würde er sie nicht retten können.
Kate hatte die kleine Szene mit Heather schmunzelnd beobachtet. Jetzt stand sie an der
Käfigtür und sah zu Sawyer hinüber. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr augenblicklich
Tränen in die Augen schossen. - Gott, ich möchte zu dir, ich will, dass du mich fest hältst,
wenn schon, will ich in deinen Armen verdursten. - dachte die junge Frau und wischte sich
ärgerlich über das Gesicht. Sawyer hatte ihren Blick bemerkt und versuchte ein aufmunterndes Lächeln, das aber eher zur Grimasse geriet. Er stand auf und wollte ebenfalls ans
Gitter treten, aber so weit kam er nicht, denn ihm wurde augenblicklich schwindelig. Mit
einem mehr erstaunten als erschrockenen Grunzen sank er auf das Bett zurück. Verwirrt
schüttelte er den Kopf. Kate hatte genau gesehen, was los war und fragte erschrocken: „Baby,
was ist mit dir? Geht es dir nicht gut?“ Sawyer hatte sich bereits wieder gefangen und stand
erneut auf, diesmal langsamer. „Keine Bange, Freckles, war nichts, mir war nur kurz etwas
schwindlig, hab wieder zu viel gesoffen gestern in der Kneipe.“, versuchte er zu Scherzen.
House und Allison hatten sehr wohl mit bekommen, was los war, ebenso Dana. Das waren
erste Anzeichen von Dehydrierung. Bald würden sie alle die ersten Symptome aufweisen.
Beschleunigter Herzschlag, hohe Atemfrequenz, Schwindelgefühl. House schlug verzweifelt
mit der Faust aufs Bett. Er wusste, was kommen würde und hatte doch keine Chance, es zu
verhindern.
In den kommenden Stunden herrschte bedrückende Stille im Kerker. Die Gefangenen
waren ohne Ausnahme verzweifelt, hoffnungslos, hatten Todesangst, hier jämmerlich zu verdursten. Die Paare wünschten sich nichts sehnlicher, als zusammen zu sein. Den Partner nicht
in den Arm nehmen zu können in den möglicherweise letzten Stunden, die ihnen noch
blieben, war eine einzige Qual. „Warum machen die das ...“ Allisons Stimme klang ganz
klein und leise. „Warum lassen die uns hier so sterben ... Ich verstehe das einfach nicht.“ Sie
spürte die Folgen der Dehydrierung ganz deutlich in ihrem Körper, wusste, dass alle anderen,
mit Ausnahme von Mick, sich genau so fühlten wie sie und genau die gleiche Angst
empfanden. Wenn sie wenigstens hätten zusammen sein dürfen. Aber so ... Allison brannten
die Augen, aber Tränen kamen nicht mehr, zu ausgetrocknet war sie inzwischen. „Warum
haben die uns all das überhaupt angetan?“, fragte Jake leise. Er erinnerte sich an die ersten
Tage, als man ihm und Mulder das Wasser verweigert hatte. Heute würde keine Abby mit
einer Flasche kommen und ihn vor dem Verdursten bewahren. Das war alles so schrecklich
sinnlos. Sie wurden über Monate gequält, gepflegt, getestet, aufgebaut, um hier einfach zum
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Krepieren zurück gelassen zu werden? Warum? Dass er kein Heiliger war und dies alles
vielleicht eine gerechte Strafe war, okay. Aber Heather oder Allison? Er stöhnte verzweifelt
auf.
Dana lag auf dem Bett und zählte im Geiste ihren Pulsschlag. Sie beobachtete die
typischen Anzeichen des Austrocknens an sich und lachte leise und verzweifelt auf. Da hatte
sie gedacht, sie würde in Ausübung ihres Dienstes irgendwann erschossen werden, doch noch
an dem Krebs sterben, oder an irgendeiner merkwürdigen Krankheit, mit der sie durch ihre
Arbeit in Berührung kam, und was war? Sie saß in einer drei Mal drei Meter Zelle und verdurstete. Noch dazu Lichtjahre von Mulder entfernt, der keine vier Meter von ihr in einer
Zelle der gleichen Größe hockte. Vier Meter und doch ein Maß dazwischen, wie es größer
nicht sein konnte. Dana wusste, wenn es hier wirklich so zu Ende gehen sollte, würde sie sich
an das Gitter hocken, um Mulder wenigstens noch sehen zu können. Der hübschen Frau liefen
Tränen über die Wangen. Und dann hätte sie um Haaresbreite aufgeschrien vor Schreck, als
es urplötzlich vollkommen dunkel im Kerker wurde. Das ohnehin schwache Notlicht war
flackernd ebenfalls erloschen. Erschrocken fuhr sie hoch. In einigen der Nachbarzellen waren
leise Schreckenslaute zu hören. Und dann klang Allisons Stimme durch die plötzlich
herrschende, absolute Finsternis. „Oh, Gott, was ist jetzt los? Was ist passiert?“ Irgendwo
gegenüber wimmerte eine Frau leise, ob es Heather oder Abby war, konnte Dana nicht ausmachen. Ein paar Zellen weiter klang Kates Stimme, als wäre sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch. „Das ist jetzt nicht wahr. Ich ... ich halte das nicht aus ...“
Sawyers Stimme antwortete ihr, panisch, verzweifelt, scheinbar den Tränen nahe:
„Baby, bitte, du musst dich beruhigen. Versuch doch, ruhig zu bleiben. Gibbs, House, tut
doch was.“ „Was denn zum Beispiel?“, schnauzte House‘ Stimme verzweifelt durch die
Dunkelheit. „Kate, komm her, komm ans Gitter, na los, komm schon. Ja, so ist es gut. Setz
dich hin, ja, komm ganz dicht ...“ Gibbs war ebenfalls zusammen gezuckt, reagierte aber auf
die hysterisch klingende junge Frau. Er trat ans Gitter, spürte durch die Gitterstäbe den
zitternden Körper und drückte Kate, so gut es eben ging, an sich. Er strich sanft mit der Hand
über ihren zuckenden Rücken und nach einer Weile spürte er, dass sie sich langsam beruhigte.
Beth fragte jetzt ebenfalls vollkommen verängstigt „Mick ... Bitte ... warum machen die das?“
Mick hatte ein anderes Sehvermögen als Menschen, daher war die Dunkelheit für ihn nicht so
schlimm, er konnte genug erkennen, um zu sehen, dass Heather und Abby verzweifelt an den
Gittertüren zu Boden gesackt waren und sich panisch an die Gitter klammerten, konnte in
allen Zellen die Gefangenen erkennen. Ruhig, um Beth nicht noch mehr zu verängstigen, erklärte er: „Es tut mir so leid, Süße, ich denke, das werden diese Schweine machen, um euch
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das letzte bisschen Trost, nämlich euch sehen zu können, zu nehmen. Sie wollen euch das
Gefühl vermitteln, vollkommen alleine zu sein ...“ Mulder war überrascht, wie gezielt Mick
den psychologischen Aspekt der Aktion beschrieb. Er hätte sich gerne ausführlich mit dem
Vampir unterhalten, war nur überzeugt, dazu keine Gelegenheit mehr zu bekommen.
„Verdammt noch mal, die Akkus der Notbeleuchtung sind leer, jetzt
hocken die da in kompletter Dunkelheit.“
„Hoffentlich verursacht das keine bleibenden Schäden.“
„Wenn wir das verdammte System nicht bald wieder unter Kontrolle
haben, ist es ohnehin egal, denn dann sind die alle verdurstet.“
„Dann werden hier Köpfe rollen, das kannst du wohl annehmen.“
„Es ist nicht zu fassen, dass nicht einmal Tanja schneller vorankommt.
Großer Gott, lange halten die in ihrem geschwächten Zustand nicht mehr
durch, dann haben wir da unten fünfzehn Leichen.“
„Sechzehn, du vergisst St.John.“
„Und wir haben gerade erst über die oberirdische Stromversorgung die
Kontrolle zurück. Bis wir die Programme für die unteren Stockwerke wieder
erlangen ....“
Die kommenden Stunden wurden für alle Beteiligten zur Hölle. Die vollkommene
Dunkelheit erinnerte Gibbs, Booth und Allison an die camera silens. Aber hier konnten sie
sich wenigstens unterhalten. Wobei eigentlich keine Unterhaltung aufkommen wollte. Ab und
zu war aus den Zellen einiger Frauen leises Weinen zu hören, dass aber immer weniger
wurde. Über dem Kerker lastete eine apathische Stille. Den Ärzten war klar, dass es nicht
mehr sehr lange dauern würde, bis die ersten Gefangenen die Besinnung verlieren würden und
wenn das der Fall war, war es bis zum Exitus nur noch ein kleiner Schritt. Irgendwann kam
aus der Stille heraus die Stimme Sawyers. „Hey ... Doc, wie lange haben wir noch?“ House
wusste, dass er gemeint war. Er schüttelte unglücklich den Kopf. Was sollte er sagen? „Man,
noch reichlich ... So schnell verdurstet man nicht.“, sagte er überzeugt. Jedenfalls hoffte Greg,
dass seine Stimme überzeugt klang. Tat sie offensichtlich nicht, denn erneut ertönte Sawyers
Stimme. „Guter Versuch, House, aber jetzt bitte noch mal ... und zwar ehrlich. Ich glaub, das
haben wir uns verdient.“ Zustimmendes Gemurmel aus einigen Zellen bewies House, dass die
Gefährten die Wahrheit wissen wollten. Er ließ den Kopf hängen und seufzte. „Wenn euch
schwindelig ist, Herz und Atemfrequenz deutlich erhöht, und wenn ihr langsam wirr im Kopf
werdet ... Bei einem Wasserverlust von fünfzehn bis zwanzig Prozent des Körpergewichtes
tritt der Tod durch Verdursten ein. Es wird bei den ersten von uns nicht mehr sehr lange
312
Die Anderen
by Frauke Feind
dauern, bis ... Ihr werdet nichts mehr merken, okay, ihr fallt einfach in ein Koma und werdet
nicht wieder aufwachen. Es sei denn, uns geht noch vorher die Luft aus.“ „Wie kommst du
darauf?“ Jake stieß die Frage hervor. „House hat Recht. Der Kerker ist hermetisch abgeriegelt. Scheinbar haben sie die komplette Stromversorgung hierher abgestellt. Sonst ist das
leise Summen der Klimaanlage zu hören gewesen, das Geräusch nehme ich schon von Anfang
an nicht mehr wahr.“, erklärte Mick. „Und das würde vielleicht auch die Tatsache erklären,
dass die Notbeleuchtung erloschen ist: Die wird höchstwahrscheinlich über einen Akku gespeist und wenn der leer ist ...“ Plötzlich überlegte Locke laut: „Ob es sein kann, dass das
alles hier mit dem Erdbeben zusammen hängt? Wer weiß, vielleicht hat es oben große
Schäden verursacht. Vielleicht ist das Gebäude ...“ Er verstummte, aber auch so wussten alle,
was er hatte ausdrücken wollen.
Schweigen herrschte nach diesen Worten. Dann kam Zivas Stimme aus der Dunkelheit, ruhig und gefasst. „John hat Recht. Vielleicht ist das hier gerade nicht einmal geplant.
Wäre ja nicht der erste Fehler, der hier geschieht. Hör mal, Gibbs, falls das hier wirklich
nichts mehr wird, ich möchte, dass du weißt, wie unglaublich wichtig mir dein Vertrauen gewesen ist, okay? Du hast keinen Grund gehabt, mir dein Leben anzuvertrauen angesichts der
Tatsache, dass Ari mein Halbbruder war und hast es dennoch ohne zu Zögern getan. Alles,
was ich bei dir gelernt habe, war mir wichtig und ich hätte keinen besseren Lehrer finden
können als dich. Ich will, dass du das weißt.“ Gibbs hatte den Worten seiner Agentin gelauscht. Jetzt sagte er ebenso ruhig: „Ziva, noch sind wir nicht tot. Du bist eine ausgezeichnete Agentin und es ist mir ein Vergnügen und eine Ehre, dich in meinem Team zu
haben. Ich hatte nie den geringsten Zweifel daran, dass ich dir absolutes Vertrauen entgegen
bringen kann.“ Der Ex-Marine spürte Kate in seinen Armen schluchzen. „Hey, hab keine
Angst, Kate, noch leben wir und wo Leben ist, ist auch Hoffnung, okay. Wir werden es
irgendwie schaffen.“ Ganz dünn und leise kam Kates Stimme. „Okay.“ Noch einmal erhob
Gibbs die Stimme. „Wir müssen durch halten, versteht ihr. Ich weiß nicht, was das alles soll,
ich bin nur sicher, dass die uns nicht absichtlich hier verdursten lassen. Ich will überleben, ihr,
wir alle wollen das. Wir werden überleben, um diese Dreckskerle zur Rechenschaft zu ziehen.
Wir werden überleben. Abby, komm, sag es.“ Und schwach, aber überzeugt, kam es aus
Abbys Zelle: „Wir werden überleben, Gibbs. Und jetzt sollten wir möglichst wenig sprechen,
wenn Mick Recht hat, und keine Luft mehr zugeführt wird, verbraucht Reden zu viel Sauerstoff.“
Mick wusste, dass er nicht wesentlich länger als die Menschen überleben würde. Er
würde zwar nicht ersticken, aber ein Vampir konnte durchaus verhungern oder besser, ver313
Die Anderen
by Frauke Feind
dursten. Hätte er nicht die Kühltruhe gehabt, wäre er sogar der erste hier gewesen, der sterben
würde. Allerdings merkte er sehr wohl, dass die Truhe auch nur noch auf Reserve lief, aus
irgendeinem Grunde schien wirklich die gesamte Stromversorgung zum Kerker ausgeschaltet
zu sein. Er hatte sich noch nie zuvor so unzulänglich gefühlt. Da hatte er schon übermenschliche Kräfte und doch konnte er nichts tun, um die Frau zu retten, die er so sehr liebte.
Wütend schlug Mick mit den Fäusten gegen die Truhe. Die anderen Gefangenen zuckten zusammen, reagierten aber nicht weiter. Er wollte etwas sagen, irgendetwas, dass Beth helfen
würde, aber ihm fiel nichts ein. Zäh tropften die Minuten dahin. Lange herrschte Schweigen.
Alle spürten neben dem Hunger und dem entsetzlichen Durst langsam, aber sicher, dass die
Atemluft tatsächlich weniger wurde, es fiel allen schwer, tief und ruhig durchzuatmen.
Plötzlich klang Mulders Stimme durch die Dunkelheit. „William wird nie erfahren, was aus
seinen Eltern geworden ist ... Hoffentlich hat er nicht so viel von mir geerbt.“ Mulders
Stimme klang gepresst und es war deutlich zu hören, dass ihn das Luftholen anstrengte. Mick
sah Dana in der Zelle neben ihm an der Zellentür langsam zu Boden gleiten. „Warum nicht?
Etwas Besseres könnte ihm gar nicht passieren ...“, sagte sie müde. Mulder im Zellenteil
gegenüber wankte ebenfalls an die Zellentür, die Hände tastend vor gestreckt. Langsam ließ er
sich ebenfalls zu Boden gleiten und starrte in die Richtung, in der Scullys Zelle lag. Keuchend
atmete er ein, dann. „Ich liebe dich ...“, sagte er schwerfällig, dann sackte er langsam in sich
zusammen. „Mulder? ... Mulder. Mein Gott, Mulder ... nein, bitte!“ Dana schluchzte heftig
auf. „Bitte, Mulder ... Ich liebe dich auch.“
Lange herrschte nun wieder Stille. Nur das immer schwerer werdende Atmen der Gefangenen war zu hören. Mick konnte sehen, dass inzwischen auch Sawyer, Allison, Bones,
Abby und Booth in ihren Zellen sich nicht mehr rührten. Er wünschte nur noch, dass es für
Beth schnell vorbei sein möge. Und dann glaubte er und alle, die noch genug mit bekamen, zu
Träumen. Licht ging an, Zellentüren wurden geöffnet, reglose Körper auf Betten gehoben und
mit Sauerstoff und Wasser versorgt. Jake stammelte heiser: „Danke ... oh, Gott ... Danke.“,
und trank in kleinen Schlucken das Wasser, dass man ihm an die trocknen Lippen hielt, nachdem er Minutenlang über eine Atemmaske, die an einer Sauerstoffflasche an gestöpselt war,
mit Atemluft versorgt worden war. Kopfschüttelnd starrte Mick auf das Bild, das sich ihm
bot. Dann ging auch seine Zelle auf und er bekam den Befehl: „Los, du hilfst drüben mit.“
Man drückte ihm ein Glas Blut und eine Sauerstoffflasche, sowie eine Medikamententasche
in die Hand und ein Blick hinein zeigte Mick, dass alles in der Tasche war, was er für
Volumenzufuhr benötigte. Hastig kippte er das Blut in sich hinein, dann eilte er in Booth’
Zelle. Der hatte es auf Grund seiner Brandverletzung am Nötigsten, schnell mit Flüssigkeit
versorgt zu werden. Er drückte Booth, der kaum noch atmete, erst die Maske auf Mund und
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Die Anderen
by Frauke Feind
Nase. Deutlich waren bei dem jungen Agent Spuren einer beginnenden Zyanose zu sehen:
Lippen und Fingernägel verfärbten sich bläulich, er litt an akutem Sauerstoffmangel. Mick
desinfizierte Booth’ linken Handrücken, setzte eine Venenverweilkanüle und hängte mit Hilfe
eines Hakens einen Beutel Ringerlösung an das Gitter. Er packte einen Schlauch aus, stieß das
eine Ende in den Beutel, verband dann den Schlauch mit der Kanüle und stellte die Durchflussgeschwindigkeit ein. Er wartete ein paar Minuten, bis bei Booth die Zyanose langsam
abklang, dann eilte er zu Bones in die Zelle und versorgte die Anthropologin. Der nächste
Patient war Sawyer und schließlich erreichte er Mulder. Dann wartete er ab.
Einer der Wachen, der sich um die noch nicht gänzlich besinnungslosen Gefangenen
kümmerte, drückte ihm Wasserflaschen in die Hand und erklärte: „Mach dich nützlich,
kümmere dich um irgendjemanden, aber wage es nicht, dich der Zelle deiner kleinen Freundin
zu nähern.“ Mick nickte knapp. Er sah sich um und bemerkte, dass in der Zelle der jungen
Israelin noch niemand war. So betrat er diese, kniete neben dem Bett nieder und hob Zivas
Kopf sanft an. „Ziva, hörst du mich? Ich habe Wasser für dich, okay. Langsam trinken, ich
helfe dir. Kannst du atmen?“ Ziva nickte und öffnete mühsam die Augen. Dann spürte sie das
kühle Wasser an den Lippen und trank. In der Zelle von Kate beugte sich einer der Wachmänner über diese und flößte ihr langsam Wasser ein, nachdem er sie minutenlang mit Sauerstoff versorgt hatte. Die junge Frau nahm ein paar Schluck, dann dreht sie den Kopf zur Seite
und stieß verzweifelt hervor: „Sawyer ... Was ist ... mit ihm ... Bitte ...“ Mick mit seinem
übersinnlichen Gehör hatte die Frage mit bekommen und sagte beruhigend: „Kate, mach dir
keine Sorgen, er wird sich schnell erholen, ich habe ihn versorgt, es geht ihm den Umständen
entsprechend gut. Alle werden es schaffen.“
*****
Balanceakt
Es ist keine Schande, nichts zu wissen, wohl aber, nichts lernen zu wollen.
Sokrates
Nach dieser von den Entführern gänzlich ungewollten Tortur ließ man die nun wieder
vollkommen verunsicherten Gefangenen eine Weile ganz in Frieden, versorgte sie ausgiebig
mit Nahrung und Flüssigkeit, sie bekamen ausreichend Gelegenheit, sich zu fangen und zu
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Die Anderen
by Frauke Feind
erholen. Sie kamen nach dem Schrecken, verlassen worden zu sein, wieder auf die Füße und
irgendwann nahm man den Unterricht wieder auf. Mick hatte ein sehr umfangreiches Wissen,
das fiel immer wieder auf. Beth wurde konsequent von jedem Unterricht ausgeschlossen, was
die junge Frau wahnsinnig machte. Sie langweilte sich in ihrer Zelle zu Tode. Die Leidensgenossen, einschließlich Micks, wurden früh abgeholt und spät zurück gebracht, meist ziemlich
erschöpft, sie hatten dann keinerlei Lust, sich noch zu unterhalten, zumal meist auch das rote
Licht brannte. So litt Beth unter der Einsamkeit und Stille, die mehr oder weniger fast ständig
um sie herum herrschte. Sie hatte Zeit genug, sich die schlimmsten Dinge auszumalen. Ihr
wurde mehr als klar gemacht, dass sie nichts weiter als ein Druckmittel war und das belastete
die Journalistin unglaublich. Sie hatte sich noch nie so klein, unwichtig und hilflos gefühlt.
Und sie hatte sich nie zuvor jemals so gelangweilt.
Das änderte sich dann allerdings schlagartig, als man sie alle am sechsten Tage nach
dem Beinahe verdursten aus ihren Zellen holte. Das man sie erneut fast umgebracht hätte,
wenn auch ungewollt, hinderte die Entführer nämlich keineswegs daran, sich für ihre Gefangenen einen weiteren, sehr umfangreichen, allerdings körperlich nicht anstrengenden Test
einfallen zu lassen. Man holte sie alle zusammen aus den Zellen. Immer schön den Nummern
nach, mit gefesselten Händen, wurden sie aus dem Zellentrakt geführt. Man brachte sie in die
Schwimmhalle, in der House und Cameron vor einer kleinen Ewigkeit ihre Belohnung nach
der Aufgabe mit den Türen erhalten hatten. Nach dem Betreten der großen Halle erkannten die
Gefangenen gegenüber, auf der anderen Seite des Schwimmbeckens, drei größere, gläserne
Kabinen, und eine weitere, ziemlich kleine Kabine, an der linken Querseite des Beckens hinter
den Startblöcken. Das Schwimmbecken selbst war in einer Höhe von zirka zwei Metern mit
Doppelreihen Holzplattformen, jede vielleicht einen Meter Mal zwei Meter im Quadrat
messend, auf einer Stahlkonstruktion befestigt, abgedeckt. Drei Startblöcke, zu denen je eine
Doppelreihe dieser Platten gehörte, waren zu erkennen. Wie alle mit einem schnellen Blick
feststellen konnten, waren es drei Doppelreihen mit jeweils zwanzig Platten, die jeweils links
mit A und rechts mit B beschriftet waren. Die Startblöcke trugen die Nummern 9 - 11. Heather,
Allison und Beth nahmen zu Recht an, dass sie sich zu den Startblöcken mit ihren jeweiligen
Nummern zu begeben hatten. Sie traten an die Startblöcke heran und warteten, dass man ihnen
die Handfesseln löste. Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen schallte über einen Lautsprecher nun eine Stimme in die Halle und begann, zu erklären, was hier in wenigen Minuten
passieren würde.
„Es geht euch wieder gut, daher haben wir beschlossen, eure Langeweile mit einem
fröhlichen kleinen Spiel zu unterbrechen. Ihr habt in der letzten Zeit sehr viel gelernt. Dieses
neu erworbene Wissen möchten wir heute gerne Testen. Zu diesem Zweck haben unsere
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Die Anderen
by Frauke Feind
schlauen Köpfe sich etwas Besonderes einfallen lassen, um euch zu motivieren, zwanzig
Fragen zu beantworten. Es wird folgendermaßen ablaufen: Nummer 9, 10 und 11 haben sich
schon an ihren Startplatz begeben. Wir werden ihnen mittels einer Kette die Beinfreiheit ein
wenig einschränken, sodass sie nur kleine Schritte machen können. Ihre Aufgabe besteht darin,
das Becken auf den Holzplattformen zu überqueren. Nun werdet ihr euch fragen, worin die
Schwierigkeit liegt. Dazu komme ich jetzt. Nur eine der beiden nebeneinander liegenden
Platten ist fest. Treten die Damen auf die falsche Platte, werden sie ins Becken fallen. Da wir
nicht beabsichtigen, ihnen die Handfesseln zu lösen, kann das schnell sehr unangenehm
werden. Hat einer von euch schon einmal versucht, mit auf den Rücken gefesselten Händen zu
schwimmen? Nicht? Nun, ich bin sicher, Nummer 13 wird es euch gerne demonstrieren.“
Bevor Mick sich versah, bekam er einen Stoß und stürzte ins Becken. Er konnte nicht ertrinken, aber er schaffte es auch nicht, sich an der Oberfläche zu halten. Unnachgiebig sank er
dem Grund zu. Heather, Allison und Beth sahen erschrocken zu, wie er mit Hilfe einer
Rettungsstange aus dem Wasser gezogen werden musste und hatten plötzlich Angst.
Die Stimme aus dem Lautsprecher fuhr fort: „Nun, ihr habt gesehen, was passieren
wird, wenn eine der Ladys ins Becken stürzt. Das zu verhindern ist eure Aufgabe. Unser nasser
Freund hier begibt sich bitte in die Kabine links. Die Anderen verteilen sich wie folgt auf die
anderen Kabinen: 1, 4, 8, 14, ganz rechts außen. 3, 6, 7, sechzehn, in die mittlere Kabine. 2, 5,
12, 15 in die links außen.“ Die Gefangenen marschierten wortlos zu den angewiesenen
Kabinen hinüber. Vor den Türen der Kabinen warteten jeweils Wachen und lösten nun ihre
Handfesseln. Dann durften sie die Kabinen betreten, deren Türen sich hinter ihnen fest
schlossen. Je ein Schreibtisch mit drei Stühlen davor, ein Laptop auf jedem Schreibtisch, an der
jeweils linken Wand zwei Stahlhaken, die fest in dem mehrere Zentimeter dicken Glas verankert waren. Je ein Headset lag auf dem Schreibtisch, außerdem je eine schwere Peitsche.
Was sollte das alles werden? Die Lautsprecherstimme war auch innerhalb der Kabinen zu
hören. Mick hatte seine Kabine ebenfalls betreten. Auch hier stand ein Schreibtisch mit Laptop
und Headset. Mick setzte sich auf den Stuhl und wartete, was nun kommen sollte. Die Stimme
fuhr fort: „Ihr werdet in dem Laptop zwanzig Fragen zum Fachgebiet Allgemeinbildung,
Klassische Musik, Literatur und Kunst finden. Beantwortet ihr die Fragen richtig, erhaltet ihr
für jede Antwort den Buchstaben der festen Plattform. Diese sind allerdings bei jeder der
Damen unterschiedlich, so leicht wollen wir es uns ja nicht machen, nicht wahr. Bei falscher
Antwort gibt es einen Signalton und die Lady auf dem Steg kann raten, oder ihr benutzt
Nummer 13 als Joker. Das hat allerdings Konsequenzen. Solltet ihr den Joker einsetzen, wird
es sehr unangenehm für Nummer 1, 3 und 15, die sich jetzt die Kittel ausziehen, mit dem Gesicht zur Wand aufstellen und sich von Nummer 4, sechzehn und 2 an die Haken fesseln lassen
werden. Jetzt.“
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Die Anderen
by Frauke Feind
Sawyer, Booth und Mulder gehorchten eilig, eine andere Wahl hatten sie ohnehin nicht.
Sie ließen sich mit einem unbehaglichen Gefühl im Bauch an die Wand fesseln und konnten so
bis auf Mulder, der nun die Hallenwand anstarrte, jeweils in die rechte Nachbarkabine schauen.
Und schon ging die Erklärung weiter. „1, 3 und 15, ihr dürft nicht nur, ihr müsst sogar mit
Antworten. Der Clou ist, wenn ihr Nummer 13, der alle Antworten vor sich im Laptop hat,
allerdings erst sichtbar gemacht wenn nötig, um Hilfe bitten müsst, was durch die Tastenkombination Alt und F5 funktioniert, dann wird er euch die richtige Antwort sagen, aber dafür
erhalten 1, 3 und 15 für jede benötigte Antwort zehn Schläge mit der Peitsche von 4, sechzehn
und 2. Leider konnten wir nicht für jeden der Herren seine Herzensdame auf die Plattform
schicken. Nummer 2 und 4, wenn wir das Gefühl haben, ihr schlagt nicht richtig zu, werden
eure Ladys auf der Stelle versenkt, ohne Chance, sie raus zu ziehen. Nummer sechzehn, für
dich gilt das Gleiche, auch wenn Nummer 11 nicht deine Herzensdame ist. Sollte eine der
Ladys baden gehen, weil ihr falsch geantwortet habt, und nicht fragen wolltet, so darf Nummer
13 die betreffende Lady aus dem Wasser ziehen, wenn er die Antwort auf die betreffende
Frage ohne nachzugucken weiß. Muss er Nachsehen, erhalten 1, 3 oder 15 dafür zur Strafe
zwanzig Peitschenhiebe, und 13 darf die betreffende Lady dann aus dem Wasser ziehen. Ihr
habt Zeit genug. Die Gruppe der Lady, die zuerst das andere Ufer erreicht, wird eine Belohnung erhalten. Noch etwas: Die Antworten müssen nicht zwangsläufig in der richtigen
Reihenfolge kommen, wir werden euch für jede richtige Antwort trotzdem in der richtigen
Reihenfolge die jeweiligen Buchstaben geben, großzügig, wie wir nun mal sind. Und nun:
Mögen die Spiele beginnen.“
Die Gefangenen hatten besorgt zugehört. Sawyer und Mulder, die ja schon einmal mit
dieser Peitsche Bekanntschaft gemacht hatten, starrten verbissen gerade aus. Abby, Dana und
Ziva übernahmen den Platz an den Laptops. Sie klappten diese auf und als erstes sprangen
ihnen die Nummern der Leidensgenossin entgegen, für die sie die Fragen beantworten
mussten. Sie drückten die Return Taste und es ging los. Auf dem Monitor der Laptops erschienen die Fragen.
Part 1) Allgemeinwissen
Part 2) Klassische Musik
Part 3) Literatur
Part 4) Kunst
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Die Anderen
by Frauke Feind
1) Wann wurde das Erste Jugoslawien in das Königreich Jugoslawien umbenannt und
welche Staaten gehörten dazu?
2) Wer war 23.te Präsident der USA, wann lebte er, wann trat er in die Armee ein und
von wann bis wann war er Präsident?
3) Wann wurde die Unternehmensgruppe Boeing von wem gegründet und wie lautete ihr
Gründungsname?
4) Von wann bis wann dauerte der zweite Seminolen-Krieg, wer war der führende
Häuptling und welcher Abstammung war dieser?
5) Von wann bis wann dauerten die Arbeiten am Panamakanal, wie lang ist er, wie viele
Schiffe haben ihn zirka seit der Eröffnung passiert?
6) Wer schrieb Turandot, wann wurde es uraufgeführt und wo?
7) Wann und wo wurde Anton Bruckner geboren und wann schrieb er seine Sinfonie ADur?
8) Wann bis wann lebte Enrico Caruso und mit welcher Oper von wem gelang ihm wo
und mit welcher Rolle der endgültige Durchbruch?
9) Wann wurde die Semperoper gebaut, gefragt sind alle Daten und was geschah jeweils
mit dem Bauwerk? Mit welchem Stück wurde sie zuletzt wiedereröffnet?
10) Worauf beruht Madam Butterfly und wann und wo erfolgte die Uraufführung der
dreiaktigen Neufassung?
11) Wer erhielt wann den ersten Nobelpreis für Literatur, aus welchem Land kam der
Preisträger und wofür erhielt er den Preis?
12) Wer schrieb „Arms and the man“ und wann?
13) Womit wurde Joseph Rudyard Kipling berühmt, wann wurde er wo geboren und wann
verstarb er wo?
14) Wofür stehen J.R.R. bei Tolkien, wo wurde er geboren und wie lautet das RingGedicht aus Der Herr der Ringe?
15) Wann wurde Shakespeare getauft, wo, und welches Theater gehörte ihm anteilig?
16) Wann lebte Auguste Renoir und wann entstand die Lesende Frau?
17) Was bedeutet der Titel El tres de Mayo, wer malte das Bild wann, wie groß ist es und
wo ist es heute ausgestellt?
18) Wann entstand das Eremitage, wo ist es zu finden und welche berühmten Gemälde
Rembrandts sind dort ausgestellt?
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Die Anderen
by Frauke Feind
19) Unter welchem Namen war Domínikos Theotokopoulos bekannt, wann lebte er und
welches großartige Bild von ihm entstand 1575?
20) Wann wurde Franz Carl Spitzweg wo geboren und welche drei Bilder sind seine
Bekanntesten?
Erst einmal herrschte Schweigen in jeder Kabine, nachdem alle Fragen laut vorgelesen
worden waren. In diesen Minuten hatten draußen am Becken Wachen den drei Frauen Headsets aufgesetzt, über die sie nun aus den jeweiligen Kabinen von ihren Gruppenmitgliedern
Anweisungen erhalten würden, welche Plattform sie betreten konnten. Booth, House, Kate und
Abby waren für Heather zuständig, Dana, Bones, Sawyer und Gibbs für Beth und Mulder,
Jake, Locke und Ziva für Allison. Dana fragte ihre Mitbeantworter: „Wie sieht es aus, wollen
wir erst versuchen, alle Fragen zu beantworten und Beth dann in einem Rutsch rüber
schicken?“ „Ich denke, das ist eine gute Idee. Dann können wir mit Fragen beginnen, die wir
leicht beantworten können.“ Die anderen stimmten zu und Dana gab Beth durch: „Hör zu, wir
werden erst einmal die Fragen beantworten und lotsen dich dann in einem Zug über den Steg.
Die Fragen sind sehr schwer, mach es dir bequem, das wird einige Zeit in Anspruch nehmen.“
Beth hatte die Worte Danas klar und deutlich verstanden. Sie nickte. „Okay. Lasst mich bitte
nicht ertrinken.“
Die vier machten sich also über die Fragen her. Sawyer hing verkrampft an der Wand
und kam sich ziemlich blöde vor. Aber die Beantwortung der ersten Fragen ging ihnen recht
leicht von der Hand, anfangs. „Der Präsident war Harrison, Benjamin, er trat 1862 in die
Armee ein, Dienstzeit war eine Amtsperiode, von März 1889 - 93. A. Panamakanal, kommt,
Leute, die Bauzeit ... 1881 - 89, 81 km, zirka 900.000 Schiffe. B. Der Seminolen-Häuptling
war Osceola, sein Vater war Weißer, seine Mutter Indianerin, der Krieg ... 1835 - 42. B. Arms
and Man, das ist von Shaw, von 1894. A. Kipling ist ‚Das Dschungelbuch’, der wurde in
Bombay geboren, Dezember 1865. Er starb am 18 Januar 1936 in London. A. Caruso ... Der
wurde ... 1903 an der New Yorker Metropolitan mit ‚Rigoletto’ von Verdi berühmt. Er lebte
25.02.1873 - 02.08.1921. B.“
In der Kabine links hatten House und Co. das erste Mal Schwierigkeiten. Sie gingen der
Reihenfolge nach vor. „Jugoslawien, das war ... 1929, Slowenien, Kroatien, Bosnien,
Herzegowina und Serbien, Montenegro, Kosovo und Mazedonien gehörten dazu. A. Harrison,
Benjamin ... B. Boeing, das waren William E. Boeing und George C. Westervelt,
15.07.19sechzehn. Pacific Aero Products Company. A. Seminolen ... Das war 1835 - 42. Und
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Die Anderen
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der Häuptling hieß Osceola. Vater weiß, Mutter Creek. B. Panamakanal wurde 1881 - 1889
gebaut. Das hatten wir gerade, der ist irgendwie 81,6 km lang und zirka 900.000 Schiffe haben
ihn seit Gründung passiert. B. Turandot ist von Puccini, das wurde uraufgeführt in der
Mailänder Scala, Ende April 1926. Ich meine, es war der 25. B. Bruckner ist Österreicher, er
wurde in Anspach geboren, die Sinfonie ist von 1871 und er wurde 04 September 1824 geboren. Wartet, da ist was verkehrt, das Kaff hieß Ansfelden, nicht Anspach. A.“ Heather hatte
sich vorsichtig bis zur Platte 7 vorgearbeitet. Nun wartete sie auf den nächsten Buchstaben.
Doch der kam nicht. „Caruso, Himmel, wie war das denn noch? Scheiße. Ich weiß, dass er
1906 in Frisco beim großen Erdbeben anwesend war. Und er ist ...“ House starrte seine
Gruppenmitglieder an. „Kommt schon, wir müssen uns konzentrieren. Wann wurde der Kerl
denn bloß geboren?“ Abby sah zu Heather hinüber und gab kurz durch „Wir hängen fest, aber
es geht gleich weiter, keine Sorge.“ Sie sah ihre Kollegen an. „Wir hatten ihn vor ein paar
Tagen erst ... Ich weiß es nicht mehr.“
In der letzten Kabine hatte man ähnliche Probleme. Nur, dass dort die Frage 9
Schwierigkeiten bereitete. „Allison, gib uns ein paar Minuten, wir hängen fest.“ Allison stand
auf der Plattform und hatte Angst. Aber ihr blieb nichts übrig, als zu warten. „Ich weiß noch,
dass sie beim ersten Mal abgebrannt ist, dann bei einem Luftangriff zerstört wurde und der
Grundstein für die heutige Oper wurde 1977 gelegt. ’Der Freischütz’ von Weber war das
Stück, das zur Wiedereröffnung gespielt wurde. Aber ... Oh, Gott, Mulder, sag doch auch mal
was.“ Mulder hatte bisher alle Fragen mit beantwortet, aber an die Semperoper in Dresden
konnte er sich absolut nicht erinnern. Sie hatten im Unterricht darüber gesprochen, so unfair
waren ihre Gastgeber denn doch nicht, aber so wenig wie seine Kollegen wusste er die Daten.
So antwortete er leise und zögernd: „Aua ...“ Jake schüttelte entsetzt den Kopf. „Nein. Nein,
auf keinen Fall, kommt schon, Leute, wir müssen uns daran erinnern.“ Mulder versuchte sich
etwas bequemer hin zu stellen. „Jake, es ist erheblich angenehmer, nur zehn Schläge zu bekommen, weil wir Mick fragen müssen, als dass es zwanzig werden, weil Allison raus gezogen
werden muss.“ Jake schüttelte geradezu panisch den Kopf. „Nein, auf keinen Fall, lasst uns
noch eine Weile überlegen, kommt schon, erst mal die nächste Frage. ’Madam Butterfly’. Ich
weiß, auf einer Erzählung von John Long und dem Roman ’Madame Chrysanthème’ von
Pierre Loti. Die Uraufführung war in Brescia, am ... Mai, 28 Mai 1905. B. Okay, gleich weiter.
Der Nobelpreis für Literatur, das war ein Franzose, ein René Sully Prudhomme, 1901.“
„Genau, für Anerkennung seiner ausgezeichneten, auch noch in späteren Jahren an den Tag
gelegten Verdienste als Schriftsteller und besonders seiner Dichtungen, die hohen Idealismus,
künstlerische Vollendung und eine seltene Vereinigung von Herz und Geist bezeugen. A.“,
vervollständigte Ziva. Und dann überlegten sie noch einmal, wann die Baudaten der Semper-
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oper waren. Schließlich schüttelte Jake verzweifelt den Kopf. Mulder schloss ergeben die
Augen. „Mach schon.“
Dana in der Nachbarkabine hatte versucht, möglichst wenig zu Mulder herüber zu
schauen. Es half ihr und ihrer Gruppe nicht, wenn sie mit ihm litt. Sie hingen selbst gerade fest,
nachdem sie gut vorangekommen waren. „Jugoslawien, das war 1929 und Mazedonien,
Slowenien, Bosnien, Montenegro, Serbien, Herzegowina, Kosovo und Kroatien gehörten dazu.
A. Spitzweg, der kommt aus Unterpfaffenhofen, 15 Februar 1808, und die Bilder ...“ „’Der
arme Poet’, ’Der abgefangene Liebesbrief’ und ’Der Bücherwurm’.“, warf Sawyer ein.
„Boeing, das war William Edward Boeing und George C. Westervelt 19sechzehn, im Juli, am
15.ten Juli. Und die hießen erst PAPC, Pacific Aero Products Company. A. Bruckner, der ist in
Österreich geboren, und zwar 4.9.24 in Ansfelden, und das war 1871. B. Renoir lebte 1841 1919, und das Bild stammt aus 1876. B.“ Und dann kam Turandot und keiner der vier wusste,
wann es uraufgeführt worden war. „In Mailand, in der Scala, aber wann? Ich habe keine
Ahnung. Wer weiß es noch?“ „Kommt schon, Leute, tut mir das nicht an.“ Sawyer verdrehte
sich den Hals, um einen Blick auf den Monitor zu werfen. „Was haben wir noch?“ „Die
Semperoper und ihre Baudaten. Keine Ahnung. Was bedeutet ’El tres de Mayo’? ’Die Erschießung der Aufständischen’, das war Goya, Francisco Goya. Gemalt wurde es 1814 und ist
irgendwie 266 x 345 cm groß.“ „Genau, und es hängt im Prado, in Madrid. A. Shakespeare
wurde angeblich am 26.04.1564 in Stratfort-upon-Avon getauft.“ Sawyer vervollständigte
selbst: „Globe Theatre in London, da war er beteiligt. B. Wieder eine, gut.“
Jake hatte Ziva schließlich schweren Herzens gebeten, Mick nach den Daten für die
Semperoper zu fragen. Mick hatte sie nicht im Kopf und musste nachschauen. Dann aber gab
er durch: „1838 - 1841, 21.09.1869 abgebrannt. 1871 - 1978, 13.02.1945 Luftangriff, 1946 1955 Sicherungsarbeiten, 1968 - 1976 konzeptionelle Studien, 77 Grundsteinlegung.“ Jake sah
zu, wie Ziva die Zahlen in den Laptop tippte, dann kam der Buchstabe A als Belohnung. Und
Mulder stieß genervt hervor: „Mr. Green, wie sieht es aus, könnten wir es denn bitte hinter uns
bringen?“ Jake seufzte. Verzweifelt griff er nach der Peitsche und trat dann hinter Mulder, der
unwillkürlich die Luft anhielt. „Es tut mir so leid.“, stieß der jüngere Mann hervor. „Langsam
oder schnell?“ „Gar nicht? Schnell natürlich.“ Mulder biss sich auf die Lippe und wartete auf
den ersten Schlag. Jake wagte nicht, verhalten zuzuschlagen, zu viel Angst hatte er um
Heather, und Mulder verstand das. Er hätte genauso gehandelt, wenn es Dana gewesen wäre,
die über den Steg musste. Die ersten Schläge brannten wie Feuer, beim siebten entwich Mulder
erstmals ein gequältes Zischen, beim achten ebenfalls. Neun und zehn konnte er nicht mehr so
weg drücken. Er keuchte schmerzerfüllt auf und war dankbar, als es vorbei war.
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Und es ging gleich weiter. „’Arms and the man’ ist vom großartigen George Bernard
Shaw. Das war 1894. A. Und Kipling ist ’Das Dschungelbuch’, der wurde in Bombay geboren,
im Jahre 1865, das genaue Datum ...“ Locke überlegte, dann meinte er: „Im Dezember, 30.12.
und gestorben ist er am 18 Januar 36 in London. A. Tolkien, das ist J.R.R. ... John Ronald
Reuel. Er wurde am 03.01.92 in Bloemfontein geboren, heute ist das Südafrika. Das Gedicht,
oh, ich kriege es nicht zusammen, wer weiß noch was?“ Mulder hatte sich wieder ein wenig
gefangen und fing leise an „ Gakh Nazgi Golug durub-uuri lata-nuut, Udu takob-ishiz gund-ob
Gazat-shakh-uuri, Krith Shara-uuri matuurz matat duumpuga, Ash tug Shakhbuurz-uur Uliimatab-ishi za, Uzg-Mordor-ishi amal fauthut burguuli. Ash nazg durbatuluuk, ash nazg gimbatul,
Ash nazg thrakatuluuk, agh burzum-ishi krimpatul Uzg-Mordor-ishi amal fauthut burguuli.“
Vollkommen verblüfft fragte Jake: „Meine Fresse, Mulder, was war denn das?“ Mulder
grinste. „Das, mein Freund, ist die schwarze Sprache Mordors. Ich fand es irgendwann mal
witzig, das Gedicht in dieser Sprache zu lernen. Schaut mal nach, ob unsere Gastgeber mit
dieser Fassung zufrieden sind.“ Offensichtlich waren sie es, denn sie erhielten ohne Probleme
den nächsten Buchstaben. Jake konnte sich nicht Verkneifen, noch zu fragen: „Wie, um alles in
der Welt, kann man sich solchen Wortsalat bloß merken. Du scheinst viel Langeweile gehabt
zu haben ...“ Mulder grinste nur.
In Kabine 1 kam man über Carusos Geburtsdaten nicht hinweg. Kate sagte schließlich
leise: „Wir haben die Wahl, Heather raten zu lassen. Fällt sie rein und Mick weiß es nicht,
Booth ... Oder wir fragen gleich Mick, dann wird es wenigstens nur die Hälfte.“ Sie sah zu
Sawyer hinüber und betete zu Gott, dass dort drüben alle Fragen beantwortet werden konnten.
Booth seufzte. „Fragt ihn schon, wir können nicht riskieren, dass Heather ins Wasser fällt.“
Abby kamen fast Tränen. „Okay.“, flüsterte sie leise und sah House an, der seltsam grün im
Gesicht wirkte. Abby drückte die Alt und F5 Taste und hatte Mick am Ohr. „Hör mal, wir
hängen an Caruso fest. Geburts- und Sterbedaten ...“ Mick biss sich auf die Lippe. Der
Nächste, der würde leiden müssen. „25.02.1873 - 02.08.1921.“, gab er leise durch und Abby
schrieb mit. Sie erhielt dafür ein B und sagte es gleich Heather weiter. „Süße, B.“ Während
Heather sich auf die Platte mit dem B stellte, griff House zähneknirschend nach der Peitsche.
Er sah zu Allison hinüber, dann holte er aus. Dem Arzt liefen Tränen über die Wangen, aber er
hatte keine Wahl. Zehn Mal schlug er zu, dann hätte nicht viel gefehlt, und er hätte die Peitsche
an die Wand geschmissen. „Es tut mir leid, Booth, es tut mir so unendlich leid, Mann.“ Booth,
dem der Schweiß in Strömen über den Körper lief, schnaufte. „Das ist doch nicht deine Schuld,
du Idiot.“ Er kniff schmerzerfüllt die Augen zusammen, atmete ein paar Mal tief durch, dann
meinte er: „Wie war die nächste ... Frage?“
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Die Anderen
by Frauke Feind
„Das ist die Semperoper. Ich habe da ein ganz mieses Gefühl. Wisst ihr noch, wann das
blöde Ding gebaut wurde?“ Kate nickte. „Ja, sie wurde 1838 - 41 gebaut, brannte dann aus,
und zwar am 21.09.69. Sie wurde wieder erbaut, zwischen 1871 - 78 und wurde dann am
13.02.45 durch einen Luftangriff erneut zerstört. Dann gab es von 46 - 55 umfangreiche
Aufräumungs- und Sicherungsarbeiten. Von 68 - 76 wurden Konzeptstudien betrieben und ...
scheiße, irgendwann 1977 war dann Grundsteinlegung, ich weiß nicht mehr wann ... Das erste
Stück war jedenfalls Webers ’Freischütz’. Aber wann wurde der verdammte Grundstein gelegt?“ „Man, Kate, wie kannst du dir bloß die ganzen Zahlen merken?“, keuchte Booth beeindruckt. Kate wurde leicht rot. „Na, alle weiß ich ja nicht ... Ich mag Zahlen, sie machen mir
keine Angst. 14.06. Das war es. Da, seht ihr, B.“ Abby gab das B an Heather weiter, Booth
atmete auf und House las die nächste Frage noch einmal durch. „Das ist ... eine Erzählung, von
John Luther Long und dem Roman ’Madam Chrysanthème’ von Pierre Loti.“ Kate nickte. Und
Abby vervollständigte „Uraufführung war am 28 Mai 1904 in Brescia. A.“
„Kannst du mir mal bitte das linke Schulterblatt kratzen? Ich komm da aus verständlichen Gründen gerade nicht ran.“ Sawyer zuckte schon eine Weile herum und hielt es schließlich nicht mehr aus. Gibbs grinste, dann kratzte er Sawyer die Stelle, die diesem juckte. „Was
kommt jetzt?“, fragte er dann. „Die Eremitage. Die Gemälde von Rembrandt ... Das sind
’Flora’, ’Danae’ und ’Die Rückkehr des verlorenen Sohnes’ und der Bau begann 1711 in St.
Petersburg. B.“, vervollständigte Bones sicher. Dana las die nächste Frage vor. „Wer, um alles
in der Welt, war Domínikos Theotokopoulos?“ Sawyer schmunzelte. „Mrs. Mulder, El Greco,
compreso? Und das Bild ...“ Sawyer seufzte. „1575?“ Er verdrehte sich den Kopf, um seine
Gefährten ansehen zu können, aber die schüttelten den Kopf. „Oh, man, Kinder ... Das ist mein
Rücken. Kate mag ihn ohne blutige Striemen. Strengt euch mal an. Nächste Frage, mit den
noch Offenen beschäftigen wir uns später. Literaturnobelpreis, war da nicht irgendwas?“ Dana
nickte. „Ja, der erste, wann, wer, wofür. Das war ein Franzose, das weiß ich. Und 1901, oder?“
Zustimmendes Nicken von allen. „René S. Prudhomme. Für seine Dichtungen, den Idealismus
und die künstlerische Vollendung.“, sagte Sawyer zögernd und leise. Dana trug die Antwort
ein und erhielt das B als Buchstaben. Sawyer atmete erleichtert auf.
„Wer fehlt denn noch?“, wollte Bones wissen. „’Madam Butterfly’.“ Dana sah auf den
Monitor. „Worauf beruht es? Das war eine Erzählung, habe ich das richtig im Kopf?“ Sawyer
nickte. Er hatte ein fabelhaftes Gedächtnis für Namen und ratterte herunter: „John Luther Long
und Pierre Loti, der Roman von Loti hieß ... irgendeine Blume ... Madam ...“ Hätte er gekonnt,
er hätte sich die Haare gerauft. „Blume?“ Gibbs überlegte. „Ja, hast Recht ... Begonie ... nein,
ich hab’s. Chrysanthème.“ „Richtig. Und die Uraufführung war in Brescia, und zwar am
28.05.04.“ Dana trug ein und erhielt ein A. „So, jetzt noch den letzten, Tolkien, wofür stehen
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Die Anderen
by Frauke Feind
die Initialen? John Ronald ...“ Hilflos sah Dana Gibbs und Bones an. Die zuckten die
Schultern. „Rauel ... nein, Reuel, Reuel war das.“ Sawyer war sich sicher. „Hey, und das Gedicht: Drei Ringe den Elbenkönigen hoch im Licht, sieben den Zwergenherrschern in ihren
Hallen aus Stein, den Sterblichen, ewig dem Tode verfallen, neun, ein Ring dem dunklen
Herrscher auf dunklem Thron, im Lande Mordor wo die Schatten drohen. Ein Ring, sie zu
knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden, im Lande Mordor, wo
die Schatten drohen.“ „Das war schön, woher kennst du das auf Deutsch?“, fragte Bones erstaunt. Sie verstand genug Deutsch durch einen ihrer früheren Praktikanten, um das Gedicht zu
verstehen. Sawyer grinste. „Mein Großvater ... Er war viele Jahre in Deutschland und hat ‚Der
Herr der Ringe’ dort gelesen, auf Deutsch. Er fand es fantastisch und hat mir einige Gedichte
bei gebracht, die ich nie wieder vergaß.“ Gibbs nickte anerkennend. „Das ist großartig. Was
fehlt denn noch? Wann und wo er geboren wurde ... In Südafrika, daran erinnere ich mich
noch, das war ein holländisch klingender Name, Bloemfontein, Mangaung. Aber das Datum
...“ Bones erklärte: „3 März 92.“ Dana tippte und ein A leuchtete auf. Sawyer nickte erleichtert.
„Dann fehlen ja nur noch unsere drei kleinen Schweinchen. 30 ...“ Er war blass.
Mulder fragte etwas verkniffen: „Was jetzt? Ich kriege lahme Arme. Und Allison
möchte sicher auch von dem Laufsteg runter.“ Jake zitterten noch leicht die Hände, es hatte ihn
unglaublich mitgenommen, Mulder schlagen zu müssen. Leise sagte er: „Wir müssen unbedingt alle anderen Fragen beantworten können, wir müssen.“ Ziva, die an der Tastatur saß,
warf Jake einen verständnisvollen Blick zu. „Die Nächste ist Shakespeare, ich weiß noch, dass
er ab 1599 Mitbesitzer des Globe Theatre war.“ Locke nickte. „Und er wurde in Stratfort-uponAvon getauft, und zwar ...“ Mulder unterbrach Locke: „26.04.1564. Wobei das auch nicht
hundertprozentig belegt ist.“ Ziva gab die Angaben ein, erhielt ein A und gab es an Allison
weiter. „So, nun noch die Künstler ... Renoir, ’Die lesende Frau’ ... 1879, richtig? Und er lebte
41 - 19.“ Alle vier ließen sich die Antwort noch einmal durch den Kopf gehen, dann nickte
Mulder. „Das ist richtig, kommt, weiter.“ Ziva gab die Antwort ein und ein lauter Signalton
ertönte.
„Verfluchte Scheiße. Was war falsch?“ Ziva zitterten vor Schreck die Hände. „Ich bin
sicher, dass die Jahreszahlen stimmen.“ Mulder starrte zu Allison hinüber und Ziva tat, was
nötig war. „Allison, wir haben einen Fehler gemacht. Willst du es versuchen?“ Allison schloss
die Augen, dann nickte sie. Angespannt warteten alle, was geschehen würde. Mit zitternden
Knien machte Allison einen Schritt auf Platte B. Im nächsten Moment schrie sie vor Schreck
auf, und nicht nur sie. Das Brett klappte unter ihr weg und sie stürzte ins Wasser. House brüllte
entsetzt los. „Cameron.“ Er stürzte zur Kabinentür, aber die war und blieb verschlossen.
Entsetzt beobachteten alle, wie Allison verzweifelt bemüht war, nicht unter zu gehen. Aber sie
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Die Anderen
by Frauke Feind
hatte keine Chance, die gefesselten Hände und Füße ließen ihr nicht den geringsten Spielraum,
sich irgendwie an der Oberfläche zu halten. Mick wusste sofort, dass die Lebensdaten
stimmten. Es musste das Erstellungsdatum des Bildes sein. 1879 ... Er wusste es nicht und
hatte nicht die Zeit, lange nachzudenken. Hastig sah er im PC nach und las 1876. „Scheiße.“
Die Tür seiner Kabine sprang auf und schon hetzte der Vampir los. Er sprang in das Wasserbecken und tauchte sofort ab. Bis auf die gefesselten Männer standen alle Gefangenen an der
dem Becken zugewandten Seite der Kabine und starrten mit schreckgeweiteten Augen auf das
Wasser. Beth und Heather hatten den Logenplatz und sahen, wie Mick Allison erreichte. So
schnell er konnte, tauchte er mit der jungen Frau auf, die in seinen Armen heftig zappelte und
dann hatte er sie an der Oberfläche. Keuchend und hustend jappte Allison nach Luft. Und
House sank fix und fertig auf den Stuhl nieder und stöhnte: „Ich bin zu alt für solche Scheiße.“
„Oh, Gott, das machen wir nicht wieder, das halte ich kein zweites Mal aus.“, stöhnte
Mulder entsetzt. Sie hatten ebenso angespannt wie alle Anderen zugeschaut, wie Mick Allison
aus dem Wasser zog und die junge Ärztin dann wieder auf die Plattform zurückkehren musste,
nachdem man ihr einige Minuten Zeit gegeben hatte, sich zu fangen. „Komm schon Jake, es
bringt nichts, es heraus zu zögern, davon wird es nicht besser, okay?“ Ziva sah Jake mitleidig
an. Ihre Ausbildung und Einstellung Schmerzen gegenüber hätten es ihr leichter gemacht, die
mehr als unangenehme Aufgabe der Schläge zu übernehmen, aber das war den Entführern
natürlich klar. Sie hatten gezielt das in der Beziehung jeweils schwächste Glied aus der Gruppe
mit dieser Aufgabe betraut. Jake hatte Tränen in den Augen, als er wieder nach der Peitsche
greifen musste. Und Mulder konnte nicht verhindern, dass er anfing zu Zittern. Ziva stand auf,
griff nach Mulders Kittel und drehte diesen zu einer Rolle zusammen. Diese hielt sie Mulder
hin und der nickte dankbar. „Gute Idee.“ Er ließ sich die Stoffrolle von Ziva zwischen die
Zähne schieben und dann fing Jake an. Da die ersten Striemen noch zu sehen waren und
brannten, war die zweite Runde schmerzhafter. Als der letzte Hieb auf seinen Rücken
klatschte, wurde Mulder nur noch von den Fesseln aufrecht gehalten. Jake sank schluchzend
auf die Knie. Und Ziva und Locke war klar, dass sie die letzten Fragen wohl mehr oder
weniger alleine würden beantworten müssen.
In den anderen Kabinen hatte man versucht, nicht zu Mulder hinüber zu schauen.
House hatte sich gefangen und die Vier machten sich an die nächsten Fragen. „Den ersten
Literaturnobelpreis hat ein Franzose Namens René Sully Prudhomme bekommen, und zwar
1901. Für seine Verdienste als Schriftsteller und besonders seiner Dichtungen, die hohen
Idealismus, künstlerische Vollendung und eine seltene Vereinigung von Herz und Geist bezeugen.“ Booth war sich seiner Sache sicher und House stimmte ihm zu. Abby trug ein und
gab dann ein A an Heather weiter. „’Arms and the man’ ist von Shaw, 1894.“ Kate sah die
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Die Anderen
by Frauke Feind
anderen an und diese nickten. Abby tippte gleich weiter. „Kipling, das ist ’Das Dschungelbuch’, der Kerl wurde in Bombay geboren, und zwar ...“ „30.12.65 und er starb in London,
18.01.36.“ vervollständigte Kate. „Tolkien. Ich liebe die Bücher.“, schwärmte Abby. „Er
wurde in Bloemfontein geboren, und zwar am 3 Januar 1892. Sein Name ist John Ronald
Reuel. Und das Gedicht ist ein Gedicht. Three rings for the elven-kings under the sky, seven
for the dwarf-lords in their halls of stone, nine for mortal men doomed to die, one for the Dark
Lord on his dark throne, in the Land of Mordor where the shadows lie. One ring to rule them
all, one ring to find them, one ring to bring them all and in the darkness bind them. In the Land
of Mordor where the shadows lie.“ „Toll, Abby, aus dem Kopf hätte ich es so nicht mehr zusammen bekommen.“ Kate nickte anerkennend und Booth atmete erleichtert auf, er hätte es
auch nicht mehr gewusst. Komischerweise kam ihnen allen die eigenartige Assoziation, selbst
im Lande Mordor, wo die Schatten drohen, festzustecken.
„So, Shakespeare, Leute, 26.04.1564, in Stratfort-upon-Avon, ab 1599 das Londoner
Globe Theatre. Stimmt ihr mir zu?“ Alle nickten und Abby erhielt ein B. „Oh, je, die Maler ...
Ich hasse das, ich kann mir die einfach alle nicht merken.“, stieß sie nun genervt hervor. „Mit
welchem geht es los?“, wollte Booth wissen. „Renoir. Wann lebte er gleich?“ Alle sahen auffordernd Kate an und diese konnte sofort mit Daten dienen. „1841 - 1919. Wann das Bild entstand ... Himmel, das weiß ich im Augenblick auch nicht mehr. Lassen wir mal offen, die
Nächste?“ „’El tres de Mayo’ ... Das bedeutet: ’Die Erschießung der Aufständischen’. Das ist
von Goya, und er hat es 1814 gemalt, das weiß ich sicher. Und ich weiß sicher, dass es im
Prado in Madrid hängt. Weiß einer noch die Größe?“ „Ja, ich: 266 x 345 cm.“ House atmete
erleichtert auf. Und Abby erhielt ein A. Dann ging es weiter. „Die Eremitage in St. Petersburg.
Der Bau begann um 1711. Und die Gemälde Rembrandts, die bekanntesten dort, sind ...“ „’Die
Rückkehr des verlorenen Sohnes’, ’Flora’ und ...“ „’Danae’.“ Abby grinste triumphierend und
tippte fleißig ein. A. „Wir haben es bald geschafft.“, freute Kate sich und schielte zu Sawyer
und den anderen in die Nachbarkabine hinüber. Hoffentlich wussten die alles. Sie wollte nicht
zusehen müssen, wie Gibbs Sawyer schlug.
„El Greco ist die nächste Antwort. Er hat von 1541 - sechzehn14 gelebt. Das Bild ...“
Hilflos prustete Abby und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Erst mal das letzte, Spitzweg. Die Bilder, das sind ’Der arme Poet’, dann ’Der abgefangene Liebesbrief’ und das Letzte
...“ House wusste es. „’Der Bücherwurm’. Das hängt in der Krankenhausbibliothek in
Princeton. Finden die wohl lustig, so einen billigen Kunstdruck da hin zu hängen.“ „Der
stammt aus Deutschland, das war so ein Kaff mit einem albernen Namen ... Unter ... Unter ...“
„Unterpfaffenhofen.“ Kate stöhnte auf. „Blödsinniger Name.“ „Stimmt. Und wann wurde er
...“ Auch das wusste Kate noch. Ihr Zahlengedächtnis war wirklich einzigartig. „15 Februar
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Die Anderen
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1808.“ Abby gab ein und erhielt ein B. „So, kommt schon, strengen wir uns noch einmal
richtig an. Renoir und El Greco, die Fragen müssen wir einfach noch schaffen.“ Booth seufzte
und versuchte, sich etwas bequemer hinzustellen. Sein Rücken brannte noch von den ersten
zehn Schlägen. „Das finde ich auch, da habt ihr meine volle Unterstützung.“
Mulder kämpfte mit seiner Schwäche, Jake war am Ende, noch einmal wäre er nicht in
der Lage, zuzuschlagen, egal, womit die Entführer drohen würden. Ziva und Locke ließen ihre
Mitstreiter in Ruhe und lasen sich die letzten Fragen noch einmal durch. „’El tres de Mayo’,
das bedeutet ‚Die Erschießung der Aufständischen’ das war leicht. Und die Größe war ... 345 x
266 cm, ach, anders herum, 266 x 345 cm. Und es hängt in Madrid, im Predo und ist von
Goya.“ Ziva wollte Tippen, aber Locke unterbrach sie. „Prado, nicht Predo, Ziva.“ Ziva nickte.
„Ja, stimmt, ein A.“ Sie gab Allison den Buchstaben durch und dann hatten sie die Eremitage
zu fassen. „Da wurde 1711 mit dem Bau begonnen, in St. Petersburg, und die Bilder sind ...“
Mit zitternder und vor Schmerzen gepresst klingender Stimme meinte Mulder „’Danae’,
’Flora’ und ’Der Liebesbrief’, oder?“ „’Der abgefangene Liebesbrief’.“, verbesserte Locke und
Ziva gab die Antwort ein. „Halt. Warte. ’Der Liebesbrief’ ist verkehrt. Der ist von Spitzweg.
Das Bild ist ’Die Rückkehr des verlorenen Sohnes’.“, keuchte Jake plötzlich erschrocken. „Oh,
Gott, danke. Das stimmt.“, stotterte Mulder entsetzt. Ziva gab mit zitternden Händen die
Antwort ein und bekam ein B. „Theotokopoulos, das war El Greco, kein Wunder, dass der den
Namen geändert hat.“ Ziva schüttelte den Kopf. Das hatte sie sich gemerkt, weil keiner den
schwierigen Namen ohne zu stolpern hatte aussprechen können. „Der hat von 1541 sechzehn14 gelebt. Und das Bild ...“ „’Die Verkündigung’.“, sagte Locke ruhig. Sie erhielten
ein A.
„Was fehlt jetzt noch?“ „Spitzweg, den Namen des Gemäldes hatten wir ja gerade: ’Der
abgefangene Liebesbrief’.“ „Richtig, und die anderen sind ’Der arme Poet’ und ’Der Bücherwurm’ und er wurde in Deutschland geboren. In ... 1808, im Februar, am 15.ten. Das Dorf hieß
... Unterpfaffenhofen.“ Ziva gab die Daten ein und erhielt ein B. Allison machte den letzten
Schritt und war in Sicherheit. „Gott sei Dank.“ Ziva eilte zusammen mit Jake zu Mulder und
gemeinsam befreiten sie diesen aus seiner schmerzhaften Zwangslage. Jake stützte den FBI
Agent und führte ihn zum Stuhl, auf den Spooky sich aufstöhnend sinken ließ. „Geschafft.“,
ächzte dieser. Locke überlegte nicht lange. Er trat hinter Mulder und legte diesem seine Hände
auf den schmerzenden Rücken. Mulder zuckte stöhnend zusammen. Dann aber spürte er erstaunlich schnell, wie die Schmerzen deutlich nach ließen. Und schließlich sagte er entspannt:
„Du wirst mit jedem Tag besser, John. Ich danke dir.“
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Die Anderen
by Frauke Feind
In der ersten Kabine, bei Booth und House, wurde heftig darüber diskutiert, wann denn
nun das Renoir Bild entstanden war. „Bloß kein Ratespielchen. Dann stirbt Jake, wenn Heather
ins Wasser fällt.“, erklärte House genervt. „Na, prima, Doc, dir tut es ja nicht weh.“, knurrte
Booth, stimmte dem Arzt aber im Stillen zu. Er würde nie um diesen Preis versuchen, sich vor
Schmerzen zu drücken. Schließlich mussten sie sich geschlagen geben. Weder der Titel des
Gemäldes von El Greco noch das Entstehungsjahr des Gemäldes von Renoir fiel ihnen ein.
Abby liefen Tränen über die Wangen, als sie sich also an Mick wenden musste. Der Vampir
schüttelte entsetzt den Kopf. „Wisst ihr es wirklich nicht? Kommt schon, Leute, denkt an
Booth ...“ Abby fluchte. „Ja, weißt du, Mick, wir sehen es nach all der Zeit einfach so gerne,
wenn einer von uns vor Schmerzen schreit. Natürlich wissen wir es wirklich nicht, du ... Blutsauger. Sonst würden wir bestimmt nicht fragen.“ Mick zuckte zusammen. „War eine dumme
Frage, ist schon klar. Tut mir leid. Okay, pass auf: Das Bild heißt ’Die Verkündigung’ und das
Jahr ist 1876.“ Abby taten ihre harten Worte schon wieder leid und sie sagte: „Tut mir leid,
Mick, ich wollte nicht so ... Es tut mir leid.“ „Schon in Ordnung, wir sind alle angespannt. Viel
Glück.“ Abby nickte zu Mick hinüber, dann gab sie die beiden Antworten ein und erhielt die
letzten Buchstaben.
Heather erreichte als Zweite das sichere Ufer und Booth steckte als Zweiter zwanzig
Peitschenhiebe ein. Er bat: „Kate, gibst du mir auch meinen Kittel, bitte? Ich weiß nicht, ob ich
sonst ... Gib ihn mir einfach.“ Kate nickte und wischte sich ärgerlich die Tränen weg. Sie
drückte Booth den Stoff zwischen die Zähne und blieb dann einfach bei ihm stehen, legte ihm
eine Hand auf den linken Arm. Schon dieses bisschen menschlicher Kontakt half dem Agent
über die nächsten Minuten hinweg. Als der zwanzigste Schlag seinen ungeschützten Rücken
traf und er vor Schmerzen heftig auf gekeucht hatte, machte sie ihn sofort los und er sackte
zitternd in ihre Arme. Zusammen mit Abby schaffte Kate ihn zum Stuhl und er sank stöhnend
darauf nieder. „Das war schön ...“, keuchte er und fuhr sich mit den Händen über sein blasses
Gesicht, um Schweiß und Tränen gleichermaßen fort zu wischen. Dann sah er Kate an, griff
nach ihren Händen und sagte leise: „Danke.“ Kate lächelte traurig und ließ es zu, dass Booth
müde seinen Kopf gegen sie sinken ließ. Kate legte sanft die Arme um den jungen Mann. „Ich
wünschte, ich hätte mehr tun können.“
Bones hatte weinend zugesehen, wie House die Strafe an Booth vollzog. Sie drehte sich
zu ihren Leidensgenossen herum und erklärte unter Tränen: „Du nicht. Und wenn wir hier bis
morgen sitzen, du kriegst keine Schläge. Ich hasse diese Bastarde. Ich hasse sie so sehr.“
Sawyer, Gibbs und Dana waren einigermaßen erstaunt über den Ausbruch. Dann aber erklärte
Gibbs: „Bones hat Recht. Die sollen nicht wieder gewinnen. Ich werde mich hier nicht zum
Folterknecht degradieren lassen. Wir werden uns jetzt konzentrieren und diese idiotischen
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Die Anderen
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Fragen beantworten.“ Er sah Sawyer an und dieser konnte nur nicken, er hatte einen Kloß im
Hals, der jedes Wort abwürgte. „’Turandot’. Wir hatten das erst. Wann war die Uraufführung.
Es war in den Zwanzigern ... Mitte ... 1926.“ Vor Konzentration wurde Dana ganz still. Dann
stieß sie hervor: „Ich hab’s. Das war 25.04.1926. Das war es. Ich bin sicher. 25 April 26.“ Sie
gab ohne noch zu Zögern die Daten ein und bekam ein A. Aufgeregt sagte sie: „Weiter. Der
Name des Gemäldes. Es war etwas mit Bekanntmachung, Erklärung ...“ Sawyer zuckte zusammen. „Verkündigung. ’Die Verkündigung’.“, stieß er hervor. Dana nickte hektisch. „Ja, das
war es.“ Sie tippte aufgeregt und ein B leuchtete auf dem Monitor auf.
„Beth, du gehst weder Baden noch werden wir fragen müssen. Und du, mein Freund,
wirst die elende Peitsche nicht wieder zu Schmecken bekommen, das schwöre ich dir. Die verfluchte Dresdner Oper, das schaffen wir auch noch.“, meinte Gibbs verbissen. „Es waren drei
Starts. Ich weiß, beim ersten Mal ist sie abgebrannt, das war ... im September 1869.“ Bones
starrte abwesend zu Booth hinüber, der vor Erschöpfung in Kates Arme gesunken war.
„21.September ... 1838 - 1841, und 69 ist das Haus abgebrannt.“, sagte sie leise. Dana tippte
mit zitternden Fingern mit. „Bombenangriff. Das zweite Mal wurde sie im zweiten Weltkrieg
während eines Bombenangriffes zerstört. Das war im Februar 45, an einem 13.ten.“ Sawyer
nickte heftig. „Genau. Die Bauphase war 71 - 78. Tipp ein, Dana, das ist richtig, vertrau mir, es
ist mein Rücken.“ Dana tippte. „So, und weiter, Sawyer, wir schaffen das.“ Bones wandte den
Blick von Booth ab und trat zu dem hilflos dastehenden Südstaatler hinüber, legte ihm freundschaftlich eine Hand auf die Schulter. „Wir schaffen das. Es fehlt nicht mehr viel. Die Grundsteinlegung für die heutige Oper war 1977.“ „Im Juni, am 14.06.77, das ist es.“ Gibbs erinnerte
sich jetzt genau. „Die haben von 46, gleich nach dem Krieg, bis 55 Sicherungsarbeiten an der
Ruine gemacht und dann Aufbaustudien, von 68 - 76. Da habe ich mich noch gefragt, was die
so lange Planen. Und dass das Teil mit dem Freischütz eingeweiht wurde, hatten wir schon.
Dana.“ Dana tippte und als sie mit zitternden Fingern Enter drückte, hielten nicht nur die vier
die Luft an. A.
„Beth, hör zu: AAABBABBAABAAABBABBB.“ Beth machte vorsichtig die angegebenen Schritte und dann war sie drüben. Kate hatte nervös zugesehen, als sie sah, dass
alles gut ging, schrie sie begeistert auf. „Ja.“ Bones und Gibbs befreiten Sawyer von den
Fesseln. Lachend umarmte der seine Mitstreiter. „Ihr habt es wirklich geschafft. Ihr seid großartig. Ich danke euch, wirklich.“ Er beachtete dabei gar nicht, dass er genau so an der Lösung
der Fragen mit gearbeitet hatte. Und er merkte nicht, dass es ihm ganz von selbst von der Hand
ging, die Leidensgenossen und inzwischen guten Freunde zu umarmen und ihnen zu danken.
Dana lächelte still. Sie alle hier hatten sich verändert im Laufe der Monate, und so schrecklich
es war, die Veränderungen waren teilweise zum Guten. Sawyer war an die Trennwand getreten
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und sah in die Nachbarkabine zu Kate hinüber. Und in diesem Moment knackte es im Lautsprecher und die Stimme ertönte. „Das habt ihr gut gemacht, der Unterricht hat erstaunliches
gebracht. Und weil es so gut lief, machen wir gleich weiter. Fünfzig weitere Fragen.“ Die Gefangenen, die sich eben noch gefreut hatten, wurden steif vor Schreck. Ungläubig starrten sie in
die Halle. Und dann fuhr die Stimme gehässig fort: „War ein Scherz. Ihr seid gut gewesen und
für heute erlöst. Und: Nicht nur die schnellste Gruppe bekommt eine Belohnung, der Boss hat
gerade entschieden, dass auch die Langsamsten eine Belohnung bekommen, für vollkommene
Fehlerfreiheit ohne Nachfragen.“
Die Türen öffneten sich und Kate und Sawyer, der sich seinen Kittel über gestreift
hatte, eilten zu einander und fielen sich in die Arme. Bones hetzte zu Booth hinüber und fragte
besorgt: „Hey, du Held, geht es dir gut?“ Booth lachte sarkastisch. „Und wie. Diese
Peitschenkur war sicher gut für meinen Teint. Fördert die Durchblutung. Ach, und ich möchte
jetzt gerne weg hier.“ Dana war ebenso schnell zu Mulder geeilt, der sich auf die Beine gerappelt hatte. „Mulder, ist alles in Ordnung?“ Sie legte ihm vorsichtig den Arm um die Taille
und stützte ihn. „Es geht mir gut, John hat mir geholfen.“, sagte er sehr leise. „Noch ein wenig
Salbe und es wird kaum noch zu spüren sein.“ Die Gefangenen wurden aus der Schwimmhalle
geführt und durften in ihre Zellen zurückkehren. Hier bekamen Bones und Dana tatsächlich
Heilsalbe für Booth und Mulder in die Hand gedrückt, sie durften die Männer verarzten, dann
mussten sie in ihre eigenen Zellen zurück. Und man ließ sie für den Rest des Tages in Frieden.
Eine Sache war Thema bei allen: Was sie in der kurzen Zeit, die sie jetzt den intensiven Unterricht bekamen, dazu gelernt hatten und wie gut sie alle sich die vielen Jahreszahlen und Namen
merken konnten. Sawyer, der bequem auf dem Bett lag, erklärte: „Ich hätte nie für möglich
gehalten, dass ich im Stande bin, so was zu lernen, zu behalten ... Wenn ich das vor achtzehn
Jahren schon gewusst hätte, Kate, ich hätte die Schule garantiert nicht geschmissen ...“
Verblüffende Erkenntnisse
Das
Leben ist unendlich viel seltsamer als irgendetwas, das der menschliche Geist
erfinden könnte.
Sir Arthur Conan Doyle
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Zwei Tage später waren die Gefangenen gerade von einigen Unterrichtsstunden in die
Zellen zurück gebracht worden. Auch Beth und Mick hatten an dem Unterricht teilnehmen
müssen. Mick, durch seine fünfundachtzig Lebensjahre bedingt, hatte einen unglaublichen
Schatz an Allgemeinwissen. Er hatte schulterzuckend erklärt: „Wisst ihr, wenn ich keine Aufträge habe, bin ich tagsüber oft sehr gelangweilt. Aus bekannten Gründen kann ich mich ja
nicht mich sonnend an der Beach liegen ... Also habe ich das gemacht, was ich gut kann:
Lesen und mir das Gelesene merken. Und in fünfundachtzig Jahren schnappt man ohnehin so
einiges auf.“ Selbst ihre Entführer hatten gestaunt, wie gut Mick sich beispielsweise mit
Kunst, Literatur und Musik auskannte. Außerdem sprach er neben Englisch auch noch
Französisch und Spanisch. So brauchte er am Sprachunterricht nicht teil zu nehmen. Als die
Gefangenen nun in ihre Zellen zurück verfrachtet worden waren, und grünes Licht hatten,
meinte Jake sinnierend: „Ist euch eigentlich klar, dass durch die nette Einlage mit dem
Wasserentzug vor dem Fragen-Test … Naja, dass die damit locker erreicht haben, dass wir in
Zukunft jedes Mal mehr als dankbar sein werden, wenn sie sich um uns kümmern, egal, wie
das aussehen mag?“ Er lachte resigniert. „Wir werden sogar froh sein, wenn sie uns ... wenn
sie wieder kommen, um uns zu Quälen.“
Nach dem überraschenden Wiederauftauchen ihrer Entführer hatte man die fast verdursteten und erstickten Gefangenen mit Sauerstoff, Volumenzufuhr und ausreichender
Flüssigkeitsversorgung schnell wieder auf die Beine gebracht. Warum man sie hatte fast
sterben lassen, darüber verloren die Entführer natürlich kein Wort, aber das hatten die Gefangenen auch nicht erwartet. Kaum, dass es allen wieder gut ging, war der normale Betrieb
wieder aufgenommen worden, als wäre nie etwas gewesen. Man holte sie zu ihren Schießübungen, zum Sprach- und Bildungsunterricht, dann der Fragen -Test, nur den Sport ließen
die Entführer noch ruhen. Die zum Teil noch immer regelrecht unter Schock stehenden Gefangenen hatten bislang kein Wort darüber verloren, was geschehen war. Jake war der Erste,
der das Thema anschnitt. Die anderen reagierten erst einmal gar nicht auf seine Worte. Dann
aber meinte Allison: „Jake hat Recht ... Auch, wenn es Irrsinn ist, aber ich bin jedes Mal froh
und dankbar, wenn einer von diesen ... Leuten bei uns auftaucht. Dieses Gefühl, hier hilflos
herum zu stehen und auf den Tod zu warten, war schlimmer als alles andere bisher, fand ich.“
Heather stimmte Allison sofort leise zu. „Und nicht mal bei Jake sein zu dürfen war das
allerschlimmste ...“, sagte sie leise. Jetzt mischte sich auch Kate ein. „Ja, das Gefühl, zu
sterben und ... Sawyer in Sichtweite und doch so weit weg, als wäre ich auf der Erde und er
auf dem Mond ...“ Bones erklärte gepresst „Ich hätte alles, wirklich alles getan, um
wenigstens bei Booth sein zu dürfen.“
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Die Anderen
by Frauke Feind
„Wie viel länger hättest du durch gehalten?“, wollte Dana von Mick wissen. „Einen
Tag, höchstens. Erstickt wäre ich natürlich nicht, aber wir brauchen ... Nahrung wie ihr, wenn
wir sie nicht bekommen ... Naja, auch eine Art, einen Vampir zu killen, dauert nur länger.
Und außerdem wurde der Freezer zusehend wärmer. Das hätte mich vermutlich noch
schneller umgebracht als das Verdursten.“ Mick dachte darüber nach, wie es gewesen wäre,
zusehen zu müssen, wie nach und nach alle um ihn herum gestorben wären und innerlich
schüttelte es ihn. Dana wollte noch etwas erwidern, kam jedoch nicht mehr dazu, denn das
rote Licht ging nun an und es hatte Ruhe zu herrschen. Und schon kam auch die Durchsage:
„In die Betten.“ Es war ein anstrengender Tag gewesen und so legten sich die Gefangenen
gerne ins Bett. Minuten später kamen zwei Wachen und fesselten sie nacheinander an die
Betten, dann ging das Licht aus. Allmählich gewöhnten sich alle wieder daran, sich im Bett
nicht bewegen zu können und die meisten schliefen halbwegs gut. Vor dem Einschlafen ging
ihnen noch durch den Kopf, was wohl der kommende Tag wieder an Schrecken oder
sonstigem bereithielt.
Erst einmal gab es eine Überraschung am folgenden Morgen. Der Weckruf riss die
meisten der Eingesperrten aus dem Schlaf. Dann geschah eine ganze Weile nichts, man ließ
sie liegen, erlaubte ihnen auch nicht, sich zu unterhalten. Bestimmt eine Stunde verging, dann
kamen Wachen in den Kerker, befreiten die Gefangenen von ihren Fesseln und schlossen
ihnen unmittelbar die Hände auf dem Rücken zusammen. Dann bekamen sie den Befehl, sich
paarweise zusammen zu stellen und wie gut erzogene Schulkinder gehorchten sie. - Mein
Gott, was ist nur aus uns geworden? - fuhr es Sawyer durch den Kopf. Als sie brav nebeneinander standen, wurden sie aufgefordert: „So, mitkommen.“, und setzten sich in Bewegung.
Beth und Mick sahen einander mit gemischten Gefühlen an. Mick zuckte die Schultern. Es
ging zum Fahrstuhl, einige Etagen nach oben und dann waren die Alteingesessenen ziemlich
sicher, wieder in der Etage zu sein, wo sie zusammen in den winzigen Wohnungen hatten sein
dürfen. Den Paaren schlugen die Herzen buchstäblich bis in den Hals. Die letzten Tage waren
entsetzlich gewesen und die vage Aussicht, vielleicht wieder zusammen sein zu dürfen, ließ
sie Zittern vor Freude. - Bitte, bitte, bitte. - flehte Kate in Gedanken und sah Sawyer an, der
sich vor Anspannung auf die Lippe biss.
Schließlich kam der Befehl: „Halt.“ Sie standen im Flur, in Reih und Glied nebeneinander, und starrten erwartungsvoll die Wachen an. Man ließ sie stehen. Eine Stunde, zwei
Stunden, die Beine fingen an heftig zu schmerzen, die Füße, der Rücken, aber sie durften sich
nicht rühren. Von ihren übervollen Blasen, die sie in der Zelle ja nicht mehr hatten leeren
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Die Anderen
by Frauke Feind
dürfen ganz zu schweigen. Die Wachen waren lange schon verschwunden, keiner kümmerte
sich um sie und keiner der Gefangenen, einschließlich Beth und Mick wagte, sich zu bewegen, auch nur den Kopf zu drehen, oder etwas zu sagen. House hatte man einen ziemlich
unbequemen Schemel hin gestellt, auf den er sich setzen konnte, aber auch er wagte nicht,
sich zu rühren. Obwohl sein Bein höllisch schmerzte in der verkrampften Haltung, saß er absolut bewegungslos da und harrte der Dinge, die kommen würden. Als die ersten anfingen,
vor Schmerzen gepresst zu atmen und sich immer mehr verkrampften, tat sich endlich etwas.
Am Ende des Flures ging eine Tür auf und zwei Weißkittel näherten sich langsam und lässig
miteinander plaudernd. Als sie bei den Gefangenen anlangten, blieben sie stehen und
musterten diese, abfällig, als sähen sie sie das erste Mal. Dann fing einer der beiden Ärzte,
Wissenschaftler, was immer sie darstellen mochten, an zu Reden.
„Gefangene. Die Eingewöhnungsphase der Neuzugänge ist gut verlaufen, unser
Ehrengast hat sich brav verhalten und ihr dürft zurück in eure Appartements. Es gibt ein paar
Neuerungen, die ihr euch einzuprägen habt. Wir haben eure Räumlichkeiten aus gegebenem
Anlass ein wenig verändert. Ihr habt einen großen Wohntrakt für euch. Bad, Schlafzimmer
und Wohnraum gehören euch paarweise alleine. Essen werdet ihr in einem großen Raum gemeinsam. Der Tagesplan sieht wie folgt aus: Wecken, Frühstück, Sprachunterricht für diejenigen, die noch Mängel aufweisen, Sport, Bildungsunterricht für alle, jedoch abhängig von
eurem Wissen zu unterschiedlichen Themen, Schießübungen für die Betroffenen, für den Rest
von euch entsprechend andere Übungen, abends werden wir kleine Prüfungen vornehmen, ob
ihr dem Unterricht folgen konntet. Wenn ja, werdet ihr dafür kleine Belohnungen erhalten.
Wenn nicht, werdet ihr dementsprechend gestraft. Es liegt also in eurem eigenen Interesse,
euch anzustrengen. Noch etwas: Diese Räume sind mit verschiedenen Sicherheitsmechanismen geschützt, ihr braucht also erst gar nicht auf die Idee zu kommen, irgendwas zu versuchen. Und jetzt, ab zu euren Zimmern und vor den Türen stehen bleiben.“
Ächzend setzten sich die mehr als überraschten Gefangenen in Bewegung, durch eine
Tür vor ihnen. Bei jedem Schritt schossen Schmerzwellen durch ihre inzwischen geschwollenen Füße und Beine. Sie kamen in einen sehr großen Raum, sahen an der gegenüber
liegenden Wand acht Türen und rechts von ihnen stand ein großer Tisch, groß genug, um sie
alle bequem sitzen zu lassen. An den Türen vor ihnen standen ihre Nummern, sodass sie
wussten, welche Räumlichkeit für wen vorgesehen war. Ganz links ging es mit Kate und
Sawyer los. Dann folgten Bones und Booth, Mulder und Scully, Locke und Gibbs, Beth und
Mick, Heather und Jake und den Abschluss bildeten Allison und House sowie Abby und Ziva.
Gehorsam blieben alle vor den Türen ihrer Räume stehen und wieder vergingen einige
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Die Anderen
by Frauke Feind
Minuten, bevor Wachen in den Raum kamen und endlich ihre Handgelenkfesseln lösten.
„Rein jetzt, Pause und in einer Stunde geht es los.“ Die Zähne zusammen beißend, betraten
die Gefangenen ihre Zimmer. Links stand ein Esstisch mit sechs Stühlen, rechts an der Wand
eine Sitzecke mit Tisch, gegenüber davon eine Anrichte mit Fernseher und DVD Player sowie
CD Player. DVDs und CDs standen bereit. Eine weitere Tür führte in das kleine Schlafzimmer, in dem außer den Doppelbetten, auf denen, oh Wunder, Hosen und T-Shirts lagen,
keine weiteren Möbel standen. Dafür ging es links in das Badezimmer. Die Raumeinteilung
war fast identisch mit der aus den Räumen vor der Zurücksiedelung in den Kerker, nur hatten
alle das Gefühl, diese Räume wären ein bisschen größer.
Als die Türen hinter ihnen zu fielen, standen die Gefangenen einen Moment stumm da
und waren wie paralysiert. Dann griff Sawyer nach Kates Hand und zog sie ächzend hinter
sich her zum Bett. Stöhnend vor Schmerzen fielen die Beiden hinein und lagen einfach eine
Weile still. Mit dem allmählichen Abklingen der Schmerzen kamen dann aber andere
Empfindungen hoch. Kate war es, die sich zu Sawyer herum drehte. Eng, so eng es ging,
kuschelte sie sich an ihn. „Ich habe dich so sehr vermisst.“ Ein paar Türen weiter hatte Mick
Beth kurzerhand auf den Arm genommen und zum Bett hinüber getragen. Ihm hatte die
Steherei nichts ausgemacht. Sanft legte er die junge Frau auf das Bett und bemerkte beiläufig,
dass es hier keinen Freezer gab. Beth machte sich ächzend lang und stöhnte: „Meine Güte,
mir tut alles weh ... Oh, Gott, wie halten die anderen es hier bloß schon so lange aus ...“ Mick
lächelte. Dann kniete er sich zu Beth und begann sanft, ihre Füße und Beine zu massieren. Als
er spürte, dass die Verspannungen nachließen, legte er sich zu ihr und nahm sie in den Arm.
Leise sagte er: „Ich habe nicht erwartet, so schnell aus diesem elenden Käfig heraus zu
kommen.“ Sein Blick glitt durch den Raum und seine geschulten Augen entdeckten die kleine
Kamera an der Zimmerdecke neben der Lampe sofort. Im Wohnzimmer drüben war mit
Sicherheit ebenfalls eine angebracht und Mick vermutete, dass auch Mikrofone in den
Räumen verteilt waren. Da half nur eines: Ignorieren.
Alle hatten das Gefühl, keine zehn Minuten Zeit gehabt zu haben, als sie schon wieder
raus zitiert wurden. Sie hatten die Kittel gegen die Shorts und T-Shirts getauscht und hofften,
die Kittel nie wieder tragen zu müssen. House, Allison und Dana wurden einige Etagen nach
oben gebracht, in eines der kleinen Labore, die sie schon zur Genüge kennen gelernt hatten.
Wie sie es gewohnt waren, erhielten sie ihre Anweisungen, was sie tun sollten, an Hand eines
Zettels auf dem Schreibtisch. „Ihr werdet die genaue Auswirkung von Rizin auf den
Organismus von Ratten testen.“ Kurze, klare Anweisungen, mehr gab es nicht. Was sie für
ihre Versuche und Untersuchungen benötigten, lag bereit. „Rizin ... Na, wie überaus schön.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Kann es sein, dass die hier einen unbegrenzten Vorrat an biologischen Kampfmitteln lagern
haben?“ House sah die beiden Frauen an. „Was wisst ihr über Rizin?“ Allison zuckte die
Schultern. „Spezifisch? Nicht viel. Es ist ein beinahe hundertprozentig tödliches Gift, dass
auch blitzschnell wirkt, soweit ich weiß.“ Dana nickte. In ihrer Tätigkeit beim FBI mussten
die Agenten über derartige Kampfstoffe genau Bescheid wissen. So konnte sie erklären: „Bei
oraler Einnahme werden vor allem Zellen des Verdauungstraktes in Mitleidenschaft gezogen.
Magen, Darm, Leber, Nieren werden innerhalb kürzester Zeit irreparabel geschädigt. Letztlich
führt eine Vergiftung mit Rizin auch zu einer Zerstörung der roten Blutkörperchen. Nach der
Aufnahme einer tödlichen Dosis tritt der Tod nach sechsunddreißig bis zweiundsiebzig
Stunden ein. Nach einer Latenzzeit von mehreren Stunden bis Tagen können folgende
Symptome auftreten: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schwäche, Tachykardie, Abdominalschmerzen und akuter Flüssigkeitsverlust. In schweren Fällen kommen Mydriasis 23, Krämpfe
an Händen und Beinen, Fieber sowie die Symptome einer Lebernekrose24 und eines akuten
Nierenversagens dazu. Der Tod erfolgt durch Lähmung medullärer25 Zentren, besonders des
Atemzentrums. Das Gift kann auch inhaliert oder injiziert werden. Die Symptome ändern sich
dementsprechend, es kommt zu Lungenödem und Atemstillstand. Bekannte Symptome treten
etwa vier bis acht Stunden nach dem Verzehr der Samen auf und sind in erster Linie hohes
Fieber, Übelkeit, Erbrechen bis blutiges Erbrechen, blutiger Durchfall, Kolik, Kreislaufkollaps, Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall und Leukozytose26.“ „Es ist doch gut zu
wissen, wie wir Sterben, wenn wir hier Mist bauen, was?“ House sah säuerlich zu Allison und
Dana herüber. Allison nickte. „Ob die noch mehr so nette Überraschungen auf Lager haben?
Na, wir kommen doch nicht drum herum. Dann lasst uns doch einfach mal anfangen.“
*****
Der Tag verging ohne Besonderheiten. Beim Abendbrot, dass wie alle anderen Mahlzeiten jetzt am großen Tisch stattfand, durften sich die Gefangenen ungestört unterhalten. Sie
saßen schon bei Tisch, auf diesem jedoch stand nur Wasser, keine Teller, nichts, was auf
Essen hindeutete. „Was ist, gibt es heute nichts mehr zu Beißen?“, fragte Jake erstaunt.
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Mydriasis ist der medizinische Begriff für die ein- oder beidseitige Weitstellung der Pupille.
Lebernekrose: krankhafte Zerstörung der Zellstruktur, oft hervor gerufen durch Gifte.
Medullär: Die medullären Zentren im Hirnstamm regulieren unter anderem hauptsächlich die Atmung.
Leukozytose: Krankhafter Anstieg der weißen Blutkörperchen.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Mulder sah demonstrativ an sich herunter. „Also, ich habe mein Gewicht noch lange nicht
wieder. Daran kann es nicht liegen.“ Mick saß lässig auf seinem Stuhl, das obligatorische
Glas Blut in der Hand, ein Anblick, an den sich die Anderen bereits gewöhnt hatten, und
grinste. „Tja, Freunde, was immer ihr auch angestellt habt, ich bin davon ganz offensichtlich
nicht betroffen.“ Beth war die Einzige, die etwas zu essen bekommen hatte. Sie schmunzelte
und meinte dann: „Na, ich wohl auch nicht.“ Etwas verlegen begann die junge Frau zu Essen.
House wollte gerade etwas erwidern, da ging die Tür auf und Major Garreau betrat die Arena.
Sie hatte einen Stuhl in der einen Hand, zwei dünne Schnellhefter in der Anderen und ging,
nachdem sie den Stuhl an der Zimmerwand abgestellt hatte, zielstrebig auf Beth und Mick zu.
Beide bekamen einen Hefter in die Hand gedrückt, dann sah Garreau Beth kalt an. „Nicht,
dass wir dich benötigen, aber du wirst diese Fragen trotzdem beantworten. Ihr dürft in euer
Zimmer gehen und habt dreißig Minuten. Ihr anderen dürft eure fertig ausgefüllten Fragebogen holen. Jetzt.“ „Ja, Ma’am.“ Ohne zu zögern erhoben sich alle, aber Garreaus kalte, vor
Sarkasmus regelrecht tropfende Stimme hielt sie noch einmal zurück. „Ihr braucht euch sicher
nicht Händchen halten beim Heranschaffen einiger einfacher Zettel. Es reicht, wenn einer von
euch geht.“ So setzte sich die Hälfte der Gefangenen schnell wieder hin, während die andere
Hälfte in die Zimmer eilte und Augenblicke später mit den schon vor dem überraschenden
Auftauchen von Beth und Micks fertig ausgefüllten Fragebögen wieder an den Tisch zurückkam.
Da der Major im Raum blieb, sie hatte sich auf den mitgebrachten Stuhl gesetzt und
beobachtete die nervösen Gefangenen, kam keine Unterhaltung auf. Einige, wie Sawyer oder
auch House starrten verbissen vor sich hin. Hier wieder einmal gezwungen zu sein, sich
seelisch zu entblättern, machte ihnen ziemliche Schwierigkeiten. Die halbe Stunde, bis Mick
und Beth wieder an den Tisch zurückkamen, schien wie im Fluge zu vergehen. Als sie sich
still wieder an ihren Platz gesetzt hatten, sah Major Garreau sich um. „Ihr seht nicht sehr begeistert aus. Nun, das ändert nichts an der Tatsache, dass wir einen netten Abend verbringen
werden. Wir werden ausgiebig über euch, eure Ängste, eure Hoffnungen sprechen. Nummer
3, lies bitte die Fragen noch einmal vor, und dann geht es fröhlich los.“ Sawyer nickte. „Ja,
Ma’am.“ Dann fing er an, die Fragen laut vorzulesen.
„Nenne alle chirurgischen Eingriffe, die bei dir durchgeführt wurden:
Zähle alle Unfälle auf, die du hattest:
Nenne alle Krankheiten, die du hattest:
Nenne deine fünf hauptsächlichen Ängste:
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Die Anderen
by Frauke Feind
Nenne in deiner Ausbildung erworbene Fertigkeiten, Stärken und Schwächen:
Wurdest du jemals hereingelegt oder ernsthaft gehänselt:
Gewinnst du leicht Freunde:
Sind deine Freundschaften von Dauer:
Informationen über dein Sexualleben
Einstellung deiner Eltern Sexualität gegenüber:
Wann und wie bist du sexuell aufgeklärt worden:
Hattest du im Zusammenhang mit Sex oder Masturbation jemals irgendwelche Angst
- oder Schuldgefühle: (wenn "ja" bitte näher ausführen).
Gibt es irgendwelche Besonderheiten bezüglich deiner ersten sexuellen Erfahrung:
Bist du mit deinem gegenwärtigen Sexualleben zufrieden:
Bist du sexuell in irgendeiner Hinsicht gehemmt:
In welchem Alter hattest du die erste Periode:
Hast du dabei Schmerzen:
Beeinflusst die Periode deine Stimmung:
Daten über deine Familie
Beziehung zu deinen Geschwistern früher und heute:
Beschreibe die Persönlichkeit deines Vaters und seine Einstellung dir gegenüber:
Beschreibe die Persönlichkeit deiner Mutter und ihre Einstellung dir gegenüber:
In welcher Form wurdest du von deinen Eltern bestraft, als du noch ein Kind warst:
Schildere die Atmosphäre in deinem Elternhaus (wie vertrugen die Eltern sich miteinander und mit den Kindern):
Konntest du deinen Eltern vertrauen:
Haben deine Eltern Verständnis für dich gezeigt:
Was haben deine Eltern beruflich gemacht:
Ich bin ein Mensch, der...
Mein ganzes Leben lang...
Von der Zeit an, als ich noch ein Kind war...
Eine Sache auf die ich stolz bin, ist...
Ich gebe ungern zu...
Eine Sache, die ich nicht verzeihen kann, ist...
Eine Sache, bei der ich mich schuldig fühle, ist...
Was ich von meiner Mutter benötigte und was sie mir niemals gab, war...
Was ich von meinem Vater benötigte und was er mir niemals gab, war...
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Die Anderen
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Gibt es in deinem gegenwärtigen Verhalten etwas, das du gerne ändern würdest:
Welche Gefühle möchtest du verändern (zum Beispielintensivieren oder abbauen):
Welche Empfindungen sind besonders angenehm für dich:
Welche Empfindungen sind besonders unangenehm für dich:
Beschreibe eine für dich sehr angenehme Phantasievorstellung:
Beschreibe eine für dich sehr unangenehme Phantasievorstellung:
Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Freude bringt:
Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Kummer bringt:“
Der Major nickte zufrieden. „Na, dann, Freiwillige vor.“ Heather wurde rot, machte
keine Anstalten, den Reigen zu beginnen, aber Dana hatte weniger Probleme. Nach Dana fing
Abby verlegen an, vorzulesen, dann fasste Beth sich ein Herz und las ihren ausgefüllten
Bogen vor. Bei der Frage: „Bist du mit deinem gegenwärtigen Sexualleben zufrieden?“,
wurde die junge Frau rot und sah erst Bones, dann Mick an. Dann las sie ihre Antwort vor.
„Ja, mehr als zufrieden.“ Der Major sah sie scharf an. „Details darfst du uns gerne ersparen.“
Als Beth schließlich fertig war, machte Locke weiter, dann kam Gibbs und dann Mick an die
Reihe. „Nenne alle chirurgischen Eingriffe, die bei dir durchgeführt wurden: Als Kind wurden
mir die Mandeln entfernt. Im Krieg habe ich einen Bauchschuss abbekommen, wurde operiert
und lag über einen Monat im Lazarett. Dann war erst mal nichts mehr, bis ich zum Vampir
wurde. Danach habe ich mir ungefähr dreihundert Kugeln mit einer Zange oder einem Messer
entfernt, oder entfernen lassen, wenn ich nicht alleine dran kam, zählt das als chirurgischer
Eingriff? Messer und andere stechende Gegenstände heraus zu ziehen dann wohl auch.“
„Bin ja gespannt, wie weit Patty diese frechen Antworten zulässt.“
„Na, wie ich unseren Drachen kenne, wird sie demnächst um sich
schlagen.“
„Dann möchte ich nicht einer der armen Schweine da unten sein.“
„Ach, nun übertreib mal nicht. So schlimm ist Patty gar nicht. Ich war vor
kurzem mit ihr Essen.“
„Du warst was? Essen? Mit Patty Deluca?“
„Jepp.“
„Man, Alter. Erzähl. Hat sie dich ran gelassen?“
„Das werde ich dir bestimmt nicht unter die Nase reiben.“
Sawyer, House und Mulder grinsten. Der Major schien das weniger erheiternd zu
finden. „Wir können jederzeit dafür sorgen, dass zu den bisherigen Stichwunden noch ein
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Die Anderen
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paar mehr kommen.“, sagte sie kalt. „Weiter.“, befahl sie dann. Mick las weiter vor und kam
schließlich zur Frage: „Wurdest du jemals hereingelegt oder ernsthaft gehänselt: Zählt gegen
meinen Willen zum Monster gemacht zu werden als Hereinlegen?“ Der Major fixierte Mick
kalt, sagte aber nichts weiter. So machte der Vampir weiter. Schließlich kam er zur letzten
Frage. „Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Kummer bringt: Sonst habe
ich keine Beziehungen. Und was ich über die Beziehung zu euch denke, wollt ihr nicht wissen
...“ Beth zog unwillkürlich den Kopf ein, aber es erfolgte keine Strafe oder Tadel. Ohne Pause
ging es gleich weiter. Kate und Booth waren die Nächsten. Der junge Agent blieb an der
Frage nach der Beziehung mit seinen Eltern hängen. Major Garreau sah ihn scharf an und
sagte dann mit klirrender Kälte in der Stimme: „Du möchtest sicher nicht, dass wir dein Gedächtnis auffrischen, was das Befolgen von klaren Befehlen betrifft, oder? Lass uns alle Teilhaben an deiner Kindheit und kläre deine Freunde hier über einen Punkt in deinem Leben auf,
den du bisher geschickt vermieden hast, anzusprechen.“ Bones warf Booth einen fragenden
Blick zu. Gab es etwas, was sie nicht wusste? Booth wand sich vor Verzweiflung, dann aber
fing er leise an vorzulesen: „Mein Vater ... ist Alkoholiker. Mein Bruder und ich ...“ Er
stockte, und konnte zu seinem großen Ärger nicht verhindern, dass ihm Tränen über die
Wangen kullerten. „Wir wurden als Kinder und Jugendliche ... Er hat uns regelmäßig ...
Verdammt, wir wurden misshandelt ... Er hat uns geschlagen ... Nicht gerade krankenhausreif,
aber stark genug, dass wir oft nicht in die Schule gehen konnten, da die blauen Flecken aufgefallen wären.“
Vollkommen verzweifelt schwieg Booth. Bones, aber auch Kate, House und Locke
sahen den FBI Agent mitleidig an. Und Bones legte ihm einen Arm um die schlanke Taille.
„Ist schon gut, Schatz. Das ist nichts Schlimmes und du kannst nichts dafür. Du brauchst dich
nicht zu schämen.“ Booth brauchte ein paar Minuten, um sich zu fangen, dann las er seine
restlichen Antworten schnell zu Ende vor. Jetzt sah der Major Bones scharf an. Diese nickte.
Dann begann sie, ihre Einträge vorzulesen. Auf die Frage: „Zähle alle Unfälle auf, die du
hattest.“ antwortete Tempe „Ich stürzte als Kind vierzehn Meter in die Tiefe.“ House kniff
die Augen zusammen. Bisher hatte jeder einzelne, abgesehen von Beth und Mick, von einem
fast tödlichen Unfall in der Kindheit berichtet. Bei Booth war es ein Unfall im Pool gewesen,
Dana hatte von einem fast tödlichen Stromschlag berichtet. Kate, das wussten ja alle bereits,
war als Kind verschüttet worden. Heather hatte angegeben, einen Absturz in den Bergen
nahezu unverletzt überlebt zu haben, Locke wäre nach dem Stich einer Wespe in den Hals fast
erstickt. Bei Allison war es Abflussreiniger gewesen, bei Abby der Biss des Hundes mit anschließender Tollwuterkrankung und bei Gibbs ebenfalls ein Badeunfall. House lauschte angespannt, was noch folgen würde.
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Nach Tempe war Ziva an der Reihe. Die junge Agentin las ihre Antworten ruhig vor.
„Ich wäre als Kind fast ertrunken. Und ich hatte ein paar Autounfälle. Okay, fünfzehn Autounfälle. Aber mindestens vier davon waren überhaupt nicht meine Schuld.“ Die Frage nach
den Beziehungen zu ihren Geschwistern beantwortete sie mit: „Mit meinem Halbbruder kam
ich gut klar, bis ich ihn umgebracht habe. Zu meiner Schwester hatte ich ein sehr enges Verhältnis, bis sie umgebracht wurde.“ Beth schauderte. Was diese junge Frau mit gemacht hatte
überstieg ihre Vorstellungskraft. Die letzte Frage beantwortete Ziva auch sehr deutlich: „Da
wären etliche Terroristen, die mir in den letzten Jahren über den Weg gelaufen sind (die sind
aber fast alle tot) mein Vater und natürlich ihr.“ Verbissen schwieg Ziva, halb und halb damit
rechnend, bestraft zu werden, aber es erfolgte keine Maßregelung.
Jake war der Nächste, den der Major scharf anschaute und zähneknirschend las der
junge Mann seine Antworten vor. „Minderwertigkeitsgefühle, kann keine Entscheidungen
treffen, kann keine Arbeitsstelle behalten.“ „So schätzt du dich selbst ein? Das finde ich sehr
interessant.“ Major Garreau taxierte Jake und sagte dann: „Weiter, 2.“ Und Nummer 2 las
weiter. „Wertlos, ein Niemand, unzulänglich, Schuldgefühle, gehetzt, feige, deprimiert, ruhelos.“ Heather konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Wenn sie doch
nur irgendetwas hätte tun können, um Jake ein besseres Bild von sich zu vermitteln. Die Gefangenen schauten betroffen auf den Tisch und vermieden es, Jake anzuschauen. Dieser
machte leise weiter. Schließlich kam er zur letzten Frage. „Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Kummer bringt: Die zu meinem Vater und zu meinem Bruder. Meine
Gefühle sind da ambivalent. Ach, und ehe ich es vergesse, die Beziehung mit euch macht
auch nicht viel Spaß.“ Auch bei ihm erfolgte keine Ermahnung. House war aufgefallen, dass
auch Jake ein Nahtod-Erlebnis gehabt hatte. Ertrinken. Er war gespannt, was bei Sawyer und
Mulder kommen würde.
Sawyer musste jetzt in den sauren Apfel beißen und starrte verbissen auf den Fragebogen, las dann leise vor. „Nächtliche Ängste, Ängste, Bettnässen, unglückliche Kindheit.“
Er konnte seinen Leidensgenossen nicht in die Augen schauen und las weiter. „Krankheiten,
die ich hatte: Als Kind hatte ich eine sehr schwere Angina, danach sind die Mandeln entfernt
worden, ich kann mich nicht erinnern, außer nach Boxkämpfen im Knast noch was gehabt zu
haben. Okay, als junger Mann hab ich mir mal einen Tripper geholt. Und natürlich die kleinen
Späße, die ich hier so einstecken musste.“ Unwillkürlich zog er den Kopf ein. Hastig las er
weiter vor. „Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Müdigkeit, Albträume, Gespanntheit, Selbstmordgedanken, will keine Freunde gewinnen, Minderwertigkeitsgefühle, Einsamkeit, wertlos,
ein Niemand, das Leben ist ... war leer, Schuldgefühle, verworfen, feindselig, voller Hass,
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aggressiv, ruhelos, deprimiert, einsam, ungeliebt, voller Vorwürfe.“ Er schwieg, musste einige
Male tief durch atmen. Bei der Frage nach „Ich bin ein Mensch der ...“, warf er Kate einen
entschuldigenden Blick zu. Der jungen Frau standen, wie Heather, Tränen in den Augen. „...
Angst vor Bindungen hatte und immer noch hat ...“ Als er auf die Frage, worauf er stolz sei,
vorlas: „Nichts, absolut nichts.“, konnte Kate die Tränen nicht mehr zurück halten. Leise las
Sawyer die Antwort auf die Frage nach den Beziehungen, die ihm Freude bereiteten vor. „Das
Zusammensein mit Kate. Ich mag Mulder, und alle anderen hier ...“ Schließlich hatte er alles
vorgelesen und schwieg, erschöpft, fertig.
Nun musste House vortragen, Garreau sah ihn auffordernd an. Schnell und ohne
Pausen las der Arzt seine Antworten vor. Er stockte allerdings an einer Stelle. „Beschreibe die
Persönlichkeit deines Vaters und seine Einstellung dir gegenüber: Er ist ein Arschloch.
Dominant, hatte Spaß daran mich zu quälen. Ihr würdet ihn mögen.“ Erschrocken sog Allison
die Luft ein, aber selbst jetzt erfolgte kein Verweis. House machte weiter und schloss mit der
Frage nach den Beziehungen, die ihm Kummer bereiteten. „Die zu allen anderen Menschen.
Menschen nerven. Okay, einige von den anderen Gefangenen hier nerven weniger als andere
Leute. Einige sind ganz okay.“ Er warf seinen Fragebogen angewidert auf den Tisch. Und
wartete gespannt auf Mulder. Hatte auch der FBI Agent einen schweren Unfall in der Kindheit gehabt, war das eine weitere Verbindung, die sie alle hatten. Mulder ließ sich auch nicht
lange bitten. Er las nun als Letzter seine Antworten vor. House war nicht mehr überrascht,
dass Mulder angab, als Kind um Haaresbreite ertrunken zu sein. Auf die Frage zu Angst oder
Schuldgefühlen in Bezug auf Sex grinste Mulder wie ein Junge. „Ich habe eine Pornosammlung, die Beate Uhse neidisch machen würde. Scully weiß das. Nein, ich habe weder
Angst noch Schuldgefühle.“ Scully verdrehte die Augen. Wie so oft dachte sie - Du hast zwei
Söhne, Dana. - und sah Mulder verliebt an. Und dieser machte weiter. Schließlich war er bei
der letzten Frage angelangt. „Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Freude
bringt. Nun, abgesehen von Scully habe ich hier einige Menschen getroffen, die mir sehr
wertvoll sind. Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Kummer bringt. Ich
habe hier aber auch sehr viele Menschen getroffen, die ich gerne umbringen möchte, wenn ich
das so sagen darf.“
Erst einmal herrschte Schweigen. In Mulders und House’ Gesichtern arbeitete es. Dem
Major entging das nicht. Sie trat hinter Mulder und legte diesem leutselig eine Hand auf die
Schulter. Angewidert verzog Spooky das Gesicht. Er musste sich mit aller Kraft beherrschen,
um die Hand nicht einfach abzuschütteln. „Nun, FBI Special Agent Fox William Mulder,
Dienstmarken Nummer JTT04701111, lass uns an deinen geistigen Ergüssen teilhaben. Ich
sehe dir an, dass dein überragendes Hirn etwas ausbrütet.“ Mulder überlegte kurz, dann bat er
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Die Anderen
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„Ma’am, darf ich mir Notizen machen, bitte?“ Garreau lachte. Sie drückte Mulder einen Stift
in die Hand und dieser legte mit einigen Strichen eine Liste auf der Rückseite der letzten Seite
seines Fragebogens an. Bei einigen wenigen musste er noch einmal nachfragen, aber dann
war seine Liste fertig.
Name
Booth
Jake
Sawyer
House
Ziva
Bones
Dana
Kate
Heather
Allison
Locke
Abby
Mulder
Gibbs
Vater
US Army Pilot: Captain
US Marine: First Leutnant
Ehem. US Army: Private First
Class
US Army: Colonel
Ehem. Dienst US Navy: Petty
Officer 3.rd Class,
Ehem. US Army: Staff Sergeant
US Navy: Leutnant Commander
US Army: Sergeant
Ehem. US Army: Private First
Class
US Army: Sergeant Major
Ehem. US Army: Corporal
Ehem. US Army Ranger: Corporal
Ehem. US Navy: Captain
US Navy: Leutnant Commander
„Deine Erkenntnis, 15?“ Garreau fragte lauernd. Mulder sah ungläubig auf die Liste
herunter. Dann erklärte er leise: „Der Vater jedes Einzelnen von uns war in der Army. Ist das
ein Zufall?“ House fuhr dazwischen. „Lege eine zweite Liste an, Meister. Mach schon.“
Garreau ließ sie gewähren ...
Name
Booth
Jake
Unfall
Fast ertrunken
Fast ertrunken
343
Die Anderen
by Frauke Feind
Sawyer
House
Ziva
Bones
Dana
Kate
Heather
Allison
Locke
Abby
Mulder
Gibbs
Fast ertrunken
Kobrabiss
Fast ertrunken
Tiefer Sturz
Schwerer Stromschlag
Verschüttet
Tiefer Sturz
Vergiftung mit Abflussreiniger
Wespenstich, fast erstickt
Tollwut
Fast ertrunken
Fast ertrunken
Sprachlos starrten alle Gefangenen, einschließlich Beth und Mick, die von dieser
überwältigenden Neuigkeit nicht betroffen waren, vor sich hin. Und House setzte noch einen
drauf. „Ist euch je aufgefallen, dass ihr ... Überlegt mal, wem von euch allen wird gute Heilhaut nachgesagt?“ Er selbst hob die Hand, Allison folgte und nach und nach reckten sich
zwölf weitere Hände in die Höhe. Sprachlosigkeit herrschte erst einmal am Tisch. Major
Garreau stand immer noch hinter Mulder und erklärte gut gelaunt: „Na, da haben wir ja etwas,
worüber wir nachdenken können, was? Nun aber, da wir gerade so schön aufgeschlossen sind,
machen wir mal weiter. Ich möchte, dass jeder von euch seine Ängste mit eigenen Worten
beschreibt, die Physischen, also die Ängste vor realen Gefahren ebenso wie die rein
Psychischen, verstanden? Und weil ihr alle so schön zählen gelernt habt, machen wir es
wieder wie gehabt, den Nummern nach.“
Über die Angst
Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage: wovor?
Frank Thieß
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Die Anderen
by Frauke Feind
Garreau ließ den Gefangenen kurz Zeit, über das Gefragte nachzudenken, dann sah sie
Booth an. Dieser senkte den Blick auf den Tisch vor ihm, schloss kurz die Augen und seufzte.
Dann fing er leise an zu Reden. „Das ich ... Was soll’s, dass ich eine höllische Angst vorm
Zahnarzt habe, ist wohl keinem von euch entgangen. Die ... sanften Behandlungsmethoden
hier waren da sicher hilfreich ...“ Bevor Booth es noch verhindern konnte, waren ihm die
Worte schon heraus gerutscht. Er zog den Kopf ein und redete hastig weiter. „Ich mag keine
Clowns ... Ob das, wie Bones meint, schon ... naja, eine Phobie ist, weiß ich nicht, wie
definiert man Phobie? Wenn man schreiend vor etwas weg läuft? Das tue ich sicher nicht,
aber ich hab die bunten Kameraden einfach nicht gerne in meiner unmittelbaren Nähe.“ Er
machte erneut eine kurze Pause, dann fuhr er fort: „Ich weiß nicht, ob es hier nur um die wirklich schlimmen Ängste geht.“ Er warf Garreau einen fragenden Blick zu. Diese schüttelte den
Kopf und erklärte: „Nicht zwangsläufig, nicht jeder hier hat ausgewachsene Phobien. Ich
möchte alles hören, was euch ängstigt.“ Booth biss sich auf die Lippe, dann meinte er: „Ich
habe große Angst davor, dass meinem Sohn oder Bones etwas zustößt. Dank unserer lieben
Gastgeber dürften wir wohl alle den Begriff Verlustangst für uns neu definieren. Ich muss
leider auch zugeben, dass ich inzwischen eine nicht unwesentliche Angst davor habe, keine
Luft mehr zu bekommen ...“ Verlegen verstummte Booth und sah Jake herausfordernd an.
Garreau jedoch war noch nicht ganz zufrieden.
„Nummer 1, ich möchte, dass du uns etwas über die Tatsache erzählst, dass du es
hasst, die Kontrolle über Situationen zu verlieren.“ Booth nickte ergeben. „Ich glaube, das
haben wohl inzwischen viele von uns, ich konnte es allerdings auch vorher schon nicht leiden.
Ich ... Meine Ex meinte immer, ich sei ein Kontrollfreak, allerdings habe ich daran hart gearbeitet. Ich habe das Gefühl, wenn ich nicht alles in meiner Umgebung unter Kontrolle habe,
zu versagen. Ach, und ehe ich es vergesse, ich habe ziemliche Panik davor, rückfällig zu
werden ... Spielsucht, okay.“ Der Major nickte zufrieden. Sie sah zu Jake hinüber und meinte
dann beinahe sanft: „Nun, Nummer 2, und denke daran, wie ihr alle hier übrigens, dass ich
eure Ängste kenne, also versucht gar nicht erst, etwas zu verheimlichen, ihr wisst, wir sind
durchaus im Stande, euren teilweise erheblichen Ängsten noch ein paar weitere hinzu zu
fügen ...“ Sie ließ diese Drohung im Raum schweben.
Jake malte mit dem linken Zeigefinger unbewusst auf der Tischplatte herum. Leise
fing er an zu sprechen. „Wie Booth schon sagte, sind hier natürlich einige Ängste gefördert
worden. Allen voran die Angst, Heather zu verlieren. Das ist wohl aber normal, in einer
Situation wie dieser hier. Ich ... Während eines Einsatzes wäre ich fast mal erfroren. Ich habe
seit dem eine ziemliche Angst davor, großer Kälte ausgesetzt zu sein. Dann ... Seit meiner
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Die Anderen
by Frauke Feind
Kindheit schon habe ich ...“ Er wurde feuerrot und verstummte hoffnungslos verlegen.
Garreau sah ihn streng an und schaute dann wie zufällig zu Heather hinüber. Jake beeilte sich,
fortzufahren „Ich habe ... Oh, man, ich habe eine ausgewachsene Schlangenphobie.“ Jake saß
mit hochrotem Kopf am Tisch und wand sich vor Verlegenheit. „Schon seit ich ein Kind war
... Ich kann nicht sagen, warum. Ich weiß verstandesmäßig selbst, dass die meisten Schlangen
einem nichts tun, wenn man sie in Frieden lässt, aber mein Körper macht beim Anblick einer
Schlange genau das Gegenteil von dem, was er sollte ...“ Garreau fixierte Jake. „Dem werden
wir uns noch widmen, erzähle erst einmal von deiner Angst, zu erfrieren.“
Jake war bei dem Hinweis auf das Widmen blass geworden und sein Herz raste plötzlich. Atemlos sagte er: „Was soll ich da groß sagen ... Dieses Gefühl, nichts dagegen machen
zu können, dass man immer benommener, immer müder wird und schließlich den Wunsch
hat, einfach nur noch einzuschlafen in dem sicheren Bewusstsein, nie wieder aufzuwachen ist
eine ganz andere Art von Bedrohung, als zum Beispiel beschossen zu werden. Man fühlt sich
irgendwie hilfloser.“ Garreau sah Bones an. „Definiere Kältetod, Nummer 6.“ Leise erklärte
diese: „Ja, Ma’am. Der Nucleus preopticus im Hypothalamus ...“ Garreau unterbrach die
junge Frau. „Nummer 6, so, dass alle es verstehen, klar?“ Bones nickte. „Entschuldigung, ja,
natürlich, Ma’am. Also, aufgrund des Wärmeregulationszentrums im Gehirn kann der
menschliche Körper die Körpertemperatur konstant bei 37ºC halten, allerdings nicht für unbegrenzte Zeit. Wenn der Wärmeverlust bei einem Aufenthalt in heftiger Kälte größer wird
als die vom Körper mögliche Wärmeproduktion kommt es zur Unterkühlung. Von allgemeiner Unterkühlung spricht man bei einer Körpertemperatur unter 35ºC. Ein Absinken der
Körperkerntemperatur unter 26ºC bis 28 ºC führt neben einer deutlichen Verlangsamung der
Stoffwechselvorgänge schließlich zur Atemlähmung und Herzrhythmusstörungen, und dann
zum Exitus. Eine Abnahme der Herzleistung und der Sauerstoffversorgung der Körpergewebe
führt unter anderem zu Hirnfunktionsstörungen, geminderte Kritikfähigkeit, Benommenheit
und Bewusstlosigkeit. Bei einer Unterkühlung treten Sinnestäuschungen und euphorische
Zustände auf, was infolge eines paradoxen Wärmegefühls vor Eintritt der Bewusstlosigkeit
dazu führt, dass sich Unterkühlte oft entkleiden. Dies kann beim Auffinden von Kälteopfern
leicht den Eindruck erwecken, dass es sich um ein Sexualdelikt handelt.“ Bones schwieg.
Garreau schien zufrieden. Sie wandte sich Sawyer zu.
„Nicht, dass es nicht schon zur Sprache gekommen ist ... Ich habe extreme Verlustangst, gepaart mit Bindungsängsten. Allerdings kann ich sagen, dass es dank des Kuraufenthaltes hier besser geworden ist. Jedenfalls die Bindungsangst. Als Kind habe ich große Angst
vor lauten Knalls gehabt. Nach den tödlichen Schüssen meines Vaters kein Wunder. Ich
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Die Anderen
by Frauke Feind
reagiere etwas empfindlich auf Kopfschmerzen, habe eine Heidenangst davor, einen Hirntumor zu bekommen. Soll ja erblich sein ...“ Sawyers Stimme wurde immer leiser, er schämte
sich wie Jake, seine Ängste hier so offen legen zu müssen. Aber er redete weiter. „Sehr große
Angst, die größte Angst überhaupt, habe ich davor, Kate zu verlieren. Mein eigenes Leben
war mir nie wichtig und wenn Kate nicht wäre, nun, wie soll ich es ausdrücken ... Dann wäre
ich schon lange nicht mehr hier.“ Garreau grinste gemein. „Den Wunsch verspürst du jetzt
nicht mehr? Das ist doch sehr schön zu wissen. Du hast, wie 1 und 2, keine übermäßige Angst
vor Schmerzen?“ Sawyer zuckte die Schultern. „Wer mag schon Schmerzen, abgesehen von
ein paar wenigen, kranken Menschen? Ich mag sie jedenfalls auch nicht, und ein gewisses
Maß an Angst hat wohl jeder, der nicht einen Knall hat. Aber ich ... Ich gerate nicht in Panik
bei dem Gedanken, dass etwas wehtun könnte, nein.“ Garreau sah Sawyer scharf an.
Gnadenlos erklärte sie: „Komm schon, Nummer 3, da gibt es noch etwas, dass du bisher
keinem verraten hast, nicht mal deinem Betthäschen.“ Sawyer lief dunkelrot an. Dann
flüsterte er: „Ich habe ... panische Angst vor ... Spinnen ...“ „Auch damit werden wir uns beschäftigen.“ Garreau sah Sawyer lange an und nickte.
„Das sieht bei dir genau anders herum aus, Nummer 4, richtig?“ Garreau zuckte zu
House herum. Ertappt und überrascht stieß dieser hervor „Ja, Ma’am, scheint wohl so, ich
habe keine Arachnophobie, dafür ... Ich habe Angst vor Schmerzen, ja, sonst wäre ich nicht
Vicodin süchtig geworden. Wenn ich auch einen gewissen Selbstzerstörungstrieb mein Eigen
nennen könnte, resultiert diese Selbstzerstörung nicht zwangsläufig in Schmerzen. Wer wie
ich die Schmerzen eines Muskelinfarktes kennen lernen durfte, wird nachvollziehen können,
dass es deutlich angenehmeres im Leben gibt. Ich habe kein Problem damit, zuzugeben, dass
ich höllische Manschetten vor Schmerzen habe. Und ich habe ebenfalls starke Bindungsängste, das streite ich nicht ab. Keiner sollte jedoch den Fehler machen, meine Angst vor Verlusten und Schmerzen mit einem Mangel an Mut in Verbindung zu bringen.“ Keiner in der
Runde lachte oder verzog auch nur die Lippen. Alle hatten kennen gelernt, dass House sehr
wohl Mut hatte. Garreau sah Ziva an. Diese nickte unmerklich. Ruhig sagte sie: „Ich leide an
extremer Klaustrophobie. Ich weiß nicht, warum ich das tue, ich weiß nur, dass es so ist. Ich
werde wahnsinnig, wenn man mich in enge, kleine Räume sperrt. Das war bei der Kiste ja
sicher überdeutlich zu sehen. Ansonsten wüsste ich nicht, dass mir irgendetwas so viel Angst
macht, dass es hier erwähnenswert wäre.“
Garreau schien das ähnlich zu sehen, denn sie sah bereits Bones an. „Ich ... Okay, ich
weiß von keinen physischen Ängsten, abgesehen davon, dass ich irrationaler weise eine gewisse Abneigung gegen große Mengen von Schlangen habe. Andererseits kann ich problem347
Die Anderen
by Frauke Feind
los einzelne Schlangen in meiner Nähe ertragen, habe kein Problem, sie anzufassen. Da man
nun im Allgemeinen nicht auf größere Ansammlungen von Schlangen trifft, empfinde ich die
Angst vor großen Mengen dieser Tiere nicht als Belastung. Auch eine gewisse Verlustangst
gestatte ich mir, ohne deswegen in Depressionen zu verfallen, niemand möchte Menschen, die
lieb und teuer sind, verlieren. Diese Angst resultiert also eindeutig aus einem gesunden
Selbstschutz heraus und ist daher nicht unnormal. Sie beeinträchtigt mein Leben nicht. Echte
Phobien tun dies. Dadurch, dass ich zugebe, dass ich Booth liebe und dadurch, dass ich gemerkt habe, dass mir viele meiner Mitgefangenen sehr am Herzen liegen, habe ich einen
großen Schritt in Richtung normaler sozialer Kontaktknüpfung getan. Somit muss ich zugeben, dass mir der Aufenthalt hier nicht nur Negatives gebracht hat.“
Booth musste sich weg drehen, damit Bones sein Grinsen nicht sah. Sie war einmalig.
Nicht genug, dass sie sich selbst präzise analysierte, nein, sie therapierte sich auch noch
gleich selbst und bewertete diese Therapie obendrein auch noch selbstständig. Der Major
schien aber mit Bones Analyse durchaus zufrieden zu sein, denn die Frau wandte sich Dana
zu. „Nun, Nummer 7, abgesehen von deiner ständigen, durchaus verständlichen Angst um
Nummer 15, der ja bekannter maßen ein wenig ... unfallgefährdet ist, worin liegen deine
Ängste?“ Dana war klar, dass sie unter einer deutlichen Ophiophobie, der heftigen Angst vor
Schlangen, egal, wie viele, litt, wie Jake. Verlegen erklärte sie: „Im Gegensatz zu Temperance
habe ich eine ausgewachsene Schlangenphobie, ich nehme an, wie Jake. Mein älterer Bruder
hat es als Jugendlicher einmal sehr witzig gefunden, mir eine harmlose Kornnatter in mein
Bett zu legen. Ich habe einen hysterischen Schreikrampf bekommen, mein Bruder vier
Wochen Hausarrest und ich durfte mich danach mit der panischen Angst vor allem, was keine
Beine hatte, herum schlagen. Glücklicherweise bin ich sonst kein ängstlicher Mensch, das
könnte ich in meinem Job auch nicht gebrauchen.“ Dana schwieg verschämt und wie schon
bei Jake, sowie bei Sawyer und den Spinnen meinte Garreau leise, aber klar vernehmlich: „Da
werden wir uns drum kümmern ... Nun, Nummer 8, lass uns Einblick in deine Ängste bekommen.“
Kate nickte. „Ja, also, ich habe wohl, wie Ziva, akute Platzangst. Seitdem ich als Kind
unter dem Sand verschüttet war ... Naja, und dann das ständige eingesperrt sein im Keller, im
Schrank, stundenlang, bei ziemlicher Dunkelheit ... Ich ertrage enge Räume nicht, dunkle
enge Räume noch weniger. Am Schlimmsten ist es, wenn ich in meinen Bewegungen zusätzlich eingeschränkt bin. Ohne Sawyer hätte ich die Kiste nicht unbeschadet überstanden. Sonst
habe ich glaube ich nur normale Ängste, wie jeder Mensch. Die Angst davor, Sawyer zu verlieren ... Sie ist ... sie ist das Schlimmste überhaupt. Ich würde wirklich alles tun ... alles.“
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Kate sah Sawyer an und griff unbewusst nach seiner Hand. „Die Gelegenheit bekommst du
vielleicht noch. Okay, Nummer 9?“ Heather zuckte zusammen und stotterte: „Ich habe keine
... Ich glaube nicht, dass ... Eine richtige Phobie habe ich bestimmt nicht. Mich ängstigen
Dinge, die jeden Menschen ängstigen. Aber nichts davon so, dass ich ... naja, wirklich eine
Belastung ist nichts davon. Die größte Angst ist ... wie bei Kate, dass Jake etwas ... Das
könnte ich nicht ... Aber sonst habe ich keine übertriebenen Ängste.“ Verlegen schwieg sie
und Garreau machte gleich weiter.
„Nummer 10?“ Allison stieß hervor „Ja, Ma’am. Höhenangst. Ich leide an
Akrophobie. Das ist manchmal sehr unangenehm. Wenn ich sehen kann, wie tief es runter
geht ... Davor habe ich entsetzliche Angst.“ Garreau nickte nur und sah dann Beth an. Diese
erklärte: „Ich weiß, eigentlich bin ich nicht wichtig, oder? Aber wenn Sie mich schon Fragen,
Ma’am: Nadeln. Ich verabscheue und fürchte alles, was wie eine Nadel aussieht, die man in
mich pieksen kann. Sonst habe ich meines Wissens keine Angststörungen.“ Garreau musterte
Beth abfällig. „Wenn du wüsstest, wie Recht du hast. Du bist tatsächlich unwichtig und überflüssig, im Gegensatz zu Mr. Magic hier.“ Beth war, wie Mick, unter den kalten Worten zusammen gezuckt. Mit Tränen in den Augen starrte sie auf die Tischplatte. Es war nicht zu
fassen, wie erniedrigend und demütigend es war, ständig gesagt zu bekommen, dass man
vollkommen bedeutungslos, wertlos war. Die Journalistin, die sonst nie über Mangel an
Selbstbewusstsein zu Klagen gehabt hatte, musste sich zwingen, nicht in Depressionen zu
verfallen. Verzweifelt stieß sie hervor: „Ich bin nicht überflüssig.“ Sie spürte Micks Hand auf
ihrer eigenen und hörte Garreau lachen.
Locke hatte die kleine Szene bedrückt beobachtet und um Beth weitere Erniedrigungen zu ersparen, fing er hastig an, zu Reden. „Ich habe Zeit Lebens darunter gelitten,
dass man mich wegen meiner seltsamen Fähigkeiten ausgelacht hat. Ich hatte entsetzliche
Angst davor, sie zu zeigen, weil ich genau wusste, es würde nur Hohn und Spott hervorrufen.
Erst bei den Aborigines in Australien habe ich gelernt, stolz auf meine ... Gabe zu sein. Ich
glaube, heute könnte ich es unbeeinträchtigt ertragen, wenn man mich verhöhnt. Physisch
habe ich ziemliche Angst davor, bewegungsunfähig gemacht zu werden. Es ist ... Als ich nach
dem Angriff meines ... Erzeugers gelähmt war, im Rollstuhl sitzen musste, war es die Hölle
für mich. Bewegungsunfähig sein, durch äußere Umstände, assoziiere ich immer mit der
Lähmung und es verursacht mir nackte Panik.“ Locke schwieg, Major Garreau machte eine
weitere Notiz in ihr PDA und sah dann unmittelbar Mick an. „13, die Frage, ob du vor
Vampiren Angst hast, erübrigt sich bei dir, also sei so nett, und teile deinen menschlichen
Mitgefangenen mit, wovor ein Untoter wohl Angst haben könnte.“
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Die Anderen
by Frauke Feind
Innerlich frustriert den Kopf schüttelnd über die Gemeinheit, zu der Garreau so locker
fähig war, erklärte Mick: „Ich fürchte, die meisten meiner Ängste haben wenig mit der Tatsache zu tun, dass ich untot bin. Sie sind nur zu menschlich. Ich empfinde Schmerzen zum
Beispielwie ein Mensch, und mag sie daher genau so viel oder eher wenig wie jeder normale
Mensch. Einige Dinge, die mir als Mensch große Angst gemacht haben, sind mit meiner
Umwandlung vollkommen verschwunden. So hatte ich als Mensch ebenfalls unter starker
Höhenangst zu leiden. Das ist nach der Wandlung natürlich verschwunden. Ich ... Heute ist
meine einzige und größte Angst die ...“ Er schwieg kurz, dann stieß er hervor: „Ich könnte es
nicht ertragen, einen Unschuldigen zu verletzen. Ich habe panische Angst davor, die Kontrolle
über mich zu verlieren und Beth anzugreifen. Deshalb habe ich so lange gezögert, eine Beziehung mit ihr anzufangen. Ich hasse und verfluche meine Ex-Frau für das, was sie aus mir
gemacht hat. Ich hasse nichts mehr als das, was ich bin.“ Garreau und die Mitgefangenen
hatten aufmerksam zu gehört. Den Anderen tat der junge Mann unendlich leid. Garreau
jedoch sah ihn an und kniff die Augen zusammen. Dann sagte sie sehr leise etwas in ihr
Headset und befahl Mick, aufzustehen und neben sie zu treten.
Mit einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch erhob Mick sich und ging zu Major
Garreau hinüber. Er stellte sich neben die Frau und in diesem Moment ging die Tür auf und
ein Wachposten kam herein, gefolgt von einigen weiteren Wachen, die eigenartigerweise
automatische Waffen in den Händen hielten. Mick beobachtete, wie der erste Wachmann
Garreau einen länglichen Kasten in die Hand drückte und dann hinter Mick trat. Er griff nach
dessen Handgelenken und ließ die Karabiner ineinander schnappen. Garreau nickte und der
Wachposten trat zurück. Die Frau erhob sich und trat mit dem Kasten in der Hand hinter
Mick. Im Raum herrschte eisiges Schweigen, fast schienen die Gefangenen das Atmen eingestellt zu haben. In die herrschende Stille hinein schoss der Major die nächsten Worte an
Mick ab. „Geh auf die Knie.“ Beth stöhnte entsetzt auf, Mick spürte eine Gänsehaut über
seinen Rücken krabbeln. Langsam ging er auf die Knie nieder. Immer verängstigter beobachteten die Anderen, was weiter geschah. Garreau öffnete den Kasten und Beth entfuhr ein
entsetztes Wimmern, als sie nun sah, was der Kasten beinhaltete. Aber nicht nur Beth konnte
einen Laut des Entsetzens nicht mehr unterdrücken. Ein kollektives Ächzen ging durch die
Gefangenen. Mick brauchte kein Hellseher sein, um zu wissen, was der Major aus dem
Kasten gezogen hatte. Die Frau hielt ein schmales, sehr scharf aussehendes Schwert in der
Hand.
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Ruhig sagte sie: „Nun, Mick St. John, wenn du es so sehr verabscheust, zu sein, was
du nun einmal bist, ein Monster, ein Untoter, der nie wieder ein normales Leben wird führen
können, verdammt dazu, dich von Blut lebender Wesen zu ernähren, warum, so frage ich
mich, hast du dann deinem Dasein nicht schon lange ein Ende gesetzt?“ Mick wurde unwillkürlich steif und Beth schluchzte vollkommen hysterisch auf. Der Vampir starrte blicklos
vor sich hin. Dann sagte er leise: „Ich weiß es nicht, Ma’am.“ „Hast du vielleicht Angst, es
selbst zu tun? Ich nehme dir diese Arbeit gerne ab.“ Kalt kamen diese Worte und Mick erstarrte förmlich. Garreau trat seitlich neben Mick, der nun das Schwert als japanisches Soshu
Kitae Katana Schwert identifizieren konnte. Er kannte sich mit japanischen Schwertern aus,
dieses hier war eine Meisterarbeit, sicher einige tausend US Dollar wert und absolut geeignet,
jemandem den Kopf von den Schultern zu holen. Hätte Micks Herz noch geschlagen, es hätte
jetzt einen wilden Trommelwirbel von sich gegeben. Am Tisch herrschte, bis auf Beth‘ verzweifeltes Schluchzen, Totenstille. Und dann fragte Garreau nach: „Nun, wie sieht es aus?
Soll ich das gute Werk vollbringen und dich von deinen Qualen erlösen?“ Mick sah starr
geradeaus. Dann sagte er leise: „Habe ich noch eine Wahl?“ Garreau lachte kalt. Kalt sagte
sie: „Nein, nicht wirklich.“, und holte mit dem Schwert aus.
Mick sah mit panisch aufgerissenen Augen die Klinge auf sich zu kommen, hörte
Beth’ gellenden Schrei, der sich mit Entsetzensschreien der anderen Gefangenen vermischte
und keuchte auf, als die Klinge unmittelbar vor seinem Hals zitternd in der Luft stehen blieb.
Er spürte den rasiermesserscharfen Stahl an seiner Haut und konnte nicht verhindern, dass
sein Oberkörper sich unwillkürlich zurück lehnte, in der Hoffnung, der Schneide entkommen
zu können. Diese folgte ihm jedoch, als wäre sie mittels Magneten mit seiner Haut verbunden.
Schließlich konnte er nicht weiter zurück, ohne das Gleichgewicht zu verlieren und stoppte
resigniert die Bewegung. Ergeben schloss er die Augen und wartete. Und zuckte heftig zusammen, als er die kalte Stimme des Majors hörte: „Nun, Mr. Vampir, so stark scheint die
Abneigung gegen deine Daseinsform nicht zu sein, dass du nicht Angst hättest, diese auch
noch zu verlieren, was?“ Sie packte Mick an den Haaren und zwang ihn so, zu ihr aufzusehen.
„Scheint wohl so, Ma’am, ja.“, zwang Mick sich, zu antworten. Mit einer verächtlichen Geste
ließ Garreau seine Haare los und befahl dem Vampir: „Sieh bloß zu, dass du auf deinen Platz
zurück kommst, du elender Heuchler. Nicht gerade eine beruhigende Vorstellung, dass noch
nicht einmal der Tod das Heucheln der Menschen beendet.“
Mick wäre rot geworden, wäre er noch dazu im Stande gewesen. Er stemmte sich auf
die Beine und zögerte sekundenlang, wartete, dass seine Handfesseln gelöst würden, aber
nichts dergleichen geschah, und so ging er mit gefesselten Händen an seinen Platz zurück.
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Die Anderen
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Beth fiel ihm weinend um den Hals und klammerte sich an ihm fest. Die Wachen, die die
ganze Zeit über die Gefangenen scharf im Auge behalten hatten, entspannten sich und verließen dann den Raum. Garreau wartete einen Moment, dann wandte sie sich leutselig an
Abby. Als säßen sie in einer gemütlichen Teerunde, fragte sie die hoffnungslos geschockte
junge Frau: „Nun, Nummer 14, wo liegen denn deine Ängste?“ Abby musste erst einmal in
die Realität zurück finden. Dann stotterte sie vollkommen fertig: „Hunde, Ma’am ... Ich ... ich
sterbe, wenn sich mir ein Hund nähert. Ich ... Ihr seid ... Oh, Gott.“ Ungeduldig fuhr der
Major sie an. „Wir? Ich wüsste nicht, dass ich dich um eine kuriose Meinung über uns gebeten habe, Nummer 14. Wenn du nicht sofort von deinen Ängsten berichtest, sehe ich mich
gezwungen, diesen noch eine Weitere hinzu zu fügen.“ Entsetzt stammelte Abby: „Aber ich ...
Es sind nur Hunde ... Ich hatte einige Zeit Angst, in den Obduktionsraum zu gehen und Ducky
... Aber das ist vorbei. Ich habe sonst keine ...“ Sie verstummte. Und Garreau schien erstaunlicherweise zufrieden, denn sie sah jetzt nicht Mulder an, sondern Gibbs.
„Gunny, wovor hat ein Killer wie du Angst?“ Gibbs sah etwas überrascht auf. Er hatte
mit Mulder gerechnet, der nicht minder erstaunt guckte. Er war sich sicher, dass Garreau ihn
bestimmt nicht vergessen würde. Gibbs sah den Major ruhig an. „Ich bin in wenigen Jahren
sechzig, meine Frau und meine einzige Tochter wurden brutal ermordet, was denken Sie
denn, was mir noch Angst machen könnte?“ Garreau schmunzelte wie ein Krokodil. „Das
sollst du mir erzählen, Gibbs.“ Dass sie den NCIS Agent mit Namen ansprach, fiel sofort
allen auf, aber selbstverständlich reagierte keiner darauf, auch Gibbs selbst nicht. Gelassen
erklärte er: „Ihr wisst selbstverständlich, dass ich keine Phobien und auch keine anderen
Ängste habe, die ich hier aufzählen könnte. Meine Hauptsorge gilt meinen Mitarbeitern. Aber
auch das ist glaube ich keine ... Ich bin besorgt, aber ich gerate nicht in Panik, wenn sie in
Gefahr sind. Ich denke, ich bin in der glücklichen Lage, keine Ängste zu haben, die mich beeinträchtigen.“ Garreau nickte. „Zu dem Ergebnis sind wir auch gekommen. Glücklicher
Mensch, der du bist, Gunny. Bei dir, Nummer 15, sieht das schon ganz anders aus, richtig?“
Da Mulder damit gerechnet hatte, noch an die Reihe zu kommen, war er nicht unangenehm überrascht. Er atmete tief durch, dann erklärte er beherrscht: „Auf Grund meiner Erfahrungen, die ich während meiner Entführung gemacht habe, selbst, wenn ich mich an
selbige gar nicht mehr erinnere, kann ich es nicht ertragen, bewegungsunfähig gemacht zu
werden. Ich neige dann wirklich zu Panikattacken. Und noch mehr Angst habe ich, das wisst
ihr genau, vor Feuer. Da weiß ich allerdings nicht genau, woher diese Angst stammt.“ Mulder
sah den Major ruhig an. Er hatte keine Probleme damit, zuzugeben, dass er vor bestimmten
Dingen einfach eine panische Angst hatte. Er war so oft verlacht worden, dass es ihm nichts
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Die Anderen
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mehr aus machte. Sollten sie alle lachen, er und Dana wussten vieles besser. Und Lachen
würde hier von den Freunden ohnehin keiner.
Garreau schwieg einen Moment, dann erklärte sie: „Gut, für heute sind wir fertig. Wir
werden uns in der nächsten Zeit einigen eurer Ängste intensiv widmen, denn wir wollen nicht,
dass beispielsweise im ungünstigsten Moment Nummer 3 einen hysterischen Anfall kriegt,
weil irgendwo eine Spinne rum krabbelt, oder Nummer 10 eine Panikattacke bekommt, weil
sie auf eine Leiter steigen muss. Morgen ... habt ihr frei. Jedenfalls, was den Unterricht betrifft. Stattdessen werden wir morgen einige noch ausstehende Untersuchungen vornehmen,
wo ihr doch alle wieder gesund und munter seid. Daher gibt es auch kein Abendbrot. So,
Herrschaften, und jetzt, ab ins Bettchen mit euch. Angenehme Träume. Ach, bevor ich es vergesse, außer Schnarchgeräuschen wollen wir heute nichts mehr aus euren Zimmern hören,
haben wir uns verstanden?“ Nicken und vereinzeltes hm antwortete dem Major. Das reichte
Garreau nicht. Herrisch fragte sie nach: „Habt ihr das verstanden, Gefangene?“ Erschrocken
beeilten sich alle, fast im Chor: „Ja, Ma’am, verstanden.“, zu antworten. Das ihnen das aber
auch immer wieder unterlief. Die Gefangenen hätten sich selbst in den Hintern treten mögen.
Mick wurden nun die Handfesseln gelöst. Augenblicke später schlossen sich hinter jedem
Paar die Zimmertüren und an den Überwachungsmonitoren beobachteten die Wachen gespannt, was sich in den Zimmern abspielte. Aber es gab nichts zu beobachten. Alle hielten
sich an das Schweigegebot und legten sich in die Betten. Das viele der Gefangenen noch bis
in die Morgenstunden wach lagen, war nicht zu verhindern, dafür saß bei einigen die Angst
vor dem kommenden Tag zu tief. Einer der Letzten, der in einen unruhigen Schlaf fiel, war
Sawyer.
„Der macht sich vor Angst fast in die Hose.“
„Ja, er hat wirklich extreme Panik vor dem Schlauch schlucken.“
„Weißt du von der Geschichte mit seiner Tante?“
„Hab davon gehört. Hätte ich so was erlebt, hätte ich vermutlich ähnlich
viel Panik. Das wird nicht leicht für ihn, morgen.“
„Das wird es für alle nicht. Sie wissen, dass wir keine Betäubungsmittel
verschwenden. Was sie nicht umbringt ...“
„Meine Meinung dazu kennst du ja, aber die zählt hier nicht. Ich halte das
für überflüssig, weder werden sie davon nützlicher, noch bringt es irgendwelche Erkenntnisse. Das ist bei Mitchell doch eindeutig nur Befriedigung
seiner sadistischen Gelüste.“
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Die Anderen
by Frauke Feind
„Was auch immer es ist, er ist derjenige, der den Ton angibt. Also wird
es für unsere Freunde da unten morgen ein harter Tag.“
External World 9) Suche eingestellt
Hoffnung ist das, was bleibt, wenn man nichts mehr hat.
Jerome Anders
Dienstag, 9.30 Washington, NCIS Hauptquartier
Direktorin Jenny Shepard stand einen Moment lang am Geländer der Empore, von der
aus sie das hektische Treiben im Großraumbüro des NCIS überblicken konnte. Wie sollte sie
ihren Agents beibringen, was sie gerade gehört hatte? Sie hatte nicht viel Zeit darüber nachzudenken, da einer der beiden Agents, mit denen sie gleich ein schwieriges Gespräch führen
musste, sie bereits gesehen hatte. „Direktor Shepard. Gibt es irgendetwas Neues von Abby,
Ziva und Gibbs?“, fragte McGee begierig und vergaß einen Moment, dass ihn hier jeder seiner
Kollegen hören konnte. „Tim, Tony, könnte ich Sie beide bitte in meinem Büro sprechen?“ Die
beiden angesprochenen Agenten runzelten besorgt die Stirn. Wenn die Direktorin ihre Vornamen benutzte war das nie ein gutes Zeichen. Sie erhoben sich und stiegen die Treppe nach
oben, folgten ihrer Direktorin in deren Büro. Sobald er die Tür hinter sich und Tim geschlossen
hatte, fragte Tony besorgt: „Was gibt es, Direktor? Sie sind doch nicht... Ich meine, man hat
doch nicht ...“ Tony schaffte es nicht die Frage auszusprechen, ob man die Leichen seiner
Kollegen gefunden hatte.
„Nein, Tony, man hat sie nicht gefunden.“ Auch Jenny brachte es nicht über sich, das
Wort Leichen in Verbindung mit ihren Kollegen auszusprechen. „Und nein, es gibt keine
neuen Spuren. Wie Sie beide wissen, gibt es seit Monaten keine neuen Spuren. Das ist es,
worum es geht. Ich habe gerade einen Anruf vom SecNav bekommen. Er hat sich gestern mit
dem Direktor der Homeland Security, dem Direktor des FBI und dem CIA-Direktor zu einem
vertraulichen Gespräch getroffen, um über das weitere Vorgehen bei der Suche nach den Vermissten zu sprechen. Sie stellen die Suche ein.“ Jennys Stimme war deutlich anzumerken, dass
die Information sie viel mehr mitgenommen hatte als ihre sachlichen Worte vermuten ließen.
Einen Moment lang herrschte im Raum fassungslose Stille. Schließlich war es Tony, der das
Schweigen brach. „Das können die nicht machen. Wie kommen die überhaupt dazu so ein Ge-
354
Die Anderen
by Frauke Feind
spräch ohne uns zu führen? Wir ermitteln in diesem Fall. Unsere Kollegen sind verschwunden.
Wir haben ja wohl mehr verdient als die beiläufige Information, dass die Ermittlungen eingestellt wurden.“ „Wir können nicht aufhören nach unseren Leuten zu suchen.“, stimmte
McGee sofort zu. „Sie können immer noch am Leben sein. Abby, Gibbs und Ziva haben immer
alles in ihrer Macht stehende getan um zu helfen, wenn einer von uns in Schwierigkeiten war.
Sie würden uns niemals aufgeben, wenn wir vermisst würden und nicht sie. Wir sind es ihnen
schuldig das Gleiche für sie zu tun.“ „Genau das habe ich dem SecNav auch gesagt. Auch
wenn die Ermittlungen offiziell eingestellt wurden, hören wir nicht auf nach unseren Leuten zu
suchen. Wenn es sein muss, führe ich die Ermittlungen in meiner Freizeit weiter und ich gehe
davon aus, dass ich dabei auf sie zählen kann.“ „Jederzeit.“, bestätige McGee sofort. „Und ob
Sie das können.“, stimmte auch Tony zu.
Dienstag, 9.40, Las Vegas, CSI Gebäude
„Sie wollten mich sprechen, Sir?“, fragte Catherine Willows ihren Vorgesetzten Conrad
Ecklie. Die CSI Agentin fragte sich, was Ecklie von ihr wollte. Es kam selten vor, dass er sie in
sein Büro rief. Meistens war der Grund, dass sie oder einer ihrer Leute gegen Vorschriften verstoßen hatte. Diesmal war sie sich allerdings keiner Schuld bewusst. „Ja. Bitte nehmen Sie
Platz.“, forderte Ecklie sie höflich und bedrückt auf. Catherine gehorchte und wartete bis ihr
Vorgesetzter fort fuhr. „Es geht um die Ermittlungen im Fall der verschwundenen Maschine.“
Catherine sah alarmiert auf. Das hatte sie nicht erwartet. „Gibt es neue Erkenntnisse?“, fragte
die CSI Ermittlerin hoffnungsvoll. „Nein, leider ist das Gegenteil der Fall. Ich habe heute einen
Anruf von Assistent Direktor Skinner vom FBI erhalten. Er hat heute erfahren, dass die Suche
nach den Vermissten eingestellt wird und wollte uns informieren, bevor wir es aus den Nachrichten erfahren.“
„Sie geben die Suche einfach auf? Das kann doch nicht wahr sein. Wer hat das entschieden?“, fragte Catherine aufgebracht. „Die Direktoren von CIA, FBI und Homeland
Security und der SecNav.“ „Das können wir nicht zulassen. Gil und Sara könnten noch leben.
Wir können sie nicht einfach aufgeben.“ „Ich befürchte, wir haben nicht die Möglichkeit die
offizielle Wiederaufnahme der Suche zu veranlassen.“, erwiderte Ecklie sachlich. „Allerdings
teilt Assistent Direktor Skinner vom FBI und wie er sagte auch Direktor Shepard vom NCIS
ihre Auffassung. Sie lassen ihre Teams weiter nach den vermissten Passagieren fahnden. Ich
habe Direktor Skinner zugesichert, dass auch wir uns weiterhin an den Ermittlungen beteiligen
werden, solange sichergestellt ist, dass die reguläre Arbeit nicht darunter leidet. Denken Sie,
dass Sie das sicherstellen können?“ „Selbstverständlich. Wir werden unsere Fälle nicht vernachlässigen. Nach Spuren im Fall der verschwundenen Passagiere werden wir in unserer Frei355
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by Frauke Feind
zeit suchen. Ich bin sicher, dass es im Team niemanden gibt, der nicht bereit ist, seine Freizeit
für die Suche nach Gil und Sara zu opfern.“
Dienstag, 10.00, Washington, Jeffersonian Institut
Dr. Camille Saroyan betrat den großen Saal, in dem Jack Hodgins und Zack Addy
gerade damit beschäftigt waren, das Alter eines Skelettes zu bestimmen, das am Vortag bei
einer Ausgrabung gefunden worden war. „Dr. Hodgins, Dr. Addy, kann ich Sie einen Moment
in meinem Büro sprechen?“ Die Beiden sahen überrascht auf. Sie waren es nicht gewohnt in
das Büro ihrer Chefin gebeten zu werden. Wenn Camille sie sonst sprechen wollte sagte sie
ihnen direkt an Ort und Stelle was sie wollte. „Worum geht es denn?“, fragte Jack misstrauisch. „Das würde ich gerne in meinem Büro mit Ihnen besprechen. Miss Montenegro wird
auch da sein. Ich möchte gerne mit ihnen allen in Ruhe sprechen.“ Zehn Minuten später saßen
Jack, Angela und Zack im Büro ihrer Chefin und warteten nervös darauf zu erfahren, was Dr.
Saroyan ihnen zu sagen hatte. „Assistent Direktor Skinner vom FBI hat mich angerufen und er
wiederum hat heute einen Anruf von seinem Vorgesetzten bekommen. Die Direktoren von
FBI, CIA und Homeland Security und der SecNav haben entschieden, dass die Suche nach den
Vermissten eingestellt wird.“ „Die können Tempe und die anderen doch nicht einfach so aufgeben.“, rief Angela aufgebracht. „Es sind schließlich drei FBI Agenten an Board und Tempe
hat auch oft genug für das FBI gearbeitet. Und auch der NCIS hat Agenten an Bord gehabt. Ich
fasse es nicht, dass die ihre eigenen Leute einfach so aufgeben.“
„Wir können nicht einfach hinnehmen, dass diese Bürokraten die Suche einstellen.
Unsere Leute sitzen irgendwo da draußen und verlassen sich auf uns.“, erklärte Jack empört.
„Das ist statistisch gesehen äußerst unwahrscheinlich.“, widersprach Zack. „Es ist vier Monate
her, dass die Passagiere entführt worden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Entführer sie so
lange am Leben gelassen haben geht gegen null.“ Jack und Angela starrten ihren Kollegen
fassungslos an. „Wie kannst du so etwas nur sagen?“, fuhr Angela ihn an. „Solange es keinen
Beweis dafür gibt, dass Tempe und Booth tot sind, glaube ich, dass sie noch leben.“ „Das sehe
ich genauso. Ich will so etwas nie mehr hören, ist das klar.“ Jack war genauso aufgebracht wie
seine Verlobte. Zack sah seine Kollegen verwundert an. „In Ordnung, ich werde das Thema
nicht mehr anschneiden. Aber eure Reaktion ist nicht rational.“ Bevor Jack oder Angela wieder
anfangen konnten Zack anzuschreien, schaltete Camille sich ein. „Dr. Hodgins und Miss
Montenegro haben Recht. Wir werden Dr. Brennan und Agent Booth nicht einfach aufgeben.
Solange noch eine Chance besteht, dass die Beiden leben, werden wir die Suche nicht aufgeben. Assistent Direktor Skinner und Direktor Shepard vom NCIS teilen unsere Auffassung,
auch wenn ihre Vorgesetzten das anders sehen. Sie werden die Ermittlungen fortführen und ich
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Die Anderen
by Frauke Feind
habe Assistent Direktor Skinner meine Hilfe angeboten. Ich habe ihm gesagt, dass meine Leute
und unser Labor ihm jederzeit zur Verfügung stehen. Ich war mir sicher, dass das in Ihrem
Sinne ist.“
Dienstag, 10.15 Uhr, Washington, FBI Gebäude
Monica Reyes und John Doggett ahnten nichts Gutes, als sie die Mitteilung bekamen,
dass Skinner sie sehen wollte. Wenn ihre Kollegen wieder aufgetaucht wären, hätte Skinner
ihnen das sicher schon am Telefon gesagt. Nachrichten, die ihr Boss ihnen nur persönlich mitteilen wollte, waren gewöhnlich schlechte Nachrichten. „Was gibt es, Sir?“, fragte Doggett
ohne Umschweife, sobald sie Skinners Büro betreten hatten. Auch Skinner kam direkt auf den
Punkt. „Ich habe einen Anruf vom Direktor bekommen. Die Suche nach den Vermissten wird
eingestellt.“ „Die wollen einfach aufgeben?“, fragte Monica entsetzt. „Die Chefetage
interessiert sich nur für Ergebnisse und wenn es in einem Fall keine Ergebnisse gibt, gehen sie
zur Tagesordnung über.“, stellte Doggett wütend fest. „Aber dass der Direktor seine eigenen
Leute so einfach abschreiben würde, habe ich nicht erwartet.“ „Was sagen denn die Vorgesetzten der anderen Agenten dazu?“, wollte Monica wissen.
„Der SecNav unterstützt die Einstellung der Suche, aber Direktor Shepard ist über die
Entscheidung genauso empört wie wir, ich habe eben mit ihr telefoniert. Conrad Ecklie vom
CSI und Dr. Saroyan vom Jeffersonian haben uns Unterstützung angeboten, falls wir neue
Hinweise finden und ein Laborteam brauchen. NCIS, CSI und Jeffersonian lassen ihre Leute
genauso wenig im Stich wie wir.“ „Das heißt also, wir haben die Genehmigung weiter zu ermitteln?“, vergewisserte Doggett sich. „Selbstverständlich haben Sie die. Ich betrachte Mulder
und Scully als Freunde und auch Agent Booth schätze ich sehr. Unsere Leute können auf uns
zählen. Superintendent Cullen sieht es genau so, er befürwortet meine Entscheidung.“ „Danke,
Sir.“, antworteten Monica und Doggett einstimmig.
Dienstag, 20 Uhr, Princeton, Lisa Cuddys Haus
Cuddy war nicht ernsthaft überrascht, als sie in den Nachrichten von der Einstellung der
Suche nach den Vermissten hörte. Sie war immer Realistin gewesen, egal wie schmerzhaft die
Realität war und ihr war klar, dass es mehr als unwahrscheinlich war, dass die Vermissten noch
lebten. Das einzige, was Cuddy überraschte war, dass die Meldung trotzdem weh tat. Es tat
weh, weil es in wenigen Tagen offiziell sein würde. House, Cameron und die anderen sollten
dann für tot erklärt werden. Bei dem Gedanken an die bevorstehende Trauerfeier spürte Cuddy
erst das volle Ausmaß des Verlustes. Sie hatte Cameron nicht sehr nahe gestanden, aber mit
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Die Anderen
by Frauke Feind
House hatte sie eine schwierige, aber enge Beziehung gehabt. Er fehlte ihr und der Gedanke
ihn nie wieder zu sehen war schmerzlich. Trotzdem mischte sich in die Trauer jetzt auch ein
anderes, schwer zu definierendes Gefühl. Es war beinahe so etwas wie Erleichterung. Erleichterung darüber, dass sie abschließen konnte, dass sie eine Gelegenheit bekam House und
Cameron die letzte Ehre zu erweisen und sich zu verabschieden. So mussten sie die Angehörigen von Patienten fühlen, die lange im Koma gelegen hatten, wenn sie sich schließlich
entschieden hatten die Maschinen abzustellen.
Cuddy schaltete schließlich den Fernseher aus und griff zum Telefon. Sie wollte heute
nicht allein sein. Sie wollte den Abend mit dem einzigen anderen Menschen verbringen, von
dem sie wusste, dass er um House trauerte. „Ich bin’s, Cuddy. Haben Sie es auch gerade in den
Nachrichten gesehen?“, fragte sie, als Wilson den Hörer abhob. „Ja, habe ich. Ich weiß nicht,
was ich sagen soll. Die Nachricht kommt nicht unerwartet, sie konnten nicht ewig weiter
suchen. Es ist über vier Monate her und es besteht praktisch keine Hoffnung mehr, die Vermissten noch lebend zu finden. Trotzdem ist die Nachricht irgendwie ein Schock. Mir wird erst
jetzt richtig klar, dass wir House und Cameron nie wieder sehen werden.“ „Ja, mir geht es
genauso. Möchten Sie heute Abend vorbeikommen? Vielleicht wird es leichter, wenn wir heute
nicht allein zuhause sitzen.“ „Das ist eine gute Idee. Ich wäre wirklich nicht gerne allein. Ich
bin in einer halben Stunde da.“
Dienstag, 20.00 Uhr, Jericho, Kansas, Haus der Familie Green
„Das ist unglaublich. Erst wagen diese Leute es, zu behaupten, Jake wäre an der Entführung beteiligt und jetzt geben sie einfach die Suche auf.“, rief Gail Green entrüstet und verzweifelt, während sie zusammen mit ihrem Mann die Nachrichten anschaute. „Kein Wunder,
dass sie die Vermissten nicht finden, die haben ja ihre ganze Zeit damit verschwendet, gegen
die Opfer zu ermitteln, statt gegen die Täter. Wenn die glauben, die könnten Jake einfach so für
tot erklären lassen, dann haben die sich geirrt.“, verkündete Johnston Green wütend. „Eric kann
uns sicher sagen, welche juristischen Möglichkeiten wir haben. Die Regierung kann nicht einfach die Angehörigen übergehen und alle Passagiere für tot erklären lassen. Einige der anderen
vermissten Passagiere haben bestimmt auch Angehörige, die damit nicht einverstanden sind.“,
stimmte Gail zu. „Vielleicht ist Heathers Vater auch bereit, dagegen vorzugehen, dass seine
Tochter für tot erklärt wird.“
„Ich weiß nicht viel über ihn, Heather hat selten über ihren Vater gesprochen, aber
einen Versuch ist es sicher wert. Vielleicht schließen sich ja einige andere Familien an, wenn
sie von der Beschwerde erfahren.“ Zehn Minuten später hatte Gail Heathers Vater am Telefon.
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Die Anderen
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„Mr. Lisinski, hier ist Gail Green, die Mutter von Jake.“ „Sie sind die Mutter von dem Kerl,
mit dem meine Heather abgehauen ist? Was wollen Sie?“, fragte Lisinski brüsk. Gail musste
sich bemühen die Beherrschung nicht zu verlieren. „Heather ist nicht mit Jake abgehauen, Mr.
Lisinski. Jake ist nach Australien gefahren, um dort zu leben und Heather wollte ihn zurück
holen. Sie war diejenige, die Jake davon überzeugt hat, dass abhauen keine Lösung ist. Wegen
ihr wolle er zurück nachhause kommen. Jake liebt ihre Tochter sehr und sie liebt ihn. Und
wenn wir die Beiden wiedersehen, dann wird es meinem Mann und mir eine Freude sein,
Heather in unsere Familie aufzunehmen.“ „Wenn Sie sie wiedersehen?“, fragte Mr. Lisinski
erstaunt. „Das ist der Grund, warum ich anrufe. Ich glaube nicht, dass mein Sohn tot ist und ich
finde es unerhört, dass die Suche einfach so eingestellt und die Passagiere für tot erklärt
werden sollen. Mein Mann und ich werden Beschwerde einlegen. Normalerweise wird eine
vermisste Person erst nach sieben Jahren für tot erklärt und wir werden nicht zulassen, dass
man dies bei Jake schon nach fünf Monaten tut, nur weil die Behörden unfähig sind neue
Spuren zu finden. Wir hoffen, dass sich uns noch Angehörige anderer Vermisster anschließen.
Möchten Sie auch dagegen vorgehen, dass Heather für tot erklärt wird?“
Heathers Vater schwieg einen Moment und als er wieder sprach, klang seine Stimme
weniger feindselig als zuvor. „Ich kann einfach nicht glauben, dass meine Heather tot ist. In
den letzten Jahren hatten wir so wenig Kontakt und erst jetzt ist mir klar geworden, dass ich
meine Tochter kaum kenne. Ich hoffe sehr, dass Sie Recht haben und ich sie eines Tages
wieder sehe, um das zu ändern. Ja, ich möchte mich ihrer Beschwerde anschließen.“ Gail war
überrascht und ein wenig besänftigt, als sie den traurigen Klang in Mr. Lisinskis Stimme hörte.
„Das freut mich. Möchten Sie in den nächsten Tagen einmal bei uns vorbei kommen, um sich
über die Einzelheiten zu unterhalten?“ Gail fand Heathers Vater zwar alles andere als
sympathisch, aber er war der Vater der Frau, die ihr Sohn liebte und sie würde lernen müssen
mit ihm auszukommen, falls sie Jake und Heather wieder sehen würde. Wenn, nicht falls, verbesserte sie sich im Geist. Sie würde die Hoffnung nicht aufgeben. „Ja, ich komme gerne.“ Mr.
Lisinski klang überrascht und zögerlich, aber immerhin hatte er die Einladung angenommen.
Dienstag, 20 Uhr, Los Angeles, Büro von Josef Kostan
Josef Kostan schaltete den Fernseher aus, als es an der Tür klopfte. Es lief sowieso nur
ein Bericht über die vermissten Passagiere dieses Qantas-Fluges, die vor Monaten spurlos verschwunden waren. Irgendetwas darüber, dass die Suche eingestellt worden war. Josef hatte nur
mit halbem Ohr hingehört. Wenn ihm alles so egal gewesen wäre wie diese Leute, würde er ein
sorgenfreies Leben führen. Ihn beschäftigte im Moment das Verschwinden von zwei Leuten,
welches keinen Wirbel ausgelöst hatte wie das des Flugzeugs. Nicht, dass er ernsthaft erwarten
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würde, dass es Polizei oder FBI gelingen würde Mick und Beth zu finden, aber sie könnten
wenigstens ein bisschen Engagement zeigen. Stattdessen hatte es als Reaktion auf seine Vermisstenanzeige nur ein gelangweiltes: „Wir kümmern uns drum.“, gegeben. Als ob ein Mann
wie Josef Kostan sich darauf verlassen würde, dass andere sich um irgendwas kümmerten.
Wenn man wollte, dass etwas richtig gemacht wurde, dann musste man es selbst erledigen.
„Herein.“, sagte er knapp. Zwei Vampire, die aussahen als wären sie um die vierzig, betraten den Raum und nahmen auf Josefs Aufforderung hin Platz. Josef kam gleich zur Sache.
Er war kein Mann, der seine Zeit damit verschwendete um den heißen Brei herumzureden.
„Zwei meiner Freunde werden vermisst. Mick St. John und seine Verlobte Beth Turner. Sie
haben sich letzte Woche auf die Suche nach einem abtrünnigen Vampir gemacht, seitdem habe
ich nichts mehr von ihnen gehört. Ich will, dass Sie die beiden finden. Geld spielt keine Rolle,
ich übernehme die Kosten. Sie kriegen von mir heute eine Anzahlung auf die großzügige
Summe, die sie im Erfolgsfall erhalten werden. Aber dafür erwarte ich Ergebnisse und zwar
schnell, ist das klar?“ „Ja, Mr. Kostan, Sir.“, erwiderten beide Männer wie aus einem Mund.
„Das wäre alles. Gehen Sie, Sie haben zu tun.“, verlangte Josef gereizt.
Dienstag, 21.00 Uhr, Royal Diners, nahe Jeffersonian Institute, Washington
Das Jeffersonian Team hatte beschlossen, den Abend in ihrem Stammlokal zu verbringen. Heute hatten die Wissenschaftler alle das Bedürfnis, ihren vermissten Kollegen und
Freunden nahe zu sein und dieser Ort schien ihnen dafür am besten geeignet. Angela Montenegro war sich allerdings nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee gewesen war hierher zu
kommen. Obwohl außer Zack keiner von ihnen bereit war sich mit dem Gedanken abzufinden,
dass Tempe und Booth womöglich tot waren, fühlte sich dieses Beisammensein an wie eine
Trauerfeier. „Es kommt mir ganz unwirklich vor, dass wir vor vier Monaten noch mit Tempe
und Booth hier gesessen haben.“, sagte Angela. „Ja, es kommt einem vor, als wäre das in
einem anderen Leben gewesen.“, stimmte Hodgins zu. „Wisst ihr noch, wie wir hier beinahe
rausgeschmissen wurden, weil Bones Fotos von entstellten Leichen auf dem Tisch ausgebreitet
hat?“, fragte Angela mit einem traurigen Lächeln. „Ja, die Leute reagieren wirklich merkwürdig, wenn wir so was tun.“, bemerkte Zack verständnislos. „Zack, nicht die Leute sind
merkwürdig, sondern ihr. Oder wir, sollte ich wohl inzwischen sagen. Immerhin kann ich inzwischen auch mein Abendessen auf einem Tisch voller Leichenfotos einnehmen ohne dabei
zu kotzen. Tempe hatte Recht, als sie sagte man gewöhnt sich an so was.“, sagte Angela nachdenklich.
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„Dr. Brennan war es also, die Sie dazu gebracht hat, diesen Job anzunehmen?“, fragte
Camille, die als neustes Mitglied des Teams noch nicht alle alten Geschichten kannte. „Ja,
genau. Zuerst dachte ich, das ist nichts für mich. Ich bin Künstlerin, keine Wissenschaftlerin.
Aber Tempe hat mich davon überzeugt, dass ich mit dieser Arbeit etwas bewirken kann. Es hat
sogar angefangen mir Spaß zu machen, aber jetzt wo Tempe nicht mehr da ist, ist es nicht mehr
dasselbe.“ Niemand wusste darauf etwas zu sagen. Hodgins hätte Angela gerne getröstet, aber
nichts was er sagte, konnte etwas daran ändern, dass Bones‘ Verschwinden bei ihnen allen eine
Lücke hinterlassen hatte, ganz besonders bei Angela, die ihr besonders nahe stand. Statt etwas
zu sagen nahm Hodgins stumm Angelas Hand. Die vier Kollegen saßen noch eine Weile
schweigend da und hingen ihren eigenen Gedanken an Bones und Booth nach. Aber obwohl
niemand von ihnen etwas sagte, tat es allen gut diesen Abend nicht allein zu verbringen.
Mittwoch, 5.00 Uhr, eine Bar in Las Vegas
„Ich kann nicht fassen, dass sie die Suche einfach so aufgeben.“, schnaufte Warrick
empört. Er saß mit seinen Kollegen zusammen in einer kleinen Bar außerhalb der Touristengegend. Keiner aus dem Team hatte nach der Schicht den Wunsch gehabt nachhause zu fahren.
Sie alle wussten, dass sie heute trotz der anstrengenden Nachtschicht nicht würden schlafen
können. „Langsam kann wohl niemand mehr vor der Chefetage rechtfertigen, warum immer
weiter Geld in die Suche gesteckt wird, obwohl es schon seit Monaten keine brauchbaren Hinweise mehr gibt. Ab jetzt müssen wir auf eigene Faust und mit eigenen Mitteln weiter
machen.“, stellte Catherine ernüchtert fest. „Und genau das werden wir tun. Als man mich
damals entführt hat, hat keiner von euch aufgegeben. Catherine, du warst sogar bereit, das
Lösegeld von deinem Vater zu besorgen. Gil hat dem Fall höchste Priorität eingeräumt. Wir
sind es Gil und Sara schuldig, für sie das Gleiche zu tun, egal wie die offizielle Position ist.“,
erklärte Nick entschlossen und seine Kollegen nickten zustimmend. Eine Weile sagte niemand
etwas, bis schließlich Greg, der bisher ungewöhnlich still gewesen war, das Schweigen brach.
„Ich frage mich gerade, wie sie reagieren würden, wenn sie von der Einstellung der Suche
wüssten. Wie werden Sara und Gil und die anderen sich wohl fühlen, wenn sie wüssten, dass
man sie für tot erklären will? Dass sie einfach aufgegeben werden.“ „Ich weiß nicht, wie viel
Vertrauen die anderen Agents in ihre Teams haben, aber ich glaube, dass Gil und Sara wüssten,
dass wir sie nicht aufgeben.“, antwortete Warrick, mit so viel Zuversicht wie er im Moment
aufbringen konnte. „Trotzdem wäre es sicher hart für sie zu hören, dass die Suche offiziell eingestellt wurde und dass eine Trauerfeier für sie stattfindet.“, warf Nick ein. „Ja, davon gehe ich
auch aus.“, stimmte Catherine zu. „Nur gut, dass sie, wo auch immer sie sind, bestimmt keine
Zeitung lesen oder Nachrichten gucken werden.“
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Dienstag, 22.00 Uhr, John Doggetts Haus, Washington
John Doggett war überrascht, als es an seiner Tür klingelte. - Wer kommt denn um diese
Zeit her? - fragte er sich. Nicht, dass es eine Rolle spielte wie spät es war, er konnte ohnehin
nicht schlafen. John schaltete den Fernseher aus und öffnete die Tür. Als er sah, wer ihn um
diese Zeit besuchte, lächelte er. Das hätte er sich denken können. „Ich dachte, du möchtest
heute Abend vielleicht nicht allein sein. Ich weiß, wie nahe Dana dir steht.“, erklärte Monica
ihren Besuch. „Und ich könnte auch etwas Gesellschaft gebrauchen.“, fügte sie schnell hinzu.
Sie wusste, wie sehr ihr Partner es hasste, Schwäche zuzugeben. „Außerdem habe ich Pizza
mitgebracht.“ „Na, wenn das so ist…“, erwiderte Doggett und nahm seiner Partnerin den
Pizza-Karton aus der Hand. „Wollen wir uns eine DVD ansehen? Ich habe allerdings nicht sehr
viel Auswahl. Ich hoffe du magst Western und Action-Filme.“ „Einige schon. Such einfach
etwas aus.“ Eigentlich mochte Monica weder Western noch Action-Filme, aber das war egal.
Sie wusste, dass Johns Vorschlag einen Film zu gucken nur ein Vorwand war, um nicht reden
zu müssen. Ihr wäre es zwar lieber gewesen, wenn ihr Partner bereit wäre darüber zu reden,
wie besorgt er um Scully war, aber wenn John das nicht wollte, würde sie das akzeptieren.
Immerhin hatte er ihr Angebot ihm Gesellschaft zu leisten angenommen.
Dienstag, 22.00 Uhr, Princeton, Lisa Cuddys Haus
„Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?“, fragte Cuddy plötzlich. Wilson war
vor einer Stunde vorbeigekommen und seitdem saßen sie zusammen und erzählten sich alte
Geschichten über ihre Zeit mit House. „House hätte es geliebt, Ihnen diese Geschichte zu
erzählen. Er fand sie urkomisch. Wir haben uns auf einem Ärztekongress kennengelernt. Am
Abend des ersten Kongresstages bin ich noch in eine Bar gegangen. Meine erste Frau hatte mir
gerade die Scheidungspapiere geschickt und ich war ziemlich deprimiert. Und dann hat dieser
Typ am Klavier immer und immer wieder unser Lied gespielt, das, zu dem wir auf der Hochzeit getanzt haben. Er wollte einfach nicht aufhören. Irgendwann habe ich die Beherrschung
verloren und einen antiken Spiegel demoliert. Ich wurde verhaftet und House hat mich auf
Kaution rausgeholt. Er sagte, er würde jemanden suchen, mit dem er sich vor den restlichen
Vorträgen drücken könnte und alle außer mir fand er langweilig.“ Cuddy lachte. „Ja, das klingt
nach ihm.“ „Wie haben Sie sich kennen gelernt?“, fragte Wilson. „Das hat House Ihnen nie
erzählt?“, fragte Cuddy überrascht. Wilson schüttelte den Kopf.
„Wir kennen uns schon von der Uni. Ich war in meinem ersten Jahr an der Michigan
und House hatte gerade sein praktisches Jahr begonnen. Er war zwar noch Student, aber eine
Legende an der Uni. Seine Diagnosen waren oft besser als die der Professoren. Die haben ihn
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natürlich gehasst, aber das war House egal, schon damals. Das war es, was mir als erstes an
ihm aufgefallen ist. Dass es ihm egal war, was andere von ihm denken. Ich habe mir oft gewünscht, ich könnte genauso damit umgehen. Ich habe mir immer gedacht, dass es ein unheimlich befreiendes Gefühl sein muss, nur nach seinen eigenen Regeln zu leben und nie zu versuchen, es anderen recht zu machen.“ „Ja, House hat bestimmt ein sehr freies Leben geführt.
Aber auch ein sehr einsames. Ich habe immer wieder versucht, ihn dazu zu bringen sich
anderen Menschen zu öffnen, aber er hat sich nie dazu durchringen können.“, sagte Wilson
nachdenklich. „Er hat immer gelebt als gäbe es kein Morgen. Aber er hat wohl nicht gedacht,
dass sein Leben wirklich so plötzlich vorbei sein würde. Ich wünschte, ich wüsste, was mit ihm
passiert ist. Ich würde gerne wissen, ob er gelitten hat.“ Cuddy hatte Mühe, die Tränen zurück
zu halten. „Ja, das frage ich mich auch jeden Tag. Ich hoffe für House und Cameron, dass es
schnell ging.“
Dienstag, 23.00 Uhr, Tony DiNozzos Apartment, Washington
Tony hatte das Telefon ausgestöpselt, sein Handy ausgeschaltet und anders als an den
meisten Abenden lief der Fernseher nicht. Heute Abend wollte Tony keine Ablenkungen. Er
saß auf dem Sofa, ein Glas Wein in der einen und eine Schachtel in der anderen Hand. In der
Zeit seit der Entführung hatte er die Schachtel kein einziges Mal hervorgeholt. Er hatte versucht, sich von den ständigen Gedanken an Ziva abzulenken. Aber heute Nacht konnte und
wollte er seine Kollegin nicht aus seinem Kopf verbannen. Gerade jetzt, wo sie offiziell für tot
erklärt werden sollte, während die Welt zum Alltag überging, sollte es jemanden geben der an
sie dachte. Jemanden, für den erst wieder alles beim Alten sein würde, wenn sie wieder zuhause war. Langsam öffnete Tony die Schachtel und holte die Fotos heraus, die er im Laufe der
Jahre von Ziva gesammelt hatte. Er hatte Ziva einmal damit aufgezogen, dass der Charakter in
McGees Büchern, der so offensichtlich ihr nachempfunden war, ein geheimes Fotoalbum von
ihrem Partner - eindeutig Tonys Alter Ego - besaß. In Wirklichkeit war er derjenige, der alle
Schnappschüsse, die er an diversen Tatorten von Ziva gemacht hatte, aufbewahrte. Im Laufe
der Jahre war einiges zusammengekommen. In der Zeit vor Zivas Entführung waren die
Bikini-Fotos, die er während seines Dienstes auf der Seahawk an seinem Spint gehabt hatte,
seine liebsten Fotos gewesen. Aber jetzt, wo er nicht sicher sein konnte, ob er Ziva jemals
wiedersehen würde, hatte er drei andere Favoriten. Das erste Bild war eine Profilaufname. Ziva
hatte gar nicht gemerkt, dass er dieses Foto von ihr gemacht hatte. Sie stand über ein Beweisstück gebeugt und betrachtete es interessiert. Es war ihr typischer Gesichtsausdruck, wenn ihr
eine Ungereimtheit auffiel, der Blick, mit dem sie auch ihn immer ansah, wenn sie etwas nicht
glaubte, was er erzählte. Das zweite Bild hatte er gemacht, als Ziva sich gerade wieder über
einen seiner dummen Scherze aufgeregt hatte. Sie rollte auf diesem Bild genervt die Augen,
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wie so oft, wenn Tony sie neckte. Das dritte Bild war Tonys Lieblingsbild. Auf dem Bild hatte
er Zivas herzliches Lachen eingefangen. Das Lachen, das er so vermisste. Tony hielt das Bild
eine Weile in den Händen, bevor er aufstand und begann in der Schublade seiner Kommode zu
kramen, in der er noch ein paar alte Bilderrahmen hatte. Er fand einen Rahmen in der
passenden Größe, in den er das Bild steckte und es anschließend auf seinen Nachttisch stellte.
Dienstag, 23.45 Uhr, Timothy McGee’s Apartment, Washington
McGee saß vor seiner alten Schreibmaschine und versuchte sich auf seinen neuen
Roman zu konzentrieren. Seine Lektorin saß ihm schon im Nacken. Der Abgabetermin rückte
immer näher und er schaffte es einfach nicht einen vernünftigen Handlungsstrang auf die Beine
zu stellen. Seit Abbys Verschwinden handelten alle Szenen, die er schrieb von Amy, der
Kriminaltechnikerin, die Abby nachempfunden war. Anfangs hatte die Figur in seinen Büchern
eine eher kleine Rolle gehabt, aber im Moment war ihre Handlung größer als die seiner Hauptfigur. - Vielleicht sollte ich einfach ein Spin-Off von meiner Serie schreiben, mit Abby/Amy in
der Hauptrolle. - dachte er beiläufig. Was ihn aber mehr störte als das Nörgeln seiner Lektorin
und der Abgabetermin im Rücken, war, dass er auch oder gerade mit den Amy-Szenen nicht
zufrieden war. Wie konnte er Abby so beschreiben, dass er ihr gerecht wurde? Wie konnte er
ihre Energie, ihren Humor und ihre Warmherzigkeit so beschreiben, dass jemand, der sie nicht
kannte, Abby vor sich sah? Alles, was er schrieb wirkte wie ein blasser Abklatsch von der
echten Abby. Seufzend zerknüllte McGee einen weiteren Entwurf und schaltete den Plattenspieler aus. Stattdessen suchte er in seiner CD Sammlung nach der CD, die Abby ihm geschenkt hatte. Eine Sammlung ihrer liebsten Musikstücke. McGee hatte das, was Abby als
Musik bezeichnete, immer furchtbar gefunden. Aber jetzt merkte er, wie sehr es ihm fehlte, im
Labor nicht mehr Abbys üblichen Krach zu hören. Es fehlte ihm sosehr, dass er Abbys CD
zuhause immer und immer wieder hörte. Die Musik machte ihn traurig, aber es war eine gute
Art von Traurigkeit. Wenn er die CD spielte, fühlte er sich Abby nahe und gleichzeitig war
ihm in diesen Momenten ganz besonders schmerzlich bewusst, dass sie nicht in der Nähe war
und es vielleicht auch nie mehr sein würde.
Dienstag, 23.30 Uhr, Jenny Shephards Haus, Washington
Jenny saß in ihrem Arbeitszimmer. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, das Licht
einzuschalten. Sie sah sowieso nichts von dem, was sie vor Augen hatte. Sie war so tief in Gedanken, dass sie Gibbs beinahe sehen konnte, eine jüngere Version von Gibbs in einem Hotelzimmer in Paris. Jenny ließ sich von den Erinnerungen an den Undercover-Einsatz treiben, bei
dem sie und Gibbs zum ersten Mal die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben überschritten
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hatten. Sie war damals so viel jünger und sorgloser gewesen. Als sie die Stelle der NCIS
Direktorin angenommen hatte, hatte sie sich geschworen, nicht den gleichen Fehler zu machen
wie damals. Sie hatte sich geschworen, ihren Job als Direktorin nicht zu riskieren und nichts zu
tun, was sie später bereuen würde. Aber jetzt, Monate nach Gibbs‘ Verschwinden und mit der
quälenden Frage im Kopf, ob sie ihn jemals wiedersehen würde, bereute sie nur, dass sie ihrer
Beziehung nicht noch eine Chance gegeben hatte.
*****
The worst case
Wer keine Angst hat, hat keine Fantasie.
Erich Kästner
Der Hinweis, dass man sich ihrer Ängste annehmen würde, hatte neben dem Wissen,
am kommenden Tage zu einigen sicher nicht ganz angenehmen Untersuchungen geholt zu
werden, nicht dazu beigetragen, dass die Gefangenen eine ruhige Nacht mit erholsamem
Schlaf verbracht hatten. Als der Weckruf durch die Zimmer hallte, hatten einige von ihnen zu
Recht das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein. Zum einen hatte die völlig unerwartete
Befragung sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Dass sie sich nicht über all das Gehörte hatten
unterhalten dürfen, hatte das Ganze nicht gerade einfacher gemacht. Zum anderen machte
vielen die Angst vor einigen der ausstehenden Untersuchungen schwer zu schaffen. Sawyer
war hochgefahren, als wäre unter seinem Hintern eine Bombe explodiert. Jetzt saß er zusammen gesunken auf der Bettkante, stützte die Ellbogen auf seine Knie und vergrub die
Hände in seinen Haaren. Kate rutschte neben ihn und legte dem jungen Mann sanft einen Arm
um die Taille. „Schatz, es wird alles gut gehen. Mach dich nicht verrückt, dass es zu
Problemen kommt, ist doch extrem selten.“ Sawyer sah Kate an, mit einem Ausdruck in den
Augen, dass der jungen Frau eine Gänsehaut über den Rücken lief. Als dann über Lautsprecher der Befehl kam: „Auf geht’s, Freunde, der Onkel Doktor wartet. Alle, bis auf
Nummer 11 raus aus den Zimmern.“, erhoben sich die Beiden und gingen langsam zur Tür.
Ein paar Zimmer weiter war Beth erstaunt, sah Mick verzweifelt an und fiel ihm um den Hals.
„Ich habe Angst. Was haben die mit euch vor?“ Mick zuckte frustriert die Schultern. Er hatte
die Nacht in der Dusche verbracht, in Ermangelung des Freezers. Er fühlte sich nicht sehr gut
und machte sich Sorgen, was heute auf ihn und seine Mitgefangenen zukommen mochte.
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Dass man Beth ganz ausschloss, wertete er nicht unbedingt positiv. Wenn sie so überflüssig
war, dass sich nicht einmal die Untersuchungen lohnten ... Mick gab der jungen Frau einen
Kuss und sagte: „Wird schon nicht so schlimm werden. Bis später.“ Er beeilte sich, zur
offenen Tür hinaus zu treten.
Auf dem Flur warteten die Anderen bereits. Begeistert sahen sie alle nicht aus. Mick
wusste nicht, welche Untersuchungen gemeint waren, daher hielt sich sein Unbehagen in
Grenzen. Als er jedoch die Gesichter der Anderen sah, wurde ihm mulmig. Besonders Sawyer
sah aus, als müsse man ihn vor einer riesigen Dummheit bewahren. „Was ist mit ihm?“, fragte
er Kate leise, die Sawyer genau im Auge behielt. Ebenso leise erwiderte Kate: „Todesangst
vor der Magenspiegelung. Seine Tante ... Sie wäre nach einer Magenspiegelung fast verblutet,
er war dabei, als sie einen Blutsturz bekam ...“ Mick nickte verstehend. „Magenspiegelung?
Okay, was noch?“ „Keine Ahnung, es ist ja noch genug offen.“, sagte Kate verzweifelt. „Was
denn zum Beispiel?“ „Meine Güte, was weiß ich, die wollen eine Knochenmarkpunktion
machen und Nervenwasser entnehmen und verschiedene Spiegelungen, und ... Ich weiß doch
nicht, was heute anliegt.“ Sie schwieg verängstigt und Mick sagte auch nichts mehr. Dass die
Wachen sie nicht unterbrochen hatten, war schon erstaunlich genug. Die Anderen schwiegen.
Sie hingen alle ihren ausgesprochen trüben Gedanken nach. Und dann hatten sie scheinbar die
Untersuchungsräume erreicht. Sekunden später allerdings stellten sie fest, dass es nicht
mehrere kleine Räume, sondern ein großer Saal war. Vier Liegen, mit Beinhaltern am unteren
Ende, standen in der Mitte, mit den schon hinlänglich bekannten Fixierungsmöglichkeiten
ausgestattet. Und an der Wand, wie bei der zahnärztlichen Untersuchung, standen fünfzehn
Stühle. Auf diese Stühle wurden sie gesetzt.
Die Paare durften zusammenbleiben, allerdings wurde sicherheitshalber bei allen ein
Arm am Stuhl befestigt. „Nur zu eurer Sicherheit.“, grinste einer der Wachposten. Als alle
Gefangenen an die Stühle gefesselt waren, kamen mehrere Ärzte in den Raum, zusammen mit
Pflegern, die assistieren würden, wie House vermutete. Einer der Ärzte baute sich vor den
verängstigten Gefangenen auf. „So, da sind wir also, um ein paar kleinere Untersuchungen zu
eurer eigenen Sicherheit und Gesunderhaltung vorzunehmen. Ich möchte euch kurz mit dem
Prozedere heute bekannt machen. Wir werden heute alle noch ausstehenden großen Untersuchungen abarbeiten. Das wird nicht schön für euch, aber dann sind wir durch damit und ihr
könnt halbwegs entspannt in die nähere Zukunft blicken. Immer vier von euch werden, je
nach Untersuchung mehr oder weniger fixiert, auf den Liegen Platz nehmen. Wir haben keine
Zeit, uns mit Albernheiten wie Betäubungen aufzuhalten, daher werdet ihr die Zähne zusammen beißen und uns zeigen, dass ihr es wert seid, dass man euch hier aufbaut. Wir gehen
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der Einfachheit halber nach euren Nummern vor. Wir werden mit der Blasenspiegelung anfangen. Eine kleine Neuerung gibt es, denn wir wollen doch ausnutzen, dass wir gerade die
Beinstützen an den Liegen haben, oder? Die Damen werden heute schon ihrer gynäkologischen Untersuchung unterzogen, und bekommen von uns kostenlos und unverbindlich
eine Spirale eingesetzt. Wir wollen ja nicht, dass unvorhergesehene Schwangerschaften bei
unseren wertvollen Investitionen auftreten. Okay, danach habt ihr kurz Pause, da wir die
Beinstützen anschließend entfernen werden, die stören nur. Dann folgt die Magenspiegelung,
anschließend gibt es einen kleinen, unbedeutenden Pieks an der Hüfte, dann werden wir eure
Raucherlungen, Entschuldigung, Raucherbronchien spiegeln und als krönenden Abschluss
entnehmen wir euch ein wenig Nervenwasser. Nummer 4, warum das als Letztes?“ Gepresst
erklärte House: „Weil wir danach eine längere Zeit liegen müssen ... Wenn dann noch einer
von uns auf seinen Beinen stehen kann.“
Inzwischen schlug jedem einzelnen Gefangenen das Herz bis in den Hals und nicht
nur Sawyer sah aus, als würde er jeden Moment zusammen brechen. Mulder war grün im Gesicht, alle anderen weiß. Keiner von ihnen steckte diese Eröffnungen so weg. Die Ärzte
wussten, wie unangenehm bis extrem schmerzhaft die angekündigten Untersuchungen waren,
die anderen konnten es sich nur zu gut ausmalen. Und bei Mulder machte sich bei dem Wort
Fixierung die absolute Panik breit. Sawyers ganzes Denken war auf die Magenspiegelung
fokussiert. Er konnte an nichts anderes mehr denken und war einem Zusammenbruch so nahe
wie noch nie zuvor in seinem Leben. Und die Frauen dachten mit Schrecken daran, hier in
aller Öffentlichkeit vor den anderen Gefangenen gynäkologisch untersucht zu werden. Als es
jetzt hieß: „Nummer 1 bis 4 auf die Liegen und Hosen runter.“, und die Wachen bei Booth,
Jake, Sawyer und House die Fesseln lösten, erhoben sich die Vier und versuchten, ohne
großes Zögern zu den Liegen herüber zu gehen.
Sie schoben ihre Shorts herunter, legten sich hin und der Arzt, der die einführende
Rede gehalten hatte, beschrieb aufgeräumt: „Tja, meine Herren, auf Grund unserer anatomischen Bauweise ist die kleine Untersuchung bei uns schmerzhaft, erheblich schmerzhafter als bei einer Frau. Aber wie ich schon eingangs erwähnte: Ihr seid ja alle ganze Kerle
und daher werdet ihr das locker weg stecken. Da wir hier nicht von weiterführenden Eingriffen ausgehen, erlauben wir uns, das flexible Zystoskop27 zu benutzen, was die Herren
sicher zu schätzen wissen. Nun, dann wollen wir mal anfangen.“
27
Zystoskop: Ein spezielles Endoskop in der Urologie, dient der Betrachtung der Harnröhre und der Harnblase.
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Die Anderen
by Frauke Feind
Zu jedem der Männer, die angespannt still lagen, trat ein Arzt und man erklärte ihnen,
dass sie versuchen sollten, möglichst ruhig und so entspannt wie möglich zu bleiben, da jede
unnütze Verkrampfung nur weiteres Unbehagen verursachen würde. Giftig verzogen alle vier
Männer die Gesichter. Dann begann die Untersuchung. Die Ärzte arbeiteten zügig, um die
Angelegenheit wenigstens nicht unnütz in die Länge zu ziehen. Unter Zuhilfenahme von
Gleitmittel wurde den Männern das Zystoskop in die Harnröhre eingeführt. Alle vier konnten
nicht verhindern, dass sie sich vor Schmerzen doch verkrampften. Das ständige Zuführen der
Spülflüssigkeit machte die Sache noch unangenehmer, denn es führte dazu, dass sich die
Blasen recht schnell ziemlich unangenehm füllten. Alles in allem dauerte die Untersuchung
jedoch nur wenige Minuten. Die Ärzte arbeiteten schnell und gründlich. Die Befunde wurden
von den Pflegern gleich in Computer eingegeben und dann war es vorbei. Als letzten Arbeitsschritt saugten die Ärzte die zugeführte Flüssigkeit wieder ab und die Zystoskope wurden
vorsichtig entfernt. Man gab den Männern, denen der Schweiß auf der Stirn stand, ein paar
Momente, dann hieß es: „So, wenn wir dann mal mit den ersten vier Ladys tauschen
möchten.“ Daraufhin wurden Ziva, Bones, Dana und Kate von den Stühlen los gemacht.
Gnadenlos wurden sie zu den Liegen hinüber geführt, mussten die Shorts ausziehen und
hatten sich hinzulegen. Anders als die Männer, wurden die Frauen aufgefordert, ans Ende der
Liegen zu rutschen und die Beine rechts und links auf die Halteschienen zu legen. Der Versuch, auszublenden, wo sie waren, gelang nur Ziva und Bones einigermaßen. Kate und Dana
empfanden neben der Angst auch die extreme Demütigung und mussten sich mehr als
Zwingen, zu tun, was man ihnen sagte. Heather, die wusste, dass sie als nächstes an der Reihe
war, schluchzte vor Scham ununterbrochen vor sich hin.
Während die Männer unendlich verlegen zu Boden starrten, um nur keinen Blick auf
die Liegen und die Frauen zu werfen, begannen die Ärzte mit den Untersuchungen. Die
Blasenspiegelung selbst war bei den Frauen durch die deutlich kürzere Harnröhre in kürzester
Zeit und deutlich weniger unangenehm, erledigt. Dann jedoch kam die gynäkologische Untersuchung. Dabei wurde zuerst das röhrenförmige Spekulum eingeführt, um die Scheidenwände
zu spreizen. Die Scheide und der Muttermund am Gebärmutterhals waren auf diese Weise für
die Ärzte gut einzusehen. Abstriche wurden gemacht, dann wurde mit einem Kolposkop,
einem Untersuchungs-Mikroskop, dass eine 6 - 40 fache Vergrößerung lieferte, die Ober-
Endoskop: Ein Gerät, mit dem das Innere von lebenden Organismen, aber auch technischen Hohlräumen durch Bildgebung
untersucht werden kann. Ursprünglich für die humanmedizinische Diagnostik entwickelt, wird es heute auch für minimal-invasive
operative Eingriffe an Mensch und Tier sowie in der Industrie zur Sichtprüfung