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Erik Haase “La France, le maillon faible en Occident "? Die politischen Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich in den 1970ern Diplomica Verlag Erik Haase "La France, le maillon faible en Occident?" Die politischen Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich in den 1970er Jahren ISBN: 978-3-8428-1490-5 Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2012 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. 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Dementsprechend haben sich auch in der Fachliteratur mittlerweile schier unüberschaubar gewordene Veröffentlichungen zum Couple franco-allemand angesammelt, denen eines gemeinsam ist: Sie konzentrieren sich auf die bilateralen Beziehungen zwischen der Bundesregierung und dem Elysée-Palast. Selbst wenn die Aufarbeitung der Außenpolitik der DDR in den letzten Jahren mehr Interesse erfuhr, u.a. dank Prof. Ulrich Pfeil, beschränkt sich die Literatur zu den Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich auf vergleichsweise wenige Titel, die zudem, wenn sie auf die Zeit vor dem Fall der Mauer zurückgehen, beiderseits der Elbe politisch gefärbt waren. Das macht diese Titel keineswegs unbrauchbar, doch müssen die Rückschlüsse der Autoren auch vor dem Hintergrund des Kalten Krieges eingeordnet werden, ohne die starken Argumente, klaren Fakten und korrekten Statistiken außer Acht zu lassen. Die „positive“ Seite an der Zensur in der DDR und an der damit nur beschränkten Aussagekraft der DDRFachliteratur ist die Tatsache, dass sie den offiziellen Duktus der Partei im jeweiligen zeithistorischen Kontext wiedergibt. Auch heute noch bleibt die Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Deutschland ein begriffliches und politisches Minenfeld, denn mit vielen Begrifflichkeiten verbinden sich noch immer Ungenauigkeiten, Konnotationen und Wertungen. Die Abkürzung BRD für Bundesrepublik Deutschland bspw. war ab den 1970er Jahren auf bundesdeutscher Seite verfemt. Als „Agitationsformel“ oder gar kommunistische Erfindung sollte sie angesichts des offiziellen Kürzels DDR vermieden werden, um über die analoge Abkürzung Bonn nicht mit Ost-Berlin auf eine Stufe zu stellen. In der vorliegenden Arbeit verwendet der Autor das Kürzel BRD, da es sich zum Einen in der modernen Fachliteratur wieder eingebürgert hat und die politische Aufladung zum Anderen nicht mehr gegeben ist. Die Begriffsproblematik betrifft aber auch die DDR bzw. die Schwierigkeit, ein Adjektiv zu diesem Staat zu finden. Während Jugendliche aus Frankreich sprachlich schöner französische Jugendliche sind (die Problematik der Migrationshintergründe soll hier einmal ausgeblendet werden), sind Kinder aus der DDR… DDR-Kinder? Nein, das ist semantisch und stilistisch unmöglich. Ostdeutsche Kinder? Auch diese Bezeichnung hat vor dem Hintergrund der (groß)deutschen Geschichte ihre Schwächen, doch in der vorliegenden Arbeit soll das Attribut „ostdeutsch“ für „aus der DDR kommend“ stehen, weil sich das Thema zeitlich klar 1 eingeordnet und ohne Diskussion über frühere deutsche Gebiete bzw. über die heutigen Neuen Bundesländer auskommt. Ein weiterer heikler Punkt betrifft die Natur der DDR selbst. Im Rahmen dieser Magisterarbeit kann und soll keine Diskussion darum geführt werden, ob die 40 Jahre bestehende Deutsche Demokratische Republik totalitären oder autoritären Charakter trug. Die Tatsache, dass sie eine Diktatur mit oligarchischen Entscheidungsstrukturen war, soll hingegen die in der Arbeit verwendeten Synonyme SED-Führung = Staats- und Parteiführung = Regierung der DDR rechtfertigen. Ein letztes Wort soll dem gewählten Zeitraum der Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich gelten. Aus wissenschaftlicher Sich ist jene Periode der 1970er bzgl. der DDR sicherlich eine der spannendsten, weil sie mit dem Wechsel an der Parteispitze 1971, mit der internationalen Anerkennung der DDR 1973, mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1973–75 und mit den neuen diplomatischen Verpflichtungen und Zielen eine Zeitspanne der Umbrüche und Neuorientierungen darstellt. Nicht zuletzt sind die 1970er besonders ergiebig, weil aufgrund der 30jährigen Sperrfrist für die Akteneinsicht in die Politischen Archive nur bis 1979 eine gesicherte Grundlage gewährleistet ist. Die vorliegende Arbeit wurde v.a. mit Material aus den Archives diplomatiques (La Courneuve) der Französischen Republik bereichert. 2 Gliederung Vorwort ..................................................................................................................................... 1 Gliederung................................................................................................................................. 3 Einleitung .................................................................................................................................. 7 1. Das Interesse der DDR an Frankreich oder Frankreichpolitik = Deutschlandpolitik........................................................................... 10 2. Frankreichs Interesse an der DDR ............................................................................... 12 3. Bestimmungsfaktoren und Handlungsspielraum der DDR in der Außenpolitik..... 14 a. Formen der Außenpolitik der DDR.............................................................................. 14 b. Faktoren der Außenpolitik Ost-Berlins ........................................................................ 15 4. Welche Art der Beziehungen?....................................................................................... 18 I. Partei- und Gewerkschaftsbeziehungen – Ein tragendes Element in den ostdeutschfranzösischen Beziehungen.................................................................................................... 19 1. Deutschlandpolitische Funktion.................................................................................... 20 2. Kommunistische Solidarität auf dem Weg zur Anerkennung ................................... 21 3. Konjunkturen im Verhältnis zu den französischen Kommunisten ........................... 23 4. Eurokommunismus ........................................................................................................ 24 5. Burgfrieden zwischen den kommunistischen Parteien ............................................... 25 6. Ende des „eurokommunistische Zwischenspiels“ ....................................................... 26 7. Fazit ................................................................................................................................. 27 II. (Halb) Offizielle Beziehungen .......................................................................................... 29 1. Vor 1973: Halb-offizielle Beziehungen......................................................................... 29 2. Vor der Anerkennung keine Regierungsbeziehungen – Kontakte zu Parlamentariern ................................................................................................................. 30 3. Quasi-gouvernementale Beziehungen in Vorbereitung der Anerkennung............... 34 a. Diplomatie hinter Bonns Rücken ................................................................................. 36 b. Treue zu Bonn .............................................................................................................. 38 4. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen................................................................ 39 3 5. Desillusion nach der Anerkennung – oder „Formalisierung“ statt „Normalisierung“ ............................................................................................................... 40 6. Die KSZE – Höhepunkt der Entspannung der 1970er Jahre .................................... 43 a. Französisch-sowjetische Interessenskonvergenz in Bezug auf Deutschland ............... 43 b. Erwartungshaltungen, Prioritäten und Konzepte der Blöcke ....................................... 45 c. Vor- und Nachteile für die DDR .................................................................................. 47 d. Vor- und Nachteile für Frankreich ............................................................................... 49 e. Bedeutung für die ostdeutsch-französischen Beziehungen .......................................... 50 7. Offizielle Beziehungen in der zweiten Hälfte der 1970er............................................ 50 a. Neue Incertitudes allemandes ...................................................................................... 52 b. Internationales Prestige: Der erste Außenminister einer Westmacht in Ost-Berlin..... 53 8. Die zentralen Abkommen zur Formalisierung der Beziehungen .............................. 54 a. Das Kulturabkommen................................................................................................... 55 b. Das Konsularabkommen .............................................................................................. 57 III. Beziehungen zu den „gesellschaftlichen Kräften“........................................................ 59 1. Die Freundschaftsgesellschaften ................................................................................... 59 a. Funktionen und Ziele.................................................................................................... 59 b. Aufbau/ Struktur/ Organisation.................................................................................... 60 c. Konkrete Arbeit der Freundschaftsgesellschaften........................................................ 62 d. 1973 Wechsel und Kontinuität oder „Von der Anerkennung zum Kennenlernen“ ..... 63 2. Jugendbeziehungen ........................................................................................................ 64 a. Arbeit gegen das DFJW................................................................................................ 64 b. Studentenaustausch ...................................................................................................... 67 3. Städtepartnerschaften.................................................................................................... 67 a. Umfang der Partnerschaften und das Problem deren Anerkennung ............................ 69 b. Aktivitäten.................................................................................................................... 70 c. Probleme....................................................................................................................... 71 d. Zusatz ........................................................................................................................... 71 IV. Kulturbeziehungen als Öffentlichkeitsarbeit ................................................................ 73 1. Stellenwert kultureller Beziehungen im Kalten Krieg................................................ 74 2. Selbstverständnis, Ziele und Funktionen der auswärtiger Kulturpolitik der DDR 74 3. Propaganda als Mittel der Theorievermittlung in der auswärtigen Politik ............. 75 4 4. Gegen die Bonner These der einheitlichen Nationalkultur ........................................ 76 5. Frankreichs Interessen in der auswärtigen Kulturpolitik mit der DDR .................. 79 6. Künstler der DDR in Frankreich.................................................................................. 80 7. DDR-Literatur in Frankreich ....................................................................................... 81 8. Französische Literatur in der DDR.............................................................................. 84 9. Frankreichbild in der DDR ........................................................................................... 85 a. Frankreich in der ostdeutschen Presse.......................................................................... 85 b. Frankreichbild in Schulbüchern der DDR.................................................................... 88 10. DDR-Bild in Frankreich .............................................................................................. 91 a. Darstellung der DDR in französischen Schulbüchern.................................................. 91 b. DDR-Bild in französischen Medien............................................................................. 92 c. Wissenschaftliche Beschäftigung mit dem zweiten deutschen Staat ........................... 93 V. Wirtschaftsbeziehungen.................................................................................................... 97 1. Innenpolitische Bedeutung für die SED ....................................................................... 97 2. Allgemeines Potential des Außenhandels für die DDR-Außenpolitik ....................... 98 3. Wirtschaftsbeziehungen bis 1973.................................................................................. 99 a. Die Kammer für Außenhandel mit Botschaftsfunktion.............................................. 100 b. Ein großer Schritt Richtung Anerkennung................................................................. 101 4. Reiz und Fluch des Handels mit dem Westen............................................................ 103 5. Suche nach Diversifizierung der Handelspartner ..................................................... 104 6. Interessen Frankreichs am Handel mit dem Osten in der 1970ern......................... 106 7. Entwicklung des Handels mit Frankreich nach der diplomatischen Anerkennung .................................................................................................................... 107 a. Das Zehnjahresabkommen von 1973 ......................................................................... 107 b. Sprünge statt Kontinuität in den Handelsbeziehungen .............................................. 108 c. Großaufträge als Gegenleistung zu politischem Prestige – Welche Handlungsmöglichkeiten hatte die hochverschuldete DDR?......................................... 109 8. Fazit ............................................................................................................................... 111 Schluss ................................................................................................................................... 113 1. Ausblick auf die 1980er Jahre..................................................................................... 113 a. Neue Ausrichtung der französischen Ostpolitik (Regierungswechsel Mitterrand 1981) ............................................................................................................ 113 5 b. Die Kulturzentren....................................................................................................... 115 c. Hohe diplomatische Besuche ..................................................................................... 115 2. Vergleich mit den Beziehungen zu anderen europäischen Ländern ....................... 117 a. Großbritannien............................................................................................................ 117 b. Italien.......................................................................................................................... 118 Konklusion ............................................................................................................................ 121 1. Einschätzung der Beziehungen in den 1970er Jahren .............................................. 121 2. La Carte RDA ................................................................................................................ 122 3. Ernüchterungsmomente für Ost-Berlin ..................................................................... 124 4. Beitrag zum Ende der DDR?....................................................................................... 125 5. Zum Beziehungsgeflecht nach dem Modell der Raute ............................................. 126 Anhang .................................................................................................................................. 129 Anhang 1 ........................................................................................................................... 129 Anhang 2 ........................................................................................................................... 130 Anhang 3 ........................................................................................................................... 131 Anhang 4 ........................................................................................................................... 132 Anhang 5 ........................................................................................................................... 133 Anhang 6 ........................................................................................................................... 134 Bibliographie......................................................................................................................... 135 Abkürzungsregister.............................................................................................................. 144 6 Einleitung „Non, je ne reconnaîtrai pas Pankow!“ Charles de Gaulle Im Bewusstsein der Mehrzahl der Franzosen war der Begriff RDA untrennbar mit dem der République fédérale verbunden. Die DDR blieb für den größten Teil der französischen Bevölkerung ein „Niemandsland“.1 Die Franzosen nahmen vor allem den von den Regierungen in Paris und Bonn betriebenen (Wieder-)Aufbau Europas wahr, weshalb sich für sie das Konzept „Deutschland“ im Wesentlichen nicht von der Bundesrepublik unterschied. Der Historiker und DDR-Kenner Georges Castellan stellte 1964 treffend fest, dass das „andere Deutschland“ ein pays méconnu2 wäre. Noch in den 1980er Jahren urteilte er: „A l'exception peut-être de la Mongolie et du Tibet, le Français moyen est bien moins informé sur la RDA que sur n'importe quel autre pays.“3 Erst in den 1970er Jahren wurde die DDR im Zuge ihrer internationalen Anerkennung auch in Frankreich von politisch Interessierten wahrgenommen. Dieses Jahrzehnt ist für eine Untersuchung der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und Frankreich in vielerlei Hinsicht besonders interessant. Zum Einen stellt der kurze Zeitraum Ende der 1960er bis zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Februar 1973 eine Periode intensivster Bemühungen der DDR um die Gunst des Elysée-Palastes dar. Zum Anderen änderte sich das Verhältnis zwischen Paris und Ost-Berlin in der unmittelbaren Zeit nach der Anerkennung kaum, wozu beide Seiten aus unterschiedlicher Motivation beitrugen. Drittens stand die zweite Hälfte der 1970er dann unter dem Eindruck der Verhandlungen um die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) im Zeichen der Entspannung und Normalisierung der Beziehungen. Nicht zuletzt waren die 1970er für die DDR das erfolgreichste, aber gleichzeitig das den wirtschaftlichen und politischen Niedergang determinierende Jahrzehnt. Doch auch wenn das Hauptaugenmerk der Arbeit auf diesen drei Zeitabschnitten liegt, müssen zum weitergehenden Verständnis das Verhältnis in den 1950/60ern ebenso wie die Auswirkungen der Politik der 1970er auf das letzte Jahrzehnt des Bestehens der DDR in Kürze behandelt werden. 1 Fritsch-Bournazel 1998:169 Castellan, Georges (1964): Un pays méconnu: La République Démocratique Allemande. Paris: Presse Universitaire 3 Castellan 1980:301 2 7 THESE Politische Beziehungen im Sinne klassischer bilateraler Diplomatie bestanden zwischen der DDR und Frankreich nicht. Mit allen offiziösen wie offiziellen Kontakten verbanden insbesondere die Führung der DDR aber auch die französische Regierung Ziele mit Dritten, in der Regel mit der Regierung in Bonn bzw. jener in Moskau. DDR Bundesrepublik Sowjetunion Frankreich Abbildung 1: Beziehungsraute (E.H.) Eine Verbildlichung, die ja auch stets eine Vereinfachung von Sachverhalten und Zusammenhängen darstellt, ist sicherlich gerade im Hinblick auf politische Beziehungen mit Einschränkung verbunden. Diese „ungleiche Raute“4 verdeutlicht jedoch besonders gut das Beziehungsgeflecht, bei dem die Interessen eines Akteurs die Interessen eines anderen berühren und Rückkoppelungen verursachen. Beispielsweise achtete die Sowjetunion stets mit Argusaugen darauf, dass die Westkontakte der DDR nicht die Moskautreue der ostdeutschen Genossen gefährdete. Und auch bei aller deutsch-französischen Freundschaft bestand in Bonn Misstrauen gegenüber den französischen Interessen östlich der Elbe.5 Das Modell soll die Handlungsbeschränkungen der Akteure DDR und Frankreich, aber ebenso der Bundesrepublik und in eingeschränkterem Maße auch der UdSSR verdeutlichen. 4 Der Autor verzichtet auf jedwede geometrische Exaktheit bzw. mathematische Fachtermini Ernst Weisenfeld, langjähriger Frankreichkorrespondent der ARD und Leiter der Zeitschrift Dokumente, beschrieb treffend: „Gestehen wir es ein: Die Art, wie Frankreich sich dem zweiten deutschen Staat, der DDR, nähert, wird bei uns immer aufmerksam beobachtet werden.“; Weisenfeld 1986:171 5 8 Dabei soll die linksseitige Markierung der Raute auf das Interessenschwergewicht der vorliegenden Arbeit, der Ausrichtung der bilateralen Beziehungen auf die BRD, verweisen. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind zwar im Zusammenhang des Kalten Krieges nicht wegzudenken, spielen aber im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes eine eher vernachlässigbare Rolle und waren nur indirekt beteiligt. In dieser Arbeit soll zudem deutlich werden, dass seitens der DDR-Führung ein zielgerichtetes Zusammenspiel (semi)diplomatischer, kultureller, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Kräfte betrieben wurde; und zwar abgesehen von Nuancen sowohl vor als auch nach der internationalen Anerkennung 1973. Alles wurde dem Dienst der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) unterstellt und in dem Prozess der internationalen Aufwertung der DDR sollte nichts dem Zufall überlassen werden. Die Gliederung der vorliegenden Arbeit spiegelt die Bemühungen um Aufwertung, Anerkennung und letztlich auch Stabilisierung der DDR dahingehend wider, als dass die Beziehungen auf den unterschiedlichen Ebenen jeweils um den Dreh- und Angelpunkt 1973, also der Offizialisierung der Beziehungen zwischen Frankreich und der Deutschen Demokratischen Republik untersucht werden. Die Kapitel sind thematisch und jeweils in sich chronologisch aufgebaut. Die Lektüre muss sich daher nicht unbedingt an die vorgeschlagene Reihenfolge halten, denn Querverweise auf andere Kapitel innerhalb der Arbeit geben dem Leser die Möglichkeit, das geschlossene, konzertierte Vorgehen der verschiedenen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfte in der DDR zu verfolgen. Stets sollen auch die französischen Interessen und Initiativen in den Beziehungen zum sozialistischen Deutschland herausgestellt werden. Der Fokus liegt hingegen auf der DDR, auch weil viele Spezifika und Antriebe ihrer Außenbeziehungen zu Westeuropa einer genaueren Erklärung bedürfen. Eine Analyse der politischen Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich kann nur dann aussagekräftig sein, wenn man sich ihrer Bedeutung für die Außenpolitik der DDR im Allgemeinen und für die Beziehungen der DDR zum deutschen Konkurrenten in Bonn im Speziellen klar wird. Hierbei müssen die Ziele und Methoden der Partei- und Staatsführung der DDR in ihrer Außenpolitik ebenso einbezogen werden wie die besonderen Beziehungen sowohl Ost-Berlins als auch Paris zu den Regierungen in Bonn und Moskau. Zudem müssen diese Beziehungen in die verschiedenen Phasen des Kalten Krieges eingebettet werden, wobei 9 die besonderen Abhängigkeitsverhältnisse beider Länder in ihrem jeweiligen Bündnissystem ebenso zu beachten sind. Die Beziehungen der DDR zu Frankreich sind folglich unter Beachtung exogener, globaler Faktoren des Kalten Krieges und endogener, kontinentaleuropäischer Faktoren der deutschen Teilung zu analysieren. Warum Frankreich? Was machten die Beziehungen zu Frankreich im Vergleich zu Beziehungen der DDR zu anderen westlichen Staaten so besonders? Warum unterhielt die DDR zu keinem anderen westlichen Staat auf allen Ebenen so intensive Kontakte wie zur Französischen Republik? Ohne den Hauptkapiteln vorweg zu greifen, sollen die Interessen im Unterhalten von Beziehungen zum jeweils Anderen einen ersten Aufschluss geben. 1. Das Interesse der DDR an Frankreich oder Frankreichpolitik = Deutschlandpolitik Die herausragende Stellung, die Frankreich unter den westlichen Ländern für die DDR einnahm, erscheint nachvollziehbar. In Ost-Berlins übergeordnetem Ziel der internationalen Anerkennung stellte die französische Regierung aus einer Reihe von Gründen den „Hoffnungsträger“ für die West- und damit Deutschlandpolitik der DDR dar: Das Statut Frankreich hatte als Besatzungsmacht bzw. als Signatarstaat des Viermächteabkommens Verantwortung und Mitspracherecht für Deutschland als Ganzes und Berlin und war dadurch allein formal unumgänglich in der Klärung der deutschen Frage. Bonn Paris war der nach Ost-Berliner Terminologie der wichtigste imperialistische Rivale und Partner Bonns und genoss hieraus besondere Einwirkungsmöglichkeiten auf den Hauptfeind und gleichzeitig Hauptbezugspunkt der Staatsführung der DDR. Bezüglich Deutschland gab es zudem Übereinstimmungen zwischen Charles de Gaulle und den Machthabern in Moskau und Ost-Berlin: Von der Achtung der Ostgrenzen, allen voran der Oder-Neiße-Grenze, über das Verbot der atomaren Rüstung für die BRD bis zur Tatsache, dass West-Berlin kein Teil der Bundesrepublik war, teilten sie gleiche Positionen. 10 Starke kommunistische Bewegung Der SED eröffneten sich durch die starke Stellung der Parti communiste français (PCF) und der Confédération générale du travail (CGT) in Frankreich Kontakt- und Einwirkungsmöglichkeiten, wie sie sich in den anderen westlichen Ländern nicht geboten hatten. Partei und Gewerkschaft waren in Frankreich zudem stärker von Moskau gelenkt als in Italien oder Spanien, was der DDR zum Vorteil gereichte.6 Deutschland als Feind Im deutsch-deutschen Bilderkampf darf nicht vergessen werden, dass weite Teile der französischen Bevölkerung nicht nur Vorbehalte, sondern gar eine tiefe Abneigung gegenüber der BRD, dem Nachfolgestaat des Dritten Reiches, hegten. Viele derer, insbesondere die Anciens Combattants, die Résistants und die Deportierten, bevorzugten jenes Deutschland, das den Antifaschismus zur Staatsräson erklärte. Die historische Kontinuität der emotionalen Einteilung in ein „gutes“ bzw. „böses“ Deutschland war Bonn im ersten Nachkriegsjahrzehnt ein Nachteil bei der französischen Bevölkerung.7 Die Furcht vor einer möglichen deutschen Revanche im Zusammenhang mit den Diskussionen um die Pläne Schuman bzw. Pleven8 war im Frankreich der 1950er real.9 Indépendence nationale Zur internationalen Profilierung Frankreichs als schwieriger aber unerlässlicher Partner für das westliche Bündnissystem suchten alle Präsidenten seit de Gaulle die Annäherung an die UdSSR und präsentierten sich insbesondere als westliche Vorreiter der von Moskau initiierten Entspannungspolitik.10 Die Stellung der Fünften Französischen Republik zwischen den Blöcken machte Paris daher zu einem bevorzugten Adressaten der sowjetischen Politik, was auch direkte Auswirkungen auf die Politik der DDR hatte.11 Für die Partei- und Staatsführung in Ost-Berlin hieß „Frankreichpolitik“ also bis 1973 de facto zu 100% „Deutschlandpolitik“. Doch auch nach 1973 standen vor allem die kulturelle Abgrenzungspolitik gegenüber der BRD, die Devisen aus den Handelsgeschäften sowie die politische Legitimation des SED-Regimes aus dem Prestige, das erfolgreiche Beziehungen mit dem Elysée-Palast versprachen, im Mittelpunkt Ost-Berliner Interessen. 6 vgl. Schütze 1979:489 vgl. Pfeil 2004:486 8 Es handelt sich um die Projekte der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl sowie der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft 9 vgl. Metzger 1999:22 10 vgl. Burda 1990:63 11 vgl. Dankert 1999:383 7 11 2. Frankreichs Interesse an der DDR Wenngleich für die französische Regierung die Kontakte nach Moskau primär waren, verfolgte sie auch spezifische Interessen mit den anderen Hauptstädten Osteuropas: Gaullistische Ostpolitik Seit der von de Gaulle betriebenen Annäherung an die sozialistischen Staaten war ein erklärtes Ziel Frankreichs, über die eigenen, unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteile des Handels mit Osteuropa auf die Entstehung wirtschaftlicher Abhängigkeiten der sozialistischen Länder von Westeuropa hinzuarbeiten, um mittelbar über eine Aufweichung der Blockstrukturen hin zu einem Gebilde souveräner Nationalstaaten zu gelangen. Dies war Teil des gaullistischen Konzepts eines Europas „vom Atlantik bis zum Ural“.12 Gleichzeitig konnte Frankreich die DDR nicht wie die anderen osteuropäischen Staaten behandeln. Immerhin erklärte die französische Regierung im September 1950 auf der New Yorker Konferenz (Deutschlanderklärung) mit den zwei anderen Westmächten, dass sie, konform zum Alleinvertretungsanspruch in der Präambel des Grundgesetzes, lediglich die Regierung in Bonn als legitim anerkannte, im Namen Deutschlands als Vertreter des deutschen Volkes international in diplomatischen Angelegenheiten zu agieren.13 Dieser Linie blieb Paris zwar bis 1973 treu, allerdings war Frankreich eines jener westlichen Länder, das die DDR keineswegs isolierte. Vielmehr ging Paris seit Mitte der 1950er von einer offiziellen Ablehnung der DDR zu einer offiziösen Anerkennung über, stets darauf bedacht, der Hallstein-Doktrin formal gerecht zu werden. Denn dass es töricht wäre, sich dem Regime im Osten gänzlich zu verschließen, beschied dem Elysée-Palast auch die wissenschaftliche Expertise: Das Institut d'études européennes, das sich bereits sehr früh mit dem sozialistischen Deutschland auseinandersetzte, wies darauf hin, dass es „eine sehr schlechte Politik [sei], einen Teil Deutschlands über Gebühr zu unterstützen und sich den anderen zum Gegner zu machen bzw. ihn aufzugeben. Im Falle einer Nicht-Vereinigung wird es einen subtilen Balanceakt geben müssen, aus dem Frankreich nur Vorteile ziehen kann.“14 Gute Beziehungen mit der DDR als der von Moskau am stärksten abhängige, zugleich als westlichster sozialistischer Staat aber auch der wichtigste Verbündete in Europa waren nicht zuletzt auch förderlich für das französisch-sowjetische Verhältnis, aus dem Paris wiederum politischen Nutzen gegenüber den NATO-Verbündeten, v.a. den USA, ziehen wollte.15 12 vgl. Dankert/ Werner 1979:57 vgl. End 1973:27 14 Geheimer Bericht des Instituts für Europäische Studien, Straßburg, 4.11.1955; zitiert nach Metzger 1999:22 15 vgl. Dankert 1989:472 13 12 Deutschland zur eigenen Größe klein halten Frankreich hatte dahingehend Interessen an Kontakten zur DDR, weil es aus historischer Perspektive immer daran interessiert war, Gegengewichte zum deutschen Potential aufzubauen. Russland, bzw. die UdSSR, zu deren Block die DDR gehörte, war dabei der natürliche Partner.16 Zum besseren Verständnis soll an dieser Stelle ein Rückgriff auf die traditionelle französische Sicht auf die deutsche Nation in der europäischen Staatenordnung helfen: Im Gegensatz zu den Franzosen, deren Nationsbegriff der Revolution von 1789 sich politisch am Leitmotiv der inneren und äußeren Einheit und der freien Selbstbestimmung orientierte, nahm die in Deutschland tradierte Idee des Volkes oder der Nation nicht den politischen Verband als Basis, sondern die durch gemeinsame Sprache und Kultur gegebene ethnische Zugehörigkeit. Die neuzeitliche deutsche Geschichte war nur eine relativ kurze Zeit vom Prinzip des Nationalstaates geprägt. Das alte deutsche Reich vor 1806 ging nicht wie andere europäische Staaten im Zeitalter der Fürstenmacht den Weg hin zu einem national geschlossenen Gebilde. Inmitten der europäischen Staaten stellte die einer Föderation ähnelnde Aufteilung Mitteleuropas ein Element des Friedens und aufgrund der Einflussnahme angrenzender Mächte auch des Ausgleichs dar. Insbesondere Frankreich profitierte von dieser Situation deutscher machtpolitischer Schwäche. Selbst der 1815 gegründete Deutsche Bund stellte eine im Vergleich zu seinen Anrainern lose Einheit dar. Wie 1871 die Gründung des Deutschen Reiches nach Preußens erfolgreichem Krieg gegen Frankreich und die weitere europäische Geschichte zeigte, stand es historisch gesehen gegen französische Interessen, einen politisch starken Nachbarn „rechts des Rheins“ zu wissen.17 Die Existenz der DDR war ein machtpolitischer Faktor, der Frankreich vom Trauma einer weit überlegenen Großmacht an seiner Ostgrenze befreite.18 Die Mehrzahl der Franzosen stimmte daher mit den oft zitierten Worten des Romanciers und Widerstandskämpfers François Mauriac (Nobelpreis 1952) überein: „J'aime tellement l'Allemagne que je suis heureux qu'il y en ait deux.“ Auch die DDR wusste selbstverständlich um die machtpolitischen Interessen Frankreichs und um ihren damit nicht unerheblichen potentiellen Einfluss in Paris: Aus Gründen machtpolitischer Rivalität mit dem Imperialismus der BRD ist der französische Imperialismus am territorialen Status quo, wie er sich nach dem zweiten Weltkrieg in Europa herausgebildet hat, interessiert. Die Existenz zweier deutscher Staaten und Westberlins ist – 16 vgl. Dankert 1999:383 vgl. Scheuner 1979:88 18 vgl. Dankert 1990:471 17 13