Predigt am vorletzten Sonntag, Reihe V

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Predigt am vorletzten Sonntag, Reihe V
Predigt am vorletzten Sonntag im Kirchenjahr, 17.11.2013, Matthäus- und
Annenkirche Dresden
Jeremia 8, 4-7
Liebe Gemeinde,
„Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken und der Maschinist in dumpfe
Lethargie versunken, die Mannschaft lauter meineidige Halunken, der Funker zu feig,
um SOS zu funken, Klabautermann führt das Narrenschiff, volle Fahrt voraus und
Kurs aufs Riff“. Das ist der Refrain eines bitteren Lieds von Reinhard Mey. Ein
einziger Irrsinn das, was die Menschen so tun. Dass Steuer haben sie einem Kobold,
einem Dämonen überlassen, der den Erdenkahn in den Untergang schippert. Wenn das
Lied auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat (1998, CD „Flaschenpost“) – ist es
nicht aktuell wie eh? Ich müsste erst die Verse zitieren! Doch – was soll´s, die
Nachrichten sind voll von Steuerbetrug, Prozessverschleppung, Terror und Krieg. Das
Weltklima ändert sich: Trotz Klimaerwärmung Kälte allenthalben: Reiche werden
reicher und reicher, Arme immer ärmer. Das Internet macht eine Überwachung
unvorstellbaren Ausmaßes möglich. Unter der trügerischen Decke einer alles-isterlaubt-Demokratie regt sich überall Reglementierung und Radikalisierung, Angst
macht sich breit, auch Selbstzensur: Der Kreuzchor nahm bei der Chinatournee
vorsorglich das alte deutsche Volkslied „Die Gedanken sind frei“ aus dem Programm.
Und sonst? Alle laufen dem Geld hinterher. Wer etwas erwischt hat, rückt es nicht
wieder raus. Genug.
„Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahin stürmt“, sagt
Jeremia vor sehr langer Zeit. Augen zu und durch. Alle laufen mit. Wer stehen bleibt,
wird überrannt, ins Abseits gedrängt, wer in eine andere Richtung läuft und abgehängt,
wer nicht mithalten kann. Die Zeit rast, sagen wir, schon wieder November, das Jahr
fast vorbei. Es bleibt kaum Zeit zur Besinnung, die doch so nötig wäre. Freilich, heute
ist Sonntag, am Mittwoch ist Buß- und Bettag. Der heutige Sonntag ist als
„Volkstrauertag“, dazu noch mitten in der „Friedensdekade“, dem Gedenken der Opfer
von Krieg und Gewalt und der Versöhnung gewidmet. „Sie laufen alle ihren Lauf wie
ein Hengst, der in der Schlacht dahin stürmt“. Ist es das gepanzerte, für den Kampf
ausgebildete Schlachtross, was unerbittlich den Krieger zum Angriff trägt? Ist es das
durch den Kriegslärm verstörte, in Todesangst fliehende Pferd? Letztlich einerlei, der
Prophet beschreibt den Irrwitz plan- und zielloser Hast der Menschen, Kopf durch die
Wand, Augen zu und durch.
Dem stellt Jeremia ein friedliches Bild gegenüber: Zugvögel. Schlachtrösser sind das
kriegerische Bild blinder Gewalt, wo Unversöhnlichkeit mit Stärke,
Kompromisslosigkeit mit Durchsetzungsfähigkeit verwechselt wird und geduldiges
Verhandeln unbekannt ist, Selbstkritik erst recht. Beim Vorwärtsstürmen ist an
Umsehen, gar umkehren, nicht zu denken. Angriff ist die beste Verteidigung, wer nicht
meiner Meinung ist, der ist mein Feind. Wie anders doch das Bild der Zugvögel: Zwar
auch da Unaufhaltsamkeit, doch immer friedlich. Und: Zugvögel kehren zurück.
Auf diese Rückkehr, diese Umkehr „zur rechten Zeit“, kommt es dem Propheten an.
Sein Volk fragt nicht nach dem Willen Gottes. Es möchte den eigenen Willen
durchsetzen. Die Gottesdienste waren aufgeweicht von Anbiederung an fremde Kulte.
In grandioser Verkennung der Lage haben die Leute Verbündete gesucht bei denen,
die schon den Untergang Israels beschlossen hatten. Noch merken sie nichts. Doch
wenn sie auf der Schnauze liegen, dann würden sie schon gerne wieder aufstehen.
Es ist gut, dass die Bibel von Menschen ferner Zeiten erzählt und dass sie in Bildern
spricht. Wenn wir das heute lesen oder hören, dann schauen wir mit unseren inneren
Augen Bekanntes. Wie beim gespenstigen Bild vom „Narrenschiff“ in Reinhard Meys
Lied. Das Schlachtross wird zum Panzerwagen oder zum Kampfflugzeug. Die
unbeweglichen, sturen Menschen haben wir früher einmal „Betonköpfe“ genannt.
Politische oder wirtschaftliche Irrwege erkennen die Verantwortlichen meist erst dann,
wenn sie schon am Boden liegen, und auch da noch schieben sie gerne die Schuld
anderen zu. Sind wir wirklich so viel anders? Hören wir die wichtigen Stimmen aus
dem vielstimmigen Chor der Mahner und Warner unserer Zeit heraus? Da sind wir
schon bei Lüge und Wahrheit, bei dem Wort „Bosheit“, bei der Frage nach den
Gottesdiensten und – wissen wir um das „Recht des Herrn“? Jetzt sind wir endgültig
im Europa des 21. Jahrhunderts angekommen, oder? Wir schätzen die zehn Gebote,
das Doppelgebot der Liebe, die Bergpredigt Jesu – aber unser Leben gleicht ja doch
dem unserer nichtchristlichen Zeitgenossen. „Niederschwellige Angebote“ in Ehren,
aber Verwechselbarkeit ist auch keine gute Werbung. Lassen wir uns auch in den
Kirchgemeinden von der Macht des Geldes blenden, vernachlässigen wir Einfachheit,
Herzlichkeit und Liebe? Stichwort „Gottesdienste“: Ist etwa dieser Gottesdienst
„falsch“, vielleicht, weil er so mäßig besucht ist? Sind KirchentagsAbschlussgottesdienste „richtig“, weil sie so öffentlichkeitswirksam sind, allein schon
durch die schiere Masse der Teilnehmer? „Richtige“ Gottesdienste verkündigen das
Wort Gottes und die Botschaft Jesu, sie machen die Liebe Jesu spürbar und erfahrbar.
Ich denke, da haben auch wir noch viel Klärung, noch viel Umkehr nötig.
Unser ernstes Prophetenwort nennt die Worte „aufstehen“, „zurechtkommen“,
„umkehren“, „wiederkommen“: Alles positive Begriffe für das in unserem
Sprachgebrauch negativ besetzte Wort „Buße“, das wir mit „Sack und Asche“, mit
Strafe und Bußgeldbescheiden in Verbindung bringen. Aufstehen nach einem Sturz,
die Kleidung ordnen, den Staub abschütteln, den richtigen Weg einschlagen, das ist
gut. „Wo ist jemand, wenn er fällt, dass er nicht gerne wieder aufstünde? Wo ist
jemand, wenn er in die Irre geht, der nicht gerne wieder zurecht käme?“ Es ist nicht
schön, sich im Wald zu verirren oder sich in einer fremden Stadt mit dem Auto zu
verfahren. Manchmal ist das zum verzweifeln, da kommt man gerne wieder raus. In
der verwirrenden Vielfalt unsrer Zeit ist ein fester Orientierungspunkt nötig. Den
haben wir: Jesus Christus. Sein Kreuz ist unser Zeichen. Wer in eine Sackgasse
geraten ist, muss umkehren – oder mit Vollgas gegen die Mauer fahren. Oder eben
aufs „Riff“, wie Reinhard Mey singt. Was ist besser? Umkehren, denke ich. Jesus hat
gesagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Das ist ein gutes Angebot. Nicht
Klabautermann – Jesus soll unser Schiff führen.
AMEN