Mit Kraft und Verve. Die Mimin hinter der Figur Eva

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Mit Kraft und Verve. Die Mimin hinter der Figur Eva
Mit Kraft und Verve. Die Mimin hinter der Figur: Eva-Maria Hagen
Stefan Volk (film-dienst 21/2004)
„Ist das nicht die Mutter dieser Punksängerin?“ Hätte man sich vor gut 20 Jahren auf
westdeutschen Straßen nach Eva-Maria Hagen erkundigt, wäre das vermutlich eine der
häufigeren Gegenfragen gewesen. Die meisten hätten beim Namen Hagen zuallererst an Nina
gedacht, die schrillbunte Rock-Göre mit der kräftigen Opernstimme und dem theatralischen
Augenaufschlag. Und heute? Heute würden viele vielleicht fragen: Ist das nicht die
Großmutter dieser jungen Schauspielerin, die in der Werbung „online lebt“? Inzwischen hat
sich nämlich Cosma-Shiva als jüngster Spross der Hagenschen Ahninnen-Reihe ihre ersten
darstellerischen Meriten verdient, im Kino u.a. mit „Das merkwürdige Verhalten
geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit“, ihrem Debüt, und „Marlene“.
Doch es war nicht immer so, dass man den Namen Hagen erst auf Umwegen mit Eva-Maria
verband. Bevor die Landarbeitertochter, die in Hinterpommern ihre Kindheit verbrachte und
1945 im Alter von zehn Jahren nach Perleberg in Mecklenburg umgesiedelt wurde, ab Mitte
der 1960er-Jahre nicht nur in Stasi-Akten das erste Mal indirekt, nämlich als Geliebte und
Vertraute des regimekritischen Liedermachers Wolf Biermann, von sich reden machte, war
sie bereits zu einer der bekanntesten und beliebtesten DEFA-Darstellerinnen aufgestiegen.
Nach einer Maschinenschlosser-Lehre hatte sie 1952 in Ostberlin ein Schauspielstudium
begonnen, ein Jahr später stand sie unter der Regie von Bertolt Brecht als Mitglied des
Berliner Ensembles auf der Theaterbühne. 1954 heiratete sie den Schriftsteller Hans-Oliva
Hagen, 1955 kam Nina zur Welt. Im Jahr darauf setzte sie ihre Schauspielausbildung an der
Fritz- Kirchoff-Akademie in Westberlin fort.
Bereits mit ihrer ersten Spielfilmrolle gelang ihr 1957 der Durchbruch: In Kurt Maetzigs
volkstümlicher Komödie „Vergesst mir meine Traudel nicht“ verkörperte sie ein ebenso
naives wie raffiniertes 17-jähriges Mädchen auf der Flucht aus einer Erziehungsanstalt und
der Suche nach dem großen Glück. Die für die biederen 1950er-Jahre recht freizügige
Darstellung der kindlich-sinnlichen Traudel begründete Hagens Image als Sex-Symbol des
DDR-Kinos. Die gelockerte Zensur in der Entstalinisierungsphase nach 1956 erlaubte es nicht
nur der Hauptfigur, sich nach „Westware“ zu sehnen, sondern auch den Filmemachern
Referenzen ans Westkino in den Film einzubauen, die Eva-Maria Hagen als eine Art
Kreuzung aus Marilyn Monroe und Brigitte Bardot generierten. Barfuss wie die Bardot
schlüpft sie ins Zigeunerkleid, ein Lüftungsschacht verweht ihren Rock wie einst den von
Marilyn. Was „Blondinen bevorzugt“ für Monroe sowie „Und ewig lockt das Weib“ für
Bardot, hätte „Vergesst mir meine Traudel nicht“ für Hagen werden sollen: mit einem Schlag
Sinnbild naiver Schönheit. Doch wo Monroe mit dem Klischee des blonden Dummchens
kokettierte und Bardot sich als natürlich-sinnliche Kindfrau gab, war Hagens Traudel
irgendwie alles und nichts zugleich: eben doch in erster Linie Retorte, provinzielle Hybride,
die von Drehbuchautor Kuba noch zusätzlich mit aufgesetzt wirkenden
Sozialisationsproblemen überfrachtet wurde.
Eine letzte Distanz
Dem Vergleich mit den Filmlegenden Monroe und Bardot hielt Eva- Maria Hagen nicht
stand. Nie konnte sie mit deren Leinwandpräsenz und selbstverständlicher Ausstrahlung
konkurrieren, was vor allem daran gelegen haben mochte, dass die Vorbilder, denen sie da
nacheifern sollte, ihrem Naturell allenfalls teilweise entsprachen. Vieles an ihr erinnerte eher
an die grazile, kultivierte Aura einer Romy Schneider als an eine „Sexgöttin“ oder
Naturschönheit. Fast wirkte sie mit ihren nach unten gezogenen Mundwinkeln ein wenig
verhärmt, wie in eine Rolle gezwungen, die ihr nicht ganz behagte, mit der sie sich aber in
den nächsten Jahren noch häufiger abfinden musste: die Rolle der Schönen, Erotischen,
Verführerischen. Sie war zur rechten Zeit am rechten Ort, nahm geschmeichelt die Rolle an,
die man ihr anbot, füllte sie lehrbuchmäßig aus, ohne je ganz in ihr aufzugehen. Eine letzte
Distanz – vielleicht die Brecht-Schule – blieb stets spürbar: die Mimin hinter der Figur. Vor
allem aufgrund ihres schauspielerischen Talents und ihrer darstellerischen Präzision
avancierte sie in den späten 1950er- und den 1960er-Jahren in der DDR zum begehrten Filmund Fernsehstar, der in zahlreichen leichten Unterhaltungskomödien mitwirkte, in denen
Lieder gesungen wurden wie „Suchst du eine Braut oder einen Hund, immer ist das Leben
kunterbunt“ („Reise ins Ehebett“, 1966), aber auch in Thrillern wie „For Eyes Only“ (1963).
In Joachim Haslers Musical „Reise ins Ehebett“ spielt sie, darüber machte sie sich in einem
Brief an Biermann lustig, eine „Barsängerin in mitternachtsblauem Samt, sozialistisch
angehauchte Sexbombe, aus auf Männerfang“. In Konrad Petzolds satirischer
Märchenadaption „Das Kleid“ (frei nach Hans Christian Andersens „Des Kaisers Neue
Kleider“) verkörperte sie überzeugend eine gutherzige Magd, die zwei Tuchwebergesellen
hilft in eine von einer hohen Mauer umgebene Stadt zu gelangen. Der betont theatralisch
gestaltete, einfallsreich erzählte Film wurde kurz nach dem Berliner Mauerbau fertiggestellt,
steckte voller kritischer Anspielungen auf SED und Stasi und fiel der Zensur zum Opfer. Erst
1990 wurde er uraufgeführt.
Neben ihren Rollen für Film und Fernsehen übernahm Hagen ein Engagement am MaximGorki-Theater in Berlin und war 1961 Gründungsmitglied des Schauspiel-Ensembles des
Fernsehfunks Berlin-Adlershof. Zum Karriereknick kam es, nachdem sie 1965 Wolf
Biermann kennen und lieben gelernt hatte. In „Maßnahme-Plänen“ der Staatssicherheit, die
Hagen in ihrem 1998 erschienenen Buch „Eva und der Wolf“ abdruckte, heißt es 1966: „Mit
der Partei sind Maßnahmen abzusprechen, um die Schauspielerin Eva-Maria Hagen, die
bisher Biermann finanziell unterstützte, zu veranlassen, sich von ihm zu trennen. Unsere
Vorschläge gehen dahin – entsprechende Maßnahmen der Einschränkung der
Auftrittsmöglichkeiten mit den zuständigen Leitern bei der DEFA (...) einzuleiten (...).“
Konkret bedeutete das, dass sich Hagens schauspielerisches Engagement in den folgenden
Jahren vorwiegend auf Auftritte in Provinztheatern beschränkte. 1976 war dann auch damit
Schluss; weil sie öffentlich gegen Biermanns Ausbürgerung protestiert hatte, wurde sie
fristlos entlassen. Ein Jahr später folgte die nächste Entlassung, und zwar die aus der DDRStaatsbürgerschaft. Mit ihrer Tochter Nina siedelte Eva-Maria Hagen in die Bundesrepublik
über. Dort spielte sie in den folgenden Jahren in meist ambitionierten Filmen wie Gabi
Kubachs „Trauma“ (1983), Gisela Stellys „Warten auf Marie“ (1987) und Helke Misselwitz’
„Herzsprung“ (1992), denen aus unterschiedlichen Gründen die große Außenwirkung versagt
blieb. Hagen, die auch mehrere Rollen in Fernsehfilmen und -serien übernahm, war für einen
Großteil der westdeutschen Öffentlichkeit bald nur noch die Mutter einer Punksängerin.
Sprung- wie standhaft
Und das, obwohl ihre Filmrollen anspruchsvoller, intensiver wurden und sie sich auch als
Sängerin – vor allem von Biermann-Chansons – Gehör verschaffte. Die Schauspielerin liebt
die künstlerische Vielfalt: neben Film, Fernsehen, Theater und Gesang malt sie naive Ölbilder
und schreibt leidenschaftliche Briefe. Der Briefwechsel zwischen ihr und Wolf Biermann
(1965 bis 1977) bildet die Basis von „Eva und der Wolf“; ergänzt wird dieses persönliche,
intime und zugleich historische Zeitdokument durch Tagebucheintragungen und Auszüge aus
Stasi-Akten. Für ihre „Verdienste um die deutsche Sprache“ wurde Eva-Maria Hagen 1999
„für ihre besondere Fähigkeit Briefe zu schreiben“ mit der „Carl-Zuckmayer-Medaille“
ausgezeichnet. „Sie geben uns ein Stück Geschichtsunterricht in einem lebendigen,
persönlichen Stil und in einem gar nicht auf andere Weise gleichwertig zu vermittelnden
Maß“, formulierte der Rheinland-Pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck. Herauszulesen sind
aus dem Buch aber auch die Kraft, die Verve, die Leichtfertigkeit und Nachdenklichkeit, die
Sprunghaftigkeit und Standhaftigkeit, die tiefe Empfindsamkeit und psychische Labilität einer
Frau, die mal mit Eva, mal mit Marie und mal mit Eva-Marie unterzeichnete. Der über 500
Seiten starke, von der Wirklichkeit geschriebene „Briefroman“ ist wohl das bislang
nachhaltigste und bedeutendste Werk aus Eva-Maria Hagens Oeuvre.
Mit ihrem zweiten Buch „Evas schöne neue Welt“ (2000) hatte sie weniger Glück. „Erschien
zur Leipziger Frühjahrsmesse (...) und wird von ihr wieder zurückgezogen“, heißt es dazu
lapidar auf ihrer Homepage (www.eva-maria-hagen.de). Tatsächlich hatte Tochter Nina eine
einstweilige Verfügung gegen das autobiografisch angelegte Buch der Mutter erwirkt. Diese
berichtet darin von ihrem neuen Leben im Westen: „Ich war todtraurig, dass ich Matti nicht
sehen durfte, den Boden betreten, wo ich einst zu Hause war, geliebt vom Volk, ein Kind des
Arbeiter- und Bauernstaates. Irgendwann war ich dann wieder im Westen, in der so genannten
Bundesrepublik, heilfroh, gleichzeitig in der Fremde.“ Sie veröffentlichte aber auch private
Fotos von Nina Hagen, u.a. eines, das sie hochschwanger nackt unter der Dusche zeigt. Der
Tochter-Mutter-Streit rauschte durch Kanäle und Blätterwald, und weil sich Enkelin CosmaShiva gerade zu einem Liebling der Medien entwickelte, wurde auch sie noch befragt; im
Fernsehen lief zudem „Familiengeschichte – Die Hagens“, eine Dokumentation über drei
ganz unterschiedliche und in manchem doch so ähnliche Frauenleben. In der SchneewittchenFarce „Sieben Zwerge – Männer alleine im Wald“ von Sven Unterwaldt Jr. werden sie das
erste Mal gemeinsam auf der Leinwand zu sehen sein: Cosma-Shiva spielt Schneewittchen,
Nina die Königin und Eva-Maria die Großmutter. Eva-Maria Hagen feiert am 19. Oktober
ihren 70. Geburtstag.