Die vordere Kreuzbandruptur -
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Die vordere Kreuzbandruptur -
Die vordere Kreuzbandruptur Diagnose und Therapie Dr. Gerhard OBERTHALER, Facharzt f. Unfallchirurgie, Sportarzt Der Riss des vorderen Kreuzbandes ist eine sehr häufige Verletzung des Kniegelenkes. Klassisch sind Verletzungen beim Fußball spielen oder auch Schi fahren. Es muss jedoch nicht immer ein Sturz sein, der zum Riss des vorderen Kreuzbandes führt. Besonders stark einwirkende Kräfte auf das Kniegelenk, wie zum Beispiel beim Carven, können das vordere Kreuzband auch ohne Sturz zum Reißen bringen. Manchmal geben die Patienten sogar nur ein Bagatell-Trauma an und können sich an keinen eigentlichen Unfall erinnern. DIAGNOSTIK Klinische Untersuchung und Anamnese Häufig wird ein „Krachen“ im Kniegelenk zum Verletzungszeitpunkt angegeben und eine Unsicherheit oder Instabilität im Kniegelenk beschrieben. Ein Gelenkserguss ist manchmal am Verletzungstag noch nicht vorhanden und die Untersuchung gestaltet sich somit einfacher, da noch keine muskuläre Abwehrspannung vorliegt. Der wichtigste Test der klinischen Untersuchung ist der Lachmantest (Abb. 1). Er wird in 20 – 30 Grad Beugung im Kniegelenk durchgeführt und hat eine hohe Aussagekraft bei der Beurteilung der Stabilität des vorderen Kreuzbandes. Selbst bei einer frischen Verletzung ist er relativ schmerzarm prüfbar, da die Muskulatur in extensionsnaher Stellung entspannt ist. Die Prüfung der vorderen Schublade in 90 Grad Flexion ist meist bei der akuten Verletzung schmerzbedingt nicht möglich, so auch der Pivot-Shift-Test. Bei Vorliegen einer chronischen Instabilität kommen diese beiden Tests zur Anwendung. Um den Lachmantest (Abb. 1) richtig durchführen zu können und vor allem das Ergebnis richtig interpretieren zu können, bedarf es jedoch eines hohen Maßes an klinischer Erfahrung. Ist eine suffiziente klinische Untersuchung aufgrund der Schmerzen nicht möglich, muss diese nach 2 – 3 Tagen wiederholt werden. Röntgen Zum Ausschluss von knöchernen Verletzungen sind Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen (ap und seitlich) obligat. Ein Segond - Fragment (Abb. 2) ist ein Hinweis auf eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes. MRT Eine MRT-Untersuchung ist zur Bestätigung der Diagnose einer klinisch nachgewiesenen vorderen Kreuzbandruptur nicht unbedingt indiziert. Es können jedoch damit Begleitverletzungen gut evaluiert werden, wie zum Beispiel Meniskusrupturen, Knorpelschädigungen und Knochenmarködeme (bone-bruise). Somit ist eine genauere Abklärung möglich und damit eine bessere Behandlungsplanung und Aufklärung des Patienten. THERAPIE Konservatives Vorgehen Liegt eine isolierte Ruptur des vorderen Kreuzbandes vor und lassen sich Zusatzläsionen durch die klinische und MRT Untersuchung ausschließen, kann ein konservatives Vorgehen gewählt werden. Je nach Beschwerdesymptomatik wird mit oder ohne Stützkrücken, bzw. mit oder ohne Knieschiene unter physiotherapeutischer Anleitung die Beweglichkeit und Belastung im Kniegelenk gesteigert. Das Ziel ist eine funktionelle Stabilität zu erreichen. Sind Begleitverletzungen wie eine Meniskusruptur oder Knorpel-Laesionen vorhanden, muss eine Arthroskopie durchgeführt werden, um die Begleitverletzungen zu sanieren. Der Kreuzbandstumpf sollte womöglich belassen werden. Er kann mit dem hinteren Kreuzband, aber auch mit dem lateralen Femurcondyl vernarben. Diese Narbe gewährt häufig die Stabilität für die gewünschten Aktivitäten. Frei und in den Gelenksspalt flotierende Kreuzbandstumpfreste müssen jedoch entfernt werden. Operatives Vorgehen - Rekonstruktionstechniken Eine Kreuzbandersatzoperation sollte in den ersten Tagen nach Verletzung oder erst nach 6 – 8 Wochen durchgeführt werden. Zu diesem Zeitpunkt ist das Knie wieder relativ reiz- und schmerzfrei und schon wieder gut beweglich. Wird eine Ersatzoperation im gereizten Zustand durchgeführt besteht ein erhöhtes Risiko von Bewegungseinschränkungen (Arthrofibrose). Reinsertionen - Wiederannähen Sollten laut Datenlage der Literatur nicht mehr durchgeführt werden, da eine ausreichende Stabilität damit nicht gewährleiste wird. Autologe Materialien (Ersatz mit körpereigenem Gewebe) sind erste Wahl -Semitendinosus-Grazilis-Sehne als 4-fach-Transplantat (Abb. 3 + 5): Diese Transplantat hat eine wesentlich höhere Reißfestigkeit als das eigene vordere Kreuzband und auch das Ligamentum-Patellae-Transplantat und weist ein ähnliches Elastizitätsmodul wie das normale vordere Kreuzband auf. Die Einheilung von Sehnen über Sharpey´sche Fasern ist auch mittlerweile nachgewiesen. Zudem stehen nun Fixationsmethoden zur Verfügung, welche das Transplantat gelenksnahe und stabil fixieren. Dadurch wird eine funktionelle Nachbehandlung ermöglicht. Der Streckapparat im Knie wird nicht beeinträchtigt und die Problemzonen, Patellaspitze und Tuberositas Tibiae werden nicht angerührt. Die Entnahmemorbidität bei der Beugersehnenplastik ist sehr gering und es bestehen 1 Jahr nach Entnahme kaum funktionelle Defizite, was sich in einer Studie in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sportwissenschaften in Salzburg herausstellte. – Ligamentum Patellae Plastik (Abb. 4) Dabei wird das mittlere Patellarsehnendrittel mit einem Knochenblock von der Tuberositas Tibiae und von der Patella entnommen und als Kreuzbandersatz eingebaut. Mit Press-Fit-Techniken, aber auch mit Pins oder Schrauben kommt es zu einer guten Knochen-Knochen Heilung und somit zu einem festen Einbau des Transplantates. Die Ligamentisation (der Umbauprozess) ist nachgewiesen. Das Problem ist in manchen Fällen die traumatisierende Entnahme am Streckapparat, der häufig bestehende postoperative anteriore Knieschmerz und Probleme beim Hinknien. Zudem ist das Patellarsehnendrittel ein sehr steifes Transplantat. Zusätzliche mögliche Komplikationen sind Zyklops-Syndrom, Patellafraktur durch die Entnahme, Restsehnenriss am Ligamentum Patellae und die Gefahr der Verkürzung des Ligamentum Patellae nach Entnahme mit nachfolgender Patella-Infera. -Tractus Iliotibialis und Quadrizepssehne als Ersatzmaterial für das vordere Kreuzband werden nur von wenigen Operateuren verwendet und sind derzeit als Ausweichverfahren anzusehen. Alloplastische Materialien (anorganische Stoffe als Gewebeersatz) Kunststoffbänder (Treviraband, Goretex-Band, Kennedy-LAD u.a.m.) konnten sich für den Ersatz des vorderen Kreuzbandes nicht behaupten. Es kam zu einer hohen Rupturrate der Kunstbänder und es zeigte sich auch eine schlechte Biokompatibilität. Sie konnten sich aus diesen Gründen für den vorderen Kreuzbandersatz nicht etablieren. Auch die Neuauflage des Kunstbandes (LARS) ist laut Konsensuspapier der Österreichischen Gesellschaft für Unfallchirurgie für den isolierten Kreuzbandersatz nicht indiziert. Allograft Leichenbänder kommen in Europa kaum zur Anwendung. In Amerika ist ihre Verwendung weit verbreitet. Ihr wesentlicher Vorteil liegt in der fehlenden Morbidität der Transplantatentnahme. Ihr Nachteil ist der hohe Anschaffungspreis, die Lagerhaltung, die Immunreaktion, das Infektionsrisiko, aber auch die fehlenden Langzeitergebnisse. Anwendung derzeit nur in Ausnahmefällen. PHYSIOTHERAPIE Die Nachbehandlung muss sich dem Gewebe anpassen. Jeder Patient reagiert auf die Verletzung, Operation und Operationsart unterschiedlich. Aus diesem Grund müssen starre Therapieschemen verlassen werden - die Therapie passt sich dem Patienten an!! Generell kann bis Schmerzgrenze belastet werden. Ob eine Knieschiene getragen werden soll wird in der Literatur kontroversiell diskutiert und unterliegt somit der Entscheidung des Operateurs. Die klassischen Phasen der Wundheilung durchläuft jeder Patient – das braucht Zeit!! Um einen optimalen Therapieerfolg zu erlagen braucht es das Verständnis des Patienten und vor allem seinen Einsatz. Die VKB Reha ist vor allem eine aktive Reha und keine passive!! DISKUSION Die vordere Kreuzbandruptur zählt zu den häufigsten Bandverletzungen. Liegt der Verdacht auf eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes vor, so muss eine exakte Abklärung stattfinden. Die zentrale Rolle spielt dabei die gute klinische Untersuchung. Diese sollte am Besten von einem knieerfahrenen Unfallchirurgen durchgeführt werden. Als zusätzliches Basisdiagnostikum ist ein Röntgenbild in 2 Ebenen zu fordern. Eine MRT-Untersuchung ist im eigentlichen Sinne nur für die weiterführende Diagnostik von Nöten und sollte bei entsprechenden Fragestellungen zur Anwendung kommen. Das therapeutische Vorgehen kann nicht durch die MRT Diagnose „vordere Kreuzbandruptur“ bestimmt werden. Beim MRT handelt es sich nämlich nur um eine Dokumentation eines morphologischen Zustandes. Eine funktionelle Einstufung der Befunde ist mit dem MRT nicht möglich. Ist die Verletzung nun durch die klinische Untersuchung und aber auch durch Zusatzuntersuchungen abgeklärt, muss das weitere Vorgehen mit dem Patienten ausführlich besprochen werden. Sehr viel Einfluss dabei hat das Anforderungsprofil des Patienten an sein Knie, der Aktivitätswunsch des Verletzten für die Zukunft, aber auch das Abwägen der Vorund Nachteile der verschiedenen Therapieformen und deren Erfolgsaussichten. Bei einer isolierten vorderen Kreuzbandverletzung, kann bei sonst gesunden Kniestrukturen nach konservativer Therapie von einer guten funktionellen Stabilität des Kniegelenkes ausgegangen werden. Liegt nach der Narbenbildung noch ein Restanschlag vor, so wird nach Adaptierung des Leistungsniveaus häufig keine Instabiliät verspürt. Sportarten wie Laufen, Rad fahren, aber auch Schi fahren sind in der Regel gut möglich und die Patienten klagen über wenige Beschwerden. Ist berufs- und sportbedingt ein hohes Maß an Stabilität gefordert, ist die Stabilisierungsoperation indiziert. Bei Sportarten mit Gegnerkontakt (Kampfsportarten, Fußball, Handball, etc.) aber auch bei bestimmten Berufen (Zimmerer, Dachdecker, etc.) können die einwirkenden Kräfte nicht immer antizipiert werden und es kommt zu Auslassphänomenen. Diese können zu Meniskus- und Knorpelschädigungen führen und sind bei oben genanntenTätigkeiten auch potentiell gefährlich. Klagt der Patient bei täglichen Aktivitäten über ein Instabilitätsgefühl, ist ebenfalls die Indikation zur vorderen Kreuzbandrekonstruktion gegeben. Die Patienten zeigen dabei bei der klinischen Untersuchung meist einen positiven Lachmantest mit weichem Anschlag und einen positiven Pivot-Shift. Reine Nahttechniken, aber auch Nahttechniken mit Augmentation sollten nicht mehr zur Anwendung kommen. Der autologe Kreuzbandersatz (Semitendinosus-Grazilis-Sehne, Ligamentum Patellae) wird empfohlen. Eine Altersgrenze, dies gilt für Jung und Alt, für den Ersatz des vorderen Kreuzbandes gibt es eigentlich nicht mehr. Liegt eine eindeutige funktionelle Instabilität vor, ist eine Stabilisierungsoperation indiziert. Die VKB Reha ist eine vor allem aktive Reha und keine passive Zeit ist ein wesentlicher Faktor und die muss man sich nehmen um einen guten Erfolg zu erlangen. ZUSAMMENFASSUNG: Besteht der Verdacht auf eine vordere Kreuzbandruptur, muss eine suffiziente und fachkompetente Abklärung erfolgen. Die Entscheidung ob konservatives oder operatives Vorgehen, Ersatzoperation und Operationszeitpunkt kann nur durch einen knieerfahrenen Unfallchirurgen unter Einbeziehung der Patientenwünsche und -anforderungen erfolgen. Nur eine exakte Aufklärung, strenge Indikationsstellung sowie kompetente Behandlung (konservativ bis operativ) können dem Patienten einen zufriedenstellenden Heilungserfolg sichern. Für den Inhalt: Dr. Gerhard OBERTHALER, Facharzt f. Unfallchirurgie, Sportarzt Ärztezentrum Schallmoos, Schallmooser Hauptstr. 51 Tel. O662 878744 e-mail: office@oberthaler.info web: www.oberthaler.info Abbildungen: Abb. 1: Lachman Test Abb. 2: Segond - Fragment Abb. 3: Semitendinosus/Gracilissehnentransplantat 4fach Abb. 4: Ligamentum Patellae Transplantat Abb. 5: Vorderer Kreuzbandersatz mit STGR- arthroskopisches Bild Abb. 6: Ergebnisse Vergleichsstudie: Semitendinosus Gracilissehne 4-fach, Lig. Patellae, konservativ funktionell bei sportlich aktiven Männern. OAK 20 19 18 16 P a t i e n t e n 14 14 12 10 8 5 2 6 2 2 4 1 2 funktionell 1 Lig patellae 0 sehr gut St/Gr 4 fach gut mäßig schlecht ENDE