Der Schlittenersatz-Test

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Der Schlittenersatz-Test
BERLIN
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MITTWOCH, 13. JANUAR 2010  DIE TAGESZEITUNG
23
Es muss nicht immer
Schlitten sein
WINTERSPORT Berlin ist im Rodelwahn – die Schlitten sind fast
ausverkauft. Was tun? Die taz testet alternative Rutschunterlagen
und stellt fest: Schlauchboot, Tüte oder Weinflasche tun es auch
VON MARTIN SCHWARZBECK
UND BERND SKISCHALLY
sieht bescheuert aus und tut
weh.
Die Berliner zieht es in den
Schnee: Beinah jeder Hügel wird
berodelt, Schlitten sind fast überall ausverkauft, Nachschub
kaum in Sicht. Womit denn dann
in der Gegend herumrutschen?
Also außer dem Auto? Wer jetzt
noch kein schneetaugliches Gefährt hat, braucht gute Kontakte.
Oder eine taz. Denn auch auf der
kann man rodeln. Was aber ist
nun das beste Gefährt: schnell,
günstig, bequem – und möglichst auch zur Hand? Der
Schweizer Snowboardlehrer Silvio Guerriero (24) hat für die taz
in der Hasenheide multifunktionale Rutschunterlagen getestet.
Skateboard
Boogieboard
Das halbierte Surfbrett, mit dem
man sich normalerweise bäuchlings in die Wellen wirft, macht
auch auf dem Schnee gut Tempo.
Die Nasenspitze nur Zentimeter
über dem vorbeischießenden
Weiß, rast der Tester Guerriero
davon. Scheinbar völlig ohne Reibungswiderstand saust das Brett
mit einem leisen Surren über
den Schnee. Erst weit in der Ebene ist die Fahrt beendet. „Das ist
mal richtig schnell“, muss selbst
der weit steilere Hänge gewohnte Guerriero zugeben.
Allerdings sei
das Kurvenverhalten miserabel,
Lenken
kaum
möglich. Bremsversuche
führten außerdem zu unkontrolliertem Wirbeln um die eigene
Achse. Zudem ist das Gefährt in
Berlin ähnlich schwer zu beschaffen wie ein Schlitten.
Hosenboden
Wie vermutet, ist der eigene Hosenboden eine sehr langsame
Möglichkeit, den Berg hinabzukommen. Der Versuch bringt einen kalten und nassen Hintern,
Im Prinzip klingt es ganz einfach:
Rollen ab und schon ist das Skateboard ein Snowboard. Doch
selbst der geübte Skateboarder
Guerriero kann sich kaum darauf halten. „Dadurch, dass es unten gewölbt ist
und
nicht
flach wie
ein Snowboard,
hat
man null Kontrolle“, sagt der taz-Tester.
Stehend weiter als einige
Meter zu kommen, scheint unmöglich. Darum kann man sich
den Vorbereitungsaufwand –
Rollen abschrauben – sparen.
Wok
Das durch Stefan Raabs Wok-WM
und unzählige asiatische Imbisse berühmt gewordene Kochgerät vermag im Test kaum zu
überzeugen. „Da braucht man
mal einen echt kleinen Arsch“,
meint Guerriero, bevor er sich in
seinen Rennwok zwängt. Dann
lässt auch das Tempo einiges zu
wünschen übrig. Dem Wok fehlt
eine Gleitfläche, der Snowboardlehrer versinkt
im Schnee. Auf
der plattgefahrenen Piste nebenan geht es
besser, doch sowohl Geschwindigkeit als auch die Umdrehungen pro Minute bewegen
sich im unteren Bereich.
Weinflasche
„Verrückte Schlitten? Da hab ich
hier auch noch was.“ Der Testfahrer Guerriero zaubert eine Flasche Wein hervor und meint es
tatsächlich ernst. Es wirkt äusserst kompliziert, wie sich der
Schweizer sitzend auf der kleinen Flasche drapiert, doch dann
geht es in einem ordentlichen
Tempo die Piste hinunter. „Bisschen ungemütlich“, kommen-
tiert der taz-Fahrer, aber es sei
durchaus ganz gut lenkbar gewesen. „Und man hat immer was zu
trinken dabei!“, freut sich der Tester. Der Preis für das Sportgerät
beginnt bei 99 Cent und ist nach
oben offen. „Aber die billigen
sind genauso schnell“, verrät
Guerriero. Je nachdem wie
schlecht man Alkohol verträgt, ist allerdings
die
Umweltbelastung durch die
potenzielle Trendsportart relativ hoch.
Wirkung und Geschwindigkeit
des Schlittenersatzes multiplizieren sich zudem zu einer gewissen Gefahr für die Gesundheit, so dass die Benutzung erst
ab 18 Jahren empfohlen werden
kann.
Backblech
Obwohl von der Idee her vielversprechend, entpuppt sich das
Backblech als absoluter Flop des
Tests. Es klebt förmlich auf dem
Schnee. Dafür schafft es Snowboardlehrer Guerriero, damit einige Tricks zu machen: Kleine
Sprünge und sogar der Ansatz eines „Kickflips“ sind zu erkennen.
„Ganz okay, man müsste es vielleicht im Backofen vorwärmen“,
meint der Tester.
Plastiktüte
Ein echter Klassiker. Fast immer
verfügbar, sehr robust und günstig in der Anschaffung. Richtig
gut geeignet für den Einsatz auf
der Piste sind die 120-Liter-Müllsäcke in den trendigen Farben
Schwarz und Blau. Die Tüte allein
ist unserem Tester jedoch
schnell zu unbequem, und so
macht er sich daran, alle möglichen Dinge hineinzupacken. Am
meisten überzeugt Guerriero die
Variante mit einer kuscheligen
Wolldecke. „Bequem und rasant
im Abgang“, lautet sein Urteil,
nachdem er sitzend einen Hügel
hinuntergerutscht ist. Auch die
Ideal für Rudelrodler: Schlauchboote sind schnell und bieten Schutz beim Aufprall Fotos: Stefan Eisend, Archiv (2)
gute alte Isomatte, die im Alleingang noch zu den absoluten
Spaßbremsen zählte, da sie sich
einfach nicht den Hügel hinunterbewegen lassen wollte, kann
eingehüllt in Plastik plötzlich begeistern: „Die Polsterung ist beeindruckendgut“,sagtGuerriero.
Schlauchboot
„Eins, zwei, drei!“ Das taz-Schlittentest-Team rennt los, schiebt
sein Gefährt an und wirft sich in
das Gummiboot, das schon gut
Fahrt aufgenommen hat. Je
mehr drin sind, desto schneller
wird es. Fünf Mitfahrer sind es
am Ende und noch immer ist
Platz im Boot. Eingespielten
Schlechter Rutsch
haus, korrigiert ihn: „In den Gärten der Welt, gleich um die Ecke,
kann man angeblich ganz gut
fahren“, sagt er und fügt hinzu:
„In Berlin ist das ja total irre, jeder Hang von Steigung und Länge einer Kellertreppe wird berodelt.“ Dementsprechend viele
Unfälle hat das Krankenhaus
zurzeit zu verarbeiten. Matthes
sagt: „Durch wetterbedingte
Stürze sind wir derzeit ordentlich belastet. 60 bis 70 solcher Patienten behandeln wir pro Tag.“
Wie hoch unter diesen die
Zahl der Wintersportler ist, kann
Matthes nicht sagen. Doch die
potenziell gefährlichste Sportart
sei leicht auszumachen: „Bei Skifahrern und Snowboardern sind
Mannschaften dürfte es möglich
sein, mit dem Rudelrodel Kurven
zu fahren oder zu bremsen, das
taz-Test-Team versteckt sich lieber hinter der Bordwand, bis die
Fahrt zu Ende ist. Die Fahrt macht
so viel Spaß, dass selbst der massive Vorbereitungsaufwand (bestimmt zehn Minuten fürs Pumpen) gerechtfertigt ist.
fer loslegen“, so der Oberarzt. Der
38-Jährige fährt selbst Ski und
Schlittschuh, dabei sei ihm noch
nie etwas passiert. „Da ist auch
Glück dabei, aber mir sind die
Gefahren relativ bewusst“, sagt
Matthes.
Die Anfahrt zum Rodlertreff
„Unfallkrankenhaus Berlin“ ist
äußerst simpel: „Die meisten
bringt der Rettungswagen“, so
Matthes. Und der Ort lädt offenbar durchaus zum Verweilen ein:
„Fünfzig Prozent der Sturzpatienten sind operationspflichtig,
die bleiben dann erst mal hier“,
sagt er.
Die Möglichkeiten zum AprèsSki sind allerdings rar gesät. Auf
den Zimmern gibt es wahlweise
Wasser, Tee oder Saft. Und „Das
einzige alkoholische Getränk in
der Cafeteria ist Eierlikör“, berichtet Pistentester Guerriero anMARTIN SCHWARZBECK
gewidert.
Print oder Online? Diese Frage
erledigt sich hier von selbst. Ein
Laptop zum Rodeln? Geldbeutel
und Umwelt sagen Nein. Also
rauf auf eine 40 Seiten starke Wochenend-taz und ab gehts. Zumindest wenn jemand kräftig
am Ärmel zieht oder von hinten
anschiebt, denn die taz ist auch
als Schlittenersatz widerspenstig – Profitester Guerriero
kommt von allein nicht so recht
vom Fleck. In Sachen Stabilität
gibt die Zeitung aus recyceltem
Papier mehr her als erwartet:
Selbst nach dem zweiten und
dritten Durchgang konnte Guerriero sie noch immer lesen.
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taz-Serie
Schneegestöber
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SCHNEEGESTÖBER (8) Wenn es im Wintersport kracht, führt der Weg oft ins Unfallkrankenhaus Berlin
Das Unfallkrankenhaus Berlin in
Marzahn ist ein beliebter Treffpunkt für Rodler. Aus dem ganzen Stadtgebiet und sogar dem
brandenburgischen Umland folgen die Patienten dem guten Ruf
des Krankenhauses.
Der Schweizer Snowboardlehrer Silvio Guerriero war für die
taz vor Ort: „Da liegen 30 Zentimeter unberührter Tiefschnee“,
berichtet der Wintersportexperte. Zum Schlittenfahren sei der
allerdings nicht geeignet: „Da
geht gar nichts, alles endflach,
nicht mal zugeschneite Treppen
gibt es“, sagt der Tester.
Gerrit Matthes, Oberarzt der
Klinik für Unfallchirurgie und
Orthopädie hier im Kranken-
taz
Unter den Top 3: Plastiktüte mit Wolldecke
gefüllt. „Bequem und
rasant im Abgang“,
sagt der taz-Tester
Helme und Protektoren immer
stärker vertreten. Bloß das Schlittenfahren wirkt erst mal so putzig, als würde man so etwas dort
nicht brauchen“, sagt der Experte.
Dabei ist auch mit dem Rodel
nicht zu spaßen: ausgeschlagene
Zähne, Gehirnerschütterungen,
Handgelenksbrüche und Unterschenkelbrüche sind oft die Folge. Matthes erklärt: „Wenn man
mit dem Schlitten mit einem
Baum oder einem anderen Fahrer kollidiert, verdrehen sich die
zum Bremsen ausgestreckten
Beine relativ leicht, das gibt komplizierte Brüche.“ Handgelenkbrüche und Gehirnerschütterungen seien durch missglückte
Versuche, sich abzufangen, zu erklären. „Kopfüber die Piste runter ist wohl mit das Gefährlichste“, erklärt der Experte. Und auch
Alkohol und Schlittenfahren
würden sich eher nicht vertragen. „Das ist ja doch eine ziemliche Geschwindigkeit, die man
da draufkriegt, da braucht man
Reaktionsvermögen“, sagt der
bekennende
Wintersportler
Matthes.
Wenn dann auch noch die Eisflächen erobert werden, „haben
wir richtig viel zu tun“, fügt er
hinzu. Denn auch Eisläufer würden sich häufig die Handgelenke
brechen. „Da merkt man hier
richtig einen Unterschied im Andrang, wenn die Schlittschuhläu-
So viel Winter war selten. Doch
wo herrschen die besten Bedingungen, um Schnee und Eis vollendet zu genießen? Die taz testet täglich Berlins Ski-, Eis- und Rodelgebiete. Heute: das Unfallkrankenhaus Berlin in Marzahn.
■ Schneequalität: Unberührter
Tiefschnee von mindestens
30 Zentimetern Höhe.
■ Bahnqualität: Null Steigung, insofern mäßig, aber die Rodler, die
sich hier treffen, fahren vorher sowieso woanders.
■ Konkurrenz: Nicht ernstzunehmend, da die meisten in der Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt sind.
■ Après-Ski-Potenzial: Das Unfallkrankenhaus bietet nur die karge
Auswahl zwischen Tee auf dem
Zimmer oder Eierlikör in der Cafeteria. Also: mäßig.
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