Husserl, Horaz und die ╜Heilsmächte der Phänomenologie╚
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Husserl, Horaz und die ╜Heilsmächte der Phänomenologie╚
Marquette University e-Publications@Marquette Philosophy Faculty Research and Publications Philosophy, Department of 1-1-1999 Husserl, Horaz und die “Heilsmächte der Phänomenologie” Sebastian Luft Marquette University, sebastian.luft@marquette.edu Markus Asper Katholieke Universitat Leuven Accepted version. Husserl Studies, Vol. 16, No. 1 ( January 1999): 25-40. DOI. © Springer 1999. Used with permission. Sebastian Luft was affiliated with the Katholieke Universiteit Leuven at the time of publication. Husserl, Horaz und die “Heilsmächte der Phänomenologie” By Sebastian Luft and Markus Asper Es ist bekannt, daß Husserl seine nahezu täglichen philosophischen Meditationen zumeist ohne Vorlage, gewissermaßen aus sich selbst heraus produzierte; daß hierfür die, wenn nicht einzigen, so doch zumindest sehr wirksamen “Hilfsmittel” bei seinem schreibend durchgeführten Denkprozeß die berühmten “Reizmittel” Tabak und Kaffee waren.1 Das sagt umgekehrt, daß sich sein Denken in der Regel nicht an ihm vorliegenden Texten entwickelte, was ihm, dem Mathematiker von Hause aus, mitunter den Ruf eingebracht hat, er habe wenig oder nicht genug philosophische Literatur rezipiert.2 Doch war Husserl deswegen keinesfalls unbelesen: Seine im Husserl-Archiv zu Leuven aufbewahrte (annotierte) philosophische Bibliothek legt ein beredtes Zeugnis davon ab. Auch sonst scheint er ein fleißiger Leser gewesen zu sein. Was Husserl über Fachbücher hinaus an schöner Literatur rezipierte, bleibt aber größtenteils im Dunkeln, da dieser Teil seiner Bibliothek nicht erhalten und nur teilweise rekonstruierbar ist.3 Soweit bekannt, wurde der nichtfachliche Teil seiner Bibliothek unter Husserls Kindern Gerhart und Elisabeth aufgeteilt, wobei Gerhart Husserl, der nach dem Krieg Juraprofessor in Freiburg i.Br. wurde, einige Bücher auch der Fachbibliothek übernahm. Ein Teil der Bibliothek ist möglicherweise am 16. September 1940 der Luftattacke über Antwerpen zum Opfer gefallen, wo das bewegliche Eigentum und noch einige persönliche Dokumente der Husserls in einem Container auf die Verschiffung nach Amerika warteten. Ein aufmerksamer Leser der veröffentlichten Texte allerdings wird die Fülle der literarischen Anspielungen sofort bemerken, die zumeist dort begegnen, wo Husserl einen gehobenen Stil anschlägt. Sind die biblischen Anspielungen auch besonders auffällig, z.B. seine Rede von der transzendentalen Sphäre als dem “gelobten Land” der Philosophie,4 so zeigt doch vor allem der Briefwechsel,5 daß Husserl insgesamt über einen reichen Zitatenschatz verfügte.6 Ein vielsagendes Zitat in seinen philosophischen Manuskripten soll im folgenden untersucht werden. Fragt man nach der Funktion der Zitate in seiner Korrespondenz, so fällt auf, daß Husserl die Dichter oft seine persönliche Situation aussprechen läßt. Diese war, wie bekannt, für den Freiburger Philosophen jüdischer Herkunft ab 1933 äußerst schwierig.7 Man weiß auch, daß Husserl mit seiner Familie unter den Umständen in mehrerlei Hinsicht so stark litt, daß seine scheinbar selbstverständliche hochkonzentrierte philosophische Arbeit in Wirklichkeit Ergebnis einer unter schwersten Bedingungen erkämpften geistigen Einstellung war. So schreibt Husserl zum Jahresende 1933 an seinen alten Freund Gustav Albrecht: Luft, Asper 1 “Es war in diesem Jahr wahrhaftig nicht so leicht, in der Kontinuität der Arbeit zu bleiben. Es war immerfort ein schwerer Kampf um die geschlossene Arbeitszeit und die Ermöglichung einer inneren Gesammeltheit und Stille, in der allein Gedanken kommen, ja in der es allein möglich ist, meine eigenen Msc. zu lesen, mit vollem Verständnis aufzufassen. Auch für mich selbst sind meine philosophischen Theorien überaus schwerverständlich, ich muß vollkommen klaren Kopf haben. Vor allem aber Stille des Gemüts, völlige Weltabgeschlossenheit. Aber in dieser Zeit!”8 Husserl führte seinen Kampf durchaus erfolgreich: Das Jahr 1933 war philosophisch äußerst fruchtbar, wie ein Blick auf die in diesem Jahr verfaßten Manuskripte zeigt.9 Neben brieflichen Äußerungen sind uns aber auch noch privatere, gewissermaßen monologische, Zeugen dieses “schweren Kampfes” erhalten: Wie zum Trotz (und zur Dokumentation für die Nachwelt) benutzt Husserl die Rückseite von Briefen bezeichnenden Inhalts – vom Ministerium die Aufhebung seines Beamtenstatus betreffend, Aufrufe zu Wehrsportübungen, ‘Einladungen’ zu Bücherverbrennungen etc. – für Stenogramme seines schier unaufhörlichen Gedankenflusses.10 Eines dieser Konvolute ist in Leuven unter der Signatur B II 7, Bl. 114– 159 (um Mai 1933) archiviert; es handelt sich dabei um “Notizen über Epoché”. Das umfangreiche Gesamtkonvolut B II 7, welches 160 Blätter umfaßt,11 trägt den Gesamttitel: “Paradoxie der psychologischen Epoché”.12 Auf dem Umschlag steht: “Epoché [. . .] Problem der Epoché und ‘Inhibieren des Weltindex’/Innere Erfahrung und ihr Welthaftiges/dazu Thema und Epoché vgl./Epoché.”13 Auf dem Konvolut, das uns hier interessiert, ist auf dem Umschlag zu lesen: “Revolutionszeit, aus der üblen Zeit, etwa Mai 1933”;14 unter den Blättern dieses ein wenig ungeordneten Konvoluts (die Blätter sind z.T. unpaginiert) befinden sich u.a. der Entwurf eines Briefes an den Göttinger Strafrechtler R. v. Hippel, mit dem Husserl für eine Versetzung seines Sohnes Gerhart von Kiel nach Göttingen zu intervenieren sucht.15 Für diesen Entwurf benutzte Husserl die Rückseite eines offiziellen Briefes vom Rektor seiner Universität (eben besagter Aufruf zur Wehrsportübung).16 Ist es ganz zufällig, daß Husserl im unmittelbaren zeitlichen Umfeld das Problem der Angst beschäftigt?17 Auf einem dieser Manuskriptblätter findet sich ein kopfstehender lateinischer Satz, nämlich: fortem ac †temerem philosophiae virum impavidum ferient ruinae, der leicht als eine Adaptation des Eingangsgedankens der bekannten horazischen Ode III 3, 1–8 zu erkennen ist. Dort heißt es: Luft, Asper 2 Iustum et tenacem propositi virum dux inquieti turbidus Hadriae, non civium ardor prava iubentium, nec fulminantis magna manus Iovis: non vultus instantis tyranni si fractus illabatur orbis mente quatit solida neque Auster, impavidum ferient ruinae. “Den Mann, der gerecht ist und an seinem Vorsatz festhält, erschüttert nicht die Hitzigkeit seiner Mitbürger, die Unsinniges anordnen, nicht die Miene des drohenden Tyrannen in seinem festen Sinn noch der Südsturm, der wirbelnde Gebieter der unruhigen Adria, noch auch die Riesenhand des blitzeschleudernden Jupiter. Wenn das Weltall einbricht und zusammenfällt, werden die Trümmer ihn als einen Furchtlosen treffen.” Husserl hat also den ersten Vers abgewandelt und ihn überraschenderweise direkt mit dem letzten dieser Passage kombiniert. – Wieviel Husserl von Horaz wußte, kann schwerlich genau gesagt werden. Er hatte dessen Oden zweifellos im K.K. Gymnasium zu Olmütz,18 wohl in Prima, kennengelernt, vermutlich ohne ihm damals viel abzugewinnen: Von damaligen Mitschülern wird der junge Husserl als notorische Schlafmütze beschrieben!19 Nach seinen Noten zu urteilen, hatte er nicht gerade ein Faible für Latein: Danach kommt er über ‘befriedigend’ nicht hinaus, meist erreicht er ‘genügend’, im Schuljahr 1871/72 und 1874/75 nur ‘nicht genügend’, 1875/76 muß er sich mit “im Schriftlichen mangelhaft” bescheiden.20 Dabei könnte er durchaus von Ode III 3 nur die Verse 1–8 gelesen und memoriert haben, eine Praxis, die noch 1926 bestand und empfohlen wurde.21 Gelegentliche sprichwörtliche Wendungen in seinen Briefen, die letztlich auf Horaz zurückgehen, sind in diesem Zusammenhang ohne Belang, vor allem die Wendung anima candida hatte es Husserl offenbar angetan: Paul Natorp und der Altphilologe Hans von Arnim z.B. kommen in den Genuß dieses Prädikats.22 Keines dieser redensartlichen Zitate ist aber der Komplexität nach mit unserem auch nur entfernt zu vergleichen. Weder die seltenen echten Zitate aus anderen klassischen Dichtern (Vergil und Lukrez)23 noch der aus seinen Briefpartnern zu gewinnende Befund24 ergeben ein anderes Bild als dasjenige mehr oder minder geistreicher Korrespondenzrhetorik. Horaz war neben Goethe, Schiller etc.25 einer der Autoren, die Husserls Sohn Wolfgang im Feld bei sich führte, und die an die Familie Husserl kamen, als dieser 1916 fiel. Es ist also immerhin möglich, daß Husserl durch die Hinterlassenschaft seines Sohnes auf einen Autor erneut aufmerksam wurde, den er bereits aus seiner Gymnasialzeit kannte. Auf ihn kommt er im Frühjahr 1933 offensichtlich unter dem Druck der äußeren Verhältnisse zurück. Luft, Asper 3 Husserl ersetzt bei seinem Zitat aus dem Gedächtnis26 fortem gegen iustum und philosophiae gegen propositi, eventuell versucht er, das Versmaß beizubehalten.27 Husserls ac (in den Editionen seit der Mitte des 19. Jh. liest man et) darf man vermutlich als Erinnerung an seinen Schultext auffassen.28 Temerem dagegen muß man wohl als mißglückte Erinnerung an tenacem behandeln, da es Husserl auf genau diesen Gedanken, den der Zähigkeit und Unbeirrbarkeit, ankommt (vgl. die unten zitierten Briefstellen). In einer ersten Bewertung dieses intertextuellen Eingriffs könnte man paraphrasieren: In dieser Zeit zäh an der Philosophie festzuhalten, ist Tapferkeit (nicht etwa Eskapismus). Die Mitbürger, die Unsinniges gutheißen, und den drohenden Tyrannen zitiert Husserl in seiner Klammer von erstem und achtem Vers implizit mit: Der evozierte Prätext gibt dem Zitat erst seinen eigentlichen Sinn. Nur allzu leicht läßt sich beides auf die Situation im Mai 1933 beziehen: für Husserl eine Katastrophe größten Ausmaßes, wie er selbst sagt. Das eigentliche propositum des Tapferen ist bei Husserl die Philosophie, nicht die horazische Gerechtigkeit.29 Sowohl die Bewertung der Geschehnisse (“der verhängnisvollste Schicksalsschlag unseres Lebens!”) wie die geistige Haltung des philosophischen Arbeiters in widrigen Umständen (“Vor allem aber Stille des Gemüts, völlige Weltabgeschlossenheit. Aber in dieser Zeit!”) findet sich ganz ähnlich in Husserls Briefwechsel dieser Zeit.30 Er faßt seine Haltung zur “bösen Welt” hier also mit Hilfe seines alten Schulklassikers mottoartig zusammen – und tröstet sich, zumindest vorübergehend, durch meditationsähnliches Philosophieren. Daß diese Bewältigungsstrategie – um auf der biographischen Ebene zu bleiben – nicht erst vom 74 jährigen entwickelt wurde, sondern vermutlich zu dieser Zeit bereits habituell geworden war, illustriert ein Brief vom April 1919: “Ringsum tobt Aufruhr, Umsturz, die alte Culturwelt bricht zusammen – ich, im Kinderglauben an die Heilsmächte der Phänomenologie, meditiere – so gut ich es vermag.”31 Hier wird Horaz nicht genannt, doch es springt ins Auge, wie genau die pointierte Beschreibung der politischen Situation der horazischen Schilderung entspricht (Aufruhr und Umsturz = civium ardor prava iubentium, Zusammenbruch der Culturwelt = si fractus illabatur orbis). Noch im Juli 1933 sieht er die Änderung der politischen Verhältnisse im Bild des Wirbelsturms, des Erdbebens, der Sintflutt.32 Man fühlt sich an den turbidus dux inquietis Hadriae und die fulminantis magna manus Iovis der Horaz-Ode erinnert. Wenn man nicht annehmen möchte, daß die HorazLektüre Husserl bereits in seiner Schulzeit ein prägendes Wahrnehmungsund Verhaltensmuster vermittelt hat (was vermutlich hieße, die Suggestivität der Pädagogik des K.K. Gymnasiums in Olmütz zu überschätzen), so bleibt nur die Annahme zufälliger Koinzidenz der beiden Verhaltensweisen. Diese wurde erst vom alten Husserl en passant erkannt und festgehalten, in einer Phase jedoch, als Husserls transzendentale Luft, Asper 4 Phänomenologie in seiner Selbstinterpretation geradezu religiöse Dimensionen annimmt.33 Ist die Wendung von den “Heilsmächten der Phänomenologie” in dem bereits zitierten Brief von 1919 noch als ein eher oberflächlicher Selbstappell zu verstehen, sich durch die Turbulenzen der “schnöden Welt” nicht von der Arbeit ablenken zu lassen und sich gegen sie zu wappnen, so hat die pädagogische und aufklärerische Funktion der wahren, durch Epoché und Reduktion erlangten philosophischen Einstellung in Husserls Spätwerk inzwischen eine zentrale Stellung eingenommen. Wie es verkehrt wäre, die Epoché als eine Abkehr von der Welt zu verstehen, ist es ebenso falsch, die Einstellung des sog. ‘unbeteiligten Zuschauers’34 als einen Eskapismus aufzufassen, obwohl selbstverständlich der Mensch Husserl persönlich Seelenruhe benötigt, um seinem Tagesgeschäft nachzugehen. Die Frage ist also, ob Husserls Zitat der Horazverse nur als eine persönliche, lediglich biographistisch zu verstehende Selbstaffirmation zu lesen ist, oder ob hier in der Tat ein Charakteristikum seines Ideals des ‘phänomenologisierenden’ unbeteiligten Zuschauers zum Vorschein kommt (der in Wahrheit alles andere als ‘uninteressiert’ ist). Hier hilft der Vergleich mit dem hellenistischen Hintergrund, den Husserl durch Horaz doch nolens volens impliziert, vielleicht weiter. Selbstheilung durch philosophische Meditation über Texte ist nämlich auch der hellenistischen Philosophie nicht unbekannt, deren Maximen Horaz sein Bild des Unerschrockenen gerade entlehnt.35 Die meditative Funktionalisierung elementarer Texte zur Wiedererlangung verlorener Seelenruhe gehört zu den gemeinsamen Zügen der in anderen Bereichen oft antagonistischen Schulen Epikurs und der Stoa. Schon für Epikur sollten philosophische Texte vor allem “Hilfe zur Selbsthilfe bei jeder Gelegenheit” bieten.36 Lukrez, der ältere Zeitgenosse des Horaz, rät seinem Leser, bei Anfällen von Todesfurcht seine Sterblichkeitsbeweise vor sich hinzusagen.37 Horaz selbst heilt sich von plötzlichen Affektanfällen durch die dreimalige Lektüre von libella, die er sich wie elementa (also etwa ‘Schulfibeln’) einprägt, um sein seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen (er spricht von ‘wiedererschaffen’, recreare 37).38 Der kaiserzeitliche Epikureer Diogenes von Oinoanda stellt eine Inschrift auf dem Marktplatz auf, die u.a. zum meditativen Selbstgespräch anleitet, und zwar mit dem erklärten Ziel, seinen Mitbürgern und Passanten eine Hilfestellung (boéthema) gegen ihre Affekte zu bieten.39 Im Falle der Dissertationes des Stoikers Epiktet läßt sich streckenweise von einem regelrechten “Handbuch der Affekttherapie” sprechen, das durch vorformulierte allgemeine Monologe Anleitung zur Eigentherapie des gebeutelten Adepten leisten soll.40 In gewisser Hinsicht könnte man Husserl in diese Art der Textrezeption einreihen, hier allerdings eines Textes, der ursprünglich von seinem Autor dazu nicht ausersehen war. Husserl scheint durch sein Verhalten, das ungerührte Weiterdenken angesichts der Luft, Asper 5 Katastrophe, ein aktualisierendes Beispiel für den stoischen Weisen zu bieten. Dieses Verhalten attestiert er sich selbst mit dem nur für seine Augen bestimmten, hastig umgekehrt zur Leserichtung notierten, aus dem Gedächtnis ad hoc rekonstruierten Doppelvers. Versucht man, die Funktionsweise dieser selbstaffirmierenden Handlung bei Husserl genauer zu bestimmen, so könnte man sie in Anlehnung an J.L. Austins Klassifikation der Sprechakte aufgrund ihres performativen Charakters als illokutionären Schreibakt (zugegebenermaßen eine contradictio in adiecto) bezeichnen: Dem Appell, als der der zitierte Prätext empfunden wird (“Beuge dich nicht den äußeren Verhältnissen und arbeite weiter!”), wird in einer zirkulären Struktur bereits durch das Niederschreiben des Verses entsprochen, der eben dieses Verhalten fordert. Das Befürfnis nach Tröstung durch den Klassiker muß so dringlich gewesen sein, daß Husserl sich nicht einmal die Zeit genommen hat, den Wortlaut des Zitats genauer nachzuschlagen. Mühelos identifizierte er sich mit dem geschilderten tapferen Gerechten, den er vermutlich für Horaz selbst hielt.41 Mit anderen Worten: Er hat den Odenanfang biographistisch interpretiert und ihn autobiographisch rezipiert – was nur die Unkenntnis des weiteren Verlaufs unserer Ode ermöglichte. Husserl ist nämlich anscheinend unbekannt gewesen, daß die horazische Ode, deren Eingangsgedanken er verdichtet, insgesamt einer panegyrischen Funktion diente, welche die Herrschaft des Augustus affirmierte,42 also gerade nicht zu jener Weltenthaltung aufrief, die Husserl in seiner Situation als das einzig mögliche Verhalten erschien. Horaz beschreibt hier offenbar die Haltung des stoischen Weisen, der aufgrund seiner apátheia den Risiken der Welt gegenüber autark ist. Dies legen zahlreiche Parallelen stoischer Provenienz nahe,43 dies sah man auch zu Husserls Zeit.44 Vor allem der drohende Tyrann ist der übliche Gegenspieler des Weisen in der hellenistisch-kaiserzeitlichen Popularethik.45 Ob es hier exklusiv um Gerechtigkeit gehe,46 wie das gewichtige iustum zunächst vermuten läßt, darf man bezweifeln, – schließlich sind die nachfolgenden Beispiele (u.a. Herakles, die Dioskuren, und eben auch Augustus) eher Belege für virtus allgemein,47 z.T. mit einem sehr deutlichen Akzent auf Tapferkeit. Insofern beseitigt Husserls Rezeption, die den Text bereits mit dem ersten Wort auf fortitudo festlegt, nur eine in diesem bereits angelegte Ambivalenz zugunsten einer eindeutigeren Lektüre. Husserl scheint den Text also nicht als Beschreibung des Philosophen verstanden zu haben, was er durch das Ersetzen von propositi durch philosophiae gerade bestätigt; es sei denn, zu einer epoché in seinem Sinne48 gehörte eine psychische Verfassung, die sich als stoische apátheia beschreiben oder mit ihr vergleichen ließe: Immerhin hat er, wie oben gezeigt, unser Horaz-Zitat mitten unter Notizen zur Epoché niedergeschrieben. Husserls oben zitierte Selbstzeugnisse (vgl. Anm. 7 und 30) legen zumindest die Auffassung nahe, daß Husserl zu seiner phänomenologischen Arbeit einer psychischen Konstitution bedurfte, die in Luft, Asper 6 diesem Sinne ‘apathisch’ war. Diese – für den Menschen ‘natürlicher Einstellung’ – unbeteiligte geistige Haltung ist aber nur scheinbar inaktiv. Sicherlich ist sie das insofern, als ihr die Unmittelbarkeit des Handelns fehlt (insofern ist Husserl jedes ‘Pathos der Eigentlichkeit’ fremd), – aber auch hier zeigen Stellen aus Husserls Korrespondenz, wie existenziell wichtig und sein innerstes Wesen angreifend das konkrete tägliche Philosophieren war.49 Gerade weil aber dieses unscheinbare Tun im “stillen Kämmerlein” scheinbar wirkungslos ist, stellt es doch eine gesteigerte Aktivität des Menschen dar, der sich zum wahren Menschentum erst in der Verwirklichung seiner “äußersten Möglichkeiten” erhebt.50 Die Husserlsche Lesehaltung ‘seinem’ Horaz gegenüber wird erst recht deutlich, wenn man sie mit der seiner regimetreuen Zeitgenossen vergleicht. Die Ambivalenz gerade dieser horazischen Ode wird mit größtmöglicher Deutlichkeit illustriert durch ihre gleichzeitige Lektüre von denjenigen, die Husserl an der “bösen Welt” verzweifeln lassen. Während für Husserl Horaz zur Meditation über die Heilsmächte der Phänomenologie und damit zum denkerischen Menschheitsdienst, verborgen vor der widrigen Umwelt des nationalsozialistischen Freiburg, anleitet, hebt der regimetreue Lateinunterricht dieser Zeit das genaue Gegenteil an diesem Text hervor: seinen Appellcharakter zum öffentlichen Engagement. Das ist aus dieser Sichtweise auch verständlich; ist doch die apátheia des Weisen für faschistische Denker “ein geradezu widernatürlicher Egoismus”.51 Wenn vermutlich schon Horaz die ersten beiden Strophen dieses Gedichtes mit den Stichworten iustitia und fortitudo panegyrisch auf seinen Princeps Augustus bezogen hatte,52 so verstärkt die nationalsozialistische Lektüre des Textes diese Tendenz noch: Seit der Reorganisierung des preußischen Gymnasialwesens 1924/25 war die Programmatik des Lateinunterrichts auf moralisch-politische Erziehung am Vorbild Rom abgestellt53 – mit dem erklärten Ziel, so auch deutsche Größe wieder zu erreichen.54 Es besteht kein Grund zu der Annahme, in den anderen deutschen Ländern sei die Entwicklung anders verlaufen. Den politisch-programmatischen Oden des Horaz, also vor allem den sog. ‘Römeroden’ (c. III 1–6), fiel in diesem Programm der ‘Erneuerung’ eine Hauptrolle zu. Horaz wurde vom ästhetisch vorbildlichen Klassiker zum “erzieherischen Faktor”.55 Die staatstragenden Oden des Horaz hatten allerdings auch schon in der Vorkriegszeit die “ethische Bildung” des (Unter-)Primaners zu vervollkommnen, die ein damaliger Pädagoge in der Formel zusammenfaßt “wissen, was man wolle, und wollen, was man solle.”56 Natürlich wußte das Unterrichtsministerium am besten, was man wollen solle. Durch die Integration der vermeintlich wissenschaftlich gesicherten ‘Rassenlehre’ teils erschwert (Horaz mußte ‘nordisch’, zumindest ‘völkisch’ werden, damit man ihn noch lesen durfte),57 teils ins Groteske gesteigert, setzte sich diese Intention auch nach 1933 fort:58 Wenn auch manche der nationalsozialistisch gesonnenen Altphilologen Horaz wie manch Luft, Asper 7 anderen Klassiker ganz aus dem Unterricht verdrängen wollten,59 so ermöglichte doch die leichte Gleichsetzung des Princeps Augustus mit dem ‘Führer und Reichskanzler’ Hitler sowie die Identifikation ihrer jeweiligen ideologischen Programme60 eine wohlwollende Rezeption mindestens der Römeroden im 3. Reich.61 So sah der nationalsozialistische Lehrplan einen thematischen Schwerpunkt “Das Werk des Augustus” vor.62 Ganz im Gegensatz zur aus unserer Sicht eben deshalb fatalen Maxime ‘Angenehm und ehrenvoll ist der Tod für’s Vaterland’ (dulce et decorum est pro patria mori c. III 2, 13) spielt unser Gedichtanfang iustum et tenacem propositi virum in der zeitgenössischen propagandistischen Pädagogik jedoch begreiflicherweise eine völlig untergeordnete Rolle.63 Man muß zugestehen, daß die nationalsozialistische Interpretation unserer Ode, die auch ihren Anfang als affirmativ begreift, aus heutiger Sicht eher den tatsächlichen Intentionen des Horaz gerecht werden dürfte als diejenige Husserls. Doch interessiert uns nicht die Frage, ob Husserl Horaz im historischen Sinne richtig auslegt, sondern vielmehr, ob sein Rekurs auf Horaz bzw. dessen Ode sich schlüssig als eine Selbstauslegung mithilfe dieses alten Klassikers interpretieren läßt. Dieser Frage kann im vorstehenden Zusammenhang natürlich nur in einem allgemeinen Ausblick nachgegangen werden. Findet sich in seiner Adaptation der Ode nicht doch ein Indiz dafür, das Zitat an seine Gedanken über Epoché und Reduktion anzuknüpfen? Mag sich Husserl nun der verkehrenden Interpretation (sowohl gegenüber den panegyrischen Intentionen des Horaz als auch gegenüber den auf die Hebung der Volksmoral zielenden der nationalsozialistischen Schulmänner) bewußt gewesen sein oder nicht, es bleibt doch die Frage, was sein Zitat positiv für seine Auffassung des vir impavidus bedeutet. Ist er derjenige, der sich auch durch noch so widrige Umstände nicht in seinem Tun beirren läßt, so ist hier leicht die Parallele zum Ideal des stoischen Weisen zu erkennen, der sich von der widrigen Welt zurückzieht, – ob dies nun im Sinne des Dichters ist oder nicht. Auszuschließen ist jedoch, daß Husserl die Schilderung a) willkürlich als Verhalten des antiken Skeptikers und dessen Epoché aufgefaßt und b) sie identifikatorisch, “paßgenau” auf seine eigene Epoché angewandt habe. Die Herkunft des Begriffs epoché aus der antiken Skepsis war Husserl natürlich bewußt. Die griechischen Skeptiker kommen bei Husserl jedoch in der Regel eher schlecht weg, was auch daran liegt, daß er, wahrscheinlich aus mangelnder philosophiehistorischer Kenntnis, zumeist nur ein spezifisches (Zerr-)Bild derselben im Blick hat,64 das bei ihm als Gegenideal zur strengen, nach objektiver Wahrheit strebenden Wissenschaft fungiert.65 Die zweite Möglichkeit, einen tieferen Bezug des Horaz-Verses auf Husserls Denken anzunehmen, beruht auf der Annahme seiner Einsicht, daß widrige Umstände den Philosophen erst zu dem machen, was er ist. Bekanntermaßen drehen sich Husserls späte Überlegungen zu Luft, Asper 8 Epoché und Reduktion u.a. um die Frage, worin überhaupt die Motivation zur Reduktion bestehen kann. Eine Möglichkeit neben anderen, die von Husserl, bzw. in seinem Umkreis diskutiert wird, liegt in der Erfahrung von existentiellen Situationen, die die alltägliche Ordnung des jeweiligen Menschen so erschüttern, daß sie zum völligen Zusammenbruch geführt wird. Ein derartiges Ereignis bräche die Einstimmigkeit der natürlichen Einstellung auf und würde a fortiori den Weg in die Phänomenologie ermöglichen. Diese Option führt Husserls letzter Assistent Eugen Fink aus – hierin sicherlich beeinflußt durch Heideggers “existentiale Ontologie” – in dem von ihm verfaßten Anfangsstück zum geplanten, aber nie ausgeführten systematischen Werk von 1930.66 So schreibt er etwa: Aus dem alltäglichen Leben selbst springen hin und wieder Motive auf, die uns aus dem natürlich gewohnten Dahinleben herausreissen und uns über alle Besorgnisse und Geschäftigkeiten unseres alltäglichen Weltlebens hinweg mit elementarer Gewalt auf das Problem der Welt stoßen. Dies geschieht dann, wenn uns die Welt etwa durch das Erlebnis eines Schicksalsschlages, durch das plötzliche Wachwerden des sonst und gemeinhin heimlichen und verheimlichten [heimlichen und verheimlichten von Husserl gestrichen] Wissens um die letzten Dinge, um Tod und Vergänglichkeit, durch die rätselhaften Stimmungen des Grauens und Entsetzens uns ganz unverständlich wird, wenn sie so ihre alltägliche Vertrautheit und Wohnlichkeit verliert und zu einem bangen Rätsel wird.67 Husserl lehnt aber hier eine derart “existentiell” motivierte Epoché ab (wie er überhaupt mit einem dergestalt konzipierten Einleitungsstück in die Phänomenologie unzufrieden war),68 und zwar im wesentlichen mit dem Argument, daß kein noch so großes Widerfahren von ‘Abnormalität’ die Einstimmigkeit der ‘Normalität’ völlig zum Einsturz bringen könne; Einstimmigkeit setzt Brüche voraus, um sich erst als solche zu konstituieren. Als ‘Ergebnis’ seiner Meditationen darüber schließt er etwas lakonisch: “All das ausgesponnen, wie sollte es ein Motiv für die phänomenologische Reduktion sein?”69 Und selbst wenn die Normalität zum Verschwinden gebracht werden sollte und die Welt sich in ein chaotisches Gewühl auflöst, so wäre damit der Weg zur strengen Wissenschaft der Phänomenologie noch weit. Die Frage ist müßig, wie Husserl wohl nach den Erfahrungen ab 1933 auf diese Frage geantwortet hätte. Jedenfalls scheidet die Alternative aus, daß die widrigen Umstände erst den Philosophen “konstituieren”; und es ist auch kein Zufall, daß Husserl in Manuskripten dieser Zeit von Tod, Verzweiflung, Trauer und ähnlichen Phänomenen spricht70 – als Beispiele für Formen von Passivität, die der Aktivität des Wissenschaftlers radikal entgegengesetzt sind. Die Umstände können den Philosophen nicht als solchen hervorbringen, sondern lediglich seine Geisteshaltung affirmieren, die sich bewährt und schon bewährt hat und präsumtiv bewähren wird durch die in Vergangenheit und Zukunft ausgebreitete Generationenfolge von Wissenschaftlern, der er sich Luft, Asper 9 durch sein Forschen anschließt. Gegenüber den ersten, naheliegenden Interpretationen muß also vielmehr betont werden: In den Augen Husserls ist Wissenschaft, strenge Wissenschaft, das Bollwerk gegen chaotische Umstände. Diese Wissenschaft muß sogar umso mehr erhalten und gestärkt werden, als sie in den Strudel der krisenhaften Zeit mithineingezogen zu werden droht, und noch mehr, als die europäischen Wissenschaften selbst unter einer Krise leiden.71 Aus dieser Sicht kann man Husserls Appell an den vir impavidus durchaus biographistisch als Selbstermahnung verstehen, aber es steckt doch mehr dahinter: Die Welt droht ins Heillose zu verfallen, wenn es keine ordnende Instanz gibt, die das durch Tyrannen, Kriege und weitere Schicksalsschläge ins Chaos gestürzte humane Leben rettet, indem sie ihm eine durch wissenschaftliche Forschung erlangte Ordnung auferlegt. Droht der einzelne Wissenschaftler in seinem vereinzelten Tun auch zu verzagen, so gilt es um so mehr für den Philosophen als den “Funktionär der Menschheit”,72 die ‘Heilsmächte’ wahrer Wissenschaft, eben der Phänomenologie, in Erinnerung zu rufen, in Erinnerung zu halten und, statt sich von der Welt abzuwenden, als Vorbild für andere zu dienen, die vom rechten Weg abgekommen sind. “Funktionär der Menschheit” ist der Philosoph gerade deshalb, weil er in höchster Aktivität, die dem Mitläufertum seiner Zeitgenossen entgegengesetzt ist, das wahre Menschsein realisiert. Das aber besteht darin – freilich als ein im Unendlichen liegender Limes –, das Ideal wahren Wissens in absoluter Selbstverantwortung für die Menschheit zu verwirklichen. So betrachtet, kann dem Philosophen in theoretischer Konsequenz “nichts gefährlich sein”.73 Insofern ist die scheinbare Weltabgewandtheit des ‘unbeteiligten Zuschauers’ eine äußerste Weltzugewandtheit, wofür das Unverständnis der Zeitgenossen gegenüber dem wahren Philosophen geradezu als ein Beweis gelten kann. In diesem Sinne ist Husserls vir impavidus im Gegensatz zu seinem hellenistischen Prätext keineswegs auf der Flucht vor der Welt, sondern dem Leben vielmehr im emphatischen Sinne zugewandt. Wahrer Philosoph zu sein bedeutet gerade, zu diesem vir fortis et impavidus Husserls zu werden, auch wenn dies wiederum eine im Unendlichen liegende Idee sein mag, die eine immerwährende appellative Erneuerung benötigt. Anmerkungen 1. Vgl. dazu E. u. K. Schuhmann, “Einleitung in die Ausgabe”, in Bd. 10 des Briefwechsels, Hua.-Dok. III, S. 38 f., sowie die dort aufgelisteten Stellenangaben in Husserls Briefwechsel. 2. – Vielleicht zu Recht, wenn man Husserls Lektürepraxis etwa mit der Intensität der Auseinandersetzung z.B. Heideggers mit der philosophischen Tradition vergleicht. Luft, Asper 10 Fairerweise sollte aber gesagt werden, daß Husserls Beschäftigung mit Texten natürlich eine ganz andere Absicht verfolgte. Vgl. dazu H. Plessner, “Bei Husserl in Göttingen”, in: Edmund Husserl 1859–1959 (Phaenomenologica 4) (Den Haag: 1959), S. 34: “Interpretiert wurde [in Husserls Vorlesungen und Seminaren] nicht, man bewegte sich quer zum Text und nahm irgend etwas zum puren Anlaß selbständiger Besinnungen.” 3. Vgl. dazu H.L. van Breda, “La sauvetage de l’héritage Husserlien et la fondation des Archives-Husserl”, in: Husserl et la pensée moderne (Phaenomenologica 2), ders./J. Taminaux (Hgg.) (Den Haag: 1959), S. 39; 74. Die Angaben im Haupttext über das Schicksal von Husserls restlicher Bibliothek beziehen sich auf diesen Bericht van Bredas. 4. Hua. V, S. 161. Bekanntermaßen vergleicht Husserl seine phänomenologische Reduktion mit einer religiösen Konversion, s. Hua. VI, S. 140. Zu einer weiteren Auflistung biblischer Anspielungen s. F. Kuster, Wege der Verantwortung. Husserls Phänomenologie als Gang durch die Faktizität (Phaenomenologica 138), Dordrecht/Boston/London 1996, S. 101 f., Anm. 26, Anm. 31. 5. Herausgegeben von E. und K. Schuhmann, Edmund Husserl. Briefwechsel (Hua.-Dok. III. Bde. 1–10), Dordrecht/Boston/London 1993, die sich auf bewundernswerte Weise darum bemüht haben, den Herkunftsort aller, auch der impliziten, Zitate nachzuweisen. 6. Es gibt sonst nur wenige Hinweise auf Husserls außerphilosophische Lektüre. So wird berichtet, er habe kurz vor seinem Tod Stifters ‘Nachsommer’ sowie Hamsuns ‘Segen der Erde’ gelesen (vgl. Schuhmann, Husserl-Chronik. Denk- und Lebensweg Edmund Husserls (Hua.-Dok. I), Den Haag 1977 [im folgenden: Chronik], S. 487). In einem Gespräch mit dem Amerikaner Cairns erwähnt Husserl einmal seine Lektüre von Huxleys ‘Brave New World’ sowie der Werke Joseph Hergesheimers (vgl. D. Cairns, Conversations with Husserl and Fink [Phaenomenologica 66], Den Haag 1976, S. 8 f.). Gegenüber dem Australier W.R. Boyce Gibson empfiehlt er zur Lektüre die Werke Adalbert Stifters und den ‘Taugenichts’ Eichendorffs (vgl. H. Spiegelberg, “Excerpts from a 1928 Freiburg Diary by W.R. Boyce Gibson, ed. by H.S.”, in: Journal of the British Society for Phenomenology 1970/71, S. 72). Ferner erwähnt er in einem Brief an Heidegger vom 10.9.1918, daß er jetzt ebenfalls Hölderlin (“den ich sehr liebe u. doch sehr wenig kenne”, Hua. Dok. III/4, S. 136) lese. Zu seinen weiteren Lektüren scheinen Dostojewski, Schiller und Goethe gehört zu haben; dazu K. Schuhmann, Index nominum zum Nachlaß Edmund Husserls, Leuven 1975 (unveröffentlicht, Exemplar im Husserl-Archief zu Leuven). Dort befindet sich außerdem ein Gedichtband Nikolaus Lenaus (Gedichte von Nikolaus Lenau, Berlin: Gustav Hempel o.J.), Luft, Asper 11 den Husserl seinem Freund G. Albrecht schenkte mit der Widmung: “Meinem Freund Gustav Albrecht zur Erinnerung an das Jahr 1880. Edmund Husserl Weihnachten 1880 Berlin”. 7. Siehe Chronik, S. 428 f., 433: Husserl wird am 14.4.1933 “in den sofortigen Urlaub” versetzt (der Erlaß wird allerdings am 28.4. ausgesetzt, am 20.7. wieder aufgehoben). M. und E. Husserl an D. Cairns (Freiburg/Br., 20.5.1933), Hua.-Dok. III/4, S. 31 f.: “Wir, also auch unser Sohn und unsere Tochter (bzw. ihr Mann) gehören als ‘Nichtarier’ im Sinne der neuen Gesetze zu den schwer Betroffenen. Der verhängnisvollste Schicksalsschlag unseres Lebens, und unser<e> ganze Zukunft revolutionierend.” 8. Freiburg/Br. 30.12.1933, Hua.-Dok. III/9, S. 97. 9. Übersicht in Chronik, S. 422–439; dazu auch I. Kern, “Einleitung des Herausgebers”, in: Hua. XV, S. LXVII f. 10. Nachträglich bewertet er diese Manuskripte mitunter negativ, und zwar eingestandenermaßen doch aufgrund der äußeren Umstände, von denen die Texte selbst inhaltlich keine Spur aufweisen. H. Lübbe bemerkt hierzu: “[. . .] ein Fall des ‘Weitermachens’, dessen Würde der des Satzes ‘Noli tangere circulos meos’ nicht nachsteht” (H.L., Bewußtsein in Geschichten. Studien zur Phänomenologie der Subjektivität, Freiburg 1972, S. 32). 11. Daraus wurden bisher nur die Blätter 59–67 und 115–121 in Hua. XV veröffentlicht (als Texte Nr. 21 und Nr. 33). Weitere Texte aus dem wichtigen Konvolut sind zur Veröffentlichung in einem Band der Hua. über die späten Mss. zur Reduktion vorgesehen. 12. Auf dem unpaginierten Deckblatt. 13. B II 7, 1a. 14. Die Blätter dieses Konvoluts sind in ein an den Längskanten aufgeschnittenes Kouvert gelegt, das ein Schreiben des Niemeyer Verlags (Halle/Saale) enthielt. Husserl schnitt das Kouvert am rechten Rand ab, so daß der Poststempel nicht erhalten ist. Das Schreiben wurde aber vermutlich um 1932 verfaßt, weil das ganze Konvolut B II 7 in eine identische Drucksache des Niemeyer Verlags eingeschlagen ist, das den Poststempel 20.5.32 und auch die gleiche Briefmarke (Deutsches Reich 8 Rpf., mit einem Bild Friedrich Eberts) trägt. Husserl befand sich um diese Zeit – außer in seinem Freiburger Wohnsitz in der Lorettostraße – vom 11.–24. März im Kurhaus Rothaus bei Bonndorf und vom 29. April–12. Mai in Orselina bei Locarno und in Bludenz. 15. B II 7, 134 a. Vgl. Hua.-Dok. III/7, S. 129; vgl. III/9, S. 94, Anm. 212 und S. 223, Anm. 43. Luft, Asper 12 16. Das Schreiben (auf 134 b) enthält den folgenden Text: “An die Herren Dozenten. Eine kurze Anti-Versailles-Kundgebung der Universität findet nächsten Mittwoch, den 28. ds. Mts., nachmittags 6 Uhr c.t. als Abschluß der Wehrsportübungen auf dem Exerzierplatz statt. Ein Dozent und ein Student werden sprechen. Ich bitte um rege Beteiligung.” Das hektographierte Blatt datiert vom 26. Juni 1933. 17. Das dem Aufruf folgende Einzelblatt (135), das Husserl als “gut” bezeichnet, führt eine explizite Kritik an Heideggers Analyse der Angst aus. Vgl. etwa B II 7, 135 b: “Ich bin in natürlicher Einstellung, auch wenn ich in besinnungsloser Angst ganz starr werde und alles Tun einstelle [. . .]”. 18. Ab 1869 besucht Husserl das Deutsche K.K. Gymnasium in Olmütz (Abitur 30. Juni 1876), vgl. Chronik, S. 2 f. Zur Horazlektüre in der österreichischen Prima dieser Zeit vgl. Dr. Ficker, Art. ‘Österreich’, in: K.A. Schmid (Hg.), Encyklopädie des gesammten Erziehungsund Unterrichtswesens, 11 Bde., Gotha 1859–1878, Bd. 5 (1866), S. 242–566, hier 436. 19. Vgl. über den Gymnasiasten Husserl A.D. Osborn, The Philosophy of Edmund Husserl in Its Development From His Mathematical Interests to His First Conception of Phenomenology in ‘Logical Investigations’, New York 1934, S. 11 nach dem Zeugnis seines Mitschülers Viktor Hamburger: “He was a great sleepy head. [. . .] He had no interest at all in school, with the one exception that he progressed excellently at mathematics [. . .] At home he read a great deal.” Ähnlich Malvine Husserl bei K. Schuhmann, Malvine Husserls “Skizze eines Lebensbildes von E. Husserl”, Husserl Studies 5 (1988), S. 105–125, hier S.110: “schlechter Schüler, uninteressiert am Unterricht”. 20. Unter der Signatur X III 1 sind in Leuven die Zeugnisse des Gymnasiasten Husserl erhalten. 21. Dazu W. Kranz, Die neuen Richtlinien für den lateinisch-griechischen Unterricht am Gymnasium, Berlin 1926, S. 112 f., wo ausdrücklich unsere Ode erwähnt ist. Das Memorieren gerade horazischer Oden in Unterprima wird 1891 z.B. vom bayerischen Lehrplan empfohlen: Vgl. H. Christ/H.-J. Rang (Hgg.), Fremdsprachenunterricht unter staatlicher Verwaltung 1700 bis 1945. Eine Dokumentation amtlicher Richtlinien und Verordnungen, Bde. I-VII, Tübingen 1985–86, hier V, S. 102 (zu Horazens Oden in Prima siehe ebd. I, S. 226). 22. Husserl an F. Kaufmann (Göttingen 30.1.1916: Hua. Dok. III/3, S. 341): “Aber es ist eine dura necessitas” (Ermahnung zur Geduld an einen Schüler, der sich beim Exerzieren langweilt; Abwandlung von Hor. c. III 24.6 dira necessitas). – Husserl an G. von Spett Luft, Asper 13 (Göttingen 28.3.1914: III, S. 537): “Ich war gesund, aber trotz allen Fleißes wenig produktiv – invita Minerva” (über den “schlechten Arbeitswinter”; Zitat von Hor., ars poet. 385: tu nihil invita dices faciesve Minerva). – Husserl an M. Heidegger (Bernau 28.3.1918: IV, S. 130): “in medias res” (Zitat von Hor., ars poet. 148). – Husserl an M. Heidegger (Bernau 10.9.1918: IV, S. 134): “wahrhaftig eine anima candida” (über P. Natorp; vgl. Hor., serm. I 5.41 (animae . . . candidiores). – Husserl an L. Schestow (Freiburg 14.4.1931: VI, S. 374): “eine anima candida wie die Ihre”. – Briefentwurf Husserls an Max Vasmer (ca. Dez. 1931: VII, S. 261): “anima candida” (über Hans v. Arnim). – Husserl an G. Husserl (Freiburg/Br. 30.11.1933: IX, S. 228): “anima candida” über A. Grimme. 23. Husserl an J. Daubert (Freiburg/Br. 10.8.1919: Hua.-Dok. III/2, S. 77): “ultima Thule” als Bezeichnung von Dauberts neuem Wohnort (Gut Kuchenried, Oberbayern; Zitat von Vergil, Georg. I, 30). – Husserl an Heidegger (Freiburg/Br. 11.5.1918; IV, S. 130): “Produktivität ist ja eine schwer errungene Kraftfülle, wie lange dauert es, wie große Mühen der vorbereitenden Arbeit, bis die corporea moles in Bewegung kommt und das geistige Feuer hervorglühen läßt.” (zur Begründung, warum er nicht aus seinem Arbeitsurlaub in Bernau bereits schrieb; nach Lukrez III, 276–289.) 24. G. Albrecht an Husserl (Wien, 5.4.1938: Hua.-Dok. III/9, S. 131): “Du hast freilich schon soviel geleistet, daß Du beruhigt sagen kannst: ‘Ich werde nicht ganz vergehen.’” (Übers. von Hor., c. III 30,6 non omnis moriar, über Husserls Krankenlager) – P. Natorp an Husserl (Marburg, 30.10.1922: V, S. 162): “[. . .] ganz so, wie es mir in den besten Momenten vor der Seele steht, werde ich das Werk nicht herausbringen; der Wurf ist zu groß und weit. Und das in magnis voluisse – sättigt eben doch den nicht, dem es ganz mit der Sache ernst ist.” (Zitat von Properz II 10,6: in magnis et voluisse sat est, ironisch gegen Properz umbezogen auf das Leben als Philosoph). – F. Kaufmann an Husserl (Wien, 9.12.1935: IV, 219): “Selbstverständlich bin ich mir bei diesem Vergleiche meiner geisteswissenschaftlichen Untersuchungen mit den Ihren sehr wohl der Klausel ‘si parva licet componere magnis’ bewußt, denn niemand weiss besser als ich, dass Sie an der Front des Geistes als Feldmarschall kämpfen, während ich – doch ist es Sache des Marschalls, meinen Rang zu bestimmen.” (vergleicht seine Methodenlehre der Sozialwissenschaften mit Husserls Projekten; Zitat von Vergil, Georg. IV, 176.). 25. Vgl. Hua.-Dok. III/5, S. 122: Husserl an P. Natorp (Freiburg/Br. 22.4.1916): “Dieser Tage kam sein Feldkoffer zurück, darunter seine letzten literarischen Begleiter: Horaz, Thukydides (sc. im Original). Göthes Faust mit Urfaust, Schillers Gedichte u. Dramen, Mörike u. dgl. Dazu Biblia Hebraica, Evangelien: Deutsche Barbaren!”. Sowie Hua. Dok. III/9, Luft, Asper 14 S. 211: Malvine Husserl an G. Husserl (Freiburg/Br. 21.4.1916), die hinzufügt, daß sich auch noch Heines Gedichte und “dazu alle möglichen militärischen Bücher” fanden. 26. Daß Husserl aus dem Gedächtnis zitiert, beweist wohl †temerem. Der Objektsgenitiv philosophiae zeigt nämlich, daß Husserl tenacem nicht ersetzen wollte. 27. Dazu muß man philosophiae viersilbig mit konsonantischem i lesen, doch bleiben die quantitativen Fehlgriffe der ersten Silbe von philosophiae und der zweiten vom †temerem bestehen – Husserl hatte wahrhaft andere Sorgen als lateinische Prosodie! 28. Die Lesung ac geht offenbar auf Johannes Sulpitius Verulanus zurück (M. Annei Lucani De bello civili libri decem cum scholijs integris quidem Joannis Sulpitij Verulani [. . .], Franc. apud Chr. Egenolphum Hadamarium 1551, vgl. dort S. 49 zu II 243), ist von dort in ältere Horaz-Ausgaben gelangt (z.B. P. Hofman Peerlkamp, Leiden 1834; G. Doering, Oxford 1838; C.H. Weise, Leipzig 1843) und wird überhaupt erst von O.Keller/A. Holder, Leipzig 1925 ad loc. zurückgewiesen. An österreichischen Gymnasien scheint man Horaz vorzugsweise in einer Schulauswahl von C.J. Grysar verwendet zu haben: Vgl. Ficker (wie Anm. 18), S. 451, Anm. 2. 29. E. Doblhofer, Die Augustuspanegyrik des Horaz in formalhistorischer Sicht, Heidelberg 1966, S. 143 möchte die Eigenschaften tenax propositi, mente solida und impavidus als fortis zusammenfassen, so daß Husserl aus seiner Sicht dem horazischen Gedicht keine neue Aussage gegeben, sondern nur die Akzente zugunsten der Tapferkeit verschoben hätte. 30. Zitate wie Anm. 7. Vgl. auch Husserl an G. Albrecht (Freiburg/Br. 30.12.1933) Hua.-Dok. III/9, S. 98: Er “spanne alle erdenkliche Energie an, um in mir geistige Mauern aufzurichten und meine Lebensarbeit zu fördern.” und M. und E. Husserl an D. Cairns (Freiburg/Br., 20.5.1933): Hua.-Dok. III/4, S. 32: “Ich hoffe mich bald wieder gegen die böse Welt abschließen und meiner Arbeit hingegeben leben zu können.” 31. Husserl an J. Daubert (Freiburg 9.4.1919), Hua.-Dok. III/2, S. 77. 32. Husserl an G. Albrecht (Freiburg 1.7.1933), Hua.-Dok. III/9, S. 91: “[. . .] aber wie oft die Weltpolitik auch in unser Leben eingriff [. . .] – so wie jetzt, wie ein Wirbelsturm, ein Erdbeben, eine Sintflut – war es doch nie.” 33. Vgl. seinen bereits zitierten berühmten Vergleich der Reduktion mit einer “religiösen Umkehrung, die aber darüber hinaus die Bedeutung der größten existenziellen Wandlung in sich birgt, die der Menschheit als Menschheit aufgegeben ist” (Hua. VI, S. 140). Vgl. auch ebd., S. 154: Die Epoché, heißt es da, sei die “Möglichkeit der radikalen Änderung des gesamten Menschentums”. Luft, Asper 15 34. Zu diesem Begriff Husserls s. Hua. I, S. 75; er ist synonym mit dem “uninteressierten Zuschauer” in Hua. VIII, Erste Philosophie II, S. 92; 107; 162. 35. Dazu z.B. P. Rabbow, Seelenführung. Methodik der Exerzitien in der Antike, München 1954; P. Hadot, Philosophie als Lebensform. Geistige Übungen in der Antike, Berlin 1991 und jetzt M. Erler, Einübung und Anverwandlung. Reflexe mündlicher Meditationstechnik in philosophischer Literatur der Kaiserzeit, in: Gattungen wissenschaftlicher Literatur in der Antike (ScriptOralia 95), W. Kullmann/J. Althoff (Hgg.), (Tübingen: 1998), S. 361– 381, 367ff., 377ff., dem wir die folgenden Beispiele entnehmen. 36. Erler (wie vorherg. Anm.) S. 361 verweist auf Epist. Herod. 35. 37. De rer. nat. 3.1023: hoc etiam tibi tute interdum dicere possis, dazu Erler (Anm. 35), S. 367. 38. Ep. 1.1.20–40. 39. Diogenes of Oinoanda, The Epicurean Inscription, ed. M.F. Smith, Neapel 1993, hier z.B. S. 74. 40. Zur Meditationspraxis der Stoa allgemein R.J. Newman, “Cotidie meditare. Theory and Practice of the Meditatio in Imperial Stoicism”, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 36.3, W. Haase (Hg.), (Berlin/New York: 1989), S. 1473–1517; hier Erler (Anm. 35) S. 375 ff. 41. Heute erscheint das problematisch, doch vgl. H. Krasser, Horazische Denkfiguren. Theophilie und Theophanie als Medium der poetischen Selbstdarstellung des Odendichters (Hypomnemata 106), Göttingen 1995, der S. 129 f. unseren Odenanfang unter Vergleich von c. III 29.53–64 ebf. autobiographisch liest. 42. Vgl. z.B. R. Herzog, “Augusteische Erfüllung zwischen Vergangenheit und Zukunft”, in: G. Binder (Hg.), Saeculum Augustum II. Religion und Literatur (WdF 512), Darmstadt 1988, S. 314–341, hier S. 330 ff. 43. Vgl. z.B. Stoicorum veterum fragmenta ed. H. v. Arnim (übrigens ein Freund von Husserl seit ihrer Privatdozentenzeit in Halle 1888: vgl. Hua.-Dok. III/10, S. 135–145), Leipzig 1903, Bd. 3, Frr. 567–581 (S. 150 ff.); Seneca, Epist. 66,21; 79,10; 95,71 (mit auffälligen wörtlichen Parallelen zu Horaz); Mark Aurel, Medit. 8,41; Epiktet, Diss. 1,1,21 ff. H.P. Syndikus, Die Lyrik des Horaz. Eine Interpretation der Oden, Bd. II, Darmstadt 1973, S. 38 mit Anm. 23, glaubt, daß hinter Horaz v. 2 ff. unseres Zitats Sokrates stehe (durch stoische Vermittlung: z.B. Epiktet, Diss. 4,1,164). 44. A. Rabe, “Das Verhältnis des Horaz zur Philosophie”, Archiv für Geschichte der Philosophie 39 (1930), S. 77–91, hier S. 84 f. Hingewiesen hatte darauf bereits G. Pasquali, Luft, Asper 16 Orazio lirico, Firenze 1920, S. 682. 45. Epiktet, Diss. 1,18,17; 1,19 insgesamt. 46. So aber Kiessling/Heinze: Q. Horatius Flaccus, erkl. v. A. Kiessling, 11. Aufl. bes. v. R. Heinze, Nachw. u. bibliogr. Nachtr. v. E. Burck, Zürich/Berlin 1964, S. 262. 47. Syndikus (wie Anm. 43), S. 38 f. 48. Die Beziehungen des Husserlschen Epoché-Begriffs zur epoché der antiken Skepsis erläutert K. Held, “Husserls Rückgang auf das phainómenon und die geschichtliche Stellung der Phänomenologie”, in Phänomenologische Forschungen 10 (1980), S. 89–145, v.a. S. 108 ff. 49. Vgl. Hua.-Dok. III/9, S. 97. 50. Vgl. Lübbe, (wie Anm. 10), S. 31. 51. So der dem italienischen Faschismus nahestehende E. Bodrero, “War Horaz ein Philosoph?”, in Tatwelt 13 (1937), S. 179–190, hier 182. 52. Dobelhofer (wie Anm. 29), S. 143 ff., wohl die überzeugendste Interpretation, da sie verhindert, daß die Ode in zwei Teile zerfällt, aber vermutlich zugunsten einer biographistischen Lektüre in den 30er Jahren noch nicht akzeptiert. 53. Die Fülle des Materials bei U. Preuße, Humanismus und Gesellschaft. Zur Geschichte des altsprachlichen Unterrichts in Deutschland von 1890 bis 1933, Frankfurt, M. 1988, S. 128–173. 54. Z.B. E. Fraenkel, “Die Stelle des Römertums in der humanistischen Bildung”, in: O. Morgenstern (Hg.), Das Gymnasium, Leipzig 1926, S. 85ff., hier S. 101 “auf daß es einstmals anders und besser aussehe in diesem unseren Vaterlande”. 55. So bei R. Reitzenstein, “Das Römische in Cicero und Horaz”, in Neue Wege zur Antike 2, Leipzig/Berlin 1925, 3–41, hier 41: “[. . .] wenn wir jetzt in der tiefsten Erniedrigung unseres Vaterlandes [. . .] uns das Elend Italiens und seine Wiedererhebung durch ein gewaltiges Auflohen nationalen Empfindens vor Augen halten, wird uns der Mahndichter, der Römer Horaz in etwas anderem Lichte erscheinen und uns etwas mehr zu sagen haben. So kann er wieder ein erzieherischer Faktor in unserem Unterricht werden.” 56. Im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf ist eine anonyme Seminararbeit von 1911 unter dem Titel “Die Lektüre Horazischer Oden im Dienste der ethischen Bildung” archiviert (Bestand Schulkollegium, Nr. 932), die die Horazlektüre begründet mit dem Ziel einer Erziehung “zu sittlichen Charakteren, also zu Männern, die wissen was sie wollen, und wollen, was sie sollen.” (zit. von H.J. Apel/S. Bittner, Humanistische Schulbildung 1890–1945. Anspruch und Wirklichkeit der altertumskundlichen Unterrichtsfächer [Stud. u. Dokum. z. dt. Luft, Asper 17 Bildungsgesch. 55], Köln 1994, S. 135 f.). 57. Die Unterordnung des altsprachlichen Unterrichts unter die Rassenlehre schildert in Übersicht K.-I. Flessau, Schule der Diktatur. Lehrpläne und Schulbücher des Nationalsozialismus, München 1977, hier S. 87 f. 58. Zum nationalsozialistischen Lateinunterricht vgl. die hervorragende Übersicht bei A. Fritsch, “Der Lateinunterricht in der Zeit des Nationalsozialismus. Organisation, Richtlinien, Lehrbücher”, in Der Altsprachliche Unterricht 25.3 (1982), S. 20–56, zu Horaz im Lehrplan S. 47 f. 59. A. Hauser, “Die Oden des Horaz im Unterricht”, Das humanistische Gymnasium 47 (1936), S. 1–10, hier S. 1 zitiert einen Oberstudienrat Babick mit dieser Meinung (Blätter des Altphilologenverbands, Sommer 1933), noch ablehnender A. Tschuschke, Wandlungen im altsprachlichen Unterricht, Gegenwärtiges Altertum 1 (1936), S. 17–21, der unter anderen Klassikern Horaz als “Orientalen” diskreditiert (19); ganz ähnlich auch W.Aly (1936), zitiert bei Binder (wie folgende Anm.), S. 47. K. Mras, Horaz als Mensch und als Dichter, Wiener Studien 54 (1936), S. 70–85, erwägt, ob Horaz jüdischer Abstammung sei, legt sich dann aber nur auf sein Orientalentum fest und findet entsprechende “geistige Eigenschaften” (S. 77ff.), obwohl er sich selbst ausdrücklich nicht als Rassisten bezeichnet (S. 73 Anm. 16). 60. Aufschlußreiche Parallelisierung von Prinzipat und Drittem Reich bei Hauser (wie vorherg. Anm.) S. 2 ff., an deren Ende die Gleichsetzung des “gütigen Führers Augustus” (dux bone bei Horaz c. IV 5,5 und 37) mit dem “faschistischen Duce und unsere[m] Führer” (7) steht. Vgl. auch die aufschlußreiche Zusammenstellung bei G. Binder, Einführung, in: ders. (Hg.), Saeculum Augustum I. Herrschaft und Gesellschaft (WdF 266), Darmstadt 1987, S. 1–58, hier bes. 16 ff., 44–58. 61. Zu den Römeroden in nationalsozialistischer Lektüre H. Schaefer, “Horaz und Vergil im Dritten Reich”, Das humanistische Gymnasium 47 (1936), S. 204–209, v.a. 205, der Horaz als “völkischen Dichter” gegen Tschuschke in Schutz nimmt. Diese Haltung wird die offizielle: Vgl. Erziehung und Unterricht in der Höheren Schule. Amtliche Ausgabe des Reichs- und Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Berlin 1938, S. 243 f., der aus den Römeroden c. III 2, 3 und 6 besonders empfiehlt. 62. Wobei Gewicht gelegt wird auf “die sittlichen und völkischen Kräfte seiner [gemeint ist Augustus] Erneuerungsbestrebungen” (Erziehung und Unterricht [wie vorherg. Anm.] S. 243). 63. Doch interpretiert Hauser (wie Anm. 59) S. 5 ihn im Sinne “kämpferischer Gerechtigkeit” gegen “weichlichen Pazifismus”. Luft, Asper 18 64. Vgl. Held (wie Anm. 48) und A. Aguirre, Genetische Phänomenologie und Reduktion. Zur Letztbegründung der Wissenschaft aus der radikalen Skepsis im Denken E. Husserls (Phaenomenologica 38), Den Haag 1970, sowie K. Mertens, Zwischen Letztbegründung und Skepsis. Kritische Untersuchungen zum Selbstverständnis der transzendentalen Phänomenologie Edmund Husserls (Orbis Phaenomenologicus Abt. IV, 1), Freiburg/München 1996. 65. Vgl. Mertens (s. vorherg. Anm.), S. 60: “Husserls Bild der Skepsis ist insgesamt einseitig an einem Skeptizismus orientiert, der seinen grundsätzlichen Zweifel an der Möglichkeit berechtigter Erkenntnisansprüche selbst mit Erkenntnisanspruch vorträgt. Und freilich hat Husserl leichtes Spiel, den Widersinn in dieser Form der philosophischen Skepsis freizulegen.” 66. Das geplante systematische Werk sollte, so war Husserls Plan zeitweise, unter der Koautorschaft von Husserl und Fink erscheinen. S. E. Fink, VI. Cartesianische Meditation hg. v. G. van Kerckhoven, Teil 2 (Hua.-Dok. II/2), Dordrecht/Boston/London 1988, S. 10–105, bes. 30–36. 67. VI. Cartesianische Meditation II (vgl. vorige Anm.), S. 30. 68. Vgl. etwa ebd., S. 47, Anm. 183, hier schreibt Husserl an den Rand: “Diese ganze Darstellung ist unbefriedigend.” 69. Ebd. S. 31, Anm. 114. 70. Diese Manuskripte sind hauptsächlich in der Gruppe E III versammelt, aus der noch wenig veröffentlicht ist. 71. – Diese ist freilich gewissermaßen “hausgemacht” durch das Verfehlen ihres Zwecksinnes. Zu diesen Themen vgl. Krisis, 1. Teil (Hua. VI, S. 1–17) sowie Husserls fünf Artikel für die japanische Zeitschrift The Kaizo 1923/24 (ed. in Hua. XXVII, S. 3–94), insbesondere den vierten Artikel “Erneuerung und Wissenschaft” (ebd., S. 43–58). 72. Dies ist letztlich Husserls Selbstbeschreibung: s. Hua. VI, S. 15 u. 72. 73. Vgl. Eugen Fink, VI. Cartesianische Meditation. Teil I, hg. v. H. Ebeling/J. Holl/G. van Kerckhoven (Hua. Dok. II/1), Dordrecht/Boston/London 1988, S. 148, Anm. 492. Hier notiert Husserl an den Rand des Finkschen Texts: “Nichts kann gefährlich sein für den, der wirklich in der Reduktion lebt und theoretisiert – er muß nur konsequent sein.” Luft, Asper 19