Langzeitforschung für eine nachhaltige Waldnutzung
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Langzeitforschung für eine nachhaltige Waldnutzung
ISSN 1021-2256 Langzeitforschung für eine nachhaltige Waldnutzung Eidgenössische Forschungsanstalt WSL CH-8903 Birmensdorf 2 Forum für Wissen ist eine Veranstaltung, die von der Eidg . Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL durchgeführt wird. Aktuelle Themen aus den Arbeitsgebieten der F orschungsanstalt werden vorgestellt und diskutiert. Neben Referenten aus der WSL können auswärtige F achleute beigezogen werden. Gleichzeitig zu jeder Veranstaltung «Forum für Wissen» erscheint eine auf das Thema bezogene Publikation. Verantwortlich für die Herausgabe Prof. Dr. James Kirchner, Direktor WSL Wir danken folgenden Personen, welche sich als Reviewer zur Verfügung stellten, für die kritische Durchsicht der Beiträge und die hilfreichen K ommentare: Kurt Bollmann, F elix Gugerli, Ruedi Häsler , Walter K eller, Werner Landolt, Peter Longatti, Andreas Rigling, Josef Senn, Beatrice Senn, Christoph Sperisen, Veronika Stöckli und Otto Wildi. Managing Editor Ruth Landolt Herstellung des Tagungsbandes Sandra Gurzeler Druck Druckzentrum AG Zitierung Eidgenössische Forschungsanstalt WSL (Hrsg.) 2009: Langzeitforschung für eine nachhaltige Waldnutzung. Forum für Wissen 2009: 129 S. Bezugsadresse WSL Shop Zürcherstrasse 111 CH-8903 Birmensdorf E-Mail e-shop@wsl.ch http://www.wsl.ch/eshop/ ISSN 1021-2256 © Eidgenössische Forschungsanstalt WSL Birmensdorf 2009 Forum für Wissen 2009 Forum für Wissen 2009 3 Vorwort Der Begriff Nachhaltigkeit ist aus dem heutigen Sprachgebrauch kaum mehr wegzudenken. Nur zu oft wird er als moderner Qualitätsstandard gefeiert, ohne die genaue Bedeutung und seinen Ursprung in der F orstwirtschaft zu kennen. Der Begriff wurde 1713 von Hanß Carl von Carlowitz (1645–1714) in seinem Buch «Sylvicultura Oeconomica» folgendermassen verwendet und geprägt: Wo Schaden aus unterbliebener Arbeit kommt, da wächst der Menschen Armuth und Dürfftigkeit. Es lässet sich auch der Anbau des Holzes nicht so schleunig wie der Acker-Bau tractiren; «… Wird derhalben die größte K unst, Wissenschaft, Fleiss, und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen, wie eine sothane Conservation und Anbau des Holzes anzustellen, daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe , weiln es eine unentbehrliche Sache ist, ohnewelche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag.» So vertraut uns der Begriff Nachhaltigkeit heute auch erscheinen mag , so schwierig erweist er sich in der Umsetzung von Massnahmen. Die ökologische, gesellschaftliche, technische und wirtschaftliche Entwicklung wird bei steigender Geschwindigkeit zunehmend komplexer . Die Rahmenbedingungen verändern sich stetig und die Unsicherheiten über zukünftige Entwicklungen lassen sich kaum verringern. Dies gilt insbesondere auch für die Bewirtschaftung und Nutzung unserer Wälder. Ein wesentliches Merkmal der Forstwirtschaft sind die weitreichenden Entscheidungshorizonte und die grosse zeitliche Distanz zwischen Ursache und Wirkung. Heute gefällte Entscheide werden den Wald und seine Wirkungen über Jahrzehnte prägen. Entsprechend bedeutsam ist die Dokumentation von Veränderungen in Ökosystemen, die Bestimmung ihrer Ursachen und dieAbschätzung der mit den Veränderungen verbundenen kurz- und langfristigen F olgen. Wenn wir heute die Zukunft nicht nur (unbewusst) passiv , sondern (bewusst) aktiv gestalten wollen, sind wir auf lange Datenreihen angewiesen, denn F ehlschlüsse aufgrund zu kurzer Zeitfenster dürfen wir uns – auch aus Sicht der Generationenverantwortung – nicht erlauben. Ebenso dürfen wir vorhandene Datens(ch)ätze nicht mehr ungenutzt lassen. Mit dem diesjährigen F orum für Wissen wollen wir anhand verschiedener Beispiele zeigen, weshalb Langzeitforschung in der Ökologie von unschätzbarer Bedeutung ist und eine wichtige Grundlage für die nachhaltige Waldnutzung darstellt. Gleichzeitig soll dargelegt werden, welches die Herausforderungen an eine zeitgemässe Langzeitforschung sind. Birmensdorf, im August 2009 Norbert Kräuchi und James Kirchner Forum für Wissen 2009 5 Langzeitforschung für eine nachhaltige Waldnutzung Inhalt Seite Vorwort 3 Kronenverlichtung, Sterberaten und Waldwachstum in Langzeitstudien – Welche Indikatoren beschreiben den Waldzustand am besten? Matthias Dobbertin, Christian Hug und Peter Waldner 7 L’eau des sols forestiers: un milieu sensible aux changements Elisabeth Graf Pannatier, Matthias Dobbertin, Maria Schmitt, Anne Thimonier, Peter Waldner 21 Le futur des marais suisses: quelle place pour la forêt? Elizabeth Feldmeyer-Christe, Ulrich Graf, Meinrad Küchler, Klaus Ecker, Helen Küchler et Angéline Bedolla 31 Flechten im Wald: Vielfalt, Monitoring und Erhaltung Christoph Scheidegger und Silvia Stofer 39 Mykorrhizapilze auf dem Rückzug – was bedeutet das für den Wald? Simon Egli 51 Indikatoren und Ergebnisse zur nachhaltigen Waldnutzung im Landesforstinventar LFI Urs-Beat Brändli und Philippe Duc 59 Was lehrt uns die Ertragskunde hinsichtlich nachhaltiger Ressourcennutzung 67 im Wald? Andreas Zingg Ertragskundliche Dauerversuche – Fragen, Wege, Antworten Markus Neumann 77 Langfristige Waldgrenzen-Forschung am Stillberg – vor lauter Bäumen den Wald noch sehen Peter Bebi, Frank Hagedorn, Melissa Martin, Christian Rixen, Josef Senn und Ueli Wasem 87 Ausgewählte Ergebnisse aus fünfzig Jahren Forschung in Schweizer Naturwaldreservaten Harald Bugmann und Peter Brang 93 Können genetische Grundlagen zur nachhaltigen Waldnutzung beitragen? Felix Gugerli 103 25 Jahre Walddauerbeobachtung in der Schweiz Sabine Braun, Christian Schindler und Walter Flückiger 111 Stickstoffeintrag und Ozonbelastung im Schweizer Wald aus der Sicht der Langfristigen Waldökosystem-Forschung Peter Waldner, Maria Schmitt, Marcus Schaub, Elisabeth Graf Pannatier und Anne Thimonier 113 Plädoyer für Langzeitforschung Norbert Kräuchi 125 Forum für Wissen 2009: 7–20 7 Kronenverlichtung, Sterberaten und Waldwachstum in Langzeitstudien – Welche Indikatoren beschreiben den Waldzustand am besten? Matthias Dobbertin, Christian Hug und Peter Waldner WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf matthias.dobbertin@wsl.ch, christian.hug@wsl.ch, peter.waldner@wsl.ch Anfang der 1980er Jahre wurde, ausgelöst durch hohe Schadstoffeinträge und flächiges Absterben von Fichtenwäldern in Osteuropa und Tannensterben in Mittelgebirgslagen, Alarm geschlagen. Daraufhin wurde in Europa und Nordamerika eine der grössten Forschungsinitiativen ins Leben gerufen. Neben der Einführung von jährlichen Waldzustandsinventuren wurden viele Langzeitforschungsflächen installiert, wie jene der Langfristigen Waldökosystem-Forschung (LWF). Die Erfassung des Waldzustands erwies sich jedoch als problematisch, da meist keine Informationen, geschweige denn Zeitreihen zu Sterberaten und zum Zustand der Bäume vorlagen. Auch zum Zuwachs der Wälder gab es keine flächendeckenden Daten. Deshalb wurde der vermeintliche Verlust der Nadel-/Blattmasse der Bäume im Wald erhoben, und wurden Bäume mit hohem Verlust als geschädigt klassifiziert. Schon bald aber kamen Zweifel an der Brauchbarkeit dieses Indikators auf. Heute, 25 Jahre später, stellt sich die Frage, ob sich der Zustand des Waldes überhaupt einfach beschreiben lässt? Welche Indikatoren haben sich als geeignet erwiesen? Und welche Art der Langzeitforschung zum Waldzustand braucht es in der Zukunft? 1 Einleitung Ende der 1970er Jahre starben im süddeutschen Raum und den angrenzenden Regionen verbreitet Tannen ab . Meldungen von zusammenbrechenden Wäldern, zumeist F ichten, aus dem schwer durch Luftverschmutzung belasteten Grenzgebiete der damaligen DDR und der Tschechoslowakei, erreichten vermehrt die westliche Öffentlichkeit. Gleichzeitig wurden versauernde Seen in Skandinavien beobachtet und das Phänomen «Saurer Regen» beschrieben, das vor allem durch im Regenwasser gelöstes Schwefeldioxid (SO 2) und durch Stickstoffoxide (NOx) verursacht wurde. Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse einer langfristigen Untersuchung im Solling in Norddeutschland wurden von der Forschergruppe um Prof . Ulrich (U LRICH et al. 1980) das erste Mal versauernde Einträge in den Waldboden als weitere Ursache von Waldschäden in Erwägung gezogen. In der Schweiz beobachteten F orstleute an verschiedenen Orten Schäden an Waldbäumen und es stellte sich ebenfalls die F rage, ob diese Schäden durch Luftschadstoffe verursacht wurden. In vielen Ländern Europas wurden deshalb Mitte der 1980er J ahre jährliche Inventuren zum Waldzustand, zumeist auf systematisch angelegten kleinen Stichprobenflächen, eingeführt. Doch schon zu Beginn der 1990er Jahre wuchs die Erkenntnis, dass zur Klärung möglicher durch Luftverschmutzung im Wald ablaufender Prozesse , intensive F orschung auf langfristig angelegten F orschungsflächen nötig ist (DOBBERTIN et al. 2009). 2 Daten und Methodik 2.1 Die Untersuchungsflächen Die Sanasilva-Inventur Anders als in vielen europäischen Ländern wurde die Sanasilva-Inventur von Beginn an auf den Flächen des Landesforstinventars (LFI, BRÄNDLI und DUC in diesem Band) durchgeführt. Zu Beginn der systematischen Sanasilva-Inventur im Jahr 1985 wurde ein 4 × 4 km Unternetz des 1 × 1 km Rasters des LFIs ausgewählt. In den J ahren 1993, 1994 und 1997 wurde die Sanasilva-Inventur dann auf einem reduzierten 8 × 8 km Netz durchgeführt (Abb. 1), 1995, 1996 und seit 1998 wird nur noch das für das ICP F orests Programm vorgeschriebene 16 × 16 km Netz aufgenommen. Anders als in den EU-Ländern werden alle Bäume , unabhängig ihrer sozialen Stellung im Bestand, ab einem Mindestdurchmesser in Brusthöhe (BHD) erhoben (in einem 200 Aren grossen inneren Probekreis ab 12 cm BHD, im einem 500 Aren grossen äusseren Probekreis ab 36 cm). Nur vom LFI als Wald definierte Flächen mit mindestens einem lebenden Baum werden aufgenommen. Nach jedem LFI (bisher alle 10 Jahre) wird die Anzahl Flächen der Sanasilva-Inventur angepasst, um neue Waldflächen zu erfassen. Einwüchse , das heisst Bäume , welche neu den Mindestdurchmesser erreicht haben, werden jährlich aufgenommen. Dadurch ist gewährleistet, dass die Sanasilva-Inventur immer repräsentativ für den Schweizer Wald ist. Die LWF-Flächen Ab 1994 wurden in der Schweiz die LWF-Flächen, vergleichbar den Level II Flächen des ICP Forests (International Co-operative Programme on Assessment and Monitoring of Air Pollution Effects on F orests) eingerichtet. Sie sollten alle Regionen der Schweiz und die verschiedenen Höhenstufen abdecken. Zudem sollten die typischen Waldgesellschaften, aber auch sensitive Standorte, enthalten sein. Heute sind 18 LWF-Flächen eingerichtet (Abb. 1). Die Flächen sollten bei 2 ha Grösse möglichst homogen bezüglich des Standorts (Bodentyp und Vegetationszusammensetzung) und der Bestandesstruktur sein (WALTHERT et al. 2003). In einigen Fällen musste , da die obigen Kriterien nicht erfüllt werden konnten, 8 Forum für Wissen 2009 Abb. 1. Sanasilva-Netz und LWF-Flächen der Schweiz. die Mindestgrösse reduziert werden (siehe Tab. 1). Die meisten ausgewählten Flächen werden regulär bewirtschaftet, einige wenige befinden sich in Naturwaldreservaten oder im Schweizer Nationalpark. Die meisten Bestände sind Altholzbestände, gut die Hälfte davon Mischwälder mit 2 bis 4 dominanten Baumarten (T ab. 1). Innerhalb der 2 ha Fläche wurden in der Regel 2 Subflächen von 0,25 ha Grösse ausgeschieden (Abb . 2). Während auf der Gesamtfläche alle Bäume ab 12 cm BHD nummeriert und geo-referenziert wurden, geschah dies auf der Subfläche für alle Bäume ab 5 cm BHD. Auf einer Teilfläche wurden Erhebungen von hoher zeitlicher Auflösung (z. B. die zweiwöchentlichen Probeentnahmen des Bestandesniederschlags oder die vierwöchig erfolgenden Streusammlerleerungen) durchgeführt, die andere Teilfläche sollte als von den Untersuchungen ungestörte Referenzfläche dienen. 2.2 Indikatoren des Waldzustands Im Folgenden werden kurz die drei am häufigsten verwendeten Indikatoren zur Beschreibung der Vitalität des Einzelbaums und des Waldzustandes aufgelistet und erklärt. Das sind die Kronenverlichtung, das Wachstum des Einzelbaums und des Bestandes und die jährlichen Sterberaten des Bestandes . Auf andere Indikatoren des Waldzustands wird in weiteren Beiträgen dieses F orums eingegangen, wie zum Beispiel die Nährstoffversorgung, Stickstoffsättigungseffekte und Ozonschäden der Bäume (S CHMITT et al. in diesem Band), der chemische und physische Bodenzustand (G RAF PANNATIER et al. in diesem Band) und das Vorkommen sensitiver Arten (S CHEIDEGGER und STOFER in diesem Band). Ausführliche Beschreibungen der Erhebungen zum Bodenzustand, der Bodenlösung , dem Bestandesniederschlag , Streufall und Nadel-/Blattbeprobungen können dort nachgelesen werden. Tabelle 2 skizziert die baumbezogenen Aufnahmen auf den Sanasilva- und LWF-Flächen. Die Kronenverlichtung und ihre Ursachen werden jährlich im Sommer zusammen mit anderen Variablen im Rahmen der Kronenansprachen erhobenen. Sie wird auf den L WF-Flächen an allen Bäumen mit Brusthöhendurchmesser (BHD) von mindestens 12 cm (jährlich auf den Subflächen, alle 10 bis 15 J ahre auf der gesamten Fläche) und an allen erfassten Bäumen der Sanansilva-Inventur durchgeführt (Tab. 2). Dabei wird auch erfasst, ob ein Baum lebt oder tot ist, steht, liegt oder genutzt wurde . Messungen des BHDs werden auf den Sanasilva-Flächen jährlich während der Kronenansprache durchgeführt. Der Stammumfang, die Baumhöhen und die Kronenansatzhöhen werden auf den L WFFlächen alle 5 J ahre im Winter gemessen. Dabei werden auch die Nutzung und das Absterben notiert und zusätzlich neu in die unterste Durchmesser- 1200 Isone Fi 480 330–2210 Vordemwald Sanasilva Bu, Es, BAh, Ta 750 Othmarsingen 480 700 950 Novaggio Visp Bu 580 Neunkirch Schänis ZEi 1890 Nationalpark Bu, Ta alle Baumarten Ta, Fi, TrEi Fö, Mb Bu BFö Fö 800 1050 Lens Fö, Fi StEi, Ha Bu Fi Fi, Ta Ar. Lä Bu, Fi, Ta Lausanne 500 1650 Davos 1475 1350 Chironico Lantsch 1850 Celerina Jussy 1500 1150 Bettlachstock Fi, Ta 1150 Alptal Beatenberg HauptBaumarten* LWF-Flächen Höhe ü. Meer verschieden Hochwald Hochwald, offen Hochwald Hochwald Hochwald Hochwald, unbew. Hochwald, unbew. Hochwald Hochwald Hochwald, offen ehem. Mittelwald ehem. Niederwald Hochwald Hochwald Hochwald Hochwald, unbew. Hochwald Plenterwald Bewirtschaftung** verschieden 100–200 40–80 120–150 110–150 40–70 80–180 180–210 140–170 50–170 > 250 60–100 40–90 > 220 140–180 > 200 > 170 190–210 ungleich Alter im Jahr 2008 0,05 2 2 2 1 1,5 2 2 2 2 2 2 2 1 2 2 1,3 2 0,6 Grösse (ha) – 763 23 820 550 166 433 173 218 663 177 326 249 508 617 364 400 351 193 – 18,4 1 8,4 8 4,7 4,2 1,7 3,3 10,6 2 6,7 4,8 6,3 9,1 4 5,7 3,1 8,5 0,4 0,3 6,0 0,1 0,0 0,2 0,1 1,4 0,4 0,2 0,0 0,5 0,3 0,1 0,2 0,0 0,2 0,4 0,2 1,5 0,1 1,9 0,4 2,4 0,0 1,1 0,4 0,5 0,1 0,1 0,3 0,1 0,1 0,1 0,1 0,0 1,3 1,1 23,7 21,2 27,3 – 15,5 24 20,1 70,2 25,7 21,7 – 32,5 18,5 – 27,5 21,3 29 35,1 15 28,9 30,2 34,2 17 14,5 33,6 22,7 54,9 28,1 32 38,5 23,5 19,7 33,8 32,7 17,8 22,6 34,2 19,6 Vorrat Zuwachs Sterberate Nutzung GesamtGesamt2005 1996–2005 1996–2005 1996–2005 verlichtung verlichtung (% J–1) 1997 2007 (m3 ha–1) (m3 ha–1 J–1) (% J–1) 26,9 18,3 34,8 – 6,6 22,4 9,6 97,5 26,1 23,0 – 12,5 50,8 – 21,0 14,6 39,4 50,7 18,7 Anteil Bäume > 25% 1997 30,7 36,1 30,2 7,7 5,2 47,9 15,5 86,5 28,3 37,4 71,0 8,5 15,0 63,0 52,0 5,3 28,8 41,1 17,8 Anteil Bäume > 25% 2007 Tab. 1. Beschreibung der LWF-Flächen mit Angabe von Volumen, Volumenzuwachs, Sterberaten und Nutzung bis 2005 und Gesamtverlichtung von 1997 und 2007 als Mittelwert und Anteil Bäume mit mehr als 25% Verlichtung und zum Vergleich die Ergebnisse der Sanasilva-Inventur. * Ar = Arve, BAh = Bergahorn, BFö = Bergföhre, Bu = Buche, Es = Esche, Fi = Fichte, Fö = Föhre, Ha = Hagebuche, Lä = Lärche, Mb = Mehlbeere, StEi = Stieleiche, Ta = Weisstanne, TrEi = Traubeneiche, ZEi = Zerreiche. ** unbew. = unbewirtschaftet. Forum für Wissen 2009 9 10 Forum für Wissen 2009 Abb. 2. Schema einer typischen LWF-Fläche. Tab. 2. Baumbezogene Indikatoren auf dem Sanasilva-Netz und den LWF-Flächen, Aufnahmebeginn und Aufnahmeinterval. * die Netzdichte der Sanasilva-Inventur hängt vom Aufnahmejahr ab: 1985–1992 erfolgte die Inventur auf dem 4 × 4 km Netz, 1993, 1994 und 1997 auf dem 8 × 8 km Netz und in allen anderen Jahren auf dem 16 × 16 km Netz. Indikator Variablen Krone Sanasilva* Beginn Verlichtung unbekannter Ursache Gesamtverlichtung Ursachen Baumstatus Lebend/tot Liegend/stehend Nutzung Einwuchs Zuwachs Brusthöhendurchmesser 1985 Stammumfang (periodisch) Baumhöhe Höhe Kronenansatz Stammumfang (Messbänder) klasse einwachsende Bäume nummeriert und geo-referenziert. Zur Bestimmung des jährlichen Zuwachses wurden an 10 bis 30 Bäumen der Hauptbaumarten jeder Fläche permanente 1985 1990 1990 1985 1985 1985 1985 – 1997 1997 – Interval LWF Beginn jährlich jährlich jährlich jährlich jährlich jährlich jährlich jährlich – einmalig einmalig – 1995 1995 1995 1995 1995 1995 1995 – 1995 1995 1995 2002 Umfangmessbänder montiert. Die Bäume wurden innerhalb festgelegter Durchmesserklassen zufällig ausgewählt. Die Ablesung erfolgt einmal jährlich im Oktober. Gesamtfläche Subflächen alle 10–15 Jahre alle 10–15 Jahre alle 10–15 Jahre alle 5 Jahre alle 5 Jahre alle 5 Jahre alle 5 Jahre – alle 5 Jahre alle 5–10 Jahre alle 5–10 Jahre jährlich jährlich jährlich jährlich jährlich jährlich alle 5 Jahre – alle 5 Jahre alle 5 Jahre alle 5 Jahre jährlich an 10–30 Bäumen Die Kronenverlichtung Um die langfristige Entwicklung des Waldzustands erfassen und objektiv beurteilen zu können, musste ein einfach zu erhebender Indikator ausge- Forum für Wissen 2009 wählt werden. Da ein Baum, bevor er abstirbt, seine Nadeln oder Blätter verliert, entschied man sich für die Erfassung des «Nadel-/Blattverlustes» (später Kronenverlichtung genannt), angegeben in Prozent einer «voll belaubten» Baumkrone. Zur Standardisierung wurden in der Schweiz für jede Baumart Bilder von Baumkronen mit verschiedenen Kronenverlichtung angelegt und als Referenz verwendet (MÜLLER und S TIERLIN 1990, Abb. 3). Gleichzeitig wurde mit Hilfe von standardisierten Photoreihen und Trainingskursen versucht, die Schätzung der Equipen Jahr für Jahr auf dem gleichen Niveau zu halten. Dabei wird sowohl neben der gesamten Kronenverlichtung (im weiteren kurz Gesamtverlichtung genannt) auch der Anteil der Verlichtung erfasst, der nicht durch bekannte Ursachen wie zum Beispiel Insektenfrass oder F rostschaden erklärt werden kann (im weiteren unerklärte Kronenverlichtung genannt), und zwar jeweils in Stufen von 5 %. Ergebnisse wurden meist als Anteil der Bäume mit mehr als 25 % Kronenverlichtung dargestellt, da angenommen wurde , dass solche Bäume geschädigt sind. Obwohl heute diese Bäume nicht mehr automatisch als geschädigt gelten, wurde diese Statistik zum Vergleich der langfristigen Reihen beibehalten. Bis zum Jahr 1995 wurden jedes J ahr Bäume auf Photoparcours photographiert und im Feld geschätzt. Dadurch konnte die Konsistenz der F eldansprachen getestet werden. Eine Vergleich mittels Ansprache zufällig angeordneter Photos von F ichten des Parcours und der semi-automatischen Software CR OCO ergab keinen signifikanten Trend der Feldansprachen, wohl aber Abweichungen bei F otos schlechter Qualität und in einzelnen J ahren (D OBBERTIN et al. 2004, 2005a). Vorteile des Merkmals Kronenverlichtung: Die Ansprache der Kronenverlichtung ist verhältnismässig schnell im Feld durchzuführen. Sie kann zerstörungsfrei durchgeführt werden. Sie ist verhältnismässig kostengünstig . Die Variable «Kronenverlichtung» erlaubt verschiedenste Baumarten miteinander zu vergleichen, da sie relativ ist, das heisst Bäume werden mit Referenzbäumen der gleichen Art verglichen. Sie ist eine integrierende Variable, 11 0% 50 % 75 % Abb. 3. Referenzkronenbilder für F ichten mit Bürstenform und angegebener Gesamtverlichtung. das heisst sie betrachtet den gesamten Baum. Nachteile des Merkmals Kronenverlichtung: Die Kronenverlichtung ist nicht direkt messbar und muss stattdessen von gut ausgebildeten F eldexperten durchgeführt werden. Ein halb-aut omatisches Programm digital erfasste r Baumkronen (CR OCO) erlaubt zwar eine objektive Ermittlung der Kronenverlichtung, jedoch ist die Methode bisher noch nicht im Wald einsetzbar (MIZOUE und D OBBERTIN 2003). Trotz Photovergleich mit Referenzbildern besteht die Gefahr von systematischen oder zufälligen Beobachterabweichungen, welche intensives Training und Standardisierungsübungen erfordern. Zudem ist die Kronenverlichtung nicht Ursachen spezifisch, das heisst, dass verschiedene Ursachen ähnlich hohe Kronenverlichtungen hervorrufen. Es ist auch nicht klar in der Ansprache, ob die Kronenverlichtung eines Baumes die F olge einer Vitalitätseinbusse ist, oder ob sich der Baum eventuell wieder von einem Stress erholt. Es braucht deshalb Referenzwerte um das Merkmal einordnen zu können (i.e . welche Kronenverlichtung ist an einem Standort für eine Baumart in einem bestimmten Alter zu erwarten? wie wäre die erwartete Verteilung im Bestand?). Sterberaten Das Absterben von Bäumen im Wald ist ein natürlicher Prozess . Mit zunehmender Dichte im Bestand erhöht sich die K onkurrenz für Licht, Nährstoffe und Wasser. Die Anzahl lebender Bäume nimmt ab . Generell wird zwischen dem durch K onkurrenz verursachten Absterben (vor allem unterdrückte Bäume), dem zufälligen Absterben (einzelne über die Fläche verteilte Individuen der Oberschicht, die ohne ersichtlichen Grund absterben) und dem durch biotische oder abiotische Ursachen oder deren K ombination bedingten Absterben (meist in Gruppen oder mit ungewöhnlich hohen Sterberaten von Bäumen der Oberschicht) unterschieden (D OBBERTIN und B RANG 2001). Im Naturwald hängt die Sterberate von der Entwicklungs- oder Sukzessionsstufe des Bestandes ab . J e nach Schattentoleranz und Langlebigkeit der Baumart unterscheiden sich deren Sterberaten in den Entwicklungsstadien. Häufig werden bei sehr kleinen Bäumen und bei grossen, alten Bäumen höhere Sterberaten beobachtet. Bei den jüngeren liegt dies an der hohen Konkurrenz, bei den älteren an der altersbedingten höheren Anfälligkeit gegenüber biotischen (z. B. Insekten und Pilze) und abiotischen F aktoren (z. B. Klimaextreme). Für Bäume in bewirtschafteten Wäldern ergeben sich in der Regel Sterberaten deutlich unter 1 % (NEUMANN und STEMBERGER 1990). In unbewirtschafteten Wäldern oder Naturwäldern werden diese höher sein. Vorteile des Merkmals Sterberate: Die Sterberate ist der ultimative Indikator für «W aldsterben» oder die fehlende Vitalität des Einzelbaumes. Absterbende Bäume sind verhältnismässig schnell und eindeutig im Feld zu identifizieren. Andere Indikatoren des Wald- oder Baumzustandes könnten mit Hilfe der Sterbewahrscheinlichkeiten getestet werden. 12 Nachteile des Merkmals Sterberate: Die Sterberate ist ein Indikator , welcher nur für Waldbestände erhoben werden kann, am Einzelbaum kann sie nicht angewendet werden. Da die Sterberaten natürlicherweise sehr niedrig sind, braucht es grosse Datensätze oder sehr lange Zeitreihen bis statistisch gesicherte Daten vorliegen. Es braucht geeignete Referenzwerte , um die Höhe der Sterberate zu beurteilen. Die Sterberate wird durch die Nutzungsrate , aber auch Ereignisse wie Windwurf, Schneebruch oder F euer beeinflusst. Um die mögliche Ursache des Absterbens zu ermitteln, braucht es perio dische Beobachtungen innerhalb eines Jahres. Baumwachstum Wie kann das Baumwachstum bestimmt werden? Am einfachsten zu messen ist der Stammdurchmesserzuwachs oder die J ahrringbreite, wesentlich schwieriger das Zweig- und das Blattwachstum, inklusive der gesamten oberirdischen Biomasse . Am schwierigsten jedoch ist, das Wurzelwachstum zu erfassen oder die Entwicklung der unterirdischen Biomasse zu verfolgen. Deshalb wird vor allem das Stammwachstum als Stressindikator verwendet (D OBBERTIN 2005). Noch mehr als bei den bereits besprochenen Merkmalen muss zwischen dem Erfassen der Einzelbaums und dem des gesamten Waldbestandes, das heisst der Summe aller Bäume im Bestand, unterschieden werden. Das Einzelbaumwachstum, besonders das Dickenwachstum des Stamms, hängt stark von der Einzelbaumkonkurrenz ab und nimmt schnell mit der zunehmenden Dichte der Bäume im Bestand ab. Es ist in der Regel am stärksten für freistehende Bäume. Hingegen steigt das Bestandeswachstum mit der Dichte des Bestandes an, bis eine optimale Bestandesdichte erreicht ist (KRAMER 1988). Vorteile des Merkmals Wachstum: Stammwachstum ist verhältnismässig schnell und vor allem sehr genau im Feld zu messen. Diese Messung und die der Baumhöhe kann zerstörungsfrei durchgeführt werden. Die Messungen sind verhältnismässig kostengünstig. Mithilfe von J ahrringmessungen kann am Einzelbaum die Vergangenheit rekonstruiert werden. Das Wachs- Forum für Wissen 2009 tum ist eine integrierende Variable, das heisst es spiegelt die generellen Bedingungen von Standort, Witterung und Konkurrenz. Nachteile des Merkmals Wachstum: Wachstum ist auch ein unspezifischer Parameter, das heisst, es erlaubt nur im begrenzten Masse Rückschlüsse auf Ursachen zu ziehen. Retrospektiv ermittelter Zuwachs durch Bohrkerne ist nicht zerstörungsfrei und erlaubt keine Aussage zum Bestandeswachstum, wenn Bäume inzwischen abstarben oder genutzt wurden. Wie schon bei den beiden anderen Merkmalen braucht man auch für das Wachstum eine Referenz oder einen Erwartungswert um eine Bewertung durchführen zu können. 3 Ergebnisse und Diskussion 3.1 Kronenverlichtung Die Entwicklung der Kronenverlichtung auf dem Sanasilva-Netz In der Schweiz stieg der Anteil stark verlichteter Bäume bis Mitte der 1990er Jahre stetig an (Abb . 4), zeigte aber danach bei grösseren jährlichen Schwankungen keinen langfristigen Trend. Ähnliches wurde auch in Nachbarländern beobachtet. Wobei hier der Trend zur Stagnation oder zu weniger stark verlichteten Kronen schon früher einsetzte. Einige auffällige jährliche Zunahmen der Kronenverlichtung in der Schweiz fallen mit speziellen klimatischen Ereignissen zusammen, so der Winter- und Spätfrost im Winter 1986/87 (EAFV 1987), die Stürme Vivian Anfang 1990 und Lothar Ende 1999 und der Hitzesommer 2003. Auf den LWF-Flächen ergab sich seit ihrer Einrichtung kein Trend in der Kronenverlichtung. Generell, streut die Variable «Anteil der Bäume mit mehr als 25 % Gesamtverlichtung» stärker von J ahr zu Jahr als die mittlere Kronenverlichtung. Dies trifft insbesondere auf die Flächen zu, in denen eine hoher Anteil der Bäume eine Verlichtung um 25 % haben (Tab. 1). Der Hitzesommer 2003 Der stärkste Anstieg der Kronenverlichtung erfolgte im Jahr nach dem Hitzesommer 2003. Ähnliche Anstiege wurden auch in den Nachbarländern beobachtet (R ENAUD und N AGELEISEN 2005; S EIDLING 2007). Bis Ende J uli warfen in der gesamten Schweiz relativ wenige Bäume ihre Blätter frühzeitig ab. Ab August jedoch – der grösste Teil der Sanasilva-Inventur war bereits durchgeführt – verfärbten sich die Blätter einzelner Bäume (M EIER et al. 2004; T HALMAN et al. 2005). Eine Wiederholungsansprache im September 2003 von 374 Laubbäumen auf 5 LWFFlächen fand jedoch nur knapp 7 % der Bäume mit entweder braun verfärbten Kronen oder Kronen, an denen seit J uli die Gesamtverlichtung um mehr als 15 % angestiegen war . Der Anteil war am höchsten auf den Flächen mit dem höchsten berechneten Trockenstress (G RAF PANNATIER et al. 2007). Das heisst, dass sich die Trokkenheit im Jahr 2003 nur wenig auf die Belaubung ausgewirkt hat. Es ist jedoch bekannt, dass bei der Entwicklung der Knospen im Spätsommer und Herbst die Anlagen für die nächstjährigen Blätter und Nadeln entstehen. Der grosse Trockenstress gegen Ende des Sommers 2003 hat deshalb vermutlich dazu geführt, dass die Bäume im Folgejahr weniger Blätter und Nadeln gebildet haben. Zudem hat der Trockensommer bei Baumarten wie der Buche eine starke Samenbildung im Folgejahr ausgelöst. Wegen des hohen Energiebedarfs für die Samenbildung bleiben die Blätter in der Regel kleiner als in anderen J ahren. Zwischen dem Anstieg der Kronenverlichtung auf 13 LWF-Flächen im J ahr 2004 im Vergleich zum J ahr 2003 und dem Unterschied in der Wasserverfügbarkeit zwischen März und August beider J ahre konnte eine signifikante Beziehung gefunden werden: je geringer die Wasserverfügbarkeit im Jahr 2003 umso höher der Anstieg der Verlichtung im J ahr 2004 (R2 = 0.35, GRAF PANNATIER et al. 2007). Die Kronenverlichtung auf den LWF-Flächen Ein Vergleich der Kronenverlichtung auf den LWF-Flächen und der Sanasilva-Inventur zeigt die grossen Unterschiede zwischen den Flächen (Tab. 1). So weisen die Bergföhren im Nationalpark im Durchschnitt aller Bäume eine mehr als doppelt so hohe Gesamtverlichtung auf wie der Durchschnitt der Forum für Wissen 2009 13 50 Anteil Bäume mit > 25% Kronenverlichtung (%) 45 40 35 Gesamtverlichtung 30 25 20 Kronenverlichtung unbekannter Ursache 15 10 5 0 Frost Sturm Vivian Sturm Lothar 4 × 4 km 8 × 8 km 16 × 16 km 8 × 8 km Hitzesommer 16 × 16 km 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Abb. 4. Anteil Bäume mit Kronenverlichtung > 25 % in der Schweiz seit 1985 (je mit 2-fachem Standardfehler), darunter das verwe ndete Beobachtungsnetz. zwar fast alle Bäume stark verlichtet sind, aber keine stehend toten Bäume vorkommen. Das kann zum einen an der unterschiedlichen Nutzungsart an beiden Orten liegen und zum anderen daran, dass in Lantsch bei sehr geringer Bestandesdichte und langsamem 35 Wachstum trotz des hohen Baumalters praktisch keine Bäume absterben. In Beatenberg, einer sehr windexponierten Fläche , haben die Stürme Vivian und Lothar und anschliessender Borkenkäferbefall zu einer hohen Anzahl toter Bäume geführt. Alptal, ungleich alt Beatenberg, 190–210 Jahre Lantsch, > 250 Jahre 30 Anteil Bäume (%) Sanasilva-Inventur. Auch die Gesamtverlichtung in Lantsch und in Visp sind vergleichsweise hoch. Dagegen ist die Verlichtung im Alptal, Schänis und in Othmarsingen deutlich niedriger als in der gesamten Schweiz. Das gleiche gilt auch für die Anteile von Bäumen mit mehr als 25 % Gesamtverlichtung. Bei gleichen Mittelwerten kann die Verteilung der Verlichtung im Bestand sehr unterschiedlich sein (Abb . 5). Im Sommer 2006 war zum Beispiel an den Fichten im Alptal die Verteilung zu den niedrigen Verlichtungen hin verschoben, mit einigen hoch verlichteten zumeist aus dem Bestandesdach herausragenden Altbäumen (Mittelwert ohne tote Bäume: 10 %, Anteil lebender Bäume mit > 25 % Verlichtung: 6 %). Im Fichtenaltbestand in Beatenberg ist die Verteilung fast symmetrisch, sieht man von dem hohen Anteil toter Bäume ab (Mittelwert: 25 %, Anteil >25 %: 39 %). Die ebenfalls fast symmetrisch verteilten Verlichtungen im Fichtenaltbestand in Lantsch zeigen im Durchschnitt höhere Werte (Mittelwert: 44 %, Anteil > 25 %: 92 %). Auffällig ist hier, dass im Gegensatz zu Beatenberg 25 20 15 10 5 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 85 90 100 Konenverlichtung 2006 (%) Abb. 5. Verteilung der Gesamtverlichtung für Fichten auf drei verschiedenen LWF-Flächen im Jahr 2006. 14 Forum für Wissen 2009 Weitere Gründe für die höheren Verlichtungen der F ichten in Lantsch und Beatenberg sind unter anderem das höhere Alter der F ichten und die schlechtere Nährstoffversorgung . Die meisten bisherigen Studien zeigen, dass besonders für die Nadelbäume mit steigendem Alter die Kronenverlichtung zunimmt. Der Grund dafür liegt zum grössten Teil wohl in dem sich verändernden Verhältnis von Zweigholz- zu Nadelmasse, welches zu erhöhter Kronentransparenz führt und bei der Ermittlung der Kronenverlichtung nicht ausreichend korrigiert wird. Ausserdem steigt mit dem Alter der Anteil von Stamm- und Wurzelfäulen befallener Bäume , welches ebenfalls zur Erhöhung der Kronenverlichtung beiträgt (SCHMID-HAAS et al. 1997). Insektenbefall und Kronenverlichtung Eine häufige Ursache der Kronenverlichtung ist der Nadel- oder Blattfrass durch Insekten. Auf der L WF-Fläche Celerina verursachte der zyklische Befall durch den Lärchenwickler in den letzten beiden Ausbruchsjahren (normalerweise alle 7 bis 10 J ahre) einen Anstieg der mittleren Gesamtverlichtung von 19 % vor und nach dem Befall (1998, 2001) auf 41 % (1999) und 31 % (2000). J e nachdem in welchem Jahr man also die Verteilung der Kronenverlichtung erhebt, ergibt sich eine andere Einschätzung des Zustandes der Fläche . Obwohl ein Lärchenwicklerbefall in der Regel das Stammwachstum der Bäume reduziert, führt er nur bei extremem Befall und nachfolgen- der Trockenheit zu erhöhten Sterberaten der Lärchen (D OBBERTIN et al. 2007). Auf der LWF-Fläche Jussy hat Blattfrass durch verschiedene Schmetterlingsraupen, vor allem die von F rostspannern, zu erhöhten Kronenverlichtungen an den Eichen und Hagebuchen geführt (T ab. 3). Anscheinend gibt es auch hier mehrjährige Zyklen mit erhöhten Raupenpopulationen. Zum Höhepunkt des Raupenbefalls (2005) zeigten 98 % aller Bäume zerfressene Blätter, welche die Gesamtverlichtung seit Beginn des Befalls um 18,6 % erhöhte. Dies entspricht einer Verdopplung der Kronenverlichtung von vor dem Befall. Im J ahr 2008 wurde nur noch an 3 % der Bäume Insektenfrass beobachtet und eine Gesamtverlichtung ähnlich wie vor dem Befall gefunden. Im Feld wurden bei der Aufnahme 2005 der Ursache Insektenfrass 13,4 % der Gesamtverlichtung zugeschrieben. Gleichzeitig mit dem Anstieg der Kronenverlichtung ging der Stammzuwachs der Bäume deutlich zurück ehe er wieder anstieg. Es ist hier wichtig zu bemerken, dass zwar auch hier der Hitzesommer 2003 den Stammzuwachs reduzierte, aber der Tiefpunkt mit dem Maximum der Kronenverlichtung durch Insekten zusammenfiel. Ohne das Wissen des Insektenfrasses durch die Kronenansprache hätte man fälschlich die Reduktion im Stammzuwachs im Jahr 2005 für einen verspäteten Effekt der Trockenheit gehalten. Die beobachtete Kronenverlichtung konnte somit in vielen Fällen einer bekannten Ursache zugeordnet werden. Tab. 3. Veränderung der Gesamtverlichtung auf der L WF-Fläche J ussy seit 2001, Anteil Bäume mit beobachtetem Blattfrass durch Insekten, durchschnittlicher Abzug an der Gesamtverlichtung wegen Insektenfrass und durchschnittlicher Stammzuwachs von Stieleichen und Hagebuchen (für die Kronenansprachen rund 270 Bäume, für den Stammzuwachs 17 Bäume). Jahr Veränderung der Gesamtverlichtung (%) 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 3,7 3,7 16,3 18,6 8,4 3,5 1,7 Anteil Bäume Abzug der GesamtMittlerer mit Insekten- verlichtung wegen Basalflächenfrass (%) Insektenfrass (%) zuwachs (cm2) 16,9 61,4 75,7 98,2 84,5 23,5 3,4 4,1 7,1 7,4 13,4 8,0 2,7 0,5 9,7 8,3 8,6 7,0 8,8 12,2 12,4 Der Einfluss der Luftverschmutzung auf die Kronenverlichtung lässt sich mit dieser Methode allerdings nicht eindeutig nachweisen, da es zu viele Ursachen gibt, die mögliche Effekte von Luftverschmutzung oder Schadstoffeinträgen überdecken können. Er kann höchstens über statistische Auswertungen mit vielen Flächen, etwa den europäischen Level II Flächen, geschätzt werden. Einfluss mehrerer Umweltfaktoren auf die Kronenverlichtung Es ist von grossem wissenschaftlichem Interesse, die verschiedenen möglichen Ursachen der Kronenverlichtung gleichzeitig auszuwerten und zu quantifizieren und mögliche Wechselwirkung zwischen den Waldzustandsindikatoren auf der einen und den Ursachen auf der anderen Seite zu erfassen. Grundsätzlich ergibt sich hierbei das Problem der geringen Anzahl von Beobachtungen. Selbst die knapp 50 SanasilvaFlächen sind dazu nicht mehr ausreichend. Multivariate Auswertungen sind deshalb vor allem nur zusammen mit weiteren Flächen des ICP Forests sinnvoll. Multivariate Auswertungen auf den Sanasilva-Flächen auf dem 8 × 8 km Netz ergaben meist nur schwache Beziehungen der Kronenverlichtung und ihrer Änderung mit Umweltparametern. So fand W EBSTER et al. (1996), dass die Kronenverlichtung der F ichte mit der Wasserspeicherfähigkeit im Boden abnahm, der Höhe über Meer zunahm und mit der Säure im Boden abnahm. Auch die Tanne zeigte erhöhte Kronenverlichtung auf Böden mit geringer W asserspeicherfähigkeit und erhöhtem Kalkanteil. Für die Buche gab es keine signifikanten Ergebnisse . INNES et al. (1997) fanden zudem für die Sanasilva-Inventur , dass die Zunahme der Kronenverlichtung bis 1995 positiv mit den Ozonkonzentrationen und den Schwefel-Einträgen korrelierte und negativ mit dem Humusgehalt im Boden und der Wintertemperaturen am Standort. Insgesamt konnten aber mit dem Modell nur 17 % der räumlichen Variabilität der Kronenverlichtung erklärt werden. Z IERL (2004) fand für die Laubbaumarten und die Fichte, dass die Veränderung der Kronenverlichtung auf den Sanasilva-Flächen von der Wasserverfügbarkeit in Forum für Wissen 2009 den vorangegangenen J ahren abhing , aber nicht von der Wasserverfügbarkeit des Sommers der Kronenansprache. In einer Studie aller europäischen Level I Daten konnten K LAP et al. (2000) für die verschiedenen Baumarten bis zu 50 % der räumlichen Variabilität erklären. Allerdings wurden nur 1 bis 3 % dieser Variabilität durch Umweltfaktoren wie Temperaturextreme, Wasserverfügbarkeit oder Luftschadstoffeinträge oder Luftschadstoffkonzentrationen erklärt. Das Baumalter erklärte bis zu 14 % der Variabilität, während gut ein Drittel durch die Unterschiede zwischen den Ländern erklärt wurde . Von den Veränderungen der Kronenverlichtung , in denen das Alter und die Unterschiede der methodischen Ansprache keinen Einfluss spielen, konnten 4 % durch Umweltfaktoren erklärt werden. S EIDLING (2007) fand in einer multivariaten Auswertung verschiedener Baumarten auf dem deutschen Level I Netz, dass neben dem Baumalter, vor allem erhöhte Temperaturen oder Trockenheit die Kronenverlichtung im F olgejahr erhöhten. 15 Die Sterberaten auf dem SanasilvaNetz und den LWF-Flächen Auf den Sanasilva-Flächen sterben im langjährigen Durchschnitt zwischen 0,3 bis 0,4 % der Bäume pro J ahr stehend ab (BRANG 1998). Ähnliche Raten sind auch aus anderen bewirtschafteten Wäldern Europas bekannt. Ein Vergleich der jährlichen Sterberaten verschiedener Baumarten auf den Sanasilva-Flächen zeigt deutliche Unterschiede zwischen den Arten. Am höchsten waren die Sterberaten für die Ulmen (> 5 % pro J ahr), welche seit 1985 durch die Ulmenwelke fast vollständig aus den Schweizer Wäldern verschwanden. Auch die knapp über 1 % liegende Sterberate der Kastanie kann durch einen Pilz, den Kastanienrindenkrebs, erklärt werden. Alle anderen Arten hatten jährliche Sterberaten zwischen 0,2 % (Buche) und 0,5 % (Föhre). Auch auf den meisten L WFFlächen liegen die mittleren jährlichen Sterberaten meist deutlich unter 1 % (Perioden 1995–99 und 1999–2004, Tab. 1). Höhere Sterberaten gibt es nur für die Bergföhren im Nationalpark und auf der LWF-Fläche in Visp. Es konnte in Studien gezeigt werden, dass frisch abgestorbene Bergföhren im Nationalpark von Wurzelfäulen, insbesondere von Wurzelschwamm und Hallimasch, befallen waren und diese höchstwahrscheinlich die Ursache der erhöhten Kronenverlichtung und des Absterbens sind (C HERUBINI et al. 2002; D OBBERTIN et al. 2001). Auf der L WF-Fläche Visp starben nach Trockenjahren vor allem Föhren, zum Teil aber auch Birken und Kirschen. Da die meisten abgestorbenen Föhren keine 50 J ahre alt wurden, kann hier ein altersbedingtes Absterben ausgeschlossen werden. Seit Installation der Fläche 1996 sind über 60 % aller Föhren abgestorben. Diese Ergebnisse decken sich mit den Beobachtungen erhöhter Sterberaten der Föhren in den Tieflagen des Wallis meist als F olge von Trockenjahren (BIGLER et al. 2006). Schliesst man die L WF-Fläche Visp mit ihren extrem hohen Sterberaten aus, so sind die Sterberaten auf den LWF-Flächen vergleichbar mit denen der Sanasilva-Inventur (Abb . 6). In beiden Fällen liegen die jährlichen Sterberaten fast immer zwischen 0,2 und 0,6 %. Anders als bei der Kronenverlichtung, stiegen in den ersten 10 Jahren der Sanasilva-Inventur die Ster- 3.2 Die Sterberaten 1 Sterberate – Sanasilva Sterberate – LWF ohne Visp Jährliche Sterberaten (%) 0,8 0,6 0,4 0,2 0 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Abb. 6. Vergleich der jährlichen Sterberaten aller Bäume auf den Sanasilva-Flächen und den LWF-Flächen ohne Visp. 16 beraten nicht an. Die Nutzungsraten lagen demgegenüber im gleichen Zeitraum bei rund 1,5 % und die Einwuchsraten bei knapp 2,0 % (T ab. 1; BRANG 1998). Es kann damit gezeigt werden, dass es während der ganzen Periode nicht zu einem erhöhten Absterben von Bäumen in der Schweiz gekommen ist. Nur nach dem Trockenjahr 2003 starben überdurchschnittlich viele Bäume ab (fast 1 % auf den Sanasilva-Flächen). Leichte erhöhte Sterberaten nach 2003 wurden ebenfalls auf den LWF-Flächen beobachtet. Auch in Frankreich und einigen deutschen Bundesländern konnte nach 2003 ein auffälliger Anstieg der Sterberate beobachtet werden, welcher über mehrere Jahre anhielt (R ENAUD und N AGELEISEN 2005; EICHHORN et al. 2008). Sommertrockenheit und Sterberaten auf der LWF Fläche Visp Auf der LWF-Fläche Visp starben nach dem Jahr 2003 nochmals mehr als 25 % der verbliebenen Föhren ab. Es besteht hier ein sehr enger Zusammenhang zwischen Sommertrockenheit und dem Absterben im nachfolgenden Jahr (r2 = 0,64; D OBBERTIN und R IGLING 2006). Im J ahr 2003 fielen in Visp rund 350 mm Niederschlag, von März bis August gar nur 130 mm. Der Anstieg des Absterbens in den letzen zwei J ahrzehnten geht hier parallel mit den ansteigenden Sommertemperaturen und dem dadurch bedingten erhöhten Wasserbedarf (R EBETEZ und D OBBERTIN 2004). Nach feuchten J ahren besteht nur eine zufällige Sterberate . Mit ansteigendem Trockenstress scheint die Sterbewahrscheinlichkeit exponentiell anzusteigen. Dass diese K orrelation auch ursächlich begründet ist, konnte in einem Bewässerungsexperiment im Pfynwald gezeigt werden (Dobbertin in Vorbereitung). Hier beträgt die jährliche Sterberate der Föhren in den 6 Jahren nach Beginn der Bewässerung auf der bewässerten Fläche rund 0,4 % und auf den Kontrollflächen 1,1 %. 3.3 Der Zuwachs Der Zuwachs auf den LWF-Flächen Die Bestandesdichte ist sehr unterschiedlich auf den L WF-Flächen in Abhängigkeit von Alter, Bewirtschaftungsform, Baumartenzusammenset- Forum für Wissen 2009 zung, geographischer Lage , den klimatischen Verhältnissen und der Nährstoffversorgung (Tab. 1). Der absolute Zuwachs pro ha hängt dabei sehr stark vom stehenden Vorrat ab . Sei es , weil unterbestockte Wälder aufgrund der niedrigen Stammzahl weniger produzieren können oder weil aufgrund von Limitierungen von Temperatur, Wasser und Nährstoffen nur ein geringerer Zuwachs möglich ist, welcher sich in niedrigem Holzvolumen niederschlägt. Der Holzvorrat auf den L WF-Flächen schwankt zwischen 23 m 3/ha (Föhrenwald in Visp) und 820 m 3/ha (Buchenmischwald in Schänis). Der Zuwachs liegt zwischen 1 m 3/ha (V isp) und 18 m3/ha (W eisstannenbestand in Vordemwald). Generell nimmt der Zuwachs, vor allem wenn er als Holzgewicht, also nicht Volumen, gemessen wird, mit ansteigender Höhe über Meer ab (Tab. 1). Zuwachs und Nadelmasse, Insektenfrass und Trockenheit In Anlehnung an W ARING et al. (1980) kann der Holzzuwachs des Bestandes in Bezug zu der berechneten Blattoder Nadelfläche gesetzt werden. Dabei steigt der durchschnittliche Zuwachs mit der Blattfläche des Bestandes an (r 2 = 0,55). Flächen, welche im Verhältnis zu ihrer Blattfläche , eher wenig wuchsen, zeichneten sich vor allem durch Wasserlimitierung aus (V isp und Lens im Wallis, Neunkirch im J ura). Demgegenüber scheint die Limitierung des Wachstums durch niedrige Temperaturen mit der Höhe über Meer schon zum grössten Teil durch reduzierte Blatt-/Nadelflächen erklärt zu sein. Die Ablesungen der fest installierten Umfangmessbänder auf den L WF-Flächen erlaubt die Höhe der jährlichen Veränderungen in den Wachstumsraten festzustellen. So hängt der jährliche Zuwachs in J ussy stark ab vom Insektenfrass (Tab. 3). Im Hitzesommer 2003 nahm das Stammwachstum vor allem in den Tieflagen ab, während die höher gelegenen LWF-Flächen keinen Rückgang verzeichneten (J OLLY et al. 2005). Mit Hilfe der auf den LWF-Flächen gemessenen Wasserpotentiale im Boden und Modellen zur Berechnung der Wasserverfügbarkeit konnte der Wachstumsrückgang im Trockenjahr 2003 eindeutig auf die limitierte Wasserverfügbarkeit zurückgeführt werden (GRAF PANNATIER et al. in diesem Band). 3.4 Beziehung der Merkmale zueinander Vergleicht man die durchschnittliche Kronenverlichtung mit den auf den einzelnen L WF-Flächen ermittelten jährlichen Sterberaten, so ergibt sich kein offensichtlicher Zusammenhang (Tab.1). Demgegenüber gibt es eine leicht signifikante K orrelation zwischen mittlerer Kronenverlichtung und Stammzuwachs der Flächen (r = –0,43). Das heisst mit zunehmender Verlichtung nimmt der Zuwachs ab . Gleichzeitig nimmt die Kronenverlichtung mit der Höhe des Standortes zu (r = 0,5) und der Zuwachs ab (r = –0,46). Der Zuwachs und die Sterberaten korrelierten nicht mit dem Bestandesalter der LWF-Flächen und die Kronenverlichtung nur leicht (r = 0,38). Es ist nicht überraschend, dass die mittleren Werte der L WF-Flächen nur schlecht korrelieren, sind doch die einzelnen Flächen sehr unterschiedlich bezüglich Bestandesaufbau, Baumartenzusammensetzung und Standort. Interessanter ist es, die Beziehungen innerhalb eines Bestandes zu untersuchen. Kronenverlichtung und Sterberaten Obwohl es nur begrenzt möglich ist die Kronenverlichtung zwischen Standorten zu vergleichen, ist die Kronenverlichtung innerhalb eines Bestandes ein geeigneter Parameter der Baumvitalität. Dies kann anhand der Beziehung zur Sterberate getestet werden. Auf allen L WF-Flächen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Baum im Folgejahr abstirbt exponentiell mit der Kronenverlichtung an (Abb. 7). Bäume mit weniger als 20 % Gesamtverlichtung haben in der Regel Sterberaten um 0,1 %, während Bäume mit über 60 % Verlichtung Sterberaten um 10 % zeigen. Unterschiede in der Beziehung zwischen Kronenverlichtung und Absterben können Informationen über die Sterbeursachen beinhalten. Auf der LWF-Fläche Visp zum Beispiel sterben die Bäume bei gleicher Kronenverlichtung deutlich häufiger ab als auf den anderen L WF-Flächen. Hier wurden an allen abgestorbenen Bäumen verschiedenste rindenbrütende Käfer und Bläuepilze im Holz gefunden, welche Forum für Wissen 2009 17 bekanntlich zum schnellen Absterben beitragen. Reinem durch die K onkurrenz verursachtem Absterben dagegen, geht diesem eine langsame Zunahme der Kronenverlichtung voraus (z. B. auf der Fläche Vordemwald und Jussy). Die Beziehung zwischen Kronenverlichtung und Sterberate innerhalb des gleichen Bestandes , bedeutet aber nicht, dass die Bäume in Wäldern mit hoher Kronenverlichtung automatisch häufiger absterben als in solchen mit niedriger Kronenverlichtung. So haben die Fichten und Föhren auf der L WFFläche Lantsch hoch verlichtete Kronen, es sterben aber sehr selten Bäume ab (T ab. 1). Der Wald in Lantsch ist sehr licht und die wenigen Bäume wachsen nur sehr langsam, deshalb kommt es praktisch zu keinem konkurrenzbedingten Absterben. Da offensichtlich keine biotisch oder abiotisch bedingten zusätzlichen Stressfaktoren vorliegen wie in Visp oder im Nationalpark, sterben von den altersbedingt hoch verlichteten Bäumen bisher nur wenige ab. Kronenverlichtung und Wachstum Schon früh wurden in der Waldschadensforschung Zuwachsmessungen mittels Bohrkernen und anschliessenden J ahrringbreitenmessungen von verschieden stark verlichteten Bäumen vorgenommen (B RÄKER 1992). Dabei ergaben sich bei den Nadelbäumen (Fichte, Tanne) meist klare negative 100 Sterberate (%) 10 Zusammenhänge zwischen J ahrringbreite und Kronenverlichtung. Bei den Laubbäumen dagegen wurden entweder keine oder nur sehr schwache Zusammenhänge gefunden (BFL und EAFV 1987). Da keine langen Zeitreihen der Kronenverlichtungsschätzungen existieren wurden die momentanen Kronenansprachen oft mit weit in der Zeit zurückliegenden J ahrringbreiten verglichen. Die vergangene Kronenverlichtung war jedoch nicht bekannt, was die Interpretation erschwerte. Da das Einzelbaumwachstum wie oben beschrieben von der Bestandesdichte abhängt, diese aber für die Vergangenheit nicht bekannt ist, kann man von Bohrkernmessungen nicht das Bestandeswachstum der Vergangenheit ableiten. Dazu braucht es markierte Forschungsflächen mit nummerierten und am besten geo-referenzierten Bäumen, welche ab einem bestimmten Mindestdurchmesser in regelmässigen Abständen gemessen wurden (siehe Z INGG 2009 in diesem Band). Auf den LWF-Flächen ergibt sich für die Periode ab 1996 innerhalb der Bestände eine Abnahme des Stammzuwachses mit ansteigender Kronenverlichtung (Abb . 8; D OBBERTIN 2005). Diese Beziehung wurde im Prinzip auf allen LWF-Flächen gefunden, war aber schwächer ausgeprägt für die Laubbäume. Auch auf den Sanasilva-Flächen war dieser Zusammenhang für Beatenberg Visp Vordemwald Novaggio Jussy Sanasilva 90–97 1 0,1 0,01 0,001 0–15 20–35 40–55 Gesamtverlichtung (%) >=60 Abb. 7. Jährliche Sterberaten für Bäume mit verschieden hoher Gesamtverlichtung auf ausgewählten LWF-Flächen in den J ahren 1996–2008 und auf der Sanasilva-Inventur (1990– 1997). Tannen und F ichten, und etwas weniger stark ausgeprägt auch für die Buchen gefunden worden (B RANG 1998). Für F ichten, Föhren und Buchen auf dem europäischen Level II Netz (inklusive L WF-Flächen) entsprach eine Zunahme der Kronenverlichtung von 1 % in etwa einem Zuwachsrückgang des Einzelbaums von 1 % (D OBBERTIN et al. 2005b). Diese Beziehung galt schon bei geringer Kronenverlichtung ab 10 %. Wenn der Stammzuwachs mit ansteigender Kronenverlichtung im gleichen Bestand abnimmt, heisst dies , dass die bis Mitte der 1990er J ahre angestiegenen Kronenverlichtung einen Zuwachsrückgang verursachten? Nein, verschiedenste Studien zeigen einen Zuwachsanstieg der Wälder in den letzten J ahrzehnten im Mitteleuropa (SPIECKER et al. 1996; K AHLE et al. 2008) als auch in der Schweiz (BRÄKER 1996; Z INGG 1996). So wachsen zum Beispiel die Buchen in Othmarsingen heute deutlich schneller in die Höhe als vor 100 J ahren und der 150jährige Altbestand zeigt immer noch nicht den altersbedingt erwarteten abnehmenden Höhenzuwachs . Eine der Ursachen dieses Anstiegs ist nach neuesten Studien in den Stickstoffeinträgen zu finden (K AHLE et al. 2008; S OLBERG et al. 2009). Für eine Weitere Diskussion des Einflusses des Stickstoffeintrags auf den Zuwachs sei auf S CHMITT et al. (in diesem Band) verwiesen. Zuwachs, Kronenverlichtung, Sterberaten im Experiment Dass unzureichende Nährstoffversorgung zu erhöhter Kronenverlichtung führt, wurde in einem Düngeexperiment in Alvaneu, einem ähnlichen Standort wie Lantsch, gezeigt (J OOS 1997). In allen Kronenansprachen zwischen 2 bis 14 J ahren nach der letzten Düngerausbringung wiesen die mit Mineraldünger behandelten F ichten eine signifikant reduzierte Kronenverlichtung auf (J OOS 1997; G EHRIG 2004). Die K ompostbehandlung hatte dagegen keinen Einfluss. Ein Grund für die Reduktion der Kronenverlichtung könnten die um 20 % längeren Nadeln der gedüngten Bäume sein (J OOS 1997). Mit der Verbesserung der Kronenverlichtung gingen erhöhte Nährstoffgehalte von Kalium, Phosphor und Magnesium im Splintholz der Bäume 18 Forum für Wissen 2009 Nationalpark – Bergföhre – 1900 m Relativer Basalflächenzuwachs 1996–99 (%) 5 Lens – Föhre – 1060 m Vordemwald – Tanne – 480 m Bettlachstock – Buche – 1150 m 4 Novaggio – Zerreiche – 950 m Jussy – Hagebuche – 500 m 3 2 1 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Mittlere Kronenverlichtung 1996–99 (10%-Stufen) Abb. 8. Stammzuwachs (als prozentualer Basalflächenzuwachs in 1,3 m Höhe) abhängig von der Gesamtverlichtung für die Periode 1996–1999 auf ausgewählten LWF-Flächen. einher und ein gesteigerter Stammzuwachs (JOOS 1997). Ein ähnlicher Düngeversuch an Fichten im Mittelland auf relativ gut mit Nährstoffen versorgtem Boden und Bäumen mit geringer Kronenverlichtung, zeigte zwar leicht erhöhten Stamm- und Triebzuwachs und etwas schwerere Nadeln auf den gedüngten Flächen, aber keine Veränderung der ohnehin schon dicht belaubten Kronen (H ALLENBARTER 2002). Sterberaten waren zu gering um ausgewertet werden zu können. Insgesamt kann gesagt werden, dass die Mineraldüngung nur dort die Kronenverlichtung reduzierte , wo sie von vorhnherein sehr hoch war, während das Wachstum generell gesteigert wurde. Das Bewässerungsexperiment im Pfynwald, einem durch die Wasserverfügbarkeit limitiertem Wald, führte innerhalb von wenigen Jahren zu reduzierter Kronenverlichtung auf den bewässerten Flächen, erhöhtem Stammzuwachs, Trieblängen und Nadelgewichten und gleichzeitig zu reduzierter jährlicher Sterberate (D OBBERTIN und GIUGGIOLA 2006; BRUNNER et al. 2009). Hier veränderten sich somit sowohl Wachstum, als auch Kronenverlichtung und Sterberaten durch die Aufhebung der an diesem Standort natürlichen Wasserlimitierung. 4 Schlussfolgerungen Kronenverlichtung, Sterberaten und Wachstum können mit gewissen Einschränkungen als Indikatoren für den Waldzustand verwendet werden. Sie sollten jedoch nicht für sich alleine betrachtet werden, da dies leicht zu F ehlinterpretationen führen kann. Einen Universalindikator für den Waldzustand oder gar die Waldgesundheit gibt es nicht und wird es auch in Zukunft nicht geben können. Die Kronenverlichtung kann beschränkt als Indikator für Unterschiede im Standort und der Bestandes entwicklung dienen. Zudem können Veränderungen, beispielsweise durch Insektenfrass, so leichter quantifiziert werden und mit möglichen Veränderungen im Zuwachs und der Sterberate in Bezug gesetzt werden. Aus der innerhalb von einzelnen Waldbeständen gefundene Beziehung zwischen Kronenverlichtung und Zuwachs, und dem gleichzeitigen Anstieg der Kronenverlichtung , wie er zu Beginn der Sanasilva-Inventur in den 1980er Jahren beobachtet wurde , darf nicht gefolgert werden, dass der Wald in der Schweiz deshalb heute weniger wächst. V eränderte Umweltbedingungen, aber auch eine veränderte Nutzung, können sowohl zu erhöhtem Bestandeswachstum als auch zu erhöhter Kronenverlichtung der Einzelbäume führen. Zu Beginn der «W aldsterbensforschung» wurde unglücklicherweise eine hohe Kronenverlichtung eines Baumes als durch Luftschadstoffe verursacht und die Beziehung zwischen Kronenverlichtung und Zuwachs als durch Luftschadstoffe verursachter Zuwachsrückgang interpretiert. Die heutige K enntnis der natürlichen Variabilität der Kronenverlichtung, deren vielfältige Ursachen und die Auswertung langer Zeitreihen von Sterberaten der Wälder und deren Wachstum zeigen keine durch Lufteinträge bedingte Zuwachseinbussen oder erhöhte Sterberaten. Umgekehrt, dürfen die derzeit hohen Zuwachsraten auch nicht zu dem Schluss verleiten, dass die Einträge in den Wald, zum Beispiel die Stickstoffeinträge, diesen nicht langfristig in Aufbau, Funktion und Stabilität beeinträchtigen werden (siehe Beiträge von SCHMITT et al.; GRAF PANNATIER et al. in diesem Band). Im Vergleich zum Anfang der 1980er Jahre liegen inzwischen viele Informationen zur Entwicklung des Waldzustands vor, welche helfen die wichtigen Referenzzustände oder Erwartungswerte von Wäldern zu definieren. In Anbetracht der weiterhin schnellen Veränderungen in der Umwelt (Kli maveränderungen, Nutzungsänderung Forum für Wissen 2009 durch Energieknappheit, Veränderung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre) ist die weitere Erhebung der Indikatoren zu Kronenzustand, Sterberate und Waldwachstum fortzusetzen. Nur so können Fehlschlüsse wie zur Zeit der «W aldsterbensdebatte» in Zukunft vermieden werden. Danke Den vielen WSL-Mitarbeitern, die seit Beginn der Sanasilva-Inventur und der Einrichtung der LWF-Flächen an Ausbildung, Erhebung und Auswertung beteiligt waren und allen Feldmitarbeitern, welche im Laufe der Jahre die Erhebungen auf den Sanasilva- und LWF-Flächen durchgeführt haben, sei hier herzlich gedankt. Dazu möchten wir insbesondere Flurin Sutter für die Bereitstellung der Karten und Peter Jakob und seinen Vorgängern für die Datenbankentwicklung und -betreuung danken. 5 Literatur BFL und EAFV, 1987: Sanasilva-Waldschadenbericht 1987. Bern und Birmensdorf , November 1987. 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ZINGG, A., 2009: Was lehrt uns die Ertragskunde hinsichtlich nachhaltiger Ressourcennutzung im Wald? Forum für Wissen 2009: 67–76. Abstract Tree crown defoliation, mortality rate and growth in long-term studies – Which indicators describe forest condition best? Since the mid 1980s the effects of environmental changes on forest condition have been monitored in Europe. First, national surveys were conducted, later long-term research plots were installed, such as the LWF plots of the WSL. All the indicators of forest condition, including crown defoliation, tree mortality and growth, are influenced by site conditions, inter-tree competition and stand age. This makes it difficult to find simple cause-effect relationships with environmental factors, in particular with air pollution. On the LWF plots, tree growth and defoliation vary highly between forests. Annual mortality rates, on the other hand, were mostly below 1 %. Higher values were linked to diseases, pathogens or extreme summer drought. Defoliation was subject to annual perturbations caused by c yclic outbreaks of defoliators , drought, storms or frost. The same is true for tree growth. Within a forest, trees with higher defoliation tend to grow slower and have a higher mortality rate as compared to trees with low defoliation. Between stand comparisons are more complex and do not allow to draw simple conclusions on forest condition based on one indicator alone. Keywords: forest condition, crown defoliation, forest growth, tree mortality Forum für Wissen 2009: 21–30 21 L’eau des sols forestiers: un milieu sensible aux changements Elisabeth Graf Pannatier, Matthias Dobbertin, Maria Schmitt, Anne Thimonier et Peter Waldner WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf elisabeth.pannatier@wsl.ch, matthias.dobbertin@wsl.ch, maria.schmitt@wsl.ch, anne.thimonier@wsl.ch, peter.waldner@wsl.ch L’eau du sol forestier est un milieu sensible, réagissant rapidement aux changements de l’environnement. Dans le cadre du projet de recherche à long terme sur les écosystèmes forestiers (LWF), nous analysons depuis une dizaine d’années la chimie des dépôts atmosphériques et de l’eau du sol sur sept sites en Suisse afin d’évaluer l’impact des dépôts atmosphériques acides sur les sols forestiers. Outre la qualité, la quantité d’eau est également importante pour la vitalité des plantes. Nous mesurons ainsi le potentiel matriciel sur dix sites afin d’évaluer si l’eau retenue dans le sol est facilement disponible pour les racines ou non. L’effet de la vague de chaleur de l’été 2003 sur la disponibilité en eau et la réaction de la croissance des arbres seront examinés dans cet article. 1 Pourquoi l’observation à long terme de l’eau du sol forestier Le sol est un constituant important de l’écosystème forestier . Il contient les nutriments essentiels pour la croissance de la végétation, il filtre la pollution atmosphérique, régule l’écoulement des précipitations et les c ycles biogéochimiques et par conséquent la quantité et la qualité des eaux de surface et souterraines. L ’eau retenue dans les pores fins du sol, souvent appelée solution du sol, véhicule des éléments nutritifs dissous (par exemple azote , phosphore , calcium), essentiels pour la croissance et la vitalité des plantes et des organismes du sol. Cependant, des facteurs extérieurs comme la pollution de l’air, les changements climatiques ou des événements météorologiques extrêmes et certaines activités sylvicoles peuvent perturber le régime hydrique du sol et le cycle des nutriments et menacer des fonctions importantes du sol. L’observation à long terme des sols dans différents écosystèmes forestiers nous permet de mieux comprendre comment ces facteurs extérieurs , qu’ils soient d’origine naturelle ou anthropique , influencent les sols et leurs fonctions. Les processus menant à des modifications de la composition chimique de la phase solide du sol (acidification par exemple) sont lents . Les variations temporelles des concentrations sont généralement plus petites que celles dues à l’hétérogénéité spatiale du sol. C’est pourquoi l’identification de changements temporels des propriétés chimiques du sol est difficile . Par contre , l’échantillonnage et l’analyse fréquents de l’eau du sol au moyen de méthodes non-destructives (lysimètre par exemple) à un endroit fixe permettent de montrer des variations temporelles de la qualité de l’eau. Ces fluctuations reflètent divers processus de rapidité différente: apport d’éléments dissous provenant de la décomposition de la matière organique, des pluvio-lessivats ou de l’altération des minéraux et de la roche, perte d’éléments par drainage ou suite à l’absorption des racines , échange d’éléments avec le complexe absorbant du sol. Afin de mettre en évidence des changements à long terme de la qualité de l’eau du sol (par exemple changement du pH ou des concentrations de calcium), le choix de la fréquence d’échantillonnage est crucial. Toutes les variations du milieu observé, qu’elles soient saisonnières , annuelles ou pluri-annuelles, doivent être saisies afin de pouvoir identifier un éventuel changement à long terme . La F igure 1 illustre l’importance du choix de la fréquence d’échantillonnage. Cet exemple montre une décroissance , illustrée au moyen d’une régression linéaire , d’un paramètre mesuré mensuellement ou toutes les deux semaines sur une pé riode de 17 ans (F ig. 1a). Le même paramètre qui serait mesuré une fois par année pendant 17 ans montrerait une tendance vers la croissance du fait que les variations saisonnières, de forte amplitude, n’ont pas été saisies par l’échantillonnage (Fig. 1b). 2 Les mesures de l’eau du sol dans le projet LWF Dans le cadre du projet de recherches à long terme sur les écosystèmes fores tiers LWF (T HIMONIER et al. 2001), diverses composantes de l’écosystème forestier (précipitations hors couvert, pluvio-lessivats, eau du sol, potentiel matriciel, croissance des arbres) sont mesurées sur plusieurs placettes en Suisse afin de mieux comprendre l’influence de la pollution de l’air et des changements climatiques sur l’eau du sol et les arbres . Deux thèmes seront développés dans cet article , à savoir l’acidification accélérée de l’eau du sol sous l’influence de la pollution atmos phérique et l’effet de la vague de chaleur de l’été 2003 sur la disponibilité en eau dans le sol pour les racines et la réaction de la croissance des arbres. L’eau du sol est échantillonnée toutes les deux semaines depuis 1999 ou 2000 sur sept des dix-huit placettes du réseau LWF (Fig. 2). Elle est prélevée à l’aide de plaques gravitaires sous la litière (Fig. 3a) et par succion (–500 hPa) à l’aide de lysimètres avec bougie en céramique (Fig. 3b) à 15 cm, 50 cm et 80 cm de profondeur (G RAF PANNATIER et al. 2004). 22 a Forum für Wissen 2009 1988–2004 6 5 Paramètre 4 3 2 1 0 85 b 87 89 91 93 95 97 99 01 03 05 97 99 01 03 05 1988–2004 6 5 Paramètre 4 3 2 1 0 85 87 89 91 93 95 Figure 1. Influence de la fréquence d’échantillonnage sur la tendance à long terme (illustrée par une régression linéaire) pendant une période d’observation de 17 ans (1988–2004). Paramètre mesuré une fois par mois ou tous les 15 jours (a) ou une fois par année (b). Abb. 1. Einfluss der Probenahmehäufigkeit auf den langfristigen Trend (mit linearer Regression dargestellt) während einer Beobachtungsperiode von 17 J ahren (1988–2004). Einmal monatlich oder in 14-täglichem Rythmus (a) oder einmal jährlich (b) gemessener Parameter. Afin d’estimer la quantité annuelle de dépôts atmosphériques des éléments chimiques principaux (N , S, Ca, Mg, K, Na, Cl) sur les placettes L WF, les précipitations (hors couvert) et les pluvio-lessivats (sous couvert) sont échantillonnés et analysés à l’aide de plusieurs collecteurs de pluie et de neige (voir méthode dans T HIMONIER et al. 2005). Les échantillons sont prélevés toutes les deux semaines en même temps que l’eau du sol. Une fois les échantillons filtrés au laboratoire, leur composition chimique est analysée (pH, conductivité électrique, carbone et azote organique dissous, cations et anions principaux). Dans le cadre d’un autre projet, l’eau du sol est également analysée depuis 1987 dans une forêt de châtaigniers à Copera au Tessin (B LASER et al. 1999; GRAF PANNATIER et al. 2005). Cette série constitue l’enregistrement le plus long disponible en Suisse. Outre la qualité de l’eau, nous mesurons la force de succion du sol pour l’eau, appelée également potentiel matriciel, à l’aide de tensiomètres manuels (gamme de mesure entre 0 et –900 hPa). Ces données nous permettent d’évaluer si l’eau retenue dans le sol est facilement disponible pour les Fig. 2. Réseau des 18 placettes LWF ( ou ) et localisation des placettes avec échantillonnage de l’eau du sol et mesure du matriciel potentiel. Abb. 2. Netzwerk der 18 LWF-Flächen ( und ) und Lage der Flächen mit Bodenlösungsprobenahme und Matrixpotentialmessungen. Forum für Wissen 2009 23 racines. Les mesures sont effectuées toutes les deux semaines depuis 1997 ou plus tard à cinq profondeurs (15, 30, 50, 80 130 cm) sur 10 placettes L WF (Fig. 2). Des sondes mesurant automatiquement la teneur en eau dans le sol au moyen de la technique time domain reflectometry (TDR) ont été installées en 2001 à Viège, car le sol y était trop sec pour des tensiomètres (valeurs < –900 hPa en été). Depuis 2008, nous installons des sondes sur plusieurs placettes L WF pour pouvoir mesurer automatiquement la teneur en eau, parallèlement au potentiel matriciel. 3 Observation à long terme de l’acidification de l’eau du sol L’apport continu et de longue durée de dépôts atmosphériques acides peut modifier la chimie des sols et des eaux de percolation dans les écosystèmes forestiers et accélérer leur acidification naturelle. Dans les sols acides en particulier, les apports de substances acidifiantes augmentent la mobilité de l’aluminium (Al) dans le sol, toxique à haute concentration pour les espèces végétales sensibles. Ils entraînent également un lessivage accru des cations basiques (Ca, Mg , K). Ces éléments sont essentiels pour la nutrition des plantes. Un déficit en nutriments peut affecter la production de la biomasse , la santé des arbres ainsi que leur sensibilité aux maladies. Une nutrition déséquilibrée peut nuire à la formation des racines et à leurs fonctions. 3.1 Les dépôts atmosphériques de composés acides Les apports atmosphériques de composés acides sont définis comme la somme des dépôts atmosphériques totaux de soufre (S) et d’azote (N) moins les dépôts de cations basiques en équivalents (Mapping manual 2004). Une correction est réalisée pour soustraire les retombées atmosphériques d’origine marine (Mapping manual 2004). La valeur moyenne des apports atmosphériques acides , calculée pour la période de mesure 2000–2007, varie entre –0.02 et 1.99 kmol c ha–1 a–1 (Fig. a b Fig. 3. Echantillons d’eau du sol (a) et installation d’un lysimètre sous-tension avec bougie en céramique (b). Abb. 3. Bodenlösungsprobe (a) und Installation eines Unterdrucklysimeters mit K eramikkerze (b). 4a). Les apports les plus faibles sont mesurés dans une région alpine , à Celerina, alors que les plus élevés se trouvent à Novaggio au Tessin et à Schänis dans les Préalpes . Ces apports élevés sont caractéristiques des valeurs trouvées dans les contreforts de chaînes de montagne à proximité des régions industrialisées et fortement peuplées comme la plaine du Pô en Italie et le Plateau suisse. Nous n’avons pas observé de diminution significative (p < 0.001) des retombées de composés acides sur 6 des 7 placettes L WF considérées dans cet article depuis le début des mesures (entre 1997 et 2000). À Lausanne, nous observons par contre une diminution significative (p < 0.001) des dépôts acides de 0.5 kmolc ha–1 entre 1997 et 2007 (Fig. 4b). Il faut noter que les apports atmosphériques acides mesurés ces dix dernières années sur les placettes LWF sont inférieurs à ceux estimés à la fin des années 80 (p . ex. entre 3.4 et 5.7 kmolc ha–1 a–1 sur le Plateau dans KURZ et al. 1998), en raison notamment des réductions massives des émissions de soufre au cours des 20 à 25 dernières années. 3.2 Les charges critiques d’acidité Afin d’estimer le risque écologique dû aux effets nocifs de l’acidification, comme la présence d’aluminium dissous qui est toxique pour les plantes, la charge critique d’acidité peut être calculée pour chaque site en fonction de la capacité du sol à neutraliser les apports d’acides (W ALDNER et al. 2007). Si les dépôts atmosphériques sont plus faibles que les charges critiques , il paraît improbable que l’acidité induise des effets nocifs pour les plantes . Or la Figure 4a nous montre que les apports atmosphériques de composés acides à Novaggio dépassent nettement la charge critique d’acidité, ce qui pourrait indiquer un risque d’endommagement de l’écosystème forestier causé par l’acidification. 3.3 Comment estimer l’acidification de l’eau du sol ? Pour suivre l’acidification de l’eau du sol au cours du temps , nous observons le rapport BC/Al, soit le rapport molaire entre les cations basiques et l’alumi- 24 Forum für Wissen 2009 a Dépôts atmosphériques de composés acides (moyenne 2000–2007) Dépôts acides et charges critiques kmolc ha–1 a–1 2.5 2 1.5 1 0.5 0 Bettlachstock Vordemwald Lausanne –0.5 Schänis dépôts b Beatenberg Novaggio Celerina 3.4 Eau dans les sols formés à partir de substrat acide charges critiques Dépôts atmosphériques annuels à Lausanne (1997–2007) Dépôts acides (kmolc ha–1 a–1 ) 2.0 1.5 1.0 0.5 0.0 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Fig.4. a) Dépôts atmosphériques et charges critiques de composés acides sur les placettes LWF avec prélèvement de l’eau du sol (moyenne et écart-type entre 2000 et 2007). Les charges critiques ont été calculées par W ALDNER et al. (2007) en appliquant l’approche «bilan par équilibre» SMB (steady-state mass balance). b) Dépôts atmosphériques annuels de composés acides à Lausanne entre 1997 et 2007 et régression linéaire. Abb. 4. a) Atmosphärische Säureeinträge (Mittelwert zwischen 2000 und 2007 und Standardabweichung) und Critical Loads für versauernde Einträge in den LWF-Flächen, wo die Bodenlösung beprobt wurde . Die Critical Loads wurden mit einer Massenbilanz (steadystate mass balance) in WALDNER et al. (2007) bestimmt. b) Jährliche atmosphärische Säureeinträge in Lausanne zwischen 1997 und 2007 und lineare Regression. nium dissous total dans l’eau du sol. Cet indicateur, employé dans le calcul des charges critiques d’acidité, permet d’évaluer l’acidification du sol et les risques écologiques associés à la toxicité de l’aluminium (S VERDRUP et WARFVINGE 1993). Un rapport supérieur à 1 ne devrait pas causer de dommages aux racines des arbres à long terme. La Table 2 présente les valeurs moyennes de BC/Al pour tous les horizons et toutes les placettes échantillonnées. Afin de mettre en évidence des tendances à long terme pendant la pé- de matériaux acides comme à Celerina, Novaggio, Copera, Beatenberg, – ceux qui se sont développés à partir de substrats contenant du calcaire comme à Bettlachstock, Schänis , Vordemwald, Lausanne . L ’épaisseur du sol qui a été décarbonatée au cours de son histoire diffère d’un site à l’autre. La limite supérieure de calcaire se situe entre 5 cm de profondeur à Bettlachstock et plus de 450 cm de profondeur à Vordemwald (Table 2). riode d’observation, nous avons calculé une moyenne mobile avec une fenêtre de deux ans pour chaque paramètre analysé entre 1999/2000 et 2007. Ceci nous permet de soustraire les effets potentiellement causés par l’installation des lysimètres (minéralisation accrue lorsque le sol est remué et aéré). L’eau du sol est prélevée dans différents écosystèmes forestiers où le climat, la végétation et le type de sol diffèrent (T able 1). On peut classer les sols échantillonnés en deux catégories: – ceux qui se sont développés à partir Les sols acides développés à partir de substrat acide et recevant des apports atmosphériques substantiels de composés acides depuis des décennies sont les plus susceptibles de subir une acidification accélérée conduisant à des concentrations élevées d’aluminium qui pourraient s’avérer toxiques pour les plantes . A Copera par exemple , nous avons observé une nette diminu tion des rapports BC/Al entre 1987 et 2004 (F ig. 5), indiquant une accéléra tion de l’acidification (B LASER et al. 1999). Une analyse temporelle détaillée montre que les rapports BC/Al se stabilisent à partir de la fin des années 90, suggérant un ralentissement de l’acidification, probablement dû à l’amélioration de la qualité de l’air (GRAF PANNATIER et al. 2005). A Novaggio, les rapports BC/Al sont également restés stables en moyenne de 2001 à 2007, même s’ils montrent des variations pluriannuelles de forte amplitude (Fig. 5). La forte diminution de BC/Al observée pendant les deux premières années d’observation pourrait avoir être causée par l’installation des lysimètres. Ce phénomène a été observé dans plusieurs placettes (Copera, Vordemwald, Beatenberg). A Celerina, une accélération de l’acidification du sol due à la pollution de l’air paraît improbable, car cette placette est située dans une vallée alpine où les dépôts acides sont minimes (F ig. 4). L’acidification du sol y est beaucoup moins avancée qu’à Novaggio et Copera, comme en témoignent les rapports BC/Al élevés à 60 et 80 cm de profondeur (Table 2). Les rapports sont également restés stables en moyenne pen- Forum für Wissen 2009 25 Table 1. Description des placettes LWF avec observation à long terme de la chimie de l’eau du sol. Tab. 1. Beschreibung der LWF-Flächen, wo die Chemie der Bodenlösung langfristig beobachtet wird. Altitude (m) Type de sol 1 Roche-mère > 120 Sol brun calcaire Calcaire (Hauptrogenstein) > 240 Sol brun, pseudogley Moraine carbonatée 300 > 120 Stagnogley Moraine carbonatée >450 Grès > 160 Podzol humique (pseudogley) Sol brun, pseudogley Pinus cembra > 120 Podzol ferrugineux Moraine non- carbonatée – Quercus cerris Castanea sativa > 150 Sol brun Moraine non- carbonatée – > 130 Podzol Gneiss – Région Site Jura Bettlachstock 1200 Fagus sylvatica Plateau Lausanne 800 Vordemwald 480 Fagus sylvatica Abies alba 1500 Picea abies 55 Schänis 700 Fagus sylvatica Alpes Celerina 1850 Tessin Novaggio 950 Copera 650 Préalpes Beatenberg 1 2 Essence principale Zone des racines (cm) Limite supérieure de calcaire (cm) 2 5 – Poudingue carbonaté (Kalknagelfluh) 100 selon les caractéristiques morphologiques indique la profondeur du profil à laquelle des carbonates ont été déterminés dans la terre fine. "–" indique que la roche-mère ne contient pas de carbonates (données de WALTHERT et al. 2003) Table 2. Caractéristiques chimiques de l’eau du sol (moyenne 2000–2007). DOC: carbone organique dissous. BC : cations basiques (Ca2+ + Mg2+ + K+). Tab. 2. Chemische Eigenschaften der Bodenlösung (Mittelwert 2000–2007). DOC: gelöster organischer Kohlenstoff. BC: basische Kationen (Ca2+ + Mg2+ + K+). Site Horizon Bettlachstock L0 A B 50 IIBC Lausanne Profondeur (cm) pH DOC (mg/L) BC (μmol/L) Al (μmol/L) BC/Al 6.3 28.3 12.3 5.4 4.6 420 1525 1573 1591 p.q.1 p.q. p.q. p.q. > 100 > 100 > 100 > 100 4.8 1.5 1.0 275 124 105 110 4.9 59.9 41.3 19.0 7.1 3.2 5.6 19.3 15 8.2 8.3 80 8.3 L A(Sw)3 15 B(Sd)1 50 B(Sd)1 80 4.7 39.7 4.5 5.0 5.6 Vordemwald L+F+Ah ESw Sw Sd1 0 15 50 80 4.3 4.7 4.7 5.4 41.5 5.6 1.2 1.0 69 24 48 84 25.7 21.0 17.7 4.0 4.1 1.1 2.7 23.1 Beatenberg L+F H + Ah1 E3 E3, Bs,h1 0 15 50 80 4.1 3.8 4.1 4.4 40.6 54.1 35.9 24.4 86 21 24 31 2.0 16.0 33.8 40.5 46.1 1.3 0.7 0.8 Schänis L AB B(Sd) B(Sd) 0 15 50 80 7.0 7.6 7.8 8.0 17.2 5.2 1.3 1.1 330 411 475 645 p.q. p.q. p.q. p.q. > 100 > 100 > 100 > 100 Celerina L (E)1 B BC 0 15 50 80 5.0 5.2 6.5 6.5 55.7 24.0 4.7 3.4 223 72 44 57 13.3 22.8 3.1 1.4 21.7 3.3 15.2 42.4 Novaggio L+F Ah3+A AB B 0 15 50 80 4.7 4.6 4.9 5.0 42.3 8.3 3.0 2.1 209 48 26 32 8.4 31.1 14.1 11.1 29.7 1.5 1.8 3.0 Copera (2000-2004) L (AE) (Bh)Bs B(s)C 0 30 57 110 5.2 4.7 4.8 5.0 19.6 2.5 1.0 1.0 191 42 67 55 7.6 41.4 34.6 32.1 28.7 1.1 2.0 1.9 1 0 p.q.= pas quantifiable, inférieur à deux fois la limite de détection (2 × 0.56 μmol/L) 26 Forum für Wissen 2009 10 10 Copera BC/Al 6 6 4 4 2 2 0 Dez 99 0 Dez 00 Dez 01 87 88 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 30 cm 80 6 60 4 40 2 20 0 0 Dez 07 Beatenberg 6 4 2 0 Jan 99 Jan 00 Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez 00 01 02 03 04 05 06 07 15 cm 80 cm Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez 00 01 02 03 04 05 06 07 15 cm 80 cm Lausanne 8 80 8 80 6 60 6 60 4 40 4 40 2 20 2 20 0 0 Jan Jan Jan Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez 98 99 00 00 01 02 03 04 05 06 07 15 cm 80 cm BC/Al 15 cm 10 Vordemwald BC/Al 80 cm BC/Al 15 cm Dez 06 100 10 BC/Al 15 cm Jan 00 BC/Al 8 8 BC/Al 80 cm 10 Celerina Jan 99 Dez 05 110 cm 100 10 Dez Dez Dez 02 03 04 15 cm 80 cm 0 Jan 99 Jan 00 100 BC/Al 80 cm BC/Al Novaggio 8 8 0 Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez 00 01 02 03 04 05 06 07 15 cm 80 cm Fig. 5. Rapport molaire des cations basiques BC (BC = Ca + Mg + K) sur l’aluminium dissous total (BC/Al) entre 2000 et 2007 sur placettes à sol acide. Moyenne mobile avec fenêtre de deux ans. les Abb. 5. Molares BC/Al-V erhältnis zwischen basischen Kationen (Ca, Mg, K) und gelöstem Aluminium (Al) zwischen 2000 und 2007 in LWF-Flächen mit sauren Böden. Gleitender Durchschnitt mit 2jährigem Fenster. dant la période d’observation (2000– 2007), même si des variations interannuelles sont visibles (Fig. 5). A Beatenberg, le sol est très acide . Les valeurs de BC/Al à 15, 50 et 80 cm de profondeur sont très faibles (< 4, Table 2 et Fig. 5) et ont tendance à diminuer au cours du temps, notamment à 15 cm de profondeur (interface entre horizons H et Ah), suggérant une acidification plus rapide. 3.5 Eau dans les sols formés à partir de matériaux calcaires Examinons maintenant l’eau des sols formés à partir de matériaux calcaires . A Bettlachstock et à Schänis , les rapports BC/Al sont supérieurs à 100 aux quatre profondeurs analysées , compte tenu du pH élevé (pH > 6.5) et des très faibles concentrations d’Al dissous (Table 2). Ils ne présentent aucun risque de phytotoxicité de l’Al et possèdent une large capacité à neutraliser les dépôts acides. Les valeurs du pH et les concentrations en cations basiques sont restées stables pendant toute la période d’observation (2000–2007). Les sols à Vordemwald et à Lausanne ont été décarbonatés sur une grande profondeur (300 cm à Lausanne et plus de 450 cm à Vordemwald). Les rapports BC/Al sont faibles (< 4) à 15 cm mais augmentent en profondeur (Table 2), parallèlement au taux de saturation en cations basiques échangeables du complexe absorbant (W ALTHERT et al. 2003). Les rapports BC/Al à 80 cm de profondeur sont supérieurs à 20, même à Vordemwald où le sol est acide dans tout le profil (pH CaCl2 < 4.3 dans W ALTHERT et al. 2003). Bien que les apports atmosphériques acides aient diminué à Lausanne pendant la période d’observation entre 2000 et 2007 (F ig. 4), nous n’avons pas observé de réactions dans l’eau du sol. Les rapports BC/Al dans l’eau du sol sont restés stables , suggérant une lente acidification (F ig. 5). A Vordemwald, on observe par contre une tendance à la baisse de BC/Al dans les horizons minéraux (15, 50 et 80 cm) entre 2001 et 2007, suggérant une acidification plus rapide qu’à Lausanne. Le taux de décroissance de BC/Al dans le sol minéral (entre –3 % et –5 % BC/Al par année) est comparable à celui mesuré à Copera (BLASER et al. 1999; GRAF PANNATIER et al. 2005). Forum für Wissen 2009 3.6 Les risques écologiques Nous avons vu que les rapports BC/Al à Vordemwald, Beatenberg , Novaggio et Copera étaient proches de 1, voire inférieurs, indiquant donc un risque dû à la toxicité de l’aluminium (T able 2). Les rapports BC/Al sont généralement calculés en utilisant les concentrations d’Al total dissous dans l’eau du sol. Or, il s’agit surtout du ion Al3+ et de l’ion hydroxylé AlOH 2+ qui sont toxiques pour les racines (L ØKKE et al. 1996). Les concentrations des différents complexes d’Al ont par conséquent été estimées à l’aide d’un programme de spéciation (WHAM 6.0, 2001) et publiées dans G RAF PANNATIER et al. (2006). Lorsqu’on considère uniquement la forme la plus toxique de l’aluminium (Al 3+ et AlOH2+), les rapports deviennent plus grands que 1, suggérant un risque limité lié à la toxicité de l’Al pour les racines . A Beatenberg , l’Al se trouve principalement com plexé à la matière organique dissoute et ne devrait pas constituer de risque pour la végétation. De plus, les racines des épicéas se situent essentiellement dans la couche organique (horizons F et H), riche en cations basiques et caractérisée par des rapports BC/Al élevés. A Vordemwald et Novaggio, les rapports BC/(Al3+ + AlOH2+) atteignent des valeurs supérieures à 3. De ce fait, ils constituent aujourd’hui un risque limité pour les racines. En outre, les rapports augmentent en profondeur . A 80 cm, toujours dans l’espace racinaire, les rapports BC/(Al 3+ + AlOH2+) sont supérieurs à 10, indiquant que les risques écologiques sont minimes . A Copera par contre, les formes toxiques de l’Al constituent plus de 80 % de l’Al dissous total dans les horizons minéraux. Les rapports BC/(Al 3+ + AlOH2+) sont faibles et varient de 1.6 à 2.9, suggérant que le risque d’impacts négatifs dus à l’Al sur les racines est élevé. 3.7 Conclusions sur l’acidification de l’eau du sol Les apports atmosphériques de composés acides mesurés ces dix dernières années sur les placettes LWF sont bien inférieurs à ceux estimés à la fin des années 80. Nous n’avons pas observé de tendance significative à la baisse ou 27 à la hausse des dépôts, à part à Lausanne où ils ont diminué. L’analyse de la composition chimique de l’eau du sol nous montre que l’acidification se produit de manière très lente sur cinq des sept placettes observées depuis 1998. La diminution du rapport BC/Al sur certaines placettes pendant les deux premières années de mesures provient probablement de l’installation des lysimètres . Nous avons identifié une rapide acidification de l’eau du sol à Copera (T essin) dans les années 90, mais il semble qu’elle se soit stabilisée depuis la fin des années 90. Nous avons également décelé une diminution des rapports BC/Al à Vordemwald (Plateau) et à Beatenberg (Préalpes) depuis le début des mesures en 1999, ce qui pourrait témoigner d’une rapide acidification. La modélisation de l’acidification du sol sur les placettes L WF nous permettra de quantifier la contribution de la pollu tion atmosphérique à l’acidification par rapport aux autres apports d’acides dans le sol (acides organiques p. ex.). 4 Observation à long terme de la disponibilité en eau dans le sol pour la végétation Les mesures du potentiel matriciel à l’aide de tensiomètres nous permettent d’évaluer si l’eau retenue dans le sol est facilement disponible pour les racines et de caractériser le régime hydrique. Elles montrent typiquement les phases de saturation en eau en hiver et au printemps et les phases sèches en été. 4.1 Le potentiel matriciel pendant l’été 2003 L’été 2003, exceptionnellement sec et chaud, nous a permis de déterminer comment les sols réagissaient à de telles conditions météorologiques et si l’eau était toujours disponible pour les racines. Sur les placettes du Plateau suisse (Lausanne , Vordemwald, Othmarsingen, J ussy), à Schänis dans les Préalpes, à Bettlachstock dans le J ura et à Novaggio au Tessin, la plupart des tensiomètres se vidèrent pendant l’été, indiquant que l’eau n’était plus facile- ment disponible pour les plantes (<– 900 hPa). A Viège également, la teneur en eau se stabilisa à des valeurs minimales en été 2003, suggérant que les racines ne pouvaient plus extraire l’eau du sol. Dans les Alpes (Celerina, Parc national), le potentiel matriciel fut toujours mesurable en été 2003 mais atteignit pour la première fois des valeurs minimales de –800 hPa. A Beatenberg, le sol est resté humide et les valeurs du potentiel matriciel furent comparables à celles des autres étés. La Figure 6 illustre quatre exemples (Vordemwald, Novaggio, Celerina, Beatenberg) de réactions typiques du potentiel matriciel aux conditions extrêmes de l’été 2003. 4.2 Effets de la sécheresse 2003 sur la croissance des arbres Les effets de la sécheresse sur la croissance des arbres ont été examinés sur 15 placettes LWF. Un indice de sécheresse, appelé déficit hydrique , a été calculé à l’aide d’un modèle (W ATBAL, STARR 1999). Ce déficit est défini comme le rapport entre l’évapotranspiration actuelle et potentielle (AET/ PET) cumulée entre mai et août. La croissance en circonférence des troncs de 12 cm de diamètre au moins a été mesurée en octobre 2002 et 2003 à l’aide de dendromètres installés à hauteur de poitrine . Dix arbres de chaque espèce représentant plus de 10 % de la surface terrière ont été sélectionnés . L’accroissement en surface terrière de chaque arbre en 2003 a été comparé à celui de 2002. La croissance et le déficit hydrique en 2003 ont ensuite été comparés à ceux de 2002, année également chaude mais humide. La F igure 7 illustre les résultats . La croissance des arbres en 2003 s’est fortement réduite sur les placettes à basse altitude où le déficit hydrique était important, alors que dans les régions montagneuses, la croissance ne s’est que légèrement réduite ou est restée similaire à celle de 2002 (GRAF PANNATIER et al. 2007). A trois sites au-dessus de 1200 m d’altitude (Beatenberg , Celerina, Chironico), la croissance des arbres a même augmenté, probablement à cause des températures plus élevées et des réserves hydriques suffisantes . Les différences de croissance entre ces 28 Forum für Wissen 2009 Novaggio Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Jan 00 00 01 02 03 04 05 06 07 08 Vordemwald Jan Jan Jan Jan Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez 97 98 99 00 00 01 02 03 04 05 06 07 08 200 200 0 –200 –200 –400 –400 –600 –600 –800 –800 –1000 –1000 15 cm 15 cm 80 cm Beatenberg Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Jan 00 00 01 02 03 04 05 06 07 08 Dez Jan 00 00 200 200 –200 0 0 –200 –400 –400 –600 –600 –800 –800 –1000 –1000 15 cm 80 cm Celerina Dez Dez Dez Dez 01 02 03 04 15 cm 80 cm Dez Dez Dez Dez 05 06 07 08 80 cm Fig. 6. Potentiel matriciel à Vordemwald, Novaggio, Beatenberg et Celerina. Zone grise: en-dehors de la gamme de mesure des tensiomètres. Les valeurs diminuent fortement pendant l’été 2003, à l’exception de Beatenberg. Abb. 6. Matrixpotential in Vordemwald, Novaggio, Beatenberg und Celerina. Graue Zone: ausserhalb vom Messbereich. Die Werte nehmen während dem Sommer 2003 (ausser in Beatenberg) stark ab. Croissance en 2003 en % de 2002 140 Chir 120 Cel 100 Nov 80 Neu 60 Vor R2 = 0.63 20 20 Iso Alp Lau Sch Jus Bet Vis 40 0 Bea 40 Oth deux années s’expliquent donc clairement par des fluctuations de réserves hydriques. Une estimation de l’activité photosynthétique en 2003 dérivée d’images satellite à travers les Alpes a également dévoilé une augmentation de croissance des arbres à haute altitude et une réduction à basse altitude (JOLLY et al. 2005). Len 60 80 100 4.3 Conclusions sur la disponibilité en eau dans le sol en 2003 AET/PET mai-août 2003 en % de AET/PET mai-août 2002 Fig. 7. Relation entre le déficit hydrique (AET/PET) entre mai et août et la croissance des arbres sur 15 placettes LWF. Les valeurs de 2003 ont été exprimées en pourcentage de celles de 2002. Abb. 7. Zusammenhang zwischen dem Wasserdefizit (AET/PET) zwischen Mai und August und dem Baumzuwachs in 15 LWF-Flächen. Die Werte 2003 sind in Prozenten von denWerten 2003 dargestellt. L’été chaud et sec de l’année 2003 a conduit à un épuisement des ressources d’eau facilement disponible (potentiel matriciel < –900 hPa) pour les plantes dans les placettes situées endessous de 1200 m d’altitude. La sécheresse s’est fait sentir jusque dans les vallées alpines comme au Parc National et à Celerina en Engadine mais l’eau du sol était encore facilement disponible pour les plantes (potentiel matriciel > –900 hPa). La croissance des troncs en 2003 s’est réduite à basse alti- Forum für Wissen 2009 tude par rapport à celle mesurée en 2002. En région montagneuse , la croissance fut légèrement réduite en 2003 ou fut similaire à celle de 2002. Les variations de croissance s’expliquent par les variations de réserve hydrique dans le sol. 5 Zusammenfassung Das Wasser der Waldböden: Ein System, das empfindlich auf Umweltveränderungen reagiert Im Rahmen der Langfristigen Waldökosystem-Forschung (LWF) wird die Bodenlösung und die atmosphärische Deposition auf 7 Waldflächen seit 1998 oder später in 14-T age Intervallen gesammelt und chemisch analysiert. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Versauerung an fünf Standorten in den letzten 10 J ahren sehr langsam verlief . Eine beschleunigte Versauerung könnte an zwei Standorten stattgefunden haben. Neben der Wasserqualität ist auch die Verfügbarkeit des Bodenwassers für die Vitalität Pflanzen wichtig: Deshalb messen wir auf 10 L WF-Flächen seit 1997 oder später auch die Saugspannung in 14-täglichem Rythmus. Die Auswirkungen des Hitzesommers 2003 auf die Bodenwasserverfügbarkeit und das Baumwachstum auf 15 LWF-Flächen wird im Beitrag behandelt. In den Tieflagen lag das Stammwachstum im Jahr 2003 signifikant unter dem des Vorjahres, während es in den Hochlagen im Vergleich zum J ahr 2002 nur wenig oder gar nicht abnahm. Remerciements Le projet L WF bénéficie d’un large soutien financier, logistique et scientifique de nombreux partenaires que nous ne pourrions nommer dans cet article . Nous tenons cependant à exprimer notre gratitude aux collaborateurs sur le terrain et au laboratoire, ainsi qu’à toutes et à tous ceux qui participent au projet dans les services forestiers , les communes, les cantons, à l’Office fédéral de l’Environnement et au WSL. 29 6 Références BLASER, P .; Z YSSET, M .; Z IMMERMANN, S. ; LUSTER, J ., 1999: Soil Acidification in Southern Switzerland between 1987 and 1997: A Case Study Based on the Critical Load Concept. Environ. Sci. Technol. 33: 2383–2389. 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WHAM 6, 2001: Windermere Humic Aqueous Model, Equilibrium chemical speciation for natural waters, Version 6.0. @ Natural Environment Research Council. 30 Abstract The water in forest soils: a system sensitive to changes in the environment In the framework of Long-term F orest Ecosystem Research L WF, the chemistry of atmospheric deposition and soil solution have been analysed in two week intervals since 1998 or later in seven plots in Switzerland to assess the soil response to acid atmospheric deposition. The results suggest that acidification has proceeded very slowly at five sites during these last 10 years. A faster acidification might have occurred at two sites. In addition to quality, soil water availability is also important for plant vitality. We have measured in two week intervals the soil matric potential since 1997 or later at 10 LWF plots to assess whether the soil water is easily available to plants. We examined the effects of the heat wave of the summer 2003 on soil water availability and tree growth at 15 LWF plots. Stem growth in sites located at low altitude was significantly reduced in 2003 as compared to the previous year , while in mountainous areas , growth was only slightly reduced or comparable to growth in 2002. Keywords: soil solution, acidification, drought, matric potential, LWF Forum für Wissen 2009 Forum für Wissen 2009: 31–38 31 Le futur des marais suisses: quelle place pour la forêt? Elizabeth Feldmeyer-Christe, Ulrich Graf, Meinrad Küchler, Klaus Ecker, Helen Küchler et Angéline Bedolla WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf elizabeth.feldmeyer@wsl.ch, ulrich.graf@wsl.ch, meinrad.kuechler@wsl.ch, klaus.ecker@wsl.ch, helen.kuechler@wsl.ch, angeline.bedolla@wsl.ch L’embuissonnement menace les marais suisses d’importance nationale. Un suivi de la végétation a été conduit dans 125 marais de 1997 à 2007 pour évaluer l’impact des mesures de protection et l’évolution générale. Le constat est préoccupant. Les marais suisses dans l’ensemble se sont asséchés, enrichis en substances nutritives et embroussaillés. Alors que l’embuissonnement des hauts marais provient généralement d’un déséquilibre hydrique dû au drainage, celui des bas marais est la conséquence d’un abandon de la fauche et de la pâture. Des solutions existent pour freiner l’embuissonnement, mais, dans certains cas, laisser se développer la dynamique naturelle de boisement pourrait s’avérer judicieux. 1 Des îlots de nature dans un paysage industrialisé Les marais , milieux peu productifs et longtemps considérés comme dépourvus de valeur, ont payé un lourd tribut à l’ère de l’industrialisation et du progrès technique. On estime aujourd’hui qu’ils ont perdu en Suisse 90 % de leur surface primitive. Dès le XVIIIe siècle , les hauts marais ont été exploités pour leur combustible et drainés pour ga gner des terres agricoles . L ’emploi croissant de la tourbe horticole au cours du XXe siècle a accéléré leur déclin. La régression des bas marais est due principalement aux grands travaux hydrographiques du XIXe siècle qui conduisirent à l’endiguement et à la correction des principaux cours d’eau de Suisse et à la régulation du niveau des lacs. Si la grande richesse biologique des marais a de tout temps fasciné les naturalistes, il a fallu attendre l’ère du tourisme généralisé pour faire apprécier leur beauté naturelle et le charme de leurs paysages nordiques . En plus de leur valeur inestimable d’archives de l’histoire naturelle millénaire (la tourbe est un excellent agent conservateur) et de régulateur hydrologique (leur pouvoir d’absorption atténue les risques d’inondation), on a aujourd’hui pris conscience , à l’ère du réchauffement climatique , de leur importance comme puits de carbone . On estime que le tiers du carbone (C) stocké dans les sols de la planète l’est dans les marais (RYDIN et JEGLUM 2006). 2 Protection et suivi des marais Depuis plus de 20 ans, à la suite de l’acceptation de l’Initiative de Rothen thurm par le peuple suisse , la protec tion des marais est inscrite dans la Constitution (Art. 78 al. 5). L ’article constitutionnel stipule que les marais et les sites marécageux d’une beauté particulière qui présentent un intérêt national sont protégés. Les biotopes et les sites marécageux d’importance nationale , recensés dans le cadre de 3 inventaires (GRÜNIG et al. 1986; BROGGI 1990; HINTERMANN 1992), ont été désignés par le Conseil fédéral après consultation des cantons (Fig. 1). Les ordonnances d’application du Conseil fédéral définissent les objectifs de protection. Les biotopes marécageux doivent être conservés intacts . Pour les marais détériorés, des mesures de régénération seront encouragées , dans la mesure où elles apparaissent judicieuses. Pour évaluer l’adéquation de cette protection, c’est-à-dire pour savoir si les objectifs fixés en matière de protection sont atteints , un programme de suivi des biotopes marécageux a été lancé en 1996. La période considérée pour l’évalua tion de la végétation était de 5 ans (1997 à 2001 et 2002 à 2007). Comme il n’était pas possible , pour des raisons financières évidentes, d’examiner tous les objets d’importance nationale, un échantillonnage représentatif de 125 marais a été sélectionné (Fig. 2), prenant en compte des différents types de marais, des régions naturelles et de l’altitude (K ÜCHLER et al. 2004). Cet échantillonnage permet de formuler des constats valables sur l’état et l’évolution des marais à l’échelon national (KLAUS 2007). La méthode utilisée combine des données obtenues sur le terrain (relevés de végétation) et des données issues de photographies aériennes (une photographie infrarouge pour chaque objet). 3 État des marais en Suisse Le constat est préoccupant. Les résultats du suivi des marais suisses indiquent que, si la surface des milieux marécageux n’a pas diminué, l’état général de ces milieux s’est dégradé. On constate en effet un assèchement, une augmentation du taux d’éléments nutritifs ainsi qu’un embuissonnement. Évolution de l’humidité Les marais sont dépendants de l’eau et celle-ci est primordiale pour leur conservation. La perturbation de leur teneur en eau conduit à la disparition de la végétation typique de marais, qui est remplacée par des groupements végétaux de stations plus sèches. Dans près d’un tiers des marais, le régime hydrique a fortement évolué en 32 Forum für Wissen 2009 Fig. 1. Distribution des hauts et bas marais de Suisse . Les points rouges représentent les 1170 bas marais d’importance nationale qui couvrent une surface de 192 km 2. Les points bleus représentent les 548 hauts marais d’importance nationale qui couvrent une surface de 15 km2. Abb. 1. Verbreitung der Hochmoore und Flachmoore der Schweiz. Die 1170 Flachmoore von nationaler Bedeutung , die eine Fläche von 192 km 2 bedecken, sind mit roten Punkten dargestellt. Die 548 Hochmoore von nationaler Bedeutung , die eine Fläche von 15 km 2 bedecken, sind mit blauen Punkten dargestellt. Fig. 2. Sélection des 125 objets du suivi de la protection des marais (points noirs). La couleur verte correspond à la densité en marais d’importance nationale sur une grille de 1 km. Les lignes noires délimitent les différentes régions biogéographiques de Suisse. Abb. 2. Die 125 ausgewählten Moore der Wirkungskontrolle (schwarze Punkte). Die grüne Farbe stellt die Dichte an Hoch- und Flachmooren von nationaler Bedeutung auf einem 1 km-Raster dar . Die schwarzen Linien begrenzen die biogeografischen Regionen der Schweiz. Fig. 3. Changement de la valeur d’humidité. Les marais avec un excédent de surfaces plus humides sont en bleu, avec un excédent de surfaces plus sèches en rouge et sans changement en gris. La surface des cercles est proportionnelle au nombre de marais par région. Abb. 3. Veränderungen im Wasserhaushalt: die Moore mit einem Überschuss an feuchter gewordenen Flächen sind blau, die Moore mit einem Überschuss an trockener gewordenen Flächen sind rot und die Moore ohne nachgewiesene Veränderung sind grau dargestellt. Die Kreisfläche ist proportional zur Anzahl untersuchter Moore. Forum für Wissen 2009 33 l’espace des 5 ans de la période d’observation (Fig. 3). Dans la majorité des cas, les marais se sont asséchés et les conditions hydriques ne se sont améliorées que dans 2 marais . Les marais de basse altitude ont moins souffert que ceux de montagne . L’assèchement est particulièrement marqué dans les régions du nord des Alpes ainsi que dans le Nord et le centre des Grisons. Évolution des conditions trophiques Les biocénoses de hauts marais ainsi que de la majorité des bas marais sont adaptées à des conditions extrêmement pauvres en éléments nutritifs. Les infiltrations de fertilisants en prove nance de l’agriculture ainsi que les apports atmosphériques en azote (10 à 40 kg par hectare et par an selon l’OFEV) constituent une menace pour la végétation typique de ces marais. Dans 61 % des marais , on ne constate pas de changement important du niveau trophique, 5 % montrent un appauvrissement et 34 % un enrichissement. Ce sont les hauts marais et les bas marais turfigènes à une altitude de plus de 1500 m qui sont les plus concernés par une eutrophisation. Les marais de moyenne altitude au contraire montrent un appauvrissement en substances nutritives (Fig. 4). Fig. 4. Changement de la valeur de substances nutritives . Les marais avec un excédent important de surfaces plus maigres sont en jaune , ceux avec un excédent de surfaces plus riches en vert et ceux sans changement en gris . La surface des cercles est proportionnelle au nombre de marais par région. Abb. 4. Veränderungen in den Nährstoffverhältnissen: die Moore mit einem bedeutenden Überschuss an magerer gewordenen Flächen sind gelb, die Moore mit einem Überschuss an fetter gewordenen Flächen grün und diese ohne nachgewiesene Veränderung sind grau dargestellt. Die Kreisfläche ist proportional zur Anzahl untersuchter Moore. 4 L’embuissonnement des marais Si la présence de buissons ou d’arbres isolés ne pose pas de problème à la végétation marécageuse, la fermeture des strates arbustives et arborescentes conduit à l’éviction des espèces typiques de marais (Fig. 5). Au nord des Alpes, en Valais et dans le Jura, 22 à 37 % des surfaces investiguées montrent un très haut degré d’embuissonnement. Cette tendance est plus faible dans le Nord et le centre des Grisons, où seuls 2 % des surfaces sont concernés par une multiplication de jeunes arbres et arbustes . Seule la région de l’ouest des Alpes septentrionales montre une diminution du recouvrement des espèces ligneuses. Fig. 5. Embuissonnement après arrêt de la pâture. Abb. 5. Die Verbuschung eines Flachmoores nimmt zu, wenn es nicht mehr geschnitten oder beweidet wird. 34 Situation des hauts marais (Fig. 6a) Un recul de l’embuissonnement est observé à l’est du Plateau. L’embuissonnement est par contre particulièrement prononcé dans le centre et l’ouest des Alpes septentrionales et dans le Jura. Les hauts marais de Suisse centrale et du Valais montrent une tendance équivalente au boisement et au déboisement. Situation des bas marais turfigènes (Fig. 6b) La tendance à l’embuissonnement est bien marquée, à basse altitude particulièrement, ainsi que dans le Jura, l’est de la Suisse et le Valais. La diminution de l’embuissonnement sur l’ouest du Plateau est due aux travaux de défrichement dans les marais de la Grande Cariçaie sur la rive sud du lac de Neuchâtel. Forum für Wissen 2009 Ensemble de la Suisse Selon les régions naturelles Selon l’altitude Schweiz gesamt Nach Naturräumen Nach Höhenlagen * > 1500 m ** 1000–1500 m *** < 1000 m * ** *** a Situation des bas marais non turfigènes (Fig. 6c) L’embuissonnement est particulièrement important à basse altitude ainsi que dans le Jura et l’Est du Plateau. * ** 5 Causes de l’embuissonnement Les hauts marais sont des milieux naturels alimentés exclusivement par les eaux météoriques . Une végétation très spécialisée s’y rencontre , com posée principalement de sphaignes , des mousses particulières capables de stocker, à l’instar d’une éponge , de grandes quantités d’eau (F ig. 7). Ce milieu très pauvre en nutriments et très humide ne permet pas aux arbres de se développer. Seule la périphérie du haut marais, plus sèche , voit s’installer des forêts claires de pins à crochets (Fig. 8). Par le drainage , on détruit l’équilibre hydrologique du marais et l’on provoque l’assèchement de sa surface, permettant l’installation de bouleaux et d’épicéas (F ig. 9), qui amplifient à leur tour l’effet drainant par l’évapotranspiration. Les bas marais , contrairement aux hauts marais, sont en majorité le résultat de l’activité humaine (Fig. 10). Ils se développèrent dès le Moyen Age à la faveur du défrichement des forêts humides et atteignirent leur plus grande extension vers 1800, quand ils couvraient *** b * ** *** c Fig. 6. Evolution de la proportion des plantes ligneuses dans les haut marais (a), les bas marais turfigènes (b) et les bas marais non turfigènes (c). Les marais présentant une forte augmentation des espèces ligneuses sont en brun, ceux qui présentent une forte diminution des espèces ligneuses en beige et ceux sans changement notable en gris. Abb. 6. Entwicklung des Anteils an Gehölzpflanzen in Hochmooren (a), in torfbildenden Flachmooren (b) und in nicht torfbildenden Flachmooren (c). Die Moore mit einer erheblichen Zunahme an Gehölzpflanzen sind in braun, die Moore mit einer erheblichen Abnahme sind in beige und diese ohne erhebliche Veränderung sind in grau. Forum für Wissen 2009 2500 km 2 (ils n’en couvrent plus aujourd’hui que 192 km 2). Leur régres sion est due à l’endiguement et à la correction des principaux cours d’eau de Suisse, à la régulation du niveau des lacs et à l’assèchement par drainage pour gagner des terres agricoles. Comme les bas marais et leur végétation dépendent d’un entretien régulier, la cessation de l’activité agricole conduit à leur embroussaillement puis à une évolution vers la forêt humide (Fig. 5). L’évolution vers la forêt est le résultat d’une dynamique naturelle qui s’observe bien dans les marais de la Rive sud du lac de Neuchâtel. L’abaissement de 2 mètres du niveau du lac il y a une centaine d’années lors de la correction des eaux du J ura permit le développement de grands marais sur les fonds exondés. Une mosaïque de groupements végétaux s’est installée , roselières, parvocariçaie, prairies à molinie, saulaies et saliçaies . Aujourd’hui, le problème principal est de freiner l’avancée de la forêt d’aulnes et de saules qui menace d’envahir toute la rive (Fig. 11). Ces forêts primaires n’ont pas moins de valeur que les marais à petites laîches, mais le but des gestionnaires est de conserver la plus grande diversité possible de types de végétation. Des moyens mécaniques sont employés pour contenir l’extension de la forêt. 6 Quelle place pour la forêt dans les marais? 35 Fig. 7. Les sphaignes, constituant principal de la végétation de haut marais, capables de stocker 20 fois leur poids en eau. Abb. 7. Torfmoose, die Hauptvegetation der Hochmoore, können die 20-fache Menge ihres Gewichts an Wasser speichern. Fig. 8. Le haut marais, un milieu naturel. Abb. 8. Das Hochmoor, ein natürliches Biotop. Protéger les forêts marécageuses Les forêts naturelles de haut marais doivent être préservées et conservées . Ce sont les pinèdes à pins à crochets du Pino mugo-Sphagnetum (Fig. 12) et les pessières de bordure du Bazzanio-Piceetum. Les forêts secondaires de bouleaux (Fig. 13) qui se développent dans les zones plus sèches, souvent riches en espèces de marais , doivent aussi être préservées, de même que les aulnaies de bas marais (F ig. 14). Ces forêts ne demandent aucune mesure d’entretien et peuvent être laissées à leur évolution naturelle. Lorsque des épicéas ont envahi le haut marais , il serait judicieux de pouvoir les enlever . La fragilité du sol tourbeux rend cependant toute intervention sylvicole délicate . Une méthode parfois utilisée dans les travaux Fig. 9. Influence du drainage dans le marais de Gamperfin. Abb. 9. Einfluss der Drainage im Hochmoor von Gamperfin. 36 Forum für Wissen 2009 de régénération et qui donne d’excellents résultats, fait appel à l’hélicoptère. Fig. 10. Le bas marais, résultat de l’exploitation agricole. Abb. 10. Flachmoor als Kulturbiotop. Fig. 11. Progression de la forêt d’aulnes et de saules dans la Grande Cariçaie. Abb. 11. Wachstum des Auenwaldes und Moorweidenwaldes im Flachmor von Grande Carçaie. Fig. 12. Pinède naturelle de haut marais. Abb. 12. Natürliches Bergkiefern-Hochmoor. Contrer l’embuissonnement ou … Pour freiner l’embuissonnement dans les hauts marais , la meilleure solution est de rehausser le niveau de la nappe phréatique en comblant les drainages . Les épicéas dépérissent et les sphaignes se réinstallent (WHEELER et SHAW 1995). Le cas des bas marais est différent. Les bas marais qui ne sont plus fauchés ni pâturés s’embroussaillent faute d’entretien. Ce sont souvent des marais difficiles d’accès où le terrain ne permet pas une fauche mécanique . La pâture peut être une solution de remplacement avec des races légères et rustiques comme le Scottish Highland cattle (Fig. 15), introduit dans plusieurs marais de Suisse . Le remplacement de la fauche par la pâture entraîne cependant une modification de la végétation, car la pâture est sélective. D’autre part, la pâture n’est pas une solution dans les terrains pentus où elle entraîne une forte érosion (Fig. 16). … laisser la dynamique naturelle? Dans les marais où la fauche n’est plus assurée et où la pâture n’est pas possible, on pourrait laisser la forêt se développer à condition d’enlever les drainages pour favoriser la végétation marécageuse et éviter un envahissement par les épicéas . Cela représenterait une alternative à envisager là où la construction de nouvelles dessertes nécessaires à l’entretien serait contraire aux objectifs de protection. L’abandon de la fauche dans les prairies à litière peut conduire au développement de saulaies (Salicion cinereae) puis d’aulnaies (Alnion glutinosae). Le Salicion cinereae, localement abondant au nord des Alpes, est en expansion dans les réserves naturelles (D ELARZE et al. 1998). L’Alnetum glutinosae, autrefois assez abondante à basse altitude, ne subsiste plus aujourd’hui que sous forme de vestiges appauvris, beaucoup de stations ayant été drainées (DELARZE et al. 1998). Le développement de ces types de forêts devenus rares peut être une solution judicieuse dans certains marais. Forum für Wissen 2009 37 7 Zusammenfassung Zukunft der Moore in der Schweiz: wo soll Wald sein? Die schweizerischen Moore von nationaler Bedeutung sind mit Verbuschung bedroht. Die Wirkungskontrolle der schweizerischen Moore , die von 1997 bis 2007 gemacht wurde, hat beunruhigende Ergebnisse geliefert. Zwar ist die Fläche der schweizerischen Moore ungefähr gleich geblieben, jedoch hat sich die Qualität der Biotope verschlechtert. Die Mehrzahl der Moore ist trock ener und nährstoffreicher geworden und weist einen erhöhten Anteil an Gehölzpflanzen auf . In Hochmooren liegt die Ursache für Verbuschungen meistens in Störungen des Wasserhaushalts als Folge von Drainagen. Die Verbuschung der Flachmoore nimmt vor allem zu, wo nur drainierte Flächen nicht mehr geschnitten oder beweidet werden. Die Zunahme der Gehölzpflanzen in Hochmooren lässt sich durch das Schliessen der Drainagen verhindern, was zu einem Wiederaufstieg des Wasserspiegels führt. In Flachmooren, die nicht mehr geschnitten werden können, kann die Beweidung mit leichtem Vieh wie Hochlandrindern eine Ersatzlösung sein. In Fällen wo weder Schnitt noch Beweidung möglich sind, ist zu erwägen, die natürliche Dynamik der Vegetation zu zulassen, was zu Moorweidengebüschen und Silberweiden-Auenwäldern führen könnte. Fig. 13. Forêt secondaire de bouleaux. Abb. 13. Sekundärer Birkenwald. Fig. 14. Forêt d’aulnes noirs (Photo: Service conseil des zones alluviales). Abb. 14. Silberweiden-Auenwald (Foto: Auenberatungstelle). 7 Bibliographie Fig. 15. La pâture avec la race des Scottish Highland cattle , une solution contre l’embroussaillement. Abb. 15. Beweidung mit Schottischen Hochlandrindern kann eine Lösung gegen schung sein. Verbu- BROGGI, M. (réd.) 1990: Inventaire des basmarais d’importance nationale . Berne , Office fédéral de l’environnement, des forêts et du paysage. 75 p. DELARZE, R .; G ONSETH, Y .; GALLAND, P ., 1998: Guide des milieux naturels de Suisse. Lausanne, Paris, Delachaux et Niesté S.A. GRÜNIG, A. ; V ETTERLI, L . ; WILDI, O., 1986: Die Hoch- und Übergangsmoore der Schweiz – eine Inventarauswertung/Les hauts-marais et marais de transition de Suisse – résultats d’un inventaire . Birmensdorf, Eidgenössische F orschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft. 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Abstract The Future of Mires in Switzerland: how much should be forest? The Swiss Mire Monitoring Program that monitored mires in Switzerland from 1997 to 2007 has produced some worrying results. While the surface areas of Swiss mires have remained more or less constant, the quality of the biotopes has de creased. Most of the mires have become drier , richer in nutrients and suffer from scrub encroachment. In bogs scrub encroachment has taken place because the hydrological balance has been disturbed due to a lowering of the water table through drainage . Shrub increase in fens results additionally from abandoning pasturing and mowing in sites with difficult access . To prevent the shrub increase in bogs, the drainage ditches should be closed and a functional water level restored. In fens that can no longer be mown, a light breed of cattle, such as Scottish Highland cattle, could be allowed to pasture to compensate for the abandonment of mowing. In fens where neither mowing nor pasturing is possible , it might be best, in some cases , to let the vegetation follow its own course and evolve into a wet willow and alder forest. Keywords: Swiss mire monitoring program, bog, fen, scrub encroachment, nature conservation Forum für Wissen 2009: 39–50 39 Flechten im Wald: Vielfalt, Monitoring und Erhaltung Christoph Scheidegger und Silvia Stofer WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf christoph.scheidegger@wsl.ch, silvia.stofer@wsl.ch In der Schweiz kommen 621 baum- und erdbewohnende Flechten hauptsächlich im Wald vor; sie werden deshalb als Waldarten bezeichnet. Aufgrund der Bedrohung (Status in der Roten Liste), der Verantwortlichkeit der Schweiz für den Erhalt einer Art sowie den Erfolgsaussichten von Artenschutzmassnahmen wurden in Zusammenarbeit mit dem BAFU 165 Waldarten als sogenannte Prioritätsarten bestimmt. Fast dreiviertel dieser Prioritätsarten sind auf alte Bäume als Lebensraum angewiesen. Die Erhaltung seltener Flechtenarten durch gezielte Massnahmen im bewirtschafteten Wald ist zwar für viele häufigere Arten relativ einfach möglich. Trotzdem zeigen Untersuchungen, dass dieses vorrangig integrative Vorgehen den umfassenden Schutz der Waldflechten nicht gewährleisten kann. Über 150 Prioritätsarten der Waldflechten müssen durch die Instrumente des segregativen Naturschutzes gestützt werden. Unseres Erachtens muss die Realisierung der bereits geplanten Waldreservate beschleunigt werden und an Waldarten reiche Organismengruppen wie die Flechten müssen bei der Planung weiterer Waldreservate speziell berücksichtigt werden. Zudem ist aber auch den Sonderwäldern und bestockten Weiden als traditionellen Kulturlandschaften Rechnung zu tragen. Für baumbewohnende Flechten sind Mittelwälder, Wytweiden und Selven wichtig. 1 Einleitung Der Wald in der Schweiz bietet 32 000 bekannten Tier-, Pilz- und Pflanzenarten Lebensraum (B OLLMANN et al. 2009) und 36 % der Tier- sowie 38 % der Pflanzenarten sind ganz oder teilweise auf den Wald als Lebensraum angewiesen (BUWAL und WSL 2005). Mit über 3000 bekannten Arten von Grosspilzen und über 600 Flechtenarten stellt das Pilzreich die artenreichste der bekannten Gruppen dar . Allerdings werden in der Schweiz weder Pilze, Flechten noch weitere der artenreichsten Waldorganismen in einem nationalen Programm zur Erfassung der Biodiversität adäquat untersucht, obschon Flechten seit über 200 J ahren zur Beobachtung von Umweltveränderungen erfolgreich eingesetzt werden (NIMIS et al. 2002). Obschon Flechten systematisch zu den Pilzen gezählt werden, nehmen sie im Waldökosystem wegen ihres dauernden Zusammenlebens mit einer Grünalge oder mit einem Cyanobakterium ökologisch eine eigenständige Rolle ein. Durch das Zusammenleben mit einem photosynthetisch aktiven Symbionten sind Flechten von einer organischen K ohlenstoffquelle unabhängig (N ASH III 2008). Damit diese Symbiose optimal Photosynthese betreiben kann, hat sich bei Flechten vor allem das vegetative Lager stark diversifiziert und bildet neben krustigen auch blatt-, strauch- und haarförmige Wuchsformen (B ÜDEL und S CHEIDEGGER 2008). Die Lager der Flechten spielen aber auch eine wichtige Rolle bei der Wasseraufnahme, dienen doch die wurzelähnlichen Anhangorgane vor allem der Verankerung auf dem Substrat und nicht der Wasseraufnahme. Flechten haben als wechselfeuchte Organismen keine Möglichkeit, ihren Wassergehalt konstant zu halten. Vielmehr trocknen sie während Phasen niedriger Luftfeuchtigkeit innerhalb weniger Minuten aus . In diesem trokkenen Zustand sind Flechten physiologisch inaktiv, aber bezüglich Trockenheit, Hitze oder Kälte sehr robust (KAPPEN 1988; S CHEIDEGGER et al. 1995; S CHROETER und S CHEIDEGGER 1995). Damit ausgetrocknete Flechten aktiv werden können, müssen sie durch Regen oder Nebel wiederbefeuchtet werden. Bereits hohe Luftfeuchtigkeit reicht bei vielen Grünalgenflechten aus, um annähernd maximale Photosyntheseraten zu erreichen. Eine weitere Eigenschaft der Flechten betrifft ihre Vermehrung. Als Symbiose kann sich die Flechte nur ungeschlecht lich, mittels Pilz und Algen beinhaltender V erbreitungseinheiten, ausbreiten (BÜDEL und SCHEIDEGGER 2008). Eine geschlechtliche Vermehrung ist nur für den Pilz alleine möglich (H ONEGGER 1996). Einige Arten wie die Lungenflechte Lobaria pulmonaria verfügen zwar über beide Ausbreitungsstrategien, die meisten Flechten im Walde vermehren sich jedoch entweder geschlechtlich oder ungeschlechtlich, wobei die ungeschlechtlichen Ausbreitungseinheiten grösser als die mikros kopisch kleinen Sporen sind und deshalb vermutlich weniger weit ausgebreitet werden können. 2 Untersuchung der Vielfalt der Flechten im Wald In der Checklist der Flechten der Schweiz sind 1679 Arten, Unterarten und Varietäten von Flechten genannt (CLERC 2004). Davon sind jedoch erst die 786 baum- und erdbewohnenden Arten im Rahmen eines Inventars zur Erstellung einer Roten Liste genauer untersucht worden (S CHEIDEGGER et al. 2002; V UST 2002). 621 dieser Arten sind hauptsächlich im Wald verbreitet und werden deshalb als Waldarten bezeichnet (Tab. 1). Die 893 hauptsächlich auf Faulholz und Gestein wachsenden Arten können zurzeit nicht mit der nötigen Sorgfalt untersucht werden. Die im J ahr 2002 erarbeitete Rote Liste der gefährdeten baum- und erd- 40 bewohnenden Flechten der Schweiz hat ergeben, dass 44 % der baumbewohnenden Arten und 24 % der erdbewohnenden Arten gefährdet sind (Tab. 2; S CHEIDEGGER et al. 2002). Personelle und finanzielle Mittel für Massnahmen im Artenschutz sind begrenzt und bei den zur Verfügung stehenden Mitteln ist es nicht möglich, alle gefährdeten Arten mit gleich hoher Priorität zu schützen und zu erhalten. Aufgrund der Bedrohung (Status in der Roten Liste), der Verantwortlichkeit der Schweiz für den Erhalt einer Art sowie den Erfolgsaussichten von Artenschutzmassnahmen wurden deshalb in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Umwelt (B AFU) prioritäre Arten evaluiert. Vierzig Prozent (165 Arten) der Waldarten sind demnach prioritär zu behandeln (Tab. 1). Davon wachsen 163 Arten auf lebenden Bäumen als so genannte Epiphyten, also ohne die Bäume zu schädigen (Tab. 3). F ast dreiviertel dieser Arten sind auf alte Bäume angewiesen und kommen deshalb vor allem in Altwäldern, Mittelwäldern, Selven und Wytweiden vor. Für wirkungsvolle Umsetzungsmassnahmen zugunsten dieser Prioritätsarten müssen die Gefährdungsursachen bekannt sein. J e nach Kenntnissstand der Problemkreise setzen die Artenförderungsprogamme entweder bei der F orschung oder der Umsetzung an – ein Monitoring der Vorkommen ist aber in jedem F alle eine prioritäre Aufgabe, um griffige Schutzstrategien zu erarbeiten. Ein wichtiger Teil der Erhebungen für die Rote Liste der Baumflechten der Schweiz konnte auf einer Stichprobe von 826 Beobachtungsflächen, davon 237 Waldflächen des Landesforst inventars (LFI), durchgeführt werden. Dabei wurden 434 der 656 baum bewohnenden Arten nachgewiesen (SCHEIDEGGER et al. 2002). Die meisten Arten wurden jedoch nur auf wenigen Flächen gefunden, nämlich 92 Arten auf einer Fläche, 44 Arten auf zwei und 31 Arten auf drei Flächen. Nur 125 Flechtenarten wurden auf mehr als 20 Flächen nachgewiesen (D IETRICH et al. 2000). Allerdings befinden sich darunter verschiedene , bisher weitgehend übersehene Arten wie die SpitzkegelSchiefkernflechte (Anisomeridium polypori, 35 Flächen), die Zweizellige Fleckflechte (Arthonia didyma, 49 Flä- Forum für Wissen 2009 Tab. 1. Anzahl Flechtenarten in der Schweiz und ihre Bindung an Substrattypen und den Lebensraum Wald. Angaben nach SCHEIDEGGER et al. 2002; CLERC 2004; BUWAL und WSL 2005. Arten Anzahl Flechten der Schweiz, gesamt auf Faulholz und Gestein (nicht bearbeitet) auf Bäumen und Erde Waldarten Prioritätsarten Wald Referenz 1679 893 786 CLERC 2004 SCHEIDEGGER et al. 2002; BUWAL und WSL 2005 www.swisslichens.ch STOFER 2009; www.swisslichens.ch 621 165 Tab. 2. Anzahl baum- und erdbewohnende Flechten und ihre Bindung an den Lebensraum Wald, nach Gefährdungsstufen der Roten Liste (RL) von 2002 (S CHEIDEGGER et al. 2002) geordnet (RE = in der Schweiz ausgestorben, CR = vom Aussterben bedroht, EN = stark gefährdet, VU = verletzlich, NT = potentiell gefährdet, LC = nicht gefährdet, DD = ungenügende Datengrundlage). Arten mit starker (>80% Funde im Wald) und schwacher (<80%>50% Funde im Wald) Bindung an den Lebensraum Wald werden als Waldarten bezeichnet (STOFER 2009). Baum- und erdbewohnende Flechten RL 2002 stark an Wald gebunden Anzahl Arten schwach an Wald gebunden nicht an Wald gebunden nicht eingeschätzt RE CR EN VU 38 45 96 116 12 16 51 59 0 0 12 14 10 17 22 36 16 12 11 7 NT LC DD 107 311 73 30 76 3 38 108 2 36 126 14 3 1 54 Total 786 247 174 261 104 RE CR EN VU 22 35 87 86 12 16 51 59 0 0 12 12 4 8 14 11 6 11 10 4 NT LC DD 84 200 7 30 75 3 35 86 1 19 39 3 0 0 0 Total 521 246 146 98 31 RE CR EN VU 16 10 9 30 0 0 0 0 0 0 0 2 6 9 8 25 10 1 1 3 NT LC DD 23 111 66 0 1 0 3 22 1 17 87 11 3 1 54 Total 265 1 28 163 73 Nur baumbewohnende Flechten Nur erdbewohnende Flechten Forum für Wissen 2009 41 a b c d e f Abb. 1. Habitus-Aufnahmen verschiedener Wuchsformen von baumbewohnenden Flechten: Eichen-Stabflechte (Bactrospora dryina) (a), Silbrige Kuchenflechte (Lecanora argentata) (b), Gewöhnliche Blasenflechte (Hypogymnia physodes) (c ), Strunk-Becherflechte (Cladonia botrytes) (d), Engelshaarflechte (Usnea longissima) (e) und die Wolfsflechte (Letharia vulpina) (f). 42 Forum für Wissen 2009 chen), die Rotbraune Fleckflechte (Arthonia spadicea, 37 Flächen), die Graugrüne Buellie ( Buellia griseovirens, 155), und Gyalideopsis anastomosans (22 Flächen; DIETRICH et al. 2000). Verschiedene dieser häufig auf den LFI-Flächen nachgewiesenen Arten wurden vermutlich wegen ihrer Unauffälligkeit in den ergänzenden F elderhebungen deutlich weniger oft gefunden, was die Notwendigkeit unterstreicht, bei einer Revision der Roten Liste wiederum die LFI-Flächen zu bearbeiten. In einer Pilotstudie haben DIETRICH und S CHEIDEGGER (1998) auf 69 Dauerbeobachtungsflächen des Landesforstinventars die baumbewohnenden Flechten untersucht. Mit ei- 2b 3b 3b 4 4 4 3b 3b 4 3b 3b 4 3a 2b 2a 2a 3b 4 4 4 4 2b 4 2b 4 3b 4 3a 4 1a 4 3a 3a 4 3a 4 4 4 3a 4 4 4 4 4 4 2b 3a 4 3b 3b 4 3b 4 2b 3a EN EN EN VU VU VU EN VU VU EN EN VU EN RE CR CR EN VU VU VU VU RE VU EN NT EN VU VU VU CR VU EN EN VU EN VU VU VU EN VU VU VU VU VU VU CR EN VU EN EN VU EN VU CR EN ja ja ja nein nein nein nein ja nein ja ja ja ja nein ja nein nein nein ja ja ja ja nein ja nein nein ja ja nein ja nein ja ja ja ja ja ja nein ja ja ja nein ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja Name Bindung an alte Bäume Cyphelium lucidum Cyphelium pinicola Dimerella lutea Eopyrenula leucoplaca Fellhanera gyrophorica Fellhanera subtilis Fellhaneropsis myrtillicola Fellhaneropsis vezdae Fuscidea arboricola Graphis elegans Gyalecta flotowii Gyalecta truncigena Gyalecta ulmi Heterodermia leucomelos Heterodermia obscurata Heterodermia speciosa Hypocenomyce friesii Hypocenomyce praestabilis Hypogymnia vittata Japewia subaurifera Lecanactis abietina Lecanactis amylacea Lecania aff. cyrtellina Lecanora cinereofusca Lecanora praesistens Lecidea betulicola Lecidea erythrophaea Lecidea margaritella Lecidella laureri Leptogium burnetiae Leptogium cyanescens Leptogium teretiusculum Lobaria amplissima Lobaria pulmonaria Lobaria scrobiculata Lopadium disciforme Loxospora cismonica Macentina stigonemoides Megalospora pachycarpa Menegazzia terebrata Micarea adnata Micarea coppinsii Mycobilimbia carneoalbida Mycobilimbia sphaeroides Mycoblastus affinis Mycoblastus caesius Nephroma laevigatum Nephroma resupinatum Ochrolechia pallescens Ochrolechia subviridis Ochrolechia szatalaensis Pachyphiale carneola Pachyphiale fagicola Pachyphiale ophiospora Pannaria conoplea Rote Liste Status ja ja nein ja ja nein nein ja ja nein ja ja nein ja nein ja ja ja ja ja ja nein ja ja ja ja ja ja nein nein ja ja ja ja ja nein ja nein ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja Priorität Name Bindung an alte Bäume EN VU EN VU RE EN RE CR EN RE VU RE CR EN RE CR EN EN VU EN RE EN VU EN EN VU EN RE VU EN EN VU VU VU VU VU EN VU EN VU VU EN CR EN EN RE EN EN VU VU EN EN VU EN VU Rote Liste Status 3b 3a 3b 4 2b 3b 2b 1b 3b 2b 4 2b 2b 3b 2b 2b 3b 3b 4 3b 2b 3b 3a 3b 3b 4 3b 2b 4 3b 3b 4 4 4 4 4 4 2b 2b 4 3a 2a 1a 3a 3b 1a 3b 3b 4 4 3b 3a 4 3a 4 Priorität Rote Liste Status Agonimia octospora Anaptychia crinalis Arthonia apatetica Arthonia byssacea Arthonia cinereopruinosa Arthonia dispersa Arthonia elegans Arthonia faginea Arthonia fuliginosa Arthonia helvola Arthonia leucopellaea Arthonia medusula Arthonia reniformis Arthonia vinosa Arthothelium spectabile Bacidia biatorina Bacidia circumspecta Bacidia hegetschweileri Bacidia incompta Bacidia laurocerasi Bacidia polychroa Bacidia rosella Bactrospora dryina Biatora ocelliformis Biatora rufidula Bryoria bicolor Bryoria nadvornikiana Bryoria simplicior Buellia erubescens Byssoloma marginatum Calicium adaequatum Calicium adspersum Calicium lenticulare Calicium parvum Calicium quercinum Caloplaca alnetorum Caloplaca lucifuga Caloplaca obscurella Catillaria alba Catillaria pulverea Cetraria laureri Cetraria oakesiana Cetrelia chicitae Cetrelia olivetorum Chaenotheca chlorella Chaenotheca cinerea Chaenotheca hispidula Chaenotheca laevigata Chaenotheca phaeocephala Chaenotheca subroscida Cliostomum leprosum Collema fasciculare Collema nigrescens Collema subflaccidum Cyphelium karelicum Bindung an alte Bäume Name Priorität Tab. 3. Rote Liste Status von Prioritätsarten und ihre ökologische Bindung an alte Bäume (nach STOFER, www.swisslichens.ch). Pannaria rubiginosa Parmelia laevigata Parmelia reticulata Parmelia sinuosa Parmelia taylorensis Parmotrema arnoldii Parmotrema chinense Parmotrema crinitum Parmotrema stuppeum Pertusaria alpina Pertusaria borealis Pertusaria coccodes Pertusaria constricta Pertusaria coronata Pertusaria hemisphaerica Pertusaria multipuncta Pertusaria ophthalmiza Pertusaria pertusa Pertusaria pustulata Pertusaria sommerfeltii Pertusaria trachythallina Phaeophyscia hispidula Ramalina dilacerata Ramalina obtusata Ramalina panizzei Ramalina roesleri Ramalina thrausta Rinodina conradii Rinodina efflorescens Rinodina isidioides Schismatomma decolorans Schismatomma graphidioides Scoliciosporum pruinosum Sphaerophorus globosus Sphaerophorus melanocarpus Sticta fuliginosa Sticta limbata Sticta sylvatica Strigula glabra Strigula jamesii Thelopsis rubella Thelotrema lepadinum Trapelia corticola Usnea ceratina Usnea florida Usnea fulvoreagens Usnea glabrata Usnea glabrescens Usnea longissima Usnea madeirensis Usnea rigida Usnea wasmuthii Zamenhofia hibernica 2b 3a 2a 3a 3a 4 4 4 3a 4 3b 4 4 4 3b 3b 4 3b 3b 3b 2b 1a 3a 4 3a 3a 3a 4 4 3a 4 2b 3b 4 2a 2a 2a 4 4 4 3b 4 4 4 3a 4 3a 4 1a 3a 4 3a 3a RE EN CR VU VU VU VU VU EN VU EN VU VU VU EN EN VU EN EN EN RE CR EN VU EN EN EN VU VU EN VU CR EN VU CR CR CR VU VU VU EN VU VU VU EN VU EN VU CR EN VU EN EN ja ja ja nein ja ja ja ja ja nein nein nein nein nein ja ja ja ja ja ja ja ja nein ja ja nein ja nein nein ja ja ja nein ja ja ja ja ja nein nein ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja nein nein ja Forum für Wissen 2009 nem Mittelwert von 33 Arten erwiesen sich Flächen der hochmontanen und subalpinen Stufe der Voralpen als deutlich artenreicher als jene der tieferen Lagen der Voralpen (20 Arten) oder der Flächen des Mittellandes (15 Arten). Es ist bekannt, dass sich Artenreichtum und -zusammensetzung zwischen den Baumarten unterscheiden, die Untersuchungen haben aber zusätzlich gezeigt, dass in der hochmontanen und subalpinen Stufe der Voralpen für die F ichte mit 15 Arten pro Stamm deutlich höhere Artenzahlen als in tieferen Lagen erreicht werden. So wurden im Mittelland im Schnitt nur drei Arten pro Stamm nachgewiesen und sogar in Beständen mit hoher 43 Variation der Stammalter wurden im Schnitt nur vier Arten gezählt (D IETRICH und SCHEIDEGGER 1998). 3 Waldflechten; Diversität und Gesellschaften Die meisten Waldarten wachsen auf der Borke lebender Bäume , wo sie je nach Lichtgenuss , Eigenschaften der Borke und der Versorgung mit Niederschlag und darin gelösten mineralischen Nährstoffen, verschiedene Kleinstandorte besiedeln. So unterscheiden sich die Flechtengesellschaften der Stammbasis wegen lang andauernder F euchtigkeit und stärkerer a b c d e f Beschattung von denen des Stammes . Aber auch am mittleren Stamm wachsen in Hochwäldern schattentolerante Arten wie die unscheinbare Zarte Kernflechte (Porina leptalea), welche an Buchenstämmen im Mittelland sehr häufig vorkommt (Abb . 2a, 3, 4). In lichtreicheren Beständen aller Höhenstufen kommen zahlreiche Blatt- und Strauchflechten hinzu, wie die weit verbreitete Gewöhnliche Blasenflechte (Hypogymnia physodes; Abb. 1 c, 2 b, 3 , 4). Eine reiche Strauchflechtenvegetation ist vor allem in lichten Bergwäldern mit hohem Anteil an alten Bäumen zu beobachten. In der subalpinen Stufe der Zentralalpen ist die Wolfsflechte (Letharia vulpina) eine der auf- Abb. 2. Verbreitungskarten der Waldflechtenarten Porina leptalea (a), Hypogymnia physodes (b), Bactrospora dryina (c), Thelopsis rubella (d), Usnea longissima (e) und Letharia vulpina (f). Daten aus STOFER et al. 2008. 44 fälligsten baumbewohnenden Arten vorzugsweise an Lärchen und Arven (Abbildungen 1f, 2f, 3, 4). Am Stamm stellen tiefe Borkenrisse und regengeschützte Stammseiten Spezialstandorte für Flechten dar , die nur an alten Baumindividuen ausgebildet werden. Auffälligstes Beispiel ist die aus luftfeuchten Lagen bekannte BorkenSchwefelflechte (Chrysothrix candelaris), welche oft grossflächige Überzüge an alten Weisstannen bildet. An den gleichen Kleinstandorten wachsen Vertreter der artenreichen Stecknadelflechten, von denen heute ein hoher Anteil gefährdet ist. Dies gilt vor allem für diejenigen Arten, welche hauptsächlich in tiefen Lagen vorkommen, wie die auf regengeschützte Stammseiten a lter Eichen angewiesene EichenStabflechte (Bactrospora dryina; Abb. 1a, 2c , 3, 4). Diese Art ist heute ausschliesslich in Mittelwäldern anzutreffen, wo sie ganze Stammseiten mit einer weissen Kruste überzieht. Eichen, die jünger als 90-jährig sind, verfügen über andere Borkeneigenschaften und können deshalb nicht besiedelt werden. Die stark gefährdete Rötliche Goldzitzenflechte (Thelopsis rubella) ist ebenfalls an alte Bäume gebunden, vor allem an solche mit schwammigweicher Borke . Weil die Rötliche Goldzitzenflechte zusätzlich ebenfalls lichtreiche Standorte benötigt, kommt die Art heute noch vereinzelt in Selven oder Wytweiden vor (Abb . 2d, 3, 4). Besonders an Nadelbäumen der hochmontanen und subalpinen Stufe wachsen an den Ästen in der Schattenkrone oft Bartflechten, welche zu verschiedenen Gattungen gehören. Eine der seltensten Bartflechten, die Engelshaarflechte (Usnea longissima) war früher in den Nordalpen relativ weit verbreitet, ist in den letzten J ahrzehnten aber sehr stark zurückgegangen und ist heute vom Aussterben bedroht (Abb . 1e , 2e, 3, 4). Im Kronenbereich schliesslich sind meist lichtliebende Arten anzutreffen, welche eine deutlich häufigere Austrocknung ertragen als Arten am Stamm. Die wenigen erdbewohnenden Waldflechten entwickeln sich in lichten Waldgesellschaften auf nackter Erde . Streu, welche längere Zeit liegen bleibt, verunmöglicht die Entstehung von Erdflechtengesellschaften. Viel häufiger als reine Erdflechten, sind im Wald Flechten auf Totholz oder Gestein, die je- Forum für Wissen 2009 doch in der Schweiz noch nicht eingehender untersucht werden konnten. Stehendes und liegendes Totholz ist Lebensraum von mehreren, vom Zersetzungsgrad und mittlerem F euchtegrad des Substrates abhängigen Flechtengesellschaften, die oft von Arten der Gattung Cladonia (Becherflechten, Scharlachflechten) dominiert werden 0 20 (Abb. 7). Aus vereinzelten floristischen Beobachtungen von anstehendem F els und Geröll im Wald wissen wir, dass an solchen Standorten zahlreiche Waldarten wach sen, weil die Gesellschaften der Gesteinsflechten im Freiland anderen Licht- und F euchtebedingungen ausgesetzt sind. 40 60 80 100 Esche Bergahorn Rotbuche Eichen Kastanie Birken Weisstanne Fichte Föhren Lärche Arve Bactrospora dryina weitere Arten Thelopsis rubella Porina leptalea Hypogymnia physodes ohne Angaben Usnea longissima Letharia vulpina Abb. 3. Prozent der Funde der in Abbildung 1 vorgestellten Arten, welche auf der Borke ausgewählter Baumarten gefunden wurden. Forum für Wissen 2009 4 Auswirkung der Waldbewirtschaftung auf Waldflechten Bereits in den fünfziger J ahren des letzten J ahrhunderts wurde beobachtet, dass intensive Waldbewirtschaftung, insbesondere der noch im 19. Jahrhundert praktizierte Kahlschlag mit später erfolgter Aufforstung mit Fichten, zum regionalen Verschwinden zahlreicher Flechtenarten geführt hat (FREY 1958). Dies, obschon die bevorzugten Baumarten und Altersklassen zwar in grösseren Waldlandschaften immer irgendwo vorhanden waren, das raum-zeitliche K ontinuum eines speziellen Lebensraumes jedoch nutzungsbedingt unterbrochen wurde. Insbesondere bei sesshaften Arten mit beschränktem Ausbreitungspotential hat die unterbrochene ökologische K ontinuität (R OSE 1976; R OSE 1992) dazu geführt, dass Sekundärwälder heute einen niedrigeren Artenreichtum als Primärwälder aufweisen (F REY 1958; BERGAMINI et al. 2005). In einem europäischen Vergleich, in welchem Blütenpflanzen, Flechten, Vögel, Schmetterlinge, Springschwänze , Laufkäfer und die Boden-Makrofauna untersucht wurden, erwiesen sich Sekundärwälder ausser bei Laufkäfern jeweils als artenärmer als naturnahe Wälder, WaldOffenland Mosaiklandschaften oder Weidelandschaften. Bei den Flechten erwiesen sich sogar Landwirtschaftsflächen als artenreicher als Sekundärwälder (W ATT et al. 2007). Aber auch die Artenzusammensetzung baumbewohnender Flechten unterscheidet sich in dieser europäischen Untersuchung deutlich zwischen naturnahen und Sekundärwäldern (Abb . 5), (S CHEIDEGGER et al. 2003). Auf den langfristigen ökologischen Untersuchungsflächen des europäischen Beobachtungsnetzes des Projektes F orestbiota (F ISCHER et al. 2009) konnten quantitative floristische Aufnahmen erhoben werden, welche mit einer bereits auf europäischer Ebene erprobten Methode durchgeführt wurde (SCHEIDEGGER et al. 2003; STOFER et al. 2003; S TOFER 2006). Die Untersuchungen bestätigten die erwartete hohe Abhängigkeit baumbewohnender Flechten von der Baumarten-Zusammensetzung und der Bestandesstruktur (FISCHER et al. 2009). W eil Flechten 45 0 20 40 60 80 100 Bactrospora dryina >2000 Thelopsis rubella Porina leptalea Hypogymnia physodes 1600–2000 Usnea longissima Letharia vulpina 1000–1600 600–1000 <600 Abb. 4. Prozent der Funde der in Abbilung 1 vorgestellten Arten in 5 Höhenzonen [m]. Abb. 5. Kanonische K orrespondenzanalyse von 47 Landnutzungseinheiten mit den acht Ländern Irland (Ire), Schottland (UK), Finnland (Fin), Frankreich (Frau), Schweiz (Swi), Ungarn (Hun), Spanien (Spa) und Portugal (Por) als Kovariablen und den 6 Landnutzungstypen Naturwald (LUU1), Sekundärwald (LUU2), Walddominierte Mosaiklandschaft (LUU3), Offenland dominierte Mosaiklandschaft (LUU4), Weidelandschaft (LUU5) und Landwirtschaftsland (LUU6) als Umweltvariablen, basierend auf den Häufigkeiten der epiphytischen Flechtenarten. Die erste Achse (CCA1; 0.303) charakterisiert hauptsächlich den Waldanteil in einer Landnutzungseinheit, die zweite Achse (CC A2; 0.246) unterscheidet deutlich zwischen naturnahen und sekundären Wäldern (SCHEIDEGGER et al. 2003). 46 während des ganzen Jahres beobachtet werden können und mit einer einmaligen Begehung die gesamte Artenvielfalt erfasst werden kann, sind Waldflechten gerade auch in der langfristigen W aldökosystemforschung einfach einsetzbar. Zudem liefern solche Untersuchungen auch stets wertvolle neue floristische Beobachtungen. So sind auf LWF-Flächen bei diesen Untersuchungen sogar zwei für die Schweiz neue Flechtenarten im Rahmen dieser Studie nachgewiesen worden: die gesteinsbewohnenden Aspicilia simoensis und Gyalecta subclausa (DIETRICH et al. 2005). 5 Metapopulationsdynamik in Waldlandschaften Die langfristigen Auswirkungen von Landnutzung und Störungen von Waldbeständen konnten bisher erst an der gefährdeten Lungenflechte (Lobaria pulmonaria) genauer untersucht wer- Forum für Wissen 2009 den. In allen Gebieten der Schweiz wurde ein anhaltender Rückgang dieser Art nachgewiesen (SCHEIDEGGER et al. 2002) und in F allstudien konnte gezeigt werden, dass auch individuenreiche Populationen dieser meist an alten Laubbäumen wachsenden Blattflechte bei forstwirtschaftlich nachhaltiger Waldbewirtschaftung innerhalb von wenigen Generationen der Flechten stark zurückgehen, falls alte Laubbäume nicht als Biotopbäume von der Nutzung ausgenommen werden (S CHEIDEGGER et al. 1998; S CHEIDEGGER et al. 2000). Die grössten Vorkommen der Lungenflechte sind in der Schweiz im Parc Jurassien Vaudois erhalten geblieben. Die Lungenflechte wurde in dieser Waldlandschaft vor allem in den naturnahen Plenterwäldern nachgewiesen – in welchen auch bei intensiver Bewirtschaftung für baumbewohnende Flechten eine hohe Lebensraumkontinuität erhalten werden kann. Ein weiteres Vorkommen wurde in einer Waldfläche nachgewiesen, welche seit 1871 nach einem Waldbrand nachgewachsen ist (K ALWIJ et al. 2005). Weil die Lungenflechte im Untersuchungsgebiet hauptsächlich auf Bergahorn wächst und dieser als Licht liebende Baumart durch den Brand gefördert wurde , bietet der rund 140 jährige Wald heute gleichviel Lebensraum für Lungenflechten wie im Plenterwald und deutlich mehr als auf den Wytweiden, auf denen J ungpflanzen des Bergahorns vom Vieh gefressen werden. Obschon Plenterwald und Waldbrandfläche vergleichbare P opulationsdichten der Lungenflechte aufweisen, hatte die unterschiedliche Bestandesgeschichte jedoch Auswirkungen auf die lokale genetische Vielfalt dieser baumbewohnenden Flechte (W AGNER et al. 2006; WERTH et al. 2006b). Im Plenterwald konnten bereits auf einzelnen Bäumen genetisch unterschiedliche Individuen von Lungenflechten nachgewiesen werden (Abb. 6) und auf der Fläche einer Hektare konnte eine mit Urwäldern der Karpaten vergleichbar hohe Abb. 6. Vorkommen verschiedener Haplotypen von Lobaria pulmonaria auf Hektarflächen in einem traditionell durch Plenterwald bewirtschafteten Bestand (links) und einer seit 1871 nach einem Waldbrand neu entstandenen Waldfläche (Parc Jurassien Vaudois, rechts). Die Kreisgrösse gibt die Anzahl untersuchter Individuen pro Hektarfläche an, Farben bezeichnen unterschiedliche Haplotypen. Aus SCHEIDEGGER und WERTH submitted; nach WERTH et al. 2006b. Forum für Wissen 2009 genetische Diversität gefunden werden (Scheidegger, unpubl.). Demgegenüber weisen die meisten Hektarflächen der Waldbrandfläche eine niedrige genetische Diversität auf und bestehen in vielen Fällen nur aus einem einzigen Klon – hervorgegangen durch vegetative Ausbreitung der Flechte (W ERTH et al. 2006a; WERTH et al. 2006b; WERTH et al. 2007). Weil zudem verschiedene Hektarflächen denselben Haplotyp aufweisen, kann vermutet werden, dass nur wenige Besiedlungsereignisse von ausserhalb der Brandfläche stattgefunden haben und sich die Lungenflechten-Population auf der Waldbrandfläche aus nur wenigen Begründern aufgebaut hat (Gründer Effekt). Nur auf einer von dem Waldbrand verschonten kleinflächigen Insel, wo innerhalb der Brandfläche mehrere Bergahornbäume und offensichtlich auch mehrere der darauf wachsenden Lungenflechten den Waldbrand überlebt haben, ist die genetische Diversität auf hohem Niveau erhalten geblieben (B OLLI et al. 2008). 47 Weil bei der Lungenflechte die geschlechtliche Vermehrung nur bei Vorhandensein unterschiedlicher Paarungstypen möglich ist (Z OLLER et al. 1999), sind nur genetisch vielfältige P opulationen in der Lage, sich geschlechtlich zu vermehren. Tatsächlich wurden im Plenterwald auch mehrmals fruchtende Thalli von L. pulmonaria gefunden. Aufgrund der hohen P opulationsdichte der Lungenflechte im ganzen Untersuchungsgebiet konnte sie trotz ihrer vergleichsweise niedrigen Ausbreitungsdistanzen und Etablierungswahrscheinlichkeit (WALSER et al. 2001; WERTH et al. 2006a) die 31 ha grosse Waldbrandfläche (K ALWIJ et al. 2005) innerhalb von 140 J ahren wiederbesiedeln. Dies im Gegensatz zu den meisten anderen Gebieten der Schweiz, wo niedrigere P opulationsdichten der Lungenflechte unbesiedelte Bestände kaum innerhalb einer Baumgeneration wieder besiedeln können, auch wenn es die Qualität des Lebensraumes zulassen würde. 6 Konzepte zur Erhaltung der Flechtendiversität im Wald Naturnahe Wälder zeichnen sich durch eine reich entwickelte Flechtenflora aus. In zahlreichen Waldgesellschaften sind charakteristische baumbewohnenden Flechten anzutreffen und zudem ermöglichen typische Kleinstandorte beispielsweise an alten Bäumen das Vorkommen von spezialisierten Arten. Der gesetzlich geregelte Flächenschutz im Schweizer Wald in Kombination mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit haben dazu geführt, dass heute im Schweizer Wald der Anteil an gefährdeten Arten oftmals kleiner ist als in den anderen Lebensräumen der Schweiz (S CHEIDEGGER et al. 2010). Bei den Waldarten der Schweizer Brutvögel ist in den letzten Jahren eine leichte Zunahme beobachtet worden, die auf die Zunahme der Waldfläche zurückgeführt wird (KELLER et al. 2009). Selten und gefährdet sind vor allem licht-, wärme- Abb. 7. Die beiden Scharlachflechten Cladonia bellidiflora (links) und Cladonia macilenta (rechts) sind typische Bewohner von stark zersetztem Totholz. 48 und strukturliebende Arten sowie Arten, die auf biologisch alte Bäume und Totholz angewiesen sind (B OLLMANN et al. 2009). Bei verschiedenen Gruppen der Insekten, Pilze und Flechten, um einige der artenreichsten Gruppen der Waldarten zu nennen, muss davon ausgegangen werden, dass der Artenrückgang immer noch anhält (S CHEIDEGGER et al. 2010). Für ungefähr die Hälfte der baumbewohnenden Flechtenarten können wir davon ausgehen, dass sie in naturnahen Wäldern bei der heutigen Bewirtschaftungspraxis erhalten bleiben, gelten sie doch in der Roten Liste als nicht gefährdet (S CHEIDEGGER et al. 2002). Der durch die moderne Waldbewirtschaftung geförderte Hochwald bietet recht vielen Flechtenarten Lebensraum und verschiedene , oft schattentolerante Arten sind zweifellos durch die moderne Waldwirtschaft gefördert worden. Die Erhaltung seltener Flechtenarten durch gezielte Massnahmen im bewirtschafteten Wald ist oft relativ einfach möglich. Einzelne Trägerbäume können geschont werden oder als Biotopbäume ausgewiesen werden. Speziell für die Förderung der auf Alt- und Totholz angewiesenen Flechtenarten können zudem Altholzinseln, Biotopbäume und Methusalems oder Baumveteranen ausgeschieden werden (B ÜTLER et al. 2006a, b). Trotzdem zeigen Untersuchungen, dass dieses vorrangig integrative Vorgehen (BOLLMANN et al. 2009) den umfassenden Schutz der Waldflechten nicht gewährleisten kann. Über 150 Prioritätsarten der Waldflechten sind bei der heute praktizierten W aldbewirtschaftung bedroht (SCHEIDEGGER et al. 2002) und müssen durch die Instrumente des segregativen Naturschutzes gestützt werden (BOLLMANN et al. 2009). Die Instrumente für einen wirkungsvollen Schutz der Biodiversität stehen zur Verfügung, ihre Umsetzung muss aber in den nächsten J ahren intensiviert werden, damit der Rückgang der Flechten im Wald gestoppt werden kann. Als grösste Defizite im Wald, vor allem des Mittellandes, werden heute die ungenügende Ausscheidung von Waldreservaten, das F ehlen von vielfältigen Strukturen und der Mangel an Altund Totholz angesehen (BROGGI 2007). Unseres Erachtens muss die Realisierung der bereits geplanten Waldreser- Forum für Wissen 2009 vate beschleunigt werden und an Waldarten reiche Organismengruppen müssen bei der Planung weiterer Waldreservate speziell berücksichtigt werden. In vielen Fällen kennen wir Vorkommen von Prioritätsarten baumbewohnender Flechten, welche knapp ausserhalb von Waldreservaten liegen und deshalb immer noch einen ungenügenden Schutz erfahren. Zudem ist aber auch den Sonderwäldern und bestockten Weiden als traditionellen K ulturlandschaften Rechnung zu tragen. Für baumbewohnende Flechten sind ebenfalls Mittelwälder, Wytweiden und Selven wichtig. Sie dominierten früher das multifunktionale Landschaftsmosaik. Ihre Erhaltung stellt heute eine der anspruchsvollsten Herausforderungen für den Naturschutz dar , nicht zuletzt wegen der oft widersprüchlichen ökologischen Ansprüche der zu fördernden Arten und der daraus resultierenden komplexen Aufgabe für Naturschutzforschung und -praxis. 7 Literatur BERGAMINI, A .; SCHEIDEGGER, C .; S TOFER, S.; C ARVALHO, P .; D AVEY, S. ; D IETRICH, M.; D UBS, F .; F ARKAS, E .; G RONER, U .; KARKKAINEN, K .; K ELLER, C .; L OKOS, L.; LOMMI, S. ; M AGUAS, C .; M ITCHELL, R .; PINHO, P.; R ICO, V.J.; A RAGON, G .; TRUSCOTT, A.M.; WOLSELEY, P.; WATT, A., 2005: Performance of macrolichens and lichen genera as indicators of lichen species richness and composition. Conserv. Biol. 19: 1051–1062. BOLLI, J .C.; WAGNER, H.H.; K ALWIJ, J .M.; WERTH, S. ; C HERUBINI, P .; R IGLING, A .; 2008: Growth dynamics after historic disturbance in a montane forest and its implication for an endangered epiphytic lichen. Bot. Helv. 118: 111–127. 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Ecol. 8: 2049–2059. 50 Abstract Lichens in forests: diversity, monitoring and conservation In Switzerland 621 epiphytic and terricolous lichen species are largely restricted to forests and are thus considered forest species. Based on their Red List status, Switzerland’s international responsibility for the species’ conservation and the feasibility of successful conservation management, 165 priority species were selected in collaboration with the Federal Office of the Environment (FOEN). About 75% of these priority species depend on old and veteran trees as their habitat.The conservation of rare and endangered lichen species is possible for many frequent lichen species in sustainably managed forest stands . However, this integrative approach of conservation alone will not stop the decline of endangered forest lichens. More than 150 priority species depend on conservation activities related to a segregative approach of conservation. The implementation of planned forest reserves should thus be accelerated and speciose groups of forest organisms such as lichens should be considered more explicitly in the planning process of additional forest reserves. Further more , the long-term maintenance of special stand structures as parts of traditional forest landscapes has to be given high priority. For epiphytic lichens coppice with standards, wooded pastures and chestnut orchards are also of prime importance. Keywords: lichen forming fungi, forest species , conservation strategies , Switzerland Forum für Wissen 2009 Forum für Wissen 2009: 51–58 51 Mykorrhizapilze auf dem Rückzug – was bedeutet das für den Wald? Simon Egli WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf simon.egli@wsl.ch Resultate aus einer 32jährigen Datenreihe aus dem Pilzreservat La Chanéaz FR zeigen auffällige Veränderungen in der Artenzusammensetzung der Pilzflora: die Mykorrhizapilze haben im Verhältnis zu den übrigen Waldpilzen deutlich abgenommen. Diese Entwicklung ist beunruhigend, wenn man die Funktionen, welche Mykorrhizapilze für das Ökosystem Wald erfüllen, in Betracht zieht. Wir gehen möglichen Ursachen dieser Entwicklung nach und stellen die Frage, ob ein Rückgang der Mykorrhizapilze in einem Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand der assoziierten Waldbäume stehen könnte. 1 Einleitung In der Schweiz sind rund 5000 Grosspilzarten nachgewiesen (S ENN-IRLET et al. 2007). Fast drei Viertel davon leben im Wald. Von diesen sind knapp die Hälfte (1550) Mykorrhizapilze , das heisst, sie leben mit Waldbäumen in einer Symbiose (Abb.1). Mykorrhizapilze unterstützen die Pflanze bei der Aufnahme von Wasser und Mineralstoffen aus dem Boden, was besonders auf nährstoffarmen Böden oder bei Trockenstress von grosser Bedeutung ist. Zusätzlich können Mykorrhizapilze verschiedene Bäume unterirdisch miteinander vernetzen, was den Austausch von Kohlenstoff, Wasser und Nährstoffen zwischen Bäumen ermöglicht (SIMARD 2009). Mykorrhizapilze schützen die F einwurzeln vor pathogenen Krankheitserregern und vermögen gewisse Schadstoffe auszufiltern. Sie sind ihrerseits auf die höheren Pflanzen angewiesen, indem sie von Ihnen lebensnotwendige Kohlehydrate beziehen, die sie als Kohlenstoff-heterotrophe Organismen nicht selbst produzieren können. Viele Mykorrhizapilze sind artspezifisch und leben nur mit ganz bestimmten Baumarten in Symbiose , zum Beispiel der Goldröhrling (Suillus grevillei) mit der Lärche, der Zirbenröhrling (Suillus plorans) mit der Arve oder der Buchenmilchling (Lactarius subdulcis) mit der Buche. Neben den Mykorrhizapilzen findet man im Wald eine zweite wichtige Gruppe von Pilzen, die Saproben. Man unterscheidet zwischen bodenbewohnenden Saproben, welche mithelfen, Blätter, Nadeln und Streu abzubauen und deren Inhaltsstoffe wieder in den Nährstoffkreislauf zurückzuführen und den holzabbauenden Pilzen, welche auf absterbendem und totem Holz wachsen. Besonders wichtig sind hier die ligninabbauenden P orlinge, welche die Holzsubstanz zersetzen und den Weg bereiten für andere Abbauorganismen. Die dritte Gruppe umfasst die parasitischen oder krankeitserregenden Pilze. Und nicht zuletzt gibt es unter den Waldpilzen viele wertvolle Speisepilze, die nicht nur von uns Menschen geschätzt und gesammelt werden, sondern auch für Wildtiere eine wichtige Nahrungsquelle darstellen. Die WSL inventarisiert seit 1975 auf Dauerbeobachtungsflächen im Pilzreservat La Chanéaz (FR) die Pilzflora. Die resultierende langfristige Datenreihe ist eine einzigartige Grundlage , um die Biologie und Ökologie der Pilze zu erforschen und Zusammenhänge zwischen dem Auftreten von Pilzen und Umwelteinflüssen sowie dem Gesundheitszustand der assoziierten Wirtsbäume zu untersuchen. 2 Das Pilzreservat La Chanéaz – oder warum Pilzinventare langfristig angelegt sein müssen Im Jahre 1975 wurde das Pilzreservat La Chanéaz begründet, um die F rage des Einflusses des Pilzsammelns auf die Pilzflora zu untersuchen. Auf fünf Dauerbeobachtungsflächen à je 300 m2 inventarisierte die WSL von 1975 bis 2006 in wöchentlichen Begehungen von Mai bis November alle Pilzfruchtkörper der Makromyceten (Pilzarten mit F ruchtkörpern grösser als 1 cm Durchmesser). Um Doppelzählungen zu vermeiden, wurden alle registrierten Pilze mit einem blauen F arbstoff markiert. Die resultierende Datenreihe ist heute national wie international einmalig, nirgendwo wurde bisher die Pilzflora über einen so langen Zeitraum in einer so hohen zeitlichen und räumlichen Auflösung inventarisiert. Erhebungen von Pilzfruchtkörpern sind aufwendig . Pilze zeigen ihre Frucktkörper nur während eines relativ kurzen Zeitabschnitts im J ahr und sind oft nur mit mikroskopischen Untersuchungen zu bestimmen. Zudem bilden viele Arten nicht jedes J ahr Fruchtkörper. Von den insgesamt 418 Arten, die auf den 1500 m 2 Untersuchungsfläche zwischen 1975 und 2006 inventarisiert wurden, haben nur gerade vier Arten jedes J ahr fruktifiziert, 106 Arten wurden nur in einem einzigen J ahr gefunden (Abb . 2). Es sind folglich Untersuchungszeiträume über viele Jahre notwendig , wenn man sich ein vollständiges Bild über die Zusam- 52 Forum für Wissen 2009 mensetzung der Pilzflora machen will. Retrospektiv kann man aus der Datenreihe herauslesen, dass bei einer angenommenen Untersuchungsdauer von 16 J ahren im Durchschnitt dreiviertel der Arten erfasst worden wären, nach sechs J ahren lediglich die Hälfte . Bei einer Untersuchungsdauer von einem Jahr hätte man nur ein Viertel erfasst, im pilzreichsten J ahr 2001 immerhin fast 50 %, im schlechtesten J ahr 1989 jedoch nur knapp 5 % (Abb. 3). 3 Die Mykorrhizapilze sind auf dem Rückzug Abb. 1. Mykorrhizasymbiose zwischen dem Dunkelscheibigen Fälbling (Hebeloma mesophaeum) und einer Fichte. In den 1980er J ahren wurde beobachtet, dass Mykorrhizapilze in Abundanz und Artenvielfalt abnahmen, währenddem Sabrobe zunahmen (B OUJON 1997; A RNOLDS 1991; F ELLNER 1990). Diese Abnahme des Anteils an Mykorrhizapilzen wurde in einen Zusammenhang gesetzt mit Umweltveränderungen wie erhöhtem Stickstoffeintrag und Bodenversauerung. Wir haben unsere langfristige Datenreihe auf eine mögliche Verschiebung des Anteils der Mykorrhizapilze überprüft und stellen auch hier eine markante Veränderung fest: der Anteil an Fruchtkörpern von Mykorrhizapilzen hat sich zwischen 1975 und 2006 fast halbiert, er ist von knapp 80 % auf rund 40 % zurückgegangen. Der Anteil an Arten ist ebenfalls zurückgegangen von knapp 75 % auf rund 60% (Abb. 4). Nach F ELLNER und P ESKOVA (1995) bedeutet ein Anteil an MykorrhizapilzFruchtkörpern von 40 % bereits eine «latente Störung». Unter 40 % sprechen sie von einer akuten und unter 20 % von einer lethalen Störung . Das würde also heissen, dass im Pilzreservat La Chanéaz mit 40 % bereits ein kritischer Schwellenwert erreicht ist. Sind das Vorboten für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Wälder im Pilzreservat La Chanéaz? Oder sind die Annahmen, die man in den 80er J ahren getroffen hat, nicht richtig? F est steht, dass die Waldbestände im Pilzreservat La Chanéaz heute kerngesund scheinen. BOUJON (1997) hat in einem Wald im Kanton VD die Artenlisten von je fünf mykologischen Exkursionen aus verschiedenen Zeitperioden analysiert und ist dabei zu ähnlichen Ergebnissen Forum für Wissen 2009 53 gekommen: der Anteil an Mykorrhizpilzarten betrug in der Periode 1925 bis 1937 58 %, in der Periode 1964 bis 1976 53 % und in der Periode 1977 bis 1989 31 %. Also auch hier ist eine deutliche Abnahme des Anteils der Mykorrhizapilze festzustellen, besonders ausgeprägt in den 80er Jahren. gungsversuchen konnte dieser Effekt experimentell reproduziert werden (TEMORSHUIZEN 1993). Aber nicht nur die F ruchtkörper, auch das unterirdische Pilzmycel von Mykorrhizapilzen zieht sich unter erhöhter Stickstoffzufuhr zurück und vermag die Baumwurzeln nicht mehr zu besiedeln, wie ein Düngungsversuch im Pilzreservat Moosboden im Kanton FR gezeigt hat (PETER et al. 2001). Dies ist eine ernst zu nehmende Entwicklung , deren F olgen für den Wald heute kaum abschätzbar sind. Zum Glück kehren die meisten Pilze aber wieder zurück, sobald die Stickstoffeinträge wieder auf 4 Mögliche Gründe für einen Rückgang der Mykorrhizapilze 4.1 Stickstoff Man weiss heute, dass Mykorrhizapilze sehr sensibel auf Umweltveränderungen reagieren, ganz besonders auf erhöhte Stickstoffkonzentrationen im Boden. In den stark stickstoffbelasteten Gebieten in den Niederlanden wurde in den 1980er J ahren ein drastischer Rückgang der Mykorrhizapilze festgestellt (A RNOLDS 1991; T ERMORSHUIZEN und S CHAFFERS 1987). In Dün- 120 106 Anzahl Arten 100 80 60 53 43 40 19 17 16 17 13 11 11 20 0 1 2 3 4 5 6 7 8 5 11 15 9 5 7 6 4 3 7 4 1 6 4 5 3 4 4 3 1 1 4 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 Jahre Abb. 2. Erscheinungshäufigkeit der 418 Pilzarten im Pilzreservat La Chanéaz von 1975 bis 2006: 106 Arten bildeten nur in einem einzigen Jahr Fruchtkörper, 4 Arten wurden in jedem der 32 Jahre gefunden. Anzahl Arten (%) 100% 75% 50% 25% 0% 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 Untersuchungsdauer (Anzahl Jahre) Abb. 3. Prozentualer Anteil der erfassten Arten in Abhängigkeit der Untersuchungsdauer (Anzahl aufeinanderfolgender J ahre) am B eispiel der 32jährigen Datenreihe aus dem Pilzreservat La Chanéaz. Die dicke Linie zeigt die durchschnittliche Anzahl erfasster Arten, die untere Linie den tiefsten, die obere den höchsten Wert. Anteil Mykorrhizapilz-Fruchtkörper (%) Anteil Mykorrhizapilzarten (%) 54 Forum für Wissen 2009 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 1980 1985 1990 1995 2000 2005 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 1975 Abb. 4. Anteil der Mykorrhizapilze (%) im Pilzreservat La Chanéaz von 1975 bis 2006. ein «normales Mass» zurückgehen. Dies kann heute im Süden der Niederlande beobachten werden, seit wirksame Massnahmen zur Reduktion der Stickstoffemissionen ergriffen wurden. Auch in der Roten Liste der gefährdeten Grosspilze der Schweiz wird auf die Gefährdung der Mykorrhizapilze in Wäldern des Mittellandes durch Nährstoffeinträge aus der Luft hingewiesen (S ENN-IRLET et al. 2007). Allerdings ist heute der Anteil der gefährdeten Arten im Wald relativ klein im Verhältnis zu den anderen Lebensräumen. In der Waldsterbensdebatte in den 1980er J ahren und generell bei der Suche nach kausalen Zusammenhängen im Absterbeprozess von Bäumen wurde die Frage gestellt, ob Mykorrhizapilze mit dem Zustand des Waldes etwas zu tun haben könnten. Kausale Zusammenhänge zwischen der Mykorrhizadiversität und dem Baumzustand konnten bisher nicht schlüssig nachgewiesen werden und es wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass offenbar multifaktorielle Prozesse diese Absterbeerscheinungen der Waldbäume verursacht haben (DIGHTON 2003). 4.2 Physiologie des Baumes? Auf leergefegten Sturmschadenflächen oder auf Kahlschlagflächen findet man in den folgenden J ahren keine F ruchtkörper von Mykorrhizapilzen mehr . Der Grund ist, dass die Pilze nicht mehr von den baumeigenen Kohlenhydraten versorgt werden können. Die Pilzmycelien im Boden können hingegen ohne Bäume noch einige Zeit weiter leben, ohne F ruchtkörper zu bilden. So waren auch 10 J ahre nach dem Sturm Vivian auf der Schadenfläche Schwanden GL noch einige infektionsfähige Mykorrhizapilze im Boden vorhanden, um aufkommende Sämlinge zu besiedeln und Mykorrhizen zu bilden (E GLI et al. 2002). Pilze sind als heterotrophe Organismen davon abhängig , ob und wie viel Kohlenstoff in für sie nutzbarer F orm zur Verfügung steht. Das konnte mit Ringelungsexperimenten sehr schön gezeigt werden (H ÖGBERG et al. 2001): Mykorrhizapilze stellten ihre F ruchtkörperproduktion nach einer im J uni durchgeführten Ringelung in einem Waldföhrenbestand unmittelbar und praktisch völlig ein und der Stärkegehalt in den Wurzeln nahm stark ab . Ähnliche Ergebnisse liegen aus Beschattungsexperimenten (L AMHAMEDI et al. 1994) und Entlaubungsexperimenten (KUIKKA et al. 2003) vor. Interessant ist auch, dass während des Baumwachstums eine Sukzession der Mykorrhizapilzarten stattfindet (FERNANDEZ-TOIRAN et al. 2006). Sämlinge werden von anderen Pilzarten besiedelt als Altbäume. D IGHTON et al. (1986) haben die Begriffe «early stage fungi» und «late stage fungi» geprägt. Es kann vermutet werden, dass dies mit einer unterschiedlichen Zusammensetzung der Stoffwechselprodukte des Wirtsbaumes, insbesondere der Kohlenhydrate, in Verbindung steht. Ein Zusammenhang zwischen Baumwachstum und Pilzwachstum wird von BONET et al. (2008) beschrieben. Sie haben festgestellt, dass die F ruchtkörpermenge mit der Basalfläche des Bestandes zusammenhängt. Waldföhrenbestände mit einer Basalfläche um 20 m2/ha produzierten in den Pyrenäen deutlich mehr Pilzfruchtkörper als solche mit einer grösseren oder kleineren Basalfläche. In Übereinstimmung dazu haben eigene Untersuchungen gezeigt, dass Baumbestände mittlerer Baumdichte mehr Pilze produzieren als zu lockere und zu dichte Bestände (A YER et al. 2007). Ein weiteres Argument, dass ein Zusammenhang zwischen Baumwachstum und Pilzwachstum bestehen muss , ist die Tatsache, dass die Hauptfruktifikation der meisten Pilze im Spätsommer liegt, also in einer Zeit, in welcher der Baum sein Wachstum weitgehend abgeschlossen hat und der Eigenbedarf an K ohlenhydraten sinkt. Die produzierten Kohlenhydrate stehen also vermehrt den Mykorrhizapilzen zur Verfügung. 5 Gute und schlechte Pilzjahre: Der Einfluss des Wetters Die Langzeituntersuchung über den Einfluss des Pilzsammelns hat gezeigt, dass das Pilzsammeln die Pilzflora nicht signifikant beeinflusst (EGLI et al. 2006). Sie hat aber aufgezeigt, dass die Fruchtkörpermengen von J ahr zu J ahr stark schwanken. Die K urven der drei 40 35 30 25 20 15 10 5 3 2.5 2 1.5 1 2002 2003 2001 1999 2000 1998 1996 1997 1995 1993 1994 1992 1991 1989 1990 1986 1987 1988 1979 0 1984 1985 0.5 1977 1978 Log(Anzahl Fruchtkörper) Behandlungen folgen mehr oder weniger synchron den grossen Schwankungen von Jahr zu Jahr (Abb. 5). Im Jahr 1989 wurden auf den insgesamt 1500 m2 lediglich 182 Fruchtkörper gezählt. Das Maximum datiert aus dem J ahr 1993 mit 9800 Fruchtkörpern. Im Mittel waren es 3600 F ruchtkörper pro J ahr. Man spricht in diesem Zusammenhang von guten und schlechten Pilzjahren. In Pilzsammlerkreisen wird das Wetter als hauptverantwortlicher F aktor für das Pilzvorkommen betrachtet. Nach Niederschlägen und bei nicht zu kalten Temperaturen werden nach Meinung von Pilzsammlern am meisten Pilze erwartet. Doch immer wieder wird man überrascht und die Prognosen werden nicht erfüllt. Das klimatisch aussergewöhnliche Jahr 2003 zeigt, dass Pilze sehr widerstandsfähig zu sein scheinen gegenüber langen Trockenperioden. Im Sommer blieben in weiten Teilen der Schweiz die Körbe der Pilzsammler leer und man erwartete allgemein einen Totalausfall der Pilzernte . Doch mit den Niederschlägen Ende Oktober wurde 2003 ganz unerwartet zu einem durchschnittlich guten Pilzjahr . Pilz mycelien können offenbar längere Trockenperioden im Boden unbeschadet überdauern. Dass Trockenheit die F ruchtkörperbildung reduziert, wurde auch experimentell nachgewiesen (OGAYA und PENUELAS 2005). Klimatische Bedingungen können die Pilzflora offenbar auch langfristig beeinflussen. Dies zeigen Resultate von G ANGE et al. (2007). Sie stellten fest, dass in Grossbritannien seit den 1950er Jahren die Pilzsaison früher beginnt und später endet. Zudem fruktifizieren einzelne Pilzarten seit Mitte der 1980er Jahre zweimal im Jahr statt wie bisher nur einmal. Die Autoren führen diese Entwicklung auf veränderte Klimabedingungen zurück. In Norwegen wurden ebenfalls Verschiebungen in der Phänologie der Pilze festgestellt (KAUSERUD et al. 2008). Auswertungen unserer Daten bezüglich dieser F rage sind im Gang. Die Zusammenhänge zwischen Wetter und Pilzfruchtkörperbildung sind, wie verschiedene Untersuchungen zeigen, jedoch nicht ganz so trivial wie es auf den ersten Blick scheint (K REBS et al. 2008; B ARROETAVENA et al. 2008; RICHTER 2005). Auch die ersten Aus- 55 Anzahl Arten Forum für Wissen 2009 Abb. 5. Anzahl Pilzarten und F ruchtkörper (log-transformiert) im Pilzsammelexperiment im Pilzreservat La Chanéaz in den abgeernteten Flächen ( £: pflücken; r: abschneiden) und in den Kontrollflächen (ô). n= 5. wertungen der Daten aus dem Pilzreservat La Chanéaz zeigen das . Temperatur und Niederschläge sind zwar wichtige F aktoren für das Pilzwachstum, doch kann damit allein das Fruchtkörpervorkommen nicht erklärt werden (S TRAATSMA et al. 2001). Die Frage, warum zu bestimmten Zeiten an gewissen Standorten mehr Pilze wachsen als an anderen und warum es gute und schlechte Pilzjahre gibt, ist also bis heute noch nicht geklärt. 6 Forschungsbedarf Kenntnisse über die funktionelle Diversität von Mykorrhizapilzen Der in dieser Datenreihe festgestellte Rückgang der Mykorrhizapilze ist eine ernst zu nehmende Erscheinung . Auch wenn die Artenanzahl der Mykorrhizapilze in unseren Wäldern hoch ist, ist jeder Verlust an Vielfalt nachteilig, und zwar aus funktionellen Überlegungen. Fest steht, dass wir heute mit verschiedenen Gefährdungspotentialen rechnen müssen, welche zu Veränderungen in der Diversität der Pilzflora führen können, von Eutrophierung über Habitatsverlust bis zu Klimawandel. Um die Auswirkungen des Verlusts einzelner Mykorrhizapilzarten abschätzen a b Abb. 6. a) Hohe Mitteltemperaturen im August führten zu einer Verzögerung des Beginns der Pilzsaison, b) Niederschläge von Juni bis November förderten die Pilzdiversität und -produktivität im Pilzreservat La Chanéaz (STRAATSMA et al. 2001) 56 zu können, benötigen wir K enntnisse über die funktionelle Diversität von Mykorrhizapilzen: welche der rund 1500 Mykorrhizapilzarten, die in Schweizer Wäldern wachsen, sind funktionell für den assoziierten Baum wichtig , welche weniger oder gar nicht? Was leisten die einzelnen Pilzarten unter bestimmten Stresssituationen? Diese F ragen sind Gegenstand von zwei laufenden Projekten der WSL zur funktionellen Diversität von Mykorrhizapilzen unter Trockenstress und erhöhtem Stickstoff eintrag. Untersucht werden dabei mykorrhizaspezifische Exoenzyme, welche Auskunft geben über die funktionellen Leistungen der einzelnen Pilzarten, sowie Untersuchungen zur Genexpression von Mykorrhizapilzen. Mechanismen der Fruchtkörperbildung Um die Kenntnisse über die Bioindikatorfunktion der Pilzflora zu verbessern, müssen wir mehr wissen über die Mechanismen, welche die F ruchtkörperbildung von Pilzen steuern. Diese sind heute noch immer weitgehend unbekannt. Nur bei einzelnen Zuchtpilzen, welche ausschliesslich zur Gruppe der saproben Pilze gehören, sind die Faktoren, welche die F ruchtkörperbildung beeinflussen, ausreichend erforscht. In der Gruppe der Mykorrhizapilze sind diese jedoch noch weitgehend unbekannt und es ist bis heute nicht möglich, die Pilzmycelien zum Beispiel von Steinpilz, Eierschwamm oder Trüffeln künstlich zur F ruktifikation zu bringen. MELIN und RAMA DAS (1954) haben bereits vor mehr als 50 Jahren postuliert, dass das Wachstum von Pilzen und die F ruchtkörperbildung der Mykorrhizapilze von baumeigenen Stoffen stimuliert werden muss , dem sogenannten «F aktor M». Eine Entschlüsselung dieses ominösen «Faktors M» könnte weiterhelfen, die Mechanismen der F ruchtkörperbildung besser zu verstehen. Baumwachstum und Fruchtkörperdiversität und -produktivität von Mykorrhizapilzen Über einzelne Indikatorarten unter den Pilzen, die auf Veränderungen des Gesundheitszustandes von Wäldern Hinweise geben, gibt es praktisch keine Angaben. Einzig F ELLNER (1990) beobachtete, dass der Wieseltäubling Forum für Wissen 2009 (Russula mustelina, Abb. 7) in den vom Waldsterben betroffenen F ichtenwäldern Mitteleuropas in den 1980er J ahren deutlich zurückgegangen war und in Nordböhmen praktisch völlig verschwand. In der Schweiz ist diese Pilz art nach wie vor häufig anzutreffen und nicht in der Liste der gefährdeten Arten aufgeführt (S ENN-IRLET et al. 2007). Dies würde nach der Theorie von FELLNER (1990) heissen, dass unsere F ichtenwälder in ihrem Gesundheitszustand nicht gefährdet sind. Produzieren gesunde Bäume mehr Mykorrhizapilze als geschwächte? Ein möglicher F orschungsansatz zur Beantwortung dieser Frage ist die Analyse unserer langfristigen Pilzdatenreihen im Zusammenhang mit geeigneten Parametern, die das Wachstum oder den Gesundheitszustand der assoziierten Bäume charakterisieren. Retrospektiv lassen sich Pilzdaten zum Beispiel mit J ahrringdaten oder Trieblängen vergleichen. 7 Schlussbemerkungen Die vorliegende Datenreihe macht deutlich, dass bei Pilzen lange Untersuchungszeiträume notwendig sind. Das gilt für das eigentliche Monitoring als auch für experimentelle Untersuchungen. Das Pilzsammelexperiment schaut auf 32 J ahre zurück und die Auswertung hat gezeigt, dass bei Pilzen nur Abb. 7. Der Wieseltäubling (Russula mustelina): ein Mykorrhizapilz, der nach F ELLNER (1990) nur in gesunden F ichtenwäldern wachsen soll (F oto: J.K. Lindsay). lange Untersuchungszeiträume zu schlüssigen Resultaten führen können. Langzeituntersuchungen führen oft auch zu unerwarteten, ungeplanten Resultaten, deren Bedeutung erst retrospektiv, nach Abschluss der Zeitreihen, erkennbar werden. Zu Waldpilzen ist unbedingt Sorge zu tragen, wenn man die vielfältigen Funktionen dieser Pilze berücksichtigt. Unzählige Gewächshausexperimente beweisen, dass Pflanzen mit Mykorrhizapilzen besser wachsen und stresstoleranter sind als Pflanzen ohne Mykorrhizapilze. Die Frage, ob ein Wald ohne Mykorrhizapilze auskommen würde , können wir bis heute aus methodischen Gründen nicht beantworten. Hierzu wären Experimente nötig , in welchen die Mykorrhizapilze selektiv eliminiert werden. Solche Versuche sind bisher erfolglos geblieben. Neben der Bedeutung für die Ernährung und Gesundheit der Waldbäume stellen Waldpilze eine interessante Nichtholz-Ressource des Waldes dar , welche einer breiten Bevölkerung als wichtige F reizeitbeschäftigung dient. Ein nachhaltig genutzter Wald mit einer grossen Baumartenvielfalt ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Erhalt einer hohen Diversität an Waldpilzen. Und eine hohe Diversität an Mykorrhizapilzen ist eine Voraussetzung für einen gesunden Wald. Ganz nach dem Motto: ohne Wald keine Pilze – ohne Pilze kein Wald. Forum für Wissen 2009 Dank François Ayer danken wir für die langjährige Erhebung der Pilzdaten, dem Forstdienst des Kantons FR für das zur Verfügung stellen der Versuchsflächen und die gute Zusammenarbeit, sowie Beatrice Senn-Irlet für die wertvollen Anregungen zur Verbesserung des Manuskripts. Dem B AFU danken wir für die finanzielle Unterstützung in der ersten Phase des Projekts. 8 Literatur AYER, F .; Z INGG, R .; P ETER, M .; E GLI, S. , 2007: Effets de la densité des tiges des pessières de substitution sur la diversité et la productivité des macromycètes d’une forêt du Plateau Suisse . Revue Forestière Française 5: 433–448. ARNOLDS E., 1991. Decline of ectomycorrhizal fungi in Europe . Agric. Ecosyst. Environ. 35: 209–244. BARROETAVENA, C .; L A MANNA, L.; ALONSO, M.V., 2008: Variables affecting Suillus luteus fructification in ponderosa pine plantations of Patagonia (Argentina). For. Ecol. Manage. 256: 1868–1874. BONET, J .A.; P UKKALA, T .; FISCHER, C .R.; PALAHI, M .; DE ARAGON, J .M.; C OLINAS, C., 2008: Empirical models for predicting the production of wild mushrooms in Scots pine ( Pinus sylvestris L.) forests in the Central Pyrenees . Ann. F or. Sci. 65: 206p1–206p9. 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We search for causes of this development and raise the question about possible effects of a decrease of the mycorrhizal fungi in terms of tree health of the associated forest trees. Keywords: forest mushrooms , mycorrhiza, tree growth, bioindication, long-term monitoring, Switzerland Forum für Wissen 2009 Forum für Wissen 2009: 59–66 59 Indikatoren und Ergebnisse zur nachhaltigen Waldnutzung im Landesforstinventar LFI Urs-Beat Brändli und Philippe Duc WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf urs-beat.braendli@wsl.ch, philippe.duc@wsl.ch Periodische Waldinventuren sind die wichtigste Grundlage zur Beurteilung der Waldnutzung und -bewirtschaftung. Sie haben in Europa eine lange Tradition und dienten ursprünglich dazu, eine nachhaltige Holzproduktion auf Betriebsebene zu planen. Mit den sich wandelnden gesellschaftlichen Ansprüchen hat sich der Stellenwert einzelner Waldfunktionen markant verändert und neue Funktionen fanden Eingang in die Waldinventuren. In den letzten 20 Jahren wurden dann Konzepte entwickelt, um die Nachhaltigkeit aller Waldleistungen mittels Indikatoren zu überprüfen. Am Beispiel des schweizerischen Landesforstinventars sollen die Möglichkeiten und Ergebnisse einer Waldinventur im Rahmen der nationalen Nachhaltigkeitskontrolle dargestellt werden. 1 Das Landesforstinventar 1.1 Ziele und Entwicklung Nationale Waldinventuren haben in Europa eine mehr als hundertjährige Tradition. Die erste nationale Walderhebung wurde 1880 in Dänemark durchgeführt. Zwischen 1919 und 1923 folgten Norwegen, F innland und Schweden mit Nationalinventuren und ab Mitte des 20. J ahrhunderts die Mehrzahl der übrigen europäischen Länder (K ÖHL 1999). Aus Mangel an Informationen über die Holz-Ressourcen im Privatwald, die Waldfunktionen und den Waldzustand wurde in der Schweiz das erste Landesforstinventar (LFI1) in den J ahren 1983 bis 85 erstellt. Das LFI soll periodisch über den Zustand und die Entwicklung des Schweizer Waldes informieren. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt der F orschungsanstalt WSL und des Bundesamt für Umwelt (B AFU) und wurde als Datengrundlage für die nationale Waldpolitik konzipiert. Das K onzept der Nachhaltigkeit wurde schon früh im 20. J ahrhundert nicht nur auf die Holzproduktion bezogen, sondern umfassender verstanden, entsprechend dem Wandel der gesellschaftlichen Ansprüche (Abb . 1). Daher war auch bei der Vorbereitung des ersten Landesforstinventars vorgesehen, den Zustand und die Entwicklung des Waldes hinsichtlich seiner ökonomischen, ökologischen und sozialen Funktionen zu erheben (K URT 1967; WULLSCHLEGER 1982). Obschon diese konzeptionellen Vorstellungen thema1800 1850 tisch breit waren, traten bei der Realisierung des LFI1 aus methodischen Gründen die Waldfläche, der Aufbau und Zustand des Waldes sowie die Verfügbarkeit der Holzressourcen in den Vordergrund. Beim zweiten LFI (1993–95) wurde der Datenkatalog um zahlreiche ökologische Merkmale erweitert und erstmals wurde auch der Waldrand in ventarisiert. Dem ausgewiesenen Bedarf an Zusatzinformationen zu Schutzwald, Bodenvegetation und Boden konnte aber mangels F inanzen auch im LFI3 (2004–06) nur teilweise entsprochen werden. Wesentlich umfassender erhoben wurde im LFI3 das Totholz. Die erweiterte LFI-Umfrage beim F orstdienst lieferte auch Angaben zu den Waldfunktionen oder zur Zertifizierung (B RÄNDLI und U LMER 1900 1950 2000 Waldweide Waldstreunutzung Landwirtschaftliche Zwischennutzung Gerbrindenutzung Energieholz Bauholz Schutz vor Naturgefahren Erholung und Freizeit Naturschutz Abb. 1. Wandel der gesellschaftliche Ansprüche und Waldfunktionen im Zeitraum der Jahre 1800 bis 2000 (nach BRÄNDLI 2003 und BÜRGI 1998, Kanton Zürich). 60 2005). Im so genannten Nichtwaldareal wurden neue Informationen über Gehölze und die Bodenbedeckung erhoben (GINZLER et al. 2005). Insbesondere als F olge von umweltpolitischen Prozessen wandelte sich das LFI seit 1983 vom fast reinen Ressourcen-Inventar zu einer inhaltlich weit umfassenderen Waldinventur. Auch die in Bundesbeschlüssen und Leistungsvereinbarungen formulierten Ziele und Aufgaben des LFI wurden im Lauf der Zeit immer konkreter ausformuliert (Z IERHOFER 2000). Diesen langen Prozess hat K urt schon 1967 voraus gesehen und schreibt treffend: «Es ist nicht zu verkennen, dass verfahrenstechnische F ragen bedeutend einfacher zu lösen sind als solche , welche die besondere Zielsetzung betreffen». Heute ist das LFI das wichtigste Instrument zur K ontrolle der nachhaltigen Waldbewirtschaftung auf nationaler und grossregionaler Ebene und ist im T hemenbereich W ald, Umwelt und Holz von grosser Bedeutung für Verwaltung, P olitik und F orschung (BÄTTIG et al. 2002). Die Ergebnisse des LFI (B RASSEL und B RÄNDLI 1999) finden Eingang in die nationale Waldberichterstattung (B UWAL und WSL 2005) und ins Netzwerk Umweltdaten Schweiz NUS des B AFU (2006). Auch für das weltweite F orest Resource Assessment FRA (FAO 2006), für das europäische Reporting zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung (MCPFE 2007) und für andere internationale Erhebungen ist das LFI von zentraler Bedeutung. Dabei bemüht sich die WSL durch ihre Mitarbeit im «European National F orst Inventory Network» (ENFIN) oder in der «Cost Action E 43» 1 um eine stetige internationale Harmonisierung der Indikatoren und Methoden. Forum für Wissen 2009 trischen Kreisflächen erhoben. Im kleineren Kreis von 2 Aren werden alle Bäume mit einem Brusthöhendurchmesser (BHD) ab 12 cm, im grösseren Kreis von 5 Aren alle Bäume mit einem BHD ab 36 cm vermessen und beurteilt. Die J ungwalderhebung für Bäumchen ab einer Höhe von 10 cm erfolgte im LFI3 auf zwei vom Probeflächenzentrum versetzten Probekreisen. Das liegende Moder - und Totholz wurde erstmals entlang von drei Transektlinien erfasst. Bei Probeflächen am Waldrand wurde dessen Aufbau und Artenzusammensetzung auf einer Taxationsstrecke von 50 m Länge erhoben. Der Arbeitsablauf auf der Probefläche und alle erhobenen Merkmale sind in der Aufnahmeanleitung beschrieben (KELLER 2005). wurde aus finanziellen Gründen seit dem LFI2 um die Hälfte reduziert (BRASSEL und L ISCHKE 2001) und beträgt im LFI3 rund 6500. Als Datenquellen dienen unverändert seit Beginn Luftbilder, terrestrische Erhebungen und Umfragen beim F orstdienst sowie digitalisierte Karten, Modelle (z. B. Vegetationseinheiten) und Erhebungen von Dritten (BFS 2: Areal- und Forststatistik; SMA3: Klimadaten). Die erhobenen LFI-Daten beziehen sich je nach Art auf unterschiedlich grosse Flächen. Seit dem LFI1 werden auf der Interpretationsfläche von 50 × 50 m die Luftbilder interpretiert und im Gelände flächenbezogene terrestrische Daten zum Standort und Bestand erhoben (Abb . 2). Die wichtigsten Baumdaten werden auf zwei konzen- 1 9 2 9 9 3 4 6 5 7 8 1.2 Erhebungsmethoden Das erste LFI wurde als Stichprobenerhebung mit Probeflächen auf einem quadratischen 1,0-km-Netz angelegt. Die Anzahl Waldprobeflächen des LFI1 1 2 3 siehe http://www.metla.fi/eu/cost/e43/ (zuletzt besucht am 29.6.2009). Bundesamt für Statistik Schweizerische Meteorologische Anstalt 1 Interpretationsfläche (50 × 50 m) 9 Waldbe 2 Probekreis für Bäume ab 36 cm BHD X Probeflächenzentrum 3 Probekreis für Bäume ab 12 cm BHD 4,5 Probekreis für Jungwaldaufnahme Luftbildrasterpunkte Ra sterpunkt ausserhalb WBL Ra sterpunkt auf Bestockungsglied Ra sterpunkt andere Bodenbedeckung 6,7,8 Taxationsstrecke für die Aufnahme von liegendem Totholz Abb. 2. Konzept einer Probefläche im LFI3. grenzungslinie (WBL) Forum für Wissen 2009 61 mehreren Ministerkonferenzen, ihre Wälder nachhaltig zu bewirtschaften und über das Erreichte regelmässig zu berichten (MCPFE 2003, wobei MCPFE für «Ministerial Conference on the Protection of Forests in Europe» steht). Die MCPFE (1993) definiert die nachhaltige W aldbewirtschaftung wie folgt: «Sustainable management means the stewardship and use of forests and forest lands in such a way, and at a rate, that maintains their biodiversity , productivity, regeneration capacity, vitality and their potential to fulfil, now and in the future , relevant ecological, eco nomic and social functions , at local, national, and global levels , and that does not cause damage to other eco systems». 2 Indikatorsystem zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung 2.1 Definition der nachhaltigen Waldbewirtschaftung Der Begriff «Nachhaltigkeit» geht zurück auf Hans Carl von Carlowitz, der 1713 in seinem Buch «Sylvicultura Oeconomica» eine «continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung» des Holzes postulierte . In der Schweiz wurde diese Idee in den Forstpolizeigesetzen von 1876 und 1902 verankert. Die Idee der Nachhaltigkeit wurde aber schon früh im 20. J ahrhundert nicht nur auf die Holzproduktion bezogen, sondern umfassender verstanden (DIETERICH 1939). 1987 wurde das K onzept der Nachhaltigkeit vom Wald auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung übertragen: Als nachhaltige Entwicklung definierte die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der UNO (1987) eine «Entwicklung, welche die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generat ionen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können». An der UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (Erdgipfel Rio 1992) verpflichtete sich die Schweiz durch die Unterzeichnung der «Waldgrundsätze-Erklärung» international zu einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung. Und im Waldgesetz von 1991 bekamen Bund und Kantone die Aufgabe zugewiesen, periodisch über Zustand und Entwicklung des Waldes zu berichten. In der F olge verpflichtete sich die Schweiz auf europäischer Ebene an 2.2 Kriterien und Indikatoren Im Anschluss an die Helsinki Resolution (MCPFE 1993) haben die europäischen F orstminister sechs Kriterien (Ziele) für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung sowie 35 entsprechende Indikatoren für das Monitoring und Controlling verabschiedet (T ab. 1). Letztere wurden an der 4. F orstministerkonferenz in Wien in überarbeiteter F orm bestätigt (MCPFE 2003). Diese paneuropäischen Kriterien und Indikatoren sind international wie national allgemein akzeptiert. An ihnen orientieren sich heute sowohl das erste Waldprogramm der Schweiz (BUWAL 2004) als auch das Waldmonitoring auf nationaler und regionaler Ebene (B UWAL 2003) sowie die nationale Waldberichterstattung (B UWAL und WSL 2005; BAFU 2006). Die internationalen Indikatoren der MCPFE können aber nicht allen Ansprüchen genügen und weisen je nach Blickwinkel gewisse Lücken auf. Insbesondere auf nationaler und regionaler Ebene gilt es, diese durch weitere Indikatoren zu füllen. So fehlen auf europäischer Ebene etwa Indikatoren zur Schutzwirkung des Waldes gegen Naturgefahren. Bei der Definition und Auswahl von neuen Indikatoren soll einer ganzen Reihe von Aspekten Rechnung getragen werden (B UWAL 2003). Zwei wichtige Punkte sind dabei der gesellschaftliche K onsens in der Zielsetzung (z. B. Erhaltung stabiler Schutzwälder) und die fachliche Relevanz eines Indikators (z.B. Bestockungsdichte). In diesem Sinne können nationale und kantonale Gesetze , Programme (z. B. Waldprogramm Schweiz) und Wegleitungen (z. B. Nachhaltigkeit im Schutzwald) massgebliche Hinweise auf wichtige ergänzende Indikatoren liefern. 2.3 Indikatoren im LFI Grundsätzlich orientiert sich das LFI bei der Auswahl und Erhebung von Indikatoren an bestehenden Indikatoren-Sets, primär der MCPFE, und an nationalen Programmen (vgl. 2.2). Zudem werden gewisse Indikatoren mit LFI-Daten etwas umfassender analysiert (Sub-Indikatoren wie Baumschäden) oder zu einem Gesamturteil aggregiert (z. B. Biotopwert). Tabelle 2 gibt Aufschluss über den Inhalt und die Art bzw. Herkunft der LFI3-Indikatoren. Tab. 1. MCPFE-Kriterien und Anzahl Indikatoren sowie deren Abdeckung durch das LFI. Kriterium Anzahl 1 2 3 4 5 6 Summe Waldressourcen Gesundheit und Vitalität Produktionsfunktion Biologische Vielfalt Schutzfunktion Sozio-Ökonomie Indikatoren MCPFE Anzahl 4 4 5 9 2 11 35 MCPFE abgedeckt durch LFI LFI1 LFI2 LFI3 Anzahl Anzahl % 3 2 0 4 0 2 11 3 2 2 5 0 2 14 4 2 2 6 2 2 18 LFI3 Anzahl 100 50 40 67 100 18 Total LFI-Indikatoren LFI3 7 13 10 19 10 5 64 62 Forum für Wissen 2009 Tab. 2. Trends von LFI-Indikatoren zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung in der Schweiz. stark positiver Trend (jährliche Veränderung 1.0% und signifikant) positiver Trend (jährliche Veränderung 0.1-0.9% und signifikant) kein Trend (jährliche Veränderung 0.1% und/oder nicht signifikant) negativer Trend (jährliche Veränderung 0.1-0.9% und signifikant) stark negativer Trend (jährliche Veränderung 1.0% und signifikant) Trend lässt sich nicht berechnen (nur Zustand LFI3) oder nicht eindeutig interpretieren Indikatortyp P: Zunahme wird positiv interpretiert N: Zunahme wird negativ interpretiert Z1: Zustand <1.00 wird positiv interpretiert Z2: Zustand > 90% wird positiv interpretiert Z3: Zustand 10% wird positiv interpretiert * fett: Indikatoren, die der MCPFE-Definition ganz oder weitgehend entsprechen oder im Reporting erscheinen unterstrichen: Indikatoren, die auf nationalen Gesetzen, VeroUdnungen und Programmen (WAP-CH) basieren kursiv + unterstrichen : Indikatoren, die auf nationalen Wegleitungen (z.B. NaiS) und Konzepten basieren normal: Spezifikationen oder Synthesen von obgenannten Indikatoren (LFI-Indikatoren) Indikator Kriterium Nummer* Name Typ Einheit 1 1 1 1 1 1 1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.2.1 1.3.1 1.4.1 Waldfläche (inkl. Gebüschwald) Waldflächenanteil (inkl. Gebüschwald) an der Gesamtfläche Waldfläche ohne Gebüschwald Gebüschwaldfläche Holzvorrat (lebende Bäume) Anteil Jungbestände (Alter 60 Jahre) im gleichaltrigen Wald Kohlenstoffvorrat P P P P P P P %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.4.1 2.4.2 2.4.3 Probeflächen mit aktuell intensiver Beweidung Probeflächen mit Deponien waldfremder Materialien Probeflächen mit intensiver Erholungsbelastung Anteil der Fahrspuren ausserhalb von Rückegassen Verbissintensität (Vorjahresverbiss) alle Arten Verbissintensität (Vorjahresverbiss) Tanne Bäume ohne erkennbare Schäden Tote Bäume Tote und sehr stark geschädigte Bäume Bäume mit Holzernteschäden Waldfläche mit sehr stark geschädigten Beständen Waldfläche mit Zwangsnutzungen in den letzten 10 Jahren Bestände mit kritischer Stabilität N N N N N N P N N N N N N %/Jahr %/Jahr %/Jahr 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 Holzzuwachs Holzzuwachs pro Hektare Nutzung (inklusive Mortalität) Anteil von Nutzung und Mortalität am Zuwachs Erschliessungsdichte mit Lastwagenstrassen Waldfläche mit waldbaulichen Eingriffen in den letzten 10 Jahren Waldfläche mit Betriebs- und/oder regionaler Waldplanung Waldfläche mit Betriebsplan Waldfläche mit regionalem Waldplan Waldfläche mit Zertifizierung P P P Z1 P P Z2 P P P %/Jahr %/Jahr %/Jahr Faktor %/Jahr %/Jahr % %/Jahr %/Jahr 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 Probeflächen mit mehr als einer Baumart (>12cm BHD) Waldfläche mit 4 und mehr Baumarten in der Oberschicht Waldränder mit mehr als 10 Gehölzarten Bestandesdichte-Index Reine Naturverjüngung in Verjüngungsbeständen Reine Pflanzungen in Verjüngungsbeständen Reine Naturverjüngung in Jungwüchsen/Dickungen Waldfläche ohne forstliche Eingriffe seit über 50 Jahren Waldfläche der Plantagen Waldfläche mit naturnahem Nadelholzanteil (im Laubwaldareal) Starkholzbestände (BHDdom >50cm) P P P N P N P P N P %/Jahr 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 6 6 6 6 6 4.3.4 4.3.5 4.3.6 4.3.7 4.4.1 4.5.1 4.5.2 4.9.1 4.9.2 %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr Anzahl Giganten (Bäume mit BHD >80cm) Waldränder mit grosser Strukturvielfalt Waldfläche mit mässigem bis hohem Biotopwert Waldfläche mit dominierenden Exoten Totholzvorrat stehend und liegend Totholzvorrat stehend Waldfläche mit Vorrangfunktion Naturschutz Waldfläche mit Vorrangfunktion Landschafts- oder Wildschutz P P P P N P P Z3 P %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr % 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 5.2.6 5.2.7 Waldfläche in Grundwasser-Schutzzonen Waldfläche im Einzugsgebiet von Trinkwasserquellen Reine Nadelholzbestände in Grundwasser-Schutzzonen Waldfläche mit Vorrangfunktion Schutz vor Naturgefahren LFI3-Schutzwald mit genügender Bestandesdichte LFI3-Schutzwald ohne Lücken LFI3-Schutzwald mit stabilen und vermindert stabilen Beständen LFI3-Schutzwald mit mehr als 10% Verjüngung LFI3-Schutzwald mit Zwangsnutzungen in den letzten 10 Jahren LFI3-Schutzwald mit Transportdistanzen unter 500 m P P N P P P P P N P %/Jahr 6.1.1 6.1.2 6.10.1 6.10.2 6.10.3 Privatwald Waldfläche der Bewirtschaftungseinheiten bis 3 ha Waldfläche mit Vorrangfunktion Erholung Waldfläche pro Kopf der Bevölkerung Erschlossene Waldfläche pro Kopf der Bevölkerung P N P P P Trends Zeitraum 1983/85 1993/95 Zeitraum 1993/95 2004/06 %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr %/Jahr Forum für Wissen 2009 Das LFI ist das wichtigste, aber nicht das einzige Instrument, um die Nachhaltigkeit im Wald auf Bundesebene zu beurteilen. Umfassende Informationen liefert es im Bereich der Waldressourcen, der Holzproduktion, des Schutzes vor Naturgefahren und von Lebens raum aspektenzur Biodiversität (BRÄND LIet al. 2007). Andere wichtige Informationsquellen sind beispielsweise die Arealstatistik, die Sanasilva-Inventur, die Forststatistik oder das Biodiversitäts-Monitoring des Bundes . Im Rahmen des Netzwerkes Umweltdaten Schweiz wird die Aufgabenteilung zwischen den einzelnen Instrumenten koordiniert. Die inhaltliche Entwicklung des LFI widerspiegelt sich auch in den Indikatoren (Tab. 1): So waren mit dem LFI1 31 % der MCPFE-Indikatoren abgedeckt, mit dem LFI2 40 % und mit dem LFI3 51 %. Bedeutende LFI-Erweiterungen sind dabei bei den Kriterien Schutzfunktion und Biodiversität zu verzeichnen, während das Kriterium «Sozio-Ökonomie» durch das LFI nach wie vor nur zu einem kleinen Teil abgedeckt wird. Berücksichtigt man die zusätzlichen Indikatoren aus Programmen und Wegleitungen oder abgeleitet aus gesetzlichen Bestimmungen, so basieren 56 % der insgesamt 64 LFI3-Indikatoren auf einem internationalen oder nationalen Konsens. 3 Resultate des LFI3 zur Nachhaltigkeit Die folgenden LFI-Ergebnisse stammen aus dem Kapitel «Bilanz Nachhaltigkeit im LFI3» (B RÄNDLI et al. im Druck) des Ergebnisberichtes LFI3, der im F rühjahr 2010 erscheinen wird. Sie sind nach den sechs MCPFE-Kriterien (Waldressourcen, Gesundheit und Vitalität, Holzproduktion, Biologische Vielfalt, Schutzwald, Sozio-Ökonomie) zusammengefasst. Da derzeit zu kaum einem Indikator allgemein akzeptierte Sollwerte vorliegen, beschränkt sich die Bilanz weitgehend auf Entwicklungstrends LFI1/LFI2 und LFI2/LFI3 (Tab. 2). Bei der Interpretation gilt zu beachten, dass das LFI nur einen Teil der MCPFE-Indikatoren abdeckt (siehe 2.3). Insgesamt fällt die Bilanz der LFIIndikatoren überwiegend positiv aus: 63 Die Indikatoren zu den Kriterien Waldressourcen, Schutzwald und Biodiversität weisen grösstenteils und jene zur Holzproduktion mehrheitlich positive Trends aus . Die wenigen Indikatoren zur Sozio-Ökonomie zeigen keine wesentlichen Veränderungen und jene zum Kriterium Gesundheit und Vitalität zeigen gegenläufige Trends. Waldressourcen (MCPFE Kriterium 1): Bei drei der vier Indikatoren zum Kriterium W aldressourcen, nämlich «Waldfläche», «Holzvorrat» und «Kohlenstoffvorrat» ist eine positive Entwicklung festzustellen. Beim Indikator «Altersstruktur und/oder Durchmesserverteilung» hat sich vom LFI2 zum LFI3 wenig verändert. Gesundheit und Vitalität (MCPFE Kriterium 2): Das LFI liefert hier Angaben zum MCPFE-Indikator «W aldschäden» und zu einer Reihe von Be lastungen des Bodens , zu Schäden am Einzelbaum und am Wald. Die MCPFE-Indikatoren «Ablagerung von Luftschadstoffen», «Bodenzustand» und «Nadel-/Blattverlust» deckt das LFI nicht ab . Eine pauschale Aussage zu den Entwicklungen ist nicht möglich. Bezüglich menschlicher Einflüsse auf die Gesundheit und Vitalität des Waldes sind die Entwicklungen positiv: Probeflächen mit aktuell intensiver Beweidung oder mit Deponien, Bäume mit Holzernteschäden und Bestände mit kritischer Stabilität haben abgenommen. Bei den natürlichen Störungen zeigen die Indikatoren bezüglich Holzproduktion eine negative Entwicklung: Der Gipfeltriebverbiss an Tannen, der Anteil toter und sehr stark geschädigter Bäume und die Fläche der stark bis sehr stark geschädigten Bestände haben zugenommen; die Waldfläche mit Zwangsnutzungen ist unverändert hoch. Hinsichtlich Biodiversität ist die Zunahme der toten und stark geschädigten Bäume aber positiv zu werten. Holzproduktion (MCPFE Kriterium 3): Zu den Indikatoren «Holzzuwachs und -einschlag» und «Wälder mit Bewirtschaftungsplänen» liefert das LFI aussagekräftige Informationen, zu den Indikatoren «Nichtholzprodukte», «Rundholz-Verkauf» und «Dienstleistungen» hingegen nicht. Das Gesamt- bild der Entwicklungen ist positiv . Der Holzzuwachs ist hoch und wird zunehmend genutzt, die Erschliessung mit Strassen ist relativ dicht, und das Instrument der regionalen Waldplanung wird zunehmend angewendet. Auch ist etwa die Hälfte der Waldfläche zertifiziert. Negativ zu werten sind die Zunahme der Mortalität durch Windwurf, Trockenperioden und Borkenkäfer und die fehlende Aktualität vieler Betriebspläne. Biologische Vielfalt (MCPFE Kriterium 4): Zu sechs Indikatoren liefert das LFI aussagekräftige Informationen, zu den Indikatoren «Genetische Ressourcen», «Landschaftsmuster» und «Ge fährdete Waldarten» hingegen nicht. Da die biologische Vielfalt viele Aspekte hat, ist hier die Anzahl der Indikatoren hoch. Bei vielen von ihnen ist der Zustand erfreulich, bei den meisten die Entwicklung positiv . So nahm die Artenvielfalt bei den Bäumen zu, dicke Bäume wurden häufiger, der Totholzvorrat stieg an und die Wälder werden meist natürlich verjüngt. Einzig bei der Bestandesdichte ist der Trend weiterhin negativ; viele Wälder wurden dichter und damit dunkler. Schutzwald (MCPFE Kriterium 5): In der Schweiz wird unter Schutzwald meist nur der Wald verstanden, der Menschen und Sachwerte vor Naturgefahren schützt; nach MCPFE umfasst der Schutzwald auch Wälder, welche Trinkwasser schützen. Das LFI liefert für beide Schutzfunktionen aussagekräftige Informationen. Bezüglich Trinkwasserschutz zeigen alle Indikatoren eine Verbesserung an. Beim Schutz vor Naturgefahren ist der Entwicklungstrend bei den sechs Indikatoren, zu denen Daten aus dem LFI1 oder LFI2 vorliegen, positiv . Der im LFI3 fest gestellte Zustand der Schutzwälder befriedigt aber teilweise noch nicht: Lücken sind noch zu häufig, es mangelt an Verjüngung, und manche Schutzwälder sind noch ungenügend erschlossen. Sozioökonomie (MCPFE Kriterium 6): Das LFI liefert nur für zwei von elf MCPFE-Indikatoren aussagekräftige Informationen: Die Bewirtschaftungseinheiten sind im Schweizer Wald oft sehr klein, v.a. im Privatwald, was nega- 64 tiv zu werten ist. Für Erholungssuchende ist der Schweizer Wald gut zugänglich. Allerdings nahm die Waldfläche pro K opf der Bevölkerung als F olge des Bevölkerungswachstums ab , was eher negativ zu werten ist. 4 Fazit und Ausblick 4.1 LFI-Erfahrungen mit Indikatoren Indikatoren sind, wie die gesellschaftlichen Ansprüche an den Wald, in ständiger Entwicklung und werden erst mit der Zeit bezüglich Definition und Erhebungsmethode konkret. Erst nach einer solchen K onkretisierung können national und international vergleichbare Indikatoren implementiert werden. Gute Indikatoren sind das Ergebnis eines langen und breit abgestützten Prozesses. Beobachtungsinstrumente wie das LFI sollen deshalb nach Möglichkeit bereits vorhandene , allgemein akzeptierte und klar definierte Indikatoren übernehmen, wie jene der MCPFE. Wo solche fehlen, werden sie idealerweise im Rahmen von Bundesprojekten wie jenem zur «Nachhaltigkeit im Schutzwald» (FREHNER et al. 2005) entwickelt. Waldinventuren wie das LFI können mehr als die Hälfte der MCPFE-Indikatoren abdecken (Tab. 1). Die Stärke von Waldinventuren liegt dabei bei Indikatoren zu den Waldressourcen, der Schutzwirkung gegen Naturgefahren und der Biodiversität. Dank permanenter Probeflächen lassen sich auch langsame V eränderungen aufzeigen. Für viele Indikatoren, insbesondere zum Kriterium «Sozio-Ökonomie», sind dagegen andere Erhebungen weit geeigneter. Von zentraler Bedeutung ist deshalb eine K oordination und Delegation von Indikatoren an klar definierte Erhebungsinstrumente, wie dies in der Schweiz derzeit im Rahmen des Netzwerkes Umwelt-Daten Schweiz (NUS) durch den Bund und die Kantone erfolgt. Was die inhaltliche Qualität (Relevanz) der einzelnen Indikatoren betrifft, bestehen erhebliche Unterschiede. Die zeigt sich auch im ersten Bericht der MCPFE (2007). Während das «Totholz» als Indikator zur Biodiversität als unbestritten wichtig erachtet wird, bereitet die Interpretation des Forum für Wissen 2009 «Privatwaldanteils» unter dem Kriterium Sozio-Ökonomie erhebliche Mühe. «Sehr stark geschädigte Bestände» infolge von Windwurf sind wohl ökonomische Schäden, aber das Ergebnis einer natürlichen Störung und deshalb unter dem Kriterium «Gesundheit und Vitalität» nicht zwingend negativ zu werten. So gesehen sind die MCPFEIndikatoren ein verbindlicher erster Wurf, bei dem die Verfügbarkeit der Informationen nicht selten vor der inhaltlichen Aussagekraft steht. Weitere Optimierungen durch F achexperten sind zu wünschen. Was die statistische Aussagekraft betrifft, hat sich im LFI gezeigt, dass die meisten Indikatoren gesicherte Aussagen erlauben (vgl. Tab. 2). Nur bei in der Schweiz seltenen Indikatorausprägungen (z. B. Plantagen) oder bei sehr kleinen Veränderungen (Lücken im Schutzwald) sind keine gesicherten Aussagen über Entwicklungstrends möglich. Sollwerte fehlen sehr häufig, weshalb Entwicklungen (T rends) interpretiert werden (müssen). Dabei hat sich gezeigt, dass viele (vorgeschlagene) Indikatoren relativ gut Zustände beschreiben können, aber für die Darstellung bzw. Messung von Veränderungen ungeeignet sind. Die robustesten Werte sind der gemessene Baumdurchmesser BHD und alle davon abgeleitete Grössen. Deshalb sollen Indikatoren möglichst zähl- oder messbar bzw . auf Reproduzierbarkeit und auf Veränderungen optimiert sein. Die Definition von aussagekräftigen Indikatoren setzt folglich eine Zusammenarbeit von Fachexperten (z. B. Biodiversität) und Inventurspezialisten voraus. 4.2 Einfluss des LFI auf die nachhaltige Waldnutzung Es liegt in der Natur der Sache , dass sich die unmittelbaren Auswirkungen (Impacts) des LFI nicht messen lassen. Viele Reaktionen (Massnahmen) von Verwaltung, P olitik und Praxis treten erst J ahre nach der Publikation von neuen LFI-Ergebnissen in Erscheinung und finden noch später ihre messbare Auswirkung auf den Waldaufbau. Zweifellos bewirken die LFI-Ergebnisse, insbesondere Abweichungen von Sollwerten und negative Trends, eine öffentliche Diskussion unter den am Wald interessierten Gruppierungen und eine Sensibilisierung der Waldbewirtschafter. Wo letztere und die Waldbesitzer nicht aus eigenem Interesse Gegensteuer geben, ergreifen Gesetzgeber und Verwaltung geeignete Lenkungsmassnahen, nicht selten mit Verweis auf LFI-Ergebnisse. Damit haben Beobachtungsinstrumente wie das LFI selbstredend erheblichen Einfluss auf die nachhaltige Waldnutzung. Das LFI trägt aber auch dazu bei, die Möglichkeiten und Grenzen der zukünftigen Waldnutzung unter Einhaltung der Nachhaltigkeit zu zeigen. So ist es, auch dank der Umfrage zu den Waldfunktionen beim F orstdienst, mit dem Abschluss des LFI3 erstmals möglich, sehr differenzierte und langfristig nachhaltige Holznutzungs-Szenarien zu berechnen. Mit entsprechenden Ergebnissen ist ab dem Jahr 2010 zu rechnen. 4.3 Weiterentwicklung des LFI Die drei bisherigen LFI waren periodische Erhebungen über einen Zeitraum von jeweils drei Jahren. Mit dem LFI4, das im Jahr 2009 gestartet ist, erfolgen die Erhebungen neu über einen Zeitraum von neun J ahren. Dabei wird jedes Jahr auf einem anderen Unternetz des LFI die gesamte Schweiz beprobt. Dies ermöglicht ab 2012 jährlich gesamtschweizerische Aussagen zum aktuellen Stand. Das LFI kann also künftig viel rascher einen groben nationalen Überblick vermitteln, insbesondere nach Extremereignissen wie zum Beispiel dem Orkan Lothar. Mit diesem neuen K onzept könnte theoretisch auch jedes Jahr der Datenkatalog ergänzt oder reduziert werden. Theoretisch deshalb , weil jedes neue Merkmal eine erhebliche Vorlaufzeit für Entwicklung und technische Implementierung (A ufnahmeanleitung, Erfassungs-Software, Datenbank) benötigt und somit auch mit viel Aufwand verbunden ist. Deshalb spielen in der Zukunft die bisherigen Erfahrungen und klaren Entscheidungskriterien zur inhaltlichen Anpassung des LFI eine grosse Rolle. Das LFI wird sich weiterhin auf die Nachhaltigkeitskontrolle ausrichten und dazu akzeptierte internationale und nationale Indikatoren verwenden. Forum für Wissen 2009 Dabei sind künftig weniger Neuerungen zu erwarten als in den vergangenen zehn J ahren. Hingegen weist das Parameterset des NUS noch Lücken auf, die durch ein erweitertes LFI geschlossen werden sollen. Es sind dies im W esentlichen A ufbau, Holzvorrat, Zuwachs und Nutzung von Bestockungen ausserhalb des Waldes. Die laufende Bedarfsabklärung für die Jahre 2012 bis 15 soll auch darüber Aufschluss geben, welche LFI-Zusätze finanziert werden sollen bzw. können. Weil aber der Wert einer Zeitreihe wie dem LFI zu einem guten Teil in der Zukunft liegt und erst durch die nächsten Generationen genutzt werden kann, braucht es auch Raum für Innovationen wie die Einführung neuer Merkmale, die nicht zwingend auf das bestehende Indikatorensystem ausgerichtet sind. So wurden mit jedem neuen LFI auch Merkmale hinzugenommen, deren Wert oft erst nach der Publikation der Ergebnisse erkannt wurde. Allerdings lässt sich das LFI nur noch sehr beschränkt ergänzen, damit die Arbeitszeit auf den Probeflächen in einem praktikablen Rahmen bleibt. Deshalb werden künftig externe wie interne Anregungen zum Datenkatalog jährlich durch die Projektoberleitung LFI überprüft. Dafür gilt es , ein Entscheidungssystem zu definieren. 5 Literaturverzeichnis BAFU, 2006: Parameter Sachbereich Wald und Holz. Netzwerk Umwelt-Daten Schweiz. Anhang zum Bericht der Arbeitsgruppe Wald und Holz, unveröffentlicht. BÄTTIG, C .; B ÄCHTIGER, C .; B ERNASCONI, A.; B RÄNDLI, U .-B.; B RASSEL, P ., 2002: Landesforstinventar. Wirkungsanalyse zu LFI1 und 2 und Bedarfsanalyse für das LFI3. Umwelt-Materialien Nr. 143. Bern, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft. 89 S. BRÄNDLI, U .-B., 2003: Heimische Waldgehölze – Verbreitung und Standortsansprüche. Grundlagen für einen standortsgerechten, nachhaltigen Wald- und Flurholzanbau. Vorlesungsskript. ZHAW Hochschule Wädenswil, Studiengang Umweltingenieurwesen, F achbereich Dendrologie. 65 BRÄNDLI, U.-B.; U LMER, U., 2005: Umfrage und Erschliessungserhebung. In: KELLER, M. (Red.) Schweizerisches Landesforstinventar. Anleitung für die F eldaufnahmen der Erhebung 2004–2007. Birmensdorf, Eidg . F orschungsanstalt WSL. 277–314. BRÄNDLI, U.-B.; B ÜHLER, C .; Z ANGGER, A., 2007: Biodiversität und Waldinventuren. LFI info 7: 1–6. BRÄNDLI, U .-B.; B RANG, P .; L ANZ, A ., im Druck: Bilanz Nachhaltigkeit im LFI3. In: B RÄNDLI, U .-B. (Red.) Schweizerisches Landesforstinventar . Ergebnisse der dritten Aufnahme 2004–2006. Birmensdorf, Eidgenössische F orschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft. Bern, Bundesamt für Umwelt. BRASSEL, P .; B RÄNDLI, U .-B. (Red.) 1999: Schweizerisches Landesforstinventar. Ergebnisse der Zweitaufnahme 1993–1995. Birmensdorf, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft. Bern, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft. Bern, Stuttgart, Wien, Haupt. 442 S. BRASSEL, P.; L ISCHKE, H. (eds) 2001: Swiss National Forest Inventory: Methods and Models of the Second Assessment. Birmensdorf, Swiss F ederal Research Institute WSL. 336 S. BÜRGI, M., 1998: Waldentwicklung im 19. und 20. J ahrhundert. Veränderungen in der Nutzung und Bewirtschaftung des Waldes und seiner Eigenschaften als Habitat am Beispiel der öffentlichen Waldungen im Zürcher Unterland und Weinland, Diss. ETH Zürich Nr. 12152. 228 S. BUWAL (Hrsg.), 2003: Kontrolle der Nachhaltigkeit im Wald. Praxishilfe , Vollzug Umwelt. Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft, Bern. 65 S. BUWAL (ed) 2004: Waldprogramm Schweiz (WAP-CH). Schriftenreihe Umwelt Nr . 363. Bern, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft. 117 S. BUWAL, WSL (Hrsg .) 2005: Waldbericht 2005. Zahlen und F akten zum Zustand des Schweizer Waldes. Bern, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft; Birmensdorf, Eidgenössische F orschungsanstalt für Wald Schnee und Landschaft. 151 S. CARLOWITZ, VON, H. C ., 1713: Sylvicultura oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht. Leipzig, Braun. DIETERICH, V., 1939: F orstliche Betriebswirtschaftslehre. Ein Lehr - und Handbuch. 3 Bände . 1. Auflage. Berlin, Parey. 929 S. FAO, 2006: Global F orest Resources Assessment 2005. Progress towards sustainable forest management. Rome , F ood and Agriculture Organization of the United Nations , F AO F orestry Paper 147. 320 p. FREHNER, M .; WASSER, B .; S CHWITTER, R ., 2005: Nachhaltigkeit und Erfolgskontrolle im Schutzwald. Wegleitung für Pflegemassnahmen in Wäldern mit Schutzfunktion. Bern, Bundesamt für Umwelt B AFU. Vollzug Umwelt. 28 S . + 486 S . Anhang. GINZLER, C .; B ÄRTSCHI, H .; B EDOLLA, A .; BRASSEL, P .; H ÄGELI, M .; H AUSER, M .; KAMPHUES, M.; L ARANJEIRO, L.; MATHYS, L.; U EBERSAX, D .; WEBER, E .; WICKI, P.; ZULLIGER, D., 2005: Luftbildinterpreta tion LFI3. Interpretationsanleitung zum dritten Landesforstinventar . Birmensdorf, Eidgenössische F orschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. 85 S. KELLER, M. (Red.) 2005: Schweizerisches Landesforstinventar. Anleitung für die Feldaufnahmen der Erhebung 2004–2007. Birmensdorf, Eidg . F orschungsanstalt WSL. 393 S. KÖHL, M., 1999: Forstliche Nationalinventuren in Europa. In: B RASSEL, P.; B RÄNDLI, U.-B. (Red.) 1999: Schweizerisches Landesforstinventar. Ergebnisse der Zweitaufnahme 1993–1995. Birmensdorf , Eidgenössische F orschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft. Bern, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft. Bern, Stuttgart, Wien, Haupt. 389–392. KURT, A., 1967: Ein forstliches Landesinventar als Grundlage schweizerischer Forstpolitik. Wald Holz 49: 94–99. MCPFE, 1993: Ministerial Conference on the Protection of F orests in Europe , 16–17 June 1993 in Helsinki, Documents. MCPFE, 2003: Improved Pan-European Indicators for Sustainable F orest Management. Adopted by the MCPFE Expert level Meeting , 7–8 October 2002, Vienna, Austria. Adopted at the fourth Ministerial Conference on the Protection of Forests in Europe (MCPFE), 28–30 April 2003, Vienna, Austria. 66 MCPFE, Ministerial Conference on the Protection of F orests in Europe (ed) 2007: State of Europe’ s forests 2007. The MCPFE report on sustainable forest management in Europe . Liaison Unit Warsaw, Poland. 247 p. WULLSCHLEGER, E., 1982: Die Erfassung der Waldfunktionen. Ber . Eidgenöss . Anst. forstl. Vers.wes. 238: 81 S. ZIERHOFER, W., 2000: Wirkungsanalyse LFI1 und LFI2, Bedarfsanalyse LFI3 – Ergebnisse der Pilotstudie . Im Auftrag der Eidg. F orstdirektion, B UWAL. Interner Bericht. 35 S. Link Laufende aktuelle Informationen zum LFI und den neuesten Ergebnissen siehe www.lfi.ch Forum für Wissen 2009 Abstract Indicators and results on sustainable forest use in the National Forest Inventory Periodic forest inventories are the most important basis to judge the sustainability of forest management. They have a long tradition in Europe and served to establish a sustainable wood production originally. Later on other forest functions found their way into the forest inventories . During the last two decades , concepts have been developed to assess the sustainability of all forest benefits and forest health by means of indicators . Using the example of the Swiss National F orest Inventory (NFI) the possibilities and results of a forest inventory within a national scheme of monitoring sustainability are shown. The paneuropean criteria and indicators of MCPFE as well as national indicators based on laws , programmes and guidances are decisive for the NFI. At present more than half of the MCPFE indicators are reported by the NFI, the rest by other surveys. The interpretation of results focuses on changes. Regarding only the indicators that are surveyed by the NFI, Swiss forests have developed in a largely positive direction within the last decade, with the exception of the criteria «health and vitality». Keywords: sustainable management, forest, indicators , inventory , monitoring , Switzerland Forum für Wissen 2009: 67–76 67 Was lehrt uns die Ertragskunde hinsichtlich nachhaltiger Ressourcennutzung im Wald? Andreas Zingg WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf andreas.zingg@wsl.ch Die Ertragskunde ist die «langfristige Langzeitforschung» der WSL: Nach der Gründung der WSL vor über 120 Jahren wurde in wenigen Jahren, zunächst von Flury, später auch von anderen Mitarbeitern, ein Versuchsflächennetz über die ganze Schweiz aufgebaut. Nach einer waldwachstumskundlich sehr kurzen Zeit von nur 21 Jahren legte Flury eine erste Ertragstafel für die Hauptbaumarten Fichte und Buche vor, eine Grundlage für die geordnete, nachhaltige Bewirtschaftung. Unter Engler kamen die Plenterwald-Versuchsflächen und die Provenienzversuche dazu; Burger publizierte über einen Zeitraum von 24 Jahren 14 Arbeiten über Holz, Blattmenge und Zuwachs. Im Laufe der Zeit kamen 91 Beiträge in den Mitteilungen1 zusammen, alles direkt oder indirekt Beiträge zur Verbesserung des Ertrages in der Waldnutzung. Ertragskundliche Erkenntnisse sind auch Grundlagen für die Entwicklung effizienter Inventuren, die für eine nachhaltige Bewirtschaftung nötig sind. Auch wenn man die Nachhaltigkeit über die Grössen wie Stammzahl, Grundfläche und Volumen hinaus versteht, ist es die Ertragskunde, die über die Methoden zur Beschreibung von Waldstrukturen und ihrer Veränderungen, auch in Bezug auf Veränderungen des Standortes, Lösungsansätze und Antworten geben kann. Wohl die wesentlichste Antwort auf die im Titel gestellte Frage ist diese: Wälder sind ausserordentlich anpassungsfähige Ökosysteme, aufgebaut aus Bäumen, die ihrerseits anpassungsfähige Organismen sind. Thema das erst etwas später an der Versuchsanstalt von Engler aufgegriffen wurde. Hingegen finden sich schon einige Gedanken über die Durchforstung. Da er nur in einem beschränkten Standortsspektrum aktiv war , war für ihn auch die F rage der StandortLeistungs-Beziehung nicht sehr wichtig. Aktuelle Fragen wie das «Waldsterben» und der Klimawandel, F ragen, mit denen sich die Ertragskunde der WSL und die daraus hervorgegangenen bzw. auf deren Erkenntnissen und Methoden aufbauenden anderen F orschungsrichtungen beschäftigten und beschäftigen, waren für Meister noch keine Probleme. 2 Was ist Ertragskunde? 1 Einleitung 1883 publizierte Ulrich Meister , Stadtforstmeister in Zürich, sein Buch über die Stadtwaldungen von Zürich, das 1903 in einer zweiten, erweiterten Auflage erschien (M EISTER 1903). Offensichtlich waren die Stadtwaldungen vor etwas mehr als 100 Jahren für die Stadt noch von so grosser Bedeutung , dass man einen Wirtschaftsplan, der mit einer ausführlichen Waldgeschichte und einer lokalen Ertragstafel angereichert wurde, als Buch publizieren konnte . Die Stadtwaldungen und insbesondere der Sihlwald waren wichtig als HolzRessource. An der Gestaltung der zweiten Auflage war der erste Ertragskundler der WSL, Philipp Flury , mit beteiligt, jener , der als erster wissenschaftlicher «Adjunkt» die Ertragskun1 Mitteilungen der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, heute Forest Snow and Landscape Research http://www.wsl.ch/publikationen/reihen/ mitteilungen_DE de an der WSL, die damals einen grossen Teil der Versuchsanstalt-Aktivitäten ausmachte, mit Elan initiierte. «Die Durchführung eines intensiven, nachhaltigen F orstbetriebes hat als erste Voraussetzung die genaue F eststellung des jährlichen Hiebsatzes …», so M EISTER (1903). Einen Wald kann man nur nachhaltig bewirtschaften, wenn man über einigermassen präzise Daten zu seinem Zustand und den in ihm ablaufenden Veränderungen verfügt. Die einfachste F orm der Nachhaltigkeitskontrolle über die Fläche bzw . die Flächenanteile von Entwicklungsstufen oder Altersklassen bedingt, dass man auch Informationen über die Entwicklungsgeschwindigkeit, d. h. über das Wachstum der Bestände hat. Die ersten ertragskundlichen Projekte waren denn auch in erster Linie darauf ausgerichtet, zuverlässige Daten über das Wachstum der wichtigsten Baumarten zu erhalten. Was Meister in seinem Buch auffallend wenig kritisch beschäftigt, sind die Baumarten bzw. die Provenienzen, ein Im ersten «Allgemeinen Arbeitsprogramm 1888» der Versuchsanstalt (WULLSCHLEGER 1985) steht unter dem, was wir heute als Ertragskunde oder Waldwachstumsforschung bezeichnen, unter «I. Zuwachsuntersuchungen» mit zehn Präzisierungen, z. B. – «zum Zwecke der Aufstellung von Ertragstafeln» für zwölf Baumarten, – in «gemischten Beständen», – im «Plenterwalde» u. a., aber auch – «Durchforstungsversuche» und – «über die Genauigkeit der verschiedenen Aufnahme-Methoden». In diesem Arbeitsprogramm fehlt der Begriff «Ertrag» noch, der in anderen Definitionen vorkommt: – «Der Ertragskunde ist die Aufgabe gestellt, das quantitative Ausmass der W achstumsvorgänge im W alde im Zusammenhang mit der Zeit, dem Standort und den technischwirtschaftlichen Massnahmen des Menschen zu erforschen» (A SSMANN 1961). 68 – «Das Sachgebiet Ertragskunde analysiert Wachstum und Ertrag der wirtschaftlich bedeutenden Baumarten …» (Niedersächsische Forstliche Versuchsanstalt, Göttingen, zitiert in ZINGG 2005a). In den letzten J ahrzehnten des letzten Jahrhunderts wird der Begriff zunehmend z. B. durch «W aldwachstumsforschung» ersetzt. Ökologische F ragestellungen und «die inneren Zusammenhänge verschiedener Wachstumsfaktoren» (siehe Z INGG 2005a) werden untersucht und die Modellierung nimmt einen wichtigen Platz ein, nicht zuletzt dank der zunehmenden Möglichkeiten, welche die elektronische Datenverarbeitung bietet. Mit der Schwankung der Holzpreise wird plötzlich auch der «Ertrag», das wirtschaftliche Ergebnis und damit die Frage nach der Nachhaltigkeit wieder interessant. Nichts desto trotz kann «Ertrag» auch weiter gefasst werden: andere F ormen der Wald-«Nutzung», wie z. B. Schutzwirkungen oder Naturschutzaspekte, deren wirtschaftlicher Wert schwieriger zu quantifizieren ist, können in F ragestellungen bzw . Projekten der Ertragskunde eine Rolle spielen. Gegenüber dem reinen Monitoring unterscheiden sich ertragskundlich-waldwachstumskundliche V ersuche durch die frühere oder aktuelle aktive und kontrollierte Beeinflussung der Waldbestände als Teil des Versuchs. Einige grundsätzliche Gedanken zum Wesen der Ertragskunde bzw . zur Erforschung des Waldwachstums sind angebracht: In der ertragskundlichen Forschung spielte der Ertrag – also das wirtschaftliche Ergebnis – immer eine wichtige Rolle . Ertragskunde beschäftigt sich also mit dem Wachstum von Bäumen, v.a. aber von Waldbeständen im Hinblick auf deren Nutzung . Daraus ergibt sich, dass die Bestandeszusammensetzung, d.h. die Frage der Zusammensetzung nach Baumarten und nach Baumdimensionen, der Struktur , und die F rage nach dem Einfluss der waldbaulichen Behandlung auf das wirtschaftliche Ergebnis ebenfalls von Bedeutung sind. Daraus wiederum folgt zwangsläufig die Tatsache, dass sich die Ertragskunde mit dem Problem der Langfristigkeit der Abläufe in Waldbeständen auseinander setzen muss: 30- bis 40jährige Versuche mit Forum für Wissen 2009 Pappeln ( Populus L.) oder mit Kastanien-Niederwald (Castanea sativa Mill.) stehen 250- bis 500jährigen Entwicklungen in subalpinen Gebirgswäldern gegenüber. Dies führte schon bei Flury am Anfang der ertragskundlichen F orschung der WSL zu K onzepten, die es erlaubten, auch kürzerfristig zu Ergebnissen zu kommen: Flurys Versuchsflächen in F ichten- und Buchenbeständen, die z. T. nur einmal gemessen wurden und damit immer nur einen Zustand und einen Eingriff beschrieben, entsprechen dem durchaus zeitgemässen Konzept der Wuchsreihen bzw. den Chronosequenzen. Aus diesen einmaligen und relativ kurzfristigen Aufnahmen konnte Flury das erste schweizerische Waldwachstumsmodell für die Fichte ( Picea abies [L.] H. Karst.) in Tief- und Berglagen und für die Buche (Fagus sylvatica L.) konstruieren, die ersten schweizerischen Ertragstafeln (FLURY 1907). Über ein Waldwachstumsmodell zu verfügen, ist gut, aber damit sind nicht alle Probleme gelöst. Versuchsanlage Ertragskundliche Modelle , seien es nun Ertragstafeln, wie jene von F LURY (1907) oder die von B ADOUX (1983a, b, c, d) sind nur so gut und präzis wie die Daten, die als Grundlage für die Erstellung des Modells verwendet wurden. Diese sind immer ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit und damit auch aus der Zeit. Ertragstafeln sind in Bezug auf Veränderungen der Standorte eher statisch und bilden mittlere klimatische Einflüsse aus der Zeit der Datenerhebung ab . Aber auch moderne Waldwachstumsmodelle, in denen z. B. Standortsveränderungen mit in die Modellbildung einbezogen werden und die solche berücksichtigen können, sind nur beschränkt fähig , alle in der Natur möglichen Szenarien abzubilden. Es ist deshalb unabdingbar , Waldwachstumsmodelle periodisch zu überprüfen und zu verbessern. Damit wird die W aldwachstumsmodellierung als ein Ergebnis der Ertragskunde bzw . der Waldwachstumsforschung zu einem Regelkreis (Abb. 1). Datenerhebung Analyse Modell-Überarbeitung Modell-Bildung Modell-Anwendung Überprüfung des Modells Datenerhebung Analyse Abb. 1. Regelkreis der Waldwachstumsmodellierung. Forum für Wissen 2009 3 Was ist Nachhaltigkeit? «Das K onzept der Nachhaltigkeit beschreibt die Nutzung eines regenerierbaren Systems in einer Weise, dass dieses System in seinen wesentlichen Eigenschaften erhalten bleibt und sein Bestand auf natürliche Weise nachwachsen kann.» 2 Nachhaltige Nutzung kann sich in der Regel auf einen klar definierten, beschränkten Raum beziehen; zeitlich ist die Betrachtung aber unbeschränkt. Die Nachhaltigkeit ist wohl keineswegs von den Förstern erfunden worden, aber der Begriff kommt im Zusammenhang mit der Nutzung des Waldes sehr früh auf: F ragen nach der produktiven Leistungsfähigkeit von Wäldern traten vermutlich zum ersten Mal dann auf, als es für den Wald nutzenden Menschen mühsam wurde , an das benötigte und begehrte Rohmaterial heranzukommen, also nachdem die Wälder bereits übermässig genutzt worden waren und Holz für den «täglichen» Bedarf zu einem knappen Gut wurde. Dies dürfte je nach Region, Bevölkerungsdichte und Art der Holzverwendung zu unterschiedlichen geschichtlichen Zeiten der F all gewesen sein. Letztlich kann man diese Zeitpunkte damit charakterisieren, als dazumal die fehlende «Nachhaltigkeit» – zwar nicht als Begriff und als solche bezeichnet – ins Bewusstsein gedrungen sein muss . Nebst anderen historischen Hinweisen auf Überlegungen zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Wäldern legte z. B. Philippe de Valois 1346 fest, dass die Wälder «dauernd» in einem guten Zustand gehalten werden müssten; Ziel war die nachhaltige Versorgung mit Eichenholz für den Schiffsbau. Charles IX, der von 1560 bis 1574 regierte, verlangte ein «rendement soutenu» der königlichen Wälder (BALLU 2007). Vorschriften zur schonenden und in irgendeiner F orm nachhaltigen Waldnutzung lassen sich über den ganzen Zeitraum bis C ARLOWITZ (1713) finden, auch in der Schweiz (z. B. S TUBER 1997). Darin werden häufig Nutzungseinschränkungen verfügt, indem zum Beispiel die Umtriebszeit oder ein minimaler Durchmesser für die Ernte festlegt wird. Solchen Bestimmungen lagen jeweils kaum gründliche Kenntnisse über die Leistungsfähigkeit von Waldbeständen zugrunde – 69 ein Zustand, dem wir uns heute , im Zeitalter der abgeschafften Forstinventuren, wieder annähern. Ende des vorletzten Jahrhunderts war die nachhaltige Versorgung mit Holz eines der Ziele MEISTERS (1903) bei der Erarbeitung seines Wirtschaftsplanes für Zürich. Er hat dies mit Hilfe eines ertragskundlichen Instrumentariums zu erreichen versucht. 4 Langfristige Forschung – oder die Relativität von Alter und Zeit Das Zeitempfinden ist relativ. In Bezug auf Bäume und Waldbestände hat Zeit und Alter eine Bedeutung , die mit unserer Wahrnehmung nur wenig korreliert. Kurzlebige Bäume wie Pappelarten werden 50 J ahre alt – mehr als ein halbes Menschenalter . Von den mehr als 4000 Jahre alten Grannenkiefern in den USA will ich gar nicht reden. Völlig ausreichend, um den Gegensatz darzustellen, ist die über 300-jährige Tanne Nr . 165 in der Versuchsfläche 01-030 Lauperswil BE, Dürsrüti, ein Baum mit einem Durchmesser von 156,4 cm (2004) (Abb . 2). An einer 1974 gefällten Tanne mit einem Durchmesser von 158 cm wurden 377 Jahrringe gezählt. Die Tanne 165 dürfte somit zwischen 1600 und 1650 gekeimt haben. Sie hat im Durchschnitt 2,1 mm breite Jahrringe gebildet. Das Durchmesserwachstum der Tanne 165 war bei Versuchsbeginn und bis in die 1940er J ahre fast doppelt so gross wie der durchschnittliche Zuwachs aller Tannen im gesamten Beobachtungszeitraum und liegt heute, trotz ihrem Alter, bei 64 % des durchschnittlichen Zuwachses. Die in Abbildung 2 ebenfalls dargestellten Tanne 2460 und Fichte 240 zeigen das umgekehrte: eine lange Zeitdauer mit einem sehr kleinen Wachstum – im F alle der F ichte fast ohne Wachstum – und eine markante Steigerung , die scheinbar unabhängig vom Alter verläuft. Die Versuchsanstalt hat 1902 unter Engler begonnen, Provenienzversuche anzulegen: 77 Parzellen mit F ichten (Picea abies [L.] H. Karst.), 123 mit Föhren ( Pinus sylvestris L.), 92 mit Lärchen ( Larix decidua Mill.), 38 mit Buchen (Fagus sylvatica L.) und 20 mit Eichen (Quercus L.) u. a. Diese werden z. T. bis heute beobachtet. Im Durchschnitt betrug die Beobachtungsdauer nur 45 Jahre. Grund dafür sind die z. T. kleinen Parzellen mit relativ wenigen Pflanzen für sehr viele verschiedene Provenienzen. Einzelne Versuche, zum Beispiel für die Föhre , wurden in den Jahren 1908 bis 1915 mit denselben Provenienzen auf verschiedenen Standorten angelegt, damals ein sehr fortschrittliches Konzept. Am Beispiel des Versuchs 12-002, angelegt 1908/1909, kann die Problematik der Zeit bzw. der Beobachtungsdauer gut dargestellt werden: Es liegen Ergebnisse für das Alter 33 (B URGER 1931), 44, 67 und 81 vor. In einer bisher nicht veröffentlichten Auswertung3 wird versucht, Wachstums- und Qualitätskriterien mit einer Indexierungsmethode gemeinsam auszuwerten, die als Ergebnis einen Wertindex pro Provenienz ergibt. Diese Wertindices werden dann in einer relativen Rangzahl abgebildet. Das Ergebnis ist in Abbildung 3 dargestellt: auffallend und in diesem Zusammenhang interessant ist die Tatsache, dass sich Ergebnisse in der Rangierung mit zunehmender Bestandesentwicklung, d. h. zunehmendem Alter stark verschieben können, d. h. dass Provenienzversuche unbedingt so angelegt werden sollten, dass sie den wirtschaftlichen Umtriebszeiten bzw . einer «W irkungsdauer» (bei nichtwirtschaftlichen F ragestellungen) der Baumarten entsprechen, da ansonsten mit schwerwiegenden Fehlinterpretationen zu rechnen ist. Nicht verschwiegen werden soll hier die Entwicklung der nördlichsten Provenienz J ockmock (Lappland, Schweden), die sich im Alter 81 an die Spitze setzt. Bei der Überprüfung der Messdaten und einem Blick in die Bestandesbeschreibungen, die bei jeder Auf- 2 Deutscher Bundestag , 14. Wahlperiode: Schlussbericht der Enquete-K ommission Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten. Drucksache 14/9200, 12. Juni 2002, zitiert nach Wikipedia 3 Bernadzki, F.; 1990: Föhrenprovenienzversuch. Erste Auswertungen der Flächen Eglisau und Grandval. Manuskript. 70 nahme gemacht werden, findet sich eine Notiz des Versuchsleiters Badoux: Die Provenienz Jockmock sei vollständig ausgefallen und die lokale Provenienz Eglisau habe sich erfolgreich eingestellt. Langfristige F orschung bedeutet nicht, dass im Laufe der Beobachtung nicht schon Schlüsse gezogen werden können (K EELING 2008). Bereits erwähnt ist das K onzept der Wuchsreihen oder Chronosequenzen. Dass diese K onzepte aber nicht die weitere Beobachtung der Versuchsflächen überflüssig machen, zeigt das Beispiel der Buchen-Ertragstafeln. Der grösste Teil der Daten stammt von den Versuchsflächen, die Flury nach 1886 angelegt hat und die zu Durchforstungsversuchen nach verschiedenen Durchforstungsarten gehörten. Bis 1910 lagen Daten von 187 Buchen-V ersuchsflächen vor, 1920 waren es noch 91, 1940 noch 45, 1960 noch 22, heute sind es noch 5 mit Bestandesaltern zwischen 137 und 148 J ahren. Diese Bestandesalter entsprechen etwa der Hälfte des Alters, das Buchen erreichen können. Hingegen liegen sie über dem Alter Forum für Wissen 2009 wirtschaftlicher Umtriebszeiten. Flurys Bonitierung in die Ertragsklassen I bis V basiert auf der Lorey-Höhe , d.h. auf der mit der Grundfläche gewichteten, mittleren Höhe. Badoux verwendet die mittlere Höhe der 100 dicksten Stämme pro Hektar , die sog . Oberhöhe hdom. Da die Höhenentwicklung von der Art der Durchforstung wenig beeinflusst wird (K RAMER und A KÇA 1995), konnte B ADOUX (1983a, b, c, d) ohne weiteres die Oberhöhe zur Bonitierung her anziehen (Abb. 4). Badoux hatte aber nur wenige Daten von Versuchsbeständen mit Alter über 100 Jahren zu Verfügung. Deswegen konnte er das Phänomen, nämlich dass die Oberhöhenentwicklung seine Modellvorstellungen übertrifft, noch gar nicht feststellen. Dies wurde nur sichtbar , weil die Versuchsflächen auch nach der Erstellung der Ertragstafeln weiter beobachtet wurden. Als letztes Beispiel zur Illustration der Bedeutung der Zeit in ertragskundlich-waldwachstumskundlichen Versuchen mag die Entwicklung des Zuwachses in den Plenterwaldflächen des Emmentals dienen. Zwischen 1905 und 1931 wurden im Emmental an acht Standorten Versuchsflächen in Plenterwäldern unterschiedlichen Zustandes angelegt, z. T. ergänzt mit gleichaltrigen Vergleichsflächen. W eitere Plenterwaldflächen wurden im gleichen Zeitraum in den Vor- und Hochalpen eingerichtet. Zweck dieser Versuche war es einerseits , das Wachstum bzw . die Leistung der Plenterwälder an sich und andererseits im Vergleich zu gleichaltrigen, gleichförmigen Wäldern zu erarbeiten. Die Diskussion darüber dauert heute an (Z INGG et al. 2009). W enn man nach 75 J ahren Plenterwaldforschung entschieden hätte , die weitere Beobachtung der Versuchsflächen einzustellen, hätte man wohl festgestellt, dass die Plenterwälder die Witterung, v. a. die Niederschläge relativ gut abbilden und dass ein leichter Trend zu einer Zunahme des Zuwachses festzustellen sei (Abb . 5). Ausserdem seien die relativ grossen, stammzahlreichen Versuchsflächen aufwändig . Damit hätte man aber die in den 1980er J ahren auftretenden, stark zunehmenden Zuwächse (Z INGG 1996) nicht feststellen können. Plenterwälder können, Tanne 165, d1.3 = 121,7 / 156,5 18 Tanne 2460, d1.3 = 23,9 / 53,5 Durchmesserzuwachs id1.3 [ mm a–1] 16 Fichte 240, d1.3 = 20,7 / 43,7 14 12 10 8 6 4 2 0 1900 1920 1940 1960 Jahr [a] 1980 2000 2020 Abb. 2: Tanne 165, Versuchsfläche Dürsrüti 001-030.001. Die Tanne hat im Sturm Lothar im Dezember 1999 ihren Hauptgipfel verlor en, worauf bereits existierende Nebengipfel sichtbar wurden. Rechts ist der Verlauf des Durchmesserzuwachses der Tanne 165 (hellgrü n) im Vergleich zur Tanne 2460 und zur F ichte 240, zwei Bäume unbekannten Alters in der Aufwuchsphase nach einem längeren Unterdrükkungszeitraum. Bei Tanne 165 ist der Zuwachseinbruch Ende der 40er J ahre des letzten J ahrhunderts gut sichtbar (vgl. dazu Z INGG und BÜRGI 2008). Weniger gut erklären lässt sich jener in den 80er Jahren. In der letzten Periode (1997–2004) ist der Zuwachs wieder aufdas Niveau der 1940er Jahre gesunken. Forum für Wissen 2009 71 110 105 100 95 90 85 80 75 70 Relative Rangzahl wenn sie sich einigermassen in einem Gleichgewicht befinden, als nachhaltig betrachtet werden (Z INGG et al. 2009). Sie befinden sich bei aller Dynamik, die in diesen Beständen stattfindet, über die Zeit betrachtet, in einem immer ähnlichen Zustand – in einem Plentergleichgewicht – und werden durch die Eingriffe in diesem Zustand gehalten. Sie sind deshalb besonders gut geeignet, Veränderungen des Standortes festzustellen. PlenterwaldVersuchsflächen können so zu Langzeitbeobachtungen verwendet werden, wie sie K EELING (2008) fordert, wenn auch die Auflösung der Daten nicht jährlich ist. Dieser Mangel kann mithilfe der J ahrringforschung zumindest teilweise kompensiert werden. Letztere kann aber die ertragskundliche Erfassung der Bestandesentwicklung nicht ersetzen. Auch dieses Beispiel zeigt, dass langfristige Entwicklungen zuverlässig nur mittels Langzeit-Beobachtungen erfasst werden können. Sie stellen eine wichtige Grundlage dar , um die in Zukunft allenfalls zu erwartenden Umweltveränderungen zu erfassen und zu verstehen. 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 –5 33 44 67 81 Alter [a] Ostpreussen (P) - 48 Rigi 800 m - 11 Rigi 500 m - 10 Rothenbruch (F) - 224 Königsbrück (F) - 131 Eglisau - 17 Ochansk (RUS) - 50 Soloer (N) - 16 Königsbrück (F) - 31 Smaland (S) - 26 Ochansk (RUS) - 150 Limburg (B) - 46 Tiefencastel - 5 Jockmock (S) - 50 Kloten (S) - 27 Bonaduz - 115 Rigi 1150 m - 12 Ural - 151 Tiefencastel (schlecht) - 6 Eglisau (schlecht) - 117 Osco 1400 m - 39 Osco 1200 m - 38 Bonaduz - 15 Bonaduz (schlecht) - 416 Bonaduz - 215 Bonaduz (15,115,215) - 315 Osco 1700 - 40 Cantal (F) - 42 Cantal (F) - 47 Abb. 3. Föhrenprovenienzversuch 12-002 Eglisau: Relative Rangzahl des Wertindexes aus, Baumhöhe, Durchmesser Stammqualität. Oberhöhenentwicklung in Buchenversuchsflächen 45 40 hdom [m] 35 30 25 20 15 10 5 0 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 Sihlwald Sihlwald II. Bonität Alter [a] Abb. 4. Oberhöhenfächer der Ertragstafel BADOUX (1983d) und Oberhöhenentwicklung in den Buchen-Versuchsflächen. Grün die Höhenentwicklung der Buche nach Meisters Ertragstafel für den Sihlwald, gelb die Oberhöhenentwicklung auf den Versuchsflächen 41-101, 41102, 41-112 und 41-113 im Sihlwald, hellblau die Messungen nach 1964, die Badoux nicht mehr zur Verfügung standen. 72 Forum für Wissen 2009 18 Derbholzzuwachs I V7 [m3 ha–1 a–1] 16 Regression 1908–2000 y = 0.0345x – 56.017 R2 = 0.5417 14 12 10 Regression 1908–1980 y = 0.0129x – 14.203 R2 = 0.1417 8 6 1900 1920 Mittelwert 1940 Streuung Jahr [a] 1960 1980 2000 bis 1980 Abb. 5. Durchschnittlicher Derbholzzuwachs I V7 in m 3 ha–1 a–1 der Emmentaler Plenterwaldflächen mit linearem Ausgleich bis 1980 bzw. bis 2000. 5 Was lehrt uns die Ertragskunde? 5.1 Grundlage der forstlichen Planung Die Ertragskunde hat in den letzten 120 J ahren die Grundlagen für die Waldwachstumsmodelle für Reinbestände aus F ichte, Buche , z. T. Tanne und Lärche (B ADOUX 1983a–c) erarbeitet. Diese Daten fanden und finden immer noch Eingang in moderne Waldwachstumsmodelle wie z. B. in FBSM (L EMM 1991; E RNI und L EMM 1995), SiW aWa (S CHÜTZ und Z INGG 2007), aber auch in Waldwachstumsmodellen aus dem Ausland wie Silva2 (in P RETZSCH 2001) und MOSES (HALLENBARTER et al. 2005). W aldwachstumsmodelle, früher meist in Form von Ertragstafeln, sind Hilfsmittel, die es erlauben, Prognosen über die Entwicklung von Waldbeständen und ganzen Forstbetrieben zu machen, und die es ermöglichen, in F orstbetrieben zu planen (R AMP 1986). Die Möglichkeit zu planen, ist wohl eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine nachhaltige Bewirtschaftung. Auf dieser Standort-Leistungs-Beziehung basieren auch die beiden ertragskundlichen Bonitätsschlüssel von KELLER (1978, 1979), die es erlauben, über den Zusammenhang von einfachen Standortsparametern, definierten Vegetationseinheiten und Wachstumsdaten ertragskundlicher Versuchsflächen die Gesamtwuchsleistung auf vielen Waldstandorten der Schweiz zu schätzen, wenn entsprechende gemessene Daten, wie z. B. im ersten Landesforstinventar LFI (EAFV 1988), fehlen. Langfristig werden Grossrauminventuren wie das LFI ebenfalls Datengrundlagen zu den Standort-Leistungs-Beziehungen liefern können. 5.2 Grundlage für die Beschreibung der Leistungsfähigkeit von Baumarten und Standorten Ein wichtiger Aspekt in der Planung ist die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Standortes . In der forstlichen Forschung wurde der Zusammenhang zwischen Standort und Wachstum schon früh erkannt. Als messbare Grösse für die «Bonität» einer Baumart auf einem gegebenen Standort wird in den Ertragstafeln von B ADOUX (1983a–d) die Oberhöhe h dom verwendet, eine Idee , die auf das sog . E ichhorn’sche Gesetz (E ICHHORN 1904) zurückgeht, welches besagt, «dass einer bestimmten mittleren Bestandeshöhe durch alle Standortsklassen die gleichen Bestandesmassen entsprechen» (zit. nach A SSMANN 1961). A SSMANN (1961) wies allerdings auch darauf hin, dass in Abweichung vom Eichhorn’schen Gesetz die Gesamtwuchsleistung bei gleicher Oberhöhe verschieden hoch ausfallen kann. Er nannte diese Streuung «Ertragsniveau», ein Phänomen, das zeigt, dass ertragskundliche Zusammenhänge recht komplex sein können. 5.2 Baumarten und Provenienz Die Ertragskunde hat zahlreiche Versuche zur Provenienzfrage mit den Baumarten F ichte, Föhre , Lärche , Bergföhre, Tanne, Buche , Eiche und Bergahorn angelegt und damit der Provenienzfrage in der Schweiz zum Durchbruch verholfen. Im Zusammenhang mit den Standortsveränderungen, die für die nächsten Jahrzehnte als Folge des Klimawandels vermutet werden, dürften sich Baumarten- und damit verbunden Provenienzfragen neu und vermehrt stellen. Gerade im Hinblick darauf ist es unbedingt erforderlich, dass neue Provenienzversuche , wie sie von verschiedenen F orschungsinstitutionen gegenwärtig geplant werden, die Beschränkungen, die aus den bisherigen Versuchen bekannt sind, vermeiden und insbesondere die Parzellengrösse im Hinblick auf eine notwenige Beobachtungsdauer von mindestens 50 bis 100 Jahren zu wählen. 5.4 Durchforstung – Massenleistung – Wertleistung Nebst der Frage nach der Leistung von Beständen stellt sich die F rage nach der Beeinflussbarkeit der Bestandesentwicklung durch waldbauliche Eingriffe. Zahlreiche Versuchsflächen der Baumarten F ichte und Buche , aber auch Mischbestände, wurden nach dem «Arbeitsplan des Vereins der F orstlichen Versuchanstalten von 1902» (ASSMANN 1961) nach unterschiedlichen Durchforstungsgraden A, B, C , D und Forum für Wissen 2009 H, behandelt. Die Massen- und Wertleistung der einzelnen Durchforstungsarten konnte auf diese Weise im Vergleich zum «A-Grad», in dem nur das Dürrholz entfernt wurde , beurteilt werden. Wenn auch heute in der Schweiz kaum noch Zweifel darüber bestehen, dass zumindest mit der Auslesedurchforstung nach S CHÄDELIN (1934) und L EIBUNDGUT et al. (1971), die etwa dem H-Grad entspricht, die besten Ergebnisse bezüglich Wertleistung erreicht werden, stellt sich heute die F rage nach der besten Massenleistung neu bei der Energieholzproduktion: durch welche Art der minimalen Durchforstung kann ein Verlust an Biomasse durch Mortalität am besten vermieden werden? Selbstverständlich kann dieser F rage mit Hilfe von Modellen, die auf vorhandenen Daten aufbauen, nachgegangen werden. Eine seriöse Überprüfung der Modellergebnisse und die Ergänzung der Grundlagen dort, wo Daten fehlen, erfordert aber die weitere Beobachtung von bestehenden und sogar von neuen ertragskundlichen Versuchen. 5.5 Mischbestände und naturnaher Waldbau Auch forstliche Modeerscheinungen unterliegen Zyklen. So wurde die Mischbestandesfrage in der Schweiz u.a. von Engler und von Biolley für den Plenterwald aufgegriffen und von Burger und anderen weitergeführt (dargestellt in ZINGG 1999). Als Spezialfall der Mischbestandesfrage hat die Ertragskunde in der ersten Hälfte des letzten J ahrhunderts ein Versuchsflächennetz zur Plenterung angelegt und dieses in den letzten J ahren gezielt erweitert. Die Diskussion in den letzten Jahrzehnten des 20. J ahrhunderts um einen Waldbau in ungleichaltrigen Beständen hat zu einem vermehrten Interesse an den Plenterwald-V ersuchsflächen der WSL-Ertragskunde geführt (z. B. O’HARA et al. 2007). Da die meisten Plenterwald-V ersuchsflächen auf Standorten des Buchen-T annen-Waldes stocken, das Interesse an dieser Form der Waldbewirtschaftung aber auch in den Laubwaldgebieten und im subalpinen Bereich auf Interesse stösst, hat die WSL-Ertragskunde in Wäldern dieser Gebiete neue Ver- 73 suchsflächen angelegt, die wegen den komplexen Bestandesstrukturen in der Regel relativ gross und damit aufwändig sind. In der subalpinen Höhenstufe ist die Wachstumsgeschwindigkeit langsam, sodass dort zusätzlich zu den Flächengrössen mit einer langen Beobachtungsdauer zu rechnen ist, um gesicherte Daten zu erhalten. 5.6 Daten für die Entwicklung von Waldentwicklungsmodellen Die langfristigen Daten der Ertragskunde wurde in den letzten J ahren zur Validierung von Waldwachstumsmodellen mehr ökologischer Ausrichtung herangezogen. DIDION et al. (2009) verbesserte das Gap-Modell F orClim und verwendete dazu Daten von WSLVersuchsflächen. W EHRLI et al. (2005 und 2006) benützten ertragskundliche Daten, um die Entwicklung der Bestandesstruktur eines Schutzwaldes im Gebirge im Hinblick auf die Schutzwirkung gegen Steinschlag zu prognostizieren. V IENNE et al. (2008) bearbeiteten ähnliche F ragen mit Daten von Buch endurchforstungsversuchen an steilen Hängen. S CHMID et al. (2006) evaluierten das Waldwachstumsmodell SILVA (P RETZSCH 2001) anhand von Ertragskundedaten in Bezug auf seine Anwendbarkeit für schweizerische Verhältnisse. Ebenso wurden Ertragskundedaten der WSL für die Validierung des österreichischen Modells MOSES (HALLENBARTER et al. 2005) verwendet und eine Anpassung des Modells BWINPro (N AGEL et al. 2002) für die Praxisanwendung in der Schweiz ist vorgesehen. 5.7 Ertragskundliches Know-how in aktuellen Fragen Die Ertragskunde hat in speziellen Fragen mit ihrem Know-how jeweils entscheidend zu aktuellen Themen beitragen können, so z. B. beim Auftreten des Kastanienrindenkrebses mit den grossen Versuchsaufforstungen in Copera (siehe z. B. B UFFI 1987) und beim «Waldsterben», indem auch auf den Versuchsflächen die damals als gültig angesehenen Erhebungsmethoden angewendet und z. T. ausgewertet wurden. Aktuell stellt sich auch die F rage nach der maximalen bzw . optimalen Eingriffsstärke im Gebirgswald im Hinblick auf sich daraus ergebenden zukünftigen Strukturen bzw . die allenfalls notwendigen waldbaulichen Eingriffe. Die Ertragskunde kann mit ihren qualitativ einwandfreien, langfristigen Daten, v . a. mit jenen aus den «alterslosen» Plenterwaldflächen, zu aufkommenden Fragen im Zusammenhang mit dem Klimawandel Antworten liefern (ZINGG 1996; ZINGG und BÜRGI 2008). Ertragskundliche Versuchsflächen können auch für vertiefte Untersuchungen genutzt werden. 6 Voraussetzungen und Bedingungen Langfristige Waldforschung ist mit hohen Ansprüchen an die K ontinuität verbunden. Änderungen der Methoden sind praktisch nicht oder nur in sehr geringem Umfang möglich, Ergänzungen dagegen schon. Eine hohe Kontinuität bedingt auch einige methodische Erfordernisse. So sind die zu messenden Bäume nummeriert, die Messstellen sind markiert und die Versuchsflächen sind vermessen. Wohl das wichtigste sind aber die Mitarbeiter . Aus den Angaben im Archiv lässt sich feststellen, dass die Erhebungen auf den ertragskundlichen Versuchsflächen mit wenigen Ausnahmen von denselben, langjährigen und qualifizierten Mitarbeitern durchgeführt wurden und dass die Betreuung und Leitung der Ertragskunde der WSL ebenfalls in der Verantwortung von Forschern lag, die über längere Zeit ihre Spuren an der Versuchsanstalt hinterlassen haben. Die von «K ometen» angelegten Versuche entsprechen bezüglich Präzision nicht immer dem Standard – z. T. ist nicht einmal mehr bekannt, wo sich diese Versuchsflächen befanden. Nicht zuletzt wird auch immer wieder die F rage nach den K osten aufgeworfen, bei denen vermutet wird, dass sie sehr hoch sein müssen. Der Zeitaufwand der Mitarbeiter, welche die Messungen in den Versuchsflächen durchführen, dürfte der Hauptkostenfaktor sein. Damit spielt die Grösse der Versuchsflächen und die Anzahl zu messender Bäume eine massgebende 74 Rolle – Grössen die aber nicht beliebig reduziert werden können, da diese wiederum mit den zu untersuchenden Bestandesstrukturen zusammenhängen. Stellt man aber die K osten einzelner Versuchsflächen pro Hektar und J ahr dem Erkenntnisgewinn gegenüber und zieht ausserdem noch den Verlust in Betracht, der entsteht, wenn man die Vorinvestition früherer Messungen nicht ausnützt, zählt die Ertragskunde bei weitem nicht zu den kostenintensiven F orschungsvorhaben (Z INGG 2005b). Gerade die Ausnützung der getätigten Vorinvestitionen durch eine Weiterführung der Versuche ist angesichts der bei den Entwicklungszeiträumen des Waldes immer unsicheren Zukunft (Z INGG 2001) geradezu ein Imperativ. Die hier geforderten hohen Ansprüche an die Kontinuität sowohl in personeller als auch finanzieller Hinsicht bedeuten, dass F orschungsinstitute, welche die Ertragskunde – die «langfristige Langzeitforschung» – als ihre Aufgabe betrachten und die notwendigen Ressourcen dafür bereitstellen, im Vergleich zu Hochschulinstituten besser geeignet scheinen. Ertragskunde steht bis zu einem gewissen Grad im Widerspruch zur gegenwärtigen Schnelllebigkeit der Forschung. 7 Zur Frage im Titel Ulrich Meister hätte die im Titel gestellt F rage wahrscheinlich so beantwortet: Die Ertragskunde ist die Grundlage einer nachhaltigen Ressourcennutzung im Wald! (vgl. dazu SCHÜTZ 1976) Und er hätte mit dieser Aussage recht gehabt und die Quintessenz der Ausführungen hier gezogen. Meisters Betrachtungszeitraum war im Vergleich zu ertragskundlich-waldwachstumskundlichen Zeiträumen allerdings ein kurzer . Ertragskundlichwaldwachstumskundliche F orschung kann im Sinne der Titelfrage nur dann erfolgreich sein, wenn sie Zeiträume abdecken kann, die weit über jene von Praktiker- und F orschergenerationen hinausgehen. Diese Tatsache erfordert ein sehr hohes Mass an Disziplin der Beteiligten, damit die unbedingt erforderliche zeitliche K ontinuität gewährleistet werden kann. Forum für Wissen 2009 Viele ertragskundliche-waldwachstumskundliche V ersuche beschäftigen sich mit Bäumen erst ab einer gewissen Dimension. Ertragskundliche Versuche sind aber immer auch waldbauliche Versuche (Z INGG 2005a). Gerade in den ungleichaltrigen Beständen, denen in den letzten J ahren vermehrt Aufmerksamkeit zuteil wurde, spielt dagegen die Verjüngung eine entscheidende Rolle, v.a. im Hinblick auf die nachhaltige Nutzung der Ressource Wald, sei es hinsichtlich Holz, Schutzwirkung oder der Befriedigung anderer Ansprüche des Menschen. Gerade im Gebirgswald kann es bis zu einem J ahrhundert dauern, bis aus einem Sämling ein Baum mit 8 cm Durchmesser geworden ist. Die nachhaltige Verjüngung ist wohl eine der wichtigsten F ragestellungen für die Zukunft der ertragskundlichen F orschung, der eine hohe Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Für M EISTER (1903) war die Verjüngung kein Problem: «Sowohl die Standortsverhältnisse der Sihltalwaldungen, als diejenigen … der Adlisbergwaldungen sind der natürlichen Verjüngung in vorzüglicher Art günstig». Im ganzen Kapitel «Bestandesbegründung» wird das Wild mit keinem Wort erwähnt. Ebenso wenig war eine Klimaveränderung und ihre K onsequenzen ein Thema. Beide F ragen stellen sich heute aber sehr prominent, Fragen auf welche die Ertragskunde in Hinblick auf die nachhaltige Nutzung in den nächsten J ahrzehnten Beiträge zu ihrer Beantwortung erarbeiten muss. 8 Literatur ASSMANN, E., 1961: Waldertragskunde. München Bonn Wien, BLV. 490 S. BADOUX, E., 1983a: Ertragstafeln. 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Growth and yield research is the “long-term” long-term research of WSL: After the foundation of WSL more than 120 years ago, a network of research plots covering the whole of Switzerland was established by Flury and later also by others . After only 21 years , which in silvicultural terms has to be considered as a very short time, Flury published the first yield table for the main species Norway spruce and beech, a basis for a sustainable management. Engler added the plots in plenter forests and provenance trials and Burger published within 24 years 14 contributions to “wood, leaf area and increment”. With time 91 contributions came together, all, directly or indirectly, with the aim to improve the yield in forest management. Last but not least, results from growth and yield research were a basis to develop efficient forest inventories which are an essential basis for sus tainable management. Even if sustainability is understood broader than described by the classical dimensions “number of trees, “basal area” and “volume”, it is the growth and yield research which provides methods to describe forest stand structures and their changes, also in respect to site . Growth and yield can provide possible solutions and answers. Maybe the most essential answer to the question in the title is this: forests are adaptable ecosystems, composed of trees which are for their part adaptable organisms. Keywords: growth and yield research, management, sustainablity silviculture , long-term research, forest Forum für Wissen 2009: 77–86 77 Ertragskundliche Dauerversuche – Fragen, Wege, Antworten Markus Neumann Institut für Waldwachstum und Waldbau, BFW-Wien, Seckendorff Gudent Weg 8, A-1131 Wien markus.neumann@bfw.gv.at Ertragskundliche Dauerversuchsflächen stellen neben Monitoringflächen und Waldinventuren die unentbehrliche Grundlage für die Erforschung der Wachstumsfaktoren im Wald dar. Nur die Dauerversuche bieten jedoch die experimentellen Möglichkeiten einer kontrollierten Bestandesbehandlung und nur durch sie ist die gesamte Wuchsleistung erfassbar. Die Beobachtung erstreckt sich im Idealfall über die gesamte Umtriebszeit eines Bestandes; die langen Zeiträume, in denen Wachstumsvorgänge im Wald ablaufen, bedingen zumindest eine Beobachtung über Jahrzehnte. Im Laufe der Zeit hat sich der Blickwinkel der forstlichen Forschung – insbesondere durch ökologische und ökonomische Veränderungen – gewandelt. Neue Fragen sind aufgetreten, während andere – vor hundert Jahren sehr wesentliche – in den Hintergrund gerückt sind. Der Beitrag beschreibt die eingeschlagenen Wege an Hand der Entwicklung von Versuchsplänen, Messinstrumenten und Aufnahmeverfahren und zeigt bislang erhaltene Antworten. 1 Einleitung Dauerversuchsflächen sind die Datengrundlage der Waldwachstumsforschung. Nur Dauerversuche bieten die experimentellen Möglichkeiten einer kontrollierten Bestandesbehandlung und nur sie sind in der Lage , die Gesamtwuchsleistung zu erfassen, was aufgrund fehlender Vorinformationen zum ausscheidenden Bestand weder von temporären noch von permanenten Stichprobeninventuren erbracht werden kann. Die notwendige Beobachtung von Dauerversuchsflächen erstreckt sich im Idealfall über die gesamte Umtriebszeit eines Bestandes . Der vorliegende Beitrag soll die Bedeutung der langfristigen Dauerversuche herausstreichen und ihre weitere Erhaltung sicherstellen. Versuchsziele sowie die damit verbundenen V ersuchsprogramme für Dauerversuchsflächen dürfen nicht nur von den aktuellen ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen abgeleitet werden. Sie müssen auch aus derzeitiger Sicht noch nicht relevante Entwicklungen berücksichtigen und dürfen bestehende Versuchsziele nicht beliebig gerade aktuellen Zielen oder Notwendigkeiten opfern. Auf längere Sicht ergibt sich der Vorteil, dass die Reaktionsmuster der Bäume bzw . der Bestände bezüglich neuer F ragestellungen analysiert werden können und damit auch neue F ragen auf der soliden Basis der gemachten Beobachtungen beantwortbar werden, zum Beispiel ganz aktuell im Zeichen des prognostizierten Klimawandels. 2 Grundlage für waldbauliches Handeln Seit der Begründung der forstlichen Ertragslehre bzw . Waldwachstumsforschung stellte diese die im Ökosystem Wald ablaufenden Wachstumsvorgänge in ihren F orschungsschwerpunkt, um diese quantitativ und qualitativ zu erfassen, in Modellen abzubilden und damit die Grundlage für Waldbauentscheidungen zu liefern (A SSMANN 1961; PRETZSCH 2002). Dieses Interesse war wesentlich – aber nicht ausschliesslich – durch die wirtschaftliche Bedeutung der forstlichen Produktion (des Holzes) bestimmt. Daher standen der Verlauf des Wachstums über der Zeit bzw. mit zunehmendem Alter und die sich ändernden Messgrössen (Baumhöhe, Durchmesser , Kronenradius usw.) im Zentrum des Interesses. In Waldbeständen wird der Vorrat durch das Wachstum nicht nur kontinuierlich vermehrt, sondern durch natürliche Mortalität und Entnahmen auch verringert. Unter Einrechnung dieser Vorratsabgänge ergibt die Differenz zwischen zwei Zustandserfassungen den periodischen Zuwachs: je nach Periodendauer also den jährlichen, den 5- oder 10-jährigen laufenden Zuwachs (lZ). Das bis zu einem bestimmten Zeitpunkt insgesamt – unter Einrechnung aller Abgänge – geleistete Wachstum wird als Gesamtwuchsleistung (GWL) bezeichnet und der daraus bis zu diesem Zeitpunkt abgeleitete mittlere Zuwachs als durchschnittlicher Gesamtzuwachs (dGZ). Ein üblicher Bezugszeitpunkt ist das Alter 100, dementsprechend die GWL 100 bzw. der dGZ100. Die Beeinflussbarkeit dieser K enngrössen durch Bewirtschaftungsmassnahmen und deren Prognose unter verschiedenen äusseren Bedingungen bilden die Entscheidungsgrundlage für alle waldbaulichen und forstbetrieblichen Massnahmen. Die Aufbereitung der Erkenntnisse – anfangs statisch in Tabellen und Tafelwerken, nun dynamisch in Form von mathematisch-statistischen Modellen – ist Hauptaufgabe der forstlichen Ertragslehre bzw. Waldwachstumsforschung. Im Wesentlichen wurden und werden diese Erkenntnisse aus drei Quellen abgeleitet: 1) Stichprobeninventuren, 2) J ahrring- und Stammanalysen sowie 3) forstlichen Dauerversuchen. Zwischen diesen drei Herangehensweisen gibt es Übergänge und K ombinationen: So ermöglichen Bohrkernauswertungen auch bei einmaligen Inventuren Zuwachsschätzungen. Die Einbeziehung von dendrochronologischen Informationen ermöglicht eine jahresspezifische Aufteilung von periodischen Zuwachswerten in klassischen Dauerversuchen. Mit Wuchsrei- 78 hen kann zwar die zeitliche Abfolge einer Entwicklung ersatzweise in einem räumlichen Nebeneinander erfasst werden, allerdings sind die Ergebnisse von mangelnder Standortskonstanz und unbekannten Behandlungsunterschieden in der Vergangenheit beeinflusst. 3 Ertragskundliche Dauerversuche 3.1 Charakteristik der Dauerversuche Ausgangspunkt für Versuche oder Experimente ist die Entwicklung einer Hypothese; von dieser leitet sich dann eine F rage ab . Dieser F rage wird in Versuchen nachgegangen, bei denen die Reaktion(en) auf definierte Behandlungen beobachtet werden. Damit werden Vermutungen oder Annahmen abgesichert oder verworfen. Von zentraler Bedeutung ist der Wunsch, Reaktionen auf bestimmte (plangemässe) Veränderungen erkenntlich zu machen: Das unterscheidet Versuchs- von Beobachtungsflächen. In der naturwissenschaftlichen F orschung steht der Dauerversuch zwischen den unter Laborbedingungen kontrollierten Experimenten und der Beobachtung einer mehr oder weniger unbeeinflussten Entwicklung beim Monitoring. Die Durchführung eines forstlichen Versuchs bedarf einer langfristig definierten Behandlung . Dadurch unterscheidet er sich vom Monitoring . Unabdingbar dafür ist nach der Planung eines Versuchs die konsequente Durchführung durch Einhaltung des Versuchsplans und die kontinuierliche Erfassung der Reaktion. Je eindeutiger die Behandlungsvarianten, die wenn möglich auch quantitativ festgelegt werden können, desto grösser sind die Erfolgsaussichten. Störfaktoren werden nach Möglichkeit minimiert. Sie sind jedoch bei langfristigen Freilandversuchen unvermeidbar (z. B. Schneebruch, Witterungseinflüsse, Standortsunterschiede , …). Neben der kontrollierten Bestandesbehandlung ist die Erfassung der Reaktion durch Zielgrössen entscheidend: J e nach F rage haben unterschiedliche Zielgrössen verschiedene Bedeutung, zum Beispiel gesamte Bio- Forum für Wissen 2009 masse oder sägbares Stammholz. Auch die F rage der Standardisierbarkeit in Verbindung mit dem erforderlichen Aufnahmeaufwand ist entscheidend für die Auswahl. Quantitative, metrisch skalierte Variable sind als Zielgrössen – wo immer nur möglich – zu bevorzugen. Anhand welcher Zielgrösse die Reaktion erfasst wird, muss vor Versuchsbeginn festgelegt sein. Einige dieser Zielgrössen sind Zustandsparameter, andere zumeist abgeleitete beschreiben die Veränderung in einem Zeitraum: Gesamtwuchsleistung und durchschnittlicher Gesamtzuwachs sind nur durch eine kontinuierliche Aufzeichnung über die gesamte Umtriebszeit erfassbar . Der F rage nach der Nachhaltigkeit der Produktion kann nur durch Beobachtung über mehrere Umtriebszeiten bzw . Generationen nachgegangen werden. Die wesentlichsten und standardmässig erfassten Parameter , mit Hilfe derer die Zielgrössen abgeleitet werden, sind am verbleibenden Bestand: Baumart, BHD, Höhe, soziale Stellung, Stamm- und Kronenbeschreibungen, Baumkoordinaten, Kronenablotungen; am Aushieb: BHD , Länge , Kronen ansatz, Kronenbreite , sektionsweise Durchmesser, Reisiggewicht, Aushiebsgrund, Holzqualität (Fäule). Bemerkenswert ist, dass in den Anfangszeiten des V ersuchswesens der A ushieb wesentlich detaillierter erfasst wurde als der verbleibende Bestand, dies einerseits aus arbeitstechnischen Gründen und andererseits weil sich aus der Summierung aller Entnahmen die Gesamtleistung ergibt. Versuchspläne (Arbeitspläne) wurden zu unterschiedlichsten Fragen entwickelt und mit den anderen Versuchsanstalten abgestimmt. Sie behandelten Versuchsanlagen zur Durchforstung , Lichtung, Schneitelung , Waldfeldbau, Bewässerung und anderes mehr. Darin wurden das Untersuchungsziel, die beabsichtigte Behandlung , die Flächenanlage (Flächengrösse und Isolierstreifen) und die Aufnahmen beschrieben. An den einzelnen Versuchsorten wurde zwar keine Wiederholung vorgesehen, jedoch wurden Versuche an mehren Orten angelegt (Streuversuche); erst F ISHER (1926) hat auf die Anlage von Wiederholungen zur optimalen Gestaltung von Versuchen hingewiesen. Da ursprünglich die Absicht be- stand, die Versuchsführung den F orstbetrieben selbst zu überlassen, waren sie nach heutigem Empfinden teilweise sehr detailliert. Bald wurde erkannt, dass eine konsequente Versuchsführung nur durch spezialisierte Fachleute und entsprechend eingerichtete Institutionen gewährleistet ist. Diese Erkenntnis führte um die Mitte des 19. Jahrhunderts zur Gründung der F orstlichen Versuchs- und F orschungsanstalten im deutschsprachigen Raum. Auch das aktuell gültige österreichische Forstgesetz sieht als eine Aufgabe des BFW die Anlage und Führung von langfristigen Versuchen sowie Untersuchungen auf Dauerbeobachtungsflächen vor. 3.2 Änderungen der Rahmenbedingungen im Laufe der Zeit Die lange Laufzeit der Versuche kann dazu führen, dass sich die ursprüngliche Frage als nicht mehr zeitgemäss erweist oder neue Fragen hinzukommen. So stand zu Beginn die Massenleistung (Bedeutung der Buche als Brennholz im Wiener Raum) im Vordergrund, während die Bedeutung des Nutzholzes gering war . K onsequenterweise konzentrierten sich die Arbeiten auf den Bestand als K ollektiv; die Ableitung von Summen und Mittelwerten für einen Bestand war primäres Ziel. Erhebungen erfassten am ausscheidenden Bestand alle als Brennholz verwertbare Sortimente; diese lange Zeit nicht geschätzten Daten konnten nun die umfangreiche Basis für die Ableitung von Biomassefunktionen bilden. Andere Fragen wie der im 19. bzw. zu Beginn des 20. J ahrhunderts wichtige Harzertrag, interessieren heute nur mehr marginal. Die damals entwickelten Modelle der Ertragstafeln betrachteten den Bestand als homogene Einheit und konnten daher nur die Gesamtentwicklung des Bestandes abbilden. In den klassischen Durchforstungsversuchen wurde die Durchforstungsstärke nicht individuell, sondern nach den Teilkollektiven der zu entnehmenden Bäume beschrieben (nur absterbende und abgestorbene beim A-Grad, auch unterdrückte beim B-Grad). Ein Umdenken hin zu einer individuellen Betrachtung der Forum für Wissen 2009 Bäume begann erst im 20. Jahrhundert durch S CHIFFEL (1906), M ICHAELIS (1907) und schliesslich S CHÄDELIN (1926), der den Wert der einzelnen Bäume in den Vordergrund rückte und von einer Wendung von der Nutzungszur Erziehungsdurchforstung sprach und damit den Weg zur Auslesedurchforstung eröffnete. Im Laufe der Zeit hat sich der Fokus verstärkt auf die Entwicklung des Einzelbaumes gerichtet. Innerhalb der letzten 30 J ahre kam es in verschiedenen Ländern Mittel- und Nordeuropas zur Entwicklung von EinzelbaumWaldwachstumsmodellen, welche die herkömmlichen Ertragstafeln als Prognoseinstrumente langsam ersetzen. Deren Vorteil ist, dass sie die Bestandesentwicklung über das Wachstum der einzelnen Bäume und nicht, wie in den Ertragstafeln, über die Entwicklung von Hektar- und Mittelwerten beschreiben. Dadurch liefern diese Modelle detailliertere Informationen über die Entwicklung der einzelnen Bäume und somit auch über die Entwicklung der Bestandesstruktur . Letzteres ist angesichts eines allgemeinen Trends zu einer stärker einzelbaumorientierten Waldwirtschaft von zunehmender Bedeutung. Diese Modelle basieren teilweise auf den Ergebnissen von Dauerversuchen oder sie greifen zur Validierung auf Daten von Dauerversuchsflächen zurück. In Österreich wurde das abstandsunabhängige Einzelbaum-Waldwachstumsmodell PR OGNAUS (S TERBA et al. 1995) auf Basis der Waldinventurdaten entwickelt und anhand von Dauerversuchsflächen mehrfach evaluiert. 79 gen bis dahin undurchforsteten Buchenbestand angelegt; es sollte die unterschiedlich rasche Lichtung von Buchenbeständen untersucht werden. Begonnen wurde mit einer Reduktion auf 75, 60 und 45 % der Grundfläche der «Vergleichsfläche». Nicht dokumentiert wird, wie stark die «stark durchforstete» Vergleichsfläche durchforstet wird! Im weiteren Verlauf sollten alle Flächen auf 40 % der Vergleichsfläche reduziert werden. Diese Eingriffe wurden bis 1955 in etwa plangemäss fortgeführt. A uf mögliche A uswirkungen einer Störung der Vergleichsfläche wurde nicht eingegangen. Nur eine kleine Fläche (Fläche V) sollte vollkommen unbehandelt bleiben. Die damals offenbar sehr geringe Bedeutung dieser «Nullfläche» ist schon aus der Flächengrösse ersichtlich (Abb. 1). Standraum-/Durchforstungsversuch Ottenstein In Ottenstein wurde 1969 in einer 14-jähriger F ichtendickung mit 5600 bis 6000 n/ha ein international durch die IUFRO koordinierter Standraum-/ Durchforstungsversuch angelegt, um die Wachstumsreaktion auf unterschiedliche Standraumgestaltung zu untersuchen. Die Behandlung wird durch Stammzahlvorgaben definiert; der Versuchsplan sieht eine deutlich geringere Endbaumzahl und stärkere Staffelungen der Behandlungsvarianten als bei den bis dahin üblichen Versuchen vor . Der zeitliche Verlauf der Behandlungseingriffe wurde zur Erleichterung der internationalen Vergleichbarkeit nicht durch das Alter, sondern durch die jeweils erreichte Oberhöhe vorgegeben (Abb. 2). Ein-Klonversuche Unsere modernste Versuchsreihe zur Frage der Reaktion auf unterschiedliche Konkurrenz wurde 1992 angelegt; sie umfasst drei Wiederholungen auf fünf Versuchsorten. Es soll die Wachstumsreaktion auf unterschiedliche Standraumgestaltung untersucht werden, wobei übrige F aktoren möglichst konstant gehalten sind. Mit geklontem Material, d. h. durch Stecklingsvermehrung erzeugten Pflanzen und zum Vergleich auch aus herkömmlichem Saatgut gezogenes Material wurden drei Varianten mit unterschiedlichen Pflanzverbänden angelegt. Zu vordefinierten Zeitpunkten nach Oberhöhenentwicklung werden sie derart erweitert, dass auf allen drei Varianten schliesslich identische Standraumbe- 3.3 Versuchspläne als Grundlage von Dauerversuchen Drei Beispiele für Versuchspläne werden dargestellt, in denen die Behandlungsvarianten bzw . das Versuchsprogramm festgelegt sind, teilweise mit Situationsdarstellungen kombiniert. Die Beispiele zeigen den unterschiedlichen Detaillierungsgrad dieser Versuchsgrundlagen. Buchenlichtungsversuch Schneegattern Der Buchenlichtungsversuch Schneegattern wurde 1891 in einem 50jähri- Abb. 1. Situationsdarstellung des Lichtungsversuchs «Schneegattern», aus einem Exkursionsführer von 1901. 80 1 7, 16 2 6, 14 3 8, 18 Teil- Keine aktive Baumentnahme 5 5, 17 Vollmechanisierte Holzernte Auslesedurchforstung Oberhöhe (m) 5,0 4 4, 15 6 11 9, 13 1 , 10 Teil- Keine aktive Baumentnahme 12 13 3, 12 2, 11 Teilmechanisierte schematische Reihenentnahme Auslesedurchforstung Anzahl der verbleibenden Bäume je Hektar 2500 10,0 2500 2500 1200 1200 2500 2500 2500 1200 jede 2. Reihe jede 4. Reihe [ca.2530] [ca.3510] 1600 Mittelreihe [ca.2350] 12,5 15,0 17,5 20,0 22,5 900 700 1600 900 900 1200 700 700 700 2 von 4 i.d. Reihe natürliche Mortalität [ca.1360] 900 1600 1200 1200 600 900 25,0 900 27,5 400 400 400 400 500 700 750 Abb. 2. Versuchsplan des Stammzahlhaltungs- und Durchforstungsversuchs «Ottenstein» (http://bfw.ac.at/rz/bfwcms.web?dok=3872). 52 m 33,8 m 15 23 2,6 x 3,0 m einklonig 2,6 x 1,5 m gemischtklonig X Ein-Klonpflanzen mit Mulchplatten 21 12 26 11 25 2,6 x 1,5 m einklonig 5,2 x 6,0 m gemischtklonig 2,6 x 1,5 m einklonig 2,6 x 3,0 m einklonig 2,6 x 1,5 m gemischtklonig 14 2,6 x 3,0 m einklonig X 2,6 x 1,5 m 22 gemischtklonig 13 24 16 2,6 x 1,5 m einklonig 2,6 x 3,0 m gemischtklonig 5,2 x 6,0 m einklonig 41,6 m Feldarbeiten im Laufe der Zeit Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Flächen sehr aufwendig mit Grenzsteinen vermarkt; die Flächenvermarkung eines Versuchs mit vier Parzellen benötigte vier Tage, wie die Tagebuchaufzeichnungen des F orstgehilfen Josef Hutterer zeigen (Abb . 4). Der Flächenbezug war entscheidender als die Identifizierbarkeit von Einzelbäumen, weil es um die Leistung pro Hektar ging . Trotzdem wurden in Österreich bereits relativ früh die einzelnen Bäume mit einer Nummer versehen und eine Markierung der Brusthöhe vorgenommen. Auch wenn die Messhöhen nicht immer ganz normgerecht waren, wie Abbildung 5 zeigt, so reduzierte sich dadurch doch die unerwünschte Variation des A ufnahmeparameters. Versuche ohne identifizierbare Einzelbäume sind mit heutigen Auswertungsroutinen nicht auswertbar. Das wichtigste Instrument war die Kluppe zur Bestimmung von einzelnen Durchmessern; die Berechnung der Bestandesgrundfläche war Basis für alle weiteren A uswertungen. T eilweise wurde nur der «Elitebestand» gemessen, was angesichts der anfangs sehr dichten Buchenbestände verständlich ist, allerdings heute für die Auswertung grosse Probleme birgt. Die Baumhöhen interessierten oft nicht unmittelbar; sie wurden nur an Teilkollektiven gemessen (N EUMANN 1999). Als Basis der Vorratsschätzung wurde an geschlägerten Probestämmen das Volumen sektionsweise oder xylometrisch bestimmt und über die Grundfläche auf den Bestand hochgerechnet (SCHIFFEL 1897). Die Aufzeichnung erfolgte in «F eldbüchern», in denen nebeneinander für mehrere , meist jährliche, Aufnahmen jeweils zwei Durchmesser erfasst wurden. Diese Feldbücher sind eine auch heute noch lesbare Datengrundlage. Die Originalaufnahmen wurden zusammen mit den Auswertungen in sogenannte Lagerbücher übertragen. Vorgeschriebene Baumzahlhaltung nach dem Versuchsprogramm Variante Parzelle natürliche Mortalität dingungen herrschen. Im Gegensatz zu den früheren Versuchsanlagen sollen damit primär Grundlagendaten zur Frage der K onkurrenzbeeinflussung geliefert und nicht unterschiedliche Behandlungsvarianten getestet werden (Abb. 3). Forum für Wissen 2009 42 m Abb. 3. Versuchsanlage des «Ein-Klonversuchs» (http://bfw.ac.at/rz/bfwcms.web?dok=3890). Herbert Schmied entwickelte nach dem 1. Weltkrieg ein Verfahren auf Basis von stehenden Probestämmen. Mit Ausnahme der Astmassenbestimmung wurden dadurch alle Parameter am stehenden Baum erfasst, inklusive einer sektionsweisen Durchmessermessung. Voraussetzung war das Besteigen der Probebäume; dazu wurde Leitern verwendet, die mit der Eisenbahn und anschliessend im Mannschaftszug vor Ort gebracht wurden (Abb. 6). Das Arbeitsverfahren ist bei S CHMIED (1932) beschrieben: Bei fünf Arbeitern und einem Aufnahmeführer schätzte Schmied einen Zeitbedarf von 35 Minuten, also nicht mehr als zehn Bäume pro Arbeitstag! Dieser ernorme Arbeitsaufwand machte eine Verfahrensvereinfachung wünschenswert: Da in den 1960er J ahren durch die Verfügbarkeit von allgemeinen F ormzahlfunktionen sektionsweise Messungen entbehrlich wurden, konnten optische Höhenmessverfahren eingesetzt werden, die allerdings nur beschränkte Genauigkeit hatten (RÖHLE 1994). Da die Entfernungsbestimmung bei der Höhenmessung mit Winkelmessgeräten (Blume-Leiss) entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis hat, wurde von J OHANN (1974) eine Verbesserung der Basislatte entwickelt. In jüngster Zeit erfolgte die Umstellung auf elektronische Messgeräte. Forum für Wissen 2009 81 Abb. 4. Auszug aus dem Tagebuch des F orstgehilfen J osef Hutterer vom 31.7.1902 bis 5.8.1902 anlässlich der Anlage des Durchforstungsversuchs «Speichberg». Abb. 5. Der Durchforstungsversuchs «Speichberg» anlässlich der Wiederaufnahme im Jahr 2002. 4 Ausgewählte Ergebnisse einzelner Dauerversuche 4.1 Grundflächenentwicklung bei der Buche im Vergleich zur Ertragstafel Ziel dieses im J ahr 1902 angelegten Versuchs war gewesen, den Einfluss des unterschiedlichen Durchforstungsbeginns auf die Zuwachs- und Stamm ausformungsverhältnisse in Buchenjungbeständen von etwa 18 bis 21 J ahren zu studieren (SCHMIED 1928). Dazu erfolgte ein erster Eingriff auf einer Parzelle bereits im Jahr 1902 und dann jeweils im dreijährigen Abstand auf den drei übrigen Parzellen. Für die Folgezeit war ein 5-jähriges Intervall beabsichtigt, das jedoch nicht eingehalten wurde . Die Eingriffe wurden als «schwache Hochdurchforstungen» bezeichnet. Die Stammzahlen verringerten sich von 18 000 im Alter 12 auf 4500 bis 5000 Stämme im Alter 30 und schliesslich auf 3400 bis 4000 (im herrschenden zwischen 1700 bis 2300 Stämme) im Alter 45. Informationen zu Durchführungen aus den Versuchsakten: Der Eingriff 1908 erbrachte auf den drei Teilflächen mit gesamt 0,15 ha in Summe 3,3 fm Baumholz von knapp 3350 Stämmen. Es waren bis zu vier Arbeiter beschäftigt; sie benötigten 47 Arbeitstage. Die Durchforstung 1911 auf allen vier Teilflächen mit insgesamt 0,2 ha erbrachte 6,26 fm Baumholz von knapp 3000 Stämmen. Es waren drei Arbeiter be- Abb. 6. Gerätschaften zur Messung stehender Probestämme (SCHMIED 1932). schäftigt; sie benötigten 40,5 Arbeitstage. Die Kosten dafür waren 119,– Kronen, eine Krone von 1911 entsprach 4,50 Euro. Periodisch wurden Revisionsaufnahmen durchgeführt; die Behandlung unterschied sich jedoch auf den einzelnen Parzellen nicht mehr . Die letzte Aufnahme erfolgte im Mai 1961. 1964 wurde der Versuch aufgelassen, da die Fragestellung nicht mehr zeitgemäss erschien und eine Ressourcenkonzentration erforderlich war . Im J ahr 2002 wurde der Versuch jedoch wieder aufgesucht, die Vermarkung der Fläche und die Markierung der Bäume waren auch nach 40 Jahren noch fast vollständig; daher wurde der Versuch wieder aufgenommen. Die Stammzahl hat durch seit 1961 nicht mehr dokumentierte Nutzungen von 1000 bis 1500 auf rund 500 Stämme pro Hektar abgenommen. Die Grundflächenhaltung (Abb . 7) war zwischen den vier Parzellen während der gesamten Beobachtungszeit nur wenig unterschiedlich. Bis zum Alter 80 im J ahr 1961 entsprach die Grundflächenhaltung den Modellvorstellungen der in Österreich in Verwendung stehenden Ertragstafel «Buche-Braunschweig» von M ARSCHALL 82 Kreisflächenentwicklung im Vergleich zur Ertragstafel Buchendauerversuch Speichberg (208) 60 Parzelle 1 Parzelle 2 Parzelle 3 Parzelle 4 50 m2/ha 40 30 Ekl 10 9 8 7 6 20 10 0 0 20 40 60 Alter 80 100 120 140 Abb. 7. Entwicklung der Bestandesgrundfläche am Durchforstungsversuch «Speichberg» im Vergleich zur Ertragstafel Buche-Braunschweig der 4. bis 10. Absolutbonität (dGZ100). Aushieb 2006 im Alter 122 Buchendauerversuch Speichberg (207 und 208) 100 in % der Gesamtmasse (1975) zwischen der 4. und 6. Absolutbonität (dGZ 100). 40 J ahre später (2002) werden jedoch Grundflächen erreicht, die weit über allen Ertragstafelwerten liegen. Erst der von uns vorgenommene starke Lichtungseingriff senkt die Grundfläche wieder auf das Ertragstafelniveau nunmehr der besten Bonität ab . Die 40-jährige Unterbrechung verhindert leider wegen der fehlenden Informationen über die erfolgten Entnahmenmengen Aussagen über die erreichte Gesamtwuchsleistung. Eine Anschätzung lässt Entnahmen von mindestens 150 Vfm/ha erwarten, woraus sich eine GWL von 1100 bis 1200 Vfm/ha im Alter 125 bzw. ein dGZ von etwa 9 bis 10 Vfm/Jahr/ha ergibt. Dieses nicht angezielte Versuchsergebnis beweist, dass die Modellvorstellungen der Ertragstafel von den tatsächlich erreichten Wuchsleistungen deutlich abweichen. Dafür können zumindest drei Gründe angeführt werden: 1) war die Bestandesbehandlung nicht ertragstafelkonform, 2) sind die der Ertragstafel zugrunde gelegten Wuchsverhältnisse von den lokalen Verhältnissen verschieden und 3) können generelle Wachstumsveränderungen in Tafelwerken nicht berücksichtigt werden. Es soll hier aber nicht die Sinnhaftigkeit von «starren» Ertragstafelmodellen prinzipiell diskutiert werden, sondern auf eine mögliche Fehlinterpretation hingewiesen werden: Wenn die geringen Grundflächen der Tafel als maximal erreichbare Bestandesdichte interpretiert werden und als Ausgangspunkt für die Abschätzung von Obergrenzen für Z-Baumzahlen genommen werden, dann führt dies zu viel zu niedrigen Stammzahlen und dementsprechend zu geringen Erlösen. Ein weiteres Versuchsergebnis erwuchs aus der Durchführung des Lichtungseingriffs: diese streng schematischen und daher repräsentativen Entnahmen erbrachten überhaupt keine Furnierqualitätmengen und nur 4 % Bund 26 % C-Qualitäten; der überwiegende Anteil war Industriesortimente oder Brennholz (Abb . 8). Dieser Befund relativiert die allgemeine Erwartungshaltung, einen hohen Anteil an Qualitätsholz erzielen zu können, wenn man bedenkt, dass diese Fläche über 60 J ahre intensiv beobachtet und betreut wurde. Forum für Wissen 2009 80 Versuch 207 Versuch 208 60 40 20 0 Bloch A Bloch B Bloch C IndustrieFaserholz Abb. 8. Holzqualitäten anlässlich des Lichtungseingriffs im J «Speichberg» im Alter 122. 4.2 Wuchsleistung und Holzqualität unterschiedlich begründeter Fichtenbestände Am Hauersteig bei Wien wurde im Jahr 1892 von Cieslar ein Fichtenpflanzweiteversuch mit vier unterschiedlichen Pflanzverbänden angelegt; erst 1923 wurde der Bestand als ertragskundlicher Dauerversuch eingerichtet und mit periodischen Messungen begonnen. Mit einem Alter von 109 J ahren wurde der Bestand 1997 genutzt und die Endaufnahme vorgenommen. Kein anderer ertragskundlich-waldwachstumskundlicher Versuch in Österreich hat so starken Einfluss auf die forstliche Lehre und Praxis genommen. Grundlage dieses Erfolgs war das ahr 2006 auf dem X Versuch innovative Versuchskonzept von Cieslar; letztlich ausgelöst wurde dieser Erfolg aber durch die Entscheidung von POLLANSCHÜTZ (1974), gerade diesen Versuch als ersten mit der damals verfügbar gewordenen Computertechnik ertragskundlich auszuwerten und der forstlichen Praxis bekannt zu machen. Diese Auswertung bis ins Alter von 84 Jahren erbrachte bei einer etwa gleichen Gesamtwuchsleistung der vier Verbandsweiten deutliche Vorteile des weitesten Verbandes hinsichtlich der Stabilität ohne gravierende Qualitätsmängel und bei geringeren Kosten. Die markante F olgerung «Ein klares J a zum Weitverband, zu hoher Stammzahl Nein!» die P ollanschütz daraus zog , trug entscheidend bei zum Umdenken Forum für Wissen 2009 83 standörtlichen Unterschieden nicht ausgeschlossen werden kann. Weiter ist anzumerken, dass ab Alter 80 bei allen Varianten eine etwa gleich hohe Stammzahl und somit ab diesem Zeitpunkt keine Standraumunterschiede mehr gegeben waren. Auch ist zu beachten, dass über die ersten Jahrzehnte des Bestandes keine Informationen vorliegen, in diesem Zeitraum aber eine beträchtliche Anzahl der ursprünglich gepflanzten Fichten (23 % auf Parzelle 1) ausgefallen ist und sich in den Lücken einige andere Baumarten natürlich verjüngt haben. Die unterschiedlichen Aufforstungsdichten beeinflussen die K ostenseite, aber auch die erreichten Wuchsleistungen und Dimensionen; der höchste An- der forstlichen Praxis hin zu stabileren Beständen und kostengünstigeren Pflanzverbänden. Das von Cieslar gewählte Versuchskonzept war für die damalige Zeit revolutionär; er beabsichtigte wohl mit seiner Versuchsanlage die Überlegenheit mittlerer Pflanzweiten (Parzelle 2 und 3 mit 1,5 × 1,5 bzw. 2 × 1 m) gegenüber dem Engverband der Parzelle 1 (1 × 1) nachzuweisen; der 2 × 2 m-V erband der Parzelle 4 wurde wohl nur als «Extremvariante» einbezogen. Eine Anlage von Wiederholungen war damals im Versuchswesen unüblich. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist daher zu beachten, dass keine statistische Absicherung von Unterschieden möglich ist und ein Einfluss von klein- Hauersteig (203) Summe der Vornutzungen 600 Parzelle 1 Parzelle 2 Parzelle 3 Parzelle 4 500 Hauersteig (203) Mittlere Vorratshaltung 1000 Parzelle 1 Parzelle 2 Parzelle 3 Parzelle 4 900 800 700 VfmS/ha 400 VfmS/ha teil an wirtschaftlich verwertbaren Volumen findet sich auf der weitesten Parzelle 4 (Abb. 9). Die Gesamtwuchsleistung im Alter 100 ist hingegen auf der engsten Parzelle 1 am höchsten (1171 Vfm), gefolgt von Parzelle 4 (1117 Vfm) sowie Parzelle 2 und 3 (1069 bzw . 1062 Vfm). Der Grundflächenmittelstamm ist auf Parzelle 4 am stärksten (39,2 cm), erreicht auf Parzelle 1 und 3 Werte von 37,4 bzw. 37,3 cm und ist am schwächsten auf Parzelle 2 (35,8 cm). Auf die Dimension des Aushiebs haben die Pflanzverbände deutliche Auswirkung. Der Vorsprung in der Gesamtwuchsleistung von Parzelle 1 blieb während der gesamten Beobachtungsdauer bestehen, ebenso die Überlegenheit beim Durchmesser von Par- 300 600 500 400 200 300 200 100 100 VfmS/ha 0 0 1400 1300 1200 1100 1000 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 10 20 30 40 50 60 70 Alter 80 90 100 110 120 Hauersteig (203) Gesamtwuchsleistung – Volumen Parzelle 1 Parzelle 2 Parzelle 3 Parzelle 4 0 0 10 20 30 40 50 60 70 Alter 80 90 100 110 120 Hauersteig (203) BHD – Grundflächenmittelstamm cm 45 Parzelle 1 Parzelle 2 Parzelle 3 Parzelle 4 40 35 30 25 20 15 10 5 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 Alter 0 0 10 20 30 40 50 60 70 Alter 80 90 100 110 120 Abb. 9. Die wesentlichsten Leistungsparameter des Fichten-Pflanzweiteversuchs «Hauersteig» mit vier Pflanzweiten von 1× 1, 1,5 × 1,5, 2 × 1 und 2 × 2 m (http://bfw.ac.at/rz/bfwcms.web?dok=4052). 84 Forum für Wissen 2009 terschiede nach der P osition am Stammquerschnitt bzw . nach der Abschnittshöhe am Stamm grösser als zwischen den Parzellen bzw. Pflanzweiten (Abb . 10). Die F estigkeitsparameter nehmen vom Stammzentrum nach aussen hin zu, eine Korrelation mit den abnehmenden Jahrringbreiten ist gegeben. Nur das Schwindverhalten ist aussen grösser, also technologisch ungünstiger als im Stamminneren. Von den drei Abschnittshöhen hat sich die mittlere aus dem Bereich von 5 bis 6 m als beste herausgestellt. Die hier gemessenen F estigkeitswerte liegen etwas unter den Normvorgaben für «Gutes Bauholz» (T ab. 1). Dies ist für rasch wachsende F ichten aus einem Laubwaldgebiet nicht weiter überraschend. Der bei Versuchsende real erzielte Holzpreis entsprach dem generellen zelle 4. Das unterstreicht die Meinung , dass vor allem frühzeitige Standraumeingriffe grosse und langfristige Effekte haben. Diese Vorteile waren zum Zeitpunkt der Erstpublikation 1974 in der F orstpraxis noch nicht allgemein anerkannt. Aus heutiger Sicht werden Pflanzenzahlen von 2500/ha auf entsprechenden Standorten hingegen bereits als obere Grenze angesehen; hier hat in den letzten 30 J ahren ein klares Umdenken stattgefunden. Die Endnutzung 1997 ergab die Möglichkeit, erstmalig auch Holzproben von Beständen mit langjährig nachvollziehbarer Bestandesgeschichte einer holztechnologischen Beurteilung zu unterziehen (N EUMANN 2004). Insbesondere sollte untersucht werden, ob zum Zeitpunkt der Endnutzung Unterschiede in den technischen Holzeigenschaften nachweisbar sind und ob sich der Effekt in unterschiedlichen Stammhöhen und Positionen verschieden darstellt. Juveniles Holz sollte stärker von den ursprünglich unterschiedlichen Pflanzweiten beeinflusst sein als Holz, das zu einem Zeitpunkt gebildet wurde , zu dem sich die Bestandessituation auf den vier Parzellen bereits weitgehend angeglichen hatte. Einzelne F aktoren sind auf bei der engsten Variante (Parzelle 1) am günstigsten, generell sind jedoch die Un- 50 Jahrringbreite mm Schwindung tangential % Schwindung radial % Rohdichte trocken kg/m³ Druckfestigkeit N/mm² Biegefestigkeit N/mm² E-Modul N/mm² 233 153 195 159 40 30 20 Abschnittshöhe: 26 32 31 25 26 23 2 3 Parzelle 1 2,25 9,1 4,9 444 37,6 77,6 11 670 60 2 18 26 21 4 3 2 4 4 3 3 3 3 Maximum Parz. Ö-Norm 2,46 9,5 5,2 458 39,6 82,4 12 630 4 2 2 2 1 2 2 7,8 3,6 430 44,0 95,0 12 500 Position 49 233 50 3 12 171 40 30 231 73 N =18 25 27 1 2,36 9,3 5,1 453 38,6 79,2 12 076 70 49 20 31 Die Frage der Nachhaltigkeit wird unterschiedlich gesehen; einerseits wird beschleunigtes Wachstum für viele Bereiche Europas bestätigt (K ARJALAINEN et al. 1999), andererseits wird auch darauf hingewiesen, dass aufeinanderfolgende Generationen – insbesondere von Fichtenbeständen – negative Auswirkungen auf die erreichte Wuchsleistung haben können. Um zu dieser F rage beizutragen, wurden im Bereich von langfristig zwischen 1892 und 1958 beobachteten Mittel Minimum Parz. Druckfestigkeit (N/mm2) Druckfestigkeit (N/mm2) 60 4.3 Wuchsleistung aufeinanderfolgender Bestandesgenerationen Tab. 1. Die wichtigsten holztechnologischen Eigenschaften (Mitte , Minimum und Maximum) im Vergleich zu den österreichischen Normvorgaben für «Gutes Bauholz». Abschnittshöhe 70 Preisniveau; vom Holzeinkäufer wurden keinerlei Qualitätsunterschiede festgestellt. 20 73 N =20 27 23 1 Position: 204 267 27 32 30 24 22 28 2 3 Parzelle 1 2 246 21 22 22 4 3 Abb. 10. Druckfestigkeit von Holzproben der vier Parzellen des F ichten-Pflanzweiteversuchs «Hauersteig» nach drei Entnahmenhöhe am Stamm (links) und drei Entnahmepositionen am Querschnitt (rechts). Forum für Wissen 2009 85 Dauerversuchen die nach der Endnutzung des Untersuchungsbestandes aufgewachsenen und mittlerweile etwa 50-jährigen F olgebestände untersucht (RÖSSLER, in Vorb). Für Vergleiche konnten einerseits Bestandesmessungen, aber auch Stammanalysen aus den Vor- und F olgebeständen verwendet werden. Es hat sich gezeigt, dass die folgende Bestandesgeneration durchwegs höhere Wuchsleistungen aufweist als die ehemaligen V ersuchsbestände. Dies konnte sowohl durch die ertragskundlichen Erhebungen als auch anhand der Stammanalysen aus beiden Bestan- Langbathsee (Nr. 221) Gesamtwuchsleistung (Vfm i.R.) 1600 Ödensee (Nr. 102) 1600 1400 1944 Folgebestand 800 1999 600 1890 200 0 20 40 60 80 Alter 100 120 140 800 800 Dauerversuch Folgebestand 1999 1906 400 200 200 0 20 40 60 80 Alter 100 120 140 1903 600 400 0 Dauerversuch 1000 600 400 1958 1200 1942 1000 Dauerversuch Thiersee (Nr. 115) 1400 1200 1000 von Beginn an zu sehen, in Thiersee wird nach 26 J ahren ein Höhenvorsprung von etwa 6 Metern erreicht (Abb. 12). Neben der Höhe konnte in den F olgebeständen auch ein stärkeres Dikkenwachstum nachgewiesen werden, was zusätzlich zu einer höheren Massenleistung führt. Bei der GWL wird am Versuchsort Ödensee mit 50 Jahren die Leistung erreicht, die der vormalige Dauerversuch erst im Alter 80 erreichte, am Versuchsort Langbathsee die GWL im gleichen Lebensalter um etwa 200 Vfm übertroffen; für Thiersee ist die Überlegenheit weniger deutlich. 1600 1400 1200 0 desgenerationen nachgewiesen werden. Als Beispiel sind einerseits die Gesamtwuchsleistung (GWL) der Dauerversuche mit den einmalig erhobenen Bestandesvorräten und andererseits die Höhenentwicklungen auf den drei Untersuchungsorten Langbathsee, Ödensee und Thiersee dargestellt (Abb. 11). In Langbathsee verläuft die Baumhöhenentwicklung im Vor- und Folgebestand nur anfangs ähnlich, mit zunehmendem Alter entwickelt sich die Höhe in den F olgebeständen deutlich rascher . Auf den beiden anderen Versuchsorten ist der grössere Höhenzuwachs in den Folgebeständen bereits 0 Folgebestand 1999 0 20 40 60 80 Alter 100 120 140 Abb. 11. Gesamtwuchsleistung in Vorratsfestmeter Schaftholz mit Rinde der Versuchsbestände im Vergleich zu den Nachfolgebeständen. Langbathsee (221) Stammanalysen 1947 und 1997 Höhenentwicklung Höhe (m) 35 Ödensee (102) Stammanalysen 1948 und 1996 Höhenentwicklung 35 35 30 30 30 25 25 25 20 20 20 15 15 15 10 10 10 5 5 5 0 0 20 Vorbestand 40 60 BHD-Alter 80 100 0 0 20 40 60 BHD-Alter 80 Thiersee (115) Stammanalysen 1954 und 1996 Höhenentwicklung 100 0 0 Folgebestand Abb. 12. Verlauf des Höhenwachstums der Versuchsbestände im Vergleich zu den Nachfolgebeständen. 20 40 60 BHD-Alter 80 100 86 5 Folgerungen Folgende Erfahrungen konnten aus den bisherigen Versuchsarbeiten und Auswertungen gewonnen werden: – Eine möglichst kurz und klar formulierte F rage, anhand welcher Zielgrössen welche Behandlungsvarianten untersucht werden sollen, ist Voraussetzung für eine erfolgsversprechende Versuchsführung. – Versuchspläne sollen die gesamte Versuchdauer umfassen; sie müssen mit den vorhandenen Mitteln umsetzbar sein und eingehalten werden («Versuchsplantreue»). Es darf bei der Versuchsführung nicht kurzfristigen «Modetrends» nachgegangen werden. Die Versuchsführung (die Behandlung und die Aufnahmen) muss konstant bleiben; flexibel kann jedoch die Auswertung gestaltet werden. – Unterschiedliche Teilkollektive bringen zwar Erleichterung bzw. Einsparungen bei den F eldaufnahmen, erschweren aber die Auswertung und bergen die oft unbemerkte Gefahr von verzerrten Aussagen, wenn beispielsweise die Höhenmessung auf Aushiebsstämme beschränkt wird. – Nur standardisierbare Aufnahmeparameter zur Reaktionserfassung verwenden. Messbare , metrische Parameter sind am günstigsten, intervallskalierte sind nominalskalierten vorzuziehen. Bei Langzeitversuchen kann die erforderliche Vergleichbarkeit über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg nur mit metrischen Variablen erreicht werden. – Eventuell wünschenswerte oder notwendige Methodenveränderungen/verbesserungen dürfen die Vergleichbarkeit nicht einschränken. – Die Erfahrung zeigt, dass langfristig nur einfache Daten verfügbar bleiben bzw. verwendet werden; auch die Datenstrukturen sollen möglichst einfach sein. – Die V erfahrensdokumentation ist von wesentlicher Bedeutung (Metainformation), gerade das was man aktuell für eindeutig hält, muss für die Zukunft dokumentiert werden. – Eine ständige Bearbeitung zeigt frühzeitig V erbesserungsbedarf auf, obwohl man prinzipiell am Versuchsplan festhalten soll. Ergebnisse dürfen nicht zu früh als endgültig darge- Forum für Wissen 2009 stellt werden (vgl. Wachstum von Exoten, Reaktion auf Durchforstungen oder Düngung). Die Zielgrösse ist bei waldwachstumskundlichen Versuchen meist die Gesamtwuchsleistung; das setzt eine entsprechend lange Beobachtung über die gesamte Umtriebszeit hinweg voraus. 6 Literatur ASSMANN, E., 1961: Waldertragskunde – Organische Produktion, Struktur , Zuwachs und Ertrag von Waldbeständen. München, BLV. 490 S. FISHER, R.A., 1926: The arrangement of field experiments. Journal of the Ministry of Agriculture of Great Britain 33: 503–513. JOHANN, K., 1974: Höhenmessung mittels Blume-Leiss-Höhenmesser bei variabler Entfernung zum Messbaum. F orstwiss. Cent.bl. 93: 86–91. KARJALAINEN, T.; SPIECKER, H.; O. L AROUSSINIE (eds) 1999: Causes and Consequences of Accelerating Tree Growth in Europe. EFI Proceedings No. 27: 285 pp. MARSCHALL, J ., 1975: Hilfstafeln für die Forsteinrichtung. W ien, Österreichischer Agrarverlag. 199 S. MICHAELIS, C., 1907: Gute Bestandespflege und Starkholzzucht. Neudamm Verlag. NEUMANN, M., 1999: Die Bedeutung der Baumhöhe im Wandel der Waldwachstumsforschung. Cent.bl. gesamte F orstwes. 116, 1/2: 3–16. NEUMANN, M., 2004: Holzqualität und Wuchsleistung – Ergebnisse des Pflan- zweiteversuch Hauersteig. Ertragskundetagung Aigen/Schlägl. 77–86. POLLANSCHÜTZ, J., 1974: Erste ertragskundliche und wirtschaftliche Ergebnisse des Fichten-Pflanzweiteversuchs «Hauersteig». 100 J ahre F orstliche Bundesversuchsanstalt. 99–171. PRETZSCH, H., 2002: Grundlagen der Waldwachstumsforschung. Berlin, Parey. 414 S. RÖHLE, H., 1994: Zum Wachstum der Fichte auf Hochleistungsstandorten in Süd bayern. Habilitationschrift, F orstwiss. Fakultät München, Universität München. 299 pp. RÖSSLER, G., in Vorb.: W uchsleistungsvergleiche zwischen Vor- und F olgebeständen langjähriger F ichtendauerversuchsflächen. SCHÄDELIN, W., 1926: Bestandeserziehung . Schweiz. Z. Forstwes. 77, 1–45. SCHIFFEL, A., 1897: Über Bestandesmassenaufnahmen mittelst Probestammverfahrens. Cent.bl. gesamte F orstwes. 23, 109–121. SCHIFFEL, A., 1906: Über Bestandeserziehung. Cent.bl. gesamte Forstwes. 32, 8/9. SCHMIED, H., 1928: Über den Einfluss der Bestandesdichte auf die Bestandeshöhe in jüngeren Buchenbeständen. Cent.bl. gesamte Forstwes. 54, 9: 260–284. SCHMIED, H., 1932: Aufnahme, Berechnung der Ergebnisse und Führung der Aufzeichnungen von Dauerversuchsflächen. Mitteilungen aus dem F orstl. Versuchswesen Österreichs. Heft 42. STERBA H.; M OSER, M .; M ONSERUD, R .A., 1995: Prognaus – ein abstandsunabhängiger Wachstumssimulator für ungleichaltrige Mischbestände . Österr . F orstztg. 5: 19–20. Abstract Long-term growth and yield experiments – questions, directions, answers Along with monitoring plots and forest inventories , long-term growth and yield experiments are essential for researching forest development. However , only growth and yield experiments provide the possibilities to work with controlled treatment, which allows to assess total growth. Ideally , observation covers the whole rotation time of a forest stand; the slow growth processes in a forest require at least decades of observation. The focus of forest growth research has changed over time because of ecological and economic changes. New questions arose while others, which were very important a hundred years ago, moved into the background. Describing the experimental designs and goals , measurement instruments and assessment methods , the direction of forest growth research is outlined and some answers found so far are presented. Keywords: growth and yield, long-term experiment, methods of forest research Forum für Wissen 2009: 87–92 87 Langfristige Waldgrenzen-Forschung am Stillberg – vor lauter Bäumen den Wald noch sehen Peter Bebi1, 2, Frank Hagedorn2, Melissa Martin1, 2, Christian Rixen1, 2, Josef Senn2 und Ueli Wasem2 1 WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Flüelastrasse 11, CH-7260 Davos Dorf 2 WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf bebi@slf.ch, frank.hagedorn@wsl.ch, m.martin@slf.ch, rixen@slf.ch, josef.senn@wsl.ch, ueli.wasem@wsl.ch Am Stillberg wurde in den 1950er Jahren an der Waldgrenze eine Versuchsfläche zur Erforschung der Wiederherstellung des natürlichen Lawinenschutzes errichtet. Der im Jahr 1975 systematisch mit 92 000 Bäumen bepflanzte Hang gibt seither Auskunft über die langfristige Wirkung verschiedener Umweltfaktoren an der alpinen Waldgrenze und über die Möglichkeiten und Grenzen von Hochlagenaufforstungen. Seit einigen Jahren werden einzelne Bäume am Stillberg zudem experimentell mit erhöhten CO2-Konzentrationen behandelt und erwärmt. Damit wurde der Stillberg zunehmend auch zum Experimentierfeld für die Beantwortung von Fragen rund um den Klimawandel. In diesem Beitrag ziehen wir eine Zwischenbilanz über die bisherigen Entwicklungen und zeigen, welche Lehren daraus im Hinblick auf die Bewirtschaftung von Waldgrenzen-Standorten und im Hinblick auf zukünftige langfristige Forschungsarbeiten gezogen werden können. 1971), mikroklimatische Unterschuchungen (T URNER et al. 1975), Böden (BLASER 1980) und Lawinenaktivität (RYCHETNIK 1985). Zudem wurden zahlreiche Begleitstudien durchgeführt, beispielsweise zur Photosynthese und zur Transpiration (HÄSLER 1982) oder zum Wurzel- und Sprosswachstum (TURNER und S TREULE 1983; H ÄSLER et al. 1999). Eine umfassende Übersicht über den Beginn der Stillbergforschung wurde in S CHÖNENBERGER und FREY (1988b) gegeben. 1 Beginn der Stillbergforschung Die Versuchsfläche Stillberg in einem typischen Lawinenanrissgebiet an der alpinen Waldgrenze wurde in den 1950er J ahren im Rahmen des ersten gemeinsamen F orschungsprogramms zwischen den WSL Standorten Birmensdorf und Davos eingerichtet. Das Hauptziel der Versuchsanlage lag zunächst darin, ökologisch und technisch geeignete Verfahren für Aufforstungen in Lawinenanrissgebieten im Waldgrenzenbereich zu finden (T URNER 1985). Nach diversen Vorversuchen wurden im J ahr 1975 mehr als 92 000 Arven, Bergföhren und Lärchen in einem regelmässigen Muster gepflanzt, 400 Schneepegel gesetzt und in einem Drittel der aufgeforsteten Versuchsfläche temporäre Lawinenverbauungen errichtet (Abb . 1). In den darauf folgenden J ahren wurde ein intensives Monitoring dieser Bäume betrieben, im Rahmen dessen die Bäume jährlich ausgezählt, vermessen und bezüglich Schädigungen untersucht wurden (SCHÖ NENBERGER und FREY 1988a). In hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung wurden auch die wichtigsten Klimaparameter und andere Standortfaktoren erhoben, beispielsweise Vegetation (K UOCH 1970), W ind (NÄGELI Abb. 1. Aufforstung in der steilen Lawinenanrisszone am Waldgrenzenstandort Stillberg im Jahr 1975 (Foto: W. Schönenberger). 88 Forum für Wissen 2009 2 Bäume an der Waldgrenze im Wandel von Raum und Zeit Abb. 2. Stillbergfläche im Jahr 2008. Anzahl überlebende Bäume Der nun schon mehr als 30jährige Überlebenskampf der Stillbergbäume an der Alpinen Waldgrenze hat deutliche Spuren hinterlassen. Von den ursprünglich 92 000 gepflanzten Bäumen hatten 1985 noch 57,9 %, 1995 noch 40,2 % und bei der letzten Zustandserfassung im J ahr 2005 nur noch rund 30,7 % überlebt. Dabei hatte sich schon wenige J ahre nach der Aufforstung ein deutliches Muster von günstigen Standorten (mit hohen Überlebensraten und gutem Wachstum) und ungünstigen Standorten herausgebildet (S ENN und S CHÖNENBERGER 2001; Abb. 2). Entscheidend dafür war in den ersten J ahren nach der Aufforstung nicht in erster Linie der Höhengradient der Fläche von 2000 bis 2230 m ü. M., sondern vor allem das durch verschiedene Expositionen und Geländeformen bestimmte Kleinstandortsrelief. Überleben und Wachstum der Bäume war am reich gegliederten Hang insbesondere dort gut, wo der Schnee früh ausaperte, wo die Sonneneinstrahlung während des Sommers hoch war und wo die noch kleinen Bäume nicht durch Hochstauden und Reitgras konkurrenziert wurden (SENN und S CHÖNENBERGER 2001). Innerhalb des allgemein NE-exponierten Hanges waren diese günstigen Kleinstandorte vor allem E- bis SE-exponiert. Dabei zeigten sich im Laufe des Jugendwachstums der Bäume baumartspezifisch wechselnde Reaktionsmuster. Während zu Beginn der Aufforstung alle drei gepflanzten Baumarten gleichmässig vertreten waren, prägen heute vor allem die Lärchen das Bild (Abb . 2 und 3). Bergföhren und Arven wurden in den 1980er J ahren auf ungünstigen, spät ausapernden Kleinstandorten zunehmend vom Triebsterbepilz (Gremeniella abietina) befallen (SENN 1999). Insbesondere die Arven, welche zusätzlich noch von der Ausbreitung des Schneeschüttepilzes (Phacidium infestans) betroffen wurden, kommen deshalb fast nur noch auf sonnenzugewandten und im Winter mit wenig Schnee bedeckten Geländeerhöhungen vor , wo sie auch von Natur aus am besten gedeihen. Als die Stämme der Bäume dicker waren als Arven Bergföhren Lärchen 30000 25000 20000 15000 10000 5000 0 1979 1985 Jahr 1995 2005 Abb. 3. Anzahl überlebende Bäume der drei gepflanzten Baumarten in den J ahren 1985, 1995 und 2005. Bei der Pflanzung im J ahr 1975 waren alle Baumarten in gleicher Anzahl vorhanden. 7 cm, wurden Bergföhren und Arven zunehmend anfälliger auf Stammbrüche durch Schnee bewegungen (HORAK 2004). Lärchen kommen aufgrund ihrer grösseren Elastizität etwas später in dieses Stadium, wurden aber in den letzten beiden Wintern zunehmend durch den Druck von schwerem Schnee entwurzelt. Auch die Bedeutung der verschiedenen Einflussfaktoren auf das Baumwachstum hat sich dabei im Laufe der Jahrzehnte verändert (Tab. 1). Je grösser die Bäume sind, umso weniger sind Wachstumsprozesse durch die Exposi- tion bestimmt, dafür aber durch die Umgebungstemperatur und damit indirekt durch die Höhenlage (T ab. 1). Während im unteren Teil der Fläche die Bäume heute teilweise schon über sechs Meter hoch sind, wachsen sie nur 150 m weiter oben auch 34 J ahre nach der Pflanzung kaum über den wärmenden Bodenbereich hinaus . Während Lärchen und Arven an Standorten mit vielen überlebenden Nachbarbäumen in den ersten J ahren nach der Pflanzung noch stark gewachsen sind, hat sich dieser Effekt nach 1995 umgekehrt (Tab. 1). Dies wurde auch durch Forum für Wissen 2009 89 Tab. 1. Einfluss verschiedener Faktoren (Gelände, Nachbarschaft) auf das Wachstum der drei am Stillberg gepflanzten Baumarten in verschiedenen Zeiträumen. Bemerkungen: Ein positives (negatives) Vorzeichen bedeutet einen positiven (negativen) Einfluss eines Umweltfaktors auf das Wachstum der Bäume im jeweilige Zeitraum. Die Berechnung der Signifikanzen beruht auf ANOVA-Modellen zufällig ausgewählter Bäume unter gleichmässiger Berücksichtigung verschiedener Höhen-, Expositions- und Nachbarschaftsklassen. (Sign. ***: p < 0.001, **: p < 0.01, * < 0.05) Zeitraum Lärchen (Larix decidua) Arven (Pinus cembra) Bergföhren (Pinus montana) 1975–1985 + Anzahl Nachbarbäume *** – Höhe über Meer *** – N-Exposition *** – Höhe über Meer *** 1985–1995 + Anzahl Nachbarbäume * – Höhe über Meer* 1995–2005 – Anzahl Nachbarbäume *** – Höhe über Meer *** – N-Exposition *** – Höhe über Meer *** + Anzahl Nachbarbäume * – N-Exposition * – Höhe über Meer *** + Anzahl Nachbarbäume *** – Höhe über Meer *** dendroökologische Untersuchungen bestätigt, welche zeigten, dass das Dikkenwachstum der Lärchen im unteren Teil der Fläche seit dem J ahr 2002 durch Konkurrenz zwischen den Bäumen eingeschränkt ist (AMOS 2007). Die im Laufe der Zeit wechselnde Bedeutung der ökologischen Einflussfaktoren verdeutlicht die Wichtigkeit langfristiger Zeitreihen für die Waldforschung generell und insbesondere für die Erforschung von WaldgrenzenÖkosystemen, wo ökologische Prozesse wegen niedrigerer Durchschnittstemperaturen allgemein langsamer ablaufen. 3 Wandel von Forschungsschwerpunkten Seit den 1990er J ahre, als Hochlagenaufforstungen in der Praxis sel tener, das Ausmass von natürlicher Waldausdehnung und Klimawandel deutlicher und die Finanzierung von Langzeitforschungsprojekten zunehmend schwieriger wurden, hat eine Verschiebung der Forschungsschwerpunkte am Stillberg stattgefunden. Die Intensität des Monitorings hat drastisch abgenommen, gleichzeitig sind neue Forschungsfelder, insbesondere auch Experimente zur Auswirkung von klimatischen Veränderungen auf Waldgrenzen-Ökotone dazu gekommen. Die gut dokumentierte Versuchsaufforstung am Stillberg mit verschiedenen Baumarten bietet die einmalige Möglichkeit, an der natürlichen W aldgrenze kontrollierte Versuche durchzuführen, da hier gleich alte und gleichmässig angeordnete Bäume jeweils gleicher Herkünfte zur Verfügung stehen. In einem 2001 begonnen Experiment untersuchen F orschende, wie sich der abzeichnende Klimawandel auf die Ökosysteme an der Waldgrenze auswirkt (H ÄTTENSCHWILER et al. 2002). Wissenschafter der WSL, der Universität Basel, und verschiedener ausländischer F orschungsinstitute simulieren hierbei auf das J ahr 2070 extrapolierte atmosphärische CO 2-Konzentrationen und Temperaturen. Sie erhöhen dazu die CO2-Gehalte um 200 ppm (= heute + 50 %) und die Bodentemperaturen um 3 °C. Über perforierte Schläuche erhalten je zehn Lärchen und Bergföhren höhere CO 2-Konzentrationen, die gleiche Anzahl an Bäumen bleibt als Kontrolle unbehandelt. Unter jeweils der Hälfte der Bäume wird der Boden während der Vegatationszeit mittels Heizkabeln um 3 °C erwärmt. Die Wissenschafter untersuchen die Reaktionen des Wachstums, den Nährstoffumsatz, den Schädlingsbefall sowie die Krankheiten der Bäume und die CO 2Bilanz des Bodens (A SSHOF and H ÄTTENSCHWILER 2005; H ANDA et al. 2005; HAGEDORN et al. 2008). Der simulierte Klimawandel wirkte sich unterschiedlich auf die verschiedenen Arten aus. So zeigen Lärchen bei erhöhtem CO 2-Angebot ein um rund – N-Exposition * – Höhe über Meer *** 20 Prozent stärkeres Spross- und Dikkenwachstum. Die Bergföhren steigern ihr Wachstum hingegen nicht (H ANDA et al. 2005 ). Bei ihnen begrenzen F aktoren wie Temperatur und Schädlinge das Wachstum. Die Bergföhren profitierten vom erwärmten Boden. Zwergsträuchern wie der Krähenbeere (Empetrum hermaphroditum) bekam die Wärme hingegen weniger gut. Sie erlitt Schäden durch Spätfrost da sie im Frühsommer zu früh zu wachsen begann (Abb . 4). Auch einige Lärchen wiesen F rostschäden auf , allerdings nicht wegen der Bodenerwärmung , sondern aufgrund des erhöhten K ohlendioxids (M ARTIN et al. in press). Diese Lärchen legten im Vorjahr mehr Reserven an und trieben im F rühjahr eine Woche früher aus. Aus diesen Ergebnissen folgern die Wissenschafter, dass der Klimawandel zu einer Artenverschiebung führen könnte. Erhöhtes CO 2 wirkte sich auch auf den Schädlingsbefall aus: Im Sommer 2007 befielen Tausende Blattläuse vor allem die Bäume unter erhöhtem CO 2. Denn dort fanden sie mehr Zucker . Und das hatte Folgen: Von den Läusen tropfte Zucker auf den Boden, was dort wiederum biologische Abbauprozesse in Gang setzte. Bei Erwärmung um 3 °C setzten aktivere Mikroorganismen im Boden zusätzliche Mengen CO 2 frei, die nicht – wie erhofft – durch eine verstärkte CO2-Aufnahme durch erhöhtes Wachstum ausgeglichen wurden (H AGEDORN 90 Forum für Wissen 2009 Frostschäden (% Deckung) 60 4 Vor lauter Bäumen am Stillberg den Wald noch sehen 50 40 30 20 10 0 AK AW EK EW Abb. 4. Frostschäden bei der Krähenbeere (Empetrum hermaphroditum) bei unterschiedlichen Behandlungsvarianten. AK = Aussen-CO2-Konzentrationen (380 ppm CO2), nicht erwärmt; AW = Aussen-CO2Konzentrationen (c. 380 ppm), erwärmt um 3 °C; EK = Erhöhte CO 2-Konzentrationen (570 ppm), nicht erwärmt; EW = Erhöhte CO2 Konzentrationen (570 ppm), erwärmt um 3 °C. et al. 2009). Mit Isotopenmessungen können die Wissenschafter nachweisen, dass das zusätzlich im Boden freigesetzte CO 2 beim Abbau des Rohhumus freigesetzt wird. Das CO 2, das für die Begasung benutzt wurde , wies nämlich ein anderes Verhältnis der Kohlenstoff-Isotope C-12 und C-13 auf als der im Humus gespeicherte K ohlenstoff. Die Isotopenmessungen ergaben, dass eine substanzielle Menge Kohlenstoff aus dem Boden als Treibhausgas CO 2 in die Atmosphäre gelangte, dass also Humus abgebaut wurde (HAGEDORN et al. 2009). Damit würde dieses Ökosystem bei der zu erwartenden Kilmaänderung zumindest anfänglich zu einer CO 2-Quelle. Wie lange dieser Effekt andauert und welche mengenmässige Bedeutung er hat, werden die nächsten Versuchsjahre zeigen. Auch bei solchen Experimenten wird die Bedeutung von Langzeitversuchen deutlich: Die jährliche Variation von Klimafaktoren und Baumreaktionen ist so gross, dass relevante Folgerungen aus Freilandexperimenten an der Alpinen Waldgrenze oft erst nach mehreren J ahren oder gar Jahrzehnten möglich sind. Die grosse Zahl gepflanzter und beobachteter Bäume birgt eine gewisse Gefahr, dass vor lauter Bäumen und Daten der Wald beziehungsweise der praktische Nutzen der langjährigen Forschung nicht mehr gesehen wird. Dass dem am Stillberg nicht so ist, zeigen wichtige Erkenntnisse zur Hochlagenaufforstung, welche aus der Stillbergforschung abgeleitet wurden (SCHÖNENBERGER et al. 1990) und in die Lehre eingeflossen sind. In gefragten Kursen und Exkursionen wird seit Jahrzehnten der F orstpraxis, den Studenten und Wissenschaftlern die Bedeutung des Kleinstandorts an der oberen W aldgrenze gezeigt. A us der Waldgrenzenforschung wurde zusammen mit den Försterschulen das K onzept der Rottenaufforstung abgeleitet. Nur eine dem Gelände angepasste , zeitlich gestaffelte Pflanzung kann an der Waldgrenze zu langfristigem Erfolg führen. Statt wie früher flächig aufzuforsten, werden heute Ökologie und Kleinstandort bei Aufforstungen im Gebirge stärker berücksichtigt und mit standortgerechten Baumarten bepflanzt. (Beispiel in Abb. 6). Beispielsweise wurden aus den Lehren vom Stillberg im Jahr 1984 in einer Waldbrandfläche im Münstertal zusammen mit dem Forstdienst eine Rottenaufforstung an der oberen Waldgrenze realisiert (SCHÖNENBERGER und W ASEM 1997). Die dort gepflanzten Bäume sind heute vier bis sechs Meter hoch und stabilisieren bereits die winterliche Schneedecke. Wichtige Erkenntnisse für die Praxis konnten auch zur K ombination von Aufforstungen und technischem Verbau und zum Verhalten von Bäumen bei Schneebewegungen im Anrissgebiet abgeleitet werden. Temporäre Holzrechen, wie sie in einem Teil der Aufforstung errichtet wurden, haben sich zwar bei der Stabilisierung der Schneedecke am Stillberg wie auch in anderen Lawinenanrissgebieten bisher gut bewährt (L EUENBERGER 2003). Sie trugen aber gleichzeitig wesentlich dazu bei, dass der Schnee im F rühling länger liegen blieb und dass immergrüne Nadelbäume stärker von pathogenen Pilzen befallen wurden (S ENN 1999; SENN und SCHÖNENBERGER 2001). Resultate aus den neueren Experimenten zur Wirkung von Klimaeinflüssen auf die Bäume sind zwar nicht unmittelbar in die Tat umzusetzen. Vor dem Hintergrund der ablaufenden Klimaänderung könnten aber diese Erkenntnisse bald wichtige praktische Bedeutung bekommen. Wenn beispielsweise in wärmeren Böden mehr Humus abgebaut wird und damit Waldgrenzen-Ökosysteme trotz Erhöhung von Biomasse nicht zu CO -Senken 2 sondern zu CO 2-Quellen werden und wenn verschiedene Baumarten unterschiedlich auf den Klimawandel reagieren, dann sind diese Resultate für ein nachhaltiges Waldmanagement der Zukunft von grosser Bedeutung. Abb. 5. Arbeit an einem Baum des CO 2-Erwärmungsexperiments. Forum für Wissen 2009 91 Dank Wir danken Ruedi Häsler für wertvolle Kommentare zu einer früheren Version des Manuskripts. 6 Literatur Abb. 6. Modell einer Rottenaufforstung mit F ichten im Gebirgswald (W ASEM 2001; S CHÖNENBERGER 2001; Zeichnung: V. Fataar und U. Wasem). 5 Schlussfolgerungen Die Versuchsfläche am Stillberg wurde einst eingerichtet zur Erforschung von Möglichkeiten und Grenzen der Wiederaufforstung an der Alpinen Waldgrenze, um mit den gewonnen Erkenntnissen Lawinenschäden zu verhindern oder mindestens zu reduzieren. Auch wenn einige wichtige praktische Erkenntnisse schon nach wenigen Jahren ersichtlich waren und die F orschungstätigkeit für ein paar J ahre fast aufgegeben werden musste , zeigte sich das eigentliche Potential der Anlage in vielerlei Hinsicht erst J ahrzehnte später. Ökologische Zeitreihen weisen oft so starke Schwankungen auf , dass Extrapolationen aufgrund von einzelnen Versuchsjahren oft zu unvollständigen oder gar falschen Schlüssen führen. Dies gilt insbesondere für Bäume an der Waldgrenze, für deren Wachstum und Überleben im Laufe ihrer Entwicklung verschiedene Einflüsse von wechselnder Bedeutung sind. Dank dem vor mehr als 30 J ahren systematisch angelegten und dokumentierten Versuchsaufbau, können am Stillberg heute und in Zukunft neue relevante Forschungsfragen angegangen werden, welche bei der Errichtung der Fläche noch nicht im Zentrum des Interesses gestanden sind. AMOS, G., 2007: Le rôle de la concurrence à l’étage subalpin supérieur: analyse dendrochronolgique des mélèzes sur la surface d’essai du Stillberg (Davos). Diplomarbeit, ETH Zürich. ASSHOFF, R .; H ÄTTENSCHWILER, S ., 2005: Changes in needle quality and larch bud moth performance in response to CO 2enrichment and defoliation of treeline larches. Ecol. Entomol. 31: 84–90. BLASER, P., 1980: Der Boden als Standortsfaktor bei Aufforstungen in der subalpinen Stufe . Mitt. Eidgenöss . F orsch.anst. Wald Schnee Landsch. 56: 529–611. 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The WSL-research site Stillberg was established in the 1950s to explore suitable ecological and technical measures in avalanche starting zones near the treeline. In 1975, the site was systematically planted with 92 000 trees of different species . Microtopography and in particular duration of snow cover was highly relevant for the survival and growth of trees , but the relative importance of environmental predictor variables were species specific and changed during the juvenile growth of the trees . Results of the long term observations on Stillberg helped to better understand ecological factors in high altitude afforestations . Today the systematic design of the research site still is a solid basis for simulating effects of elevated CO2 and higher temperatures on various ecological processes in the treeline ecotone. Keywords: afforestation, treeline, growth control, CO 2-enrichment, experimental warming Standort. Schweiz. Z. F orstwes. 152: 226–246. 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Online im Internet. (http:// www.wsl.ch/forest/waldman/mfe/wasem/) Forum für Wissen 2009: 93–102 93 Ausgewählte Ergebnisse aus fünfzig Jahren Forschung in Schweizer Naturwaldreservaten Harald Bugmann1 und Peter Brang 2 ETH Zürich, Institut für Terrestrische Ökosysteme, Universitätstrasse 16, CH-8092 Zürich harald.bugmann@env.ethz.ch 2 WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf peter.brang@wsl.ch 1 Die Erforschung von Urwaldresten hat in Europa eine Tradition, die ins 19. Jahrhundert zurück reicht. In der Schweiz wird seit den 1930er Jahren die Entwicklung von Wäldern, in denen der Mensch nicht eingreift, beobachtet. In knapp 40 Reservaten wurde die Entwicklung von über 150 000 Bäumen individuell verfolgt, und zudem wurden Waldflächen wiederholt vollkluppiert. Anhand von Beispielen zeigen wir das Potenzial dieser Inventuren auf: Für den Naturschutz ist die Verfügbarkeit spezieller Habitate interessant, für den naturnahen Waldbau die Entwicklungsdynamik von Bestandesstrukturen, und für die ökologische Grundlagenforschung dienen die Daten dazu, die Genauigkeit und Anwendbarkeit von Simulationsmodellen zu prüfen. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in Europa Urwaldreste unter Schutz gestellt, um die Entwicklung des Waldes unter natürlichen Bedingungen, d.h. in Abwesenheit menschlicher Eingriffe , zu beobachten. Diese Flächen lagen in erster Linie in Ost europa; so wurde 1827 der Ziesbuch-Wald im heutigen polnischen Reservat Cisy-Staro polskje unter Schutz gestellt (Z IELONY 1999), gefolgt von Waldflächen in der heutigen tschechischen Republik bei Zofin im Jahr 1838 (HORT et al. 1999). Diese Unterschutzstellung erfolgte in erster Linie aus naturkundlichem Interesse und Neugier; man war sich der Einzig artigkeit dieser Wälder bewusst. Später kam die Einsicht hinzu, dass die Waldbewirtschaftung sich an natürlichen Prozessen orientieren sollte , d. h. dass man möglichst mit der Natur und nicht gegen sie wirtschaftet. Systematische wissenschaftliche Unter suchungen in Waldreservaten begannen an den meisten Orten aber erst Mitte des 20. Jahrhunderts; in Westeuropa waren die Waldbauprofessoren Hans Leibundgut (ETH Zürich) ab etwa 1940 (vgl. LEIBUNDGUT 1959) und Hannes Mayer (BOKU Wien) ab etwa 1960 weg - weisend (vgl. M AYER et al. 1972). Hinter dem damaligen Eisernen Vorhang wurde ebenfalls in vielen Waldreservaten geforscht, was aber trotz des regen Informationsaustauschs in der IUFRO-Arbeitsgruppe «Urwald» erst nach dem Ende der kommunistischen Regimes im Westen weiter bekannt wurde (z. B. K ORPEL’ 1995). Diese IUFRO-Arbeitsgruppe existiert übrigens heute noch (8.01.01 – «Old growth forests and forest reserves», verantwortlich ist derzeit T. Spies vom US Forest Service). In der Schweiz wurden die ersten Waldreservate auf Initiative von Naturschutzorganisationen und des Schwei15 Anzahl 1 Geschichte der Reservatsforschung zerischen Forstvereins eingerichtet, so 1910 das Reservat Scatlè bei Breil/ Brigels im Vorderrheintal, 1914 der Nationalpark und 1933 das Reservat Aletschwald. Die systematische Erforschung der Walddynamik in Reservaten begann mit vier Waldflächen im Nationalpark (Z INGG und S CHÜTZ 2006) und erfuhr ab etwa 1945 auf Initiative von Hans Leibundgut einen grossen Aufschwung. Im J ahr 1948 wurde das Reservat «Moos» bei Birmensdorf vertraglich gesichert (E IBERLE 1967), und im Lauf der Zeit dehnte Leibundgut die F orschungstätigkeit auf ein schweizweites Netzwerk von 37 Reservaten aus . Die bekanntesten davon sind der Bödmeren wald im Kanton Schwyz, das Reservat im von Charles F erdinand Ramuz literarisch verewigten Talkessel von Derborence sowie die bereits erwähnten Reservate Aletschwald am Rand des Aletschgletschers und Scatlè. Die Reservate dieses Netzwerks waren 0,6 bis 244,8 ha gross, die Mehrzahl aber kleiner als 10 ha (Abb. 1). Die kleinen Reservatsflächen widerspie geln das damals Machbare, aber auch die damaligen Forschungsinteressen: einerseits wurden grossflächige Störungen wie Wind- 10 5 0 <2,0 2,0–4,9 5,0–9,9 Flächengrösse (ha) 10,0–49,9 ≥50,0 Abb. 1. Verteilung der Flächengrössen pro Reservat im ursprünglichen ETH-Reservatsnetzwerk, das von Prof. Leibundgut und seinem Nachfolger Prof. Schütz aufgebaut wurde. 94 Forum für Wissen 2009 wurf, Waldbrand oder Insekten-Kalamitäten noch nicht als Teil der natürlichen Walddynamik angesehen, sondern als aussergewöhnlich; und andererseits war das Interesse auf die Erforschung der zyklischen Entwicklung innerhalb der «Klimaxgesellschaft» ausgerichtet. Aufgrund der Tatsache, dass bis in die 1980er Jahre nur wenige Zeitreihen von mehr als 20 Jahren aus den Reservatsinventuren vorlagen, versuchte man Legende: Jungwaldphase Jungwuchs Dickung Schwaches Stangenholz aufgrund von sorgfältigen Beobachtungen, Kartierungen (Abb . 2) und ersten Inventurergebnissen abzuleiten, wie die Waldentwicklung in den Reservaten abläuft. Leibundgut und andere Wissenschaftler leiteten schematische Darstellungen der Entwick lungsdynamik verschiedener Waldtypen her (Abb. 3). Sie teilten die Waldentwicklung ein in aufeinander folgende Entwicklungsphasen wie die J ungwald-, Häufigkeit • reichlich • häufig – gelegentlich | selten + örtlich Optimale Phase einschichtig zweischichtig mehrschichtig • Optimal- und Alterungsphase des Waldes. Diese Vorstellungen der Waldentwicklung fanden eine weite Verbreitung in den Forstwissenschaften. In der neueren Forschung werden sie anhand konsolidierter Daten aus dem schweizerischen Reservats-Netzwerk und anderen Quellen kritisch überprüft. In einigen Reservaten liegen heute bereits fünf oder sogar sechs Inventuren seit 1956 vor . Auf Dauerflächen Altersphase Zerfallphase beginnend fortgeschritten • • • Erlen ® nicht bestockt • Verjüngungsphase Abb. 2. Kartierung der Entwicklungsphasen in der untersten Höhenstufe des Reservats «Scatlè» (ca. 3,2 ha) durch HILLGARTER (1971) (abgeändert). Forum für Wissen 2009 (Kernflächen) wurden alle Bäume im Reservat nach einem vorgeschriebenen Protokoll vermessen (L EIBUNDGUT 1959): der Stammdurchmesser auf 1,3 m über Boden, die Vitalität der Bäume und andere Grössen wurden aufgenommen; bei einem Teil der Bäume wurde auch die Höhe gemessen. Die Inventuren fanden je nach Baumarten, Höhenlage und Entwicklungsgeschwindigkeit der Wälder alle 5 bis 12 Jahre statt. Wichtige Erkenntnisse aus diesen Arbeiten waren unter anderem, dass der Holzvorrat im Naturwald auf grösseren Flächen über die Zeit recht konstant ist, und dass die Baumgenerationen sich überlappen. Dies waren wichtige Impulse für den «naturnahen Waldbau» (BRANG 2005). Obwohl die Bewirtschaftung in den meisten Reservaten bereits J ahrzehnte vor ihrer Unterschutzstellung extensiviert oder sogar ganz eingestellt worden war , zeigen die bisher erhobenen Inventurdaten, dass die meisten Reservate sich noch in der Optimalphase befinden, d. h. die Grundfläche nimmt zu und die Stammzahl ab . Dicke Bäume sind in den meisten Reservaten (noch) selten, und natürliche Zerfallsphasen infolge Störungen durch Windwurf oder Borkenkäfer sind die Ausnahme. Tabelle 1 illustriert diese Situation: Im Reservat J osenwald am Walensee ist der lebende Vorrat auch heute noch geringer als der gesamtschweizerische Durchschnitt gemäss Landesforstinventar, da in diesem Reservat im 19. Jahrhundert eine ausgedehnte Kahlschlagwirtschaft verbreitet war (vgl. RÖTHELI 2007 und T EMPERLI et al. 2008); der liegende Totholzvorrat hingegen ist bereits beachtlich hoch, was auf vergangene Störungsereignisse wie Windwurf deutet; entsprechend gibt es bereits eine grosse Anzahl von naturschützerisch wichtigen Habitatstrukturen wie Spechtlöcher , Höhlen mit Mulmkörper und Kronentotholz (vgl. BRANG et al. 2008). Im Reservat Scatlè ist der lebende Vorrat bereits sehr hoch, ebenso der Totholzvorrat. Einzelne Störungen sind aufgetreten: Bereits in den 1980er J ahren entstanden Käferlöcher, und später kamen Schneebruch, Windwurf und Lawinen dazu. Solche Störungen können in Zukunft die Waldstruktur innert kürzester Zeit umkrempeln. Im Reservat St. Jean am Chasseral schliesslich sind die Spuren 95 Abb. 3. Schema der Entwicklungsdynamik in der Klimaxgesellschaft der Fichtenwälder der höheren Lagen in den Westkarpaten (aus KORPEL’ 1995). Tab. 1. Forstliche und ökologische K ennzahlen aus drei Reservaten des ETH-Netzwerks; Daten aus den letzten Inventuren von ETH resp . WSL; «Habitatstrukturen» beziehen sich auf Phänomene wie Spechtlöcher, Kronentotholz, Höhlen mit Mulmkörper am Stamm (vgl. BRANG et al. 2008). Reservat Variable Wert Einheit Josenwald lebender Vorrat Totholz stehend liegend 230–260 5–8 m 50–100 60–120 m3/ha 3 /ha m3/ha /ha stehend liegend* 600–800 100–130 125–250 11 m3/ha m3/ha m3/ha /ha Habitatstrukturen Scatlè St. Jean lebender Vorrat Totholz «Giganten» (BHD>80 cm) * basierend auf Erhebungen im Rahmen von studentischen Praktika der ETH Zürich in den Jahren 2007 und 2008. der früheren Beweidung noch gut sichtbar: Es gibt eine grosse Anzahl von solitär aufgewachsenen, dicken Fichten und Bergahornen, welche einen Stamm durchmesser von mehr als 80 cm aufweisen. 2 Fallbeispiele der Waldentwicklung gemäss Inventuren 2.1 Strukturkonstanz im Reservat St. Jean (Chasseral) Im Reservat St. Jean am Nordhang des Chasseral (1330–1420 m ü. M.), einem Ahorn-Buchenwald, wurde 1960 die erste Inventur (Vollkluppierung auf 7,8 ha mit Kluppschwelle 4 cm) durchge- führt. Die J ahresmitteltemperatur beträgt 4,5 °C, der Niederschlag liegt vermutlich wesentlich höher als bei der Gipfelstation des Chasseral mit 1155 mm/Jahr gemessen, da der Nebelniederschlag und die zum Teil sehr grossen Schneeverfrachtungen im Reservat in dieser Zahl nicht berücksichtigt sind. Geologisch stockt das Reservat auf Jurakalken, wobei F elsbänder ständig Schutt zuführen, woraus sich die spezielle Waldgesellschaft erklärt. Der Bestand dürfte vor der Reservatsgründung (1957) beweidet worden sein, was sich noch heute in der Waldstruktur und -textur äussert, einerseits durch den Wechsel von Offenflächen und bestockten Partien, andererseits durch das Vorhandensein vieler sehr dicker Bäume (vgl. weiter oben). 96 Forum für Wissen 2009 Die Grundfläche der lebenden Bäume hat zwischen der ersten (1960) und der neusten (2008) Inventur von 31,1 auf 35,4 m 2/ha zugenommen; die toten stehenden Bäume hatten 2008 eine Grundfläche von lediglich 1,9 m 2/ha. Auch die Stammzahl hat leicht zugenommen, von 449 auf 510/ha. Die Stammzahlverteilung (Abb. 4) und damit die Waldstruktur haben sich innert knapp 50 J ahren nur wenig verändert. Immerhin haben in dieser Periode sehr dicke Bäume stark zugenommen. Auch ist Verjüngung in Gang gekommen, d. h. die Anzahl Bäume in der untersten Durchmesserklasse hat stark zugenommen; dabei dominieren Bergahorne und Salweiden, welche in den Bestandeslücken aufkommen (W iederbewaldung). Im J ahr 2008 lag der lebende Vorrat im Reservat bei 315 Vfm/ha*, wovon 78 % Fichten und 16 % Bergahorne waren. Der sehr hohe Fichtenanteil erklärt sich einerseits durch die ehemalige Beweidung (wenig bevorzugte Viehnahrung, gutes Keimbett für die F ichte wegen des Tritts), andererseits aber auch durch den erwähnten Schnee reichtum und die kühle Lage. * Vfm = Volumen-Festmeter, ein Schätzwert für Kubikmeter (m 3) des stehenden Baumes. In der letzten Inventur (2008) wurden erstmals das liegende Totholz und die naturschützerisch wichtigen Habitatstrukturen erhoben. Der liegende Totholzvorrat beträgt lediglich 16 m3/ha (V ollerhebung in den K ernflächen auf 2,1 ha, nicht im gesamten Reservat); Habitatstrukturen wurden 14/ha gefunden, 8/ha an Laubbäumen und 6/ha an F ichten. Sie traten damit an jedem dritten Laub baum mit BHD ≥ 36 cm auf , aber nur an jeder achten Fichte. Die häufigste Habitatstruktur waren Löcher am Stamm mit 5/ha. Die Daten aus dem Reservat St. Jean zeigen, dass die Waldentwicklung langsam abläuft und auch beinahe 50 Jahre noch eine kurze Periode darstellen, in welcher sich das Waldbild (in Abwesenheit von grossflächigen Störungen) nicht drastisch ändert. In weiteren 50 Jahren könnte das aber anders aussehen, wenn die F ichten zu echten «Giganten» werden und zunehmend ausfallen. 2.2 Baumarten-Diversität in sechs Buchenwald-Reservaten Statt sich auf ein einzelnes Reservat zu konzentrieren mit der Auswertung der Inventurdaten, kann es lohnend sein, Reservate zu vergleichen resp . die Inventurdaten gemeinsam auszu werten. HEIRI (2009) hat dies unter anderem für ausgewählte Buchenwaldreservate des Mittel landes und J uras getan; die Auswahlkriterien waren in erster Linie die Datenqualität und die Länge der verfügbaren Datenreihen. Die sechs Reservate (T ariche Haute Côte & Tariche Bois Banal JU , Weidwald & Unterwilerberg AG, Adenberg & Fürstenhalden ZH) stellen einen Stand ortsgradienten von kühl-feucht zu warm-trocken dar; sie weisen J ahresmitteltemperaturen zwischen 7,6 und 8,9 °C und jährliche Nieder schlagssummen zwischen 1276 und 910 mm auf . Die Inventuren reichen bis ins J ahr 1960 zurück und umfassen mindestens 23 (Fürstenhalden) und höchstens 38 Jahre (Weidwald). Die Analyse zeigt eine Reihe von bemerkenswerten Eigenschaften der Reservate: 1) Die «Buchenwälder» sind durch eine sehr grosse Variabilität der Baumarten gekennzeichnet, von fast reinen Buchenbeständen (Fürstenhalde) bis zu sehr diversen Bestockungen wie in Weidwald oder in Unterwilerberg (Abb . 5); ob diese Unterschiede auf standörtliche Unter schiede oder auf die ehemalige Bewirtschaftung zurückzuführen sind, konnten HEIRI et al. (2009) nicht eindeutig klären. 2) Ähnlich wie im Reservat St. J ean zeigte sich, dass die Waldstruktur sich innerhalb weniger J ahrzehnte nicht drastisch ändert. 3) Die Anzahl der vorkommenden Baumarten hat in allen Reservaten stark abgenommen (minimal bis 20 %, maximal bis 30 %). Dies 500 1960 2008 450 400 Stammzahl/ha 350 300 250 200 150 100 50 0 4–7 8–11 12–15 16–19 20–23 24–27 28–31 32–35 36–39 40–43 44–47 48–51 52–55 56–59 60–63 Durchmesserklassen [cm] >63 Abb. 4. Entwicklung der Stammzahlverteilung im Reservat St. Jean (Chasseral) zwischen der ersten (1960) und der neusten (2008) Inventur. Forum für Wissen 2009 97 3 Für viele Forschungsfragen verwendbare Inventurdaten Neben Auswertungen der Inventurdaten für die Analyse der Entwicklungsdynamik der Waldbestände lassen sich die Inventurdaten auch für andere Forschungsfragen einsetzen, die in neuerer Zeit grosse Aktualität bekamen. Anhand von zwei Beispielen sei dies hier illustriert: Einerseits anhand der Frage, ob sich aufgrund des Zuwachses der Bäume ihre Mortalitätswahrscheinlichkeit quantifizieren lässt, was wichtig ist für die Abschätzung der P opulationsdynamik von Waldbeständen unter Szenarien des globalen Klimawandels (vgl. BRESHEARS et al. 2005); und andererseits anhand der F rage, wie realitätsnah die Simulations modelle sind, welche für die Abschätzung der Auswirkungen des Klimawandels auf die zukünftige Bestandesdynamik verwendet werden (vgl. Z IMMERMANN und BUGMANN 2008). 3.1 Zusammenhang zwischen Zuwachs und Mortalität Abb. 5. Entwicklung der Baumartenzusammensetzung in sechs Buchenwaldreservaten der Schweiz von der ersten bis zur neusten Inventur-Kampagne. Der Importance Value berücksichtigt sowohl die artspezifische Grundfläche als auch die Stammzahl. Die Zahl oberhalb jeder Säule gibt an, wie viele Baumarten im Reservat zum jeweiligen Zeitpunkt vorhanden waren (aus HEIRI et al. 2009). ist eine Konsequenz der seit der Reservatsgründung zunehmenden Grund fläche, womit auch ein grösserer Bestandesschluss und somit eine grössere Beschattung einhergeht. Die aus den Reservatsflächen verschwundenen Baumarten sind denn auch ausschliesslich Licht- und Halbschattenarten (HEIRI et al. 2009). Erst beim Eintreten von grossflächigen Störungen oder wenn die Alterungs- und Zerfallsphase in den Buchenwaldreservaten erreicht sein werden, dürfte die Baumarten-Di- versität wieder zunehmen; bis zu jenem Zeitpunkt ist eine weitere Abnahme zu erwarten. Die Unterschutzstellung eines Waldes hat also nicht für alle Aspekte der Biodiversität die gleichen Konsequenzen: was für die Baumarten-Diversität (mittelfristig) negativ ist, ist bereits kurzfristig für andere Artengruppen wie höhlenbrütende Vögel, holzbewohnende Insekten oder Pilze positiv, da die stehende und liegende Totholzmenge ständig zunimmt. Es ist nicht neu, dass schlecht wachsende Bäume im Allgemeinen eine grössere Mortalität aufweisen. Der Zuwachs alleine ist als Prädiktor aber nicht hinreichend, erreichen doch zum Beispiel langsamwüchsige Bäume nahe der oberen Waldgrenze oftmals sehr hohe Alter. Ist es also möglich, aufgrund von Variablen, die ausschliesslich aus dem Zuwachs abgeleitet werden, die Mortalität vorherzusagen? BIGLER (2003) beprobte Paare von stehenden lebenden resp. stehenden toten F ichten aus bewirtschafteten und unbewirtschafteten Wäldern mit dendrochronologischen Methoden. Aus diesen Daten leitete er einen Satz von Variablen her, wie zum Beispiel den absoluten Zuwachs über n Jahre vor dem Tod der Bäume, die Veränderung des Zuwachses [linearer Trend] über k J ahre vor dem Tod oder den relativen Grundflächen-Zuwachs über m J ahre vor dem Tod. Anhand dieser Variablen war es mit einer Trefferwahrscheinlichkeit von etwa 80 % möglich, vorherzusagen, ob die Bäume überleben oder absterben (vgl. BIGLER und BUGMANN 2003, 2004). 98 Diese Analysen sind potentiell sehr nützlich, doch ist die dendrochronologische Untersuchung von Bäumen aufwändig, und die genannten Arbeiten beschränkten sich denn auch auf einige wenige Baumarten. Als Alternative bieten sich – theoretisch – die Inventurdaten aus den Waldreservaten an, welche ein grosses Spektrum an Baumarten abdecken, auch wenn diese Daten keine jährliche Auflösung aufweisen. W UNDER (2007) untersuchte eingehend, ob Inventurdaten aus Waldreservaten geeignet sind für die Vorhersage der Mortalität (Abb. 6–8). Dabei zeigte sich, dass auch mit diesen zeitlich nur grob aufgelösten Daten (Inventurzeiträume von 5–12 J ahren, vgl. oben) sehr gute statistische Modelle hergeleitet werden können (Abb. 8). Ein Wermutstropfen bleibt: die Modelle unterscheiden sich in ihrer Struktur und in ihren Parameterwerten, je nachdem, in welcher Inventurperiode man sie kalibriert. Ebenso ist festzuhalten, dass die Modelle anders aussehen, wenn sie für Daten aus Bialowiexa hergeleitet werden, als wenn dies anhand von Schweizer Reservatsdaten erfolgt. Mit anderen Worten: die Modelle «funktionieren» zwar gut für jene Periode und jene Region, für welche sie hergeleitet wurden; ihre Übertragbarkeit in der Zeit und im Raum ist aber derzeit noch nicht gegeben. 3.2 Überprüfung der Aussagen von Simulationsmodellen Seit etlicher Zeit werden weltweit Simulationsmodelle eingesetzt, um die zu erwartende Walddynamik unter einem sich rasch ändernden Klima zu untersuchen (vgl. Z IMMERMANN und BUGMANN 2008). Dabei stellt sich die Frage, wie gut diese Modelle eigentlich die Strukturdynamik von Wäldern wiedergeben. In der Vergangenheit wurden die Modellaussagen mit Daten aus verschiedensten Quellen verglichen, so zum Beispiel mit Beschreibungen der potentiellen natürlichen Vegetation (PNV, z. B. BUGMANN 1999), mit paläoökologischen Daten (z. B. H EIRI et al. 2006) oder mit Daten aus ertragskundlichen V ersuchsflächen (z. B. DIDION et al. 2009). Diese Datenquellen haben aber nicht nur Vor-, sondern auch erhebliche Nachteile . So sind zum Bei- Forum für Wissen 2009 Abb. 6. Durchschnittlicher jährlicher Zuwachs (ausgedrückt als Logarithmus des relativen Grundflächen-Zuwachses, relbai) von 9 Baumarten aus Waldreservaten der Schweiz und aus dem Reservat Bialowiexa (Polen). Der linke Boxplot bei jeder Art zeigt die Verteilung für die abge storbenen Bäume, der rechte Boxplot jene für die überlebenden Bäume (aus Wunder 2007). Buche BHDQuantile Überlebenswahrscheinlichkeit: = Logit P log( Survival ) PMortality 95% 50% 5% Abb. 7. Schematisches Diagramm für die Interpretation von Abb. 8. Der Logarithmus des relativen Grundflächenzuwachses (B AI/BA) wird auf der x-Achse , der sog . Logit (Logarithmus des Quotienten aus Überlebens- und Mortalitätswahrscheinlichkeit) auf der yAchse für jeden Baum eingetragen (graue Punktewolke). Je weiter rechts ein Punkt liegt, desto grösser ist der relative Zu wachs des Baumes gewesen; je weiter oben ein Punkt liegt, desto grösser ist die Überlebenswahrscheinlichkeit des Baumes gemäss Modell. Die Güte des statistisches Modells wird anhand des AUC (Area Under the Curve) angegeben; der AUC ist vergleichbar dem K orrelationskoeffizienten in der linearen Regression; Werte von AUC > 0.7 gelten als gut, solche über 0.8 als hervorragend für ein statistisches Modell (für Details vgl. WUNDER 2007). spiel bei Beschreibungen der PNV keine Aussagen über die Bestandesstruktur möglich, und die Angaben sind meist rein qualitativ; bei paläo ökologischen Daten ist die zeitliche Auflösung meist gering (J ahrhunderte), und man steht vor der Aufgabe, gemessene P ollenfrequenzen mit simulierten Grundflächen zu vergleichen; bei ertragskundlichen Daten schliesslich ist die Bewirtschaftung oft das dominierende Signal in den Messdaten, so dass die Qualität der Abbildung der ökologischen Prozesse im Modell nur unzureichend überprüft werden kann. Daten aus Waldreservaten können hier eine wichtige Rolle spielen, denn sie repräsentieren die Walddynamik unter natürlichen Bedingungen, wie sie auch in den Modellen simuliert werden sollten. Der einzige Nachteil ist, dass die gemessenen Zeitreihen noch relativ kurz sind (25 bis maximal 50 Jahre); aber mit jeder weiteren Inventur verliert dieser Nachteil an Gewicht. Forum für Wissen 2009 HEIRI (2009) untersuchte in ihrer Dissertation das Verhalten des Waldsukzessionsmodells F orClim (D IDION et al. 2009) anhand von Inventurdaten aus 18 Versuchsflächen in 10 schweizerischen Waldreservaten. Sie benutzte die erste Inventur , um das Modell zu initialisieren, und simulierte dann die Waldentwicklung bis zur letzten (neusten) Inventur . Die simulierte Durchmesserverteilung für die letzte Inventur wurde dann mit der gemessenen Durchmesserverteilung verglichen. Dabei zeigte sich, dass die Artenzusammensetzung im Allgemeinen sehr gut simuliert wurde, mit Ausnahme der Eibe, deren Häufigkeit das Modell in den Reservaten Weidwald und Unterwilerberg massiv unterschätzte. Bezüglich der simulierten Durchmesserverteilung ergaben sich ebenfalls sehr ansprechende Resultate (vgl. Abb. 9), wobei die grössten Divergenzen bei der Verjüngung festzu stellen waren. In eher dichten Beständen (z. B. Tariche Bois Banal) wurde die Verjüngung un- 99 Abb. 8. Ergebnisse der statistischen Modellierung des Mortalitätsrisikos als Funktion des relativen Grundflächen-Zuwachses für 4 Baumarten anhand von Daten aus Waldreservaten. Die statistischen Modelle haben durchwegs eine gute (A UC >0.7) bis sehr gute (AUC >0.8) Aussagekraft. Zur Interpretation vgl. Abbildung 7. Abb. 9. Vergleich der gemessenen Bestandesstruktur (schwarze Linien) mit der vom Modell ForClim simulierten Bestandesstruktur (graue Linien) für die letzte Inventur auf 11 Versuchsflächen, welche nicht für die Kalibrierung des Modells verwendet wurden (d.h. Validierung des Modells). Leih = Leihubelwald; fhwch = Fürstenhalde Weiach; uwiba = Unterwilerberg; derb = Derborence; tarbb = Tariche Bois Banal; boed = Bödmerenwald; scat = Scatlè. 100 terschätzt, in eher offenen Beständen (z. B. Bödmerenwald) aber überschätzt. Diese Divergenzen zwischen Modell und Realität liefern wertvolle Hinweise für den weiteren Entwicklungs bedarf des Modells , was zu robusteren und zuverlässigeren Simulationsergebnissen unter dem Aspekt «Klimawandel» führen wird. Gleichzeitig zeigen die Simulationsergebnisse aber auch, dass dieses Sukzessionsmodell bereits jetzt gut in der Lage ist, die beobachtete Dynamik in Waldreservaten wiederzugeben. 4 WSL, ETH und BAFU führen die Reservatsforschung weiter Die obigen Ausführungen zeigen, dass Reservatsdaten für viele F ragen genutzt werden können und eine Vielzahl von äusserst interessanten Ergebnissen abwerfen, welche für die F orstpraxis, für die angewandte F orschung und auch für die Grundlagen forschung von grossem Interesse sind. Wir sind deshalb überzeugt, dass die Weiterführung der Inventur arbeiten in den schweizerischen Waldreservaten wichtig ist, und haben in Zusammenarbeit mit dem BAFU im J ahr 2006 das gemeinsame Projekt «Forschung und Wirkungskontrolle in Na turwaldreservaten» lanciert, das derzeit bis ins J ahr 2015 gesichert ist. Dieses Projekt (vgl. http://www.waldreservate.ch) beschränkt sich auf Naturwaldreservate (NWR) und hat die folgenden Ziele: 1) Es stellt die Grundlage für die Wirkungskontrolle der Waldreservatspolitik des Bundes dar; 2) WSL und ETH stellen ein aussagekräftiges Monitor ing in NWR sicher , unter Einbezug der bisherigen ETHReservate; 3) WSL und ETH stellen eine Beratung für F ragen zum Monitoring in NWR sicher; 4) zwei F orschungsziele stehen im Vordergrund, nämlich das verbesserte Verständnis der Waldentwicklung ohne Eingriffe und die Verbesserung unserer K enntnisse über die Totholzdynamik. Das Monitoring-Konzept für die Reservatsforschung wurde überarbeitet (BRANG et al. 2008). Einerseits bleibt der inhaltliche F okus auf der Waldstruktur, wie dies bereits in der ETHReservatsforschung F all war . Wie bis- Forum für Wissen 2009 her werden lebende Bäume und stehendes Totholz erfasst, neu aber auch liegendes T otholz, Baumverjüngung und naturschützerisch wertvolle Habitatstrukturen erhoben. Andererseits wird mit einer veränderten Kombination von Erhebungsdesigns gearbeitet: Auf etwa 170 sogenannten K ernflächen, welche 0,1 bis 3,5 ha gross sind (Median: 0,59 ha), werden die Bäume individuell vermessen und permanent markiert. Um repräsentative Ergebnisse zu erhalten, wird neu in 24 Reservaten von über etwa 30 ha Fläche eine Stichprobeninventur mit total etwa 1400 permanenten Stichproben durchgeführt, in kleinen Reservaten hingegen werden weiterhin Abteilungen von etwa 2 bis 3 ha Fläche vollkluppiert. Die Stichprobeninventur lehnt sich methodisch ans LFI an, was direkte Vergleiche mit dessen Ergebnissen ermöglicht. Die Inventur enthält aber ebenfalls die naturschützerisch wichtigen Habitatstrukturen. Der Aufnahmeturnus beträgt je nach Reservat (Wüchsigkeit) 10 bis 15 Jahre. Beim Monitoring werden zwei Intensitätsstufen unterschieden (Abb . 10): Fünfzehn Reservate werden «intensiv» untersucht, so dass Aussagen pro Reservat möglich sind und ein vertieftes Verständnis der lokalen Entwicklungsdynamik gewonnen werden kann; weitere 34 Reservate werden «extensiv» untersucht, um Aussagen pro Reservatsgruppe zu ermöglichen (z. B. für die Buchenwaldreservate des Mittellandes) und die Resultate aus den intensiv beobachteten Reservaten durch eine grössere Anzahl von Flächen zu plausibilisieren. Das Netzwerk der Reservate mit Monitoring umfasst 49 Reservate, wobei vegetationskundliche Verbände berücksichtigt wurden, die entweder weit verbreitet sind oder für welche die Schweiz eine besondere Verantwortung trägt. Von diesen 49 Reservaten stammen 33 aus dem Reservatsnetzwerk der ETH. Die Erhebungen werden ergänzt mit einer einmalig erstellten Grunddoku mentation für jedes Reservat, welche verschiedenste Elemente wie Klima daten, standorts kund liche Angaben (wenn möglich eine Kartierung), Hinweise zur Waldgeschichte usw. enthält. Schliesslich werden vor allem für Umsetzungszwecke neu terrestrische Fotoserien erhoben. Dieses Grundpro- gramm kann – Interesse und F inanzierung vorausgesetzt – durch zusätzliche Module erweitert werden. Nicht in jedem Waldreservat muss ein Monitoring durchgeführt werden – ausserhalb des Projektes von WSL, ETH und BAFU gibt es viele Reservate, in welchen WSL und ETH keine Inventurarbeiten durchführen. Hier können die Kantone wichtige Partner werden, wenn sie Interesse haben, selbst ein Monitoring durchzuführen oder ein «extensives» Monitoring des Projektes zu einem «intensiven» aufzuwerten. 5 Schlussfolgerungen Wir sind überzeugt, dass sich die fünfzig Jahre Forschung in Waldreservaten, welche von Prof . Leibundgut initiiert wurden, mehr als gelohnt haben; dies aus den folgenden Gründen: Erstens ist die langfristige Beobachtung der Walddynamik von grossem Interesse für den Naturschutz, den Waldbau und die ökologische F orschung, wie wir anhand verschiedener Fallbeispiele von Datenauswertungen (St. J ean, Buchenwaldreservate) zeigten. Zweitens können «alte» Daten in einem neuen F orschungskontext verwendet werden, wo sie die Basis für wichtige Erkenntnisse in der «modernen» F orschung liefern; dies versuchten wir mit den Anwendungen im Zusammenhang mit der Vorhersage der Mortalität von Waldbäumen oder mit der Simulation der Waldentwicklung mit Simulationsmodellen zu zeigen. Drittens ist bemerkenswert, dass im Gegensatz zu vielen anderen Phänomenen bei den Waldreservatsdaten das ökonomische Gesetz des abnehmenden Grenznutzens nicht gilt – ganz im Gegenteil: mit jeder Inventur werden die Daten wertvoller, weil sich aus längeren Zeitreihen überproportional viel mehr schliessen lässt als aus kürzeren. Wir haben es also mit dem Phänomen des zunehmenden Grenznutzens zu tun, was die Weiterführung der Reservats-Inventuren umso wichtiger erscheinen lässt. Daher werden auch 55 % der Zeitreihen aus K ernflächen und Abteilungen weitergeführt, und die bisher erhobenen Daten sind kompatibel mit jenen der neuen Inventuren. Doch auch Langzeitforschung muss Forum für Wissen 2009 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 Adenberg Aletschwald Arena Bannhalde Bettlachstock Bödmerenwald Bois de Chênes Combe Biosse Derborence Follatères Fürstenhalde Girstel Grand Paine - auto Chia Hobacher / Salzbrunnen Hüntwangenhalde Josenwald Kreisalpen 101 11 18 4 19 20 21 22 23 24 4 25 26 27 28 29 30 31 Krummenlinden La Niva Langgraben Leihubelwald Mettlenrain-Höchi Montricher Murgtal Nationalpark Pfynwald Rinsberg Scatlè Seeliwald Seldenhalde/Wutach Selvasecca Sihlwald St. Jean Steibruchhau 4 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 11 43 44 Strassberg Tamangur Tariche Bois Banal Tariche Haute Côte Thurspitz-Rheinhölzli Tiefenwald Tösswald Tutschgenhalden Uaul Prau Nausch Umikerschachen Unterwilerberg Val Cama / Val Leggia Vorm Stein Weidel Weidwald Abb. 10. Das Reservats-Netzwerk der Schweiz im neuen Projekt von WSL, ETH und B AFU. Kartendaten: dhm25 und vector25 © 2009 swisstopo (DV033492.2). Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (JA082265). wandlungsbereit sein: Im Rahmen des neuen Reservatsprojektes von WSL, ETH und BAFU wurde das ReservatsNetzwerk wie oben beschrieben angepasst, einige Reservate wurden aufgegeben, andere kamen hinzu, und die Inventurmethode wurde kritisch überprüft, verfeinert und ergänzt. Dies stellt sicher , dass die WaldreservatsForschung auch in Zukunft wertvolle Erkenntnisse liefern kann. 6 Literatur BIGLER, C ., 2003: Growth-dependent tree mortality: ecological processes and modeling approaches based on tree-ring data. Ph.D. Thesis No. 15145, Swiss F ederal Institute of Technology Zürich. BIGLER, C .; B UGMANN, H., 2003: Growthdependent tree mortality models based on tree-rings . Can. J . F or. Res . 33: 210–221. BIGLER, C .; B UGMANN, H., 2004: Predicting the time of tree death using dendrochro- nological data. Ecol. Appl. 14: 902–914. BRANG, P ., 2005: Virgin forests as a knowledge source for central European silviculture: reality or myth? F or. Snow Landsc. Res. 79: 19–32. BRANG, P .; C OMMARMOT, B .; R OHRER, L.; BUGMANN, H., 2008: Monitoringkonzept für Natur waldreservate in der Schweiz. Available from World Wide Web < http:// www.wsl.ch/publikationen/pdf/8555.pdf>; Birmensdorf, Eidg. Forschungsanstalt für 102 Wald, Schnee und Landschaft WSL; Zürich, Professur für Waldökologie ETH Zürich. 58 S. BRESHEARS, D. D.; C OBB, N .S.; R ICH, P .M.; PRICE, K .P.; ALLEN, C .D.; B ALICE, R .G.; ROMME, W .H.; KASTENS, J .H.; F LOYD, M.L.; B ELNAP, J.; ANDERSON, J. J.; M YERS, O.B.; M EYER, C.W., 2005: Regional vegetation die-off in response to globalchange-type drought. Proceedings of the National Academy of Sciences USA 102: 15144–15148. BUGMANN, H., 1999: Anthropogene Klimaveränderung, Sukzessionsprozesse und forstwirtschaftliche Optionen. Schweiz. Z. Forstwes. 150: 275–287. DIDION, M .; K UPFERSCHMID, A .D.; ZINGG, A.,; F AHSE, L.; B UGMANN, H., 2009. Gaining local accuracy while not losing generality – extending the range of gap model applications. Can. J . F or. Res . 39: 1092–1107. EIBERLE, K. 1967. Die Vorratsveränderungen im Waldreservat Moos bei Birmensdorf während der J ahre 1948–1965. Schweiz. Z. Forstwes. 118: 644–661. HEIRI, C ., 2009: Stand dynamics in Swiss forest reserves: an analysis based on longterm forest reserve data and dynamic modeling. Ph.D. Thesis No . 18388, Swiss Federal Institute of Technology Zurich. HEIRI, C.; B UGMANN, H.; TINNER, W.; HEIRI, O.; L ISCHKE, H., 2006: A model-based re- Forum für Wissen 2009 construction of Holocene treeline dynamics in the Central Swiss Alps. J. Ecol. 94: 206–216. HEIRI, C.; WOLF, A.; ROHRER, L.; BUGMANN, H., 2009: Forty years of natural dynamics in Swiss beech forest reserves: stand structure, species composition and the influence of former management. Ecol. Appl. (im Druck). 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LEIBUNDGUT, H., 1959: Über Zweck und Methodik der Struktur - und Zuwachs- Abstract Selected results from fifty years of research in Swiss forest reserves Research in the remaining natural forests of Europe has a tradition going back to the 19th century. In Switzerland, research on forest dynamics in reserves has been carried out since the 1930s in a network comprising now 49 reserves and more than 150’000 trees whose fate is followed individually . We provide an overview of the history , rationale and approach for research in forest reserves and give examples of the results obtained from these investigations , including (1) mapping efforts of developmental phases; (2) schemes of forest succession derived from these mappings; (3) developmental trends based upon the inventory data covering now nearly 50 years in some reserves; (4) the quantification of the mortality probability of trees based on their growth history; and (5) the evaluation of computer models of forest succession regarding their accurac y and reliability . F inally, we describe the new forest reserve project, which is a joint long-term effort between WSL, ETH and FOEN (the Swiss F ederal Office for the Environment) that aims to continue the monitoring and research activities in the Swiss network of forest reserves. Keywords: forest reserve, research, conservation, long-term monitoring, ecological models, Switzerland analyse von Urwäldern. Schweiz. Z. 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Felix Gugerli WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf felix.gugerli@wsl.ch Die Erhaltung genetischer Vielfalt ist integraler Bestandteil des Biodiversitätsschutzes, dem sich auch die Waldnutzung verschrieben hat. Um natürliche und vom Menschen beeinflusste Prozesse, welche sich auf die genetische Vielfalt auswirken, besser zu verstehen, stellen genetische Studien wichtige Grundlagen bereit. Wie im folgenden Artikel an Beispielen erörtert wird, können diese Erkenntnisse dazu beitragen, Waldnutzung nachhaltig zu betreiben. Allerdings dürfen die Erwartungen nicht zu hoch gesteckt werden, denn die meisten genetischen Studien geben keine Auskunft über die Fitness oder Anpassungsfähigkeit von Waldbäumen. Die Möglichkeiten und Grenzen von genetischen Untersuchungen müssen deshalb differenziert und ihre Aussagekraft kritisch beleuchtet werden. Nachhaltigkeit ist so facettenreich wie ihre Auslegung, und Gleiches gilt für genetische Vielfalt: die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die ökologische Betrachtungsweise der Nachhaltigkeit, soziale und ökonomische F aktoren werden kaum berücksichtigt. Ausserdem ist das Augenmerk auf waldbauliche Aspekte und auf Waldbäume gerichtet. Letztere sind die wichtigsten Strukturbildner in Waldökosystemen und sind Lebensraum einer grossen Vielfalt von Arten und Artengemeinschaften (Insekten, Wirbeltiere, Pilze, Bakterien, usw.). Die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus den untenstehenden Ausführungen zu Waldbäumen können aber nicht direkt auf andere Organismengruppen übertragen werden. 1 Vielfalt genetischer Viefalt Genetische Variation hat viele Gesichter, weshalb die einleitende Klärung einiger grundlegender F achbegriffe (fett hervorgehoben) im Kontext dieses Artikels unabdingbar ist und in nachfolgenden Kapiteln bei Bedarf ergänzt wird. Genetische Variation lässt sich mit Hilfe molekular-genetischer Labormethoden beschreiben, wobei üblicher- weise neutrale DNA-Abschnitte untersucht werden. Diese sind nicht der Selektion unterworfen und somit nicht direkt relevant für die F itness und das Anpassungsvermögen von Individuen oder P opulationen. Vielmehr widerspiegeln sie historische , demographische Prozesse wie Einwanderung oder Veränderungen in der P opulationsgrösse. Andererseits ist, wenn landläufig von genetischer Variation die Rede ist, meistens die Variation zwischen Individuen einer Art gemeint, welche von selektiven Genen bestimmt und oft im äusseren Erscheinungsbild, dem Phänotyp eines Individuums , erkennbar ist. Nicht alle äusserlichen Unterschiede gehen aber auf genetische Variation zurück, da auch die Umwelt auf die jeweilige Ausprägung des Phänotyps wirkt (Plastizität). Entsprechend der Unterscheidung zwischen diesen beiden Arten von molekularen Markern zielen Untersuchungen zur genetischen Vielfalt darauf, 1) räumliche oder zeitliche Muster und die ihr zugrunde liegenden Prozesse zu beschreiben (neutrale Marker) oder aber 2) spezifische Gene zu identifizieren, deren Genvarianten unter bestimmten Umweltbedingungen vorteilhaft sind (selektive Marker). Es ist deshalb wichtig , zwischen den beiden Arten von genetischer Vielfalt zu un- terscheiden, insbesondere weil kein allgemeingültiger Zusammenhang zwischen neutraler und selektiver genetischer V ariation besteht: V ariation an neutralen Gen-Markern lässt kaum Rückschlüsse auf Variation in selektiven Gen-Markern zu (H OLDEREGGER et al. 2006). Auch wenn es Ausnahmen gibt (M ÜLLER-STARCK 1988), soll hier nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass aufgrund von Untersuchungen neutraler Gen-Marker nicht direkt auf die F itness und die Anpassungsfähigkeit geschlossen werden kann (KREMER et al. 2002). Dementsprechend ist es auch nicht zwingend, dass nur genetisch vielfältige P opulationen überlebensfähig sind. Die als lebendes Fossil bezeichnete Wollemi-Föhre (Wollemia nobilis), welche in einer australischen Schlucht mit nur ein paar Dutzend Individuen vorkommt, besitzt keine nachweisbare neutrale genetische Vielfalt (PEAKALL et al. 2003) und hat doch hunderte von Generationen überdauert. Dass diese P opulation überlebt hat, liegt einerseits an der Abgeschiedenheit des Fundorts, wird aber andererseits mit der grossen physiologischen Toleranz der Einzelbäume erklärt. Eine grosse Plastizität ist kennzeichnend für langlebige Bäume . Man bedenke nur , welchen Witterungsbedingungen Lärchen (Larix decidua), Fichten (Picea abies) oder Arven (Pinus cembra) an der Waldgrenze in den Alpen im Laufe tages- und jahreszeitlicher Wechsel ausgesetzt sind (K ÖRNER und P AULSEN 2004). Beredtes Zeugnis von individueller Plastizität legen auch die Jahrhunderte alten Bäume ab , die vor der kleinen Eiszeit mit Beginn im 15. J ahrhundert gekeimt sind und bis heute überdauert haben. Die Charakterisierung selektiver Gene bei Waldbäumen steckt bisher in den Kinderschuhen und beschränkt sich grösstenteils auf intensiv erforsch- 104 te, so genannte Modellarten wie die Pappel (Populus sp.; G RATTAPAGLIA et al. 2009). Ganz im Gegensatz dazu gibt es eine Unzahl von Studien zur neutralen genetischen Variation von Waldbäumen. Aus letzteren lassen sich Hinweise zu historischen und rezenten demographischen Prozessen gewinnen, die sich wiederum auf die heutige und zukünftige genetische Variation einer Population oder einer Art auswirken. Beispielsweise lassen genetische Verwandtschaftsbeziehungen heutiger Bestände nacheiszeitliche Rückwanderungsrouten, also Migration durch Samenausbreitung, nachzeichnen. Sowohl bei der F ichte wie auch bei der Arve (Abb . 1) deutet die Abnahme neutraler genetischer Vielfalt von Osten gegen Westen auf eine Wiederbesiedlung des Alpenraums aus östlich gelegenen Refugialgebieten hin (T OLLEFSRUD et al. 2008; G UGERLI et al. 2009), was mit den Erkenntnissen aufgrund fossiler Pollen und Pflanzenreste übereinstimmt. Eine umfangreiche Studie zu europäischen Eichenarten (Quercus spp.) konnte darlegen, dass die grossräumige neutrale genetische Struktur dieser Arten erhalten geblie- Forum für Wissen 2009 ben ist (P ETIT et al. 2002), auch wenn intensive waldbauliche Aktivitäten ihre Spuren hinterlassen haben (K ÖNIG et al. 2002). Dank dieser Grundlagendaten kann beispielsweise die deklarierte Herkunft von Eichenholz für Weinfässer überprüft werden (D EGUILLOUX et al. 2004). Allerdings verhindert der immense Arbeitsaufwand, im Speziellen die Beprobung hunderter Bestände, dass solche flächendeckenden Studien bei allen weit verbreiteten Baumarten durchgeführt werden. Die historisch bedingte regionale Struktur der neutralen genetischen Vielfalt kann dazu genutzt werden, Genpools räumlich zu umschreiben und spezifisch zu erhalten, also das historisch-evolutive Vermächtnis zu bewahren. Wichtigste Voraussetzung dafür ist, entweder die Naturverjüngung zu fördern oder bei Anpflanzungen regionale Herkünfte zu verwenden. Diese gelten grundsätzlich als an die jeweiligen regionalen Umweltbedingungen angepasst. Es kann davon ausgegangen werden, dass die (selektive) genetische Vielfalt innerhalb autochthoner Bestände und ihre individuelle Plastizität es ermöglichen, dass zumindest die Abb. 1. Fossile Pollen und molekular -genetische Daten zeigen, dass die Arve (Pinus cembra) nacheiszeitlich aus den (süd-)östlichen Randalpen in die Schweizer Alpen zurückgewandert ist. Das Verbereitungsareal der Arve hat in den letzten etwa einhundert J ahren dank nachhaltiger Nutzung und wieder zugelassener natürlicher Regeneration deutlich zugenommen. nicht seltenen Waldbaumarten unter zukünftig veränderten Klimabedingungen langfristig überdauern oder ihr Verbreitungsareal verschieben können (PETIT et al. 2008). Eine lokale Baumartenverschiebung ist somit nicht auszuschliessen, sollte aber wo immer möglich durch natürliche Ausbreitung erfolgen. W aldbauliche Massnahmen sollen nur dazu dienen, diese Ausbreitung zu ermöglichen. So gesehen trägt Biodiversitätsschutz in F orm der Erhaltung der Prozesse, die zu regionaler genetischer Vielfalt führen und durch genetische Untersuchungen beschrieben werden, zur nachhaltigen Waldnutzung bei. Dies entspricht grösstenteils der heutigen Waldbaustrategie in der Schweiz (Projektleitung WAP-CH 2004; Schweizerischer Forstverein 2004). 2 Naturschutzgenetik sensu lato Ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit im Waldbau stellt die Erhaltung seltener Baumarten dar , so dass diese , als Wertholz und Spezialitäten auf dem Holzmarkt ökonomisch bedeut sam, auch für zukünftige (Förster -) Generationen verfügbar bleiben. An erster Stelle im Massnahmenkatalog steht die Erhaltung bestehender P opulationen mit dem Ziel, die vorhandene genetische Vielfalt zur Weitergabe an kommende Generationen zu bewahren. Als Erfolg versprechend erweist sich, wenn Einzelbäume frei gestellt werden, wodurch Blüherfolg und Fruchtansatz gefördert werden. Das gleiche Ziel kann in Spezialfällen durch Mittel- und Niederwaldpflege erreicht werden. Unmittelbar hinter der spezifischen Erhaltung von Populationen und Einzelbäumen rangiert die Vernetzung der oft zerstreut vorkommenden Bestände , so dass den möglichen F olgen von F ragmentierung und räumlicher Isolation entgegengewirkt werden kann. Hierzu kann die Genetik wertvolle Grundlagen erarbeiten, welche entweder auf die Vernetzung oder Isolation von Beständen hindeuten, oder mögliche Inzucht, also Paarungen zwischen nahe verwandten Bäumen oder gar Selbstbefruchtung, nachweisen. Hier soll nochmals betont werden, dass die für diese Zwecke verwendeten neutralen genetischen Marker nur über die Pro- Forum für Wissen 2009 zesse Auskunft geben. So kann zwar Inzucht nachgewiesen werden, aber ob Inzucht tatsächlich zur erwartet reduzierten Fitness führt, können nur experimentelle Untersuchungen darlegen, welche die molekularen Daten ergänzen. Eine Schlüsselrolle in Untersuchungen zu Naturschutzgenetik nimmt der Austausch von Genen innerhalb und zwischen Beständen ein (Genfluss). Deshalb zielen viele genetische Untersuchungen darauf ab , Paarungsmuster innerhalb von Beständen oder GenAustausch zwischen Restvorkommen zu bestimmen. Molekulare Studien, welche in den letzten J ahren bei seltenen Baumarten der Schweiz durchgeführt wurden, haben teilweise überraschende Erkenntnisse zu Tage gefördert. Die seltene Wildbirne ( Pyrus pyraster; Abb. 2), welche wie viele andere Rosengewächse teilweise selbstinkompatibel ist (sich also nicht selbstbefruchten kann), entpuppte sich als weit weniger als vermutet von Inzucht betroffen, da auch in sehr kleinen Beständen hohe Auskreuzung, also ausreichend Paarungspartner , und entsprechend hohe genetische Diversität gefunden wurde (H OLDEREGGER et al. 2008). In solchen Fällen ist also weniger mit genetischen F aktoren zu rechnen, welche zum lokalen Aussterben führen, sondern eher mit schlechter Lebensraumqualität, Windwurf, Schädlingen – oder unbedachtem Holzschlag. In welchem Mass verstreute Bestände über P ollen- oder Samenausbreitung miteinander vernetzt sind, kann indirekt über genetische Differenzierung ermittelt werden. Diese genetische Differenzierung widerspiegelt jedoch die historischen Verhältnisse und kann deshalb im Hinblick auf aktuelle Vernetzung irreführend sein. Was heute aufgrund geringer genetischer Differenzierung trotz F ragmentierung als vernetzt erscheint, kann auf ein früher zusammenhängendes Vorkommen zurück zu führen sein, während die Bestände heute tatsächlich isoliert sind. Aktueller Genfluss sollte deshalb anders beschrieben werden, zum Beispiel mit Hilfe von Zuordnungs- oder Elternschaftsanalysen (Abb . 3). Aufgrund genetischer Fingerabdrücke von Mutterbäumen, ihrer Samen sowie potenzieller Vaterbäume konnte P ollen- 105 Abb. 2. Viele seltene Baumarten wie die Wildbirne (Pyrus pyraster) benötigen ausreichend Licht, um guten F ruchtansatz zu entwickeln. Blühende Bäume finden sich deshalb bevorzugt in lichten Wäldern oder am Waldrand, wo sie als auffällige weisse Farbtupfer Insektenbestäuber anlocken. ausbreitung beim insektenbestäubten Speierling (Sorbus domestica) über mehr als 10 km nachgewiesen werden (KAMM et al. im Druck): Der Austausch von Genen über einige Kilometer hinweg war beim Speierling schon fast die Regel. Ebenso ausbreitungsfreudig ist der windverfrachtete Blütenstaub von Eichen. Fast die Hälfte des erfolgreich befruchtenden P ollens stammt jeweils von ausserhalb der untersuchten Be- stände (STREIFF et al. 1999; LEPAIS et al. 2009). Der erfreulicherweise grossräumigen Ausbreitung von Pollen, möglicherweise auch Samen, beim Speierling steht der geringe Etablierungserfolg dieser und anderer lichtbedürftiger Baumarten gegenüber. Die fleischigen F rüchte sind wohl beliebte Nahrung für Vögel und Säuger und werden somit erfolgreich ausgebreitet. Der wesentliche 106 Abb. 3. Ausschnitte genetischer F ingerabdrücke (ein Individuum pro Linie), wie sie für Nachkommenanalysen verwendet werden. Die mit * bezeichneten K urvenausschläge repräsentieren das Vorhandensein einer bestimmten Genvariante , so dass bei bekannter Mutterschaft über Ausschlussverfahren mögliche Vaterschaften eruiert werden können. Eine der beiden Genvarianten des Embryos muss vom tatsächlichen Vater (fett) vererbt worden sein. Grund für die fehlende Naturverjüngung dürfte jedoch im zunehmend stärker beschatteten Waldboden liegen. Spezifische Fördermassnahmen wie Auflichtung und gegebenenfalls Anpflanzung regionaler Herkünfte können dem altershalber bedingten Aussterben heutiger Bestände entgegenwirken. Es ist nicht erstaunlich, dass vor allem Baumarten, welche in den von traditioneller menschlicher Holznutzung geprägten Nieder- und Mittelwäldern ihre Hauptverbreitung aufweisen, heute selten und förderungsbedürftig sind. Sonderwaldreservate mit entsprechenden spezifischen Eingriffen können daher viel zur Erhaltung dieser Nebenbaumarten beitragen. Genfluss kann auch gut gemeinten Bemühungen um Biodiversitätsschutz entgegenwirken. So ist es aufgrund heutiger Erkenntnisse kaum sinnvoll, Genreservate (Wälder von besonderem genetischen Interesse) oder klein- Forum für Wissen 2009 räumige Samenerntebestände auszuscheiden und diese «rein» halten zu wollen. Wie oben erwähnt kann bei windbestäubten Arten auch in Beständen von mehreren Hektaren Grösse mit viel P olleneinflug von aussen gerechnet werden. Was «von aussen» bedeuten kann, zeigt eine kürzlich publizierte biometeorologische Studie: Buchenpollen in Katalonien wurde aufgrund von Windmodellen eine Herkunft aus der Region zwischen Norditalien und Zentraldeutschland zugeordnet (BELMONTE et al. 2008)! Kommt dann noch mögliche Einkreuzung zwischen verwandten Arten hinzu, wie dies bei den einheimischen Eichenarten der F all ist (G UGERLI et al. 2005), muss auch die angestrebte Artreinheit der Samen in F rage gestellt werden. Gewissheit über weitgehend artenreines Saatgut kann nur erreicht werden, wenn nicht die Mutterbäume selber , sondern das Saatgut mit artspezifischen genetischen Markern überprüft wird (L EXER et al. 2000). Eine solche Kontrolle wäre allerdings sehr aufwändig, und es bleibt dahin gestellt, ob Artreinheit überhaupt wünschenswert ist und ob Hybriden aufgrund von K onkurrenz durch eine oder beide Elternarten sowieso vielerorts nicht überlebensfähig sind. Obige Ausführungen deuten darauf hin, dass bei der Arterhaltung, abgesehen von wenigen spezifischen Schutzmassnahmen bei sehr seltenen Baumarten, vor allem der Förderung natürlicher Prozesse grosse Bedeutung zukommt. Waldbauliche Eingriffe, welche den seltenen Arten erlauben, sich erfolgreich fortzupflanzen und zu verjüngen, sind Erfolg versprechend. Die Schweizer Waldwirtschaft ist hier auf dem richtigen Weg, indem vielerorts sowohl auf Baumartenvielfalt geachtet als auch natürlich verjüngt wird (Schweizerischer F orstverein 2004). Genetische Grundlagen können mithelfen, mögliche Gefährdungen einer Art zu erkennen und die Wirksamkeit von getroffenen Massnahmen zu überprüfen. 3 Züchtung und Gentechnik Sowohl klassische oder Genmarker basierte Züchtung als auch eigentliche genetische Veränderungen von Orga- nismen (GVO) mit Hilfe von Gentechnik sind extrem zeit- und ressourcenaufwändige Methoden, um bestimmte Merkmale von Organismen spezifisch zu fördern oder direkt zu verändern. Dieser Aufwand fällt bei Waldbäumen wegen ihrer Langlebigkeit besonders ins Gewicht, da die Wirkung einer Einkreuzung oder eines Gen-Transfers oft erst nach J ahren oder gar J ahrzehnten erkennbar ist. Hinzu kommt, dass etwa Koniferen ein sehr grosses Erbgut aufweisen, wodurch Untersuchungen über die Wirkung selektiver genetischer Variation zur Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen wird. Diese Suche wird noch dadurch erschwert, dass die gewünschten Eigenschaften zumeist auf komplexen Wechselwirkungen mehrerer Gene beruhen, also kaum eine direkte Wirkung eines einzelnen Gens auf eine bestimmte Eigenschaft zu erwarten ist. Der heutige Stand des Wissens lässt erkennen, dass bei Waldbäumen bisher nur geringe Erfolge erzielt wurden bei der Charakterisierung von selektiven Genen und ihren Effekten auf den Phänotyp ( Kandidaten-Gene; GRATTAPAGLIA et al. 2009). Im Vordergrund der Bemühungen zur Erforschung von Kandidaten-Genen bei Waldbäumen stehen Holzzuwachs (Holzindustrie , Biotreibstoff) bzw . Ligninreduktion (Papierproduktion). Besonders Biotreibstoff erweckt zur Zeit auch in der Öffentlichkeit grosses Interesse , da durch die Öl-unabhängige Treibstoffproduktion vielerorts grössere wirtschaftliche Autonomie erhofft wird. Es ist aber offensichtlich, dass in der sehr kleinräumigen Schweiz das Anlegen von beispielsweise grossflächigen Pappelplantagen für die Verarbeitung zu Ethanol ökologisch höchst problematisch wäre , kaum auf gesellschaftliche Akzeptanz stossen würde und auch ökonomisch nicht bedeutungsvoll sein kann (MALAKOFF 2009). Wahrscheinlicher ist es , dass hiesige Waldbäume mit Genfluss aus K ulturBaumarten konfrontiert sind. Davon dürften am ehesten die oft seltenen Rosengewächse wie Wildbirne oder Wildapfel (Malus sylvestris), aber auch andere Kernobst-, Steinobst- und Beerenstraucharten betroffen sein. Dass Genfluss zwischen K ultur- und Wildpflanzen tatsächlich statt findet, wurde zum Beispiel für Äpfel bereits nachge- Forum für Wissen 2009 wiesen (C OART et al. 2006). Genfluss von K ultur- zu Wildarten kann kaum verhindert, aber vor allem dann problematisch werden, wenn die F reisetzung gentechnisch veränderter Organismen in Zukunft zugelassen werden sollte. Diese Problematik betrifft auch Ziersträucher mit verwandten Arten in der hiesigen Flora. Die F olgen einer Auskreuzung für Wildpopulationen sind zur Zeit nicht abschätzbar. Diese kurzen Ausführungen legen nahe, dass nachhaltige Waldnutzung mit der Verwendung von Zuchtformen oder gar gentechnisch veränderter Organismen nicht vereinbar ist und den Bemühungen um und der F orderung nach natürlichen Prozessen im Wald widerspricht. Das Anpflanzen von spezifisch gezüchteten und gentechnisch veränderten Bäumen im Waldbau ist deshalb für die Schweiz abzulehnen, was auch den Forderungen des Schweizerischen F orstvereins entspricht (Schweizerischer Forstverein 2004). 4 Waldnutzung beeinflusst Genetik Die Frage nach dem Beitrag der Genetik zur nachhaltigen Waldnutzung kann auch von anderer Seite her betrachtet werden: W elche A uswirkungen hat Waldnutzung auf die Genetik von Waldbaumarten? Während diesbezüglich in den borealen Gebieten, wo Holzproduktion ein wichtiges wirtschaftliches Standbein ist, grossflächige Experimente angelegt worden sind, gibt es kaum empirische Untersuchungen aus Zentraleuropa, geschweige denn entsprechende Experimente . Neben der einschneidenden Wirkung der eiszeitlichen Klimaschwankungen ist anzunehmen, dass auch die menschliche Nutzung , vor allem weiträumiger Saatgut-Handel, die genetische Vielfalt und Struktur von Waldbaumarten massgeblich verändert haben (K ÖNIG et al. 2002; M ÁTYÁS et al. 2002). Diese Annahme beruht aber grösstenteils auf indirekten Rückschlüssen zwischen historischer Waldnutzung und heutiger genetischer Vielfalt. Die oft flächendeckende Förderung wichtiger Nutzhölzer führte sicherlich zu massiven Änderungen in der Baumartenzusammensetzung, wodurch vormals verbreitete Arten auf Restbestände zurückge- 107 drängt wurden. Solche starken Veränderungen in den P opulationsgrössen hinterlassen ihre Spuren in der genetischen Vielfalt sowohl der geförderten wie auch der verdrängten P opulationen (zufällige Änderungen der genetischen Vielfalt: genetische Drift). In die gleiche Richtung dürfte die Tendenz hin zu Dauerwald mit schattentoleranten Haupt baumarten geführt haben. Verjüngung von lichtbedürftigen, zerstreut vorkommenden Arten war im vielfältig genutzten Wald (z. B. Niederund Mittelwald) möglich und trug zur Erhaltung genetischer Vielfalt bei. Lichte Standorte fehlen jedoch heute vielerorts, und die nur noch zerstreut vorhandenen P opulationen seltener Baumarten weisen kaum Genaustausch auf . Ähnlich trug früher Waldweide zur Offenhaltung und reichhaltigen Struktur von Wäldern bei. Das Verbot der Waldweide zum Schutz des Waldes hatte vielerorts eine negative Wirkung auf die Artenvielfalt im Wald und auf die genetische Struktur der vorkommenden Baumarten. So konnten M ÄÄTTÄNEN und H OLDEREGGER (2008) den hinlänglich bekannten Zusammenhang zwischen P opulationsgrösse und neutraler genetischer Vielfalt in Wildbirnenpopulationen des Juras nicht finden. Diese Entkoppelung wurde auf unterschiedliche historische Nutzungsformen und -intensität zurückgeführt, woraus einschneidende Prozesse wie Flaschenhalseffekte, also die Reduktion einer P opulation auf wenige Individuen, resultierten. Einige wenige genetische Studien haben versucht, mögliche Effekte spezifischer W aldnutzungsformen, zum Beispiel Plenterung, zu ergründen. Leider mangelt es den Resultaten oftmals an ausreichender statistischer Basis (HOSIUS et al. 2006). Offenkundig ist, dass Samenerntestrategien einen grossen Einfluss auf Anpflanzungen haben. Werden nur wenige Samenbäume beerntet, entsteht ein Flaschenhals, die genetische Vielfalt der Nachkommen ist gering . Dadurch verschmälert sich auch das Anpassungspotential einer Art – ein unerwünschter Effekt im Hinblick auf die bevorstehenden Klimaänderungen. Nicht monokulturelle Einfalt, sondern Vielfalt – auf Artenwie auf Genebene – sollte deshalb das zukünftige Waldbild prägen (Schweizerischer Forstverein 2004). 5 Genetik im Waldprogramm Schweiz Das Waldprogramm Schweiz (W APCH) Schweiz, welches unter anderen das Thema Biodiversität beinhaltet, formuliert Waldnutzungsziele, die gut zu obigen Ausführungen passen und auch den F orderungen nach naturnahem Waldbau des Schweizerischen Forstvereins entsprechen (Schweizerischer F orstverein 2004). Auch wenn der Bericht der WAP-Arbeitsgruppe zur Biodiversität im Wald vornehmlich Arten- und Ökosystemschutz anspricht, können viele der Aussagen auf die Ebene der Gene übertragen werden. Oft fehlen jedoch die empirischen Grundlagen, um konkret mit genetischen Daten argumentieren zu können, weshalb Biodiversitätsschutz auf Genebene noch immer stiefmütterlich behandelt wird. Im Vordergrund des Waldprogramms stehen die auch in diesem Artikel wiederholt angesprochenen natürlichen Prozesse. Sie sollen zugelassen und wo nötig gefördert werden, womit ein wichtiger Schritt hin zur nachhaltigen Waldnutzung getan wird. Biodiversitätsschutz soll nicht statisch, sondern dynamischer Prozessschutz sein. Dies bedeutet, dass natürliche Alterung, Verjüngung und Sukzession im Wald stattfinden können. Wenn Anpflanzungen als sinnvoll erachtet werden, sollen diese an die heutigen Standorteigenschaften angepasst und vielfältig , also aus verschiedenen Arten und genetisch vielfältigem Saatgut zusammengesetzt sein. Prospektive Pflanzungen wie zum Beispiel die Verwendung von Tieflagenherkünften in höheren Lagen, welche mit dem Argument der gegenwärtigen Klimaerwärmung gerechtfertigt werden, sind nicht nachhaltig (K OSKELA et al. 2007). Wir sind nicht in der Lage, mehr als Szenarien über Umweltveränderungen zu beschreiben. Zwar ist die Tendenz zu steigenden Temperaturen anerkannt, bei den Klimamodellen herrscht jedoch grosse Unsicherheit hinsichtlich der zu erwartenden Niederschlagsmengen und -verteilung . Die Chance ist also gross , bei der Zusammensetzung von zukünftig als angepasst erwarteter Baumarten falsch zu wählen und kommenden Generationen Wälder zu hinterlassen, die nicht mehr standortgerecht sind. Nachhaltig 108 ist es hingegen, wenn durch Prozessschutz hohe F ortpflanzungsraten ermöglicht werden, so dass über die lange Lebensdauer von Bäumen hinweg ausreichend Gelegenheit geschaffen wird Nachkommen zu erzeugen, welche fortlaufend an die sich verändernden Standortbedingungen angepasst sind. Auch wenn das Ausbreitungspotenzial der Waldbäume limitiert ist (MCLACHLAN et al. 2006; S VENNING und SKOV 2007), um ihre Verbreitungsareale den prognostizierten Klimaschwankungen anzupassen, darf dennoch erwartet werden, dass unsere Waldbaumarten dank indivi dueller Plastizität sowie genetischer Vielfalt innerhalb der Arten vorübergehend unter nicht optimalen Bedingungen überdauern und ihr Verbreitungsgebiet zumindest teilweise den neuen Klimaverhältnissen anpassen können. Artenschutz, wie er im Bericht der Arbeitsgruppe Biodiversität zum WAP-CH neben dem Prozessschutz gefordert wird, hängt in vielen Fällen von der Erhaltung und erfolgreichen Vernetzung zerstreuter Bestände und ihrer Lebensräume ab . Eine wichtige Rolle nimmt das zwischen den Habitaten liegende Offenland und dessen Verzahnung mit dem Wald ein. Verschiedene Landschaftselemente können Genfluss zwischen Beständen von Waldbäumen fördern oder hemmen, wie aktuelle Untersuchungen zeigen (KAMM 2008). Dies muss bei spezifischen Arterhaltungsmassnahmen berücksichtigt werden, zum Beispiel bei der Schaffung von Trittsteinen. Spezialreservate oder Wälder von besonderem genetischen Interesse werden im WAP-CH zwar noch als Indikator im Bereich Artenschutz genannt, erscheinen aber aufgrund der Resultate zu Genfluss (Kap . 2) höchstens dann als sinnvoll, wenn sie mit bestehenden und zusätzlich begründeten Sonder- oder Naturwaldreservaten kombiniert werden. Genetische Untersuchungen erlauben, wie obige Ausführungen zeigen, vielfältige Einblicke in natürliche und menschlich geprägte Prozesse , welche in Zusammenhang mit der Waldnutzung stehen. Aber nur gezielte Studien können einen wirkungsvollen Beitrag zur nachhaltigen Waldnutzung leisten. Dazu bedarf es intensiver Diskussion zwischen F achleuten aus F orschung Forum für Wissen 2009 und Praxis , um entsprechende F ragestellungen zu erarbeiten. Zu dieser Auseinandersetzung kann und möchte die WSL einen Beitrag leisten. Dank Für hilfreiche Diskussionsbeiträge und Korrekturhinweise zu diesem Artikel bedanke ich mich bei Rolf Holderegger und Christoph Sperisen (WSL Birmensdorf) sowie Markus Bolliger (Sektion Jagd, Wildtiere und Waldbiodiversität, B AFU). F inanzielle Unterstützung für verschiedene WSL-Studien zu seltenen Baumarten wurde durch das BAFU gewährt. 6 Literatur BELMONTE, J .; ALARCÓN, M .; AVILA, A .; SCIALABBA, E .; P INO, D., 2008: Long-range transport of beech (Fagus sylvatica L.) pollen to Catalonia (north-eastern Spain). Int. J. Biometeorol. 52, 7: 675–687. COART, E.; VAN GLABEKE, S.; D E LOOSE, M.; LARSEN, A .S.; ROLDÁN-RUIZ, I., 2006: Chloroplast diversity in the genus Malus: new insights into the relationship between the European wild apple ( Malus sylvestris (L.) Mill.) and the domesticated apple ( Malus domestica Borkh.). Mol. Ecol. 15, 8: 2171–2182. 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That such knowledge is relevant for current silvicultural practice is illustrated with examples from own research and the literature . On the other hand, central European forestry practices are hardly evaluated empirically for their effects on neutral genetic diversity in forest trees . Likewise, there is only limited knowledge on specific gene variation and its effects on the phenotype and fitness of trees, despite intensive research involving manifold genomic tools. While genome research helps to better understand gene functions , its implementation for marker -assisted breeding or even genetic modifications of trees does not comply with sustainable silviculture . In conclusion, insights from the study of genetic diversity advocate the protection and promotion of natural processes , which is perfectly in line with widely accepted and applied silvicultural practices in Switzerland. Keywords: connectivity, gene flow, genetic diversity, molecular markers, population history, rare forest tree species, silvicultural practice CH). Schriftenreihe Umwelt. Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft, Bern. 117 S. Schweizerischer F orstverein, 2004: Naturnaher Waldbau als gesetzlich verankerter Standard für die Waldbewirtschaftung. Schweiz. Z. Forstw. 155, 12: 555–557. STREIFF, R .; D UCOUSSO, A .; LEXER, C .; STEINKELLNER, H .; G LÖSSL, J .; K REMER, A., 1999: P ollen dispersal inferred from paternity analysis in a mixed oak stand of Quercus robur L. and Quercus petraea (Matt.) Liebl. Mol. Ecol. 8, 5: 831–842. SVENNING, J .-C.; S KOV, F., 2007: Could the tree diversity pattern in Europe be generated by postglacial dispersal limitation? Ecol. Lett. 10, 6: 453–460. 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Das grosse Datenset ermöglicht es, mittels epidemiologischer Methoden ökologische Wirkungszusammenhänge zu erkennen. Gleichzeitig durchgeführte Experimente liefern Erkenntnisse über mechanistische Zusammenhänge dazu. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Zeitreihe sind nachfolgend aufgelistet. Detailliertere Informationen sind unter FLÜCKIGER und B RAUN (2009) zu finden. – Die Konzentrationen von Stickstoff , Magnesium und besonders Phosphor haben seit 1984 im Laub und in den Nadeln abgenommen. Während die Phosphorkonzentrationen in den meisten Beobachtungsflächen zu Beginn ausreichend waren, liegen sie heute meist unterhalb der Grenze zur Normalversorgung. – Der Stammzuwachs hat mehr abgenommen als mit zunehmendem Alter erklärt werden kann. Beim Triebwachstum ist eine Abnahme nach dem trockenen Sommer 2003 erkennbar. – Der Stammzuwachs ist mit der Stickstoffdeposition und der Phosphorkonzentration im Laub positiv korreliert, das Triebwachstum mit Stickstoffkonzentration und Phosphorkonzentration im Laub . Diese Korrelationen weisen darauf hin, dass die Abnahme der Phosphorkonzentration im Laub mit der Abnahme des Stammzuwachses kausal korreliert ist (BRAUN et al. 2009). – Eine Wiederholung der Bodenprobenentnahme ergab zwischen 1996 und 2005 eine Abnahme der Basen- – – – – – sättigung in kalkfreien Horizonten um im Mittel 5,3 %. Auch in der Bodenlösung lässt sich ein Fortschreiten der Bodenversauerung und eine Überschreitung der kritischen N-A uswaschungsraten in einem Grossteil der Flächen be obachten (B RAUN und F LÜCKIGER 2004). In basenarmen Flächen wurde eine Abnahme der Durchwurzelungstiefe und eine Zunahme der Windwurfhäufigkeit im Vergleich zu basenreichen Flächen beobachtet (B RAUN et al. 2003; BRAUN et al. 2005). Stickstoffdüngungsversuche mit jungen Buchen und F ichten ergaben eine Abnahme der K onzentrationen von P, K und/oder Mg im Laub und in den Nadeln, vergleichbar mit den Veränderungen in den Waldbeobachtungsflächen. Dies deutet darauf hin, dass die Stickstoffdeposition eine wichtige Rolle bei den im Wald festgestellten Prozessen spielt. Auf schwach gepufferten Böden beschleunigt Stickstoffdüngung die Bodenversauerung. Stickstoffdüngung erhöhte die Trokkenempfindlichkeit von jungen Buchen auf einem trockengefährdeten Standort, zusammen mit einer starken Abnahme der Kaliumkonzentrationen im Laub. – Stickstoffdüngung erhöhte den Befall von Buchen und Fichten mit verschiedenen Parasiten (F LÜCKIGER und BRAUN 1998). – In einem Trockenjahr war die Kaliumkonzentration im Laub von Waldbäumen negativ mit der Stickstoffdeposition korreliert. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die erhöhte Stickstoffdeposition und die Bodenversauerung die Empfindlichkeit der Wälder gegenüber abiotischen und biotischen Stressfaktoren erhöhen. Sie zeigen auch den Wert von Langzeitbeobachtungen des Waldes. Weiterführende Literatur BRAUN, S. ; F LÜCKIGER, W., 2004: Bodenversauerung in Waldbeobachtungsflächen der Schweiz. Bulletin BGS 27: 59–62. 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Forum für Wissen 2009: 113–124 113 Stickstoffeintrag und Ozonbelastung im Schweizer Wald aus der Sicht der Langfristigen Waldökosystem-Forschung Peter Waldner, Maria Schmitt, Marcus Schaub, Elisabeth Graf Pannatier und Anne Thimonier WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf maria.schmitt@wsl.ch, peter.waldner@wsl.ch, marcus.schaub@wsl.ch, elisabeth.pannatier@wsl.ch, anne.thimonier@wsl.ch Vor 15 Jahren wurden die ersten Flächen des Programms Langfristigen Waldökosystem-Forschung (LWF) eingerichtet. Die damals vorliegenden, kurzen Zeitreihen über den Waldzustand in der Schweiz (Sanasilva-Erhebungen) zeigten Tendenzen einer Verlichtung der Kronen der Waldbäume. Es blieb jedoch unklar, wie diese Ergebnisse mit der Luftbelastung zusammenhingen, da Veränderungen kaum einer bestimmten Ursache zugeordnet werden konnten. Auf den LWFFlächen werden die wichtigsten Einflussfaktoren und die wichtigsten Elemente des Ökosystems kontinuierlich beobachtet und die Ursache-Wirkung-Zusammenhänge untersucht. Die Emissionen von Schadstoffen in die Luft haben im 20. J ahrhundert stark zugenommen (Abb. 1) und damit gewann die Frage nach der schädlichen Wirkung dieser Stoffe für Mensch und Umwelt an Bedeutung. Wie bereits von D OBBERTIN et al. (in diesem Band) erwähnt, waren Ende der 1970er J ahre im süddeutschen Raum verbreitet Tannen abgestorben. Zudem erreichten Meldungen von zusammenbrechenden Wäldern aus dem durch Luftverschmutzung schwer belasteten Erz- und Riesengebirge an der Grenze zwischen der damaligen DDR und der Tschechoslowakei vermehrt die westliche Öffentlichkeit. Das Phänomen «Saurer Regen», das vor allem durch im Regenwasser gelöstes Schwefeldioxyd (SO2), Stickoxyde (NOx) und Ammoniak (NH3) verursacht wird, war bereits in den 1960er J ahren beschrieben worden. Aufgrund einer langfristigen Untersuchung in Norddeutschland publizierte U LRICH (1981) eine Hypothese, wie versauernde Einträge das Ökosystem Wald beeinflussen könnten. Der postulierte Zusammenhang zwischen Luftbelastung und Waldzustand sensibilisierte die Bevölkerung und es wurden verschiedene Massnahmen zur Reduktion der Luftschadstof- fe und zur Förderung der weiteren Erforschung der Zusammenhänge ergriffen (siehe auch BUCHER 1997). Nach aufwändigen F allstudien und Laborexperimenten (u. a. NFP14+: ROTH und S CHMID 1992; Urner Reuss tal: B RAUN et al. 1996) wurden in den 80er Jahren folgende Wirkungsmechanismen der Luftschadstoffe auf Waldökosysteme postuliert und weiter untersucht: 1) Erhöhte SO 4–2, N O3– und NH 4+ Einträge rufen eine beschleunigte Bodenversauerung hervor (U LRICH 1981), was zu einer Auswaschung 30 Emissionen Schweiz [kg S oder N ha–1 J–1] 1 Einleitung 25 20 15 von Nährstoffen (Ca, Mg , K) aus dem Boden und erhöhten Aluminium Gehalten im Bodenwasser führen kann, die für Wurzeln toxisch sind (CRONAN et al. 1989; GRAF PANNATIER et al. in diesem Band). 2) Ein erhöhter Eintrag des Nährstoffs Stickstoff in F orm von NO 3– und NH4+ führt bei knappem Angebot zu einer Steigerung des Wachstums. Ein Überangebot kann jedoch gemäss ABER et al.(1989) einerseits über ein verändertes W urzel/Spross V erhältnis und eine verminderte Aufnahme anderer Nährstoffe die Resistenz der Bäume gegenüber F rost, Sturm und T rockenheit beeinträchtigen und andererseits zu einem erhöhten Nitrataustrag ins Grundwasser führen. In einem fortgeschrittenen Stadium kann es zu einer Verschlechterung des Waldzustandes mit Wachstumsabnahme kommen. 3) Das reaktive Ozon (O 3) wird über die Spaltöffnungen der Blätter aufgenommen und führt dort zu Schädigungen des Photosyntheseapparates (PRINZ et al. 1982). Stickoxide + Ammoniak Schwefeldioxid Stickoxide NFP14+ LWF Sanasilva NOx + NH3 SO2 10 NOx 5 0 1900 LWF 1920 1940 1960 1980 2000 Abb. 1. Emissionen in der Schweiz von SO 2, NOx, NH3 (mittlere emittierte Elementmenge pro Fläche, B UWAL 1995) und die Messperioden des Nationalen F orschungsprogramms NFP14+, des Sanasilva-Programms und der Langfristigen Waldökosystem-Forschung (LWF). Gestrichelt: Szenario mit Emissionskoeffizienten von 1970 für den Verkehr. 114 Im Folgenden fokussieren wir auf die Wirkungsmechanismen von Stickstoffeintrag als Nährstoff und von Ozon. Die W irkung von V ersauernden Einträgen werden von GRAF PANNATIER et al. (in diesem Band) behandelt. In Europa trat 1983 die UN-ECE Konvention über die «weitreichende grenzüberschrei tende Luftverschmutzung» (LR TAP) in Kraft. In diesem Rahmen werden die Emissionen von Luftschadstoffen erhoben und deren Ausbreitung modelliert (EMEP , z. B. JONSON et al. 1998). In internationalen Kooperations-Programmen (ICP’ s) werden zudem die Auswirkungen der Luftschadstoffe auf verschiedene Ökosysteme, u.a. den Wald (ICP-Forests ab 1985, F ISCHER et al. 2008), innerhalb spezifischer Messnetze untersucht. In der Schweiz startete im J ahr 1983 das Sanasilva-Programm mit einer Beprobung von F ichten und einer gleichzeitigen Umfrage bei den Förstern (BUCHER et al. 1984; K AUFMANN et al. 1984; LANDOLT et al. 1984). Ab 1985 begann die reguläre Inventur des Waldzustandes als Teil des ICP-F orests Level I Messnetzes (D OBBERTIN et al. in diesem Band). Im Jahr 1994 wiesen die kurzen Zeitreihen Tendenzen zu einer zunehmenden Kronenverlichtung auf . Die Daten aus der Schweiz (W EBSTER et al. 1996) und Mitteleuropa (K ANDLER und INNES 1995) wiesen aber keine starken Korrelationen auf, welche eine eindeutige Zuweisung der beobachteten Veränderungen zu einer bestimmten Ursache erlaubt hätten. Zur Beurteilung der Luftbelastung wurde bald auch das K onzept der Critical Loads und Levels (CL) eingeführt, bei deren Unterschreitung gemäss Definition nach heutigem Wissensstand an den wichtigsten Elementen eines Ökosystems keine nachhaltigen Schäden auftreten sollen (N ILSSON und G RENNFELT 1988). Mit den oben erwähnten modellierten Luftbelastungen (EMEP) können Karten der Überschreitung der Critical Loads und Levels gezeichnet werden (siehe z. B. Abb. 9; R IHM 1996; K URZ et al. 1998). Aufgrund der Kenntnisse aus Fallstudien und Experimenten wurden 1988 erste Critical Loads für versauernde Einträge und für Stickstoffeinträge (N ILSSON und GRENNFELT 1988) definiert. Die Critical Loads für Stickstoff werden mittels einer Massenbilanz be- Forum für Wissen 2009 stimmt unter der Annahme, dass sich ein Gleichgewicht zwischen Ein- und Austrägen einstellt (SMB, Steady-State Mass Balance), wobei der Nitrataustrag unterhalb der Wurzelzone ein akzeptiertes Mass (5 kg ha –1 J–1) nicht übersteigen soll. Zusätzlich werden empirische Critical Loads von Experten festgelegt (A CHERMANN und B OBBINK 2003). Beim Ozon war anfänglich eine korrekte Diagnose von Schäden an Nadelbäumen und die F estlegung eines Grenzwertes schwierig, was dazu führte, dass dem Ozon als Verursacher von Blattschädigungen wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Im Jahr 1994 wurde für Ozon ein Critical Level für Pflanzen definiert. Grundlage bildeten Experimente, in denen die Summe der stündlichen Überschreitung der Ozonkonzentration von 40 ppb (A OT40) mit der Reduktion des Wachstum von jungen Waldbäumen korrelierte. Unter anderem wurde in einem Experiment mit jungen Buchen eine Reduktion des Biomassezuwachses um 10% bei einem AOT40-Wert von rund 10 ppm •h gefunden (F UHRER und A CHERMANN 1994). Für den Wald wurde der AOT40 Critical Level zuerst auf 10 ppm •h und im J ahr 2003 auf 5 ppm •h festgesetzt (SPRANGER et al. 2004). Die Critical Levels und Loads basieren auf vereinfachten Modellvorstellungen die auf Untersuchungen einer begrenzten Anzahl Flächen beruhen. In den 1990er J ahren kamen deshalb verschiedene Experten zur Ansicht, dass es eine grössere Datenbasis und bessere K enntnisse der Prozesse im Waldökosystem braucht, um die Wirkung der Luftbelastung adäquat beurteilen zu können. So einigte man sich, ein ICP F orests Level II Messnetz mit einem intensiven Monitoring der wichtigsten Ökosystemprozesse einzurichten. In der Schweiz begann die WSL im Jahr 1994 mit der Langfristigen Waldökosystem-Forschung (LWF) ein Level II Messnetz aufzubauen mit den Zielen, für die wichtigsten Waldökosysteme i) Veränderungen frühzeitig erkennen und ii) verbesserte Ursache-W irkungs-Zusammenhänge herleiten zu können. Mit diesem Artikel wird am Beispiel des Stickstoffeintrags und der Ozonbelastung aufgezeigt, welchen Beitrag das LWF leistet, um 1) die Auswirkungen der Luftbelastung auf den L WF-Flächen abzuschätzen und 2) die Critical Loads Konzepte und die Überschreitungskarten zu beurteilen. 2 Methoden Im Rahmen der Langfristigen Waldökosystem-Forschung wird heute auf 18 LWF-Flächen ein intensives Monitoring der wichtigsten Elemente des Waldökosystems und der wichtigsten Einflussfaktoren durchgeführt (Tab. 1). Auf den Flächen werden zudem periodisch der Zuwachs , die Verjüngung und der Kronenzustand erhoben (ICPForests 1994; BRANG 1997). Die Flächen sind über die Schweiz verteilt (Abb. 1 in D OBBERTIN et al. in diesem Band) und umfassen die wichtigsten Waldgesellschaften. Bei der Auswahl der Flächen waren die Homogenität des Bodens und des Bestandes weitere wichtige Kriterien. Jede LWF-Fläche (2 ha) enthält eine Intensiv-Monitoring-Fläche, die aus 16 Teilflächen (10 m × 10 m) besteht, 2 Subflächen (0,25 ha), auf denen jährlich der Kronenzustand erhoben wird und eine Meteo-Station im Bestand. Hinzu kommen eine 0,15 bis 2,8 km von der Bestandesfläche gelegene Meteo-Station im F reiland und südexponierte Waldrandabschnitte nahe dieser Station (Abb. 2 in D OBBERTIN et al. in diesem Band). 2.1 Stickstoffeintrag (Gesamtdeposition) Der Niederschlag im Bestand (Kronentraufe) und im F reiland (Bulk Deposition) wird mit Regen- oder Schneesammlern alle 14 Tage gesammelt und chemisch analysiert. Mittels eines Kronenaustauschmodells wird der Gesamteintrag an Stickstoff geschätzt (T HIMONIER et al. 2005). Die SMB Critical Loads für Stickstoff wurden mit den Formeln von R IHM (1996) geschätzt (WALDNER et al. 2007). Forum für Wissen 2009 115 Tab. 1. Ausgewählte Erhebungen auf den L WF-Flächen mit F requenz der Erhebung , Anzahl Replikationen pro Fläche . Für jede Fläche (Flächenkürzel siehe Abb. 1 in DOBBERTIN et al. in diesem Band) ist das Jahr des Beginns der Erhebung und das Jahr des aktuellsten vorliegenden Datensatzes angegeben. Fett markiert: in diesem Artikel dargestellte Daten. Legende: Freq = Frequenz, h = stündlich,2w = alle 2 Wochen, 1j = jährlich,2j = alle 2 Jahre, 5j = alle 5 Jahre, 1x = einmal,Repl = Replikationen pro Fläche, Fi = Fichte, Bu = Buche, Ei = Eiche, Hg = Hagebuche, Fö = Föhre, Ta = Tanne, Ar = Arve * aus NFP14+ (STARK 1991) bzw. NITREX (SCHLEPPI et al. 2004). Erhebung Freq Repl ALP BEA BET CEL CHI DAV ISO JUS LAU LEN NAT NEU NOV OTH SCH VIS VOR Meteorologie Ozonkonzentration Deposition Bodenlösung Bodenchemie Blattgehalte h 2w 2w 2w 1x 2j Ozonschäden 1j 1 3 16 8 16 5 97–09 02–04 96–98 97–98 98 Fi 88*, 95–07 02– 97–09 02–04 99–07 99–03 97 Fi 97–07 97–09 02–08 98–07 99–03 98 Bu 97– Ta 95–07 02– 02–08 2.2 Ozonbelastung Von April bis September werden auf sieben F reilandflächen die durchschnittlichen Ozonkonzentrationen mit je drei Passivsammlern (Passam AG, Schweiz) 2 m über dem Boden gemessen. Von den zweiwöchigen Durchschnittswerten werden mit Hilfe der statistischen Methode von T UOVINEN (2002) die Stundenwerte abgeleitet, um den AOT40 zu berechnen. Dabei stützt sich das Modell auf eine theoretische Gausssche Verteilung der Stundenwerte und geht von einer Standardabweichung von 15 ppb aus. 2.3 Ozonschäden Gegen Ende der Vegetationsperiode, aber noch vor der Herbstverfärbung , werden jedes J ahr die gleichen Waldrandabschnitte nahe der Passivsammler auf sichtbare Ozonschäden untersucht. Die beobachteten Symptome werden sowohl mit Begasungsversuchen reproduziert als auch mit mikroskopischen Methoden nachgewiesen und mit der Literatur verglichen (www. ozone.wsl.ch; I NNES et al. 2001; N OVAK et al. 2003). Eine Pflanzenart gilt als geschädigt, wenn an mehr als einem Blatt pro Pflanze typische Ozonschäden, die den Kriterien im ICP-F orests Manual (1998) entsprechen, auftreten. Zum Abgleich der Aufnahmemethoden in- 97–09 02–04 99–07 99–03 96 Ar 97–07 00–09 05–09 97–09 97–09 96–09 97–09 97–09 97–09 96–09 96–09 02–04 02–08 02–08 02–04 02–08 02–08 02–08 00–07 09– 97–07 96–07 98–07 97–99 96–07 94–07 99–03 99–03 98–03 98 98 95 94 96 97 97 95 94 Fi Fi Bu Ei Bu Fö Fö Bu Ei Bu 97–07 88*, 97–07 97–07 97–07 97–07 97–07 97–07 97–07 97–07 07 Hg 97– 02– 02– 02– 02–08 02–08 02– 02– 02–08 02–08 02–08 nerhalb Europas , wird jedes J ahr ein Trainingskurs für die Beobachter durchgeführt. 98–09 02–08 98–07 99–03 98 Bu 99–07 97–09 96–09 02–04 02–08 01–07 96–07 98–03 97 96 Fö Ta 97–07 95–07 02–08 02– 02–08 Die Bodenlösung wird mit Unterdruck-Saugkerzen (0,5 bar) aus 15, 50 und 80 cm Tiefe entnommen und chemisch analysiert (G RAF PANNATIER et al. in diesem Band). Der Nitrataustrag wird durch Multiplikation der Konzentration mit dem Sickerwasserfluss unterhalb des Wurzelraumes (80 cm) berechnet, wobei letzterer mit dem hydrologischen Modell WatBal (S TARR 1999) bestimmt wurde. sonal (T HIMONIER et al. 2008) sowie von Jahr zu Jahr (Abb. 2) und weist in den Messperioden (Tab. 1) teilweise einen leichten abnehmenden Trend auf (gemäss Seasonal Mann-K endall-Test signifikant auf 95 % Niveau für VOR, OTH, SCH, LAU). THIMONIER et al. (2005) und SCHMITT et al. (2005) zeigten, dass die auf den LWF-Flächen gemessene Gesamtdeposition trotz der unterschiedlichen Ansätze und angesichts der Unsicherheiten relativ gut mit den von R IHM (1996) für die ganze Schweiz modellierten Stickstoffeinträgen übereinstimmte (± rund 30 %). Die gemessene Gesamtdeposition überschreitet die empirischen und die SMB-Critical Load für Stickstoff auf je einer L WF-Flächen am Alpensüd(Novaggio) und Alpennordhang (Schänis) klar (Abb. 3). Auf den Flächen im Mittelland und im J ura liegt der Stickstoffeintrag im Bereich der Critical Loads oder überschreitet den SMB Critical Load leicht, und auf den alpinen Flächen liegt er klar tiefer als die Critical Loads. 3 Resultate 3.2 Blattspiegelwerte 3.1 Stickstoffeintrag (Deposition) Die Gehalte der Nährelemente Stickstoff (N), Phosphor (P), Kalium (K) und Magnesium (Mg) in den Blättern und Nadeln (Abb . 4) streuen jeweils zwischen den 5 Bäumen pro Bepro- 2.4 Blattspiegelwerte Von fünf Probebäumen, die knapp ausserhalb der L WF-Fläche liegen, aber für die Bäume auf der Fläche repräsentativ sind, werden alle zwei Jahre Blattoder Nadelproben aus der Baumkrone entnommen und chemisch analysiert. 2.5 Nitrataustrag Die Gesamtdeposition von Stickstoff auf den L WF-Flächen variiert innerhalb der Fläche (THIMONIER 1998), sai- N-Gesamtdeposition [kg ha–1 J–1] 116 Forum für Wissen 2009 40 30 20 10 0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 BET NEU JUS LAU OTH VOR ALP BEA SCH CEL NAT VIS CHI NOV bung (Standardabweichung N: 0,5–17 %, P: 2–26 %, K: 2–38 %, Mg: 0,6–49 %). Die mittleren N-Gehalte pro Standort lagen bei den Nadelbäumen unterhalb des optimalen Bereichs (B ERGMANN 1993) – ausser in CHI, der einzigen Nadelbaumfläche , bei der der Critical Load für Stickstoff überschritten wird. Bei den Laubbäumen liegen die N-Gehalte im optimalen Bereich – ausser bei den beiden Flächen mit klaren Überschreitungen der Critical Loads für Stickstoff , wo sie oberhalb des optimalen Bereichs liegen. Bei den Flächen mit einer klaren Überschreitung der Critical Loads (SCH, NOV, ISO, CHI) lagen jedoch in Isone Mg leicht und in Novaggio P, Mg und K deutlicher unterhalb des Optimums. Bei den Flächen mit einer leich- Abb. 2. Gesamtdeposition von Stickstoff auf den LWF-Flächen (THIMONIER et al. 2005). Flächenkürzel siehe Abbildung 1 in DOBBERTIN et al. in diesem Band. 40 Gesamtdeposition Stickstoff (Kronenaustauschmodel) Gesamtdeposition Stickstoff (korrigiertes CH-Model) 35 Deposition und Critical Loads [kg ha–1 Jahr–1] Critical loads Stickstoff (SMB) Critical Loads (empirisch) 30 25 20 15 10 5 0 BET NEU Jura JUS LAU OTH Mittelland VOR SCH ALP Voralpen BEA CEL NAT LEN Alpen VIS CHI ISO NOV Alpen Südseite Abb. 3. Stickstoffeintrag und Critical Loads für die L WF-Flächen (R IHM 1996; T HIMONIER et al. 2005). Flächenkürzel siehe Abbildung 1 in DOBBERTIN et al. in diesem Band. Forum für Wissen 2009 117 ten Überschreitung der CL lag die Pund Mg-V ersorgung der Tannen und Buchen auf dem Bettlachstock ebenfalls unterhalb des Optimums und in Othmarsingen waren die Buchen eher knapp mit Mg versorgt. Typische Mangelerscheinungen (z. B. Blattverfärbungen) wurden nicht beobachtet. Bei den übrigen Flächen war P wie N teilweise eher tief, Mg und K lagen aber im optimalen Bereich. Viele der N- und P-Gehalte weisen eine leicht abnehmende Tendenz auf, während K und Mg mehr oder weniger konstant blieben, was unter Einbezug der Werte von 1988 für Davos und Alptal (S TARK 1991) klar ersichtlich ist (Abb. 4). Beim V ergleich der Abbildungen 3 und 4 fällt auf , dass der zeitliche Verlauf der N-K onzentrationen in den Blättern und jener des Stickstoffeintrag in den Bestand bei vielen L WFFlächen ein ähnliches Muster aufweisen. Wenn die Waldföhren (siehe D OBBERTIN et al. in diesem Band, Wurzelfäulen im Nationalpark und in Visp) 30 und Arven weggelassen werden, korrelieren bei den Nadelbaumflächen die jährlichen Stickstoffeinträge mit den N-Gehalten der Nadeln (Abb . 5) und die N-Gehalte korrelieren wiederum negativ mit der Kronenverlichtung (nicht gezeigt), d. h. vermutlich positiv mit der produktiven Nadelmasse. 3.3 Nitratausträge Auf den LWF-Flächen mit Überschreitung der Critical Loads wurden erhöhte Nitratausträge (> 5 kg ha –1 J–1) gemessen, jedoch nicht bei allen Flächen (Abb. 6). In Novaggio , beispielsweise , ist der Nitrataustrag , trotz hohem Eintrag vergleichsweise gering , weist aber ein relativ hohes C/N-V erhältnis im Boden auf . Eine grobe Abschätzung der Stickstoffflüsse über die Ökosystemgrenzen hinweg (Abb . 6) ergibt, dass auf mehreren Flächen Stickstoff , vermutlich im Boden (Immobilisa tion), akkumuliert wird. 2 N 3.4 Ozon Der Mittelwert der AOT40 Werte von 2002 bis 2008 zeigt, dass der Critical Level für den Wald von 5 ppm•h auf allen untersuchten LWF-Flächen teilweise massiv überschritten wurde (Abb . 7). Obwohl die höchsten Werte auf der südlichsten L WF-Fläche in Novaggio (TI) gemessen wurden, lässt sich kein Nord-Süd Trend erkennen. Die Werte variieren von Jahr zu Jahr. Auf 6 von 7 untersuchten L WF-Flächen werden jährlich sichtbare Ozonschäden an der Vegetation festgestellt (Abb. 7 und 8). Auf der Fläche Bettlachstock wurden von 18 untersuchten Pflanzenarten, durchschnittlich 8 als geschädigt beurteilt. Auf der Fläche Novaggio, wo jedes J ahr die höchsten Ozonkonzentrationen gemessen werden, wurde jedoch keine der 8 untersuchten Arten als geschädigt beurteilt. Insgesamt wurde kein Zusammenhang zwischen den AOT40-Werten und der Anzahl geschädigter Pflanzenarten auf diesen Flächen gefunden. P Gehalt Blätter und Nadeln [g/kg] 20 1 10 0 12 10 0 3 K 8 Mg 2 6 4 1 2 0 1987 1992 BET Bu BET T a NEU Bu 1997 JUS Ei LAU Bu OTH Bu 2002 2007 VOR T a ALP F i BEA F i 0 1987 1992 SCH Bu CEL Ar DAV F i 1997 NAT F o LEN F o VIS Fo 2002 2007 CHI F i ISO Bu NOV Ei Abb. 4. Mittlere Konzentrationen von Stickstoff (N), Phophor (P), Kalium (K) und Magnesium (Mg) in Blättern und Nadeln (einjährig) aus Baumkronen von jeweils 5 Bäumen der Hauptbaumarten auf den L WF-Flächen (Flächenkürzel siehe Abbildung 1 in DOBBERTIN et al. in diesem Band, Baumarten: Fi = Fichte, Fo = Föhre, Ar = Arve, Bu = Buche, Ei = Eiche, Ta = Tanne). 118 Forum für Wissen 2009 30 N-Gehalt Blätter [g/kg] N-Gehalt Nadeln [g/kg] 20 15 10 Picea abies (Fi) Pinus mugo arborea (Fo) 5 0 Abies alba (Ta) Pinus cembra (Ar) Pinus sylvestris (Fo) 10 20 N-Gesamtdeposition [kg ha–1 J–1] 20 Fagus sylvatica (Bu) Quercus robur (Ei) 10 30 10 Quercus cerris (Ei) 20 30 N-Gesamtdeposition [kg ha–1 J–1] 40 Abb. 5. Stickstoffeintrag (Gesamtdeposition) und Stickstoffgehalt in Nadeln (links) und Blättern (rechts) auf den LWF-Flächen (Messperioden siehe Tabelle 1). Gezeigt werden die einzelnen Messjahre. Denitrifikation Stammholz Immobilisation Nitrataustrag 30 SCH Nitrataustrag [kg N ha–1 J–1] Stickstoffflüsse [kg N ha–1 J–1] 40 20 10 0 BET LAU OTH VOR SCH ALP BEA CEL NOV 10 LAU 5 BET NOV ALP VOR BEA CEL 0 5 10 15 20 25 C/N Verhältnis Waldboden [-] 30 Abb. 6. Grobe Bilanzierung der Stickstoffflüsse und C/N-Verhältnisse im Waldboden (Rohhumusauflage, bzw. oberste Bodenschicht). Der Stickstoffgesamteintrag (TD), der Nitrataustrag mit dem Sickerwasser (Le) und der N-Einbau im Stammholz (U) wurden anhand gemessener Daten bestimmt, die Denitrifikation mit gasförmigem Entweichen (De) nach RIHM (1996) geschätzt und daraus ergibt sich die Immobilisation (Im) als Restterm (TD-Le-U-De=Im). Flächenkürzel siehe Abbildung 1 in DOBBERTIN et al. in diesem Band. 9 AOT40 Anzahl Arten mit Symptomen AOT40 Grenzwert 60 8 7 AOT40 [ppm•h] 50 6 40 5 30 4 3 20 2 10 0 1 BET (18) NEU (15) JUS (13) LAU (18) OTH (14) SCH (7) Jura Mittelland Voralpen NOV (8) Süden 0 Anzahl Arten mit Ozonsymptomen 70 Abb. 7. Ozonbelastung (AOT40), der Critical Level für den Wald und die Anzahl Arten mit sichtbaren Ozonsymptomen für 7 LWF-Flächen (in Klammern: Anzahl untersuchter Arten), gemittelt über die J ahre 2002 bis 2008. Flächenkürzel siehe Abbildung 1 in DOBBERTIN et al. in diesem Band. Forum für Wissen 2009 119 Abb. 8. Typische, durch Ozon verursachte Schadsymptome an einheimischen Pflanzenarten (von links nach rechts und von oben nach unten): Rotbuche (Fagus sylvatica L.), Gemeine Esche ( Fraxinus excelsior L.), Sommerlinde (Tilia cordata Miller), Bergahorn (Acer pseudoplatanus L.), Spitzahorn ( Acer platanoides L.), Robinie ( Robinia pseudoacacia L.), Schwarzer Holunder ( Sambucus nigra L.), Wolliger Schneeball (Viburnum lantana L.) und Silber-Weide (Salix alba L.). Quelle: http://www.ozone.wsl.ch 4 Diskussion 4.1 Stickstoffeintrag Die leicht abnehmende Tendenz des Stickstoffeintrags auf den L WF-Flächen erscheint aufgrund des in der Messperiode festgestellten Rückgangs der Emissionen in der Schweiz (Abb . 2) und in Europa plausibel. Die Depositionsmessungen auf den L WF-Flä- chen bestätigen die modellierten Stickstoffeinträge: Trotz des Rückgangs der Emissionen werden die Critical Loads für Stickstoff am Alpennord- und Alpensüdhang teilweise immer noch klar überschritten. Im Mittelland und J ura werden die Critical Loads knapp erreicht oder knapp überschritten. In abgelegenen inneralpinen Tälern sind die Einträge klar tiefer als die Critical Loads (Abb. 3). Wir gehen davon aus, dass die Überschreitungen der Critical Loads für Stickstoff und der Critical Loads für versauernde Einträge (G RAF PANNATIER et al. in diesem Band) Ende der 1980er und Anfang der 1990er J ahre höher waren, und dass sie ohne die ergriffenen Luftreinhaltemassnahmen weiter angestiegen wären (Abb. 1). Die heutigen N-Einträge auf den LWF-Flächen sind im europäischen Vergleich 120 relativ hoch, aber deutlich tiefer als jene in Holland während der 1980er Jahre (50 kg N ha–1 J–1 und 70 kg S ha–1 J–1, BOXMAN et al. 2008) und jene im Erzgebirge während des Zusammenbrechens der dortigen Waldbestände (rund 50 kg N ha–1 J–1 und 150 kg S ha–1 J–1, korrigiert aus DAMBRINE et al. 1993; siehe auch N OVAK et al. 2005). Im Erzgebirge hatten zudem hohe SO 2-Konzentrationen in den Rauchgasfahnen der Kohlekraftwerke bei Inversionslagen zu extrem hohen Schwefelsäurekonzentrationen in den Nebeltröpfchen und so zu direkten Verätzungen an den Nadeln geführt (max. Halbstundenwert 1995/1996: 3000 mg/l, mündl. Mitt., Czech Hydrochemical Institute , 2005). Zum Vergleich: Auf der Lägern lag bei einer Messkampagne 2002 der maximale 6-Stundenwert bei rund 115 mg/l (B URKARD et al. 2003). Im Rahmen der LRTAP wurden die empirisch festgestellten Schäden und Veränderungen durch erhöhten Stickstoffeintrag zusammengestellt und die empirical Critical Loads auf 10 bis 20 kg N ha–1 J–1 festgesetzt (A CHERMANN und BOBBINK 2003). 4.2 Blattspiegelwerte Die eher knappe N-V ersorgung bei Nadelbäumen auf Flächen ohne Überschreitung der Critical Loads ist in Übereinstimmung mit Beobachtungen von L ANDOLT (1997) bei einer Beprobung im J ahr 1986 im Kanton Zürich. Bei 70 von 100 F ichtenstandorten lagen die N und die P Gehalte unterhalb des optimalen Bereiches. Bei Überschreitung des Critical Loads für Stickstoff gibt es eine Tendenz zu einer höheren N- und P- und einer tieferen Mg- und K-V ersorgung der Bäume und zwar unabhängig vom Sättigungsgrad der Fläche (siehe unten). Kalium ist unter anderem ein wichtiger Hilfsstoff vieler Enzyme (T ransport und Glukosebildung) und Magnesium spielt bei der Photosynthese eine Rolle. Sichtbare Mangelerscheinungen treten gemäss B ERGMANN (1993) meist erst bei noch tieferen K- und Mg-W erten auf. Die teilweise abnehmenden Nund P-Gehalte führen tendenziell zu besseren N/K- und N/Mg-V erhältnissen. Forum für Wissen 2009 Der ähnliche zeitliche Verlauf von N-Eintrag und N-Gehalt in den Blättern weist darauf hin, dass auf den LWF-Flächen ein Teil des Stickstoffs rasch von den Bäumen aufgenommen wird, wie dies bereits ein Versuch mit markiertem Stickstoff für einen F ichtenbestand im Alptal (S CHLEPPI et al. 1999) gezeigt hat. Die räumliche K orrelation ist ein weiteres Indiz, dass der Stickstoffeintrag die Versorgung der Nadeln und Blätter auf diesen Flächen beeinflusst. 4.3 Baumwachstum Mit den Indizien für eine Beeinflussung der Blattgehalte stellt sich auch die Frage nach dem Einfluss des Stickstoffeintrags auf das Wachstum. Mit den Daten der L WF-Flächen alleine kann, wegen der vielen Einflussfaktoren und der kleinen Anzahl Flächen, dazu keine gesicherte Aussage gemacht werden. DOBBERTIN (2005) zeigten, dass die Bäume bei der L WF-Fläche Othmarsingen heute schneller in die Höhe wachsen als vor 100 J ahren. Im Vergleich mit anderen Level II Flächen wurde ein Zusammenhang zwischen diesem Zuwachsanstieg mit den Stickstoffgehalten in den Blättern und dem Stickstoffeintrag gefunden. Bei Auswertung von 360 Level II Flächen (inklusive LWF-Flächen) fanden S OLBERG et al. (im Druck), bei hohem Stickstoffeintrag ein grösseres Wachstum, als aufgrund des Standorts , des Alters und der Bestandesdichte erwartet wurde. Das Wachstum wurde vor allem auf Flächen mit knapper Stickstoffverfügbarkeit (C/N > 25) moderat beeinflusst. F rühere Studien fanden mit anderen Methoden einen grösseren (Gasflüsse: M AGNANI et al. 2007) bzw. einen kleineren Einfluss (Isotope: NADELHOFFER et al. 1999). Somit kann die verbreitet beobachtete Wachstumssteigerung in der Schweiz (B RÄKER 1996; Z INGG 1996; D OBBERTIN 2005) vermutlich unter anderem auf die Zunahme des Stickstoffeintrags im 20. Jahrhundert zurückgeführt werden (siehe auch BUCHER 1997). 4.4 Vitalität und Stressresistenz Ein stärkeres Wachstum ist ein Vitalitätszeichen und zeigt, dass die betreffenden Waldbestände sich nicht im von ABER et al. (1989) postulierten Stadium einer fortgeschrittenen Stickstoffsättigung befinden. Die postulierten negativen Auswirkungen des Stickstoffeintrags über Wurzel/Spross- und Nährstoffverhältnisse auf die Resistenz der Bäume gegenüber Trockenheit, F rost, Sturm, Insekten sind jedoch schwierig zu untersuchen. D OBBERTIN et al. (in diesem Band) zeigen den Zusammenhang zwischen Trockenstress und Mortalität anhand des Sommers 2003. Für Aussagen über den Einfluss des Stickstoffs auf diesen Zusammenhang braucht es jedoch grössere Datensätze, da die Stresssituationen nur sporadisch auftreten. Nach dem Sturm Lothar fanden B RAUN et al. (2003) und M AYER et al. (2005) stärkere Windwurfschäden auf saureren Standorten als auf basischen, was aber gemäss U SBECK et al. (2005) unter Umständen auch auf regionale Unterschiede in der Böenspitzengeschwindigkeiten zurückgeführt werden könnte. Ein erhöhter Nitrataustrag ist eine weitere postulierte negative Auswirkung und kann die Wasserqualität bei entsprechender V orbelastung weiter beeinträchtigen. Auf drei LWF-Flächen war der Nitrataustrag grösser als das «akzeptierbare» Mass, das dem Critical Load zugrunde gelegt wurde . Ein erhöhter Nitrataustrag wurde jedoch nur auf jenen Flächen mit überschrittenen Critical Loads gefunden, die auch tiefe C/N-Verhältnisse aufweisen (Abb . 6). Die Konzepte von G UNDERSEN (1995) treffen auf die L WF-Flächen zu: nach diesen zeigt das hohe C/N-V erhältnis, dass die Fläche in Novaggio noch nicht mit Stickstoff gesättigt ist und erklärt den geringen Nitrataustrag . Diese Flächen akkumulieren zum Teil Stickstoff im Boden, womit das Risiko der Sättigung und des Nitrataustrags ins Grundwasser künftig zunehmen dürfte. Die modellierten Critical LoadsKarten weisen die Flächen mit Überschreitungen aus, nicht jedoch den Sättigungsgrad, welcher für das aktuelle Nitrataustragsrisiko relevant ist. Wenn die K onzepte von G UNDERSEN (1995; siehe auch D ISE et al. 2009) anwendbar sind, lässt sich der Sättigungsgrad mit Forum für Wissen 2009 verhältnismässig einfachen C/N-Messungen bestimmen und das aktuelle Nitratrisiko besser abschätzen. Um die Dauer bis zur Sättigung abschätzen zu können, ist über die F orm und über den Ort der Stickstoff akkumulation noch zu wenig bekannt. 4.5 Ozon Ozon entsteht unter der Einwirkung von Temperatur und UV-Strahlung aus den V orläufersubstanzen Stickstoffoxid (NOx), Kohlenmonoxid (CO) und flüchtigen, organischen Verbindungen (VOC). Die Ozonkonzentration hängt daher stark von den klimatischen Bedingungen, wie der Temperatur, dem Niederschlag und der Windrichtung ab und ist grossen und schwierig vorhersehbaren Schwankungen unterworfen. Ein Vergleich über alle gemessenen Jahre zeigt, dass auf den L WF-Flächen die höchsten Ozonkonzentrationen in den J ahren 2000 und 2008 gemessen worden sind (Daten hier nicht präsentiert). Obwohl im Hitzejahr 2003 schweizweit die meisten und höchsten Überschreitungen des Grenzwertes von 60 ppb gemessen worden sind, weisen die von uns untersuchten Flächen nur durchschnittliche Werte auf . Dies könnte auf die filternde Wirkung des Waldes zurückgeführt werden und zeigt die Komplexität der Bildung von Ozon auf, die regional zu grossen Unterschieden in der K onzentration führen kann. 121 Bei allen Vorbehalten gegenüber einer simplen AOT40-Berechnung, die auf zwei-wöchigen Durchschnittswerten und einer Gaussschen Verteilung der modellierten Stundenwerte beruht (TUOVINEN 2002), haben sich die Ozonmessungen mit preisgünstigen und von Elektrizität unabhängigen Passivsammlern als wichtig herausgestellt, um die effektiven Ozonkonzentrationen auf den L WF-Flächen abschätzen zu können. Der fehlende Zusammenhang zwischen den AOT40-Werten und der Anzahl geschädigter Pflanzenarten mag im ersten Moment erstaunen. Dabei scheint es jedoch wichtig , die Wirkungsweise von Ozon auf die Vegetation zu erläutern. Nicht alle Pflanzenarten reagieren gleich empfindlich auf erhöhte Ozonkonzentrationen. Untersuchungen an jungen, einheimischen Waldpflanzen haben gezeigt, dass z. B. die Schwarzpappel (Populus nigra) bei einer Dosis von 3 ppm •h AOT40 und die Winterlinde (Tilia cordata) bei einer Dosis von 20 ppm •h AOT40 Schadsymptome entwickeln (N OVAK et al. 2003). Dies wirft unweigerlich die F rage nach der Artenzusammensetzung auf . Die Empfindlichkeit eines Waldökosystems gegenüber den Einwirkungen von Ozon hängt primär von der Artenzusammensetzung des Bestandes ab . Anzahl und Empfindlichkeit der Arten auf den L WF-Flächen sind unterschiedlich (Abb . 7). Dies erklärt zumindest teilweise , dass zum Beispiel auf der L WF-Fläche Novaggio , wo jedes Jahr die höchsten Ozonkonzentration ge messen werden, keine sichtbaren Ozonsymptome beobachtet worden sind. Eine weitere Erklärung liefert REICH (1987) mit der Theorie, dass nicht die Konzentration, sondern die über einen bestimmten Zeitraum aufgenommene Menge (Dosis) für die Wirkung ausschlaggebend ist. J e mehr Ozonmoleküle von der Pflanze über die Spaltöffnungen in das Blattinnere aufgenommen werden, umso grösser das Risiko einer schädlichen Wirkung. Da der Gasaustausch über die Spaltöffnungen von vielen morphologischen und mikroklimatischen Bedingungen abhängt, macht diese Theorie deutlich, dass ein, auf der K onzentration basierender Grenzwert (z. B. AOT40), nicht geeignet ist, um mögliche Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung zu untersuchen. Dies führte zur Entwicklung des Flux-Konzeptes (Flux = engl. Durchflussmenge), bei dem die effektive Aufnahme von Ozon in das Blattinnere unter Berücksichtigung der wichtigsten Einflussfaktoren (Pflanzenart, Bodenfeuchte, Lufttemperatur und -feuchte, Strahlung , usw .) modelliert wird (S CHAUB et al. 2007). Zwei europäische Überschreitungskarten zeigen die resultierenden Unterschiede zwischen den beiden K onzepten (Abb. 9). Das Flux-Konzept berücksichtigt, dass trockene Gebiete unter gleich hohen Ozonkonzentrationen einem geringe- Abb. 9. Überschreitungen von kritischen Ozonwerten, berechnet (A) mit dem AOT40-Konzept, das auf der Konzentration basiert, und (B) mit dem Flux-Konzept, das auf der Modellierung der Aufnahme von Ozon basiert (SIMPSON et al. 2003) 122 ren Risiko von Ozonschäden ausgesetzt sind als feuchtere Gebiete. Momentan wird in Europa und den USA die Erfassung der für die FluxModellierung erforderlichen Eingangsgrössen angestrebt. Der Wechsel vom preisgünstigeren, einfacheren AOT40Ansatz zum aufwändigeren, realistischeren Flux-Ansatz verdeutlicht die laufende Anpassung der Erfassung der Luftbelastung an den neuesten Stand der Kenntnisse. 6 Schlussfolgerungen Mit der LRTAP-Konvention hat sich in Europa ein effizientes Werkzeug zur Regulierung der Luftbelastung etabliert. Das L WF bestätigte die für die Schweiz modellierten Stickstoffeinträge. Die Säureeinträge (G RAF PANNATIER et al. in diesem Band) und der Stickstoffeintrag gingen für einen markanten Teil der Waldfläche der Schweiz in den Bereich der Critical Loads zurück. Gemäss diesen modellierten Werten, welche an den L WF-Standorten durch Messungen bestätigt werden, liegt der Stickstoffeintrag heute in mehreren abgelegenen Tälern deutlich tiefer als der Critical Load, wird aber in Teilen der Voralpen und der Alpensüdseite nach wie vor klar überschritten. Die Untersuchungen der Blattspiegelwerte auf den L WF-Flächen lieferten Hinweise , dass der Stickstoffeintrag die Stickstoffversorgung der Blätter der Laub- und Nadelbäume auf diesen Flächen beeinflusst. Auf den LWF-Flächen ohne Überschreitung der Critical Loads liegen die Blattspiegelwerte bei Nadelbäumen in einem Bereich, der auf eine eher knappe Stickstoffversorgung hinweist. Die Zunahme des Stickstoffeintrags im 20. Jahrhundert dürfte somit die N-Versorgung der Blätter und das Wachstum auf diesen Flächen vermutlich eher verbessert haben. Bei Auswertung aller Level II Flächen in Europa (inklusive LWF-Flächen), wurde für knapp mit Stickstoff versorgte Flächen ein Zusammenhang zwischen dem Stickstoffeintrag und dem Baumwachstum gefunden. Andererseits wurde bei einem Teil der LWF-Flächen mit Überschreitung der Critical Loads in den Blättern N- Forum für Wissen 2009 Gehalte leicht oberhalb und K-, P- und Mg-Gehalte leicht unterhalb des optimalen Bereichs festgestellt. Typische Anzeichen von Mangelerscheinungen, wie z. B. Blattverfärbungen, wurden jedoch nicht beobachtet. Ebenfalls bei einem Teil der Flächen mit Überschreitungen der Critical Loads war der Nitrataustrag erhöht (>5 kg ha –1 J–1). Andere Flächen mit Überschreitungen der Critical Loads sind noch nicht gesättigt, was sich auch in hohen C/NVerhältnissen spiegelt. Das Wurzel/ Spross-Verhältnis wurde bisher nicht untersucht. Im Verbund mit weiteren ICP-Forests Level II Flächen bilden die LWF-Erhebungen eine gute Grundlage um den Einfluss des Stickstoffeintrags auf die Resistenz der Bäume zu untersuchen. Ozon hinterlässt keine analytisch messbaren Rückstände an den Blättern. Deshalb sind Schadsymptome die einzigen, relativ einfach erkennbaren Indizien für die Wirkung von Ozon auf die V egetation. W eitere W irkungen, wie z. B. die Reduktion der Photosyntheseleistung oder des Wachstums, konnten bisher nur an jungen Pflanzen unter kontrollierten Bedingungen nachgewiesen werden. Die bisherigen Untersuchungen zeigten, dass die Ozonkonzentrationen auch auf den LWF-Flächen jedes J ahr den Critical Level überschreiten. Es konnte auch nachgewiesen werden, dass eine Reihe einheimischer Pflanzenarten regelmässig durch Ozon verursachte und von blossem Auge sichtbare Schadsymptome aufweisen. Die F rage, ob und welches Risiko Ozon für den Wald bedeutet kann mit dem bisherigen, auf der Konzentration basierenden AOT40Ansatz nicht beantwortet werden. Die Modellierung der effektiv aufgenommenen Ozondosis unter Berücksichtigung von physiologischen, klimatischen und morphologischen Einflussgrössen ist viel versprechend, weil sie nicht zuletzt auch den Einfluss von Klimaparametern zu berücksichtigen versucht, die sich künftig wandeln könnten. Dank Zu den hier präsentierten Ergebnissen der Langfristigen Waldökosystem-Forschung beigetragen haben verschiedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der WSL und der beteiligten kantonalen und kommunalen Forstdienste und Fachstellen. Stellvertretend nennen wir: N. Kräuchi, J. Innes, M. Dobbertin, M. Rebetez, L. Walthert, P . Blaser , P . Brang, P . Waldispühl, P . Schleppi, O . Schramm, A. Brechbühl, N. Hajjar, Yuk Ying Cheung-T ang, G . Schneiter , C . Hug, F . P otzinger, R. Siegrist, M. Schmid, D . Trummer, M. Leimer , T. Stalder, B. Lüscher, F. Bontadina, J.-L. Malfroid, O. Mayor, A. Cuonz, K. Biaggi, W. Schirmer, H. Schaad, P. Zumstein, N. Freyre, A. Züricher , D. Christen, B. Peter, D . Pezzotta, A. Schlumpf , U . Graf, J. Bolenbach, P. Suter, M. Gysin, B. Staub und weitere ehemalige MitarbeiterInnen. 7 Literatur ABER, J.D.; N ADELHOFFER, K .J.; S TEUDLER, P.; M ELILLO, J.M., 1989: Nitrogen saturation in northern forest ecosystems . BioScience 39, 6: 378–386. ACHERMANN, B.; B OBBINK, R., 2003: Empirical Critical Loads for Nitrogen. Expert Workshop held under the Convention on LRTAP covering the region of the UNECE, Berne, 11–13 November 2002. Environmental Documentation, Swiss Agency for the Environment, Forests and Landscape, Berne. 327 p. BERGMANN, W., 1993: Ernährungsstörungen bei Kulturpflanzen. Jena, Gustav Fischer. 835 p. 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On some of these plots, the concentration of P, Mg and K in the foliage of the main tree species is slightly below the optimum for the species . However, no typical signs of deficiency such as discoloration have been observed. Indicators for nitrogen saturation such as elevated nitrate leaching or low C/N values were found on some of the plots with nitrogen deposition exceeding the critical loads for nitrogen. F rom 2002 to 2008, ambient concentrations of tropospheric ozone exceeded the critical level of 5 ppm •h AOT40 on all 7 plots that have been monitored. Visible symptoms of ozone injury were found on 6 out of 7 plots. No correlation between critical level (AOT40) exceedance and response intensity (symptom development) was found. To further investigate causeresponse relationships for ozone effects on forests, an uptake-based flux approach is recommended. Keywords: forest, nitrogen deposition, foliage nutrition, tropospheric ozone , visible ozone symptoms, Switzerland Forum für Wissen 2009: 125–129 125 Plädoyer für Langzeitforschung Norbert Kräuchi WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf norbert.kraeuchi@wsl.ch Ab 1.11.2009 Departement Bau, Verkehr und Umwelt, Abt. Landschaft und Gewässer, Entfelderstrasse 22, CH-5001 Aarau norbert.kraeuchi@ag.ch Das Prinzip der nachhaltigen Bewirtschaftung von Ressourcen ist zu einem zentralen Bestandteil unseres Denkens geworden. Der Dokumentation von Veränderung in Ökosystemen, der Bestimmung ihrer Ursachen und den mit den Veränderungen verbundenen kurz- und langfristigen Folgen kommt ein entsprechend hoher Stellenwert zu. Wissensgesellschaften sind in besonderem Ausmass gefordert ihre zentrale Ressource «Wissen» nachhaltig zu bewirtschaften. Dies beinhaltet nicht nur die Generierung neuer Informationen und Daten als Grundlage für neues Wissen, sondern auch die dauerhafte Pflege des erworbenen Wissens früherer Generationen. Dies aus dem einfachen Grund, weil es nicht vernünftig ist, langfristige Trends und ihre Konsequenzen aus dem Jetzt kurzzeitiger Entwicklungen abzuleiten. Grundlage von unsicherheits- und risikobehafteter Entscheide sind die vorhandenen Daten aus dem betrachteten System. Dabei bedarf es nicht nur einer detaillierten kurzfristigen Datenreihe, sondern auch einer umfassenden und langfristig angelegten Datenbasis. Voraussetzung dazu sind Engagment und Weitblick der Förderinstitutionen, welche sich mit ihrer Unterstützungspraxis klar zur Langzeitforschung bekennen. Ebenso sollten bestehende Datens(ch)ätze von den Forschenden allgemein zugänglich gemacht werden und vermehrt genutzt werden. 1 Einleitung Der Klimawandel beschäftigt uns seit geraumer Zeit. Wir sind Teil eines globalen Experimentes ohne K ontrolle (Abb. 1). Für die Schweiz geht das OcCC, das beratende Organ für F ragen der Klimaänderung , bis ins J ahr 2050 von einer Erwärmung von 2° Celsius aus (OcCC 2007). Sollte diese Prognose eintreffen, dann werden die Schweizer Wälder stark betroffen sein (EASTAUGH 2008; R IGLING et al. 2008). Für die Umwelt und den Menschen können nachteilige Entwicklungen auftreten, wie vermehrtes Auftreten von Extremereignissen (Trockenheit, Starkniederschläge) Artenschwund oder Insektenkalamitäten. Die Bewertung der daraus resultierenden Bedrohungspotentiale – beispielsweise für die Lebensraumsicherheit – in F orm von vergleichenden Risikoabschätzungen ist von grundlegender Bedeutung für ein problem- bzw . lösungsorientiertes Risikomanagement. So können die Fragen, welche Akteure eines Risikomanagements angesprochen und welche Strategien dem Problem angemes- sen sind, erst dann beantwortet werden, wenn die Wirkungsebenen der Risiken analysiert worden sind. Um das Verhalten der Wälder bei veränderten Rahmenbedingungen (Global Change) in Raum und Zeit abzuschätzen und wirksame forst- und umweltpolitische Massnahmen zu treffen, müssen die ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen F aktoren miteinander verknüpft werden. 2 Umweltinformation und Entscheidfindung Der Einbezug von Umweltinformation in die Entscheidfindung ist heute in der Regel wenig effektiv, da dieser oft erst dann stattfindet, wenn Themen bereits eine hohe Brisanz erreicht haben. Die Wissenschaft liefert Entscheidungsgrundlagen in Form von Daten und Erkenntnisse mit hoher Sicherheit, ist jedoch in den Entscheidungsprozess nur unbefriedigend eingebunden (Abb 2; A). Um eine optimale Einflussnahme Abb. 1. Globaler Wandel: Wir sind Teil eines Experimentes ohne K ontrolle. «Map/Trees being eaten». (Reproduziert mit Bewilligung von Chris Madden vom 6.8.2009) 126 Forum für Wissen 2009 der Wissenschaft im politischen und wirtschaftlichen Entscheidfindungsprozess zu erreichen, müsste dieser Einbezug viel früher stattfinden (Abb 2: B). Nur so können gemeinsame Lösungsansätze entwickelt und in Szenarien mögliche Wirkungen derselben abgeschätzt werden. Mit zunehmender Zeit nehmen die Effektivität der Handlung und das Risiko einer F ehleinschätzung ab. Wie K ydland und Prescott, die Ökonomie Nobelpreisträger von 2004, in ihren früheren Arbeiten festgestellt haben, ist es besser sich von vornherein auf eine (gute) Regel festzulegen als zum jeweiligen Zeitpunkt nach Gutdünken zu entscheiden und erst dann unter gegebenen Erwartungen das beste zu tun (K YDLAND und P RESCOTT 1977). Wenn nun aber – aus wissenschaftlicher Sicht – der sinnvolle Zeitpunkt Umweltinformationen in die Entscheidfindung zu integrieren, möglichst zu Beginn einer politischen Debatte über ein Thema zu erfolgen hat, wäre die Existenz langer Zeitreihen oftmals von Vorteil, da die Grundlage vieler Risikobetrachtungen die vorhandenen Daten aus dem betrachteten System sind. Dabei bedarf es nicht nur einer detaillierten kurzfristigen Beobachtungsreihe, sondern vielmehr einer umfassenden und langfristig angelegten Datenbasis. Der amerikanische Ökonom Jacob Viner (VINER 1958) hat dies folgendermassen festgehalten: “no matter how refined and how elaborate the analysis, if it rests solely on the short view it will still be … a structure built on shifting sands”. 3 Weshalb Langzeitforschung Im Vergleich zu den Zeiträumen von Jahren bis J ahrzehnten, mit denen wir Menschen umzugehen gewohnt sind, entwickelt sich der Wald langsam; er entwickelt sich so träge, dass wir ihn in der Regel nicht als dynamisch, sondern als statisch wahrnehmen. Waldökosysteme verändern sich auch langsam, weil sie in der Lage sind, Umwelteinflüsse über lange Zeit ohne augenfälli- Aktualität/Brisanz eines Issues A üblicher Zeitpunkt des Einbezugs von Umweltwi ssen in den Entscheidungsprozess B an gestrebter Zeitpunkt des Einbezugs von Umweltwi ssen in den Entscheidungsprozess A B Effektivität der Handlung/Risiko einer Fehleinschätzung Zeit Abb. 2. Einbezug von Umweltwissen in den politischen Entscheidfindungsprozess (nach VAUGHAN et al. 2003; EMAN 2005). Zum Zeitpunkt A sind die Informationen nicht zeitgerecht, haben eine hohe wissenschaftliche Sicherheit, sind auf K onfrontation ausgelegt und die Wissenschaft ist ± reiner Datenlieferant. Die Entscheide sind wenig effektiv, ineffizient, nicht adaptiv, kritisch/extrem. Würde der Einbezug früher (B) erfolgen, dann wären die Informationen zeitgerecht, relevant, nachfrageorientiert, mit höherem Risiko behaftet, unter Einbezug der Stakeholder erarbeitet. Die Entscheide sind dann effizient, effektiv und adaptiv und lassen verschiedene Handlungsoptionen offen. ge Veränderungen aufzufangen beziehungsweise abzupuffern (B LASER et al. 2008). Beispielsweise sind die internen Speicher für wichtige Stoffflüsse im Verhältnis zu den jährlichen Einträgen und Austrägen gross . Ein kalkreicher Waldboden reagiert daher auf Säureeinträge nicht unmittelbar , sondern erst, wenn sein Puffervermögen erschöpft ist. Bis es soweit ist, kann es Jahrzehnte bis Jahrhunderte dauern. Langzeitforschung führt oft zu Hypothesen, die dann mit gezielten kurzfristigen Ansätzen geprüft werden können. Simulationsmodelle, die häufig als Alternative zur Langzeitforschung propagiert werden, müssen mit Langzeitdaten validiert werden. In der ökologischen F orschung sind unter anderem in folgenden Fällen Langzeit-Studien nötig (PACE and COLE 1987): a) für allmählich ablaufende Veränderungen, b) für die langfristige Entwicklung von Populationen c) für ökologische Phänomene, die durch seltene oder unregelmässig auftretende Ereignisse bestimmt werden und d) für ökologische Phänomene, die je nach Jahr stark variieren. Seit Jahren sind im Wald Veränderungen wissenschaftlich nachgewiesen, die zwar langsam ablaufen, aber den Wald und damit seine Leistungen für die Gesellschaft langfristig beeinflussen können. Dazu gehören die Wachstumssteigerung der Bäume und die Einflüsse von Luftschadstoffen auf Bäume und auf den Boden. Für letzteres ist die langsame Versauerung eines Kryptopodsols im Tessin beispielhaft (B LASER et al. 1999). Ein weiteres Beispiel ist die Mortalität verschiedener Baumarten in einer Hochlagenaufforstung bei Davos; eine Beurteilung nach nur fünf Jahren hätte zu erheblichen F ehlschlüssen geführt (SENN und SCHÖNENBERGER 2001). Solche F ehlschlüsse bei zu kurzem Zeitfenster sind häufig (MAGNUSON 1990; W EATHERHEAD 1986); so wurde die Entwicklung der Kronenverlichtung in der Schweiz, nach dem Anstieg von 1985 bis 1987, damals als dramatisch beurteilt – ein Fehlschluss, wie wir heute wissen (BRANG 1998). Der W ert von Langzeitforschung steigt oft mit zunehmender Beobach- Forum für Wissen 2009 tungsdauer. Die WSL verfügt über einen Schatz von Daten aus Zeitreihen, die J ahrzehnte abdecken. Viele alte Versuche sind in diesem Sinn wertvoll, auch wenn heute «nur» noch die Daten aktuell sind, und nicht die ursprüngliche F ragestellung. Langzeitforschung (z. B. Ertragskundeflächen) ermöglicht es beispielsweise die F olgen von waldbaulichen Behandlungen zu erkennen, welche erst mit einem grösseren zeitlichen Verzug auftreten. In der Schweiz befinden wir uns in der glücklichen Lage , über eine Vielzahl von kurz- und langfristigen Datenreihen aus unterschiedlichen Waldökosystemen (LFI, Sanasilva, L WF, kantonale Dauerbeobachtungsflächen, BDM-CH, Bodeninventuren, vegetationskundliche Erhebungen …) zu verfügen. Die Integration dieser Informationssysteme, regionaler und nationaler Inventuren und Monitoringflächen ist von zentraler Bedeutung . Die Verknüpfung von Beobachtung und Modellierung erlaubt ein verbessertes Verständnis des betrachteten Systems (Abb. 3). Prozessorientierte Untersuchungen sollen einerseits mittels Prozessmodellen und andererseits mit Hilfe von Experimenten durchgeführt werden. Langzeitmonitoring und Simulationsexperimente am Computer ergänzen diese Module . Ersteres ermöglicht die Erfassung von Veränderungen, wohingegen regionale Simulationsexperimente eine Risikoabschätzung in Bezug auf diese Veränderungen erlauben. Die Synergieeffekte sämtlicher Teilbereiche resultieren im besseren Verstehen des betrachteten Systems (KRÄUCHI 1996). 4 Anforderung an die Langzeitforschung Wir können Gegenwartsprobleme nicht begreifen, ohne eine systematische Untersuchung früherer Ereignisse, welche die Gegenwart beeinflussen. Die Langzeitperspektive soll verhindern, dass Entscheidungsträger ihre Strategien aus dem J etzt kurzfristiger Entwicklungen zu erkennen versuchen, welche unter Umständen ein verzerrtes Bild des tatsächlichen Problems darstellen. Die nationalen und kantonalen Datengrundlagen in der Schweiz stellen 127 Existierende Informationssysteme und Inventuren (z. B. LFI, NABO, IAP u.a.) Beobachtung Experimente Prozessorientierte Untersuchungen LangzeitMonitoring Erfassen von Veränderungen Verstehen Regionale Simulationen ProzessModelle Risikoabschätzung in bezug auf Veränderung Modellierung Abb. 3. Konzeptueller Ansatz nachhaltiger Forschung (KRÄUCHI 1996). einen einmaligen Fundus wertvoller Information über den aktuellen Zustand und die vergangene Entwicklung im Schweizer Wald und einen Schlüssel zur Abschätzung zukünftiger Entwicklung dar. Der Zugang zu diesen Daten und Metadaten, deren Auswertung und deren Einbezug in neue F orschungsprojekte und Programme gehört zu den grossen Herausforderungen der aktuellen F orschungspolitik und F orschungsförderung. Eine Herausforderung deshalb , weil der finanzielle und personelle Aufwand für die vorgängige Digitalisierung, Überprüfung und Bereitstellung der Datenschätze und der daraus resultierende wissenschaftliche Ertrag zeitlich stark entkoppelt sein werden. Gegenwärtig ist die Zusammenarbeit und der Zugang zu wissenschaftlichen Daten suboptimal. SCHRÖDER (2007) gibt zu bedenken, dass statt vorhandene Informationen zu nutzen, neue erhoben werden, die wiederum in erheblichem Umfang nicht mehr genutzt werden oder nach einmaliger Nutzung nicht mehr für die Nachnutzung zur Verfügung stehen und folgert: «die Informationsnutzung ist weder nachhaltig noch effizient». Die offene Datenpolitik wird zusätzlich an Bedeutung gewinnen, wenn In the year 9595 I’m kinda wondering if man’s gonna be alive He’s taken everything this old earth can give And he ain’t put back nothing Zager and Evans (“In The Year 2525”, 1969) 128 Forum für Wissen 2009 Dass hinsichtlich Langzeitforschung und Langzeitmonitoring ein Umdenken stattfindet, zeigt sich eindrücklich am Beispiel des Global Climate Observation Systems GCOS: Basierend auf dem Bundesratsentscheid vom 6. J uni 2008 zur nachhaltigen F inanzierung wichtiger langfristiger Klimamessreihen im Rahmen von GCOS wurde am 19. Mai 2009 eine erste Vereinbarungen unterzeichnet. Ab 2010 wird im Auftrag von MeteoSchweiz der World Glacier Monitoring Service (WGMS) am Geographischen Institut der Universität Zürich als Beitrag zu GCOS betrieben. Auch in Bezug auf die Erhebung langfristiger Daten und die Erforschung des Ökosystems Wald wurde 2009 die Waldverordnung (WaV) angepasst. Gemäss W aV Artikel 37a Abs. 1 und 2 ist das Bundesamt für Umwelt (BAFU) zuständig für die Erhebungen der Daten zum Wald. In Zusammenarbeit mit der WSL erhebt es «in einem langfristigen Forschungsprogramm die Belastung des Waldökosystems». Das BAFU unterstützt bereits heute verschiedene nationale und kantonale Monitoringaktivitäten wie das Biodiversitäts-Monitoring Schweiz, die Förderagenturen realisieren, dass Datenzugang und Datenaustausch von zentraler Bedeutung für den wissenschaftlichen Fortschritt sind (A RZBERGER et al. 2004). Grundlage für diesen Datenaustausch bilden gut strukturierte und dokumentierte Datenbanken mit entsprechenden Metainformationen um den Datenverlust über die Zeit zu minimieren (Abb . 4) und eine saubere, offen deklarierte Datennutzungspolitik (LWF 2002). 5 Folgerungen Langzeitforschung verlangt langfristiges Engagement. Sie steht damit quer in der heutigen F orschungslandschaft, wo oft nur die aktuellsten (modischen) Fragen in kurzfristigen Projekten untersucht werden. In welchem Fall Langzeitforschung gerechtfertigt ist, ist sorgfältig zu prüfen (S PRINZ 2009). Ist aber einmal der Entscheid für Langzeitforschung gefallen, dann ist methodische Kontinuität von grösster Wichtigkeit. Langzeitforschung verträgt Methodenänderungen und Unterbrechungen in der Datenerhebung nur schlecht. Zeitpunkt der Publikation Spezifische Details Informationsgehalt Allgemeine Details Ruhestand oder Stellenwechsel Unfall Tod Zeit Abb. 4. Informationszerfall über die Zeit: Eine zentrale Herausforderung für Wissensgesellschaften im Allgemeinen und Langzeitforschung im Speziellen liegt darin, das sich ansammelnde Wissen in geeigneter Form über die Zeit abrufbar zu halten (nach M ICHENER et al. 1997). Nationale Bodenbeobachtung N ABO, das Nationale Beobachtungsnetz für Luftfremdstoffe NABEL, das interkantonale Dauerbeobachtungsprogramm im Wald oder das Landesforstinventar. Nun gilt es vermehrt das Monitoring sinnvoll mit der Forschung zu verknüpfen, denn Langzeitforschung kann wesentlich dazu beitragen, den nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen wissenschaftlich zu untermauern. Wie bereits erläutert, werden Förderbeiträge ausserhalb der Ressortforschung in der Regel aufgrund disziplinenspezifischer Erfolgsindikatoren gesprochen (z. B. den Impact Faktor, als Gütesiegel für wissenschaftlich gute Zeitschriften). Diese Indikatoren sind jedoch nur bedingt geeignet, langzeit- oder interdisziplinäre Ansätze, deren Werte sich erst über die Zeit voll entfalten, zu bewerten (ANDERSON et al. 2008). Hier besteht ein dringender Handlungsbedarf hinsichtlich neuer Indikatorensets zur Beurteilung von Langzeitforschung. Um zukunftsorientierte Langzeit-/ Ökosystemforschung zu betreiben, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: a) Commitment: Ökosystemforschung muss nicht nur kurz- sondern langfristig finanzierbar sein. Dies bedingt eine vorgängige, verbindliche Verpflichtung (Commitment) der betroffenen Akteure. b) Synergiewille: Ökosystemforschung braucht eine Strategie zur Optimierung der Synergien mit bestehenden Netzwerken und MonitoringProgrammen (Harmonisierung/ Standardisierung). c) Koordination: Ökosystemforschung braucht ein umfassendes Datenund Informationsmanagement mit klar definierten Vorschriften für die Nutzung der Daten (data access policy). Auch die F orschenden müssen ihren Beitrag für eine bessere Akzeptanz der Bedürfnisse der Langzeitforschung leisten, indem sie die anfallenden Daten kontinuierlich auswerten und publizieren. Forum für Wissen 2009 6 Literaturverzeichnis ANDERSON, C .B.; L IKENS, G .E.; R OZZI, R .; GUTIÉRREZ, J .R.; ARMESTO, J .J.; P OOLE, A., 2008: Integrating Science and Society through Long-T erm Socio-Ecological Research. Environ. Ethics Vol. 30: 295–312. ARZBERGER, P.; S CHROEDER, P.; B EAULIEU, A.; B OWKER, G.; C ASEY, K .; L AAKSONEN, L.; MOORMAN, L.; UHLIR, P.; WOUTERS, P.; 2004: Promoting Access to Public Research Data for Scientific, Economic, and Social Development. Data Science J ournal 3: 135–152. BLASER, P .; WALTHERT, L.; G RAF PANNATIER, E., 2008: The sensitivity of Swiss forest soils to acidification and the risk of aluminum toxicity. J. Plant Nutr . Soil Sci. 171: 605–612. BLASER, P .; Z YSSET, M .; Z IMMERMANN, S. ; LUSTER, J., 1999: Soil acidification in southern Switzerland between 1987 and 1997: A case study based on the critical load concept. Environ. Sci. Technol. 33: 2383–2389. BRANG, P . 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Abstract Pleading for long-term research Global warming and climate change are a unique global experiment without replicates and we all are part of it. It is therefore of highest priority to plan our man agement decisions based on sound knowledge of the system under consideration to minimise the uncertainty of the outcome. In order to avoid being trapped in the invisible present due to a limited insight into processes and natural variability , there is an urgent need for long-term data series and long-term research. This commitment to long-term research and long-term funding is a major challenge for today’s research funding , as short-term results are generally favoured over longterm promises. However , the key for an optimum long- and short-term research policy is a general agreement and commitment to share the data collected within the scientific community and to acknowledge the efforts needed to maintain and manage data over time. Keywords: long-term research, invisible present, research polic y, sustainability , data access policy