Langzeitforschung für eine nachhaltige Waldnutzung

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Langzeitforschung für eine nachhaltige Waldnutzung
ISSN 1021-2256
Langzeitforschung
für eine nachhaltige
Waldnutzung
Eidgenössische Forschungsanstalt WSL
CH-8903 Birmensdorf
2
Forum für Wissen ist eine Veranstaltung, die von der Eidg . Forschungsanstalt für
Wald, Schnee und Landschaft WSL durchgeführt wird. Aktuelle Themen aus den
Arbeitsgebieten der F orschungsanstalt werden vorgestellt und diskutiert. Neben
Referenten aus der WSL können auswärtige F achleute beigezogen werden.
Gleichzeitig zu jeder Veranstaltung «Forum für Wissen» erscheint eine auf das
Thema bezogene Publikation.
Verantwortlich für die Herausgabe
Prof. Dr. James Kirchner, Direktor WSL
Wir danken folgenden Personen, welche sich als Reviewer zur Verfügung stellten,
für die kritische Durchsicht der Beiträge und die hilfreichen K ommentare: Kurt
Bollmann, F elix Gugerli, Ruedi Häsler , Walter K eller, Werner Landolt, Peter
Longatti, Andreas Rigling, Josef Senn, Beatrice Senn, Christoph Sperisen, Veronika
Stöckli und Otto Wildi.
Managing Editor
Ruth Landolt
Herstellung des Tagungsbandes
Sandra Gurzeler
Druck
Druckzentrum AG
Zitierung
Eidgenössische Forschungsanstalt WSL (Hrsg.) 2009: Langzeitforschung für eine
nachhaltige Waldnutzung. Forum für Wissen 2009: 129 S.
Bezugsadresse
WSL Shop
Zürcherstrasse 111
CH-8903 Birmensdorf
E-Mail e-shop@wsl.ch
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ISSN 1021-2256
© Eidgenössische Forschungsanstalt WSL
Birmensdorf 2009
Forum für Wissen 2009
Forum für Wissen 2009
3
Vorwort
Der Begriff Nachhaltigkeit ist aus dem heutigen Sprachgebrauch kaum mehr wegzudenken. Nur zu oft wird er als moderner Qualitätsstandard gefeiert, ohne die
genaue Bedeutung und seinen Ursprung in der F orstwirtschaft zu kennen. Der
Begriff wurde 1713 von Hanß Carl von Carlowitz (1645–1714) in seinem Buch
«Sylvicultura Oeconomica» folgendermassen verwendet und geprägt: Wo Schaden aus unterbliebener Arbeit kommt, da wächst der Menschen Armuth und
Dürfftigkeit. Es lässet sich auch der Anbau des Holzes nicht so schleunig wie der
Acker-Bau tractiren; «… Wird derhalben die größte K unst, Wissenschaft, Fleiss,
und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen, wie eine sothane Conservation
und Anbau des Holzes anzustellen, daß es eine continuirliche beständige und
nachhaltende Nutzung gebe , weiln es eine unentbehrliche Sache ist, ohnewelche
das Land in seinem Esse nicht bleiben mag.»
So vertraut uns der Begriff Nachhaltigkeit heute auch erscheinen mag
, so
schwierig erweist er sich in der Umsetzung von Massnahmen. Die ökologische, gesellschaftliche, technische und wirtschaftliche Entwicklung wird bei steigender
Geschwindigkeit zunehmend komplexer . Die Rahmenbedingungen verändern
sich stetig und die Unsicherheiten über zukünftige Entwicklungen lassen sich
kaum verringern. Dies gilt insbesondere auch für die Bewirtschaftung und Nutzung unserer Wälder. Ein wesentliches Merkmal der Forstwirtschaft sind die weitreichenden Entscheidungshorizonte und die grosse zeitliche Distanz zwischen Ursache und Wirkung. Heute gefällte Entscheide werden den Wald und seine Wirkungen über Jahrzehnte prägen. Entsprechend bedeutsam ist die Dokumentation
von Veränderungen in Ökosystemen, die Bestimmung ihrer Ursachen und dieAbschätzung der mit den Veränderungen verbundenen kurz- und langfristigen F olgen.
Wenn wir heute die Zukunft nicht nur (unbewusst) passiv , sondern (bewusst)
aktiv gestalten wollen, sind wir auf lange Datenreihen angewiesen, denn F ehlschlüsse aufgrund zu kurzer Zeitfenster dürfen wir uns – auch aus Sicht der Generationenverantwortung – nicht erlauben.
Ebenso dürfen wir vorhandene
Datens(ch)ätze nicht mehr ungenutzt lassen.
Mit dem diesjährigen F orum für Wissen wollen wir anhand verschiedener Beispiele zeigen, weshalb Langzeitforschung in der Ökologie von unschätzbarer Bedeutung ist und eine wichtige Grundlage für die nachhaltige Waldnutzung darstellt. Gleichzeitig soll dargelegt werden, welches die Herausforderungen an eine
zeitgemässe Langzeitforschung sind.
Birmensdorf, im August 2009
Norbert Kräuchi und James Kirchner
Forum für Wissen 2009
5
Langzeitforschung für
eine nachhaltige Waldnutzung
Inhalt
Seite
Vorwort
3
Kronenverlichtung, Sterberaten und Waldwachstum in Langzeitstudien –
Welche Indikatoren beschreiben den Waldzustand am besten?
Matthias Dobbertin, Christian Hug und Peter Waldner
7
L’eau des sols forestiers: un milieu sensible aux changements
Elisabeth Graf Pannatier, Matthias Dobbertin, Maria Schmitt,
Anne Thimonier, Peter Waldner
21
Le futur des marais suisses: quelle place pour la forêt?
Elizabeth Feldmeyer-Christe, Ulrich Graf, Meinrad Küchler, Klaus Ecker,
Helen Küchler et Angéline Bedolla
31
Flechten im Wald: Vielfalt, Monitoring und Erhaltung
Christoph Scheidegger und Silvia Stofer
39
Mykorrhizapilze auf dem Rückzug – was bedeutet das für den Wald?
Simon Egli
51
Indikatoren und Ergebnisse zur nachhaltigen Waldnutzung
im Landesforstinventar LFI
Urs-Beat Brändli und Philippe Duc
59
Was lehrt uns die Ertragskunde hinsichtlich nachhaltiger Ressourcennutzung 67
im Wald?
Andreas Zingg
Ertragskundliche Dauerversuche – Fragen, Wege, Antworten
Markus Neumann
77
Langfristige Waldgrenzen-Forschung am Stillberg – vor lauter Bäumen
den Wald noch sehen
Peter Bebi, Frank Hagedorn, Melissa Martin, Christian Rixen, Josef Senn
und Ueli Wasem
87
Ausgewählte Ergebnisse aus fünfzig Jahren Forschung in Schweizer
Naturwaldreservaten
Harald Bugmann und Peter Brang
93
Können genetische Grundlagen zur nachhaltigen Waldnutzung beitragen?
Felix Gugerli
103
25 Jahre Walddauerbeobachtung in der Schweiz
Sabine Braun, Christian Schindler und Walter Flückiger
111
Stickstoffeintrag und Ozonbelastung im Schweizer Wald aus der Sicht
der Langfristigen Waldökosystem-Forschung
Peter Waldner, Maria Schmitt, Marcus Schaub, Elisabeth Graf Pannatier
und Anne Thimonier
113
Plädoyer für Langzeitforschung
Norbert Kräuchi
125
Forum für Wissen 2009: 7–20
7
Kronenverlichtung, Sterberaten und Waldwachstum
in Langzeitstudien – Welche Indikatoren beschreiben
den Waldzustand am besten?
Matthias Dobbertin, Christian Hug und Peter Waldner
WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
matthias.dobbertin@wsl.ch, christian.hug@wsl.ch, peter.waldner@wsl.ch
Anfang der 1980er Jahre wurde, ausgelöst durch hohe Schadstoffeinträge und flächiges Absterben von Fichtenwäldern in Osteuropa und Tannensterben in Mittelgebirgslagen, Alarm geschlagen. Daraufhin wurde in Europa und Nordamerika
eine der grössten Forschungsinitiativen ins Leben gerufen. Neben der Einführung
von jährlichen Waldzustandsinventuren wurden viele Langzeitforschungsflächen
installiert, wie jene der Langfristigen Waldökosystem-Forschung (LWF).
Die Erfassung des Waldzustands erwies sich jedoch als problematisch, da meist
keine Informationen, geschweige denn Zeitreihen zu Sterberaten und zum Zustand der Bäume vorlagen. Auch zum Zuwachs der Wälder gab es keine flächendeckenden Daten. Deshalb wurde der vermeintliche Verlust der Nadel-/Blattmasse der Bäume im Wald erhoben, und wurden Bäume mit hohem Verlust als geschädigt klassifiziert. Schon bald aber kamen Zweifel an der Brauchbarkeit dieses
Indikators auf.
Heute, 25 Jahre später, stellt sich die Frage, ob sich der Zustand des Waldes überhaupt einfach beschreiben lässt? Welche Indikatoren haben sich als geeignet erwiesen? Und welche Art der Langzeitforschung zum Waldzustand braucht es in
der Zukunft?
1 Einleitung
Ende der 1970er Jahre starben im süddeutschen Raum und den angrenzenden Regionen verbreitet Tannen ab .
Meldungen von zusammenbrechenden
Wäldern, zumeist F ichten, aus dem
schwer durch Luftverschmutzung belasteten Grenzgebiete der damaligen
DDR und der Tschechoslowakei, erreichten vermehrt die westliche Öffentlichkeit. Gleichzeitig wurden versauernde Seen in Skandinavien beobachtet und das Phänomen «Saurer
Regen» beschrieben, das vor allem
durch im Regenwasser gelöstes Schwefeldioxid (SO 2) und durch Stickstoffoxide (NOx) verursacht wurde. Mit der
Veröffentlichung der Ergebnisse einer
langfristigen Untersuchung im Solling
in Norddeutschland wurden von der
Forschergruppe um Prof . Ulrich (U LRICH et al. 1980) das erste Mal versauernde Einträge in den Waldboden als
weitere Ursache von Waldschäden in
Erwägung gezogen. In der Schweiz beobachteten F orstleute an verschiedenen Orten Schäden an Waldbäumen
und es stellte sich ebenfalls die F rage,
ob diese Schäden durch Luftschadstoffe verursacht wurden. In vielen Ländern Europas wurden deshalb Mitte
der 1980er J ahre jährliche Inventuren
zum Waldzustand, zumeist auf systematisch angelegten kleinen Stichprobenflächen, eingeführt. Doch schon zu
Beginn der 1990er Jahre wuchs die Erkenntnis, dass zur Klärung möglicher
durch Luftverschmutzung im Wald ablaufender Prozesse , intensive F orschung auf langfristig angelegten F orschungsflächen nötig ist (DOBBERTIN et
al. 2009).
2 Daten und Methodik
2.1 Die Untersuchungsflächen
Die Sanasilva-Inventur
Anders als in vielen europäischen Ländern wurde die Sanasilva-Inventur von
Beginn an auf den Flächen des Landesforstinventars (LFI, BRÄNDLI und DUC
in diesem Band) durchgeführt. Zu Beginn der systematischen Sanasilva-Inventur im Jahr 1985 wurde ein 4 × 4 km
Unternetz des 1 × 1 km Rasters des
LFIs ausgewählt. In den J ahren 1993,
1994 und 1997 wurde die Sanasilva-Inventur dann auf einem reduzierten 8 ×
8 km Netz durchgeführt (Abb. 1), 1995,
1996 und seit 1998 wird nur noch das
für das ICP F orests Programm vorgeschriebene 16 × 16 km Netz aufgenommen. Anders als in den EU-Ländern
werden alle Bäume , unabhängig ihrer
sozialen Stellung im Bestand, ab einem
Mindestdurchmesser in Brusthöhe
(BHD) erhoben (in einem 200 Aren
grossen inneren Probekreis ab 12 cm
BHD, im einem 500
Aren grossen
äusseren Probekreis ab 36 cm). Nur
vom LFI als Wald definierte Flächen
mit mindestens einem lebenden Baum
werden aufgenommen. Nach jedem
LFI (bisher alle 10 Jahre) wird die Anzahl Flächen der Sanasilva-Inventur
angepasst, um neue Waldflächen zu erfassen. Einwüchse , das heisst Bäume ,
welche neu den Mindestdurchmesser
erreicht haben, werden jährlich aufgenommen. Dadurch ist gewährleistet,
dass die Sanasilva-Inventur immer repräsentativ für den Schweizer Wald ist.
Die LWF-Flächen
Ab 1994 wurden in der Schweiz die
LWF-Flächen, vergleichbar den Level
II Flächen des ICP Forests (International Co-operative Programme on Assessment and Monitoring of Air Pollution Effects on F orests) eingerichtet.
Sie sollten alle Regionen der Schweiz
und die verschiedenen Höhenstufen
abdecken. Zudem sollten die typischen
Waldgesellschaften, aber auch sensitive
Standorte, enthalten sein. Heute sind
18 LWF-Flächen eingerichtet (Abb. 1).
Die Flächen sollten bei 2 ha Grösse
möglichst homogen bezüglich des
Standorts (Bodentyp und Vegetationszusammensetzung) und der Bestandesstruktur sein (WALTHERT et al. 2003). In
einigen Fällen musste , da die obigen
Kriterien nicht erfüllt werden konnten,
8
Forum für Wissen 2009
Abb. 1. Sanasilva-Netz und LWF-Flächen der Schweiz.
die Mindestgrösse reduziert werden
(siehe Tab. 1). Die meisten ausgewählten Flächen werden regulär bewirtschaftet, einige wenige befinden sich in
Naturwaldreservaten oder im Schweizer Nationalpark. Die meisten Bestände sind Altholzbestände, gut die Hälfte
davon Mischwälder mit 2 bis 4 dominanten Baumarten (T ab. 1). Innerhalb
der 2 ha Fläche wurden in der Regel 2
Subflächen von 0,25 ha Grösse ausgeschieden (Abb . 2). Während auf der
Gesamtfläche alle Bäume ab 12 cm
BHD nummeriert und geo-referenziert
wurden, geschah dies auf der Subfläche
für alle Bäume ab 5 cm BHD. Auf einer
Teilfläche wurden Erhebungen von
hoher zeitlicher Auflösung (z. B. die
zweiwöchentlichen Probeentnahmen
des Bestandesniederschlags oder die
vierwöchig erfolgenden Streusammlerleerungen) durchgeführt, die andere
Teilfläche sollte als von den Untersuchungen ungestörte Referenzfläche
dienen.
2.2 Indikatoren des Waldzustands
Im Folgenden werden kurz die drei am
häufigsten verwendeten Indikatoren
zur Beschreibung der Vitalität des Einzelbaums und des Waldzustandes aufgelistet und erklärt. Das sind die Kronenverlichtung, das Wachstum des Einzelbaums und des Bestandes und die
jährlichen Sterberaten des Bestandes .
Auf andere Indikatoren des Waldzustands wird in weiteren Beiträgen
dieses F orums eingegangen, wie zum
Beispiel die Nährstoffversorgung, Stickstoffsättigungseffekte und Ozonschäden der Bäume (S CHMITT et al. in diesem Band), der chemische und physische Bodenzustand (G RAF PANNATIER
et al. in diesem Band) und das Vorkommen sensitiver Arten (S CHEIDEGGER
und STOFER in diesem Band). Ausführliche Beschreibungen der Erhebungen
zum Bodenzustand, der Bodenlösung ,
dem Bestandesniederschlag , Streufall
und Nadel-/Blattbeprobungen können
dort nachgelesen werden.
Tabelle 2 skizziert die baumbezogenen Aufnahmen auf den Sanasilva- und
LWF-Flächen.
Die Kronenverlichtung und ihre Ursachen werden jährlich im Sommer zusammen mit anderen
Variablen im
Rahmen der Kronenansprachen erhobenen. Sie wird auf den L WF-Flächen
an allen Bäumen mit Brusthöhendurchmesser (BHD) von mindestens
12 cm (jährlich auf den Subflächen, alle
10 bis 15 J ahre auf der gesamten Fläche) und an allen erfassten Bäumen
der Sanansilva-Inventur durchgeführt
(Tab. 2). Dabei wird auch erfasst, ob
ein Baum lebt oder tot ist, steht, liegt
oder genutzt wurde . Messungen des
BHDs werden auf den Sanasilva-Flächen jährlich während der Kronenansprache durchgeführt. Der Stammumfang, die Baumhöhen und die Kronenansatzhöhen werden auf den L
WFFlächen alle 5 J ahre im Winter gemessen. Dabei werden auch die Nutzung
und das Absterben notiert und zusätzlich neu in die unterste Durchmesser-
1200
Isone
Fi
480
330–2210
Vordemwald
Sanasilva
Bu, Es, BAh, Ta
750
Othmarsingen 480
700
950
Novaggio
Visp
Bu
580
Neunkirch
Schänis
ZEi
1890
Nationalpark
Bu, Ta
alle Baumarten
Ta, Fi, TrEi
Fö, Mb
Bu
BFö
Fö
800
1050
Lens
Fö, Fi
StEi, Ha
Bu
Fi
Fi, Ta
Ar. Lä
Bu, Fi, Ta
Lausanne
500
1650
Davos
1475
1350
Chironico
Lantsch
1850
Celerina
Jussy
1500
1150
Bettlachstock
Fi, Ta
1150
Alptal
Beatenberg
HauptBaumarten*
LWF-Flächen Höhe
ü. Meer
verschieden
Hochwald
Hochwald, offen
Hochwald
Hochwald
Hochwald
Hochwald, unbew.
Hochwald, unbew.
Hochwald
Hochwald
Hochwald, offen
ehem. Mittelwald
ehem. Niederwald
Hochwald
Hochwald
Hochwald
Hochwald, unbew.
Hochwald
Plenterwald
Bewirtschaftung**
verschieden
100–200
40–80
120–150
110–150
40–70
80–180
180–210
140–170
50–170
> 250
60–100
40–90
> 220
140–180
> 200
> 170
190–210
ungleich
Alter im
Jahr 2008
0,05
2
2
2
1
1,5
2
2
2
2
2
2
2
1
2
2
1,3
2
0,6
Grösse
(ha)
–
763
23
820
550
166
433
173
218
663
177
326
249
508
617
364
400
351
193
–
18,4
1
8,4
8
4,7
4,2
1,7
3,3
10,6
2
6,7
4,8
6,3
9,1
4
5,7
3,1
8,5
0,4
0,3
6,0
0,1
0,0
0,2
0,1
1,4
0,4
0,2
0,0
0,5
0,3
0,1
0,2
0,0
0,2
0,4
0,2
1,5
0,1
1,9
0,4
2,4
0,0
1,1
0,4
0,5
0,1
0,1
0,3
0,1
0,1
0,1
0,1
0,0
1,3
1,1
23,7
21,2
27,3
–
15,5
24
20,1
70,2
25,7
21,7
–
32,5
18,5
–
27,5
21,3
29
35,1
15
28,9
30,2
34,2
17
14,5
33,6
22,7
54,9
28,1
32
38,5
23,5
19,7
33,8
32,7
17,8
22,6
34,2
19,6
Vorrat
Zuwachs Sterberate Nutzung
GesamtGesamt2005
1996–2005 1996–2005 1996–2005 verlichtung verlichtung
(% J–1)
1997
2007
(m3 ha–1) (m3 ha–1 J–1) (% J–1)
26,9
18,3
34,8
–
6,6
22,4
9,6
97,5
26,1
23,0
–
12,5
50,8
–
21,0
14,6
39,4
50,7
18,7
Anteil
Bäume
> 25%
1997
30,7
36,1
30,2
7,7
5,2
47,9
15,5
86,5
28,3
37,4
71,0
8,5
15,0
63,0
52,0
5,3
28,8
41,1
17,8
Anteil
Bäume
> 25%
2007
Tab. 1. Beschreibung der LWF-Flächen mit Angabe von Volumen, Volumenzuwachs, Sterberaten und Nutzung bis 2005 und Gesamtverlichtung von 1997 und 2007 als Mittelwert und Anteil Bäume
mit mehr als 25% Verlichtung und zum Vergleich die Ergebnisse der Sanasilva-Inventur.
* Ar = Arve, BAh = Bergahorn, BFö = Bergföhre, Bu = Buche, Es = Esche, Fi = Fichte, Fö = Föhre, Ha = Hagebuche, Lä = Lärche, Mb = Mehlbeere, StEi = Stieleiche, Ta = Weisstanne, TrEi = Traubeneiche, ZEi = Zerreiche.
** unbew. = unbewirtschaftet.
Forum für Wissen 2009
9
10
Forum für Wissen 2009
Abb. 2. Schema einer typischen LWF-Fläche.
Tab. 2. Baumbezogene Indikatoren auf dem Sanasilva-Netz und den LWF-Flächen, Aufnahmebeginn und Aufnahmeinterval.
* die Netzdichte der Sanasilva-Inventur hängt vom Aufnahmejahr ab: 1985–1992 erfolgte die Inventur auf dem 4 × 4 km Netz, 1993, 1994
und 1997 auf dem 8 × 8 km Netz und in allen anderen Jahren auf dem 16 × 16 km Netz.
Indikator
Variablen
Krone
Sanasilva*
Beginn
Verlichtung unbekannter Ursache
Gesamtverlichtung
Ursachen
Baumstatus Lebend/tot
Liegend/stehend
Nutzung
Einwuchs
Zuwachs
Brusthöhendurchmesser 1985
Stammumfang (periodisch)
Baumhöhe
Höhe Kronenansatz
Stammumfang (Messbänder)
klasse einwachsende Bäume nummeriert und geo-referenziert. Zur Bestimmung des jährlichen Zuwachses wurden an 10 bis 30 Bäumen der Hauptbaumarten jeder Fläche permanente
1985
1990
1990
1985
1985
1985
1985
–
1997
1997
–
Interval
LWF
Beginn
jährlich
jährlich
jährlich
jährlich
jährlich
jährlich
jährlich
jährlich
–
einmalig
einmalig
–
1995
1995
1995
1995
1995
1995
1995
–
1995
1995
1995
2002
Umfangmessbänder montiert. Die
Bäume wurden innerhalb festgelegter
Durchmesserklassen zufällig ausgewählt. Die Ablesung erfolgt einmal
jährlich im Oktober.
Gesamtfläche
Subflächen
alle 10–15 Jahre
alle 10–15 Jahre
alle 10–15 Jahre
alle 5 Jahre
alle 5 Jahre
alle 5 Jahre
alle 5 Jahre
–
alle 5 Jahre
alle 5–10 Jahre
alle 5–10 Jahre
jährlich
jährlich
jährlich
jährlich
jährlich
jährlich
alle 5 Jahre
–
alle 5 Jahre
alle 5 Jahre
alle 5 Jahre
jährlich an 10–30
Bäumen
Die Kronenverlichtung
Um die langfristige Entwicklung des
Waldzustands erfassen und objektiv
beurteilen zu können, musste ein einfach zu erhebender Indikator ausge-
Forum für Wissen 2009
wählt werden. Da ein Baum, bevor er
abstirbt, seine Nadeln oder Blätter
verliert, entschied man sich für die
Erfassung des «Nadel-/Blattverlustes»
(später Kronenverlichtung genannt),
angegeben in Prozent einer «voll belaubten» Baumkrone. Zur Standardisierung wurden in der Schweiz für jede
Baumart Bilder von Baumkronen mit
verschiedenen Kronenverlichtung angelegt und als Referenz verwendet
(MÜLLER und S TIERLIN 1990, Abb. 3).
Gleichzeitig wurde mit Hilfe von standardisierten Photoreihen und
Trainingskursen versucht, die Schätzung
der Equipen Jahr für Jahr auf dem gleichen Niveau zu halten. Dabei wird sowohl neben der gesamten Kronenverlichtung (im weiteren kurz Gesamtverlichtung genannt) auch der Anteil der
Verlichtung erfasst, der nicht durch bekannte Ursachen wie zum Beispiel Insektenfrass oder F rostschaden erklärt
werden kann (im weiteren unerklärte
Kronenverlichtung genannt), und zwar
jeweils in Stufen von 5 %. Ergebnisse
wurden meist als Anteil der Bäume mit
mehr als 25 % Kronenverlichtung dargestellt, da angenommen wurde , dass
solche Bäume geschädigt sind. Obwohl
heute diese Bäume nicht mehr automatisch als geschädigt gelten, wurde
diese Statistik zum Vergleich der langfristigen Reihen beibehalten. Bis zum
Jahr 1995 wurden jedes J ahr Bäume
auf Photoparcours photographiert und
im Feld geschätzt. Dadurch konnte die
Konsistenz der F eldansprachen getestet werden. Eine Vergleich mittels Ansprache zufällig angeordneter Photos
von F ichten des Parcours und der semi-automatischen Software CR OCO
ergab keinen signifikanten Trend der
Feldansprachen, wohl aber
Abweichungen bei F otos schlechter Qualität
und in einzelnen J ahren (D OBBERTIN
et al. 2004, 2005a).
Vorteile des Merkmals Kronenverlichtung: Die Ansprache der Kronenverlichtung ist verhältnismässig schnell im
Feld durchzuführen. Sie kann zerstörungsfrei durchgeführt werden. Sie ist
verhältnismässig kostengünstig . Die
Variable «Kronenverlichtung» erlaubt
verschiedenste Baumarten miteinander zu vergleichen, da sie relativ ist, das
heisst Bäume werden mit Referenzbäumen der gleichen Art verglichen.
Sie ist eine integrierende
Variable,
11
0%
50 %
75 %
Abb. 3. Referenzkronenbilder für F ichten mit Bürstenform und angegebener Gesamtverlichtung.
das heisst sie betrachtet den gesamten
Baum.
Nachteile des Merkmals Kronenverlichtung: Die Kronenverlichtung ist nicht
direkt messbar und muss stattdessen
von gut ausgebildeten F eldexperten
durchgeführt werden. Ein halb-aut omatisches Programm digital erfasste r
Baumkronen (CR OCO) erlaubt zwar
eine objektive Ermittlung der Kronenverlichtung, jedoch ist die Methode
bisher noch nicht im Wald einsetzbar
(MIZOUE und D OBBERTIN 2003). Trotz
Photovergleich mit Referenzbildern
besteht die Gefahr von systematischen
oder zufälligen Beobachterabweichungen, welche intensives Training und
Standardisierungsübungen erfordern.
Zudem ist die Kronenverlichtung
nicht Ursachen spezifisch, das heisst,
dass verschiedene Ursachen ähnlich hohe Kronenverlichtungen hervorrufen.
Es ist auch nicht klar in der Ansprache,
ob die Kronenverlichtung eines Baumes die F olge einer Vitalitätseinbusse
ist, oder ob sich der Baum eventuell
wieder von einem Stress erholt.
Es
braucht deshalb Referenzwerte um das
Merkmal einordnen zu können (i.e
.
welche Kronenverlichtung ist an einem
Standort für eine Baumart in einem bestimmten Alter zu erwarten? wie wäre
die erwartete Verteilung im Bestand?).
Sterberaten
Das Absterben von Bäumen im Wald
ist ein natürlicher Prozess . Mit zunehmender Dichte im Bestand erhöht sich
die K onkurrenz für Licht, Nährstoffe
und Wasser. Die Anzahl lebender Bäume nimmt ab . Generell wird zwischen
dem durch K onkurrenz verursachten
Absterben (vor allem unterdrückte
Bäume), dem zufälligen
Absterben
(einzelne über die Fläche verteilte Individuen der Oberschicht, die ohne ersichtlichen Grund absterben) und dem
durch biotische oder abiotische Ursachen oder deren K ombination bedingten Absterben (meist in Gruppen oder
mit ungewöhnlich hohen Sterberaten
von Bäumen der Oberschicht) unterschieden (D OBBERTIN und B RANG
2001).
Im Naturwald hängt die Sterberate
von der Entwicklungs- oder Sukzessionsstufe des Bestandes ab . J e nach
Schattentoleranz und Langlebigkeit
der Baumart unterscheiden sich deren
Sterberaten in den Entwicklungsstadien. Häufig werden bei sehr kleinen
Bäumen und bei grossen, alten Bäumen höhere Sterberaten beobachtet.
Bei den jüngeren liegt dies an der hohen Konkurrenz, bei den älteren an der
altersbedingten höheren Anfälligkeit
gegenüber biotischen (z. B. Insekten
und Pilze) und abiotischen F aktoren
(z. B. Klimaextreme). Für Bäume in bewirtschafteten Wäldern ergeben sich in
der Regel Sterberaten deutlich unter
1 % (NEUMANN und STEMBERGER 1990).
In unbewirtschafteten Wäldern oder
Naturwäldern werden diese höher sein.
Vorteile des Merkmals Sterberate: Die
Sterberate ist der ultimative Indikator
für «W aldsterben» oder die fehlende
Vitalität des Einzelbaumes. Absterbende Bäume sind verhältnismässig schnell
und eindeutig im Feld zu identifizieren.
Andere Indikatoren des Wald- oder
Baumzustandes könnten mit Hilfe
der Sterbewahrscheinlichkeiten getestet werden.
12
Nachteile des Merkmals Sterberate: Die
Sterberate ist ein Indikator , welcher
nur für Waldbestände erhoben werden
kann, am Einzelbaum kann sie nicht
angewendet werden. Da die Sterberaten natürlicherweise sehr niedrig sind,
braucht es grosse Datensätze oder sehr
lange Zeitreihen bis statistisch gesicherte Daten vorliegen. Es braucht geeignete Referenzwerte , um die Höhe
der Sterberate zu beurteilen. Die Sterberate wird durch die Nutzungsrate ,
aber auch Ereignisse wie
Windwurf,
Schneebruch oder F euer beeinflusst.
Um die mögliche Ursache des Absterbens zu ermitteln, braucht es perio dische Beobachtungen innerhalb eines
Jahres.
Baumwachstum
Wie kann das Baumwachstum bestimmt werden? Am einfachsten zu
messen ist der Stammdurchmesserzuwachs oder die J ahrringbreite, wesentlich schwieriger das Zweig- und das
Blattwachstum, inklusive der gesamten
oberirdischen Biomasse . Am schwierigsten jedoch ist, das Wurzelwachstum
zu erfassen oder die Entwicklung der
unterirdischen Biomasse zu verfolgen.
Deshalb wird vor allem das Stammwachstum als Stressindikator verwendet (D OBBERTIN 2005). Noch mehr als
bei den bereits besprochenen Merkmalen muss zwischen dem Erfassen der
Einzelbaums und dem des gesamten
Waldbestandes, das heisst der Summe
aller Bäume im Bestand, unterschieden werden. Das Einzelbaumwachstum, besonders das Dickenwachstum
des Stamms, hängt stark von der Einzelbaumkonkurrenz ab und nimmt
schnell mit der zunehmenden Dichte
der Bäume im Bestand ab. Es ist in der
Regel am stärksten für freistehende
Bäume. Hingegen steigt das Bestandeswachstum mit der Dichte des Bestandes an, bis eine optimale Bestandesdichte erreicht ist (KRAMER 1988).
Vorteile des Merkmals Wachstum:
Stammwachstum ist verhältnismässig
schnell und vor allem sehr genau im
Feld zu messen. Diese Messung und
die der Baumhöhe kann zerstörungsfrei durchgeführt werden. Die Messungen sind verhältnismässig kostengünstig. Mithilfe von J ahrringmessungen
kann am Einzelbaum die Vergangenheit rekonstruiert werden. Das Wachs-
Forum für Wissen 2009
tum ist eine integrierende Variable, das
heisst es spiegelt die generellen Bedingungen von Standort, Witterung und
Konkurrenz.
Nachteile des Merkmals Wachstum:
Wachstum ist auch ein unspezifischer
Parameter, das heisst, es erlaubt nur im
begrenzten Masse Rückschlüsse auf
Ursachen zu ziehen. Retrospektiv ermittelter Zuwachs durch Bohrkerne ist
nicht zerstörungsfrei und erlaubt keine
Aussage zum Bestandeswachstum,
wenn Bäume inzwischen abstarben
oder genutzt wurden. Wie schon bei
den beiden anderen Merkmalen
braucht man auch für das Wachstum
eine Referenz oder einen Erwartungswert um eine Bewertung durchführen
zu können.
3 Ergebnisse und Diskussion
3.1 Kronenverlichtung
Die Entwicklung der Kronenverlichtung auf dem Sanasilva-Netz
In der Schweiz stieg der Anteil stark
verlichteter Bäume bis Mitte der
1990er Jahre stetig an (Abb . 4), zeigte
aber danach bei grösseren jährlichen
Schwankungen keinen langfristigen
Trend. Ähnliches wurde auch in Nachbarländern beobachtet. Wobei hier der
Trend zur Stagnation oder zu weniger
stark verlichteten Kronen schon früher
einsetzte. Einige auffällige jährliche
Zunahmen der Kronenverlichtung in
der Schweiz fallen mit speziellen klimatischen Ereignissen zusammen, so
der Winter- und Spätfrost im Winter
1986/87 (EAFV 1987), die Stürme Vivian Anfang 1990 und Lothar Ende 1999
und der Hitzesommer 2003. Auf den
LWF-Flächen ergab sich seit ihrer Einrichtung kein Trend in der Kronenverlichtung. Generell, streut die Variable
«Anteil der Bäume mit mehr als 25 %
Gesamtverlichtung» stärker von J ahr
zu Jahr als die mittlere Kronenverlichtung. Dies trifft insbesondere auf die
Flächen zu, in denen eine hoher Anteil
der Bäume eine Verlichtung um 25 %
haben (Tab. 1).
Der Hitzesommer 2003
Der stärkste Anstieg der Kronenverlichtung erfolgte im Jahr nach dem Hitzesommer 2003. Ähnliche Anstiege
wurden auch in den Nachbarländern
beobachtet (R ENAUD und N AGELEISEN
2005; S EIDLING 2007). Bis Ende J uli
warfen in der gesamten Schweiz relativ
wenige Bäume ihre Blätter frühzeitig
ab. Ab August jedoch – der grösste Teil
der Sanasilva-Inventur war bereits
durchgeführt – verfärbten sich die
Blätter einzelner Bäume (M EIER et al.
2004; T HALMAN et al. 2005). Eine Wiederholungsansprache im September
2003 von 374 Laubbäumen auf 5 LWFFlächen fand jedoch nur knapp 7
%
der Bäume mit entweder braun verfärbten Kronen oder Kronen, an denen
seit J uli die Gesamtverlichtung um
mehr als 15 % angestiegen war . Der
Anteil war am höchsten auf den Flächen mit dem höchsten berechneten
Trockenstress (G RAF PANNATIER et al.
2007). Das heisst, dass sich die Trokkenheit im Jahr 2003 nur wenig auf die
Belaubung ausgewirkt hat. Es ist jedoch bekannt, dass bei der Entwicklung der Knospen im Spätsommer und
Herbst die Anlagen für die nächstjährigen Blätter und Nadeln entstehen. Der
grosse Trockenstress gegen Ende des
Sommers 2003 hat deshalb vermutlich
dazu geführt, dass die Bäume im Folgejahr weniger Blätter und Nadeln gebildet haben. Zudem hat der Trockensommer bei Baumarten wie der Buche
eine starke Samenbildung im Folgejahr
ausgelöst. Wegen des hohen Energiebedarfs für die Samenbildung bleiben
die Blätter in der Regel kleiner als in
anderen J ahren. Zwischen dem Anstieg der Kronenverlichtung auf 13
LWF-Flächen im J ahr 2004 im Vergleich zum J ahr 2003 und dem Unterschied in der Wasserverfügbarkeit zwischen März und August beider J ahre
konnte eine signifikante Beziehung gefunden werden: je geringer die Wasserverfügbarkeit im Jahr 2003 umso höher
der Anstieg der Verlichtung im J ahr
2004 (R2 = 0.35, GRAF PANNATIER et al.
2007).
Die Kronenverlichtung auf den
LWF-Flächen
Ein Vergleich der Kronenverlichtung
auf den LWF-Flächen und der Sanasilva-Inventur zeigt die grossen Unterschiede zwischen den Flächen (Tab. 1).
So weisen die Bergföhren im Nationalpark im Durchschnitt aller Bäume eine
mehr als doppelt so hohe Gesamtverlichtung auf wie der Durchschnitt der
Forum für Wissen 2009
13
50
Anteil Bäume mit > 25% Kronenverlichtung (%)
45
40
35
Gesamtverlichtung
30
25
20
Kronenverlichtung unbekannter Ursache
15
10
5
0
Frost
Sturm Vivian
Sturm Lothar
4 × 4 km
8 × 8 km 16 × 16 km 8 × 8 km
Hitzesommer
16 × 16 km
1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Abb. 4. Anteil Bäume mit Kronenverlichtung > 25 % in der Schweiz seit 1985 (je mit 2-fachem Standardfehler), darunter das verwe ndete
Beobachtungsnetz.
zwar fast alle Bäume stark verlichtet
sind, aber keine stehend toten Bäume
vorkommen. Das kann zum einen an
der unterschiedlichen Nutzungsart an
beiden Orten liegen und zum anderen
daran, dass in Lantsch bei sehr geringer Bestandesdichte und langsamem
35
Wachstum trotz des hohen Baumalters
praktisch keine Bäume absterben. In
Beatenberg, einer sehr windexponierten Fläche , haben die Stürme Vivian
und Lothar und anschliessender Borkenkäferbefall zu einer hohen Anzahl
toter Bäume geführt.
Alptal, ungleich alt
Beatenberg, 190–210 Jahre
Lantsch, > 250 Jahre
30
Anteil Bäume (%)
Sanasilva-Inventur. Auch die Gesamtverlichtung in Lantsch und in Visp sind
vergleichsweise hoch. Dagegen ist die
Verlichtung im Alptal, Schänis und in
Othmarsingen deutlich niedriger als in
der gesamten Schweiz. Das gleiche gilt
auch für die Anteile von Bäumen mit
mehr als 25 % Gesamtverlichtung.
Bei gleichen Mittelwerten kann die
Verteilung der Verlichtung im Bestand
sehr unterschiedlich sein (Abb . 5). Im
Sommer 2006 war zum Beispiel an den
Fichten im Alptal die Verteilung zu den
niedrigen Verlichtungen hin verschoben, mit einigen hoch verlichteten zumeist aus dem Bestandesdach herausragenden Altbäumen (Mittelwert ohne
tote Bäume: 10 %, Anteil lebender
Bäume mit > 25 % Verlichtung: 6 %).
Im Fichtenaltbestand in Beatenberg ist
die Verteilung fast symmetrisch, sieht
man von dem hohen Anteil toter Bäume ab (Mittelwert: 25 %, Anteil >25 %:
39 %). Die ebenfalls fast symmetrisch
verteilten Verlichtungen im Fichtenaltbestand in Lantsch zeigen im Durchschnitt höhere
Werte (Mittelwert:
44 %, Anteil > 25 %: 92 %). Auffällig ist
hier, dass im Gegensatz zu Beatenberg
25
20
15
10
5
0
0
5
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 85 90 100
Konenverlichtung 2006 (%)
Abb. 5. Verteilung der Gesamtverlichtung für Fichten auf drei verschiedenen LWF-Flächen
im Jahr 2006.
14
Forum für Wissen 2009
Weitere Gründe für die höheren
Verlichtungen der F ichten in Lantsch
und Beatenberg sind unter anderem
das höhere Alter der F ichten und die
schlechtere Nährstoffversorgung . Die
meisten bisherigen Studien zeigen,
dass besonders für die Nadelbäume
mit steigendem Alter die Kronenverlichtung zunimmt. Der Grund dafür
liegt zum grössten Teil wohl in dem
sich verändernden
Verhältnis von
Zweigholz- zu Nadelmasse, welches zu
erhöhter Kronentransparenz führt und
bei der Ermittlung der Kronenverlichtung nicht ausreichend korrigiert wird.
Ausserdem steigt mit dem Alter der
Anteil von Stamm- und Wurzelfäulen
befallener Bäume , welches ebenfalls
zur Erhöhung der Kronenverlichtung
beiträgt (SCHMID-HAAS et al. 1997).
Insektenbefall und Kronenverlichtung
Eine häufige Ursache der Kronenverlichtung ist der Nadel- oder Blattfrass
durch Insekten. Auf der L WF-Fläche
Celerina verursachte der zyklische Befall durch den Lärchenwickler in den
letzten beiden Ausbruchsjahren (normalerweise alle 7 bis 10 J ahre) einen
Anstieg der mittleren Gesamtverlichtung von 19 % vor und nach dem Befall (1998, 2001) auf 41 % (1999) und
31 % (2000). J e nachdem in welchem
Jahr man also die Verteilung der Kronenverlichtung erhebt, ergibt sich eine
andere Einschätzung des Zustandes
der Fläche . Obwohl ein Lärchenwicklerbefall in der Regel das Stammwachstum der Bäume reduziert, führt er nur
bei extremem Befall und nachfolgen-
der Trockenheit zu erhöhten Sterberaten der Lärchen (D OBBERTIN et al.
2007).
Auf der LWF-Fläche Jussy hat Blattfrass durch verschiedene Schmetterlingsraupen, vor allem die von F rostspannern, zu erhöhten Kronenverlichtungen an den Eichen und Hagebuchen
geführt (T ab. 3). Anscheinend gibt es
auch hier mehrjährige Zyklen mit
erhöhten Raupenpopulationen. Zum
Höhepunkt des Raupenbefalls (2005)
zeigten 98 % aller Bäume zerfressene
Blätter, welche die Gesamtverlichtung
seit Beginn des Befalls um 18,6 % erhöhte. Dies entspricht einer Verdopplung der Kronenverlichtung von vor
dem Befall. Im J ahr 2008 wurde nur
noch an 3 % der Bäume Insektenfrass
beobachtet und eine Gesamtverlichtung ähnlich wie vor dem Befall gefunden. Im Feld wurden bei der Aufnahme
2005 der Ursache Insektenfrass 13,4 %
der Gesamtverlichtung zugeschrieben.
Gleichzeitig mit dem Anstieg der Kronenverlichtung ging der Stammzuwachs der Bäume deutlich zurück ehe
er wieder anstieg. Es ist hier wichtig zu
bemerken, dass zwar auch hier der Hitzesommer 2003 den Stammzuwachs reduzierte, aber der Tiefpunkt mit dem
Maximum der Kronenverlichtung
durch Insekten zusammenfiel. Ohne
das Wissen des Insektenfrasses durch
die Kronenansprache hätte man fälschlich die Reduktion im Stammzuwachs
im Jahr 2005 für einen verspäteten Effekt der Trockenheit gehalten.
Die beobachtete Kronenverlichtung
konnte somit in vielen Fällen einer bekannten Ursache zugeordnet werden.
Tab. 3. Veränderung der Gesamtverlichtung auf der L WF-Fläche J ussy seit 2001, Anteil
Bäume mit beobachtetem Blattfrass durch Insekten, durchschnittlicher Abzug an der Gesamtverlichtung wegen Insektenfrass und durchschnittlicher Stammzuwachs von Stieleichen und Hagebuchen (für die Kronenansprachen rund 270 Bäume, für den Stammzuwachs
17 Bäume).
Jahr
Veränderung der
Gesamtverlichtung
(%)
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
3,7
3,7
16,3
18,6
8,4
3,5
1,7
Anteil Bäume Abzug der GesamtMittlerer
mit Insekten- verlichtung wegen Basalflächenfrass (%)
Insektenfrass (%) zuwachs (cm2)
16,9
61,4
75,7
98,2
84,5
23,5
3,4
4,1
7,1
7,4
13,4
8,0
2,7
0,5
9,7
8,3
8,6
7,0
8,8
12,2
12,4
Der Einfluss der Luftverschmutzung
auf die Kronenverlichtung lässt sich
mit dieser Methode allerdings nicht
eindeutig nachweisen, da es zu viele
Ursachen gibt, die mögliche Effekte
von Luftverschmutzung oder Schadstoffeinträgen überdecken können. Er
kann höchstens über statistische Auswertungen mit vielen Flächen, etwa
den europäischen Level II Flächen, geschätzt werden.
Einfluss mehrerer Umweltfaktoren
auf die Kronenverlichtung
Es ist von grossem wissenschaftlichem
Interesse, die verschiedenen möglichen
Ursachen der Kronenverlichtung gleichzeitig auszuwerten und zu quantifizieren und mögliche Wechselwirkung zwischen den
Waldzustandsindikatoren
auf der einen und den Ursachen auf
der anderen Seite zu erfassen. Grundsätzlich ergibt sich hierbei das Problem
der geringen Anzahl von Beobachtungen. Selbst die knapp 50 SanasilvaFlächen sind dazu nicht mehr ausreichend. Multivariate Auswertungen sind
deshalb vor allem nur zusammen mit
weiteren Flächen des ICP Forests sinnvoll.
Multivariate Auswertungen auf den
Sanasilva-Flächen auf dem 8 × 8 km
Netz ergaben meist nur schwache Beziehungen der Kronenverlichtung und
ihrer Änderung mit Umweltparametern. So fand W EBSTER et al. (1996),
dass die Kronenverlichtung der F ichte
mit der Wasserspeicherfähigkeit im
Boden abnahm, der Höhe über Meer
zunahm und mit der Säure im Boden
abnahm. Auch die Tanne zeigte erhöhte Kronenverlichtung auf Böden mit
geringer W asserspeicherfähigkeit und
erhöhtem Kalkanteil. Für die Buche
gab es keine signifikanten Ergebnisse .
INNES et al. (1997) fanden zudem für
die Sanasilva-Inventur , dass die Zunahme der Kronenverlichtung bis 1995
positiv mit den Ozonkonzentrationen
und den Schwefel-Einträgen korrelierte und negativ mit dem Humusgehalt
im Boden und der Wintertemperaturen am Standort. Insgesamt konnten
aber mit dem Modell nur 17
% der
räumlichen Variabilität der Kronenverlichtung erklärt werden. Z IERL (2004)
fand für die Laubbaumarten und die
Fichte, dass die Veränderung der Kronenverlichtung auf den Sanasilva-Flächen von der Wasserverfügbarkeit in
Forum für Wissen 2009
den vorangegangenen J ahren abhing ,
aber nicht von der Wasserverfügbarkeit des Sommers der Kronenansprache.
In einer Studie aller europäischen
Level I Daten konnten K LAP et al.
(2000) für die verschiedenen Baumarten bis zu 50 % der räumlichen Variabilität erklären. Allerdings wurden nur 1
bis 3 % dieser Variabilität durch Umweltfaktoren wie Temperaturextreme,
Wasserverfügbarkeit oder Luftschadstoffeinträge oder Luftschadstoffkonzentrationen erklärt. Das Baumalter
erklärte bis zu 14 % der Variabilität,
während gut ein Drittel durch die Unterschiede zwischen den Ländern erklärt wurde . Von den Veränderungen
der Kronenverlichtung , in denen das
Alter und die Unterschiede der methodischen Ansprache keinen Einfluss
spielen, konnten 4 % durch Umweltfaktoren erklärt werden.
S EIDLING
(2007) fand in einer multivariaten Auswertung verschiedener Baumarten auf
dem deutschen Level I Netz, dass neben dem Baumalter, vor allem erhöhte
Temperaturen oder Trockenheit die
Kronenverlichtung im F olgejahr erhöhten.
15
Die Sterberaten auf dem SanasilvaNetz und den LWF-Flächen
Auf den Sanasilva-Flächen sterben im
langjährigen Durchschnitt zwischen 0,3
bis 0,4 % der Bäume pro J ahr stehend
ab (BRANG 1998). Ähnliche Raten sind
auch aus anderen bewirtschafteten
Wäldern Europas bekannt. Ein Vergleich der jährlichen Sterberaten verschiedener Baumarten auf den Sanasilva-Flächen zeigt deutliche Unterschiede zwischen den Arten. Am höchsten
waren die Sterberaten für die Ulmen
(> 5 % pro J ahr), welche seit 1985
durch die Ulmenwelke fast vollständig
aus den Schweizer
Wäldern verschwanden. Auch die knapp über 1 %
liegende Sterberate der Kastanie kann
durch einen Pilz, den Kastanienrindenkrebs, erklärt werden. Alle anderen
Arten hatten jährliche Sterberaten
zwischen 0,2 % (Buche) und 0,5
%
(Föhre). Auch auf den meisten L WFFlächen liegen die mittleren jährlichen
Sterberaten meist deutlich unter 1 %
(Perioden 1995–99 und 1999–2004, Tab.
1). Höhere Sterberaten gibt es nur für
die Bergföhren im Nationalpark und
auf der LWF-Fläche in Visp. Es konnte
in Studien gezeigt werden, dass frisch
abgestorbene Bergföhren im Nationalpark von Wurzelfäulen, insbesondere
von Wurzelschwamm und Hallimasch,
befallen waren und diese höchstwahrscheinlich die Ursache der erhöhten
Kronenverlichtung und des
Absterbens sind (C HERUBINI et al. 2002; D OBBERTIN et al. 2001). Auf der L WF-Fläche Visp starben nach Trockenjahren
vor allem Föhren, zum Teil aber auch
Birken und Kirschen. Da die meisten
abgestorbenen Föhren keine 50 J ahre
alt wurden, kann hier ein altersbedingtes Absterben ausgeschlossen werden.
Seit Installation der Fläche 1996 sind
über 60 % aller Föhren abgestorben.
Diese Ergebnisse decken sich mit den
Beobachtungen erhöhter Sterberaten
der Föhren in den Tieflagen des Wallis
meist als F olge von Trockenjahren
(BIGLER et al. 2006).
Schliesst man die L WF-Fläche Visp
mit ihren extrem hohen Sterberaten
aus, so sind die Sterberaten auf den
LWF-Flächen vergleichbar mit denen
der Sanasilva-Inventur (Abb . 6). In
beiden Fällen liegen die jährlichen
Sterberaten fast immer zwischen 0,2
und 0,6 %. Anders als bei der Kronenverlichtung, stiegen in den ersten 10
Jahren der Sanasilva-Inventur die Ster-
3.2 Die Sterberaten
1
Sterberate – Sanasilva
Sterberate – LWF ohne Visp
Jährliche Sterberaten (%)
0,8
0,6
0,4
0,2
0
1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Abb. 6. Vergleich der jährlichen Sterberaten aller Bäume auf den Sanasilva-Flächen und den LWF-Flächen ohne Visp.
16
beraten nicht an. Die Nutzungsraten
lagen demgegenüber im gleichen Zeitraum bei rund 1,5 % und die Einwuchsraten bei knapp 2,0 % (T ab. 1;
BRANG 1998). Es kann damit gezeigt
werden, dass es während der ganzen
Periode nicht zu einem erhöhten Absterben von Bäumen in der Schweiz
gekommen ist. Nur nach dem Trockenjahr 2003 starben überdurchschnittlich
viele Bäume ab (fast 1 % auf den Sanasilva-Flächen). Leichte erhöhte Sterberaten nach 2003 wurden ebenfalls auf
den LWF-Flächen beobachtet. Auch in
Frankreich und einigen deutschen
Bundesländern konnte nach 2003 ein
auffälliger Anstieg der Sterberate beobachtet werden, welcher über mehrere Jahre anhielt (R ENAUD und N AGELEISEN 2005; EICHHORN et al. 2008).
Sommertrockenheit und Sterberaten auf der LWF Fläche Visp
Auf der LWF-Fläche Visp starben nach
dem Jahr 2003 nochmals mehr als 25 %
der verbliebenen Föhren ab. Es besteht
hier ein sehr enger Zusammenhang
zwischen Sommertrockenheit und dem
Absterben im nachfolgenden Jahr (r2 =
0,64; D OBBERTIN und R IGLING 2006).
Im J ahr 2003 fielen in Visp rund 350
mm Niederschlag, von März bis August
gar nur 130 mm. Der Anstieg des Absterbens in den letzen zwei J ahrzehnten geht hier parallel mit den ansteigenden Sommertemperaturen und
dem dadurch bedingten erhöhten Wasserbedarf (R EBETEZ und D OBBERTIN
2004). Nach feuchten J ahren besteht
nur eine zufällige Sterberate . Mit ansteigendem Trockenstress scheint die
Sterbewahrscheinlichkeit exponentiell
anzusteigen. Dass diese K orrelation
auch ursächlich begründet ist, konnte
in einem Bewässerungsexperiment im
Pfynwald gezeigt werden (Dobbertin
in Vorbereitung). Hier beträgt die jährliche Sterberate der Föhren in den 6
Jahren nach Beginn der Bewässerung
auf der bewässerten Fläche rund 0,4 %
und auf den Kontrollflächen 1,1 %.
3.3 Der Zuwachs
Der Zuwachs auf den LWF-Flächen
Die Bestandesdichte ist sehr unterschiedlich auf den L WF-Flächen in
Abhängigkeit von Alter, Bewirtschaftungsform, Baumartenzusammenset-
Forum für Wissen 2009
zung, geographischer Lage , den klimatischen Verhältnissen und der Nährstoffversorgung (Tab. 1). Der absolute
Zuwachs pro ha hängt dabei sehr stark
vom stehenden Vorrat ab . Sei es , weil
unterbestockte Wälder aufgrund der
niedrigen Stammzahl weniger produzieren können oder weil aufgrund von
Limitierungen von Temperatur, Wasser
und Nährstoffen nur ein geringerer
Zuwachs möglich ist, welcher sich in
niedrigem Holzvolumen niederschlägt.
Der Holzvorrat auf den L WF-Flächen
schwankt zwischen 23 m 3/ha (Föhrenwald in Visp) und 820 m 3/ha (Buchenmischwald in Schänis). Der Zuwachs
liegt zwischen 1 m 3/ha (V isp) und 18
m3/ha (W eisstannenbestand in Vordemwald). Generell nimmt der Zuwachs, vor allem wenn er als Holzgewicht, also nicht Volumen, gemessen
wird, mit ansteigender Höhe über
Meer ab (Tab. 1).
Zuwachs und Nadelmasse,
Insektenfrass und Trockenheit
In Anlehnung an W ARING et al. (1980)
kann der Holzzuwachs des Bestandes
in Bezug zu der berechneten Blattoder Nadelfläche gesetzt werden. Dabei steigt der durchschnittliche Zuwachs mit der Blattfläche des Bestandes an (r 2 = 0,55). Flächen, welche im
Verhältnis zu ihrer Blattfläche , eher
wenig wuchsen, zeichneten sich vor allem durch Wasserlimitierung aus (V isp
und Lens im Wallis, Neunkirch im J ura). Demgegenüber scheint die Limitierung des Wachstums durch niedrige
Temperaturen mit der Höhe über Meer
schon zum grössten Teil durch reduzierte Blatt-/Nadelflächen erklärt zu sein.
Die Ablesungen der fest installierten
Umfangmessbänder auf den L WF-Flächen erlaubt die Höhe der jährlichen
Veränderungen in den Wachstumsraten festzustellen. So hängt der jährliche
Zuwachs in J ussy stark ab vom Insektenfrass (Tab. 3). Im Hitzesommer 2003
nahm das Stammwachstum vor allem
in den Tieflagen ab, während die höher
gelegenen LWF-Flächen keinen Rückgang verzeichneten (J OLLY et al. 2005).
Mit Hilfe der auf den LWF-Flächen gemessenen Wasserpotentiale im Boden
und Modellen zur Berechnung der
Wasserverfügbarkeit konnte der Wachstumsrückgang im Trockenjahr 2003
eindeutig auf die limitierte Wasserverfügbarkeit zurückgeführt werden (GRAF
PANNATIER et al. in diesem Band).
3.4 Beziehung der Merkmale zueinander
Vergleicht man die durchschnittliche
Kronenverlichtung mit den auf den
einzelnen L WF-Flächen ermittelten
jährlichen Sterberaten, so ergibt sich
kein offensichtlicher Zusammenhang
(Tab.1). Demgegenüber gibt es eine
leicht signifikante K orrelation zwischen mittlerer Kronenverlichtung und
Stammzuwachs der Flächen (r
= –0,43). Das heisst mit zunehmender
Verlichtung nimmt der Zuwachs ab .
Gleichzeitig nimmt die Kronenverlichtung mit der Höhe des Standortes zu (r
= 0,5) und der Zuwachs ab (r = –0,46).
Der Zuwachs und die Sterberaten korrelierten nicht mit dem Bestandesalter
der LWF-Flächen und die Kronenverlichtung nur leicht (r = 0,38).
Es ist
nicht überraschend, dass die mittleren
Werte der L WF-Flächen nur schlecht
korrelieren, sind doch die einzelnen
Flächen sehr unterschiedlich bezüglich
Bestandesaufbau, Baumartenzusammensetzung und Standort. Interessanter ist es, die Beziehungen innerhalb eines Bestandes zu untersuchen.
Kronenverlichtung und Sterberaten
Obwohl es nur begrenzt möglich ist die
Kronenverlichtung zwischen Standorten zu vergleichen, ist die Kronenverlichtung innerhalb eines Bestandes ein
geeigneter Parameter der Baumvitalität. Dies kann anhand der Beziehung
zur Sterberate getestet werden. Auf allen L WF-Flächen steigt die
Wahrscheinlichkeit, dass ein Baum im Folgejahr abstirbt exponentiell mit der Kronenverlichtung an (Abb. 7). Bäume mit
weniger als 20 % Gesamtverlichtung
haben in der Regel Sterberaten um 0,1
%, während Bäume mit über
60 % Verlichtung Sterberaten um 10 %
zeigen. Unterschiede in der Beziehung
zwischen Kronenverlichtung und Absterben können Informationen über
die Sterbeursachen beinhalten. Auf der
LWF-Fläche Visp zum Beispiel sterben
die Bäume bei gleicher Kronenverlichtung deutlich häufiger ab als auf den
anderen L WF-Flächen. Hier wurden
an allen abgestorbenen Bäumen verschiedenste rindenbrütende Käfer und
Bläuepilze im Holz gefunden, welche
Forum für Wissen 2009
17
bekanntlich zum schnellen Absterben
beitragen. Reinem durch die K onkurrenz verursachtem Absterben dagegen,
geht diesem eine langsame Zunahme
der Kronenverlichtung voraus (z. B. auf
der Fläche Vordemwald und Jussy).
Die Beziehung zwischen Kronenverlichtung und Sterberate innerhalb des
gleichen Bestandes , bedeutet aber
nicht, dass die Bäume in Wäldern mit
hoher Kronenverlichtung automatisch
häufiger absterben als in solchen mit
niedriger Kronenverlichtung. So haben
die Fichten und Föhren auf der L WFFläche Lantsch hoch verlichtete Kronen, es sterben aber sehr selten Bäume
ab (T ab. 1). Der Wald in Lantsch ist
sehr licht und die wenigen Bäume
wachsen nur sehr langsam,
deshalb
kommt es praktisch zu keinem konkurrenzbedingten Absterben. Da offensichtlich keine biotisch oder abiotisch
bedingten zusätzlichen Stressfaktoren
vorliegen wie in Visp oder im Nationalpark, sterben von den altersbedingt
hoch verlichteten Bäumen bisher nur
wenige ab.
Kronenverlichtung und Wachstum
Schon früh wurden in der Waldschadensforschung Zuwachsmessungen
mittels Bohrkernen und anschliessenden J ahrringbreitenmessungen von
verschieden stark verlichteten Bäumen
vorgenommen (B RÄKER 1992). Dabei
ergaben sich bei den Nadelbäumen
(Fichte, Tanne) meist klare negative
100
Sterberate (%)
10
Zusammenhänge zwischen J ahrringbreite und Kronenverlichtung. Bei den
Laubbäumen dagegen wurden entweder keine oder nur sehr schwache Zusammenhänge gefunden (BFL und
EAFV 1987). Da keine langen Zeitreihen der Kronenverlichtungsschätzungen existieren wurden die momentanen Kronenansprachen oft mit weit in
der Zeit zurückliegenden J
ahrringbreiten verglichen. Die vergangene
Kronenverlichtung war jedoch nicht
bekannt, was die Interpretation erschwerte. Da das Einzelbaumwachstum wie oben beschrieben von der Bestandesdichte abhängt, diese aber für
die Vergangenheit nicht bekannt ist,
kann man von Bohrkernmessungen
nicht das Bestandeswachstum der Vergangenheit ableiten. Dazu braucht es
markierte Forschungsflächen mit nummerierten und am besten geo-referenzierten Bäumen, welche ab einem bestimmten Mindestdurchmesser in regelmässigen Abständen
gemessen
wurden (siehe Z INGG 2009 in diesem
Band).
Auf den LWF-Flächen ergibt sich für
die Periode ab 1996 innerhalb der Bestände eine Abnahme des Stammzuwachses mit ansteigender Kronenverlichtung (Abb . 8; D OBBERTIN 2005).
Diese Beziehung wurde im Prinzip auf
allen LWF-Flächen gefunden, war aber
schwächer ausgeprägt für die Laubbäume. Auch auf den Sanasilva-Flächen war dieser Zusammenhang für
Beatenberg
Visp
Vordemwald
Novaggio
Jussy
Sanasilva 90–97
1
0,1
0,01
0,001
0–15
20–35
40–55
Gesamtverlichtung (%)
>=60
Abb. 7. Jährliche Sterberaten für Bäume mit verschieden hoher Gesamtverlichtung auf ausgewählten LWF-Flächen in den J ahren 1996–2008 und auf der Sanasilva-Inventur (1990–
1997).
Tannen und F ichten, und etwas weniger stark ausgeprägt auch für die Buchen gefunden worden (B RANG 1998).
Für F ichten, Föhren und Buchen auf
dem europäischen Level II Netz (inklusive L WF-Flächen) entsprach eine
Zunahme der Kronenverlichtung von
1 % in etwa einem Zuwachsrückgang
des Einzelbaums von 1 % (D OBBERTIN
et al. 2005b). Diese Beziehung galt
schon bei geringer Kronenverlichtung
ab 10 %.
Wenn der Stammzuwachs mit ansteigender Kronenverlichtung im gleichen
Bestand abnimmt, heisst dies , dass die
bis Mitte der 1990er J ahre angestiegenen Kronenverlichtung einen Zuwachsrückgang verursachten? Nein,
verschiedenste Studien zeigen einen
Zuwachsanstieg der Wälder in den
letzten J ahrzehnten im Mitteleuropa
(SPIECKER et al. 1996; K AHLE et al.
2008) als auch in der Schweiz (BRÄKER
1996; Z INGG 1996). So wachsen zum
Beispiel die Buchen in Othmarsingen
heute deutlich schneller in die Höhe
als vor 100 J ahren und der 150jährige
Altbestand zeigt immer noch nicht den
altersbedingt erwarteten abnehmenden Höhenzuwachs . Eine der Ursachen dieses Anstiegs ist nach neuesten
Studien in den Stickstoffeinträgen zu
finden (K AHLE et al. 2008; S OLBERG et
al. 2009). Für eine Weitere Diskussion
des Einflusses des Stickstoffeintrags
auf den Zuwachs sei auf S CHMITT et al.
(in diesem Band) verwiesen.
Zuwachs, Kronenverlichtung,
Sterberaten im Experiment
Dass unzureichende Nährstoffversorgung zu erhöhter Kronenverlichtung
führt, wurde in einem Düngeexperiment in Alvaneu, einem ähnlichen
Standort wie Lantsch, gezeigt (J OOS
1997). In allen Kronenansprachen zwischen 2 bis 14 J ahren nach der letzten
Düngerausbringung wiesen die mit Mineraldünger behandelten F ichten eine
signifikant reduzierte Kronenverlichtung auf (J OOS 1997; G EHRIG 2004).
Die K ompostbehandlung hatte dagegen keinen Einfluss. Ein Grund für die
Reduktion der Kronenverlichtung
könnten die um 20 % längeren Nadeln
der gedüngten Bäume sein (J
OOS
1997). Mit der Verbesserung der Kronenverlichtung gingen erhöhte Nährstoffgehalte von Kalium, Phosphor und
Magnesium im Splintholz der Bäume
18
Forum für Wissen 2009
Nationalpark – Bergföhre – 1900 m
Relativer Basalflächenzuwachs 1996–99 (%)
5
Lens – Föhre – 1060 m
Vordemwald – Tanne – 480 m
Bettlachstock – Buche – 1150 m
4
Novaggio – Zerreiche – 950 m
Jussy – Hagebuche – 500 m
3
2
1
0
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
Mittlere Kronenverlichtung 1996–99 (10%-Stufen)
Abb. 8. Stammzuwachs (als prozentualer Basalflächenzuwachs in 1,3 m Höhe) abhängig von der Gesamtverlichtung für die Periode
1996–1999 auf ausgewählten LWF-Flächen.
einher und ein gesteigerter Stammzuwachs (JOOS 1997). Ein ähnlicher Düngeversuch an Fichten im Mittelland auf
relativ gut mit Nährstoffen versorgtem
Boden und Bäumen mit geringer Kronenverlichtung, zeigte zwar leicht erhöhten Stamm- und Triebzuwachs und
etwas schwerere Nadeln auf den gedüngten Flächen, aber keine Veränderung der ohnehin schon dicht belaubten Kronen (H ALLENBARTER 2002).
Sterberaten waren zu gering um ausgewertet werden zu können. Insgesamt
kann gesagt werden, dass die Mineraldüngung nur dort die Kronenverlichtung reduzierte , wo sie von vorhnherein sehr hoch war, während das Wachstum generell gesteigert wurde.
Das Bewässerungsexperiment im
Pfynwald, einem durch die Wasserverfügbarkeit limitiertem Wald, führte
innerhalb von wenigen Jahren zu reduzierter Kronenverlichtung auf den bewässerten Flächen, erhöhtem Stammzuwachs, Trieblängen und Nadelgewichten und gleichzeitig zu reduzierter
jährlicher Sterberate (D OBBERTIN und
GIUGGIOLA 2006; BRUNNER et al. 2009).
Hier veränderten sich somit sowohl
Wachstum, als auch Kronenverlichtung
und Sterberaten durch die Aufhebung
der an diesem Standort natürlichen
Wasserlimitierung.
4 Schlussfolgerungen
Kronenverlichtung, Sterberaten und
Wachstum können mit gewissen Einschränkungen als Indikatoren für den
Waldzustand verwendet werden. Sie
sollten jedoch nicht für sich alleine betrachtet werden, da dies leicht zu F ehlinterpretationen führen kann. Einen
Universalindikator für den
Waldzustand oder gar die Waldgesundheit gibt
es nicht und wird es auch in Zukunft
nicht geben können.
Die Kronenverlichtung kann beschränkt als Indikator für Unterschiede im Standort und der Bestandes
entwicklung dienen. Zudem können
Veränderungen, beispielsweise durch
Insektenfrass, so leichter quantifiziert
werden und mit möglichen Veränderungen im Zuwachs und der Sterberate
in Bezug gesetzt werden.
Aus der innerhalb von einzelnen
Waldbeständen gefundene Beziehung
zwischen Kronenverlichtung und Zuwachs, und dem gleichzeitigen Anstieg
der Kronenverlichtung , wie er zu Beginn der Sanasilva-Inventur in den
1980er Jahren beobachtet wurde , darf
nicht gefolgert werden, dass der Wald
in der Schweiz deshalb heute weniger
wächst. V eränderte Umweltbedingungen, aber auch eine veränderte Nutzung, können sowohl zu erhöhtem Bestandeswachstum als auch zu erhöhter
Kronenverlichtung der Einzelbäume
führen.
Zu Beginn der «W aldsterbensforschung» wurde unglücklicherweise eine hohe Kronenverlichtung eines Baumes als durch Luftschadstoffe verursacht und die Beziehung zwischen
Kronenverlichtung und Zuwachs als
durch Luftschadstoffe verursachter
Zuwachsrückgang interpretiert. Die
heutige K enntnis der natürlichen Variabilität der Kronenverlichtung, deren
vielfältige Ursachen und die Auswertung langer Zeitreihen von Sterberaten
der Wälder und deren Wachstum zeigen keine durch Lufteinträge bedingte
Zuwachseinbussen oder erhöhte Sterberaten. Umgekehrt, dürfen die derzeit
hohen Zuwachsraten auch nicht zu
dem Schluss verleiten, dass die Einträge in den Wald, zum Beispiel die Stickstoffeinträge, diesen nicht langfristig in
Aufbau, Funktion und Stabilität beeinträchtigen werden (siehe Beiträge von
SCHMITT et al.; GRAF PANNATIER et al.
in diesem Band).
Im Vergleich zum Anfang der 1980er
Jahre liegen inzwischen viele Informationen zur Entwicklung des Waldzustands vor, welche helfen die wichtigen
Referenzzustände oder Erwartungswerte von Wäldern zu definieren. In
Anbetracht der weiterhin schnellen
Veränderungen in der Umwelt (Kli maveränderungen, Nutzungsänderung
Forum für Wissen 2009
durch Energieknappheit, Veränderung
der chemischen Zusammensetzung der
Atmosphäre) ist die weitere Erhebung
der Indikatoren zu Kronenzustand,
Sterberate und Waldwachstum fortzusetzen. Nur so können Fehlschlüsse wie
zur Zeit der «W aldsterbensdebatte» in
Zukunft vermieden werden.
Danke
Den vielen WSL-Mitarbeitern, die seit
Beginn der Sanasilva-Inventur und der
Einrichtung der LWF-Flächen an Ausbildung, Erhebung und
Auswertung
beteiligt waren und allen Feldmitarbeitern, welche im Laufe der Jahre die Erhebungen auf den Sanasilva- und
LWF-Flächen durchgeführt haben, sei
hier herzlich gedankt. Dazu möchten
wir insbesondere Flurin Sutter für die
Bereitstellung der Karten und Peter
Jakob und seinen Vorgängern für die
Datenbankentwicklung und -betreuung danken.
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Abstract
Tree crown defoliation, mortality rate and growth in long-term studies – Which indicators describe forest condition best?
Since the mid 1980s the effects of environmental changes on forest condition have
been monitored in Europe. First, national surveys were conducted, later long-term
research plots were installed, such as the LWF plots of the WSL. All the indicators
of forest condition, including crown defoliation, tree mortality and growth, are influenced by site conditions, inter-tree competition and stand age. This makes it difficult to find simple cause-effect relationships with environmental factors, in particular with air pollution.
On the LWF plots, tree growth and defoliation vary highly between forests. Annual mortality rates, on the other hand, were mostly below 1 %. Higher values were linked to diseases, pathogens or extreme summer drought. Defoliation was subject to annual perturbations caused by c yclic outbreaks of defoliators , drought,
storms or frost. The same is true for tree growth. Within a forest, trees with higher
defoliation tend to grow slower and have a higher mortality rate as compared to
trees with low defoliation. Between stand comparisons are more complex and do
not allow to draw simple conclusions on forest condition based on one indicator
alone.
Keywords: forest condition, crown defoliation, forest growth, tree mortality
Forum für Wissen 2009: 21–30
21
L’eau des sols forestiers: un milieu sensible aux
changements
Elisabeth Graf Pannatier, Matthias Dobbertin, Maria Schmitt, Anne Thimonier et Peter Waldner
WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
elisabeth.pannatier@wsl.ch, matthias.dobbertin@wsl.ch, maria.schmitt@wsl.ch, anne.thimonier@wsl.ch,
peter.waldner@wsl.ch
L’eau du sol forestier est un milieu sensible, réagissant rapidement aux changements de l’environnement. Dans le cadre du projet de recherche à long terme sur
les écosystèmes forestiers (LWF), nous analysons depuis une dizaine d’années la
chimie des dépôts atmosphériques et de l’eau du sol sur sept sites en Suisse afin
d’évaluer l’impact des dépôts atmosphériques acides sur les sols forestiers. Outre
la qualité, la quantité d’eau est également importante pour la vitalité des plantes.
Nous mesurons ainsi le potentiel matriciel sur dix sites afin d’évaluer si l’eau retenue dans le sol est facilement disponible pour les racines ou non. L’effet de la vague de chaleur de l’été 2003 sur la disponibilité en eau et la réaction de la croissance des arbres seront examinés dans cet article.
1 Pourquoi l’observation à
long terme de l’eau du sol
forestier
Le sol est un constituant important de
l’écosystème forestier . Il contient les
nutriments essentiels pour la croissance de la végétation, il filtre la pollution
atmosphérique, régule l’écoulement des
précipitations et les c ycles biogéochimiques et par conséquent la quantité et
la qualité des eaux de surface et souterraines. L ’eau retenue dans les pores
fins du sol, souvent appelée solution du
sol, véhicule des éléments nutritifs dissous (par exemple azote , phosphore ,
calcium), essentiels pour la croissance
et la vitalité des plantes et des organismes du sol. Cependant, des facteurs extérieurs comme la pollution de l’air, les
changements climatiques ou des événements météorologiques extrêmes et
certaines activités sylvicoles peuvent
perturber le régime hydrique du sol et
le cycle des nutriments et menacer des
fonctions importantes du sol. L’observation à long terme des sols dans différents écosystèmes forestiers nous permet de mieux comprendre comment
ces facteurs extérieurs , qu’ils soient
d’origine naturelle ou anthropique , influencent les sols et leurs fonctions.
Les processus menant à des modifications de la composition chimique de
la phase solide du sol (acidification par
exemple) sont lents . Les variations
temporelles des concentrations sont
généralement plus petites que celles
dues à l’hétérogénéité spatiale du sol.
C’est pourquoi l’identification de changements temporels des propriétés chimiques du sol est difficile . Par contre ,
l’échantillonnage et l’analyse fréquents
de l’eau du sol au moyen de méthodes
non-destructives (lysimètre par exemple) à un endroit fixe permettent de
montrer des variations temporelles de
la qualité de l’eau. Ces fluctuations reflètent divers processus de rapidité différente: apport d’éléments dissous provenant de la décomposition de la matière organique, des pluvio-lessivats ou
de l’altération des minéraux et de la
roche, perte d’éléments par drainage
ou suite à l’absorption des racines
,
échange d’éléments avec le complexe
absorbant du sol.
Afin de mettre en évidence des
changements à long terme de la qualité
de l’eau du sol (par exemple changement du pH ou des concentrations de
calcium), le choix de la fréquence
d’échantillonnage est crucial. Toutes
les variations du milieu observé, qu’elles soient saisonnières , annuelles ou
pluri-annuelles, doivent être saisies
afin de pouvoir identifier un éventuel
changement à long terme . La F igure 1
illustre l’importance du choix de la fréquence d’échantillonnage. Cet exemple
montre une décroissance , illustrée au
moyen d’une régression linéaire , d’un
paramètre mesuré mensuellement ou
toutes les deux semaines sur une pé riode de 17 ans (F ig. 1a). Le même
paramètre qui serait mesuré une fois
par année pendant 17 ans montrerait
une tendance vers la croissance du fait
que les variations saisonnières, de forte
amplitude, n’ont pas été saisies par
l’échantillonnage (Fig. 1b).
2 Les mesures de l’eau du sol
dans le projet LWF
Dans le cadre du projet de recherches
à long terme sur les écosystèmes fores tiers LWF (T HIMONIER et al. 2001), diverses composantes de l’écosystème
forestier (précipitations hors couvert,
pluvio-lessivats, eau du sol, potentiel
matriciel, croissance des arbres) sont
mesurées sur plusieurs placettes en
Suisse afin de mieux comprendre l’influence de la pollution de l’air et des
changements climatiques sur l’eau du
sol et les arbres . Deux thèmes seront
développés dans cet article , à savoir
l’acidification accélérée de l’eau du sol
sous l’influence de la pollution atmos phérique et l’effet de la vague de chaleur de l’été 2003 sur la disponibilité en
eau dans le sol pour les racines et la réaction de la croissance des arbres.
L’eau du sol est échantillonnée toutes les deux semaines depuis 1999 ou
2000 sur sept des dix-huit placettes du
réseau LWF (Fig. 2). Elle est prélevée à
l’aide de plaques gravitaires sous la litière (Fig. 3a) et par succion (–500 hPa)
à l’aide de lysimètres avec bougie en
céramique (Fig. 3b) à 15 cm, 50 cm et
80 cm de profondeur (G RAF PANNATIER et al. 2004).
22
a
Forum für Wissen 2009
1988–2004
6
5
Paramètre
4
3
2
1
0
85
b
87
89
91
93
95
97
99
01
03
05
97
99
01
03
05
1988–2004
6
5
Paramètre
4
3
2
1
0
85
87
89
91
93
95
Figure 1. Influence de la fréquence d’échantillonnage sur la tendance à long terme (illustrée
par une régression linéaire) pendant une période d’observation de 17 ans (1988–2004).
Paramètre mesuré une fois par mois ou tous les 15 jours (a) ou une fois par année (b).
Abb. 1. Einfluss der Probenahmehäufigkeit auf den langfristigen
Trend (mit linearer
Regression dargestellt) während einer Beobachtungsperiode von 17 J ahren (1988–2004).
Einmal monatlich oder in 14-täglichem Rythmus (a) oder einmal jährlich (b) gemessener
Parameter.
Afin d’estimer la quantité annuelle
de dépôts atmosphériques des éléments chimiques principaux (N , S, Ca,
Mg, K, Na, Cl) sur les placettes L WF,
les précipitations (hors couvert) et les
pluvio-lessivats (sous couvert) sont
échantillonnés et analysés à l’aide de
plusieurs collecteurs de pluie et de neige (voir méthode dans T HIMONIER et
al. 2005). Les échantillons sont prélevés
toutes les deux semaines en même
temps que l’eau du sol.
Une fois les échantillons filtrés au laboratoire, leur composition chimique
est analysée (pH, conductivité électrique, carbone et azote organique dissous, cations et anions principaux).
Dans le cadre d’un autre projet, l’eau
du sol est également analysée depuis
1987 dans une forêt de châtaigniers à
Copera au Tessin (B LASER et al. 1999;
GRAF PANNATIER et al. 2005). Cette série constitue l’enregistrement le plus
long disponible en Suisse.
Outre la qualité de l’eau, nous mesurons la force de succion du sol pour
l’eau, appelée également potentiel
matriciel, à l’aide de tensiomètres
manuels (gamme de mesure entre 0
et –900 hPa). Ces données nous permettent d’évaluer si l’eau retenue dans
le sol est facilement disponible pour les
Fig. 2. Réseau des 18 placettes LWF ( ou ) et localisation des placettes avec échantillonnage de l’eau du sol et mesure du matriciel potentiel.
Abb. 2. Netzwerk der 18 LWF-Flächen ( und ) und Lage der Flächen mit Bodenlösungsprobenahme und Matrixpotentialmessungen.
Forum für Wissen 2009
23
racines. Les mesures sont effectuées
toutes les deux semaines depuis 1997
ou plus tard à cinq profondeurs (15, 30,
50, 80 130 cm) sur 10 placettes L WF
(Fig. 2).
Des sondes mesurant automatiquement la teneur en eau dans le sol au
moyen de la technique time domain reflectometry (TDR) ont été installées
en 2001 à Viège, car le sol y était trop
sec pour des tensiomètres (valeurs
< –900 hPa en été). Depuis 2008, nous
installons des sondes sur plusieurs
placettes L WF pour pouvoir mesurer
automatiquement la teneur en eau,
parallèlement au potentiel matriciel.
3 Observation à long terme
de l’acidification de l’eau
du sol
L’apport continu et de longue durée de
dépôts atmosphériques acides peut
modifier la chimie des sols et des eaux
de percolation dans les écosystèmes forestiers et accélérer leur acidification
naturelle. Dans les sols acides en particulier, les apports de substances acidifiantes augmentent la mobilité de l’aluminium (Al) dans le sol, toxique à haute concentration pour les espèces
végétales sensibles. Ils entraînent également un lessivage accru des cations
basiques (Ca, Mg , K). Ces éléments
sont essentiels pour la nutrition des
plantes. Un déficit en nutriments peut
affecter la production de la biomasse ,
la santé des arbres ainsi que leur sensibilité aux maladies. Une nutrition déséquilibrée peut nuire à la formation des
racines et à leurs fonctions.
3.1 Les dépôts atmosphériques de
composés acides
Les apports atmosphériques de composés acides sont définis comme la
somme des dépôts atmosphériques totaux de soufre (S) et d’azote (N) moins
les dépôts de cations basiques en équivalents (Mapping manual 2004). Une
correction est réalisée pour soustraire
les retombées atmosphériques d’origine marine (Mapping manual 2004).
La valeur moyenne des apports atmosphériques acides , calculée pour la
période de mesure 2000–2007, varie
entre –0.02 et 1.99 kmol c ha–1 a–1 (Fig.
a
b
Fig. 3. Echantillons d’eau du sol (a) et installation d’un lysimètre sous-tension avec bougie
en céramique (b).
Abb. 3. Bodenlösungsprobe (a) und Installation eines Unterdrucklysimeters mit K eramikkerze (b).
4a). Les apports les plus faibles sont
mesurés dans une région alpine , à Celerina, alors que les plus élevés se trouvent à Novaggio au Tessin et à Schänis
dans les Préalpes . Ces apports élevés
sont caractéristiques des valeurs trouvées dans les contreforts de chaînes de
montagne à proximité des régions industrialisées et fortement peuplées
comme la plaine du Pô en Italie et le
Plateau suisse.
Nous n’avons pas observé de diminution significative (p < 0.001) des retombées de composés acides sur 6 des
7 placettes L WF considérées dans cet
article depuis le début des mesures
(entre 1997 et 2000). À Lausanne, nous
observons par contre une diminution
significative (p < 0.001) des dépôts acides de 0.5 kmolc ha–1 entre 1997 et 2007
(Fig. 4b). Il faut noter que les apports
atmosphériques acides mesurés ces dix
dernières années sur les placettes LWF
sont inférieurs à ceux estimés à la fin
des années 80 (p . ex. entre 3.4 et 5.7
kmolc ha–1 a–1 sur le Plateau dans KURZ
et al. 1998), en raison notamment des
réductions massives des émissions de
soufre au cours des 20 à 25 dernières
années.
3.2 Les charges critiques d’acidité
Afin d’estimer le risque écologique dû
aux effets nocifs de l’acidification,
comme la présence d’aluminium dissous qui est toxique pour les plantes, la
charge critique d’acidité peut être calculée pour chaque site en fonction de
la capacité du sol à neutraliser les apports d’acides (W ALDNER et al. 2007).
Si les dépôts atmosphériques sont plus
faibles que les charges critiques , il paraît improbable que l’acidité induise
des effets nocifs pour les plantes . Or la
Figure 4a nous montre que les apports
atmosphériques de composés acides à
Novaggio dépassent nettement la charge critique d’acidité, ce qui pourrait indiquer un risque d’endommagement
de l’écosystème forestier causé par
l’acidification.
3.3 Comment estimer l’acidification
de l’eau du sol ?
Pour suivre l’acidification de l’eau du
sol au cours du temps , nous observons
le rapport BC/Al, soit le rapport molaire entre les cations basiques et l’alumi-
24
Forum für Wissen 2009
a
Dépôts atmosphériques de composés acides (moyenne 2000–2007)
Dépôts acides et charges critiques
kmolc ha–1 a–1
2.5
2
1.5
1
0.5
0
Bettlachstock
Vordemwald
Lausanne
–0.5
Schänis
dépôts
b
Beatenberg
Novaggio
Celerina
3.4 Eau dans les sols formés à partir de substrat acide
charges critiques
Dépôts atmosphériques annuels à Lausanne (1997–2007)
Dépôts acides (kmolc ha–1 a–1 )
2.0
1.5
1.0
0.5
0.0
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Fig.4. a) Dépôts atmosphériques et charges critiques de composés acides sur les placettes
LWF avec prélèvement de l’eau du sol (moyenne et écart-type entre 2000 et 2007).
Les
charges critiques ont été calculées par W ALDNER et al. (2007) en appliquant l’approche
«bilan par équilibre» SMB (steady-state mass balance). b) Dépôts atmosphériques annuels
de composés acides à Lausanne entre 1997 et 2007 et régression linéaire.
Abb. 4. a) Atmosphärische Säureeinträge (Mittelwert zwischen 2000 und 2007 und Standardabweichung) und Critical Loads für versauernde Einträge in den LWF-Flächen, wo die
Bodenlösung beprobt wurde . Die Critical Loads wurden mit einer Massenbilanz (steadystate mass balance) in WALDNER et al. (2007) bestimmt. b) Jährliche atmosphärische Säureeinträge in Lausanne zwischen 1997 und 2007 und lineare Regression.
nium dissous total dans l’eau du sol.
Cet indicateur, employé dans le calcul
des charges critiques d’acidité, permet
d’évaluer l’acidification du sol et les
risques écologiques associés à la toxicité de l’aluminium (S
VERDRUP et
WARFVINGE 1993). Un rapport supérieur à 1 ne devrait pas causer de dommages aux racines des arbres à long
terme. La Table 2 présente les valeurs
moyennes de BC/Al pour tous les horizons et toutes les placettes échantillonnées. Afin de mettre en évidence des
tendances à long terme pendant la pé-
de matériaux acides comme à Celerina, Novaggio, Copera, Beatenberg,
– ceux qui se sont développés à partir
de substrats contenant du calcaire
comme à Bettlachstock,
Schänis ,
Vordemwald, Lausanne . L ’épaisseur
du sol qui a été décarbonatée au
cours de son histoire diffère d’un site
à l’autre. La limite supérieure de calcaire se situe entre 5 cm de profondeur à Bettlachstock et plus de 450
cm de profondeur à
Vordemwald
(Table 2).
riode d’observation, nous avons calculé
une moyenne mobile avec une fenêtre
de deux ans pour chaque paramètre
analysé entre 1999/2000 et 2007. Ceci
nous permet de soustraire les effets potentiellement causés par l’installation
des lysimètres (minéralisation accrue
lorsque le sol est remué et aéré).
L’eau du sol est prélevée dans différents écosystèmes forestiers où le climat, la végétation et le type de sol diffèrent (T able 1). On peut classer les
sols échantillonnés en deux catégories:
– ceux qui se sont développés à partir
Les sols acides développés à partir de
substrat acide et recevant des apports
atmosphériques substantiels de composés acides depuis des décennies sont
les plus susceptibles de subir une acidification accélérée conduisant à des
concentrations élevées d’aluminium
qui pourraient s’avérer toxiques pour
les plantes . A Copera par exemple ,
nous avons observé une nette diminu tion des rapports BC/Al entre 1987 et
2004 (F ig. 5), indiquant une accéléra tion de l’acidification (B LASER et al.
1999). Une analyse temporelle détaillée montre que les rapports BC/Al se
stabilisent à partir de la fin des années
90, suggérant un ralentissement de
l’acidification, probablement dû à
l’amélioration de la qualité de l’air
(GRAF PANNATIER et al. 2005). A Novaggio, les rapports BC/Al sont également restés stables en moyenne de
2001 à 2007, même s’ils montrent des
variations pluriannuelles de forte amplitude (Fig. 5). La forte diminution de
BC/Al observée pendant les deux premières années d’observation pourrait
avoir être causée par l’installation des
lysimètres. Ce phénomène a été observé dans plusieurs placettes (Copera,
Vordemwald, Beatenberg). A Celerina,
une accélération de l’acidification du
sol due à la pollution de l’air paraît improbable, car cette placette est située
dans une vallée alpine où les dépôts
acides sont minimes (F ig. 4). L’acidification du sol y est beaucoup moins
avancée qu’à Novaggio et Copera,
comme en témoignent les rapports
BC/Al élevés à 60 et 80 cm de profondeur (Table 2). Les rapports sont également restés stables en moyenne pen-
Forum für Wissen 2009
25
Table 1. Description des placettes LWF avec observation à long terme de la chimie de l’eau du sol.
Tab. 1. Beschreibung der LWF-Flächen, wo die Chemie der Bodenlösung langfristig beobachtet wird.
Altitude
(m)
Type de sol 1
Roche-mère
> 120
Sol brun calcaire
Calcaire (Hauptrogenstein)
> 240
Sol brun, pseudogley
Moraine carbonatée
300
> 120
Stagnogley
Moraine carbonatée
>450
Grès
> 160
Podzol humique
(pseudogley)
Sol brun, pseudogley
Pinus
cembra
> 120
Podzol ferrugineux
Moraine non- carbonatée
–
Quercus
cerris
Castanea
sativa
> 150
Sol brun
Moraine non- carbonatée
–
> 130
Podzol
Gneiss
–
Région
Site
Jura
Bettlachstock
1200
Fagus
sylvatica
Plateau
Lausanne
800
Vordemwald
480
Fagus
sylvatica
Abies alba
1500
Picea abies
55
Schänis
700
Fagus
sylvatica
Alpes
Celerina
1850
Tessin
Novaggio
950
Copera
650
Préalpes Beatenberg
1
2
Essence
principale
Zone des
racines (cm)
Limite supérieure
de calcaire (cm) 2
5
–
Poudingue carbonaté
(Kalknagelfluh)
100
selon les caractéristiques morphologiques
indique la profondeur du profil à laquelle des carbonates ont été déterminés dans la terre fine. "–" indique que la roche-mère ne
contient pas de carbonates (données de WALTHERT et al. 2003)
Table 2. Caractéristiques chimiques de l’eau du sol (moyenne 2000–2007). DOC: carbone organique dissous. BC : cations basiques (Ca2+ +
Mg2+ + K+).
Tab. 2. Chemische Eigenschaften der Bodenlösung (Mittelwert 2000–2007). DOC: gelöster organischer Kohlenstoff. BC: basische Kationen
(Ca2+ + Mg2+ + K+).
Site
Horizon
Bettlachstock
L0
A
B 50
IIBC
Lausanne
Profondeur (cm)
pH
DOC (mg/L)
BC (μmol/L)
Al (μmol/L)
BC/Al
6.3
28.3
12.3
5.4
4.6
420
1525
1573
1591
p.q.1
p.q.
p.q.
p.q.
> 100
> 100
> 100
> 100
4.8
1.5
1.0
275
124
105
110
4.9 59.9
41.3
19.0
7.1
3.2
5.6
19.3
15 8.2
8.3
80 8.3
L
A(Sw)3 15
B(Sd)1 50
B(Sd)1
80
4.7 39.7
4.5
5.0
5.6
Vordemwald
L+F+Ah
ESw
Sw
Sd1
0
15
50
80
4.3
4.7
4.7
5.4
41.5
5.6
1.2
1.0
69
24
48
84
25.7
21.0
17.7
4.0
4.1
1.1
2.7
23.1
Beatenberg
L+F
H + Ah1
E3
E3, Bs,h1
0
15
50
80
4.1
3.8
4.1
4.4
40.6
54.1
35.9
24.4
86
21
24
31
2.0
16.0
33.8
40.5
46.1
1.3
0.7
0.8
Schänis
L
AB
B(Sd)
B(Sd)
0
15
50
80
7.0
7.6
7.8
8.0
17.2
5.2
1.3
1.1
330
411
475
645
p.q.
p.q.
p.q.
p.q.
> 100
> 100
> 100
> 100
Celerina
L
(E)1
B
BC
0
15
50
80
5.0
5.2
6.5
6.5
55.7
24.0
4.7
3.4
223
72
44
57
13.3
22.8
3.1
1.4
21.7
3.3
15.2
42.4
Novaggio
L+F
Ah3+A
AB
B
0
15
50
80
4.7
4.6
4.9
5.0
42.3
8.3
3.0
2.1
209
48
26
32
8.4
31.1
14.1
11.1
29.7
1.5
1.8
3.0
Copera
(2000-2004)
L
(AE)
(Bh)Bs
B(s)C
0
30
57
110
5.2
4.7
4.8
5.0
19.6
2.5
1.0
1.0
191
42
67
55
7.6
41.4
34.6
32.1
28.7
1.1
2.0
1.9
1
0
p.q.= pas quantifiable, inférieur à deux fois la limite de détection (2 × 0.56 μmol/L)
26
Forum für Wissen 2009
10
10
Copera
BC/Al
6
6
4
4
2
2
0
Dez
99
0
Dez
00
Dez
01
87 88 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04
30 cm
80
6
60
4
40
2
20
0
0
Dez
07
Beatenberg
6
4
2
0
Jan
99
Jan
00
Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez
00
01
02
03
04
05
06
07
15 cm
80 cm
Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez
00
01
02
03
04
05
06
07
15 cm 80 cm
Lausanne
8
80
8
80
6
60
6
60
4
40
4
40
2
20
2
20
0
0
Jan Jan Jan Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez
98 99 00 00 01 02 03 04 05 06 07
15 cm
80 cm
BC/Al 15 cm
10
Vordemwald
BC/Al 80 cm
BC/Al 15 cm
Dez
06
100
10
BC/Al 15 cm
Jan
00
BC/Al
8
8
BC/Al 80 cm
10
Celerina
Jan
99
Dez
05
110 cm
100
10
Dez Dez Dez
02
03
04
15 cm 80 cm
0
Jan
99
Jan
00
100
BC/Al 80 cm
BC/Al
Novaggio
8
8
0
Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez
00
01
02
03
04
05
06
07
15 cm 80 cm
Fig. 5. Rapport molaire des cations basiques BC (BC = Ca + Mg + K) sur l’aluminium dissous total (BC/Al) entre 2000 et 2007 sur
placettes à sol acide. Moyenne mobile avec fenêtre de deux ans.
les
Abb. 5. Molares BC/Al-V erhältnis zwischen basischen Kationen (Ca, Mg, K) und gelöstem Aluminium (Al) zwischen 2000 und 2007 in
LWF-Flächen mit sauren Böden. Gleitender Durchschnitt mit 2jährigem Fenster.
dant la période d’observation (2000–
2007), même si des variations interannuelles sont visibles (Fig. 5). A Beatenberg, le sol est très acide . Les valeurs
de BC/Al à 15, 50 et 80 cm de profondeur sont très faibles (< 4, Table 2 et
Fig. 5) et ont tendance à diminuer au
cours du temps, notamment à 15 cm de
profondeur (interface entre horizons H
et Ah), suggérant une acidification plus
rapide.
3.5 Eau dans les sols formés à partir de matériaux calcaires
Examinons maintenant l’eau des sols
formés à partir de matériaux calcaires .
A Bettlachstock et à Schänis , les rapports BC/Al sont supérieurs à 100 aux
quatre profondeurs analysées , compte
tenu du pH élevé (pH > 6.5) et des très
faibles concentrations d’Al dissous
(Table 2). Ils ne présentent aucun risque de phytotoxicité de l’Al et possèdent une large capacité à neutraliser
les dépôts acides. Les valeurs du pH et
les concentrations en cations basiques
sont restées stables pendant toute la
période d’observation (2000–2007).
Les sols à Vordemwald et à Lausanne ont été décarbonatés sur une grande
profondeur (300 cm à Lausanne et plus
de 450 cm à Vordemwald). Les rapports BC/Al sont faibles (< 4) à 15 cm
mais augmentent en profondeur (Table
2), parallèlement au taux de saturation
en cations basiques échangeables du
complexe absorbant (W ALTHERT et al.
2003). Les rapports BC/Al à 80 cm de
profondeur sont supérieurs à 20, même
à Vordemwald où le sol est acide dans
tout le profil (pH CaCl2 < 4.3 dans W ALTHERT et al. 2003). Bien que les apports
atmosphériques acides aient diminué à
Lausanne pendant la période d’observation entre 2000 et 2007 (F ig. 4), nous
n’avons pas observé de réactions dans
l’eau du sol. Les rapports BC/Al dans
l’eau du sol sont restés stables , suggérant une lente acidification (F ig. 5). A
Vordemwald, on observe par contre
une tendance à la baisse de BC/Al
dans les horizons minéraux (15, 50 et
80 cm) entre 2001 et 2007, suggérant
une acidification plus rapide qu’à Lausanne. Le taux de décroissance de
BC/Al dans le sol minéral (entre –3 %
et –5 % BC/Al par année) est comparable à celui mesuré à Copera (BLASER
et al. 1999; GRAF PANNATIER et al. 2005).
Forum für Wissen 2009
3.6 Les risques écologiques
Nous avons vu que les rapports BC/Al
à Vordemwald, Beatenberg , Novaggio
et Copera étaient proches de 1, voire
inférieurs, indiquant donc un risque dû
à la toxicité de l’aluminium (T able 2).
Les rapports BC/Al sont généralement
calculés en utilisant les concentrations
d’Al total dissous dans l’eau du sol. Or,
il s’agit surtout du ion Al3+ et de l’ion
hydroxylé AlOH 2+ qui sont toxiques
pour les racines (L ØKKE et al. 1996).
Les concentrations des différents complexes d’Al ont par conséquent été
estimées à l’aide d’un programme de
spéciation (WHAM 6.0, 2001) et publiées dans G RAF PANNATIER et al.
(2006). Lorsqu’on considère uniquement la forme la plus toxique de l’aluminium (Al 3+ et AlOH2+), les rapports
deviennent plus grands que 1, suggérant un risque limité lié à la toxicité de
l’Al pour les racines . A Beatenberg ,
l’Al se trouve principalement com
plexé à la matière organique dissoute
et ne devrait pas constituer de risque
pour la végétation. De plus, les racines
des épicéas se situent essentiellement
dans la couche organique (horizons F
et H), riche en cations basiques et
caractérisée par des rapports BC/Al
élevés. A Vordemwald et Novaggio, les
rapports BC/(Al3+ + AlOH2+) atteignent
des valeurs supérieures à 3. De ce fait,
ils constituent aujourd’hui un risque limité pour les racines. En outre, les rapports augmentent en profondeur . A 80
cm, toujours dans l’espace racinaire, les
rapports BC/(Al 3+ + AlOH2+) sont supérieurs à 10, indiquant que les risques
écologiques sont minimes . A Copera
par contre, les formes toxiques de l’Al
constituent plus de 80 % de l’Al dissous total dans les horizons minéraux.
Les rapports BC/(Al 3+ + AlOH2+) sont
faibles et varient de 1.6 à 2.9, suggérant
que le risque d’impacts négatifs dus à
l’Al sur les racines est élevé.
3.7 Conclusions sur l’acidification
de l’eau du sol
Les apports atmosphériques de composés acides mesurés ces dix dernières
années sur les placettes LWF sont bien
inférieurs à ceux estimés à la fin des
années 80. Nous n’avons pas observé
de tendance significative à la baisse ou
27
à la hausse des dépôts, à part à Lausanne où ils ont diminué.
L’analyse de la composition chimique de l’eau du sol nous montre que
l’acidification se produit de manière
très lente sur cinq des sept placettes
observées depuis 1998. La diminution
du rapport BC/Al sur certaines placettes pendant les deux premières années
de mesures provient probablement de
l’installation des lysimètres
. Nous
avons identifié une rapide acidification
de l’eau du sol à Copera (T essin) dans
les années 90, mais il semble qu’elle se
soit stabilisée depuis la fin des années
90. Nous avons également décelé une
diminution des rapports BC/Al à Vordemwald (Plateau) et à Beatenberg
(Préalpes) depuis le début des mesures
en 1999, ce qui pourrait témoigner
d’une rapide acidification. La modélisation de l’acidification du sol sur les
placettes L WF nous permettra de
quantifier la contribution de la pollu tion atmosphérique à l’acidification
par rapport aux autres apports d’acides
dans le sol (acides organiques p. ex.).
4 Observation à long terme
de la disponibilité en
eau dans le sol pour la
végétation
Les mesures du potentiel matriciel à
l’aide de tensiomètres nous permettent
d’évaluer si l’eau retenue dans le sol
est facilement disponible pour les racines et de caractériser le régime hydrique. Elles montrent typiquement les
phases de saturation en eau en hiver et
au printemps et les phases sèches en
été.
4.1 Le potentiel matriciel pendant
l’été 2003
L’été 2003, exceptionnellement sec et
chaud, nous a permis de déterminer
comment les sols réagissaient à de telles conditions météorologiques et si
l’eau était toujours disponible pour les
racines. Sur les placettes du Plateau
suisse (Lausanne , Vordemwald, Othmarsingen, J ussy), à Schänis dans les
Préalpes, à Bettlachstock dans le J ura
et à Novaggio au Tessin, la plupart des
tensiomètres se vidèrent pendant l’été,
indiquant que l’eau n’était plus facile-
ment disponible pour les plantes
(<– 900 hPa). A Viège également, la teneur en eau se stabilisa à des valeurs
minimales en été 2003, suggérant que
les racines ne pouvaient plus extraire
l’eau du sol. Dans les Alpes (Celerina,
Parc national), le potentiel matriciel
fut toujours mesurable en été 2003
mais atteignit pour la première fois des
valeurs minimales de –800 hPa.
A
Beatenberg, le sol est resté humide et
les valeurs du potentiel matriciel furent
comparables à celles des autres étés. La
Figure 6 illustre quatre exemples (Vordemwald, Novaggio, Celerina, Beatenberg) de réactions typiques du potentiel matriciel aux conditions extrêmes
de l’été 2003.
4.2 Effets de la sécheresse 2003 sur
la croissance des arbres
Les effets de la sécheresse sur la croissance des arbres ont été examinés sur
15 placettes LWF. Un indice de sécheresse, appelé déficit hydrique , a été
calculé à l’aide d’un modèle (W ATBAL, STARR 1999). Ce déficit est défini
comme le rapport entre l’évapotranspiration actuelle et potentielle (AET/
PET) cumulée entre mai et août. La
croissance en circonférence des troncs
de 12 cm de diamètre au moins a été
mesurée en octobre 2002 et 2003 à
l’aide de dendromètres installés à hauteur de poitrine . Dix arbres de chaque
espèce représentant plus de 10 % de la
surface terrière ont été sélectionnés .
L’accroissement en surface terrière de
chaque arbre en 2003 a été comparé à
celui de 2002. La croissance et le déficit
hydrique en 2003 ont ensuite été comparés à ceux de 2002, année également
chaude mais humide.
La F igure 7 illustre les résultats . La
croissance des arbres en 2003 s’est fortement réduite sur les placettes à basse
altitude où le déficit hydrique était important, alors que dans les régions
montagneuses, la croissance ne s’est
que légèrement réduite ou est restée
similaire à celle de 2002 (GRAF PANNATIER et al. 2007). A trois sites au-dessus
de 1200 m d’altitude (Beatenberg , Celerina, Chironico), la croissance des arbres a même augmenté, probablement
à cause des températures plus élevées
et des réserves hydriques suffisantes .
Les différences de croissance entre ces
28
Forum für Wissen 2009
Novaggio
Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez
Jan 00 00
01
02
03
04
05
06
07
08
Vordemwald
Jan Jan Jan Jan Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez
97 98 99 00 00 01 02 03 04 05 06 07 08
200
200
0
–200
–200
–400
–400
–600
–600
–800
–800
–1000
–1000
15 cm
15 cm
80 cm
Beatenberg
Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez
Jan 00 00
01
02
03
04
05
06
07
08
Dez
Jan 00 00
200
200
–200
0
0
–200
–400
–400
–600
–600
–800
–800
–1000
–1000
15 cm
80 cm
Celerina
Dez Dez Dez Dez
01
02
03
04
15 cm
80 cm
Dez Dez Dez Dez
05
06
07
08
80 cm
Fig. 6. Potentiel matriciel à Vordemwald, Novaggio, Beatenberg et Celerina. Zone grise: en-dehors de la gamme de mesure des tensiomètres.
Les valeurs diminuent fortement pendant l’été 2003, à l’exception de Beatenberg.
Abb. 6. Matrixpotential in Vordemwald, Novaggio, Beatenberg und Celerina. Graue Zone: ausserhalb vom Messbereich. Die Werte nehmen
während dem Sommer 2003 (ausser in Beatenberg) stark ab.
Croissance en 2003 en % de 2002
140
Chir
120
Cel
100
Nov
80
Neu
60
Vor
R2 = 0.63
20
20
Iso
Alp
Lau
Sch
Jus
Bet
Vis
40
0
Bea
40
Oth
deux années s’expliquent donc clairement par des fluctuations de réserves
hydriques. Une estimation de l’activité
photosynthétique en 2003 dérivée
d’images satellite à travers les Alpes a
également dévoilé une augmentation
de croissance des arbres à haute altitude et une réduction à basse altitude
(JOLLY et al. 2005).
Len
60
80
100
4.3 Conclusions sur la disponibilité
en eau dans le sol en 2003
AET/PET mai-août 2003 en % de AET/PET mai-août 2002
Fig. 7. Relation entre le déficit hydrique (AET/PET) entre mai et août et la croissance des
arbres sur 15 placettes LWF. Les valeurs de 2003 ont été exprimées en pourcentage de celles
de 2002.
Abb. 7. Zusammenhang zwischen dem Wasserdefizit (AET/PET) zwischen Mai und August
und dem Baumzuwachs in 15 LWF-Flächen. Die Werte 2003 sind in Prozenten von denWerten 2003 dargestellt.
L’été chaud et sec de l’année 2003 a
conduit à un épuisement des ressources d’eau facilement disponible (potentiel matriciel < –900 hPa) pour les
plantes dans les placettes situées endessous de 1200 m d’altitude. La sécheresse s’est fait sentir jusque dans les
vallées alpines comme au Parc National et à Celerina en Engadine mais
l’eau du sol était encore facilement disponible pour les plantes (potentiel matriciel > –900 hPa). La croissance des
troncs en 2003 s’est réduite à basse alti-
Forum für Wissen 2009
tude par rapport à celle mesurée en
2002. En région montagneuse , la croissance fut légèrement réduite en 2003
ou fut similaire à celle de 2002. Les variations de croissance s’expliquent par
les variations de réserve hydrique dans
le sol.
5 Zusammenfassung
Das Wasser der Waldböden:
Ein System, das empfindlich auf
Umweltveränderungen reagiert
Im Rahmen der Langfristigen Waldökosystem-Forschung (LWF) wird die
Bodenlösung und die atmosphärische
Deposition auf 7 Waldflächen seit 1998
oder später in 14-T age Intervallen gesammelt und chemisch analysiert. Die
Ergebnisse deuten darauf hin, dass die
Versauerung an fünf Standorten in den
letzten 10 J ahren sehr langsam verlief .
Eine beschleunigte Versauerung könnte an zwei Standorten stattgefunden
haben. Neben der Wasserqualität ist
auch die Verfügbarkeit des Bodenwassers für die Vitalität Pflanzen wichtig:
Deshalb messen wir auf 10 L WF-Flächen seit 1997 oder später auch die
Saugspannung in 14-täglichem Rythmus. Die Auswirkungen des Hitzesommers 2003 auf die Bodenwasserverfügbarkeit und das Baumwachstum auf 15
LWF-Flächen wird im Beitrag behandelt. In den Tieflagen lag das Stammwachstum im Jahr 2003 signifikant unter dem des Vorjahres, während es in
den Hochlagen im Vergleich zum J ahr
2002 nur wenig oder gar nicht abnahm.
Remerciements
Le projet L WF bénéficie d’un large
soutien financier, logistique et scientifique de nombreux partenaires que nous
ne pourrions nommer dans cet article .
Nous tenons cependant à exprimer notre gratitude aux collaborateurs sur le
terrain et au laboratoire, ainsi qu’à toutes et à tous ceux qui participent au
projet dans les services forestiers , les
communes, les cantons, à l’Office fédéral de l’Environnement et au WSL.
29
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30
Abstract
The water in forest soils: a system sensitive to changes in the environment
In the framework of Long-term F orest Ecosystem Research L WF, the chemistry
of atmospheric deposition and soil solution have been analysed in two week intervals since 1998 or later in seven plots in Switzerland to assess the soil response to
acid atmospheric deposition. The results suggest that acidification has proceeded
very slowly at five sites during these last 10 years. A faster acidification might have
occurred at two sites. In addition to quality, soil water availability is also important
for plant vitality. We have measured in two week intervals the soil matric potential
since 1997 or later at 10 LWF plots to assess whether the soil water is easily available
to plants. We examined the effects of the heat wave of the summer 2003 on soil
water availability and tree growth at 15 LWF plots. Stem growth in sites located at
low altitude was significantly reduced in 2003 as compared to the previous year ,
while in mountainous areas , growth was only slightly reduced or comparable to
growth in 2002.
Keywords: soil solution, acidification, drought, matric potential, LWF
Forum für Wissen 2009
Forum für Wissen 2009: 31–38
31
Le futur des marais suisses: quelle place pour la forêt?
Elizabeth Feldmeyer-Christe, Ulrich Graf, Meinrad Küchler, Klaus Ecker, Helen Küchler et Angéline Bedolla
WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
elizabeth.feldmeyer@wsl.ch, ulrich.graf@wsl.ch, meinrad.kuechler@wsl.ch, klaus.ecker@wsl.ch, helen.kuechler@wsl.ch,
angeline.bedolla@wsl.ch
L’embuissonnement menace les marais suisses d’importance nationale. Un suivi
de la végétation a été conduit dans 125 marais de 1997 à 2007 pour évaluer l’impact des mesures de protection et l’évolution générale. Le constat est préoccupant. Les marais suisses dans l’ensemble se sont asséchés, enrichis en substances
nutritives et embroussaillés. Alors que l’embuissonnement des hauts marais provient généralement d’un déséquilibre hydrique dû au drainage, celui des bas marais est la conséquence d’un abandon de la fauche et de la pâture. Des solutions
existent pour freiner l’embuissonnement, mais, dans certains cas, laisser se développer la dynamique naturelle de boisement pourrait s’avérer judicieux.
1 Des îlots de nature dans un
paysage industrialisé
Les marais , milieux peu productifs et
longtemps considérés comme dépourvus de valeur, ont payé un lourd tribut
à l’ère de l’industrialisation et du progrès technique. On estime aujourd’hui
qu’ils ont perdu en Suisse 90 % de leur
surface primitive. Dès le XVIIIe siècle ,
les hauts marais ont été exploités pour
leur combustible et drainés pour ga gner des terres agricoles
. L ’emploi
croissant de la tourbe horticole au
cours du XXe siècle a accéléré leur
déclin. La régression des bas marais est
due principalement aux grands travaux
hydrographiques du XIXe siècle qui
conduisirent à l’endiguement et à la
correction des principaux cours d’eau
de Suisse et à la régulation du niveau
des lacs.
Si la grande richesse biologique des
marais a de tout temps fasciné les naturalistes, il a fallu attendre l’ère du tourisme généralisé pour faire apprécier
leur beauté naturelle et le charme de
leurs paysages nordiques . En plus de
leur valeur inestimable d’archives de
l’histoire naturelle millénaire (la tourbe est un excellent agent conservateur)
et de régulateur hydrologique (leur
pouvoir d’absorption atténue les risques d’inondation), on a aujourd’hui
pris conscience , à l’ère du réchauffement climatique , de leur importance
comme puits de carbone . On estime
que le tiers du carbone (C) stocké dans
les sols de la planète l’est dans les marais (RYDIN et JEGLUM 2006).
2 Protection et suivi des
marais
Depuis plus de 20 ans, à la suite de l’acceptation de l’Initiative de Rothen
thurm par le peuple suisse , la protec tion des marais est inscrite dans la
Constitution (Art. 78 al. 5). L ’article
constitutionnel stipule que les marais
et les sites marécageux d’une beauté
particulière qui présentent un intérêt
national sont protégés.
Les biotopes et les sites marécageux
d’importance nationale , recensés dans
le cadre de 3 inventaires (GRÜNIG et al.
1986; BROGGI 1990; HINTERMANN 1992),
ont été désignés par le Conseil fédéral
après consultation des cantons (Fig. 1).
Les ordonnances d’application du
Conseil fédéral définissent les objectifs
de protection. Les biotopes marécageux doivent être conservés intacts
.
Pour les marais détériorés, des mesures
de régénération seront encouragées ,
dans la mesure où elles apparaissent
judicieuses.
Pour évaluer l’adéquation de cette
protection, c’est-à-dire pour savoir si
les objectifs fixés en matière de protection sont atteints , un programme de
suivi des biotopes marécageux a été
lancé en 1996. La période considérée
pour l’évalua tion de la végétation était
de 5 ans (1997 à 2001 et 2002 à 2007).
Comme il n’était pas possible , pour
des raisons financières évidentes, d’examiner tous les objets d’importance
nationale, un échantillonnage représentatif de 125 marais a été sélectionné
(Fig. 2), prenant en compte des différents types de marais, des régions naturelles et de l’altitude (K ÜCHLER et al.
2004). Cet échantillonnage permet de
formuler des constats valables sur
l’état et l’évolution des marais à l’échelon national (KLAUS 2007). La méthode
utilisée combine des données obtenues
sur le terrain (relevés de végétation) et
des données issues de photographies
aériennes (une photographie infrarouge
pour chaque objet).
3 État des marais en Suisse
Le constat est préoccupant. Les résultats du suivi des marais suisses indiquent que, si la surface des milieux marécageux n’a pas diminué, l’état général de ces milieux s’est dégradé.
On
constate en effet un assèchement, une
augmentation du taux d’éléments nutritifs ainsi qu’un embuissonnement.
Évolution de l’humidité
Les marais sont dépendants de l’eau et
celle-ci est primordiale pour leur conservation. La perturbation de leur teneur en eau conduit à la disparition de
la végétation typique de marais, qui est
remplacée par des groupements végétaux de stations plus sèches.
Dans près d’un tiers des marais, le régime hydrique a fortement évolué en
32
Forum für Wissen 2009
Fig. 1. Distribution des hauts et bas marais
de Suisse . Les points rouges représentent
les 1170 bas marais d’importance nationale
qui couvrent une surface de 192 km 2. Les
points bleus représentent les 548 hauts marais d’importance nationale qui couvrent
une surface de 15 km2.
Abb. 1. Verbreitung der Hochmoore und
Flachmoore der Schweiz. Die 1170 Flachmoore von nationaler Bedeutung , die eine
Fläche von 192 km 2 bedecken, sind mit roten Punkten dargestellt. Die 548 Hochmoore von nationaler Bedeutung , die eine Fläche von 15 km 2 bedecken, sind mit blauen
Punkten dargestellt.
Fig. 2. Sélection des 125 objets du suivi de la
protection des marais (points noirs).
La
couleur verte correspond à la densité en
marais d’importance nationale sur une grille de 1 km. Les lignes noires délimitent les
différentes régions biogéographiques de
Suisse.
Abb. 2. Die 125 ausgewählten Moore der
Wirkungskontrolle (schwarze Punkte). Die
grüne Farbe stellt die Dichte an Hoch- und
Flachmooren von nationaler Bedeutung
auf einem 1 km-Raster dar . Die schwarzen
Linien begrenzen die biogeografischen Regionen der Schweiz.
Fig. 3. Changement de la valeur d’humidité.
Les marais avec un excédent de surfaces
plus humides sont en bleu, avec un excédent de surfaces plus sèches en rouge et
sans changement en gris. La surface des cercles est proportionnelle au nombre de marais par région.
Abb. 3. Veränderungen im Wasserhaushalt:
die Moore mit einem Überschuss an feuchter gewordenen Flächen sind blau,
die
Moore mit einem Überschuss an trockener
gewordenen Flächen sind rot und die
Moore ohne nachgewiesene Veränderung
sind grau dargestellt. Die Kreisfläche ist
proportional zur Anzahl untersuchter Moore.
Forum für Wissen 2009
33
l’espace des 5 ans de la période d’observation (Fig. 3). Dans la majorité des
cas, les marais se sont asséchés et les
conditions hydriques ne se sont améliorées que dans 2 marais . Les marais
de basse altitude ont moins souffert
que ceux de montagne . L’assèchement
est particulièrement marqué dans les
régions du nord des Alpes ainsi que
dans le Nord et le centre des Grisons.
Évolution des conditions trophiques
Les biocénoses de hauts marais ainsi
que de la majorité des bas marais sont
adaptées à des conditions extrêmement pauvres en éléments nutritifs. Les
infiltrations de fertilisants en prove nance de l’agriculture ainsi que les apports atmosphériques en azote (10 à 40
kg par hectare et par an selon l’OFEV)
constituent une menace pour la végétation typique de ces marais.
Dans 61 % des marais , on ne constate
pas de changement important du niveau
trophique, 5 % montrent un appauvrissement et 34 % un enrichissement. Ce
sont les hauts marais et les bas marais
turfigènes à une altitude de plus de
1500 m qui sont les plus concernés par
une eutrophisation. Les marais de
moyenne altitude au contraire montrent un appauvrissement en substances nutritives (Fig. 4).
Fig. 4. Changement de la valeur de substances nutritives . Les marais avec un excédent important de surfaces plus maigres sont en jaune , ceux avec un excédent de surfaces plus riches en vert et ceux sans changement en gris . La surface des cercles est proportionnelle au
nombre de marais par région.
Abb. 4. Veränderungen in den Nährstoffverhältnissen: die Moore mit einem bedeutenden
Überschuss an magerer gewordenen Flächen sind gelb, die Moore mit einem Überschuss an
fetter gewordenen Flächen grün und diese ohne nachgewiesene Veränderung sind grau dargestellt. Die Kreisfläche ist proportional zur Anzahl untersuchter Moore.
4 L’embuissonnement des
marais
Si la présence de buissons ou d’arbres
isolés ne pose pas de problème à la végétation marécageuse, la fermeture des
strates arbustives et arborescentes conduit à l’éviction des espèces typiques
de marais (Fig. 5).
Au nord des Alpes, en Valais et dans
le Jura, 22 à 37 % des surfaces investiguées montrent un très haut degré
d’embuissonnement. Cette tendance
est plus faible dans le Nord et le centre
des Grisons, où seuls 2 % des surfaces
sont concernés par une multiplication
de jeunes arbres et arbustes . Seule la
région de l’ouest des Alpes septentrionales montre une diminution du recouvrement des espèces ligneuses.
Fig. 5. Embuissonnement après arrêt de la pâture.
Abb. 5. Die Verbuschung eines Flachmoores nimmt zu, wenn es nicht mehr geschnitten oder
beweidet wird.
34
Situation des hauts marais (Fig. 6a)
Un recul de l’embuissonnement est observé à l’est du Plateau. L’embuissonnement est par contre particulièrement prononcé dans le centre et l’ouest des Alpes septentrionales et dans le
Jura. Les hauts marais de Suisse centrale et du Valais montrent une tendance équivalente au boisement et au déboisement.
Situation des bas marais turfigènes
(Fig. 6b)
La tendance à l’embuissonnement est
bien marquée, à basse altitude particulièrement, ainsi que dans le Jura, l’est de
la Suisse et le Valais.
La diminution de l’embuissonnement sur l’ouest du Plateau est due aux
travaux de défrichement dans les marais de la Grande Cariçaie sur la rive
sud du lac de Neuchâtel.
Forum für Wissen 2009
Ensemble de la Suisse
Selon les régions naturelles
Selon l’altitude
Schweiz gesamt
Nach Naturräumen
Nach Höhenlagen
*
> 1500 m
** 1000–1500 m
*** < 1000 m
*
**
***
a
Situation des bas marais non
turfigènes (Fig. 6c)
L’embuissonnement est particulièrement important à basse altitude ainsi
que dans le Jura et l’Est du Plateau.
*
**
5 Causes de l’embuissonnement
Les hauts marais sont des milieux
naturels alimentés exclusivement par
les eaux météoriques . Une végétation
très spécialisée s’y rencontre , com posée principalement de sphaignes
,
des mousses particulières capables de
stocker, à l’instar d’une éponge
, de
grandes quantités d’eau (F ig. 7). Ce
milieu très pauvre en nutriments et très
humide ne permet pas aux arbres de se
développer. Seule la périphérie du
haut marais, plus sèche , voit s’installer
des forêts claires de pins à crochets
(Fig. 8). Par le drainage , on détruit
l’équilibre hydrologique du marais et
l’on provoque l’assèchement de sa
surface, permettant l’installation de
bouleaux et d’épicéas (F ig. 9), qui
amplifient à leur tour l’effet drainant
par l’évapotranspiration.
Les bas marais , contrairement aux
hauts marais, sont en majorité le résultat de l’activité humaine (Fig. 10). Ils se
développèrent dès le Moyen Age à la
faveur du défrichement des forêts humides et atteignirent leur plus grande
extension vers 1800, quand ils couvraient
***
b
*
**
***
c
Fig. 6. Evolution de la proportion des plantes ligneuses dans les haut marais (a), les bas marais turfigènes (b) et les bas marais non turfigènes (c). Les marais présentant une forte augmentation des espèces ligneuses sont en brun, ceux qui présentent une forte diminution des
espèces ligneuses en beige et ceux sans changement notable en gris.
Abb. 6. Entwicklung des Anteils an Gehölzpflanzen in Hochmooren (a), in torfbildenden
Flachmooren (b) und in nicht torfbildenden Flachmooren (c). Die Moore mit einer erheblichen Zunahme an Gehölzpflanzen sind in braun, die Moore mit einer erheblichen Abnahme sind in beige und diese ohne erhebliche Veränderung sind in grau.
Forum für Wissen 2009
2500 km 2 (ils n’en couvrent plus aujourd’hui que 192 km 2). Leur régres sion est due à l’endiguement et à la
correction des principaux cours d’eau
de Suisse, à la régulation du niveau des
lacs et à l’assèchement par drainage
pour gagner des terres agricoles.
Comme les bas marais et leur végétation dépendent d’un entretien régulier, la cessation de l’activité agricole
conduit à leur embroussaillement puis
à une évolution vers la forêt humide
(Fig. 5).
L’évolution vers la forêt est le résultat d’une dynamique naturelle qui
s’observe bien dans les marais de la Rive sud du lac de Neuchâtel. L’abaissement de 2 mètres du niveau du lac il y a
une centaine d’années lors de la correction des eaux du J ura permit le développement de grands marais sur les
fonds exondés. Une mosaïque de groupements végétaux s’est installée , roselières, parvocariçaie, prairies à molinie,
saulaies et saliçaies . Aujourd’hui, le
problème principal est de freiner
l’avancée de la forêt d’aulnes et de saules qui menace d’envahir toute la rive
(Fig. 11). Ces forêts primaires n’ont pas
moins de valeur que les marais à petites laîches, mais le but des gestionnaires est de conserver la plus grande diversité possible de types de végétation.
Des moyens mécaniques sont employés
pour contenir l’extension de la forêt.
6 Quelle place pour la forêt
dans les marais?
35
Fig. 7. Les sphaignes, constituant principal de la végétation de haut marais, capables de stocker
20 fois leur poids en eau.
Abb. 7. Torfmoose, die Hauptvegetation der Hochmoore, können die 20-fache Menge ihres
Gewichts an Wasser speichern.
Fig. 8. Le haut marais, un milieu naturel.
Abb. 8. Das Hochmoor, ein natürliches Biotop.
Protéger les forêts marécageuses
Les forêts naturelles de haut marais
doivent être préservées et conservées .
Ce sont les pinèdes à pins à crochets du
Pino mugo-Sphagnetum (Fig. 12) et les
pessières de bordure du Bazzanio-Piceetum. Les forêts secondaires de bouleaux (Fig. 13) qui se développent dans
les zones plus sèches, souvent riches en
espèces de marais , doivent aussi être
préservées, de même que les aulnaies
de bas marais (F ig. 14). Ces forêts ne
demandent aucune mesure d’entretien
et peuvent être laissées à leur évolution
naturelle. Lorsque des épicéas ont envahi le haut marais , il serait judicieux
de pouvoir les enlever . La fragilité du
sol tourbeux rend cependant toute intervention sylvicole délicate . Une méthode parfois utilisée dans les travaux
Fig. 9. Influence du drainage dans le marais de Gamperfin.
Abb. 9. Einfluss der Drainage im Hochmoor von Gamperfin.
36
Forum für Wissen 2009
de régénération et qui donne d’excellents résultats, fait appel à l’hélicoptère.
Fig. 10. Le bas marais, résultat de l’exploitation agricole.
Abb. 10. Flachmoor als Kulturbiotop.
Fig. 11. Progression de la forêt d’aulnes et de saules dans la Grande Cariçaie.
Abb. 11. Wachstum des Auenwaldes und Moorweidenwaldes im Flachmor von Grande
Carçaie.
Fig. 12. Pinède naturelle de haut marais.
Abb. 12. Natürliches Bergkiefern-Hochmoor.
Contrer l’embuissonnement ou …
Pour freiner l’embuissonnement dans
les hauts marais , la meilleure solution
est de rehausser le niveau de la nappe
phréatique en comblant les drainages .
Les épicéas dépérissent et les sphaignes se réinstallent (WHEELER et SHAW
1995).
Le cas des bas marais est différent.
Les bas marais qui ne sont plus fauchés
ni pâturés s’embroussaillent faute
d’entretien. Ce sont souvent des marais
difficiles d’accès où le terrain ne permet pas une fauche mécanique . La pâture peut être une solution de remplacement avec des races légères et rustiques comme le Scottish Highland
cattle (Fig. 15), introduit dans plusieurs
marais de Suisse . Le remplacement de
la fauche par la pâture entraîne cependant une modification de la végétation,
car la pâture est sélective. D’autre part,
la pâture n’est pas une solution dans
les terrains pentus où elle entraîne une
forte érosion (Fig. 16).
… laisser la dynamique naturelle?
Dans les marais où la fauche n’est plus
assurée et où la pâture n’est pas possible, on pourrait laisser la forêt se développer à condition d’enlever les drainages pour favoriser la végétation marécageuse et éviter un envahissement par
les épicéas . Cela représenterait une
alternative à envisager là où la construction de nouvelles dessertes nécessaires à l’entretien serait contraire aux
objectifs de protection.
L’abandon de la fauche dans les prairies à litière peut conduire au développement de saulaies (Salicion cinereae)
puis d’aulnaies (Alnion glutinosae). Le
Salicion cinereae, localement abondant
au nord des Alpes, est en expansion
dans les réserves naturelles (D ELARZE
et al. 1998). L’Alnetum glutinosae, autrefois assez abondante à basse altitude, ne subsiste plus aujourd’hui que
sous forme de vestiges appauvris, beaucoup de stations ayant été drainées
(DELARZE et al. 1998). Le développement de ces types de forêts devenus rares peut être une solution judicieuse
dans certains marais.
Forum für Wissen 2009
37
7 Zusammenfassung
Zukunft der Moore in der Schweiz:
wo soll Wald sein?
Die schweizerischen Moore von nationaler Bedeutung sind mit Verbuschung
bedroht. Die Wirkungskontrolle der
schweizerischen Moore , die von 1997
bis 2007 gemacht wurde, hat beunruhigende Ergebnisse geliefert. Zwar ist
die Fläche der schweizerischen Moore
ungefähr gleich geblieben, jedoch hat
sich die Qualität der Biotope verschlechtert. Die Mehrzahl der Moore
ist trock ener und nährstoffreicher geworden und weist einen erhöhten Anteil an Gehölzpflanzen auf . In Hochmooren liegt die Ursache für Verbuschungen meistens in Störungen des
Wasserhaushalts als Folge von Drainagen. Die Verbuschung der Flachmoore
nimmt vor allem zu, wo nur drainierte
Flächen nicht mehr geschnitten oder
beweidet werden. Die Zunahme der
Gehölzpflanzen in Hochmooren lässt
sich durch das Schliessen der Drainagen verhindern, was zu einem Wiederaufstieg des Wasserspiegels führt. In
Flachmooren, die nicht mehr geschnitten werden können, kann die Beweidung mit leichtem Vieh wie Hochlandrindern eine Ersatzlösung sein. In Fällen wo weder Schnitt noch Beweidung
möglich sind, ist zu erwägen, die natürliche Dynamik der Vegetation zu zulassen, was zu Moorweidengebüschen
und Silberweiden-Auenwäldern führen
könnte.
Fig. 13. Forêt secondaire de bouleaux.
Abb. 13. Sekundärer Birkenwald.
Fig. 14. Forêt d’aulnes noirs (Photo: Service conseil des zones alluviales).
Abb. 14. Silberweiden-Auenwald (Foto: Auenberatungstelle).
7 Bibliographie
Fig. 15. La pâture avec la race des Scottish Highland cattle , une solution contre l’embroussaillement.
Abb. 15. Beweidung mit Schottischen Hochlandrindern kann eine Lösung gegen
schung sein.
Verbu-
BROGGI, M. (réd.) 1990: Inventaire des basmarais d’importance nationale . Berne ,
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forêts et du paysage. 75 p.
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Schweiz – eine Inventarauswertung/Les
hauts-marais et marais de transition de
Suisse – résultats d’un inventaire . Birmensdorf, Eidgenössische F orschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft.
Bericht 281.
38
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marécageux d’une beauté particulière et
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WHEELER, B.D.; S HAW, S.C., 1995: Restoration of damaged peatlands . London, UK,
HMSO. 211 p.
Forum für Wissen 2009
Fig. 16. La pâture n’est pas une solution adéquate dans les marais de pente.
Abb. 16. Beweidung ist in steilen Mooren nicht zu empfehlen.
Abstract
The Future of Mires in Switzerland: how much should be forest?
The Swiss Mire Monitoring Program that monitored mires in Switzerland from
1997 to 2007 has produced some worrying results. While the surface areas of Swiss
mires have remained more or less constant, the quality of the biotopes has de creased. Most of the mires have become drier , richer in nutrients and suffer from
scrub encroachment. In bogs scrub encroachment has taken place because the
hydrological balance has been disturbed due to a lowering of the water table
through drainage . Shrub increase in fens results additionally from abandoning
pasturing and mowing in sites with difficult access . To prevent the shrub increase
in bogs, the drainage ditches should be closed and a functional water level restored.
In fens that can no longer be mown, a light breed of cattle, such as Scottish Highland cattle, could be allowed to pasture to compensate for the abandonment of
mowing. In fens where neither mowing nor pasturing is possible , it might be best,
in some cases , to let the vegetation follow its own course and evolve into a wet
willow and alder forest.
Keywords: Swiss mire monitoring program, bog, fen, scrub encroachment, nature
conservation
Forum für Wissen 2009: 39–50
39
Flechten im Wald: Vielfalt, Monitoring und Erhaltung
Christoph Scheidegger und Silvia Stofer
WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
christoph.scheidegger@wsl.ch, silvia.stofer@wsl.ch
In der Schweiz kommen 621 baum- und erdbewohnende Flechten hauptsächlich
im Wald vor; sie werden deshalb als Waldarten bezeichnet. Aufgrund der Bedrohung (Status in der Roten Liste), der Verantwortlichkeit der Schweiz für den Erhalt einer Art sowie den Erfolgsaussichten von Artenschutzmassnahmen wurden
in Zusammenarbeit mit dem BAFU 165 Waldarten als sogenannte Prioritätsarten
bestimmt. Fast dreiviertel dieser Prioritätsarten sind auf alte Bäume als Lebensraum angewiesen. Die Erhaltung seltener Flechtenarten durch gezielte Massnahmen im bewirtschafteten Wald ist zwar für viele häufigere Arten relativ einfach
möglich. Trotzdem zeigen Untersuchungen, dass dieses vorrangig integrative Vorgehen den umfassenden Schutz der Waldflechten nicht gewährleisten kann. Über
150 Prioritätsarten der Waldflechten müssen durch die Instrumente des segregativen Naturschutzes gestützt werden. Unseres Erachtens muss die Realisierung der
bereits geplanten Waldreservate beschleunigt werden und an Waldarten reiche
Organismengruppen wie die Flechten müssen bei der Planung weiterer Waldreservate speziell berücksichtigt werden. Zudem ist aber auch den Sonderwäldern
und bestockten Weiden als traditionellen Kulturlandschaften Rechnung zu tragen. Für baumbewohnende Flechten sind Mittelwälder, Wytweiden und Selven
wichtig.
1 Einleitung
Der Wald in der Schweiz bietet 32 000
bekannten Tier-, Pilz- und Pflanzenarten Lebensraum (B OLLMANN et al.
2009) und 36 % der Tier- sowie 38 %
der Pflanzenarten sind ganz oder teilweise auf den Wald als Lebensraum
angewiesen (BUWAL und WSL 2005).
Mit über 3000 bekannten Arten von
Grosspilzen und über 600 Flechtenarten stellt das Pilzreich die artenreichste
der bekannten Gruppen dar . Allerdings werden in der Schweiz weder Pilze, Flechten noch weitere der artenreichsten Waldorganismen in einem
nationalen Programm zur Erfassung
der Biodiversität adäquat untersucht,
obschon Flechten seit über 200 J ahren
zur Beobachtung von Umweltveränderungen erfolgreich eingesetzt werden
(NIMIS et al. 2002).
Obschon Flechten systematisch zu
den Pilzen gezählt werden, nehmen sie
im Waldökosystem wegen ihres dauernden Zusammenlebens mit einer
Grünalge oder mit einem Cyanobakterium ökologisch eine eigenständige
Rolle ein. Durch das Zusammenleben
mit einem photosynthetisch aktiven
Symbionten sind Flechten von einer
organischen K ohlenstoffquelle unabhängig (N ASH III 2008). Damit diese
Symbiose optimal Photosynthese betreiben kann, hat sich bei Flechten vor
allem das vegetative Lager stark diversifiziert und bildet neben krustigen
auch blatt-, strauch- und haarförmige
Wuchsformen (B ÜDEL und S CHEIDEGGER 2008). Die Lager der Flechten
spielen aber auch eine wichtige Rolle
bei der Wasseraufnahme, dienen doch
die wurzelähnlichen
Anhangorgane
vor allem der Verankerung auf dem
Substrat und nicht der Wasseraufnahme. Flechten haben als wechselfeuchte
Organismen keine Möglichkeit, ihren
Wassergehalt konstant zu halten. Vielmehr trocknen sie während Phasen
niedriger Luftfeuchtigkeit innerhalb
weniger Minuten aus . In diesem trokkenen Zustand sind Flechten physiologisch inaktiv, aber bezüglich Trockenheit, Hitze oder Kälte sehr robust
(KAPPEN 1988; S CHEIDEGGER et al.
1995; S CHROETER und S CHEIDEGGER
1995). Damit ausgetrocknete Flechten
aktiv werden können, müssen sie durch
Regen oder Nebel wiederbefeuchtet
werden. Bereits hohe Luftfeuchtigkeit
reicht bei vielen Grünalgenflechten
aus, um annähernd maximale Photosyntheseraten zu erreichen. Eine weitere Eigenschaft der Flechten betrifft
ihre Vermehrung. Als Symbiose kann
sich die Flechte nur ungeschlecht
lich, mittels Pilz und Algen beinhaltender V erbreitungseinheiten, ausbreiten
(BÜDEL und SCHEIDEGGER 2008). Eine
geschlechtliche Vermehrung ist nur für
den Pilz alleine möglich (H ONEGGER
1996). Einige Arten wie die Lungenflechte Lobaria pulmonaria verfügen
zwar über beide Ausbreitungsstrategien, die meisten Flechten im
Walde
vermehren sich jedoch entweder geschlechtlich oder ungeschlechtlich, wobei die ungeschlechtlichen
Ausbreitungseinheiten grösser als die mikros kopisch kleinen Sporen sind und
deshalb vermutlich weniger weit ausgebreitet werden können.
2 Untersuchung der Vielfalt
der Flechten im Wald
In der Checklist der Flechten der
Schweiz sind 1679 Arten, Unterarten
und Varietäten von Flechten genannt
(CLERC 2004). Davon sind jedoch erst
die 786 baum- und erdbewohnenden
Arten im Rahmen eines Inventars zur
Erstellung einer Roten Liste genauer
untersucht worden (S CHEIDEGGER et
al. 2002; V UST 2002). 621 dieser Arten
sind hauptsächlich im Wald verbreitet
und werden deshalb als Waldarten bezeichnet (Tab. 1). Die 893 hauptsächlich auf Faulholz und Gestein wachsenden Arten können zurzeit nicht mit der
nötigen Sorgfalt untersucht werden.
Die im J ahr 2002 erarbeitete Rote
Liste der gefährdeten baum- und erd-
40
bewohnenden Flechten der Schweiz
hat ergeben, dass 44 % der baumbewohnenden Arten und 24 % der erdbewohnenden Arten gefährdet sind
(Tab. 2; S CHEIDEGGER et al. 2002). Personelle und finanzielle Mittel für Massnahmen im Artenschutz sind begrenzt
und bei den zur Verfügung stehenden
Mitteln ist es nicht möglich, alle gefährdeten Arten mit gleich hoher Priorität zu schützen und zu erhalten. Aufgrund der Bedrohung (Status in der
Roten Liste), der Verantwortlichkeit
der Schweiz für den Erhalt einer Art
sowie den Erfolgsaussichten von Artenschutzmassnahmen wurden deshalb
in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Umwelt (B AFU) prioritäre
Arten evaluiert. Vierzig Prozent (165
Arten) der Waldarten sind demnach
prioritär zu behandeln (Tab. 1).
Davon wachsen 163 Arten auf lebenden Bäumen als so genannte Epiphyten, also ohne die Bäume zu schädigen
(Tab. 3). F ast dreiviertel dieser Arten
sind auf alte Bäume angewiesen und
kommen deshalb vor allem in Altwäldern, Mittelwäldern, Selven und Wytweiden vor. Für wirkungsvolle Umsetzungsmassnahmen zugunsten dieser
Prioritätsarten müssen die Gefährdungsursachen bekannt sein. J e nach
Kenntnissstand der Problemkreise setzen die
Artenförderungsprogamme
entweder bei der F orschung oder der
Umsetzung an – ein Monitoring der
Vorkommen ist aber in jedem F alle eine prioritäre Aufgabe, um griffige
Schutzstrategien zu erarbeiten.
Ein wichtiger Teil der Erhebungen
für die Rote Liste der Baumflechten
der Schweiz konnte auf einer Stichprobe von 826 Beobachtungsflächen, davon 237 Waldflächen des Landesforst inventars (LFI), durchgeführt werden.
Dabei wurden 434 der 656 baum
bewohnenden Arten
nachgewiesen
(SCHEIDEGGER et al. 2002). Die meisten
Arten wurden jedoch nur auf wenigen
Flächen gefunden, nämlich 92 Arten
auf einer Fläche, 44 Arten auf zwei und
31 Arten auf drei Flächen. Nur 125
Flechtenarten wurden auf mehr als 20
Flächen nachgewiesen (D IETRICH et al.
2000). Allerdings befinden sich darunter verschiedene , bisher weitgehend
übersehene Arten wie die SpitzkegelSchiefkernflechte (Anisomeridium polypori, 35 Flächen), die Zweizellige
Fleckflechte (Arthonia didyma, 49 Flä-
Forum für Wissen 2009
Tab. 1. Anzahl Flechtenarten in der Schweiz und ihre Bindung an Substrattypen und den
Lebensraum Wald. Angaben nach SCHEIDEGGER et al. 2002; CLERC 2004; BUWAL und WSL
2005.
Arten
Anzahl
Flechten der Schweiz, gesamt
auf Faulholz und Gestein (nicht bearbeitet)
auf Bäumen und Erde
Waldarten
Prioritätsarten Wald
Referenz
1679
893
786
CLERC 2004
SCHEIDEGGER et al. 2002; BUWAL
und WSL 2005
www.swisslichens.ch
STOFER 2009; www.swisslichens.ch
621
165
Tab. 2. Anzahl baum- und erdbewohnende Flechten und ihre Bindung an den Lebensraum
Wald, nach Gefährdungsstufen der Roten Liste (RL) von 2002 (S CHEIDEGGER et al. 2002)
geordnet (RE = in der Schweiz ausgestorben, CR = vom Aussterben bedroht, EN = stark
gefährdet, VU = verletzlich, NT = potentiell gefährdet, LC = nicht gefährdet, DD = ungenügende Datengrundlage). Arten mit starker (>80% Funde im
Wald) und schwacher
(<80%>50% Funde im Wald) Bindung an den Lebensraum Wald werden als Waldarten bezeichnet (STOFER 2009).
Baum- und
erdbewohnende
Flechten
RL 2002
stark an
Wald
gebunden
Anzahl Arten
schwach an
Wald
gebunden
nicht an
Wald
gebunden
nicht
eingeschätzt
RE
CR
EN
VU
38
45
96
116
12
16
51
59
0
0
12
14
10
17
22
36
16
12
11
7
NT
LC
DD
107
311
73
30
76
3
38
108
2
36
126
14
3
1
54
Total
786
247
174
261
104
RE
CR
EN
VU
22
35
87
86
12
16
51
59
0
0
12
12
4
8
14
11
6
11
10
4
NT
LC
DD
84
200
7
30
75
3
35
86
1
19
39
3
0
0
0
Total
521
246
146
98
31
RE
CR
EN
VU
16
10
9
30
0
0
0
0
0
0
0
2
6
9
8
25
10
1
1
3
NT
LC
DD
23
111
66
0
1
0
3
22
1
17
87
11
3
1
54
Total
265
1
28
163
73
Nur baumbewohnende
Flechten
Nur erdbewohnende
Flechten
Forum für Wissen 2009
41
a
b
c
d
e
f
Abb. 1. Habitus-Aufnahmen verschiedener Wuchsformen von baumbewohnenden Flechten: Eichen-Stabflechte (Bactrospora dryina) (a),
Silbrige Kuchenflechte (Lecanora argentata) (b), Gewöhnliche Blasenflechte (Hypogymnia physodes) (c ), Strunk-Becherflechte (Cladonia
botrytes) (d), Engelshaarflechte (Usnea longissima) (e) und die Wolfsflechte (Letharia vulpina) (f).
42
Forum für Wissen 2009
chen), die Rotbraune Fleckflechte
(Arthonia spadicea, 37 Flächen), die
Graugrüne Buellie ( Buellia griseovirens, 155), und Gyalideopsis anastomosans (22 Flächen; DIETRICH et al. 2000).
Verschiedene dieser häufig auf den
LFI-Flächen nachgewiesenen
Arten
wurden vermutlich wegen ihrer Unauffälligkeit in den ergänzenden F elderhebungen deutlich weniger oft gefunden, was die Notwendigkeit unterstreicht, bei einer Revision der Roten
Liste wiederum die LFI-Flächen zu bearbeiten. In einer Pilotstudie haben
DIETRICH und S CHEIDEGGER (1998)
auf 69 Dauerbeobachtungsflächen des
Landesforstinventars die baumbewohnenden Flechten untersucht. Mit ei-
2b
3b
3b
4
4
4
3b
3b
4
3b
3b
4
3a
2b
2a
2a
3b
4
4
4
4
2b
4
2b
4
3b
4
3a
4
1a
4
3a
3a
4
3a
4
4
4
3a
4
4
4
4
4
4
2b
3a
4
3b
3b
4
3b
4
2b
3a
EN
EN
EN
VU
VU
VU
EN
VU
VU
EN
EN
VU
EN
RE
CR
CR
EN
VU
VU
VU
VU
RE
VU
EN
NT
EN
VU
VU
VU
CR
VU
EN
EN
VU
EN
VU
VU
VU
EN
VU
VU
VU
VU
VU
VU
CR
EN
VU
EN
EN
VU
EN
VU
CR
EN
ja
ja
ja
nein
nein
nein
nein
ja
nein
ja
ja
ja
ja
nein
ja
nein
nein
nein
ja
ja
ja
ja
nein
ja
nein
nein
ja
ja
nein
ja
nein
ja
ja
ja
ja
ja
ja
nein
ja
ja
ja
nein
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
Name
Bindung an alte
Bäume
Cyphelium lucidum
Cyphelium pinicola
Dimerella lutea
Eopyrenula leucoplaca
Fellhanera gyrophorica
Fellhanera subtilis
Fellhaneropsis myrtillicola
Fellhaneropsis vezdae
Fuscidea arboricola
Graphis elegans
Gyalecta flotowii
Gyalecta truncigena
Gyalecta ulmi
Heterodermia leucomelos
Heterodermia obscurata
Heterodermia speciosa
Hypocenomyce friesii
Hypocenomyce praestabilis
Hypogymnia vittata
Japewia subaurifera
Lecanactis abietina
Lecanactis amylacea
Lecania aff. cyrtellina
Lecanora cinereofusca
Lecanora praesistens
Lecidea betulicola
Lecidea erythrophaea
Lecidea margaritella
Lecidella laureri
Leptogium burnetiae
Leptogium cyanescens
Leptogium teretiusculum
Lobaria amplissima
Lobaria pulmonaria
Lobaria scrobiculata
Lopadium disciforme
Loxospora cismonica
Macentina stigonemoides
Megalospora pachycarpa
Menegazzia terebrata
Micarea adnata
Micarea coppinsii
Mycobilimbia carneoalbida
Mycobilimbia sphaeroides
Mycoblastus affinis
Mycoblastus caesius
Nephroma laevigatum
Nephroma resupinatum
Ochrolechia pallescens
Ochrolechia subviridis
Ochrolechia szatalaensis
Pachyphiale carneola
Pachyphiale fagicola
Pachyphiale ophiospora
Pannaria conoplea
Rote Liste Status
ja
ja
nein
ja
ja
nein
nein
ja
ja
nein
ja
ja
nein
ja
nein
ja
ja
ja
ja
ja
ja
nein
ja
ja
ja
ja
ja
ja
nein
nein
ja
ja
ja
ja
ja
nein
ja
nein
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
Priorität
Name
Bindung an alte
Bäume
EN
VU
EN
VU
RE
EN
RE
CR
EN
RE
VU
RE
CR
EN
RE
CR
EN
EN
VU
EN
RE
EN
VU
EN
EN
VU
EN
RE
VU
EN
EN
VU
VU
VU
VU
VU
EN
VU
EN
VU
VU
EN
CR
EN
EN
RE
EN
EN
VU
VU
EN
EN
VU
EN
VU
Rote Liste Status
3b
3a
3b
4
2b
3b
2b
1b
3b
2b
4
2b
2b
3b
2b
2b
3b
3b
4
3b
2b
3b
3a
3b
3b
4
3b
2b
4
3b
3b
4
4
4
4
4
4
2b
2b
4
3a
2a
1a
3a
3b
1a
3b
3b
4
4
3b
3a
4
3a
4
Priorität
Rote Liste Status
Agonimia octospora
Anaptychia crinalis
Arthonia apatetica
Arthonia byssacea
Arthonia cinereopruinosa
Arthonia dispersa
Arthonia elegans
Arthonia faginea
Arthonia fuliginosa
Arthonia helvola
Arthonia leucopellaea
Arthonia medusula
Arthonia reniformis
Arthonia vinosa
Arthothelium spectabile
Bacidia biatorina
Bacidia circumspecta
Bacidia hegetschweileri
Bacidia incompta
Bacidia laurocerasi
Bacidia polychroa
Bacidia rosella
Bactrospora dryina
Biatora ocelliformis
Biatora rufidula
Bryoria bicolor
Bryoria nadvornikiana
Bryoria simplicior
Buellia erubescens
Byssoloma marginatum
Calicium adaequatum
Calicium adspersum
Calicium lenticulare
Calicium parvum
Calicium quercinum
Caloplaca alnetorum
Caloplaca lucifuga
Caloplaca obscurella
Catillaria alba
Catillaria pulverea
Cetraria laureri
Cetraria oakesiana
Cetrelia chicitae
Cetrelia olivetorum
Chaenotheca chlorella
Chaenotheca cinerea
Chaenotheca hispidula
Chaenotheca laevigata
Chaenotheca phaeocephala
Chaenotheca subroscida
Cliostomum leprosum
Collema fasciculare
Collema nigrescens
Collema subflaccidum
Cyphelium karelicum
Bindung an alte
Bäume
Name
Priorität
Tab. 3. Rote Liste Status von Prioritätsarten und ihre ökologische Bindung an alte Bäume (nach STOFER, www.swisslichens.ch).
Pannaria rubiginosa
Parmelia laevigata
Parmelia reticulata
Parmelia sinuosa
Parmelia taylorensis
Parmotrema arnoldii
Parmotrema chinense
Parmotrema crinitum
Parmotrema stuppeum
Pertusaria alpina
Pertusaria borealis
Pertusaria coccodes
Pertusaria constricta
Pertusaria coronata
Pertusaria hemisphaerica
Pertusaria multipuncta
Pertusaria ophthalmiza
Pertusaria pertusa
Pertusaria pustulata
Pertusaria sommerfeltii
Pertusaria trachythallina
Phaeophyscia hispidula
Ramalina dilacerata
Ramalina obtusata
Ramalina panizzei
Ramalina roesleri
Ramalina thrausta
Rinodina conradii
Rinodina efflorescens
Rinodina isidioides
Schismatomma decolorans
Schismatomma graphidioides
Scoliciosporum pruinosum
Sphaerophorus globosus
Sphaerophorus melanocarpus
Sticta fuliginosa
Sticta limbata
Sticta sylvatica
Strigula glabra
Strigula jamesii
Thelopsis rubella
Thelotrema lepadinum
Trapelia corticola
Usnea ceratina
Usnea florida
Usnea fulvoreagens
Usnea glabrata
Usnea glabrescens
Usnea longissima
Usnea madeirensis
Usnea rigida
Usnea wasmuthii
Zamenhofia hibernica
2b
3a
2a
3a
3a
4
4
4
3a
4
3b
4
4
4
3b
3b
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3b
3b
2b
1a
3a
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3a
3a
3a
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3b
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2a
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4
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3a
4
3a
3a
RE
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VU
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VU
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nein
ja
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ja
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ja
ja
ja
ja
ja
ja
nein
nein
ja
Forum für Wissen 2009
nem Mittelwert von 33 Arten erwiesen
sich Flächen der hochmontanen und
subalpinen Stufe der
Voralpen als
deutlich artenreicher als jene der tieferen Lagen der Voralpen (20 Arten)
oder der Flächen des Mittellandes (15
Arten). Es ist bekannt, dass sich Artenreichtum und -zusammensetzung zwischen den Baumarten unterscheiden,
die Untersuchungen haben aber zusätzlich gezeigt, dass in der hochmontanen und subalpinen Stufe der Voralpen für die F ichte mit 15 Arten pro
Stamm deutlich höhere Artenzahlen
als in tieferen Lagen erreicht werden.
So wurden im Mittelland im Schnitt
nur drei Arten pro Stamm nachgewiesen und sogar in Beständen mit hoher
43
Variation der Stammalter wurden im
Schnitt nur vier Arten gezählt (D IETRICH und SCHEIDEGGER 1998).
3 Waldflechten; Diversität
und Gesellschaften
Die meisten Waldarten wachsen auf
der Borke lebender Bäume , wo sie
je nach Lichtgenuss , Eigenschaften
der Borke und der
Versorgung mit
Niederschlag und darin gelösten mineralischen Nährstoffen, verschiedene
Kleinstandorte besiedeln. So unterscheiden sich die Flechtengesellschaften der Stammbasis wegen lang andauernder F euchtigkeit und stärkerer
a
b
c
d
e
f
Beschattung von denen des Stammes .
Aber auch am mittleren Stamm wachsen in Hochwäldern schattentolerante
Arten wie die unscheinbare Zarte
Kernflechte (Porina leptalea), welche
an Buchenstämmen im Mittelland sehr
häufig vorkommt (Abb . 2a, 3, 4). In
lichtreicheren Beständen aller Höhenstufen kommen zahlreiche Blatt- und
Strauchflechten hinzu, wie die weit
verbreitete Gewöhnliche Blasenflechte
(Hypogymnia physodes; Abb. 1 c, 2 b, 3 ,
4). Eine reiche Strauchflechtenvegetation ist vor allem in lichten Bergwäldern mit hohem Anteil an alten Bäumen zu beobachten. In der subalpinen
Stufe der Zentralalpen ist die Wolfsflechte (Letharia vulpina) eine der auf-
Abb. 2. Verbreitungskarten der Waldflechtenarten Porina leptalea (a), Hypogymnia physodes (b), Bactrospora dryina (c), Thelopsis rubella
(d), Usnea longissima (e) und Letharia vulpina (f). Daten aus STOFER et al. 2008.
44
fälligsten baumbewohnenden
Arten
vorzugsweise an Lärchen und Arven
(Abbildungen 1f, 2f, 3, 4). Am Stamm
stellen tiefe Borkenrisse und regengeschützte Stammseiten Spezialstandorte
für Flechten dar , die nur an alten
Baumindividuen ausgebildet werden.
Auffälligstes Beispiel ist die aus luftfeuchten Lagen bekannte BorkenSchwefelflechte (Chrysothrix candelaris), welche oft grossflächige Überzüge
an alten Weisstannen bildet. An den
gleichen Kleinstandorten wachsen Vertreter der artenreichen Stecknadelflechten, von denen heute ein hoher
Anteil gefährdet ist. Dies gilt vor allem
für diejenigen Arten, welche hauptsächlich in tiefen Lagen vorkommen,
wie die auf regengeschützte Stammseiten a lter Eichen angewiesene EichenStabflechte (Bactrospora dryina; Abb.
1a, 2c , 3, 4). Diese Art ist heute ausschliesslich in Mittelwäldern anzutreffen, wo sie ganze Stammseiten mit einer weissen Kruste überzieht. Eichen,
die jünger als 90-jährig sind, verfügen
über andere Borkeneigenschaften und
können deshalb nicht besiedelt werden. Die stark gefährdete Rötliche
Goldzitzenflechte (Thelopsis rubella)
ist ebenfalls an alte Bäume gebunden,
vor allem an solche mit schwammigweicher Borke . Weil die Rötliche
Goldzitzenflechte zusätzlich ebenfalls
lichtreiche Standorte benötigt, kommt
die Art heute noch vereinzelt in Selven
oder Wytweiden vor (Abb . 2d, 3, 4).
Besonders an Nadelbäumen der hochmontanen und subalpinen Stufe wachsen an den Ästen in der Schattenkrone
oft Bartflechten, welche zu verschiedenen Gattungen gehören. Eine der seltensten Bartflechten, die Engelshaarflechte (Usnea longissima) war früher
in den Nordalpen relativ weit verbreitet, ist in den letzten J ahrzehnten aber
sehr stark zurückgegangen und ist heute vom Aussterben bedroht (Abb . 1e ,
2e, 3, 4). Im Kronenbereich schliesslich
sind meist lichtliebende Arten anzutreffen, welche eine deutlich häufigere
Austrocknung ertragen als Arten am
Stamm. Die wenigen erdbewohnenden
Waldflechten entwickeln sich in lichten
Waldgesellschaften auf nackter Erde .
Streu, welche längere Zeit liegen bleibt,
verunmöglicht die Entstehung von Erdflechtengesellschaften. Viel häufiger als
reine Erdflechten, sind im Wald Flechten auf Totholz oder Gestein, die je-
Forum für Wissen 2009
doch in der Schweiz noch nicht eingehender untersucht werden konnten.
Stehendes und liegendes Totholz ist
Lebensraum von mehreren, vom Zersetzungsgrad und mittlerem F euchtegrad des Substrates abhängigen Flechtengesellschaften, die oft von Arten der
Gattung Cladonia (Becherflechten,
Scharlachflechten) dominiert werden
0
20
(Abb. 7). Aus vereinzelten floristischen
Beobachtungen von anstehendem F els
und Geröll im Wald wissen wir, dass an
solchen Standorten zahlreiche Waldarten wach sen, weil die Gesellschaften
der Gesteinsflechten im Freiland anderen Licht- und F euchtebedingungen
ausgesetzt sind.
40
60
80
100
Esche
Bergahorn
Rotbuche
Eichen
Kastanie
Birken
Weisstanne
Fichte
Föhren
Lärche
Arve
Bactrospora dryina
weitere Arten
Thelopsis rubella
Porina leptalea
Hypogymnia physodes
ohne Angaben
Usnea longissima
Letharia vulpina
Abb. 3. Prozent der Funde der in Abbildung 1 vorgestellten Arten, welche auf der Borke
ausgewählter Baumarten gefunden wurden.
Forum für Wissen 2009
4 Auswirkung der
Waldbewirtschaftung auf
Waldflechten
Bereits in den fünfziger J ahren des
letzten J ahrhunderts wurde beobachtet, dass intensive
Waldbewirtschaftung, insbesondere der noch im 19.
Jahrhundert praktizierte Kahlschlag
mit später erfolgter Aufforstung mit
Fichten, zum regionalen Verschwinden
zahlreicher Flechtenarten geführt hat
(FREY 1958). Dies, obschon die bevorzugten Baumarten und Altersklassen
zwar in grösseren
Waldlandschaften
immer irgendwo vorhanden waren, das
raum-zeitliche K ontinuum eines speziellen Lebensraumes jedoch nutzungsbedingt unterbrochen wurde. Insbesondere bei sesshaften Arten mit beschränktem Ausbreitungspotential hat
die unterbrochene ökologische K ontinuität (R OSE 1976; R OSE 1992) dazu
geführt, dass Sekundärwälder heute einen niedrigeren Artenreichtum als Primärwälder aufweisen (F REY 1958;
BERGAMINI et al. 2005). In einem europäischen Vergleich, in welchem Blütenpflanzen, Flechten, Vögel, Schmetterlinge, Springschwänze , Laufkäfer und
die Boden-Makrofauna untersucht
wurden, erwiesen sich Sekundärwälder
ausser bei Laufkäfern jeweils als artenärmer als naturnahe
Wälder, WaldOffenland Mosaiklandschaften oder
Weidelandschaften. Bei den Flechten
erwiesen sich sogar Landwirtschaftsflächen als artenreicher als Sekundärwälder (W ATT et al. 2007). Aber auch die
Artenzusammensetzung baumbewohnender Flechten unterscheidet sich
in dieser europäischen Untersuchung
deutlich zwischen naturnahen und
Sekundärwäldern (Abb . 5), (S CHEIDEGGER et al. 2003).
Auf den langfristigen ökologischen
Untersuchungsflächen des europäischen Beobachtungsnetzes des Projektes F orestbiota (F ISCHER et al. 2009)
konnten quantitative floristische Aufnahmen erhoben werden, welche mit
einer bereits auf europäischer Ebene
erprobten Methode durchgeführt wurde (SCHEIDEGGER et al. 2003; STOFER et
al. 2003; S TOFER 2006). Die Untersuchungen bestätigten die erwartete hohe Abhängigkeit baumbewohnender
Flechten von der Baumarten-Zusammensetzung und der Bestandesstruktur
(FISCHER et al. 2009). W eil Flechten
45
0
20
40
60
80
100
Bactrospora dryina
>2000
Thelopsis rubella
Porina leptalea
Hypogymnia physodes
1600–2000
Usnea longissima
Letharia vulpina
1000–1600
600–1000
<600
Abb. 4. Prozent der Funde der in Abbilung 1 vorgestellten Arten in 5 Höhenzonen [m].
Abb. 5. Kanonische K orrespondenzanalyse von 47 Landnutzungseinheiten mit den acht
Ländern Irland (Ire), Schottland (UK), Finnland (Fin), Frankreich (Frau), Schweiz (Swi),
Ungarn (Hun), Spanien (Spa) und Portugal (Por) als Kovariablen und den 6 Landnutzungstypen Naturwald (LUU1), Sekundärwald (LUU2), Walddominierte Mosaiklandschaft
(LUU3), Offenland dominierte Mosaiklandschaft (LUU4), Weidelandschaft (LUU5) und
Landwirtschaftsland (LUU6) als Umweltvariablen, basierend auf den Häufigkeiten der epiphytischen Flechtenarten. Die erste Achse (CCA1; 0.303) charakterisiert hauptsächlich den
Waldanteil in einer Landnutzungseinheit, die zweite Achse (CC A2; 0.246) unterscheidet
deutlich zwischen naturnahen und sekundären Wäldern (SCHEIDEGGER et al. 2003).
46
während des ganzen Jahres beobachtet
werden können und mit einer einmaligen Begehung die gesamte Artenvielfalt erfasst werden kann, sind Waldflechten gerade auch in der langfristigen W aldökosystemforschung einfach
einsetzbar. Zudem liefern solche Untersuchungen auch stets wertvolle neue
floristische Beobachtungen. So sind
auf LWF-Flächen bei diesen Untersuchungen sogar zwei für die Schweiz
neue Flechtenarten im Rahmen dieser
Studie nachgewiesen worden: die gesteinsbewohnenden Aspicilia simoensis
und Gyalecta subclausa (DIETRICH et
al. 2005).
5 Metapopulationsdynamik
in Waldlandschaften
Die langfristigen Auswirkungen von
Landnutzung und Störungen von Waldbeständen konnten bisher erst an der
gefährdeten Lungenflechte (Lobaria
pulmonaria) genauer untersucht wer-
Forum für Wissen 2009
den. In allen Gebieten der Schweiz
wurde ein anhaltender Rückgang dieser Art nachgewiesen (SCHEIDEGGER et
al. 2002) und in F allstudien konnte gezeigt werden, dass auch individuenreiche Populationen dieser meist an alten
Laubbäumen wachsenden Blattflechte
bei forstwirtschaftlich nachhaltiger
Waldbewirtschaftung innerhalb von
wenigen Generationen der Flechten
stark zurückgehen, falls alte Laubbäume nicht als Biotopbäume von der Nutzung ausgenommen werden (S CHEIDEGGER et al. 1998; S CHEIDEGGER et al.
2000). Die grössten Vorkommen der
Lungenflechte sind in der Schweiz im
Parc Jurassien Vaudois erhalten geblieben. Die Lungenflechte wurde in dieser
Waldlandschaft vor allem in den
naturnahen Plenterwäldern nachgewiesen – in welchen auch bei intensiver
Bewirtschaftung für baumbewohnende
Flechten eine hohe Lebensraumkontinuität erhalten werden kann. Ein weiteres Vorkommen wurde in einer Waldfläche nachgewiesen, welche seit 1871
nach einem Waldbrand nachgewachsen
ist (K ALWIJ et al. 2005). Weil die Lungenflechte im Untersuchungsgebiet
hauptsächlich auf Bergahorn wächst
und dieser als Licht liebende Baumart
durch den Brand gefördert wurde , bietet der rund 140 jährige
Wald heute
gleichviel Lebensraum für Lungenflechten wie im Plenterwald und deutlich mehr als auf den Wytweiden, auf
denen J ungpflanzen des Bergahorns
vom Vieh gefressen werden. Obschon
Plenterwald und Waldbrandfläche vergleichbare P opulationsdichten der
Lungenflechte aufweisen, hatte die
unterschiedliche Bestandesgeschichte
jedoch Auswirkungen auf die lokale
genetische Vielfalt dieser baumbewohnenden Flechte (W AGNER et al. 2006;
WERTH et al. 2006b). Im Plenterwald
konnten bereits auf einzelnen Bäumen
genetisch unterschiedliche Individuen
von Lungenflechten nachgewiesen
werden (Abb. 6) und auf der Fläche einer Hektare konnte eine mit Urwäldern der Karpaten vergleichbar hohe
Abb. 6. Vorkommen verschiedener Haplotypen von Lobaria pulmonaria auf Hektarflächen in einem traditionell durch Plenterwald bewirtschafteten Bestand (links) und einer seit 1871 nach einem Waldbrand neu entstandenen Waldfläche (Parc Jurassien Vaudois, rechts). Die
Kreisgrösse gibt die Anzahl untersuchter Individuen pro Hektarfläche an, Farben bezeichnen unterschiedliche Haplotypen. Aus SCHEIDEGGER und WERTH submitted; nach WERTH et al. 2006b.
Forum für Wissen 2009
genetische Diversität gefunden werden
(Scheidegger, unpubl.). Demgegenüber
weisen die meisten Hektarflächen der
Waldbrandfläche eine niedrige genetische Diversität auf und bestehen in vielen Fällen nur aus einem einzigen Klon
– hervorgegangen durch vegetative
Ausbreitung der Flechte (W ERTH et al.
2006a; WERTH et al. 2006b; WERTH et al.
2007). Weil zudem verschiedene Hektarflächen denselben Haplotyp aufweisen,
kann vermutet werden, dass nur wenige Besiedlungsereignisse von ausserhalb der Brandfläche stattgefunden haben und sich die Lungenflechten-Population auf der Waldbrandfläche aus nur
wenigen Begründern aufgebaut hat
(Gründer Effekt). Nur auf einer von
dem Waldbrand verschonten kleinflächigen Insel, wo innerhalb der Brandfläche mehrere Bergahornbäume und
offensichtlich auch mehrere der darauf
wachsenden Lungenflechten den Waldbrand überlebt haben, ist die genetische Diversität auf hohem Niveau
erhalten geblieben (B OLLI et al. 2008).
47
Weil bei der Lungenflechte die geschlechtliche Vermehrung nur bei Vorhandensein unterschiedlicher Paarungstypen möglich ist (Z OLLER et al.
1999), sind nur genetisch vielfältige P opulationen in der Lage, sich geschlechtlich zu vermehren. Tatsächlich wurden
im Plenterwald auch mehrmals fruchtende Thalli von L. pulmonaria gefunden. Aufgrund der hohen P opulationsdichte der Lungenflechte im ganzen
Untersuchungsgebiet konnte sie trotz
ihrer vergleichsweise niedrigen
Ausbreitungsdistanzen und Etablierungswahrscheinlichkeit (WALSER et al. 2001;
WERTH et al. 2006a) die 31 ha grosse
Waldbrandfläche (K ALWIJ et al. 2005)
innerhalb von 140 J ahren wiederbesiedeln. Dies im Gegensatz zu den meisten anderen Gebieten der Schweiz,
wo niedrigere P opulationsdichten der
Lungenflechte unbesiedelte Bestände
kaum innerhalb einer Baumgeneration
wieder besiedeln können, auch wenn es
die Qualität des Lebensraumes zulassen würde.
6 Konzepte zur Erhaltung
der Flechtendiversität im
Wald
Naturnahe Wälder zeichnen sich durch
eine reich entwickelte Flechtenflora
aus. In zahlreichen Waldgesellschaften
sind charakteristische baumbewohnenden Flechten anzutreffen und zudem
ermöglichen typische Kleinstandorte
beispielsweise an alten Bäumen das
Vorkommen von spezialisierten Arten.
Der gesetzlich geregelte Flächenschutz
im Schweizer Wald in Kombination mit
dem Prinzip der Nachhaltigkeit haben
dazu geführt, dass heute im Schweizer
Wald der Anteil an gefährdeten Arten
oftmals kleiner ist als in den anderen
Lebensräumen der Schweiz (S CHEIDEGGER et al. 2010). Bei den Waldarten
der Schweizer Brutvögel ist in den letzten Jahren eine leichte Zunahme beobachtet worden, die auf die Zunahme
der Waldfläche zurückgeführt wird
(KELLER et al. 2009). Selten und gefährdet sind vor allem licht-, wärme-
Abb. 7. Die beiden Scharlachflechten Cladonia bellidiflora (links) und Cladonia macilenta (rechts) sind typische Bewohner von stark zersetztem Totholz.
48
und strukturliebende Arten sowie Arten, die auf biologisch alte Bäume und
Totholz angewiesen sind (B OLLMANN
et al. 2009). Bei verschiedenen Gruppen der Insekten, Pilze und Flechten,
um einige der artenreichsten Gruppen
der Waldarten zu nennen, muss davon
ausgegangen werden, dass der Artenrückgang immer noch anhält (S CHEIDEGGER et al. 2010). Für ungefähr die
Hälfte der baumbewohnenden Flechtenarten können wir davon ausgehen,
dass sie in naturnahen Wäldern bei der
heutigen Bewirtschaftungspraxis erhalten bleiben, gelten sie doch in der Roten Liste als nicht gefährdet (S CHEIDEGGER et al. 2002). Der durch die moderne Waldbewirtschaftung geförderte
Hochwald bietet recht vielen Flechtenarten Lebensraum und verschiedene ,
oft schattentolerante Arten sind zweifellos durch die moderne
Waldwirtschaft gefördert worden. Die Erhaltung seltener Flechtenarten durch
gezielte Massnahmen im bewirtschafteten Wald ist oft relativ einfach möglich. Einzelne Trägerbäume können geschont werden oder als Biotopbäume
ausgewiesen werden. Speziell für die
Förderung der auf Alt- und Totholz angewiesenen Flechtenarten können zudem Altholzinseln, Biotopbäume und
Methusalems oder Baumveteranen
ausgeschieden werden (B ÜTLER et al.
2006a, b). Trotzdem zeigen Untersuchungen, dass dieses vorrangig integrative Vorgehen (BOLLMANN et al. 2009)
den umfassenden Schutz der
Waldflechten nicht gewährleisten kann.
Über 150 Prioritätsarten der Waldflechten sind bei der heute praktizierten W aldbewirtschaftung bedroht
(SCHEIDEGGER et al. 2002) und müssen
durch die Instrumente des segregativen Naturschutzes gestützt werden
(BOLLMANN et al. 2009). Die Instrumente für einen wirkungsvollen Schutz
der Biodiversität stehen zur
Verfügung, ihre Umsetzung muss aber in den
nächsten J ahren intensiviert werden,
damit der Rückgang der Flechten im
Wald gestoppt werden kann.
Als grösste Defizite im Wald, vor allem des Mittellandes, werden heute die
ungenügende Ausscheidung von Waldreservaten, das F ehlen von vielfältigen
Strukturen und der Mangel an
Altund Totholz angesehen (BROGGI 2007).
Unseres Erachtens muss die Realisierung der bereits geplanten Waldreser-
Forum für Wissen 2009
vate beschleunigt werden und an Waldarten reiche Organismengruppen müssen bei der Planung weiterer Waldreservate speziell berücksichtigt werden.
In vielen Fällen kennen wir Vorkommen von Prioritätsarten baumbewohnender Flechten, welche knapp ausserhalb von Waldreservaten liegen und
deshalb immer noch einen ungenügenden Schutz erfahren. Zudem ist aber
auch den Sonderwäldern und bestockten Weiden als traditionellen K ulturlandschaften Rechnung zu tragen. Für
baumbewohnende Flechten sind ebenfalls Mittelwälder, Wytweiden und Selven wichtig. Sie dominierten früher das
multifunktionale Landschaftsmosaik.
Ihre Erhaltung stellt heute eine der anspruchsvollsten Herausforderungen
für den Naturschutz dar , nicht zuletzt
wegen der oft widersprüchlichen ökologischen Ansprüche der zu fördernden Arten und der daraus resultierenden komplexen Aufgabe für Naturschutzforschung und -praxis.
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50
Abstract
Lichens in forests: diversity, monitoring and conservation
In Switzerland 621 epiphytic and terricolous lichen species are largely restricted to
forests and are thus considered forest species. Based on their Red List status, Switzerland’s international responsibility for the species’ conservation and the feasibility of successful conservation management, 165 priority species were selected in
collaboration with the Federal Office of the Environment (FOEN). About 75% of
these priority species depend on old and veteran trees as their habitat.The conservation of rare and endangered lichen species is possible for many frequent lichen
species in sustainably managed forest stands . However, this integrative approach
of conservation alone will not stop the decline of endangered forest lichens. More
than 150 priority species depend on conservation activities related to a segregative
approach of conservation. The implementation of planned forest reserves should
thus be accelerated and speciose groups of forest organisms such as lichens
should be considered more explicitly in the planning process of additional forest
reserves. Further more , the long-term maintenance of special stand structures as
parts of traditional forest landscapes has to be given high priority. For epiphytic lichens coppice with standards, wooded pastures and chestnut orchards are also of
prime importance.
Keywords: lichen forming fungi, forest species , conservation strategies , Switzerland
Forum für Wissen 2009
Forum für Wissen 2009: 51–58
51
Mykorrhizapilze auf dem Rückzug – was bedeutet das für
den Wald?
Simon Egli
WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
simon.egli@wsl.ch
Resultate aus einer 32jährigen Datenreihe aus dem Pilzreservat La Chanéaz FR
zeigen auffällige Veränderungen in der Artenzusammensetzung der Pilzflora: die
Mykorrhizapilze haben im Verhältnis zu den übrigen Waldpilzen deutlich abgenommen. Diese Entwicklung ist beunruhigend, wenn man die Funktionen, welche
Mykorrhizapilze für das Ökosystem Wald erfüllen, in Betracht zieht.
Wir gehen möglichen Ursachen dieser Entwicklung nach und stellen die Frage, ob
ein Rückgang der Mykorrhizapilze in einem Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand der assoziierten Waldbäume stehen könnte.
1 Einleitung
In der Schweiz sind rund 5000 Grosspilzarten nachgewiesen (S ENN-IRLET
et al. 2007). Fast drei Viertel davon leben im Wald. Von diesen sind knapp
die Hälfte (1550) Mykorrhizapilze , das
heisst, sie leben mit Waldbäumen in
einer Symbiose (Abb.1).
Mykorrhizapilze unterstützen die
Pflanze bei der Aufnahme von Wasser
und Mineralstoffen aus dem Boden,
was besonders auf nährstoffarmen Böden oder bei Trockenstress von grosser
Bedeutung ist. Zusätzlich können Mykorrhizapilze verschiedene Bäume unterirdisch miteinander vernetzen, was
den Austausch von Kohlenstoff, Wasser
und Nährstoffen zwischen Bäumen ermöglicht (SIMARD 2009).
Mykorrhizapilze schützen die F einwurzeln vor pathogenen Krankheitserregern und vermögen gewisse Schadstoffe auszufiltern. Sie sind ihrerseits
auf die höheren Pflanzen angewiesen,
indem sie von Ihnen lebensnotwendige
Kohlehydrate beziehen, die sie als
Kohlenstoff-heterotrophe Organismen
nicht selbst produzieren können. Viele
Mykorrhizapilze sind artspezifisch und
leben nur mit ganz bestimmten Baumarten in Symbiose , zum Beispiel der
Goldröhrling (Suillus grevillei) mit der
Lärche, der Zirbenröhrling
(Suillus
plorans) mit der Arve oder der Buchenmilchling (Lactarius subdulcis)
mit der Buche.
Neben den Mykorrhizapilzen findet
man im Wald eine zweite wichtige
Gruppe von Pilzen, die Saproben. Man
unterscheidet zwischen bodenbewohnenden Saproben, welche mithelfen,
Blätter, Nadeln und Streu abzubauen
und deren Inhaltsstoffe wieder in den
Nährstoffkreislauf zurückzuführen und
den holzabbauenden Pilzen, welche
auf absterbendem und totem Holz
wachsen. Besonders wichtig sind hier
die ligninabbauenden P orlinge, welche
die Holzsubstanz zersetzen und den
Weg bereiten für andere Abbauorganismen.
Die dritte Gruppe umfasst die parasitischen oder krankeitserregenden Pilze.
Und nicht zuletzt gibt es unter den
Waldpilzen viele wertvolle Speisepilze,
die nicht nur von uns Menschen geschätzt und gesammelt werden, sondern auch für Wildtiere eine wichtige
Nahrungsquelle darstellen.
Die WSL inventarisiert seit 1975 auf
Dauerbeobachtungsflächen im Pilzreservat La Chanéaz (FR) die Pilzflora.
Die resultierende langfristige Datenreihe ist eine einzigartige Grundlage ,
um die Biologie und Ökologie der Pilze zu erforschen und Zusammenhänge
zwischen dem Auftreten von Pilzen
und Umwelteinflüssen sowie dem
Gesundheitszustand der assoziierten
Wirtsbäume zu untersuchen.
2 Das Pilzreservat La
Chanéaz – oder warum
Pilzinventare langfristig
angelegt sein müssen
Im Jahre 1975 wurde das Pilzreservat
La Chanéaz begründet, um die F rage
des Einflusses des Pilzsammelns auf
die Pilzflora zu untersuchen. Auf fünf
Dauerbeobachtungsflächen à je 300 m2
inventarisierte die WSL von 1975 bis
2006 in wöchentlichen Begehungen
von Mai bis November alle Pilzfruchtkörper der Makromyceten (Pilzarten
mit F ruchtkörpern grösser als 1 cm
Durchmesser). Um Doppelzählungen
zu vermeiden, wurden alle registrierten
Pilze mit einem blauen F arbstoff markiert. Die resultierende Datenreihe ist
heute national wie international einmalig, nirgendwo wurde bisher die
Pilzflora über einen so langen Zeitraum in einer so hohen zeitlichen und
räumlichen Auflösung inventarisiert.
Erhebungen von Pilzfruchtkörpern
sind aufwendig . Pilze zeigen ihre
Frucktkörper nur während eines relativ kurzen Zeitabschnitts im J ahr und
sind oft nur mit mikroskopischen Untersuchungen zu bestimmen. Zudem
bilden viele Arten nicht jedes J ahr
Fruchtkörper. Von den insgesamt 418
Arten, die auf den 1500 m 2 Untersuchungsfläche zwischen 1975 und 2006
inventarisiert wurden, haben nur gerade vier Arten jedes J ahr fruktifiziert,
106 Arten wurden nur in einem einzigen J ahr gefunden (Abb . 2). Es sind
folglich Untersuchungszeiträume über
viele Jahre notwendig , wenn man sich
ein vollständiges Bild über die Zusam-
52
Forum für Wissen 2009
mensetzung der Pilzflora machen will.
Retrospektiv kann man aus der Datenreihe herauslesen, dass bei einer angenommenen Untersuchungsdauer von
16 J ahren im Durchschnitt dreiviertel
der Arten erfasst worden wären, nach
sechs J ahren lediglich die Hälfte . Bei
einer Untersuchungsdauer von einem
Jahr hätte man nur ein Viertel erfasst,
im pilzreichsten J ahr 2001 immerhin
fast 50 %, im schlechtesten J ahr 1989
jedoch nur knapp 5 % (Abb. 3).
3 Die Mykorrhizapilze sind
auf dem Rückzug
Abb. 1. Mykorrhizasymbiose zwischen dem Dunkelscheibigen Fälbling (Hebeloma mesophaeum) und einer Fichte.
In den 1980er J ahren wurde beobachtet, dass Mykorrhizapilze in Abundanz
und Artenvielfalt abnahmen, währenddem Sabrobe zunahmen (B
OUJON
1997; A RNOLDS 1991; F ELLNER 1990).
Diese Abnahme des Anteils an Mykorrhizapilzen wurde in einen Zusammenhang gesetzt mit Umweltveränderungen wie erhöhtem Stickstoffeintrag
und Bodenversauerung.
Wir haben unsere langfristige Datenreihe auf eine mögliche Verschiebung
des Anteils der Mykorrhizapilze überprüft und stellen auch hier eine markante Veränderung fest: der Anteil an
Fruchtkörpern von Mykorrhizapilzen
hat sich zwischen 1975 und 2006 fast
halbiert, er ist von knapp 80
% auf
rund 40 % zurückgegangen. Der Anteil
an Arten ist ebenfalls zurückgegangen
von knapp 75 % auf rund 60% (Abb. 4).
Nach F ELLNER und P ESKOVA (1995)
bedeutet ein Anteil an MykorrhizapilzFruchtkörpern von 40 % bereits eine
«latente Störung». Unter 40 % sprechen sie von einer akuten und unter
20 % von einer lethalen Störung . Das
würde also heissen, dass im Pilzreservat La Chanéaz mit 40 % bereits ein
kritischer Schwellenwert erreicht ist.
Sind das Vorboten für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der
Wälder im Pilzreservat La Chanéaz?
Oder sind die Annahmen, die man in
den 80er J ahren getroffen hat, nicht
richtig? F est steht, dass die Waldbestände im Pilzreservat La Chanéaz
heute kerngesund scheinen.
BOUJON (1997) hat in einem Wald im
Kanton VD die Artenlisten von je fünf
mykologischen Exkursionen aus verschiedenen Zeitperioden analysiert
und ist dabei zu ähnlichen Ergebnissen
Forum für Wissen 2009
53
gekommen: der Anteil an Mykorrhizpilzarten betrug in der Periode 1925 bis
1937 58 %, in der Periode 1964 bis 1976
53 % und in der Periode 1977 bis 1989
31 %. Also auch hier ist eine deutliche
Abnahme des Anteils der Mykorrhizapilze festzustellen, besonders ausgeprägt in den 80er Jahren.
gungsversuchen konnte dieser Effekt
experimentell reproduziert werden
(TEMORSHUIZEN 1993). Aber nicht nur
die F ruchtkörper, auch das unterirdische Pilzmycel von Mykorrhizapilzen
zieht sich unter erhöhter Stickstoffzufuhr zurück und vermag die Baumwurzeln nicht mehr zu besiedeln, wie ein
Düngungsversuch im Pilzreservat
Moosboden im Kanton FR gezeigt hat
(PETER et al. 2001). Dies ist eine ernst
zu nehmende Entwicklung , deren F olgen für den Wald heute kaum abschätzbar sind. Zum Glück kehren die
meisten Pilze aber wieder zurück, sobald die Stickstoffeinträge wieder auf
4 Mögliche Gründe für einen
Rückgang der
Mykorrhizapilze
4.1 Stickstoff
Man weiss heute, dass Mykorrhizapilze
sehr sensibel auf Umweltveränderungen reagieren, ganz besonders auf
erhöhte Stickstoffkonzentrationen im
Boden. In den stark stickstoffbelasteten Gebieten in den Niederlanden
wurde in den 1980er J ahren ein drastischer Rückgang der Mykorrhizapilze
festgestellt (A RNOLDS 1991; T ERMORSHUIZEN und S CHAFFERS 1987). In Dün-
120
106
Anzahl Arten
100
80
60
53
43
40
19 17
16 17 13
11 11
20
0
1
2
3
4
5
6
7
8
5
11
15
9
5
7
6
4
3
7
4
1
6
4
5
3
4
4
3
1
1
4
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32
Jahre
Abb. 2. Erscheinungshäufigkeit der 418 Pilzarten im Pilzreservat La Chanéaz von 1975 bis 2006: 106 Arten bildeten nur in einem einzigen
Jahr Fruchtkörper, 4 Arten wurden in jedem der 32 Jahre gefunden.
Anzahl Arten (%)
100%
75%
50%
25%
0%
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32
Untersuchungsdauer (Anzahl Jahre)
Abb. 3. Prozentualer Anteil der erfassten Arten in Abhängigkeit der Untersuchungsdauer (Anzahl aufeinanderfolgender J ahre) am B eispiel der 32jährigen Datenreihe aus dem Pilzreservat La Chanéaz. Die dicke Linie zeigt die durchschnittliche Anzahl erfasster Arten, die
untere Linie den tiefsten, die obere den höchsten Wert.
Anteil Mykorrhizapilz-Fruchtkörper (%)
Anteil Mykorrhizapilzarten (%)
54
Forum für Wissen 2009
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
1980
1985
1990
1995
2000
2005
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
1975
Abb. 4. Anteil der Mykorrhizapilze (%) im Pilzreservat La Chanéaz von 1975 bis 2006.
ein «normales Mass» zurückgehen. Dies
kann heute im Süden der Niederlande
beobachten werden, seit wirksame
Massnahmen zur Reduktion der Stickstoffemissionen ergriffen wurden.
Auch in der Roten Liste der gefährdeten Grosspilze der Schweiz wird auf
die Gefährdung der Mykorrhizapilze
in Wäldern des Mittellandes durch
Nährstoffeinträge aus der Luft hingewiesen (S ENN-IRLET et al. 2007). Allerdings ist heute der Anteil der gefährdeten Arten im Wald relativ klein im Verhältnis zu den anderen Lebensräumen.
In der Waldsterbensdebatte in den
1980er J ahren und generell bei der
Suche nach kausalen Zusammenhängen im Absterbeprozess von Bäumen
wurde die Frage gestellt, ob Mykorrhizapilze mit dem Zustand des Waldes
etwas zu tun haben könnten. Kausale
Zusammenhänge zwischen der Mykorrhizadiversität und dem Baumzustand
konnten bisher nicht schlüssig nachgewiesen werden und es wurde die
Schlussfolgerung gezogen, dass offenbar multifaktorielle Prozesse diese Absterbeerscheinungen der Waldbäume
verursacht haben (DIGHTON 2003).
4.2 Physiologie des Baumes?
Auf leergefegten Sturmschadenflächen
oder auf Kahlschlagflächen findet man
in den folgenden J ahren keine F ruchtkörper von Mykorrhizapilzen mehr .
Der Grund ist, dass die Pilze nicht mehr
von den baumeigenen Kohlenhydraten
versorgt werden können. Die Pilzmycelien im Boden können hingegen ohne Bäume noch einige Zeit weiter leben, ohne F ruchtkörper zu bilden. So
waren auch 10 J ahre nach dem Sturm
Vivian auf der Schadenfläche Schwanden GL noch einige infektionsfähige
Mykorrhizapilze im Boden vorhanden,
um aufkommende Sämlinge zu besiedeln und Mykorrhizen zu bilden (E GLI
et al. 2002).
Pilze sind als heterotrophe Organismen davon abhängig , ob und wie viel
Kohlenstoff in für sie nutzbarer F orm
zur Verfügung steht. Das konnte mit
Ringelungsexperimenten sehr schön
gezeigt werden (H ÖGBERG et al. 2001):
Mykorrhizapilze stellten ihre F ruchtkörperproduktion nach einer im J uni
durchgeführten Ringelung in einem
Waldföhrenbestand unmittelbar und
praktisch völlig ein und der Stärkegehalt in den Wurzeln nahm stark ab .
Ähnliche Ergebnisse liegen aus Beschattungsexperimenten (L AMHAMEDI
et al. 1994) und Entlaubungsexperimenten (KUIKKA et al. 2003) vor.
Interessant ist auch, dass während
des Baumwachstums eine Sukzession
der Mykorrhizapilzarten stattfindet
(FERNANDEZ-TOIRAN et al. 2006). Sämlinge werden von anderen Pilzarten besiedelt als Altbäume. D IGHTON et al.
(1986) haben die Begriffe «early stage
fungi» und «late stage fungi» geprägt.
Es kann vermutet werden, dass dies
mit einer unterschiedlichen Zusammensetzung der Stoffwechselprodukte
des Wirtsbaumes, insbesondere der
Kohlenhydrate, in Verbindung steht.
Ein Zusammenhang zwischen Baumwachstum und Pilzwachstum wird von
BONET et al. (2008) beschrieben. Sie
haben festgestellt, dass die F ruchtkörpermenge mit der Basalfläche des Bestandes zusammenhängt. Waldföhrenbestände mit einer Basalfläche um 20
m2/ha produzierten in den Pyrenäen
deutlich mehr Pilzfruchtkörper als solche mit einer grösseren oder kleineren
Basalfläche. In Übereinstimmung dazu
haben eigene Untersuchungen gezeigt,
dass Baumbestände mittlerer Baumdichte mehr Pilze produzieren als zu
lockere und zu dichte Bestände (A YER
et al. 2007).
Ein weiteres Argument, dass ein Zusammenhang zwischen Baumwachstum und Pilzwachstum bestehen muss ,
ist die Tatsache, dass die Hauptfruktifikation der meisten Pilze im Spätsommer liegt, also in einer Zeit, in welcher
der Baum sein Wachstum weitgehend
abgeschlossen hat und der Eigenbedarf
an K ohlenhydraten sinkt. Die produzierten Kohlenhydrate stehen also vermehrt den Mykorrhizapilzen zur Verfügung.
5 Gute und schlechte
Pilzjahre: Der Einfluss des
Wetters
Die Langzeituntersuchung über den
Einfluss des Pilzsammelns hat gezeigt,
dass das Pilzsammeln die Pilzflora
nicht signifikant beeinflusst (EGLI et al.
2006). Sie hat aber aufgezeigt, dass die
Fruchtkörpermengen von J ahr zu J ahr
stark schwanken. Die K urven der drei
40
35
30
25
20
15
10
5
3
2.5
2
1.5
1
2002
2003
2001
1999
2000
1998
1996
1997
1995
1993
1994
1992
1991
1989
1990
1986
1987
1988
1979
0
1984
1985
0.5
1977
1978
Log(Anzahl Fruchtkörper)
Behandlungen folgen mehr oder weniger synchron den grossen Schwankungen von Jahr zu Jahr (Abb. 5). Im Jahr
1989 wurden auf den insgesamt 1500 m2
lediglich 182 Fruchtkörper gezählt. Das
Maximum datiert aus dem J ahr 1993
mit 9800 Fruchtkörpern. Im Mittel waren es 3600 F ruchtkörper pro J ahr.
Man spricht in diesem Zusammenhang
von guten und schlechten Pilzjahren.
In Pilzsammlerkreisen wird das Wetter als hauptverantwortlicher F aktor
für das Pilzvorkommen betrachtet.
Nach Niederschlägen und bei nicht zu
kalten Temperaturen werden nach
Meinung von Pilzsammlern am meisten Pilze erwartet. Doch immer wieder wird man überrascht und die Prognosen werden nicht erfüllt.
Das klimatisch aussergewöhnliche
Jahr 2003 zeigt, dass Pilze sehr widerstandsfähig zu sein scheinen gegenüber
langen Trockenperioden. Im Sommer
blieben in weiten Teilen der Schweiz
die Körbe der Pilzsammler leer und
man erwartete allgemein einen Totalausfall der Pilzernte . Doch mit den
Niederschlägen Ende Oktober wurde
2003 ganz unerwartet zu einem durchschnittlich guten Pilzjahr . Pilz mycelien
können offenbar längere Trockenperioden im Boden unbeschadet überdauern. Dass Trockenheit die F ruchtkörperbildung reduziert, wurde auch experimentell nachgewiesen (OGAYA und
PENUELAS 2005).
Klimatische Bedingungen können
die Pilzflora offenbar auch langfristig
beeinflussen. Dies zeigen Resultate
von G ANGE et al. (2007). Sie stellten
fest, dass in Grossbritannien seit den
1950er Jahren die Pilzsaison früher beginnt und später endet. Zudem fruktifizieren einzelne Pilzarten seit Mitte der
1980er Jahre zweimal im Jahr statt wie
bisher nur einmal. Die Autoren führen
diese Entwicklung auf veränderte Klimabedingungen zurück. In Norwegen
wurden ebenfalls Verschiebungen in
der Phänologie der Pilze festgestellt
(KAUSERUD et al. 2008). Auswertungen
unserer Daten bezüglich dieser F rage
sind im Gang.
Die Zusammenhänge zwischen Wetter und Pilzfruchtkörperbildung sind,
wie verschiedene Untersuchungen zeigen, jedoch nicht ganz so trivial wie es
auf den ersten Blick scheint (K REBS
et al. 2008; B ARROETAVENA et al. 2008;
RICHTER 2005). Auch die ersten Aus-
55
Anzahl Arten
Forum für Wissen 2009
Abb. 5. Anzahl Pilzarten und F ruchtkörper (log-transformiert) im Pilzsammelexperiment
im Pilzreservat La Chanéaz in den abgeernteten Flächen ( £: pflücken; r: abschneiden)
und in den Kontrollflächen (ô). n= 5.
wertungen der Daten aus dem Pilzreservat La Chanéaz zeigen das . Temperatur und Niederschläge sind zwar
wichtige F aktoren für das Pilzwachstum, doch kann damit allein das
Fruchtkörpervorkommen nicht erklärt
werden (S TRAATSMA et al. 2001). Die
Frage, warum zu bestimmten Zeiten an
gewissen Standorten mehr Pilze wachsen als an anderen und warum es gute
und schlechte Pilzjahre gibt, ist also bis
heute noch nicht geklärt.
6 Forschungsbedarf
Kenntnisse über die funktionelle
Diversität von Mykorrhizapilzen
Der in dieser Datenreihe festgestellte
Rückgang der Mykorrhizapilze ist eine
ernst zu nehmende Erscheinung . Auch
wenn die Artenanzahl der Mykorrhizapilze in unseren Wäldern hoch ist, ist
jeder Verlust an Vielfalt nachteilig, und
zwar aus funktionellen Überlegungen.
Fest steht, dass wir heute mit verschiedenen Gefährdungspotentialen rechnen müssen, welche zu Veränderungen
in der Diversität der Pilzflora führen
können, von Eutrophierung über Habitatsverlust bis zu Klimawandel. Um
die Auswirkungen des Verlusts einzelner Mykorrhizapilzarten abschätzen
a
b
Abb. 6. a) Hohe Mitteltemperaturen im August führten zu einer Verzögerung des Beginns der Pilzsaison, b) Niederschläge von
Juni bis November förderten die Pilzdiversität und -produktivität im Pilzreservat La
Chanéaz (STRAATSMA et al. 2001)
56
zu können, benötigen wir K enntnisse
über die funktionelle Diversität von
Mykorrhizapilzen: welche der rund 1500
Mykorrhizapilzarten, die in Schweizer
Wäldern wachsen, sind funktionell für
den assoziierten Baum wichtig , welche
weniger oder gar nicht? Was leisten die
einzelnen Pilzarten unter bestimmten
Stresssituationen? Diese F ragen sind
Gegenstand von zwei laufenden Projekten der WSL zur funktionellen Diversität von Mykorrhizapilzen unter
Trockenstress und erhöhtem Stickstoff eintrag. Untersucht werden dabei mykorrhizaspezifische Exoenzyme, welche
Auskunft geben über die funktionellen
Leistungen der einzelnen Pilzarten, sowie Untersuchungen zur Genexpression von Mykorrhizapilzen.
Mechanismen der
Fruchtkörperbildung
Um die Kenntnisse über die Bioindikatorfunktion der Pilzflora zu verbessern, müssen wir mehr wissen über die
Mechanismen, welche die F ruchtkörperbildung von Pilzen steuern. Diese
sind heute noch immer weitgehend unbekannt. Nur bei einzelnen Zuchtpilzen, welche ausschliesslich zur Gruppe
der saproben Pilze gehören, sind die
Faktoren, welche die F ruchtkörperbildung beeinflussen, ausreichend erforscht. In der Gruppe der Mykorrhizapilze sind diese jedoch noch weitgehend unbekannt und es ist bis heute
nicht möglich, die Pilzmycelien zum
Beispiel von Steinpilz, Eierschwamm
oder Trüffeln künstlich zur F ruktifikation zu bringen. MELIN und RAMA DAS
(1954) haben bereits vor mehr als 50
Jahren postuliert, dass das Wachstum
von Pilzen und die F ruchtkörperbildung der Mykorrhizapilze von baumeigenen Stoffen stimuliert werden muss ,
dem sogenannten «F aktor M». Eine
Entschlüsselung dieses ominösen
«Faktors M» könnte weiterhelfen, die
Mechanismen der F
ruchtkörperbildung besser zu verstehen.
Baumwachstum und Fruchtkörperdiversität und -produktivität von
Mykorrhizapilzen
Über einzelne Indikatorarten unter
den Pilzen, die auf Veränderungen des
Gesundheitszustandes von
Wäldern
Hinweise geben, gibt es praktisch keine Angaben. Einzig F ELLNER (1990)
beobachtete, dass der Wieseltäubling
Forum für Wissen 2009
(Russula mustelina, Abb. 7) in den vom
Waldsterben betroffenen F ichtenwäldern Mitteleuropas in den 1980er J ahren deutlich zurückgegangen war und
in Nordböhmen praktisch völlig verschwand. In der Schweiz ist diese Pilz art nach wie vor häufig anzutreffen
und nicht in der Liste der gefährdeten
Arten aufgeführt (S ENN-IRLET et al.
2007). Dies würde nach der
Theorie
von FELLNER (1990) heissen, dass unsere F ichtenwälder in ihrem Gesundheitszustand nicht gefährdet sind.
Produzieren gesunde Bäume mehr
Mykorrhizapilze als geschwächte? Ein
möglicher F orschungsansatz zur Beantwortung dieser Frage ist die Analyse unserer langfristigen Pilzdatenreihen im Zusammenhang mit geeigneten
Parametern, die das Wachstum oder
den Gesundheitszustand der assoziierten Bäume charakterisieren. Retrospektiv lassen sich Pilzdaten zum Beispiel mit J ahrringdaten oder Trieblängen vergleichen.
7 Schlussbemerkungen
Die vorliegende Datenreihe macht
deutlich, dass bei Pilzen lange Untersuchungszeiträume notwendig sind. Das
gilt für das eigentliche Monitoring als
auch für experimentelle Untersuchungen. Das Pilzsammelexperiment schaut
auf 32 J ahre zurück und die Auswertung hat gezeigt, dass bei Pilzen nur
Abb. 7. Der Wieseltäubling (Russula mustelina):
ein Mykorrhizapilz, der
nach F ELLNER (1990) nur
in gesunden F ichtenwäldern wachsen soll (F oto:
J.K. Lindsay).
lange Untersuchungszeiträume zu
schlüssigen Resultaten führen können.
Langzeituntersuchungen führen oft
auch zu unerwarteten, ungeplanten
Resultaten, deren Bedeutung erst retrospektiv, nach Abschluss der Zeitreihen, erkennbar werden.
Zu Waldpilzen ist unbedingt Sorge
zu tragen, wenn man die vielfältigen
Funktionen dieser Pilze berücksichtigt.
Unzählige Gewächshausexperimente
beweisen, dass Pflanzen mit Mykorrhizapilzen besser wachsen und stresstoleranter sind als Pflanzen ohne Mykorrhizapilze. Die Frage, ob ein Wald ohne
Mykorrhizapilze auskommen würde ,
können wir bis heute aus methodischen Gründen nicht beantworten.
Hierzu wären Experimente nötig , in
welchen die Mykorrhizapilze selektiv
eliminiert werden. Solche Versuche
sind bisher erfolglos geblieben.
Neben der Bedeutung für die Ernährung und Gesundheit der Waldbäume
stellen Waldpilze eine interessante
Nichtholz-Ressource des Waldes dar ,
welche einer breiten Bevölkerung als
wichtige F reizeitbeschäftigung dient.
Ein nachhaltig genutzter Wald mit einer grossen Baumartenvielfalt ist eine
unabdingbare Voraussetzung für den
Erhalt einer hohen Diversität an Waldpilzen. Und eine hohe Diversität an
Mykorrhizapilzen ist eine Voraussetzung für einen gesunden Wald. Ganz
nach dem Motto: ohne Wald keine Pilze – ohne Pilze kein Wald.
Forum für Wissen 2009
Dank
François Ayer danken wir für die langjährige Erhebung der Pilzdaten, dem
Forstdienst des Kantons FR für das zur
Verfügung stellen der Versuchsflächen
und die gute Zusammenarbeit, sowie
Beatrice Senn-Irlet für die wertvollen
Anregungen zur Verbesserung des Manuskripts. Dem B AFU danken wir für
die finanzielle Unterstützung in der ersten Phase des Projekts.
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58
Abstract
Ectomycorrhizal fungi are declining – what does this mean for our forests?
The results of a long-term study over 32 years in the fungus reserve La Chanéaz
reveal striking changes in the species composition of the macromycetes:
the
mycorrhizal species considerably decreased in relation to the other species . This
development is worrying , taking into account the crucial role these fungi play in
forest tree health by enhancing nutrient acquisition,
drought tolerance and
pathogen resistance of their hosts . We search for causes of this development and
raise the question about possible effects of a decrease of the mycorrhizal fungi in
terms of tree health of the associated forest trees.
Keywords: forest mushrooms , mycorrhiza, tree growth, bioindication, long-term
monitoring, Switzerland
Forum für Wissen 2009
Forum für Wissen 2009: 59–66
59
Indikatoren und Ergebnisse zur nachhaltigen Waldnutzung
im Landesforstinventar LFI
Urs-Beat Brändli und Philippe Duc
WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
urs-beat.braendli@wsl.ch, philippe.duc@wsl.ch
Periodische Waldinventuren sind die wichtigste Grundlage zur Beurteilung der
Waldnutzung und -bewirtschaftung. Sie haben in Europa eine lange Tradition und
dienten ursprünglich dazu, eine nachhaltige Holzproduktion auf Betriebsebene zu
planen. Mit den sich wandelnden gesellschaftlichen Ansprüchen hat sich der Stellenwert einzelner Waldfunktionen markant verändert und neue Funktionen fanden Eingang in die Waldinventuren. In den letzten 20 Jahren wurden dann Konzepte entwickelt, um die Nachhaltigkeit aller Waldleistungen mittels Indikatoren
zu überprüfen. Am Beispiel des schweizerischen Landesforstinventars sollen die
Möglichkeiten und Ergebnisse einer Waldinventur im Rahmen der nationalen
Nachhaltigkeitskontrolle dargestellt werden.
1 Das Landesforstinventar
1.1 Ziele und Entwicklung
Nationale Waldinventuren haben in
Europa eine mehr als hundertjährige
Tradition. Die erste nationale Walderhebung wurde 1880 in Dänemark
durchgeführt. Zwischen 1919 und 1923
folgten Norwegen, F innland und
Schweden mit Nationalinventuren und
ab Mitte des 20.
J ahrhunderts die
Mehrzahl der übrigen europäischen
Länder (K ÖHL 1999). Aus Mangel an
Informationen über die Holz-Ressourcen im Privatwald, die Waldfunktionen
und den Waldzustand wurde in der
Schweiz das erste Landesforstinventar
(LFI1) in den J ahren 1983 bis 85 erstellt. Das LFI soll periodisch über den
Zustand und die Entwicklung des
Schweizer Waldes informieren. Es ist
ein Gemeinschaftsprojekt der F
orschungsanstalt WSL und des Bundesamt für Umwelt (B AFU) und wurde
als Datengrundlage für die nationale
Waldpolitik konzipiert.
Das K onzept der Nachhaltigkeit
wurde schon früh im 20. J ahrhundert
nicht nur auf die Holzproduktion bezogen, sondern umfassender verstanden,
entsprechend dem Wandel der gesellschaftlichen Ansprüche (Abb . 1). Daher war auch bei der Vorbereitung des
ersten Landesforstinventars vorgesehen, den Zustand und die Entwicklung
des Waldes hinsichtlich seiner ökonomischen, ökologischen und sozialen
Funktionen zu erheben (K URT 1967;
WULLSCHLEGER 1982). Obschon diese
konzeptionellen Vorstellungen thema1800
1850
tisch breit waren, traten bei der Realisierung des LFI1 aus methodischen
Gründen die Waldfläche, der Aufbau
und Zustand des Waldes sowie die Verfügbarkeit der Holzressourcen in den
Vordergrund.
Beim zweiten LFI (1993–95) wurde
der Datenkatalog um zahlreiche ökologische Merkmale erweitert und erstmals wurde auch der
Waldrand in ventarisiert. Dem ausgewiesenen Bedarf an Zusatzinformationen zu
Schutzwald, Bodenvegetation und Boden konnte aber mangels F
inanzen
auch im LFI3 (2004–06) nur teilweise
entsprochen werden. Wesentlich umfassender erhoben wurde im LFI3 das
Totholz. Die erweiterte LFI-Umfrage
beim F orstdienst lieferte auch Angaben zu den Waldfunktionen oder zur
Zertifizierung (B RÄNDLI und U LMER
1900
1950
2000
Waldweide
Waldstreunutzung
Landwirtschaftliche
Zwischennutzung
Gerbrindenutzung
Energieholz
Bauholz
Schutz vor
Naturgefahren
Erholung und Freizeit
Naturschutz
Abb. 1. Wandel der gesellschaftliche Ansprüche und Waldfunktionen im Zeitraum der Jahre
1800 bis 2000 (nach BRÄNDLI 2003 und BÜRGI 1998, Kanton Zürich).
60
2005). Im so genannten Nichtwaldareal
wurden neue Informationen über Gehölze und die Bodenbedeckung erhoben (GINZLER et al. 2005).
Insbesondere als F olge von umweltpolitischen Prozessen wandelte sich
das LFI seit 1983 vom fast reinen
Ressourcen-Inventar zu einer inhaltlich weit umfassenderen Waldinventur.
Auch die in Bundesbeschlüssen und
Leistungsvereinbarungen formulierten
Ziele und Aufgaben des LFI wurden
im Lauf der Zeit immer konkreter ausformuliert (Z IERHOFER 2000). Diesen
langen Prozess hat K urt schon 1967
voraus gesehen und schreibt treffend:
«Es ist nicht zu verkennen, dass verfahrenstechnische F ragen bedeutend einfacher zu lösen sind als solche , welche
die besondere Zielsetzung betreffen».
Heute ist das LFI das wichtigste
Instrument zur K ontrolle der nachhaltigen Waldbewirtschaftung auf nationaler und grossregionaler Ebene und
ist im T hemenbereich W ald, Umwelt
und Holz von grosser Bedeutung für
Verwaltung, P olitik und F orschung
(BÄTTIG et al. 2002). Die Ergebnisse
des LFI (B RASSEL und B RÄNDLI 1999)
finden Eingang in die nationale Waldberichterstattung (B UWAL und WSL
2005) und ins Netzwerk Umweltdaten
Schweiz NUS des B AFU (2006). Auch
für das weltweite F orest Resource Assessment FRA (FAO 2006), für das europäische Reporting zur nachhaltigen
Waldbewirtschaftung (MCPFE 2007)
und für andere internationale Erhebungen ist das LFI von zentraler Bedeutung. Dabei bemüht sich die WSL
durch ihre Mitarbeit im «European
National F orst Inventory Network»
(ENFIN) oder in der «Cost
Action
E 43» 1 um eine stetige internationale
Harmonisierung der Indikatoren und
Methoden.
Forum für Wissen 2009
trischen Kreisflächen erhoben. Im kleineren Kreis von 2 Aren werden alle
Bäume mit einem Brusthöhendurchmesser (BHD) ab 12 cm, im grösseren
Kreis von 5 Aren alle Bäume mit einem BHD ab 36 cm vermessen und beurteilt. Die J ungwalderhebung für
Bäumchen ab einer Höhe von 10 cm
erfolgte im LFI3 auf zwei vom Probeflächenzentrum versetzten Probekreisen. Das liegende Moder - und Totholz
wurde erstmals entlang von drei Transektlinien erfasst. Bei Probeflächen am
Waldrand wurde dessen Aufbau und
Artenzusammensetzung auf einer Taxationsstrecke von 50 m Länge erhoben. Der Arbeitsablauf auf der Probefläche und alle erhobenen Merkmale
sind in der
Aufnahmeanleitung beschrieben (KELLER 2005).
wurde aus finanziellen Gründen seit
dem LFI2 um die Hälfte reduziert
(BRASSEL und L ISCHKE 2001) und beträgt im LFI3 rund 6500. Als Datenquellen dienen unverändert seit Beginn Luftbilder, terrestrische Erhebungen und Umfragen beim F orstdienst
sowie digitalisierte Karten, Modelle
(z. B. Vegetationseinheiten) und Erhebungen von Dritten (BFS 2: Areal- und
Forststatistik; SMA3: Klimadaten).
Die erhobenen LFI-Daten beziehen
sich je nach Art auf unterschiedlich
grosse Flächen. Seit dem LFI1 werden
auf der Interpretationsfläche von 50 ×
50 m die Luftbilder interpretiert und
im Gelände flächenbezogene terrestrische Daten zum Standort und Bestand
erhoben (Abb . 2). Die wichtigsten
Baumdaten werden auf zwei konzen-
1
9
2
9
9
3
4
6
5
7
8
1.2 Erhebungsmethoden
Das erste LFI wurde als Stichprobenerhebung mit Probeflächen auf einem
quadratischen 1,0-km-Netz angelegt.
Die Anzahl Waldprobeflächen des LFI1
1
2
3
siehe http://www.metla.fi/eu/cost/e43/ (zuletzt besucht am 29.6.2009).
Bundesamt für Statistik
Schweizerische Meteorologische Anstalt
1
Interpretationsfläche (50 × 50 m)
9 Waldbe
2
Probekreis für Bäume ab 36 cm BHD
X Probeflächenzentrum
3
Probekreis für Bäume ab 12 cm BHD
4,5
Probekreis für Jungwaldaufnahme
Luftbildrasterpunkte
Ra
sterpunkt ausserhalb WBL
Ra
sterpunkt auf Bestockungsglied
Ra
sterpunkt andere Bodenbedeckung
6,7,8 Taxationsstrecke für die Aufnahme
von liegendem Totholz
Abb. 2. Konzept einer Probefläche im LFI3.
grenzungslinie (WBL)
Forum für Wissen 2009
61
mehreren Ministerkonferenzen, ihre
Wälder nachhaltig zu bewirtschaften
und über das Erreichte regelmässig
zu berichten (MCPFE 2003,
wobei
MCPFE für «Ministerial Conference
on the Protection of Forests in Europe»
steht). Die MCPFE (1993) definiert die
nachhaltige W aldbewirtschaftung wie
folgt: «Sustainable management means
the stewardship and use of forests and
forest lands in such a way, and at a rate,
that maintains their biodiversity , productivity, regeneration capacity, vitality
and their potential to fulfil, now and
in the future , relevant ecological, eco nomic and social functions , at local,
national, and global levels , and that
does not cause damage to other eco systems».
2 Indikatorsystem zur
nachhaltigen
Waldbewirtschaftung
2.1 Definition der nachhaltigen
Waldbewirtschaftung
Der Begriff «Nachhaltigkeit» geht zurück auf Hans Carl von Carlowitz, der
1713 in seinem Buch «Sylvicultura Oeconomica» eine «continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung»
des Holzes postulierte . In der Schweiz
wurde diese Idee in den Forstpolizeigesetzen von 1876 und 1902 verankert.
Die Idee der Nachhaltigkeit wurde
aber schon früh im 20.
J ahrhundert
nicht nur auf die Holzproduktion bezogen, sondern umfassender verstanden
(DIETERICH 1939).
1987 wurde das K onzept der Nachhaltigkeit vom Wald auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung übertragen:
Als nachhaltige Entwicklung definierte
die Weltkommission für Umwelt und
Entwicklung der UNO (1987) eine
«Entwicklung, welche die Bedürfnisse
der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generat ionen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können». An der UNO-Konferenz
über Umwelt und Entwicklung (Erdgipfel Rio 1992) verpflichtete sich die
Schweiz durch die Unterzeichnung der
«Waldgrundsätze-Erklärung» international zu einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung. Und im Waldgesetz von
1991 bekamen Bund und Kantone die
Aufgabe zugewiesen, periodisch über
Zustand und Entwicklung des Waldes
zu berichten.
In der F olge verpflichtete sich die
Schweiz auf europäischer Ebene an
2.2 Kriterien und Indikatoren
Im Anschluss an die Helsinki Resolution (MCPFE 1993) haben die europäischen F orstminister sechs Kriterien
(Ziele) für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung sowie 35 entsprechende
Indikatoren für das Monitoring und
Controlling verabschiedet (T ab. 1).
Letztere wurden an der 4. F orstministerkonferenz in Wien in überarbeiteter F orm bestätigt (MCPFE 2003).
Diese paneuropäischen Kriterien und
Indikatoren sind international wie national allgemein akzeptiert. An ihnen
orientieren sich heute sowohl das erste
Waldprogramm der Schweiz (BUWAL
2004) als auch das Waldmonitoring auf
nationaler und regionaler Ebene (B UWAL 2003) sowie die nationale Waldberichterstattung (B UWAL und WSL
2005; BAFU 2006).
Die internationalen Indikatoren der
MCPFE können aber nicht allen Ansprüchen genügen und weisen je nach
Blickwinkel gewisse Lücken auf. Insbesondere auf nationaler und regionaler
Ebene gilt es, diese durch weitere Indikatoren zu füllen. So fehlen auf europäischer Ebene etwa Indikatoren zur
Schutzwirkung des Waldes gegen Naturgefahren. Bei der Definition und
Auswahl von neuen Indikatoren soll
einer ganzen Reihe von
Aspekten
Rechnung getragen werden (B UWAL
2003). Zwei wichtige Punkte sind dabei
der gesellschaftliche K onsens in der
Zielsetzung (z. B. Erhaltung stabiler
Schutzwälder) und die fachliche Relevanz eines Indikators (z.B. Bestockungsdichte). In diesem Sinne können nationale und kantonale Gesetze , Programme (z. B. Waldprogramm Schweiz) und
Wegleitungen (z. B. Nachhaltigkeit im
Schutzwald) massgebliche Hinweise
auf wichtige ergänzende Indikatoren
liefern.
2.3 Indikatoren im LFI
Grundsätzlich orientiert sich das LFI
bei der Auswahl und Erhebung von Indikatoren an bestehenden Indikatoren-Sets, primär der MCPFE, und an
nationalen Programmen (vgl. 2.2). Zudem werden gewisse Indikatoren mit
LFI-Daten etwas umfassender analysiert (Sub-Indikatoren wie Baumschäden) oder zu einem Gesamturteil aggregiert (z. B. Biotopwert). Tabelle 2
gibt Aufschluss über den Inhalt und die
Art bzw. Herkunft der LFI3-Indikatoren.
Tab. 1. MCPFE-Kriterien und Anzahl Indikatoren sowie deren Abdeckung durch das LFI.
Kriterium Anzahl
1
2
3
4
5
6
Summe
Waldressourcen
Gesundheit und Vitalität
Produktionsfunktion
Biologische Vielfalt
Schutzfunktion
Sozio-Ökonomie
Indikatoren
MCPFE
Anzahl
4
4
5
9
2
11
35
MCPFE abgedeckt durch LFI
LFI1
LFI2
LFI3
Anzahl
Anzahl
%
3
2
0
4
0
2
11
3
2
2
5
0
2
14
4
2
2
6
2
2
18
LFI3
Anzahl
100
50
40
67
100
18
Total LFI-Indikatoren
LFI3
7
13
10
19
10
5
64
62
Forum für Wissen 2009
Tab. 2. Trends von LFI-Indikatoren zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung in der Schweiz.
stark positiver Trend (jährliche Veränderung
1.0% und signifikant)
positiver Trend (jährliche Veränderung 0.1-0.9% und signifikant)
kein Trend (jährliche Veränderung 0.1% und/oder nicht signifikant)
negativer Trend (jährliche Veränderung 0.1-0.9% und signifikant)
stark negativer Trend (jährliche Veränderung
1.0% und signifikant)
Trend lässt sich nicht berechnen (nur Zustand LFI3) oder nicht eindeutig interpretieren
Indikatortyp
P: Zunahme wird positiv interpretiert
N: Zunahme wird negativ interpretiert
Z1: Zustand <1.00 wird positiv interpretiert
Z2: Zustand > 90% wird positiv interpretiert
Z3: Zustand
10% wird positiv interpretiert
* fett: Indikatoren, die der MCPFE-Definition ganz oder weitgehend entsprechen oder im Reporting erscheinen
unterstrichen: Indikatoren, die auf nationalen Gesetzen, VeroUdnungen und Programmen (WAP-CH) basieren
kursiv + unterstrichen : Indikatoren, die auf nationalen Wegleitungen (z.B. NaiS) und Konzepten basieren
normal: Spezifikationen oder Synthesen von obgenannten Indikatoren (LFI-Indikatoren)
Indikator
Kriterium Nummer* Name
Typ
Einheit
1
1
1
1
1
1
1
1.1.1
1.1.2
1.1.3
1.1.4
1.2.1
1.3.1
1.4.1
Waldfläche (inkl. Gebüschwald)
Waldflächenanteil (inkl. Gebüschwald) an der Gesamtfläche
Waldfläche ohne Gebüschwald
Gebüschwaldfläche
Holzvorrat (lebende Bäume)
Anteil Jungbestände (Alter 60 Jahre) im gleichaltrigen Wald
Kohlenstoffvorrat
P
P
P
P
P
P
P
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2.2.1
2.2.2
2.2.3
2.2.4
2.3.1
2.3.2
2.3.3
2.3.4
2.3.5
2.3.6
2.4.1
2.4.2
2.4.3
Probeflächen mit aktuell intensiver Beweidung
Probeflächen mit Deponien waldfremder Materialien
Probeflächen mit intensiver Erholungsbelastung
Anteil der Fahrspuren ausserhalb von Rückegassen
Verbissintensität (Vorjahresverbiss) alle Arten
Verbissintensität (Vorjahresverbiss) Tanne
Bäume ohne erkennbare Schäden
Tote Bäume
Tote und sehr stark geschädigte Bäume
Bäume mit Holzernteschäden
Waldfläche mit sehr stark geschädigten Beständen
Waldfläche mit Zwangsnutzungen in den letzten 10 Jahren
Bestände mit kritischer Stabilität
N
N
N
N
N
N
P
N
N
N
N
N
N
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3.1.1
3.1.2
3.1.3
3.1.4
3.1.5
3.1.6
3.5.1
3.5.2
3.5.3
3.5.4
Holzzuwachs
Holzzuwachs pro Hektare
Nutzung (inklusive Mortalität)
Anteil von Nutzung und Mortalität am Zuwachs
Erschliessungsdichte mit Lastwagenstrassen
Waldfläche mit waldbaulichen Eingriffen in den letzten 10 Jahren
Waldfläche mit Betriebs- und/oder regionaler Waldplanung
Waldfläche mit Betriebsplan
Waldfläche mit regionalem Waldplan
Waldfläche mit Zertifizierung
P
P
P
Z1
P
P
Z2
P
P
P
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
Faktor
%/Jahr
%/Jahr
%
%/Jahr
%/Jahr
4
4
4
4
4
4
4
4
4
4
4
4
4
4
4
4
4
4
4
4.1.1
4.1.2
4.1.3
4.1.4
4.2.1
4.2.2
4.2.3
4.3.1
4.3.2
4.3.3
Probeflächen mit mehr als einer Baumart (>12cm BHD)
Waldfläche mit 4 und mehr Baumarten in der Oberschicht
Waldränder mit mehr als 10 Gehölzarten
Bestandesdichte-Index
Reine Naturverjüngung in Verjüngungsbeständen
Reine Pflanzungen in Verjüngungsbeständen
Reine Naturverjüngung in Jungwüchsen/Dickungen
Waldfläche ohne forstliche Eingriffe seit über 50 Jahren
Waldfläche der Plantagen
Waldfläche mit naturnahem Nadelholzanteil (im Laubwaldareal)
Starkholzbestände (BHDdom >50cm)
P
P
P
N
P
N
P
P
N
P
%/Jahr
5
5
5
5
5
5
5
5
5
5
6
6
6
6
6
4.3.4
4.3.5
4.3.6
4.3.7
4.4.1
4.5.1
4.5.2
4.9.1
4.9.2
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
Anzahl Giganten (Bäume mit BHD >80cm)
Waldränder mit grosser Strukturvielfalt
Waldfläche mit mässigem bis hohem Biotopwert
Waldfläche mit dominierenden Exoten
Totholzvorrat stehend und liegend
Totholzvorrat stehend
Waldfläche mit Vorrangfunktion Naturschutz
Waldfläche mit Vorrangfunktion Landschafts- oder Wildschutz
P
P
P
P
N
P
P
Z3
P
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%
5.1.1
5.1.2
5.1.3
5.2.1
5.2.2
5.2.3
5.2.4
5.2.5
5.2.6
5.2.7
Waldfläche in Grundwasser-Schutzzonen
Waldfläche im Einzugsgebiet von Trinkwasserquellen
Reine Nadelholzbestände in Grundwasser-Schutzzonen
Waldfläche mit Vorrangfunktion Schutz vor Naturgefahren
LFI3-Schutzwald mit genügender Bestandesdichte
LFI3-Schutzwald ohne Lücken
LFI3-Schutzwald mit stabilen und vermindert stabilen Beständen
LFI3-Schutzwald mit mehr als 10% Verjüngung
LFI3-Schutzwald mit Zwangsnutzungen in den letzten 10 Jahren
LFI3-Schutzwald mit Transportdistanzen unter 500 m
P
P
N
P
P
P
P
P
N
P
%/Jahr
6.1.1
6.1.2
6.10.1
6.10.2
6.10.3
Privatwald
Waldfläche der Bewirtschaftungseinheiten bis 3 ha
Waldfläche mit Vorrangfunktion Erholung
Waldfläche pro Kopf der Bevölkerung
Erschlossene Waldfläche pro Kopf der Bevölkerung
P
N
P
P
P
Trends
Zeitraum
1983/85 1993/95
Zeitraum
1993/95 2004/06
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
%/Jahr
Forum für Wissen 2009
Das LFI ist das wichtigste, aber nicht
das einzige Instrument, um die Nachhaltigkeit im Wald auf Bundesebene zu
beurteilen. Umfassende Informationen
liefert es im Bereich der
Waldressourcen, der Holzproduktion,
des
Schutzes vor Naturgefahren und von
Lebens raum aspektenzur Biodiversität
(BRÄND LIet al. 2007). Andere wichtige
Informationsquellen sind beispielsweise die Arealstatistik, die Sanasilva-Inventur, die Forststatistik oder das Biodiversitäts-Monitoring des Bundes . Im
Rahmen des Netzwerkes Umweltdaten
Schweiz wird die Aufgabenteilung zwischen den einzelnen Instrumenten koordiniert.
Die inhaltliche Entwicklung des LFI
widerspiegelt sich auch in den Indikatoren (Tab. 1): So waren mit dem LFI1
31 % der MCPFE-Indikatoren abgedeckt, mit dem LFI2 40 % und mit dem
LFI3 51 %. Bedeutende LFI-Erweiterungen sind dabei bei den Kriterien
Schutzfunktion und Biodiversität zu
verzeichnen, während das Kriterium
«Sozio-Ökonomie» durch das LFI
nach wie vor nur zu einem kleinen Teil
abgedeckt wird. Berücksichtigt man
die zusätzlichen Indikatoren aus Programmen und Wegleitungen oder abgeleitet aus gesetzlichen Bestimmungen, so basieren 56 % der insgesamt 64
LFI3-Indikatoren auf einem internationalen oder nationalen Konsens.
3 Resultate des LFI3 zur
Nachhaltigkeit
Die folgenden LFI-Ergebnisse stammen aus dem Kapitel «Bilanz Nachhaltigkeit im LFI3» (B RÄNDLI et al. im
Druck) des Ergebnisberichtes LFI3,
der im F rühjahr 2010 erscheinen wird.
Sie sind nach den sechs MCPFE-Kriterien (Waldressourcen, Gesundheit und
Vitalität, Holzproduktion, Biologische
Vielfalt, Schutzwald, Sozio-Ökonomie)
zusammengefasst. Da derzeit zu kaum
einem Indikator allgemein akzeptierte
Sollwerte vorliegen, beschränkt sich
die Bilanz weitgehend auf Entwicklungstrends LFI1/LFI2 und LFI2/LFI3
(Tab. 2). Bei der Interpretation gilt zu
beachten, dass das LFI nur einen Teil
der MCPFE-Indikatoren abdeckt (siehe 2.3).
Insgesamt fällt die Bilanz der LFIIndikatoren überwiegend positiv aus:
63
Die Indikatoren zu den Kriterien Waldressourcen, Schutzwald und Biodiversität weisen grösstenteils und jene zur
Holzproduktion mehrheitlich positive
Trends aus . Die wenigen Indikatoren
zur Sozio-Ökonomie zeigen keine wesentlichen Veränderungen und jene
zum Kriterium Gesundheit und Vitalität zeigen gegenläufige Trends.
Waldressourcen (MCPFE Kriterium 1):
Bei drei der vier Indikatoren zum
Kriterium W aldressourcen, nämlich
«Waldfläche», «Holzvorrat» und «Kohlenstoffvorrat» ist eine positive Entwicklung festzustellen. Beim Indikator
«Altersstruktur und/oder Durchmesserverteilung» hat sich vom LFI2 zum
LFI3 wenig verändert.
Gesundheit und Vitalität (MCPFE Kriterium 2): Das LFI liefert hier Angaben zum MCPFE-Indikator «W aldschäden» und zu einer Reihe von Be lastungen des Bodens , zu Schäden
am Einzelbaum und am
Wald. Die
MCPFE-Indikatoren «Ablagerung von
Luftschadstoffen», «Bodenzustand» und
«Nadel-/Blattverlust» deckt das LFI
nicht ab . Eine pauschale Aussage zu
den Entwicklungen ist nicht möglich.
Bezüglich menschlicher Einflüsse auf
die Gesundheit und Vitalität des Waldes sind die Entwicklungen positiv:
Probeflächen mit aktuell intensiver
Beweidung oder mit Deponien, Bäume
mit Holzernteschäden und Bestände
mit kritischer Stabilität haben abgenommen. Bei den natürlichen Störungen zeigen die Indikatoren bezüglich
Holzproduktion eine negative Entwicklung: Der Gipfeltriebverbiss an
Tannen, der Anteil toter und sehr stark
geschädigter Bäume und die Fläche
der stark bis sehr stark geschädigten
Bestände haben zugenommen;
die
Waldfläche mit Zwangsnutzungen ist
unverändert hoch. Hinsichtlich Biodiversität ist die Zunahme der toten und
stark geschädigten Bäume aber positiv
zu werten.
Holzproduktion (MCPFE Kriterium 3):
Zu den Indikatoren «Holzzuwachs und
-einschlag» und «Wälder mit Bewirtschaftungsplänen» liefert das LFI aussagekräftige Informationen, zu den
Indikatoren «Nichtholzprodukte»,
«Rundholz-Verkauf» und «Dienstleistungen» hingegen nicht. Das Gesamt-
bild der Entwicklungen ist positiv . Der
Holzzuwachs ist hoch und wird zunehmend genutzt, die Erschliessung mit
Strassen ist relativ dicht, und das Instrument der regionalen Waldplanung
wird zunehmend angewendet. Auch ist
etwa die Hälfte der Waldfläche zertifiziert. Negativ zu werten sind die Zunahme der Mortalität durch Windwurf,
Trockenperioden und Borkenkäfer und
die fehlende Aktualität vieler Betriebspläne.
Biologische Vielfalt (MCPFE Kriterium 4): Zu sechs Indikatoren liefert das
LFI aussagekräftige Informationen,
zu den Indikatoren «Genetische Ressourcen», «Landschaftsmuster» und
«Ge fährdete Waldarten» hingegen
nicht. Da die biologische Vielfalt viele
Aspekte hat, ist hier die Anzahl der Indikatoren hoch. Bei vielen von ihnen
ist der Zustand erfreulich, bei den meisten die Entwicklung positiv . So nahm
die Artenvielfalt bei den Bäumen zu,
dicke Bäume wurden häufiger, der Totholzvorrat stieg an und die
Wälder
werden meist natürlich verjüngt. Einzig bei der Bestandesdichte ist der
Trend weiterhin negativ; viele Wälder
wurden dichter und damit dunkler.
Schutzwald (MCPFE Kriterium 5): In
der Schweiz wird unter Schutzwald
meist nur der Wald verstanden, der
Menschen und Sachwerte vor Naturgefahren schützt; nach MCPFE umfasst
der Schutzwald auch Wälder, welche
Trinkwasser schützen. Das LFI liefert
für beide Schutzfunktionen aussagekräftige Informationen. Bezüglich Trinkwasserschutz zeigen alle Indikatoren
eine Verbesserung an. Beim Schutz vor
Naturgefahren ist der Entwicklungstrend bei den sechs Indikatoren,
zu
denen Daten aus dem LFI1 oder LFI2
vorliegen, positiv . Der im LFI3 fest gestellte Zustand der Schutzwälder
befriedigt aber teilweise noch nicht:
Lücken sind noch zu häufig, es mangelt
an Verjüngung, und manche Schutzwälder sind noch ungenügend erschlossen.
Sozioökonomie (MCPFE Kriterium 6):
Das LFI liefert nur für zwei von elf
MCPFE-Indikatoren aussagekräftige
Informationen: Die Bewirtschaftungseinheiten sind im Schweizer Wald oft
sehr klein, v.a. im Privatwald, was nega-
64
tiv zu werten ist. Für Erholungssuchende ist der Schweizer Wald gut zugänglich. Allerdings nahm die Waldfläche
pro K opf der Bevölkerung als F olge
des Bevölkerungswachstums ab , was
eher negativ zu werten ist.
4 Fazit und Ausblick
4.1 LFI-Erfahrungen mit Indikatoren
Indikatoren sind, wie die gesellschaftlichen Ansprüche an den Wald, in ständiger Entwicklung und werden erst mit
der Zeit bezüglich Definition und Erhebungsmethode konkret. Erst nach
einer solchen K onkretisierung können
national und international vergleichbare Indikatoren implementiert werden.
Gute Indikatoren sind das Ergebnis eines langen und breit abgestützten Prozesses. Beobachtungsinstrumente wie
das LFI sollen deshalb nach Möglichkeit bereits vorhandene , allgemein akzeptierte und klar definierte Indikatoren übernehmen, wie jene der MCPFE.
Wo solche fehlen, werden sie idealerweise im Rahmen von Bundesprojekten wie jenem zur «Nachhaltigkeit im
Schutzwald» (FREHNER et al. 2005) entwickelt.
Waldinventuren wie das LFI können
mehr als die Hälfte der MCPFE-Indikatoren abdecken (Tab. 1). Die Stärke
von Waldinventuren liegt dabei bei Indikatoren zu den Waldressourcen, der
Schutzwirkung gegen Naturgefahren
und der Biodiversität. Dank permanenter Probeflächen lassen sich auch
langsame V eränderungen aufzeigen.
Für viele Indikatoren, insbesondere
zum Kriterium «Sozio-Ökonomie»,
sind dagegen andere Erhebungen weit
geeigneter. Von zentraler Bedeutung
ist deshalb eine K oordination und Delegation von Indikatoren an klar definierte Erhebungsinstrumente, wie dies
in der Schweiz derzeit im Rahmen des
Netzwerkes Umwelt-Daten Schweiz
(NUS) durch den Bund und die Kantone erfolgt.
Was die inhaltliche Qualität (Relevanz) der einzelnen Indikatoren betrifft, bestehen erhebliche Unterschiede. Die zeigt sich auch im ersten Bericht der MCPFE (2007). Während das
«Totholz» als Indikator zur Biodiversität als unbestritten wichtig erachtet
wird, bereitet die Interpretation des
Forum für Wissen 2009
«Privatwaldanteils» unter dem Kriterium Sozio-Ökonomie erhebliche Mühe.
«Sehr stark geschädigte Bestände» infolge von Windwurf sind wohl ökonomische Schäden, aber das Ergebnis einer natürlichen Störung und deshalb
unter dem Kriterium «Gesundheit und
Vitalität» nicht zwingend negativ zu
werten. So gesehen sind die MCPFEIndikatoren ein verbindlicher erster
Wurf, bei dem die Verfügbarkeit der
Informationen nicht selten vor der inhaltlichen Aussagekraft steht. Weitere
Optimierungen durch F achexperten
sind zu wünschen. Was die statistische
Aussagekraft betrifft, hat sich im LFI
gezeigt, dass die meisten Indikatoren
gesicherte Aussagen erlauben (vgl. Tab.
2). Nur bei in der Schweiz seltenen Indikatorausprägungen (z. B. Plantagen)
oder bei sehr kleinen Veränderungen
(Lücken im Schutzwald) sind keine gesicherten Aussagen über Entwicklungstrends möglich.
Sollwerte fehlen sehr häufig, weshalb
Entwicklungen (T rends) interpretiert
werden (müssen). Dabei hat sich gezeigt, dass viele (vorgeschlagene) Indikatoren relativ gut Zustände beschreiben können, aber für die Darstellung
bzw. Messung von Veränderungen ungeeignet sind. Die robustesten Werte
sind der gemessene Baumdurchmesser
BHD und alle davon abgeleitete Grössen. Deshalb sollen Indikatoren möglichst zähl- oder messbar bzw . auf Reproduzierbarkeit und auf Veränderungen optimiert sein. Die Definition von
aussagekräftigen Indikatoren setzt
folglich eine Zusammenarbeit von
Fachexperten (z. B. Biodiversität) und
Inventurspezialisten voraus.
4.2 Einfluss des LFI auf die nachhaltige Waldnutzung
Es liegt in der Natur der Sache , dass
sich die unmittelbaren Auswirkungen
(Impacts) des LFI nicht messen lassen.
Viele Reaktionen (Massnahmen) von
Verwaltung, P olitik und Praxis treten
erst J ahre nach der Publikation von
neuen LFI-Ergebnissen in Erscheinung und finden noch später ihre messbare Auswirkung auf den Waldaufbau.
Zweifellos bewirken die LFI-Ergebnisse, insbesondere Abweichungen von
Sollwerten und negative Trends, eine
öffentliche Diskussion unter den am
Wald interessierten Gruppierungen
und eine Sensibilisierung der Waldbewirtschafter. Wo letztere und die Waldbesitzer nicht aus eigenem Interesse
Gegensteuer geben, ergreifen Gesetzgeber und Verwaltung geeignete Lenkungsmassnahen, nicht selten mit Verweis auf LFI-Ergebnisse. Damit haben
Beobachtungsinstrumente wie das LFI
selbstredend erheblichen Einfluss auf
die nachhaltige Waldnutzung.
Das LFI trägt aber auch dazu bei, die
Möglichkeiten und Grenzen der zukünftigen Waldnutzung unter Einhaltung der Nachhaltigkeit zu zeigen. So
ist es, auch dank der Umfrage zu den
Waldfunktionen beim F orstdienst, mit
dem Abschluss des LFI3 erstmals möglich, sehr differenzierte und langfristig
nachhaltige Holznutzungs-Szenarien
zu berechnen. Mit entsprechenden Ergebnissen ist ab dem Jahr 2010 zu rechnen.
4.3 Weiterentwicklung des LFI
Die drei bisherigen LFI waren periodische Erhebungen über einen Zeitraum
von jeweils drei Jahren. Mit dem LFI4,
das im Jahr 2009 gestartet ist, erfolgen
die Erhebungen neu über einen Zeitraum von neun J ahren. Dabei wird jedes Jahr auf einem anderen Unternetz
des LFI die gesamte Schweiz beprobt.
Dies ermöglicht ab 2012 jährlich gesamtschweizerische Aussagen zum aktuellen Stand. Das LFI kann also künftig viel rascher einen groben nationalen Überblick vermitteln, insbesondere
nach Extremereignissen wie zum Beispiel dem Orkan Lothar.
Mit diesem neuen K onzept könnte
theoretisch auch jedes Jahr der Datenkatalog ergänzt oder reduziert werden.
Theoretisch deshalb , weil jedes neue
Merkmal eine erhebliche Vorlaufzeit
für Entwicklung und technische Implementierung (A ufnahmeanleitung, Erfassungs-Software, Datenbank) benötigt und somit auch mit viel Aufwand
verbunden ist. Deshalb spielen in der
Zukunft die bisherigen Erfahrungen
und klaren Entscheidungskriterien zur
inhaltlichen Anpassung des LFI eine
grosse Rolle.
Das LFI wird sich weiterhin auf die
Nachhaltigkeitskontrolle ausrichten
und dazu akzeptierte internationale
und nationale Indikatoren verwenden.
Forum für Wissen 2009
Dabei sind künftig weniger Neuerungen zu erwarten als in den vergangenen zehn J ahren. Hingegen weist das
Parameterset des NUS noch Lücken
auf, die durch ein erweitertes LFI geschlossen werden sollen. Es sind dies
im W esentlichen A ufbau, Holzvorrat,
Zuwachs und Nutzung von Bestockungen ausserhalb des Waldes. Die laufende Bedarfsabklärung für die Jahre 2012
bis 15 soll auch darüber Aufschluss geben, welche LFI-Zusätze finanziert
werden sollen bzw. können.
Weil aber der Wert einer Zeitreihe
wie dem LFI zu einem guten Teil in der
Zukunft liegt und erst durch die nächsten Generationen genutzt werden
kann, braucht es auch Raum für Innovationen wie die Einführung neuer
Merkmale, die nicht zwingend auf das
bestehende Indikatorensystem ausgerichtet sind. So wurden mit jedem neuen LFI auch Merkmale hinzugenommen, deren Wert oft erst nach der
Publikation der Ergebnisse erkannt
wurde. Allerdings lässt sich das LFI nur
noch sehr beschränkt ergänzen, damit
die Arbeitszeit auf den Probeflächen in
einem praktikablen Rahmen bleibt.
Deshalb werden künftig externe wie
interne Anregungen zum Datenkatalog jährlich durch die Projektoberleitung LFI überprüft. Dafür gilt es , ein
Entscheidungssystem zu definieren.
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Eidg. F orstdirektion, B UWAL. Interner
Bericht. 35 S.
Link
Laufende aktuelle Informationen zum
LFI und den neuesten Ergebnissen siehe www.lfi.ch
Forum für Wissen 2009
Abstract
Indicators and results on sustainable forest use in the National Forest Inventory
Periodic forest inventories are the most important basis to judge the sustainability
of forest management. They have a long tradition in Europe and served to
establish a sustainable wood production originally. Later on other forest functions
found their way into the forest inventories . During the last two decades , concepts
have been developed to assess the sustainability of all forest benefits and forest
health by means of indicators . Using the example of the Swiss National F orest
Inventory (NFI) the possibilities and results of a forest inventory within a national
scheme of monitoring sustainability are shown. The paneuropean criteria and
indicators of MCPFE as well as national indicators based on laws , programmes
and guidances are decisive for the NFI. At present more than half of the MCPFE
indicators are reported by the NFI, the rest by other surveys. The interpretation of
results focuses on changes. Regarding only the indicators that are surveyed by the
NFI, Swiss forests have developed in a largely positive direction within the last
decade, with the exception of the criteria «health and vitality».
Keywords: sustainable management, forest, indicators , inventory , monitoring ,
Switzerland
Forum für Wissen 2009: 67–76
67
Was lehrt uns die Ertragskunde hinsichtlich nachhaltiger
Ressourcennutzung im Wald?
Andreas Zingg
WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
andreas.zingg@wsl.ch
Die Ertragskunde ist die «langfristige Langzeitforschung» der WSL: Nach der
Gründung der WSL vor über 120 Jahren wurde in wenigen Jahren, zunächst von
Flury, später auch von anderen Mitarbeitern, ein Versuchsflächennetz über die
ganze Schweiz aufgebaut. Nach einer waldwachstumskundlich sehr kurzen Zeit
von nur 21 Jahren legte Flury eine erste Ertragstafel für die Hauptbaumarten
Fichte und Buche vor, eine Grundlage für die geordnete, nachhaltige Bewirtschaftung. Unter Engler kamen die Plenterwald-Versuchsflächen und die Provenienzversuche dazu; Burger publizierte über einen Zeitraum von 24 Jahren 14 Arbeiten
über Holz, Blattmenge und Zuwachs. Im Laufe der Zeit kamen 91 Beiträge in den
Mitteilungen1 zusammen, alles direkt oder indirekt Beiträge zur Verbesserung des
Ertrages in der Waldnutzung. Ertragskundliche Erkenntnisse sind auch Grundlagen für die Entwicklung effizienter Inventuren, die für eine nachhaltige Bewirtschaftung nötig sind. Auch wenn man die Nachhaltigkeit über die Grössen wie
Stammzahl, Grundfläche und Volumen hinaus versteht, ist es die Ertragskunde,
die über die Methoden zur Beschreibung von Waldstrukturen und ihrer Veränderungen, auch in Bezug auf Veränderungen des Standortes, Lösungsansätze und
Antworten geben kann. Wohl die wesentlichste Antwort auf die im Titel gestellte
Frage ist diese: Wälder sind ausserordentlich anpassungsfähige Ökosysteme, aufgebaut aus Bäumen, die ihrerseits anpassungsfähige Organismen sind.
Thema das erst etwas später an der
Versuchsanstalt von Engler aufgegriffen wurde. Hingegen finden sich schon
einige Gedanken über die Durchforstung. Da er nur in einem beschränkten Standortsspektrum aktiv war , war
für ihn auch die F rage der StandortLeistungs-Beziehung nicht sehr wichtig. Aktuelle Fragen wie das «Waldsterben» und der Klimawandel, F ragen,
mit denen sich die Ertragskunde der
WSL und die daraus hervorgegangenen bzw. auf deren Erkenntnissen und
Methoden aufbauenden anderen F orschungsrichtungen beschäftigten und
beschäftigen, waren für Meister noch
keine Probleme.
2 Was ist Ertragskunde?
1 Einleitung
1883 publizierte Ulrich Meister , Stadtforstmeister in Zürich, sein Buch über
die Stadtwaldungen von Zürich, das
1903 in einer zweiten, erweiterten Auflage erschien (M EISTER 1903). Offensichtlich waren die Stadtwaldungen vor
etwas mehr als 100 Jahren für die Stadt
noch von so grosser Bedeutung , dass
man einen Wirtschaftsplan, der mit einer ausführlichen Waldgeschichte und
einer lokalen Ertragstafel angereichert
wurde, als Buch publizieren konnte .
Die Stadtwaldungen und insbesondere
der Sihlwald waren wichtig als HolzRessource. An der Gestaltung der
zweiten Auflage war der erste Ertragskundler der WSL, Philipp Flury , mit
beteiligt, jener , der als erster wissenschaftlicher «Adjunkt» die Ertragskun1
Mitteilungen der Eidg. Forschungsanstalt
für Wald, Schnee und Landschaft, heute
Forest Snow and Landscape Research
http://www.wsl.ch/publikationen/reihen/
mitteilungen_DE
de an der WSL, die damals einen grossen Teil der Versuchsanstalt-Aktivitäten ausmachte, mit Elan initiierte. «Die
Durchführung eines intensiven, nachhaltigen F orstbetriebes hat als erste
Voraussetzung die genaue F eststellung
des jährlichen Hiebsatzes …», so M EISTER (1903). Einen Wald kann man nur
nachhaltig bewirtschaften, wenn man
über einigermassen präzise Daten zu
seinem Zustand und den in ihm ablaufenden Veränderungen verfügt. Die
einfachste F orm der Nachhaltigkeitskontrolle über die Fläche bzw . die Flächenanteile von Entwicklungsstufen
oder Altersklassen bedingt, dass man
auch Informationen über die Entwicklungsgeschwindigkeit, d. h. über das
Wachstum der Bestände hat. Die ersten ertragskundlichen Projekte waren
denn auch in erster Linie darauf ausgerichtet, zuverlässige Daten über das
Wachstum der wichtigsten Baumarten
zu erhalten.
Was Meister in seinem Buch auffallend wenig kritisch beschäftigt, sind die
Baumarten bzw. die Provenienzen, ein
Im ersten «Allgemeinen Arbeitsprogramm 1888» der
Versuchsanstalt
(WULLSCHLEGER 1985) steht unter
dem, was wir heute als Ertragskunde
oder Waldwachstumsforschung bezeichnen, unter «I. Zuwachsuntersuchungen» mit zehn Präzisierungen,
z. B.
– «zum Zwecke der Aufstellung von
Ertragstafeln» für zwölf Baumarten,
– in «gemischten Beständen»,
– im «Plenterwalde» u. a., aber auch
– «Durchforstungsversuche» und
– «über die Genauigkeit der verschiedenen Aufnahme-Methoden».
In diesem Arbeitsprogramm fehlt der
Begriff «Ertrag» noch, der in anderen
Definitionen vorkommt:
– «Der Ertragskunde ist die Aufgabe
gestellt, das quantitative
Ausmass
der W achstumsvorgänge im W alde
im Zusammenhang mit der Zeit,
dem Standort und den technischwirtschaftlichen Massnahmen des
Menschen zu erforschen» (A SSMANN
1961).
68
– «Das Sachgebiet Ertragskunde analysiert Wachstum und Ertrag der
wirtschaftlich bedeutenden Baumarten …» (Niedersächsische Forstliche
Versuchsanstalt, Göttingen, zitiert in
ZINGG 2005a).
In den letzten J ahrzehnten des letzten
Jahrhunderts wird der Begriff zunehmend z. B. durch «W aldwachstumsforschung» ersetzt. Ökologische F ragestellungen und «die inneren Zusammenhänge verschiedener Wachstumsfaktoren» (siehe Z INGG 2005a) werden
untersucht und die Modellierung
nimmt einen wichtigen Platz ein, nicht
zuletzt dank der zunehmenden Möglichkeiten, welche die elektronische
Datenverarbeitung bietet. Mit der
Schwankung der Holzpreise wird
plötzlich auch der «Ertrag», das wirtschaftliche Ergebnis und damit die
Frage nach der Nachhaltigkeit wieder
interessant. Nichts desto trotz kann
«Ertrag» auch weiter gefasst werden:
andere F ormen der Wald-«Nutzung»,
wie z. B. Schutzwirkungen oder Naturschutzaspekte, deren wirtschaftlicher
Wert schwieriger zu quantifizieren ist,
können in F ragestellungen bzw . Projekten der Ertragskunde eine Rolle
spielen. Gegenüber dem reinen Monitoring unterscheiden sich ertragskundlich-waldwachstumskundliche V ersuche durch die frühere oder aktuelle aktive und kontrollierte Beeinflussung
der Waldbestände als Teil des Versuchs.
Einige grundsätzliche Gedanken zum
Wesen der Ertragskunde bzw . zur Erforschung des Waldwachstums sind angebracht: In der ertragskundlichen
Forschung spielte der Ertrag – also das
wirtschaftliche Ergebnis – immer eine
wichtige Rolle . Ertragskunde beschäftigt sich also mit dem Wachstum von
Bäumen, v.a. aber von Waldbeständen
im Hinblick auf deren Nutzung . Daraus ergibt sich, dass die Bestandeszusammensetzung, d.h. die Frage der Zusammensetzung nach Baumarten und
nach Baumdimensionen, der Struktur ,
und die F rage nach dem Einfluss der
waldbaulichen Behandlung auf das
wirtschaftliche Ergebnis ebenfalls von
Bedeutung sind. Daraus wiederum
folgt zwangsläufig die Tatsache, dass
sich die Ertragskunde mit dem Problem der Langfristigkeit der Abläufe
in Waldbeständen auseinander setzen
muss: 30- bis 40jährige Versuche mit
Forum für Wissen 2009
Pappeln ( Populus L.) oder mit Kastanien-Niederwald (Castanea sativa Mill.)
stehen 250- bis 500jährigen Entwicklungen in subalpinen Gebirgswäldern
gegenüber. Dies führte schon bei Flury
am Anfang der ertragskundlichen F orschung der WSL zu K onzepten, die es
erlaubten, auch kürzerfristig zu Ergebnissen zu kommen: Flurys Versuchsflächen in F ichten- und Buchenbeständen, die z. T. nur einmal gemessen wurden und damit immer nur einen
Zustand und einen Eingriff beschrieben, entsprechen dem durchaus zeitgemässen Konzept der Wuchsreihen bzw.
den Chronosequenzen. Aus diesen einmaligen und relativ kurzfristigen Aufnahmen konnte Flury das erste schweizerische Waldwachstumsmodell für die
Fichte ( Picea abies [L.] H. Karst.) in
Tief- und Berglagen und für die Buche
(Fagus sylvatica L.) konstruieren, die
ersten schweizerischen Ertragstafeln
(FLURY 1907). Über ein Waldwachstumsmodell zu verfügen, ist gut, aber
damit sind nicht alle Probleme gelöst.
Versuchsanlage
Ertragskundliche Modelle , seien es
nun Ertragstafeln, wie jene von F LURY
(1907) oder die von B ADOUX (1983a, b,
c, d) sind nur so gut und präzis wie die
Daten, die als Grundlage für die Erstellung des Modells verwendet wurden. Diese sind immer ein Ausschnitt
aus der Wirklichkeit und damit auch
aus der Zeit. Ertragstafeln sind in Bezug auf Veränderungen der Standorte
eher statisch und bilden mittlere klimatische Einflüsse aus der Zeit der Datenerhebung ab . Aber auch moderne
Waldwachstumsmodelle, in denen z. B.
Standortsveränderungen mit in die
Modellbildung einbezogen werden und
die solche berücksichtigen können,
sind nur beschränkt fähig , alle in der
Natur möglichen Szenarien abzubilden. Es ist deshalb unabdingbar , Waldwachstumsmodelle periodisch zu überprüfen und zu verbessern. Damit wird
die W aldwachstumsmodellierung als
ein Ergebnis der Ertragskunde bzw .
der Waldwachstumsforschung zu einem Regelkreis (Abb. 1).
Datenerhebung
Analyse
Modell-Überarbeitung
Modell-Bildung
Modell-Anwendung
Überprüfung des Modells
Datenerhebung
Analyse
Abb. 1. Regelkreis der Waldwachstumsmodellierung.
Forum für Wissen 2009
3 Was ist Nachhaltigkeit?
«Das K onzept der Nachhaltigkeit beschreibt die Nutzung eines regenerierbaren Systems in einer Weise, dass dieses System in seinen wesentlichen Eigenschaften erhalten bleibt und sein
Bestand auf natürliche Weise nachwachsen kann.» 2 Nachhaltige Nutzung
kann sich in der Regel auf einen klar
definierten, beschränkten Raum beziehen; zeitlich ist die Betrachtung aber
unbeschränkt.
Die Nachhaltigkeit ist wohl keineswegs von den Förstern erfunden worden, aber der Begriff kommt im Zusammenhang mit der Nutzung des Waldes sehr früh auf: F ragen nach der
produktiven Leistungsfähigkeit von
Wäldern traten vermutlich zum ersten
Mal dann auf, als es für den Wald nutzenden Menschen mühsam wurde , an
das benötigte und begehrte Rohmaterial heranzukommen, also nachdem die
Wälder bereits übermässig genutzt
worden waren und Holz für den «täglichen» Bedarf zu einem knappen Gut
wurde. Dies dürfte je nach Region, Bevölkerungsdichte und Art der Holzverwendung zu unterschiedlichen geschichtlichen Zeiten der F all gewesen
sein. Letztlich kann man diese Zeitpunkte damit charakterisieren, als dazumal die fehlende «Nachhaltigkeit» –
zwar nicht als Begriff und als solche
bezeichnet – ins Bewusstsein gedrungen sein muss . Nebst anderen historischen Hinweisen auf Überlegungen
zur nachhaltigen Bewirtschaftung von
Wäldern legte z. B. Philippe de Valois
1346 fest, dass die Wälder «dauernd» in
einem guten Zustand gehalten werden
müssten; Ziel war die nachhaltige Versorgung mit Eichenholz für den
Schiffsbau. Charles IX, der von 1560
bis 1574 regierte, verlangte ein «rendement soutenu» der königlichen Wälder
(BALLU 2007). Vorschriften zur schonenden und in irgendeiner F orm nachhaltigen Waldnutzung lassen sich über
den ganzen Zeitraum bis C ARLOWITZ
(1713) finden, auch in der Schweiz (z.
B. S TUBER 1997). Darin werden häufig
Nutzungseinschränkungen verfügt, indem zum Beispiel die Umtriebszeit
oder ein minimaler Durchmesser für
die Ernte festlegt wird. Solchen Bestimmungen lagen jeweils kaum gründliche Kenntnisse über die Leistungsfähigkeit von Waldbeständen zugrunde –
69
ein Zustand, dem wir uns heute , im
Zeitalter der abgeschafften Forstinventuren, wieder annähern. Ende des vorletzten Jahrhunderts war die nachhaltige Versorgung mit Holz eines der Ziele
MEISTERS (1903) bei der Erarbeitung
seines Wirtschaftsplanes für Zürich. Er
hat dies mit Hilfe eines ertragskundlichen Instrumentariums zu erreichen
versucht.
4 Langfristige Forschung –
oder die Relativität von
Alter und Zeit
Das Zeitempfinden ist relativ. In Bezug
auf Bäume und Waldbestände hat Zeit
und Alter eine Bedeutung , die mit unserer Wahrnehmung nur wenig korreliert. Kurzlebige Bäume wie Pappelarten werden 50 J ahre alt – mehr als ein
halbes Menschenalter . Von den mehr
als 4000 Jahre alten Grannenkiefern in
den USA will ich gar nicht reden. Völlig ausreichend, um den Gegensatz
darzustellen, ist die über 300-jährige
Tanne Nr . 165 in der Versuchsfläche
01-030 Lauperswil BE, Dürsrüti, ein
Baum mit einem Durchmesser von
156,4 cm (2004) (Abb . 2). An einer
1974 gefällten Tanne mit einem Durchmesser von 158 cm wurden 377 Jahrringe gezählt. Die Tanne 165 dürfte somit
zwischen 1600 und 1650 gekeimt haben. Sie hat im Durchschnitt 2,1 mm
breite Jahrringe gebildet.
Das Durchmesserwachstum der Tanne 165 war bei Versuchsbeginn und bis
in die 1940er J ahre fast doppelt so
gross wie der durchschnittliche Zuwachs aller Tannen im gesamten Beobachtungszeitraum und liegt heute, trotz
ihrem Alter, bei 64 % des durchschnittlichen Zuwachses. Die in Abbildung 2
ebenfalls dargestellten Tanne 2460 und
Fichte 240 zeigen das umgekehrte: eine
lange Zeitdauer mit einem sehr kleinen Wachstum – im F alle der F ichte
fast ohne Wachstum – und eine markante Steigerung , die scheinbar unabhängig vom Alter verläuft.
Die Versuchsanstalt hat 1902 unter
Engler begonnen, Provenienzversuche
anzulegen: 77 Parzellen mit F
ichten
(Picea abies [L.] H. Karst.), 123 mit
Föhren ( Pinus sylvestris L.), 92 mit
Lärchen ( Larix decidua Mill.), 38 mit
Buchen (Fagus sylvatica L.) und 20 mit
Eichen (Quercus L.) u. a. Diese werden
z. T. bis heute beobachtet. Im Durchschnitt betrug die Beobachtungsdauer
nur 45 Jahre. Grund dafür sind die z. T.
kleinen Parzellen mit relativ wenigen
Pflanzen für sehr viele verschiedene
Provenienzen. Einzelne Versuche, zum
Beispiel für die Föhre , wurden in den
Jahren 1908 bis 1915 mit denselben
Provenienzen auf verschiedenen Standorten angelegt, damals ein sehr fortschrittliches Konzept. Am Beispiel des
Versuchs 12-002, angelegt 1908/1909,
kann die Problematik der Zeit bzw. der
Beobachtungsdauer gut dargestellt
werden: Es liegen Ergebnisse für das
Alter 33 (B URGER 1931), 44, 67 und 81
vor. In einer bisher nicht veröffentlichten Auswertung3 wird versucht, Wachstums- und Qualitätskriterien mit einer
Indexierungsmethode gemeinsam auszuwerten, die als Ergebnis einen Wertindex pro Provenienz ergibt.
Diese
Wertindices werden dann in einer relativen Rangzahl abgebildet. Das Ergebnis ist in Abbildung 3 dargestellt: auffallend und in diesem Zusammenhang
interessant ist die Tatsache, dass sich
Ergebnisse in der Rangierung mit zunehmender Bestandesentwicklung, d. h.
zunehmendem Alter stark verschieben
können, d. h. dass Provenienzversuche
unbedingt so angelegt werden sollten,
dass sie den wirtschaftlichen Umtriebszeiten bzw . einer «W irkungsdauer»
(bei nichtwirtschaftlichen F ragestellungen) der Baumarten entsprechen,
da ansonsten mit schwerwiegenden
Fehlinterpretationen zu rechnen ist.
Nicht verschwiegen werden soll hier
die Entwicklung der nördlichsten Provenienz J ockmock (Lappland, Schweden), die sich im Alter 81 an die Spitze
setzt. Bei der Überprüfung der Messdaten und einem Blick in die Bestandesbeschreibungen, die bei jeder Auf-
2
Deutscher Bundestag , 14. Wahlperiode:
Schlussbericht der Enquete-K ommission
Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten. Drucksache 14/9200, 12. Juni 2002, zitiert nach
Wikipedia
3
Bernadzki, F.; 1990: Föhrenprovenienzversuch. Erste Auswertungen der Flächen
Eglisau und Grandval. Manuskript.
70
nahme gemacht werden, findet sich eine Notiz des Versuchsleiters Badoux:
Die Provenienz Jockmock sei vollständig ausgefallen und die lokale Provenienz Eglisau habe sich erfolgreich eingestellt.
Langfristige F orschung bedeutet
nicht, dass im Laufe der Beobachtung
nicht schon Schlüsse gezogen werden
können (K EELING 2008). Bereits erwähnt ist das K onzept der Wuchsreihen oder Chronosequenzen. Dass diese K onzepte aber nicht die weitere
Beobachtung der Versuchsflächen überflüssig machen, zeigt das Beispiel der
Buchen-Ertragstafeln. Der grösste Teil
der Daten stammt von den Versuchsflächen, die Flury nach 1886 angelegt
hat und die zu Durchforstungsversuchen nach verschiedenen Durchforstungsarten gehörten. Bis 1910 lagen
Daten von 187 Buchen-V ersuchsflächen vor, 1920 waren es noch 91, 1940
noch 45, 1960 noch 22, heute sind es
noch 5 mit Bestandesaltern zwischen
137 und 148 J ahren. Diese Bestandesalter entsprechen etwa der Hälfte des
Alters, das Buchen erreichen können.
Hingegen liegen sie über dem
Alter
Forum für Wissen 2009
wirtschaftlicher Umtriebszeiten. Flurys
Bonitierung in die Ertragsklassen I bis
V basiert auf der Lorey-Höhe , d.h. auf
der mit der Grundfläche gewichteten,
mittleren Höhe. Badoux verwendet die
mittlere Höhe der 100 dicksten Stämme pro Hektar , die sog . Oberhöhe
hdom. Da die Höhenentwicklung von
der Art der Durchforstung wenig beeinflusst wird (K RAMER und A KÇA
1995), konnte B ADOUX (1983a, b, c, d)
ohne weiteres die Oberhöhe zur Bonitierung her anziehen (Abb. 4). Badoux
hatte aber nur wenige Daten von Versuchsbeständen mit Alter über 100 Jahren zu Verfügung. Deswegen konnte er
das Phänomen, nämlich dass die Oberhöhenentwicklung seine Modellvorstellungen übertrifft, noch gar nicht
feststellen. Dies wurde nur sichtbar ,
weil die Versuchsflächen auch nach der
Erstellung der Ertragstafeln weiter beobachtet wurden.
Als letztes Beispiel zur Illustration
der Bedeutung der Zeit in ertragskundlich-waldwachstumskundlichen
Versuchen mag die Entwicklung des
Zuwachses in den Plenterwaldflächen
des Emmentals dienen. Zwischen 1905
und 1931 wurden im Emmental an acht
Standorten Versuchsflächen in Plenterwäldern unterschiedlichen Zustandes
angelegt, z. T. ergänzt mit gleichaltrigen
Vergleichsflächen. W eitere Plenterwaldflächen wurden im gleichen Zeitraum in den Vor- und Hochalpen eingerichtet. Zweck dieser Versuche war
es einerseits , das Wachstum bzw . die
Leistung der Plenterwälder an sich und
andererseits im Vergleich zu gleichaltrigen, gleichförmigen Wäldern zu erarbeiten. Die Diskussion darüber dauert
heute an (Z INGG et al. 2009). W enn
man nach 75 J ahren Plenterwaldforschung entschieden hätte , die weitere
Beobachtung der Versuchsflächen einzustellen, hätte man wohl festgestellt,
dass die Plenterwälder die Witterung,
v. a. die Niederschläge relativ gut abbilden und dass ein leichter Trend zu einer Zunahme des Zuwachses festzustellen sei (Abb . 5). Ausserdem seien
die relativ grossen, stammzahlreichen
Versuchsflächen aufwändig . Damit
hätte man aber die in den 1980er J ahren auftretenden, stark zunehmenden
Zuwächse (Z INGG 1996) nicht feststellen können. Plenterwälder können,
Tanne 165, d1.3 = 121,7 / 156,5
18
Tanne 2460, d1.3 = 23,9 / 53,5
Durchmesserzuwachs id1.3 [ mm a–1]
16
Fichte 240, d1.3 = 20,7 / 43,7
14
12
10
8
6
4
2
0
1900
1920
1940
1960
Jahr [a]
1980
2000
2020
Abb. 2: Tanne 165, Versuchsfläche Dürsrüti 001-030.001. Die Tanne hat im Sturm Lothar im Dezember 1999 ihren Hauptgipfel verlor en,
worauf bereits existierende Nebengipfel sichtbar wurden. Rechts ist der Verlauf des Durchmesserzuwachses der Tanne 165 (hellgrü n) im
Vergleich zur Tanne 2460 und zur F ichte 240, zwei Bäume unbekannten Alters in der Aufwuchsphase nach einem längeren Unterdrükkungszeitraum. Bei Tanne 165 ist der Zuwachseinbruch Ende der 40er J ahre des letzten J ahrhunderts gut sichtbar (vgl. dazu Z INGG und
BÜRGI 2008). Weniger gut erklären lässt sich jener in den 80er Jahren. In der letzten Periode (1997–2004) ist der Zuwachs wieder aufdas Niveau der 1940er Jahre gesunken.
Forum für Wissen 2009
71
110
105
100
95
90
85
80
75
70
Relative Rangzahl
wenn sie sich einigermassen in einem
Gleichgewicht befinden, als nachhaltig
betrachtet werden (Z INGG et al. 2009).
Sie befinden sich bei aller Dynamik,
die in diesen Beständen stattfindet,
über die Zeit betrachtet, in einem immer ähnlichen Zustand – in einem
Plentergleichgewicht – und werden
durch die Eingriffe in diesem Zustand
gehalten. Sie sind deshalb besonders
gut geeignet,
Veränderungen des
Standortes festzustellen. PlenterwaldVersuchsflächen können so zu Langzeitbeobachtungen verwendet werden,
wie sie K EELING (2008) fordert, wenn
auch die Auflösung der Daten nicht
jährlich ist. Dieser Mangel kann mithilfe der J ahrringforschung zumindest
teilweise kompensiert werden. Letztere kann aber die ertragskundliche Erfassung der Bestandesentwicklung
nicht ersetzen. Auch dieses Beispiel
zeigt, dass langfristige Entwicklungen
zuverlässig nur mittels Langzeit-Beobachtungen erfasst werden können. Sie
stellen eine wichtige Grundlage dar ,
um die in Zukunft allenfalls zu erwartenden Umweltveränderungen zu erfassen und zu verstehen.
65
60
55
50
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
–5
33
44
67
81
Alter [a]
Ostpreussen (P) - 48
Rigi 800 m - 11
Rigi 500 m - 10
Rothenbruch (F) - 224
Königsbrück (F) - 131
Eglisau - 17
Ochansk (RUS) - 50
Soloer (N) - 16
Königsbrück (F) - 31
Smaland (S) - 26
Ochansk (RUS) - 150
Limburg (B) - 46
Tiefencastel - 5
Jockmock (S) - 50
Kloten (S) - 27
Bonaduz - 115
Rigi 1150 m - 12
Ural - 151
Tiefencastel (schlecht) - 6
Eglisau (schlecht) - 117
Osco 1400 m - 39
Osco 1200 m - 38
Bonaduz - 15
Bonaduz (schlecht) - 416
Bonaduz - 215
Bonaduz (15,115,215) - 315
Osco 1700 - 40
Cantal (F) - 42
Cantal (F) - 47
Abb. 3. Föhrenprovenienzversuch 12-002 Eglisau: Relative Rangzahl des Wertindexes aus,
Baumhöhe, Durchmesser Stammqualität.
Oberhöhenentwicklung in Buchenversuchsflächen
45
40
hdom [m]
35
30
25
20
15
10
5
0
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
200
Sihlwald
Sihlwald II. Bonität
Alter [a]
Abb. 4. Oberhöhenfächer der Ertragstafel BADOUX (1983d) und Oberhöhenentwicklung in den Buchen-Versuchsflächen. Grün die Höhenentwicklung der Buche nach Meisters Ertragstafel für den Sihlwald, gelb die Oberhöhenentwicklung auf den Versuchsflächen 41-101, 41102, 41-112 und 41-113 im Sihlwald, hellblau die Messungen nach 1964, die Badoux nicht mehr zur Verfügung standen.
72
Forum für Wissen 2009
18
Derbholzzuwachs I V7 [m3 ha–1 a–1]
16
Regression 1908–2000
y = 0.0345x – 56.017
R2 = 0.5417
14
12
10
Regression 1908–1980
y = 0.0129x – 14.203
R2 = 0.1417
8
6
1900
1920
Mittelwert
1940
Streuung
Jahr [a]
1960
1980
2000
bis 1980
Abb. 5. Durchschnittlicher Derbholzzuwachs I V7 in m 3 ha–1 a–1 der Emmentaler Plenterwaldflächen mit linearem Ausgleich bis 1980 bzw. bis 2000.
5 Was lehrt uns die
Ertragskunde?
5.1 Grundlage der forstlichen
Planung
Die Ertragskunde hat in den letzten
120 J ahren die Grundlagen für die
Waldwachstumsmodelle für Reinbestände aus F ichte, Buche , z. T. Tanne
und Lärche (B ADOUX 1983a–c) erarbeitet. Diese Daten fanden und finden
immer noch Eingang in moderne
Waldwachstumsmodelle wie z. B. in
FBSM (L EMM 1991; E RNI und L EMM
1995), SiW aWa (S CHÜTZ und Z INGG
2007), aber auch in Waldwachstumsmodellen aus dem Ausland wie Silva2
(in P RETZSCH 2001) und MOSES
(HALLENBARTER et al. 2005). W aldwachstumsmodelle, früher meist in
Form von Ertragstafeln, sind Hilfsmittel, die es erlauben, Prognosen über die
Entwicklung von Waldbeständen und
ganzen Forstbetrieben zu machen, und
die es ermöglichen, in F orstbetrieben
zu planen (R AMP 1986). Die Möglichkeit zu planen, ist wohl eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine nachhaltige Bewirtschaftung.
Auf dieser Standort-Leistungs-Beziehung basieren auch die beiden ertragskundlichen Bonitätsschlüssel von
KELLER (1978, 1979), die es erlauben,
über den Zusammenhang von einfachen Standortsparametern, definierten
Vegetationseinheiten und Wachstumsdaten ertragskundlicher Versuchsflächen die Gesamtwuchsleistung auf vielen Waldstandorten der Schweiz zu
schätzen, wenn entsprechende gemessene Daten, wie z. B. im ersten Landesforstinventar LFI (EAFV 1988), fehlen.
Langfristig werden Grossrauminventuren wie das LFI ebenfalls Datengrundlagen zu den Standort-Leistungs-Beziehungen liefern können.
5.2 Grundlage für die Beschreibung
der Leistungsfähigkeit von
Baumarten und Standorten
Ein wichtiger Aspekt in der Planung ist
die Beurteilung der Leistungsfähigkeit
eines Standortes . In der forstlichen
Forschung wurde der Zusammenhang
zwischen Standort und
Wachstum
schon früh erkannt.
Als messbare
Grösse für die «Bonität» einer Baumart auf einem gegebenen Standort wird
in den Ertragstafeln von B
ADOUX
(1983a–d) die Oberhöhe h dom verwendet, eine Idee , die auf das sog . E ichhorn’sche Gesetz (E ICHHORN 1904) zurückgeht, welches besagt, «dass einer
bestimmten mittleren Bestandeshöhe
durch alle Standortsklassen die gleichen Bestandesmassen entsprechen»
(zit. nach A SSMANN 1961). A SSMANN
(1961) wies allerdings auch darauf hin,
dass in
Abweichung vom Eichhorn’schen Gesetz die Gesamtwuchsleistung bei gleicher Oberhöhe verschieden hoch ausfallen kann. Er nannte diese Streuung «Ertragsniveau», ein
Phänomen, das zeigt, dass ertragskundliche Zusammenhänge recht komplex
sein können.
5.2 Baumarten und Provenienz
Die Ertragskunde hat zahlreiche Versuche zur Provenienzfrage mit den
Baumarten F ichte, Föhre , Lärche ,
Bergföhre, Tanne, Buche , Eiche und
Bergahorn angelegt und damit der
Provenienzfrage in der Schweiz zum
Durchbruch verholfen. Im Zusammenhang mit den Standortsveränderungen,
die für die nächsten Jahrzehnte als Folge des Klimawandels vermutet werden, dürften sich Baumarten- und damit verbunden Provenienzfragen neu
und vermehrt stellen. Gerade im Hinblick darauf ist es unbedingt erforderlich, dass neue Provenienzversuche ,
wie sie von verschiedenen F orschungsinstitutionen gegenwärtig geplant werden, die Beschränkungen, die aus den
bisherigen Versuchen bekannt sind,
vermeiden und insbesondere die Parzellengrösse im Hinblick auf eine notwenige Beobachtungsdauer von mindestens 50 bis 100 Jahren zu wählen.
5.4 Durchforstung –
Massenleistung – Wertleistung
Nebst der Frage nach der Leistung von
Beständen stellt sich die F rage nach
der Beeinflussbarkeit der Bestandesentwicklung durch waldbauliche Eingriffe. Zahlreiche Versuchsflächen der
Baumarten F ichte und Buche , aber
auch Mischbestände, wurden nach dem
«Arbeitsplan des Vereins der F orstlichen Versuchanstalten von 1902» (ASSMANN 1961) nach unterschiedlichen
Durchforstungsgraden A, B, C , D und
Forum für Wissen 2009
H, behandelt. Die Massen- und Wertleistung der einzelnen Durchforstungsarten konnte auf diese Weise im Vergleich zum «A-Grad», in dem nur das
Dürrholz entfernt wurde , beurteilt
werden. Wenn auch heute in der
Schweiz kaum noch Zweifel darüber
bestehen, dass zumindest mit der Auslesedurchforstung nach S
CHÄDELIN
(1934) und L EIBUNDGUT et al. (1971),
die etwa dem H-Grad entspricht, die
besten Ergebnisse bezüglich Wertleistung erreicht werden, stellt sich heute
die F rage nach der besten Massenleistung neu bei der Energieholzproduktion: durch welche Art der minimalen
Durchforstung kann ein
Verlust an
Biomasse durch Mortalität am besten
vermieden werden? Selbstverständlich
kann dieser F rage mit Hilfe von
Modellen, die auf vorhandenen Daten
aufbauen, nachgegangen werden. Eine
seriöse Überprüfung der Modellergebnisse und die Ergänzung der Grundlagen dort, wo Daten fehlen, erfordert
aber die weitere Beobachtung von
bestehenden und sogar von neuen ertragskundlichen Versuchen.
5.5 Mischbestände und naturnaher
Waldbau
Auch forstliche Modeerscheinungen
unterliegen Zyklen. So wurde die
Mischbestandesfrage in der Schweiz
u.a. von Engler und von Biolley für
den Plenterwald aufgegriffen und von
Burger und anderen weitergeführt
(dargestellt in ZINGG 1999). Als Spezialfall der Mischbestandesfrage hat die
Ertragskunde in der ersten Hälfte des
letzten J ahrhunderts ein Versuchsflächennetz zur Plenterung angelegt und
dieses in den letzten J ahren gezielt erweitert. Die Diskussion in den letzten
Jahrzehnten des 20. J ahrhunderts um
einen Waldbau in ungleichaltrigen Beständen hat zu einem vermehrten Interesse an den Plenterwald-V ersuchsflächen der WSL-Ertragskunde geführt
(z. B. O’HARA et al. 2007). Da die meisten Plenterwald-V ersuchsflächen auf
Standorten des Buchen-T annen-Waldes stocken, das Interesse an dieser
Form der Waldbewirtschaftung aber
auch in den Laubwaldgebieten und im
subalpinen Bereich auf Interesse
stösst, hat die WSL-Ertragskunde in
Wäldern dieser Gebiete neue
Ver-
73
suchsflächen angelegt, die wegen den
komplexen Bestandesstrukturen in der
Regel relativ gross und damit aufwändig sind. In der subalpinen Höhenstufe
ist die
Wachstumsgeschwindigkeit
langsam, sodass dort zusätzlich zu den
Flächengrössen mit einer langen Beobachtungsdauer zu rechnen ist, um gesicherte Daten zu erhalten.
5.6 Daten für die Entwicklung von
Waldentwicklungsmodellen
Die langfristigen Daten der Ertragskunde wurde in den letzten J ahren zur
Validierung von Waldwachstumsmodellen mehr ökologischer Ausrichtung
herangezogen. DIDION et al. (2009) verbesserte das Gap-Modell F orClim und
verwendete dazu Daten von
WSLVersuchsflächen. W EHRLI et al. (2005
und 2006) benützten ertragskundliche
Daten, um die Entwicklung der Bestandesstruktur eines Schutzwaldes im
Gebirge im Hinblick auf die Schutzwirkung gegen Steinschlag zu prognostizieren. V IENNE et al. (2008) bearbeiteten ähnliche F ragen mit Daten von
Buch endurchforstungsversuchen an
steilen Hängen. S CHMID et al. (2006)
evaluierten das Waldwachstumsmodell
SILVA (P RETZSCH 2001) anhand von
Ertragskundedaten in Bezug auf seine
Anwendbarkeit für schweizerische Verhältnisse. Ebenso wurden Ertragskundedaten der WSL für die Validierung
des österreichischen Modells MOSES
(HALLENBARTER et al. 2005) verwendet
und eine
Anpassung des Modells
BWINPro (N AGEL et al. 2002) für die
Praxisanwendung in der Schweiz ist
vorgesehen.
5.7 Ertragskundliches Know-how in
aktuellen Fragen
Die Ertragskunde hat in speziellen
Fragen mit ihrem Know-how jeweils
entscheidend zu aktuellen Themen beitragen können, so z. B. beim Auftreten
des Kastanienrindenkrebses mit den
grossen Versuchsaufforstungen in Copera (siehe z. B. B UFFI 1987) und beim
«Waldsterben», indem auch auf den
Versuchsflächen die damals als gültig
angesehenen Erhebungsmethoden angewendet und z. T. ausgewertet wurden. Aktuell stellt sich auch die F rage
nach der maximalen bzw . optimalen
Eingriffsstärke im Gebirgswald im
Hinblick auf sich daraus ergebenden
zukünftigen Strukturen bzw . die allenfalls notwendigen waldbaulichen Eingriffe. Die Ertragskunde kann mit ihren qualitativ einwandfreien, langfristigen Daten, v . a. mit jenen aus den
«alterslosen» Plenterwaldflächen, zu
aufkommenden Fragen im Zusammenhang mit dem Klimawandel Antworten
liefern (ZINGG 1996; ZINGG und BÜRGI
2008). Ertragskundliche Versuchsflächen können auch für vertiefte Untersuchungen genutzt werden.
6 Voraussetzungen und
Bedingungen
Langfristige Waldforschung ist mit hohen Ansprüchen an die K ontinuität
verbunden. Änderungen der Methoden sind praktisch nicht oder nur in
sehr geringem Umfang möglich, Ergänzungen dagegen schon. Eine hohe
Kontinuität bedingt auch einige methodische Erfordernisse. So sind die zu
messenden Bäume nummeriert, die
Messstellen sind markiert und die Versuchsflächen sind vermessen. Wohl das
wichtigste sind aber die Mitarbeiter .
Aus den Angaben im Archiv lässt sich
feststellen, dass die Erhebungen auf
den ertragskundlichen
Versuchsflächen mit wenigen
Ausnahmen von
denselben, langjährigen und qualifizierten Mitarbeitern durchgeführt wurden und dass die Betreuung und Leitung der Ertragskunde der WSL ebenfalls in der
Verantwortung von
Forschern lag, die über längere Zeit ihre Spuren an der Versuchsanstalt hinterlassen haben. Die von «K ometen»
angelegten Versuche entsprechen bezüglich Präzision nicht immer dem
Standard – z. T. ist nicht einmal mehr
bekannt, wo sich diese Versuchsflächen
befanden.
Nicht zuletzt wird auch immer wieder die F rage nach den K osten aufgeworfen, bei denen vermutet wird, dass
sie sehr hoch sein müssen. Der Zeitaufwand der Mitarbeiter, welche die Messungen in den Versuchsflächen durchführen, dürfte der Hauptkostenfaktor
sein. Damit spielt die Grösse der
Versuchsflächen und die Anzahl zu
messender Bäume eine massgebende
74
Rolle – Grössen die aber nicht beliebig
reduziert werden können, da diese wiederum mit den zu untersuchenden Bestandesstrukturen zusammenhängen.
Stellt man aber die K osten einzelner
Versuchsflächen pro Hektar und J ahr
dem Erkenntnisgewinn gegenüber und
zieht ausserdem noch den Verlust in
Betracht, der entsteht, wenn man die
Vorinvestition früherer Messungen
nicht ausnützt, zählt die Ertragskunde
bei weitem nicht zu den kostenintensiven F orschungsvorhaben (Z INGG
2005b). Gerade die Ausnützung der getätigten Vorinvestitionen durch eine
Weiterführung der Versuche ist angesichts der bei den Entwicklungszeiträumen des Waldes immer unsicheren Zukunft (Z INGG 2001) geradezu ein Imperativ.
Die hier geforderten hohen Ansprüche an die Kontinuität sowohl in personeller als auch finanzieller Hinsicht
bedeuten, dass F
orschungsinstitute,
welche die Ertragskunde – die «langfristige Langzeitforschung» – als ihre
Aufgabe betrachten und die notwendigen Ressourcen dafür bereitstellen, im
Vergleich zu Hochschulinstituten besser geeignet scheinen. Ertragskunde
steht bis zu einem gewissen Grad
im Widerspruch zur gegenwärtigen
Schnelllebigkeit der Forschung.
7 Zur Frage im Titel
Ulrich Meister hätte die im Titel gestellt F rage wahrscheinlich so beantwortet: Die Ertragskunde ist die
Grundlage einer nachhaltigen Ressourcennutzung im Wald! (vgl. dazu
SCHÜTZ 1976) Und er hätte mit dieser
Aussage recht gehabt und die Quintessenz der Ausführungen hier gezogen.
Meisters Betrachtungszeitraum war im
Vergleich zu ertragskundlich-waldwachstumskundlichen Zeiträumen allerdings ein kurzer . Ertragskundlichwaldwachstumskundliche F orschung
kann im Sinne der Titelfrage nur dann
erfolgreich sein, wenn sie Zeiträume
abdecken kann, die weit über jene von
Praktiker- und F orschergenerationen
hinausgehen. Diese Tatsache erfordert
ein sehr hohes Mass an Disziplin der
Beteiligten, damit die unbedingt erforderliche zeitliche K ontinuität gewährleistet werden kann.
Forum für Wissen 2009
Viele ertragskundliche-waldwachstumskundliche V ersuche beschäftigen
sich mit Bäumen erst ab einer gewissen
Dimension. Ertragskundliche Versuche
sind aber immer auch waldbauliche
Versuche (Z INGG 2005a). Gerade in
den ungleichaltrigen Beständen, denen
in den letzten J ahren vermehrt Aufmerksamkeit zuteil wurde, spielt dagegen die Verjüngung eine entscheidende
Rolle, v.a. im Hinblick auf die nachhaltige Nutzung der Ressource Wald, sei
es hinsichtlich Holz, Schutzwirkung
oder der Befriedigung anderer
Ansprüche des Menschen. Gerade im Gebirgswald kann es bis zu einem J ahrhundert dauern, bis aus einem Sämling
ein Baum mit 8 cm Durchmesser geworden ist. Die nachhaltige Verjüngung ist wohl eine der wichtigsten F ragestellungen für die Zukunft der ertragskundlichen F orschung, der eine
hohe Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Für M EISTER (1903) war die
Verjüngung kein Problem: «Sowohl die
Standortsverhältnisse der Sihltalwaldungen, als diejenigen … der
Adlisbergwaldungen sind der natürlichen
Verjüngung in vorzüglicher Art günstig». Im ganzen Kapitel «Bestandesbegründung» wird das Wild mit keinem Wort erwähnt. Ebenso wenig war
eine Klimaveränderung und ihre K onsequenzen ein Thema. Beide F ragen
stellen sich heute aber sehr prominent,
Fragen auf welche die Ertragskunde in
Hinblick auf die nachhaltige Nutzung
in den nächsten J ahrzehnten Beiträge
zu ihrer Beantwortung erarbeiten
muss.
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IELIKÄINEN, K
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76
Forum für Wissen 2009
Abstract
What can we learn from growth and yield research concerning sustainable use of
the resources from the forest?
Growth and yield research is the “long-term” long-term research of WSL: After
the foundation of WSL more than 120 years ago, a network of research plots covering the whole of Switzerland was established by Flury and later also by others .
After only 21 years , which in silvicultural terms has to be considered as a very
short time, Flury published the first yield table for the main species Norway spruce and beech, a basis for a sustainable management. Engler added the plots in
plenter forests and provenance trials and Burger published within 24 years 14
contributions to “wood, leaf area and increment”. With time 91 contributions
came together, all, directly or indirectly, with the aim to improve the yield in forest
management. Last but not least, results from growth and yield research were a
basis to develop efficient forest inventories which are an essential basis for sus tainable management. Even if sustainability is understood broader than described
by the classical dimensions “number of trees, “basal area” and “volume”, it is the
growth and yield research which provides methods to describe forest stand
structures and their changes, also in respect to site . Growth and yield can provide
possible solutions and answers. Maybe the most essential answer to the question in
the title is this: forests are adaptable ecosystems, composed of trees which are for
their part adaptable organisms.
Keywords: growth and yield research,
management, sustainablity
silviculture , long-term research, forest
Forum für Wissen 2009: 77–86
77
Ertragskundliche Dauerversuche – Fragen, Wege,
Antworten
Markus Neumann
Institut für Waldwachstum und Waldbau, BFW-Wien, Seckendorff Gudent Weg 8, A-1131 Wien
markus.neumann@bfw.gv.at
Ertragskundliche Dauerversuchsflächen stellen neben Monitoringflächen und
Waldinventuren die unentbehrliche Grundlage für die Erforschung der Wachstumsfaktoren im Wald dar. Nur die Dauerversuche bieten jedoch die experimentellen Möglichkeiten einer kontrollierten Bestandesbehandlung und nur durch sie
ist die gesamte Wuchsleistung erfassbar. Die Beobachtung erstreckt sich im Idealfall über die gesamte Umtriebszeit eines Bestandes; die langen Zeiträume, in denen Wachstumsvorgänge im Wald ablaufen, bedingen zumindest eine Beobachtung über Jahrzehnte.
Im Laufe der Zeit hat sich der Blickwinkel der forstlichen Forschung – insbesondere durch ökologische und ökonomische Veränderungen – gewandelt. Neue Fragen sind aufgetreten, während andere – vor hundert Jahren sehr wesentliche – in
den Hintergrund gerückt sind. Der Beitrag beschreibt die eingeschlagenen Wege
an Hand der Entwicklung von Versuchsplänen, Messinstrumenten und Aufnahmeverfahren und zeigt bislang erhaltene Antworten.
1 Einleitung
Dauerversuchsflächen sind die Datengrundlage der
Waldwachstumsforschung. Nur Dauerversuche bieten die
experimentellen Möglichkeiten einer
kontrollierten Bestandesbehandlung
und nur sie sind in der Lage , die Gesamtwuchsleistung zu erfassen, was
aufgrund fehlender Vorinformationen
zum ausscheidenden Bestand weder
von temporären noch von permanenten Stichprobeninventuren erbracht
werden kann. Die notwendige Beobachtung von Dauerversuchsflächen erstreckt sich im Idealfall über die gesamte Umtriebszeit eines Bestandes .
Der vorliegende Beitrag soll die Bedeutung der langfristigen Dauerversuche herausstreichen und ihre weitere
Erhaltung sicherstellen.
Versuchsziele sowie die damit verbundenen V ersuchsprogramme für
Dauerversuchsflächen dürfen nicht nur
von den aktuellen ökologischen und
ökonomischen Rahmenbedingungen
abgeleitet werden. Sie müssen auch aus
derzeitiger Sicht noch nicht relevante
Entwicklungen berücksichtigen und
dürfen bestehende Versuchsziele nicht
beliebig gerade aktuellen Zielen oder
Notwendigkeiten opfern. Auf längere
Sicht ergibt sich der Vorteil, dass die
Reaktionsmuster der Bäume bzw . der
Bestände bezüglich neuer F ragestellungen analysiert werden können und
damit auch neue F ragen auf der soliden Basis der gemachten Beobachtungen beantwortbar werden, zum Beispiel ganz aktuell im Zeichen des prognostizierten Klimawandels.
2 Grundlage für waldbauliches Handeln
Seit der Begründung der forstlichen
Ertragslehre bzw . Waldwachstumsforschung stellte diese die im Ökosystem
Wald ablaufenden Wachstumsvorgänge in ihren F orschungsschwerpunkt,
um diese quantitativ und qualitativ zu
erfassen, in Modellen abzubilden und
damit die Grundlage für Waldbauentscheidungen zu liefern (A
SSMANN
1961; PRETZSCH 2002). Dieses Interesse
war wesentlich – aber nicht ausschliesslich – durch die wirtschaftliche Bedeutung der forstlichen Produktion (des
Holzes) bestimmt. Daher standen der
Verlauf des Wachstums über der Zeit
bzw. mit zunehmendem Alter und die
sich ändernden Messgrössen (Baumhöhe, Durchmesser , Kronenradius
usw.) im Zentrum des Interesses.
In Waldbeständen wird der Vorrat
durch das Wachstum nicht nur kontinuierlich vermehrt, sondern durch natürliche Mortalität und Entnahmen
auch verringert. Unter Einrechnung
dieser Vorratsabgänge ergibt die Differenz zwischen zwei Zustandserfassungen den periodischen Zuwachs: je nach
Periodendauer also den jährlichen, den
5- oder 10-jährigen laufenden Zuwachs
(lZ). Das bis zu einem bestimmten
Zeitpunkt insgesamt – unter Einrechnung aller Abgänge – geleistete Wachstum wird als Gesamtwuchsleistung
(GWL) bezeichnet und der daraus bis
zu diesem Zeitpunkt abgeleitete mittlere Zuwachs als durchschnittlicher
Gesamtzuwachs (dGZ). Ein üblicher
Bezugszeitpunkt ist das
Alter 100,
dementsprechend die GWL 100 bzw. der
dGZ100.
Die Beeinflussbarkeit dieser K enngrössen durch Bewirtschaftungsmassnahmen und deren Prognose unter verschiedenen äusseren Bedingungen bilden die Entscheidungsgrundlage für
alle waldbaulichen und forstbetrieblichen Massnahmen. Die Aufbereitung
der Erkenntnisse – anfangs statisch in
Tabellen und Tafelwerken, nun dynamisch in Form von mathematisch-statistischen Modellen – ist Hauptaufgabe
der forstlichen Ertragslehre bzw. Waldwachstumsforschung. Im Wesentlichen
wurden und werden diese Erkenntnisse aus drei Quellen abgeleitet: 1) Stichprobeninventuren, 2) J ahrring- und
Stammanalysen sowie 3) forstlichen
Dauerversuchen. Zwischen diesen drei
Herangehensweisen gibt es Übergänge
und K ombinationen: So ermöglichen
Bohrkernauswertungen auch bei einmaligen Inventuren Zuwachsschätzungen. Die Einbeziehung von dendrochronologischen Informationen ermöglicht
eine jahresspezifische Aufteilung von
periodischen Zuwachswerten in klassischen Dauerversuchen. Mit Wuchsrei-
78
hen kann zwar die zeitliche Abfolge einer Entwicklung ersatzweise in einem
räumlichen Nebeneinander erfasst
werden, allerdings sind die Ergebnisse
von mangelnder Standortskonstanz
und unbekannten Behandlungsunterschieden in der Vergangenheit beeinflusst.
3 Ertragskundliche
Dauerversuche
3.1 Charakteristik der
Dauerversuche
Ausgangspunkt für Versuche oder Experimente ist die Entwicklung einer
Hypothese; von dieser leitet sich dann
eine F rage ab . Dieser F rage wird in
Versuchen nachgegangen, bei denen
die Reaktion(en) auf definierte Behandlungen beobachtet werden. Damit
werden Vermutungen oder Annahmen
abgesichert oder verworfen. Von zentraler Bedeutung ist der Wunsch, Reaktionen auf bestimmte (plangemässe)
Veränderungen erkenntlich zu machen: Das unterscheidet Versuchs- von
Beobachtungsflächen. In der naturwissenschaftlichen F orschung steht der
Dauerversuch zwischen den unter Laborbedingungen kontrollierten Experimenten und der Beobachtung einer
mehr oder weniger unbeeinflussten
Entwicklung beim Monitoring.
Die Durchführung eines forstlichen
Versuchs bedarf einer langfristig definierten Behandlung . Dadurch unterscheidet er sich vom Monitoring . Unabdingbar dafür ist nach der Planung
eines Versuchs die konsequente
Durchführung durch Einhaltung des
Versuchsplans und die kontinuierliche
Erfassung der Reaktion. Je eindeutiger
die Behandlungsvarianten, die wenn
möglich auch quantitativ festgelegt
werden können, desto grösser sind die
Erfolgsaussichten.
Störfaktoren werden nach Möglichkeit minimiert. Sie sind jedoch bei
langfristigen Freilandversuchen unvermeidbar (z. B. Schneebruch, Witterungseinflüsse, Standortsunterschiede ,
…). Neben der kontrollierten Bestandesbehandlung ist die Erfassung der
Reaktion durch Zielgrössen entscheidend: J e nach F rage haben unterschiedliche Zielgrössen verschiedene
Bedeutung, zum Beispiel gesamte Bio-
Forum für Wissen 2009
masse oder sägbares Stammholz. Auch
die F rage der Standardisierbarkeit in
Verbindung mit dem erforderlichen
Aufnahmeaufwand ist entscheidend
für die Auswahl. Quantitative, metrisch
skalierte Variable sind als Zielgrössen – wo immer nur möglich – zu bevorzugen. Anhand welcher Zielgrösse
die Reaktion erfasst wird, muss vor
Versuchsbeginn festgelegt sein.
Einige dieser Zielgrössen sind Zustandsparameter, andere zumeist abgeleitete beschreiben die Veränderung in
einem Zeitraum: Gesamtwuchsleistung
und durchschnittlicher Gesamtzuwachs sind nur durch eine kontinuierliche Aufzeichnung über die gesamte
Umtriebszeit erfassbar . Der F rage
nach der Nachhaltigkeit der Produktion kann nur durch Beobachtung über
mehrere Umtriebszeiten bzw . Generationen nachgegangen werden.
Die wesentlichsten und standardmässig erfassten Parameter , mit Hilfe
derer die Zielgrössen abgeleitet werden, sind am verbleibenden Bestand:
Baumart, BHD, Höhe, soziale Stellung,
Stamm- und Kronenbeschreibungen,
Baumkoordinaten, Kronenablotungen;
am Aushieb: BHD , Länge , Kronen ansatz, Kronenbreite , sektionsweise
Durchmesser, Reisiggewicht, Aushiebsgrund, Holzqualität (Fäule). Bemerkenswert ist, dass in den Anfangszeiten
des V ersuchswesens der A ushieb wesentlich detaillierter erfasst wurde als
der verbleibende Bestand, dies einerseits aus arbeitstechnischen Gründen
und andererseits weil sich aus der Summierung aller Entnahmen die Gesamtleistung ergibt.
Versuchspläne (Arbeitspläne) wurden zu unterschiedlichsten Fragen entwickelt und mit den anderen Versuchsanstalten abgestimmt. Sie behandelten
Versuchsanlagen zur Durchforstung ,
Lichtung, Schneitelung , Waldfeldbau,
Bewässerung und anderes mehr. Darin
wurden das Untersuchungsziel, die beabsichtigte Behandlung , die Flächenanlage (Flächengrösse und Isolierstreifen) und die Aufnahmen beschrieben.
An den einzelnen Versuchsorten wurde zwar keine Wiederholung vorgesehen, jedoch wurden Versuche an mehren Orten angelegt (Streuversuche);
erst F ISHER (1926) hat auf die Anlage
von Wiederholungen zur optimalen
Gestaltung von Versuchen hingewiesen. Da ursprünglich die Absicht be-
stand, die Versuchsführung den F orstbetrieben selbst zu überlassen, waren
sie nach heutigem Empfinden teilweise
sehr detailliert. Bald wurde erkannt,
dass eine konsequente Versuchsführung nur durch spezialisierte Fachleute
und entsprechend eingerichtete Institutionen gewährleistet ist. Diese Erkenntnis führte um die Mitte des 19.
Jahrhunderts zur Gründung der F orstlichen Versuchs- und F orschungsanstalten im deutschsprachigen Raum.
Auch das aktuell gültige österreichische Forstgesetz sieht als eine Aufgabe
des BFW die Anlage und Führung von
langfristigen Versuchen sowie Untersuchungen auf Dauerbeobachtungsflächen vor.
3.2 Änderungen der
Rahmenbedingungen im Laufe
der Zeit
Die lange Laufzeit der Versuche kann
dazu führen, dass sich die ursprüngliche Frage als nicht mehr zeitgemäss erweist oder neue Fragen hinzukommen.
So stand zu Beginn die Massenleistung
(Bedeutung der Buche als Brennholz
im Wiener Raum) im Vordergrund,
während die Bedeutung des Nutzholzes gering war . K onsequenterweise
konzentrierten sich die Arbeiten auf
den Bestand als K ollektiv; die Ableitung von Summen und Mittelwerten
für einen Bestand war primäres Ziel.
Erhebungen erfassten am ausscheidenden Bestand alle als Brennholz verwertbare Sortimente; diese lange Zeit
nicht geschätzten Daten konnten nun
die umfangreiche Basis für die Ableitung von Biomassefunktionen bilden.
Andere Fragen wie der im 19. bzw. zu
Beginn des 20. J ahrhunderts wichtige
Harzertrag, interessieren heute nur
mehr marginal.
Die damals entwickelten Modelle
der Ertragstafeln betrachteten den Bestand als homogene Einheit und konnten daher nur die Gesamtentwicklung
des Bestandes abbilden. In den klassischen Durchforstungsversuchen wurde
die Durchforstungsstärke nicht individuell, sondern nach den Teilkollektiven
der zu entnehmenden Bäume beschrieben (nur absterbende und abgestorbene beim A-Grad, auch unterdrückte
beim B-Grad). Ein Umdenken hin zu
einer individuellen Betrachtung der
Forum für Wissen 2009
Bäume begann erst im 20. Jahrhundert
durch S CHIFFEL (1906), M ICHAELIS
(1907) und schliesslich S
CHÄDELIN
(1926), der den Wert der einzelnen
Bäume in den Vordergrund rückte und
von einer Wendung von der Nutzungszur Erziehungsdurchforstung sprach
und damit den Weg zur Auslesedurchforstung eröffnete.
Im Laufe der Zeit hat sich der Fokus
verstärkt auf die Entwicklung des Einzelbaumes gerichtet. Innerhalb der
letzten 30 J ahre kam es in verschiedenen Ländern Mittel- und Nordeuropas
zur Entwicklung von EinzelbaumWaldwachstumsmodellen, welche die
herkömmlichen Ertragstafeln als Prognoseinstrumente langsam ersetzen.
Deren Vorteil ist, dass sie die Bestandesentwicklung über das
Wachstum
der einzelnen Bäume und nicht, wie in
den Ertragstafeln, über die Entwicklung von Hektar- und Mittelwerten beschreiben. Dadurch liefern diese Modelle detailliertere Informationen über
die Entwicklung der einzelnen Bäume
und somit auch über die Entwicklung
der Bestandesstruktur . Letzteres ist
angesichts eines allgemeinen Trends zu
einer stärker einzelbaumorientierten
Waldwirtschaft von zunehmender
Bedeutung. Diese Modelle basieren
teilweise auf den Ergebnissen von
Dauerversuchen oder sie greifen zur
Validierung auf Daten von Dauerversuchsflächen zurück. In Österreich
wurde das abstandsunabhängige Einzelbaum-Waldwachstumsmodell PR OGNAUS (S TERBA et al. 1995) auf Basis
der Waldinventurdaten entwickelt und
anhand von Dauerversuchsflächen
mehrfach evaluiert.
79
gen bis dahin undurchforsteten Buchenbestand angelegt; es sollte die unterschiedlich rasche Lichtung von Buchenbeständen untersucht werden. Begonnen wurde mit einer Reduktion auf
75, 60 und 45 % der Grundfläche der
«Vergleichsfläche». Nicht dokumentiert wird, wie stark die «stark durchforstete» Vergleichsfläche durchforstet
wird! Im weiteren Verlauf sollten alle
Flächen auf 40 % der Vergleichsfläche
reduziert werden. Diese Eingriffe wurden bis 1955 in etwa plangemäss fortgeführt. A uf mögliche A uswirkungen
einer Störung der
Vergleichsfläche
wurde nicht eingegangen. Nur eine
kleine Fläche (Fläche V) sollte vollkommen unbehandelt bleiben. Die damals offenbar sehr geringe Bedeutung
dieser «Nullfläche» ist schon aus der
Flächengrösse ersichtlich (Abb. 1).
Standraum-/Durchforstungsversuch
Ottenstein
In Ottenstein wurde 1969 in einer
14-jähriger F ichtendickung mit 5600
bis 6000 n/ha ein international durch
die IUFRO koordinierter Standraum-/
Durchforstungsversuch angelegt, um
die Wachstumsreaktion auf unterschiedliche Standraumgestaltung zu
untersuchen. Die Behandlung wird
durch Stammzahlvorgaben definiert;
der Versuchsplan sieht eine deutlich
geringere Endbaumzahl und stärkere
Staffelungen der Behandlungsvarianten als bei den bis dahin üblichen Versuchen vor . Der zeitliche Verlauf der
Behandlungseingriffe wurde zur Erleichterung der internationalen Vergleichbarkeit nicht durch das
Alter,
sondern durch die jeweils erreichte
Oberhöhe vorgegeben (Abb. 2).
Ein-Klonversuche
Unsere modernste Versuchsreihe zur
Frage der Reaktion auf unterschiedliche Konkurrenz wurde 1992 angelegt;
sie umfasst drei
Wiederholungen
auf fünf Versuchsorten. Es soll die
Wachstumsreaktion auf unterschiedliche Standraumgestaltung untersucht
werden, wobei übrige F aktoren möglichst konstant gehalten sind. Mit geklontem Material, d. h. durch Stecklingsvermehrung erzeugten Pflanzen
und zum Vergleich auch aus herkömmlichem Saatgut gezogenes Material
wurden drei Varianten mit unterschiedlichen Pflanzverbänden angelegt. Zu
vordefinierten Zeitpunkten nach Oberhöhenentwicklung werden sie derart
erweitert, dass auf allen drei Varianten
schliesslich identische Standraumbe-
3.3 Versuchspläne als Grundlage
von Dauerversuchen
Drei Beispiele für Versuchspläne werden dargestellt, in denen die Behandlungsvarianten bzw . das Versuchsprogramm festgelegt sind, teilweise mit Situationsdarstellungen kombiniert. Die
Beispiele zeigen den unterschiedlichen
Detaillierungsgrad dieser
Versuchsgrundlagen.
Buchenlichtungsversuch
Schneegattern
Der Buchenlichtungsversuch Schneegattern wurde 1891 in einem 50jähri-
Abb. 1. Situationsdarstellung des Lichtungsversuchs «Schneegattern», aus einem
Exkursionsführer von 1901.
80
1
7, 16
2
6, 14
3
8, 18
Teil-
Keine
aktive
Baumentnahme
5
5, 17
Vollmechanisierte
Holzernte
Auslesedurchforstung
Oberhöhe (m)
5,0
4
4, 15
6
11
9, 13
1 , 10
Teil-
Keine
aktive
Baumentnahme
12
13
3, 12
2, 11
Teilmechanisierte
schematische
Reihenentnahme
Auslesedurchforstung
Anzahl der verbleibenden Bäume je Hektar
2500
10,0
2500
2500
1200
1200
2500
2500
2500
1200
jede 2.
Reihe
jede 4.
Reihe
[ca.2530]
[ca.3510]
1600
Mittelreihe
[ca.2350]
12,5
15,0
17,5
20,0
22,5
900
700
1600
900
900
1200
700
700
700
2 von 4
i.d. Reihe
natürliche Mortalität
[ca.1360]
900
1600
1200
1200
600
900
25,0
900
27,5
400
400
400
400
500
700
750
Abb. 2. Versuchsplan des Stammzahlhaltungs- und Durchforstungsversuchs «Ottenstein»
(http://bfw.ac.at/rz/bfwcms.web?dok=3872).
52 m
33,8 m
15
23
2,6 x 3,0 m
einklonig
2,6 x 1,5 m
gemischtklonig
X
Ein-Klonpflanzen
mit Mulchplatten
21
12
26
11
25
2,6 x 1,5 m
einklonig
5,2 x 6,0 m
gemischtklonig
2,6 x 1,5 m
einklonig
2,6 x 3,0 m
einklonig
2,6 x 1,5 m
gemischtklonig
14
2,6 x 3,0 m
einklonig
X
2,6 x 1,5 m
22 gemischtklonig
13
24
16
2,6 x 1,5 m
einklonig
2,6 x 3,0 m
gemischtklonig
5,2 x 6,0 m
einklonig
41,6 m
Feldarbeiten im Laufe der Zeit
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Flächen sehr aufwendig mit
Grenzsteinen vermarkt; die Flächenvermarkung eines Versuchs mit vier
Parzellen benötigte vier Tage, wie die
Tagebuchaufzeichnungen des F orstgehilfen Josef Hutterer zeigen (Abb . 4).
Der Flächenbezug war entscheidender
als die Identifizierbarkeit von Einzelbäumen, weil es um die Leistung pro
Hektar ging . Trotzdem wurden in
Österreich bereits relativ früh die einzelnen Bäume mit einer Nummer versehen und eine Markierung der Brusthöhe vorgenommen. Auch wenn die
Messhöhen nicht immer ganz normgerecht waren, wie Abbildung 5 zeigt, so
reduzierte sich dadurch doch die unerwünschte Variation des A ufnahmeparameters. Versuche ohne identifizierbare Einzelbäume sind mit heutigen Auswertungsroutinen nicht auswertbar.
Das wichtigste Instrument war die
Kluppe zur Bestimmung von einzelnen
Durchmessern; die Berechnung der
Bestandesgrundfläche war Basis für alle weiteren A uswertungen. T eilweise
wurde nur der «Elitebestand» gemessen, was angesichts der anfangs sehr
dichten Buchenbestände verständlich
ist, allerdings heute für die Auswertung
grosse Probleme birgt. Die Baumhöhen interessierten oft nicht unmittelbar; sie wurden nur an Teilkollektiven
gemessen (N EUMANN 1999). Als Basis
der Vorratsschätzung wurde an geschlägerten Probestämmen das Volumen sektionsweise oder xylometrisch
bestimmt und über die Grundfläche
auf den Bestand hochgerechnet
(SCHIFFEL 1897). Die Aufzeichnung erfolgte in «F eldbüchern», in denen nebeneinander für mehrere , meist jährliche, Aufnahmen jeweils zwei Durchmesser erfasst wurden.
Diese
Feldbücher sind eine auch heute noch
lesbare Datengrundlage. Die Originalaufnahmen wurden zusammen mit den
Auswertungen in sogenannte Lagerbücher übertragen.
Vorgeschriebene Baumzahlhaltung nach dem Versuchsprogramm
Variante
Parzelle
natürliche Mortalität
dingungen herrschen. Im Gegensatz zu
den früheren Versuchsanlagen sollen
damit primär Grundlagendaten zur
Frage der K onkurrenzbeeinflussung
geliefert und nicht unterschiedliche
Behandlungsvarianten getestet werden
(Abb. 3).
Forum für Wissen 2009
42 m
Abb. 3. Versuchsanlage des «Ein-Klonversuchs» (http://bfw.ac.at/rz/bfwcms.web?dok=3890).
Herbert Schmied entwickelte nach
dem 1. Weltkrieg ein Verfahren auf Basis von stehenden Probestämmen. Mit
Ausnahme der Astmassenbestimmung
wurden dadurch alle Parameter am
stehenden Baum erfasst, inklusive einer sektionsweisen Durchmessermessung. Voraussetzung war das Besteigen
der Probebäume; dazu wurde Leitern
verwendet, die mit der Eisenbahn und
anschliessend im Mannschaftszug vor
Ort gebracht wurden (Abb. 6). Das Arbeitsverfahren ist bei S CHMIED (1932)
beschrieben: Bei fünf Arbeitern und einem Aufnahmeführer schätzte Schmied
einen Zeitbedarf von 35 Minuten, also
nicht mehr als zehn Bäume pro
Arbeitstag!
Dieser ernorme
Arbeitsaufwand
machte eine Verfahrensvereinfachung
wünschenswert: Da in den 1960er J ahren durch die Verfügbarkeit von allgemeinen F ormzahlfunktionen sektionsweise Messungen entbehrlich wurden,
konnten optische Höhenmessverfahren eingesetzt werden, die allerdings
nur beschränkte Genauigkeit hatten
(RÖHLE 1994). Da die Entfernungsbestimmung bei der Höhenmessung mit
Winkelmessgeräten (Blume-Leiss)
entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis hat, wurde von J OHANN (1974)
eine Verbesserung der Basislatte entwickelt. In jüngster Zeit erfolgte die
Umstellung auf elektronische Messgeräte.
Forum für Wissen 2009
81
Abb. 4. Auszug aus dem Tagebuch des F orstgehilfen J osef Hutterer vom 31.7.1902 bis
5.8.1902 anlässlich der Anlage des Durchforstungsversuchs «Speichberg».
Abb. 5. Der Durchforstungsversuchs
«Speichberg» anlässlich der Wiederaufnahme im Jahr 2002.
4 Ausgewählte Ergebnisse
einzelner Dauerversuche
4.1 Grundflächenentwicklung
bei der Buche im Vergleich zur
Ertragstafel
Ziel dieses im J ahr 1902 angelegten
Versuchs war gewesen, den Einfluss
des unterschiedlichen Durchforstungsbeginns auf die Zuwachs- und Stamm ausformungsverhältnisse in Buchenjungbeständen von etwa 18 bis 21 J ahren zu studieren (SCHMIED 1928).
Dazu erfolgte ein erster Eingriff auf
einer Parzelle bereits im Jahr 1902 und
dann jeweils im dreijährigen Abstand
auf den drei übrigen Parzellen. Für die
Folgezeit war ein 5-jähriges Intervall
beabsichtigt, das jedoch nicht eingehalten wurde . Die Eingriffe wurden als
«schwache Hochdurchforstungen» bezeichnet. Die Stammzahlen verringerten sich von 18 000 im Alter 12 auf 4500
bis 5000 Stämme im
Alter 30 und
schliesslich auf 3400 bis 4000 (im herrschenden zwischen 1700 bis 2300 Stämme) im Alter 45.
Informationen zu Durchführungen
aus den Versuchsakten: Der Eingriff
1908 erbrachte auf den drei Teilflächen
mit gesamt 0,15 ha in Summe 3,3 fm
Baumholz von knapp 3350 Stämmen.
Es waren bis zu vier Arbeiter beschäftigt; sie benötigten 47 Arbeitstage. Die
Durchforstung 1911 auf allen vier Teilflächen mit insgesamt 0,2 ha erbrachte
6,26 fm Baumholz von knapp 3000
Stämmen. Es waren drei Arbeiter be-
Abb. 6. Gerätschaften zur Messung stehender Probestämme
(SCHMIED 1932).
schäftigt; sie benötigten 40,5 Arbeitstage. Die Kosten dafür waren 119,– Kronen, eine Krone von 1911 entsprach
4,50 Euro.
Periodisch wurden Revisionsaufnahmen durchgeführt; die Behandlung unterschied sich jedoch auf den einzelnen
Parzellen nicht mehr . Die letzte Aufnahme erfolgte im Mai 1961.
1964
wurde der Versuch aufgelassen, da die
Fragestellung nicht mehr zeitgemäss
erschien und eine Ressourcenkonzentration erforderlich war . Im J ahr 2002
wurde der Versuch jedoch wieder aufgesucht, die Vermarkung der Fläche
und die Markierung der Bäume waren
auch nach 40 Jahren noch fast vollständig; daher wurde der Versuch wieder
aufgenommen. Die Stammzahl hat
durch seit 1961 nicht mehr dokumentierte Nutzungen von 1000 bis 1500 auf
rund 500 Stämme pro Hektar abgenommen.
Die Grundflächenhaltung (Abb . 7)
war zwischen den vier Parzellen während der gesamten Beobachtungszeit
nur wenig unterschiedlich. Bis zum
Alter 80 im J ahr 1961 entsprach die
Grundflächenhaltung den Modellvorstellungen der in Österreich in
Verwendung stehenden Ertragstafel «Buche-Braunschweig» von M ARSCHALL
82
Kreisflächenentwicklung im Vergleich zur Ertragstafel
Buchendauerversuch Speichberg (208)
60
Parzelle 1
Parzelle 2
Parzelle 3
Parzelle 4
50
m2/ha
40
30
Ekl
10
9
8
7
6
20
10
0
0
20
40
60
Alter
80
100
120
140
Abb. 7. Entwicklung der Bestandesgrundfläche am Durchforstungsversuch «Speichberg»
im Vergleich zur Ertragstafel Buche-Braunschweig der 4. bis 10. Absolutbonität (dGZ100).
Aushieb 2006 im Alter 122
Buchendauerversuch Speichberg (207 und 208)
100
in % der Gesamtmasse
(1975) zwischen der 4. und 6. Absolutbonität (dGZ 100). 40 J ahre später
(2002) werden jedoch Grundflächen
erreicht, die weit über allen Ertragstafelwerten liegen. Erst der von uns vorgenommene starke Lichtungseingriff
senkt die Grundfläche wieder auf das
Ertragstafelniveau nunmehr der besten Bonität ab . Die 40-jährige Unterbrechung verhindert leider wegen der
fehlenden Informationen über die erfolgten Entnahmenmengen Aussagen
über die erreichte Gesamtwuchsleistung. Eine Anschätzung lässt Entnahmen von mindestens 150 Vfm/ha erwarten, woraus sich eine GWL von
1100 bis 1200 Vfm/ha im Alter 125 bzw.
ein dGZ von etwa 9 bis 10 Vfm/Jahr/ha
ergibt.
Dieses nicht angezielte Versuchsergebnis beweist, dass die Modellvorstellungen der Ertragstafel von den tatsächlich erreichten Wuchsleistungen
deutlich abweichen. Dafür können zumindest drei Gründe angeführt werden: 1) war die Bestandesbehandlung
nicht ertragstafelkonform, 2) sind die
der Ertragstafel zugrunde gelegten
Wuchsverhältnisse von den lokalen
Verhältnissen verschieden und 3) können generelle Wachstumsveränderungen in Tafelwerken nicht berücksichtigt werden. Es soll hier aber nicht die
Sinnhaftigkeit von «starren» Ertragstafelmodellen prinzipiell diskutiert werden, sondern auf eine mögliche Fehlinterpretation hingewiesen werden:
Wenn die geringen Grundflächen der
Tafel als maximal erreichbare Bestandesdichte interpretiert werden und als
Ausgangspunkt für die Abschätzung
von Obergrenzen für Z-Baumzahlen
genommen werden, dann führt dies zu
viel zu niedrigen Stammzahlen und
dementsprechend zu geringen Erlösen.
Ein weiteres Versuchsergebnis erwuchs aus der Durchführung des Lichtungseingriffs: diese streng schematischen und daher repräsentativen Entnahmen erbrachten überhaupt keine
Furnierqualitätmengen und nur 4 % Bund 26 % C-Qualitäten; der überwiegende Anteil war Industriesortimente
oder Brennholz (Abb . 8). Dieser Befund relativiert die allgemeine Erwartungshaltung, einen hohen Anteil an
Qualitätsholz erzielen zu können,
wenn man bedenkt, dass diese Fläche
über 60 J ahre intensiv beobachtet und
betreut wurde.
Forum für Wissen 2009
80
Versuch 207
Versuch 208
60
40
20
0
Bloch A
Bloch B
Bloch C
IndustrieFaserholz
Abb. 8. Holzqualitäten anlässlich des Lichtungseingriffs im J
«Speichberg» im Alter 122.
4.2 Wuchsleistung und Holzqualität
unterschiedlich begründeter
Fichtenbestände
Am Hauersteig bei Wien wurde im
Jahr 1892 von Cieslar ein Fichtenpflanzweiteversuch mit vier unterschiedlichen Pflanzverbänden angelegt; erst
1923 wurde der Bestand als ertragskundlicher Dauerversuch eingerichtet
und mit periodischen Messungen begonnen. Mit einem Alter von 109 J ahren wurde der Bestand 1997 genutzt
und die Endaufnahme vorgenommen.
Kein anderer ertragskundlich-waldwachstumskundlicher Versuch in Österreich hat so starken Einfluss auf die
forstliche Lehre und Praxis genommen. Grundlage dieses Erfolgs war das
ahr 2006 auf dem
X
Versuch
innovative Versuchskonzept von Cieslar; letztlich ausgelöst wurde dieser Erfolg aber durch die Entscheidung von
POLLANSCHÜTZ (1974), gerade diesen
Versuch als ersten mit der damals verfügbar gewordenen Computertechnik
ertragskundlich auszuwerten und der
forstlichen Praxis bekannt zu machen.
Diese Auswertung bis ins Alter von 84
Jahren erbrachte bei einer etwa gleichen Gesamtwuchsleistung der vier
Verbandsweiten deutliche Vorteile des
weitesten Verbandes hinsichtlich der
Stabilität ohne gravierende Qualitätsmängel und bei geringeren Kosten. Die
markante F olgerung «Ein klares J a
zum Weitverband, zu hoher Stammzahl
Nein!» die P ollanschütz daraus zog ,
trug entscheidend bei zum Umdenken
Forum für Wissen 2009
83
standörtlichen Unterschieden nicht
ausgeschlossen werden kann. Weiter ist
anzumerken, dass ab Alter 80 bei allen
Varianten eine etwa gleich hohe
Stammzahl und somit ab diesem Zeitpunkt keine Standraumunterschiede
mehr gegeben waren. Auch ist zu beachten, dass über die ersten Jahrzehnte
des Bestandes keine Informationen
vorliegen, in diesem Zeitraum aber eine beträchtliche Anzahl der ursprünglich gepflanzten Fichten (23 % auf Parzelle 1) ausgefallen ist und sich in den
Lücken einige andere Baumarten natürlich verjüngt haben.
Die unterschiedlichen Aufforstungsdichten beeinflussen die K ostenseite,
aber auch die erreichten Wuchsleistungen und Dimensionen; der höchste An-
der forstlichen Praxis hin zu stabileren
Beständen und kostengünstigeren
Pflanzverbänden.
Das von Cieslar gewählte Versuchskonzept war für die damalige Zeit revolutionär; er beabsichtigte wohl mit
seiner Versuchsanlage die Überlegenheit mittlerer Pflanzweiten (Parzelle 2
und 3 mit 1,5 × 1,5 bzw. 2 × 1 m) gegenüber dem Engverband der Parzelle 1 (1
× 1) nachzuweisen; der 2 × 2 m-V erband der Parzelle 4 wurde wohl nur als
«Extremvariante» einbezogen. Eine
Anlage von Wiederholungen war damals im Versuchswesen unüblich. Bei
der Interpretation der Ergebnisse ist
daher zu beachten, dass keine statistische Absicherung von Unterschieden
möglich ist und ein Einfluss von klein-
Hauersteig (203)
Summe der Vornutzungen
600
Parzelle 1
Parzelle 2
Parzelle 3
Parzelle 4
500
Hauersteig (203)
Mittlere Vorratshaltung
1000
Parzelle 1
Parzelle 2
Parzelle 3
Parzelle 4
900
800
700
VfmS/ha
400
VfmS/ha
teil an wirtschaftlich verwertbaren Volumen findet sich auf der weitesten
Parzelle 4 (Abb. 9). Die Gesamtwuchsleistung im Alter 100 ist hingegen auf
der engsten Parzelle 1 am höchsten
(1171 Vfm), gefolgt von Parzelle 4
(1117 Vfm) sowie Parzelle 2 und 3
(1069 bzw . 1062 Vfm). Der Grundflächenmittelstamm ist auf Parzelle 4 am
stärksten (39,2 cm), erreicht auf Parzelle 1 und 3 Werte von 37,4 bzw. 37,3 cm
und ist am schwächsten auf Parzelle 2
(35,8 cm). Auf die Dimension des Aushiebs haben die Pflanzverbände deutliche Auswirkung. Der Vorsprung in der
Gesamtwuchsleistung von Parzelle 1
blieb während der gesamten Beobachtungsdauer bestehen, ebenso die Überlegenheit beim Durchmesser von Par-
300
600
500
400
200
300
200
100
100
VfmS/ha
0
0
1400
1300
1200
1100
1000
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
10
20
30
40
50
60 70
Alter
80
90 100 110 120
Hauersteig (203)
Gesamtwuchsleistung – Volumen
Parzelle 1
Parzelle 2
Parzelle 3
Parzelle 4
0
0
10
20
30
40
50
60 70
Alter
80
90 100 110 120
Hauersteig (203)
BHD – Grundflächenmittelstamm
cm
45
Parzelle 1
Parzelle 2
Parzelle 3
Parzelle 4
40
35
30
25
20
15
10
5
0
10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120
Alter
0
0
10
20
30
40
50
60 70
Alter
80
90 100 110 120
Abb. 9. Die wesentlichsten Leistungsparameter des Fichten-Pflanzweiteversuchs «Hauersteig» mit vier Pflanzweiten von 1× 1, 1,5 × 1,5, 2 × 1
und 2 × 2 m (http://bfw.ac.at/rz/bfwcms.web?dok=4052).
84
Forum für Wissen 2009
terschiede nach der P
osition am
Stammquerschnitt bzw . nach der Abschnittshöhe am Stamm grösser als
zwischen den Parzellen bzw. Pflanzweiten (Abb . 10). Die F estigkeitsparameter nehmen vom Stammzentrum nach
aussen hin zu, eine Korrelation mit den
abnehmenden Jahrringbreiten ist gegeben. Nur das Schwindverhalten ist aussen grösser, also technologisch ungünstiger als im Stamminneren. Von den
drei Abschnittshöhen hat sich die mittlere aus dem Bereich von 5 bis 6 m als
beste herausgestellt. Die hier gemessenen F estigkeitswerte liegen etwas unter den Normvorgaben für «Gutes
Bauholz» (T ab. 1). Dies ist für rasch
wachsende F ichten aus einem Laubwaldgebiet nicht weiter überraschend.
Der bei Versuchsende real erzielte
Holzpreis entsprach dem generellen
zelle 4. Das unterstreicht die Meinung ,
dass vor allem frühzeitige Standraumeingriffe grosse und langfristige Effekte haben. Diese Vorteile waren zum
Zeitpunkt der Erstpublikation 1974 in
der F orstpraxis noch nicht allgemein
anerkannt. Aus heutiger Sicht werden
Pflanzenzahlen von 2500/ha auf entsprechenden Standorten hingegen bereits als obere Grenze angesehen; hier
hat in den letzten 30 J ahren ein klares
Umdenken stattgefunden.
Die Endnutzung 1997 ergab die
Möglichkeit, erstmalig auch Holzproben von Beständen mit langjährig
nachvollziehbarer Bestandesgeschichte einer holztechnologischen Beurteilung zu unterziehen (N EUMANN 2004).
Insbesondere sollte untersucht werden, ob zum Zeitpunkt der Endnutzung Unterschiede in den technischen
Holzeigenschaften nachweisbar sind
und ob sich der Effekt in unterschiedlichen Stammhöhen und Positionen verschieden darstellt. Juveniles Holz sollte
stärker von den ursprünglich unterschiedlichen Pflanzweiten beeinflusst
sein als Holz, das zu einem Zeitpunkt
gebildet wurde , zu dem sich die Bestandessituation auf den vier Parzellen
bereits weitgehend angeglichen hatte.
Einzelne F aktoren sind auf bei der
engsten Variante (Parzelle 1) am günstigsten, generell sind jedoch die Un-
50
Jahrringbreite
mm
Schwindung tangential %
Schwindung radial
%
Rohdichte trocken
kg/m³
Druckfestigkeit
N/mm²
Biegefestigkeit
N/mm²
E-Modul
N/mm²
233
153
195
159
40
30
20
Abschnittshöhe:
26 32 31
25 26 23
2
3
Parzelle
1
2,25
9,1
4,9
444
37,6
77,6
11 670
60
2
18 26 21
4
3
2
4
4
3
3
3
3
Maximum
Parz.
Ö-Norm
2,46
9,5
5,2
458
39,6
82,4
12 630
4
2
2
2
1
2
2
7,8
3,6
430
44,0
95,0
12 500
Position
49
233
50
3
12
171
40
30
231
73
N =18 25 27
1
2,36
9,3
5,1
453
38,6
79,2
12 076
70
49
20
31
Die Frage der Nachhaltigkeit wird unterschiedlich gesehen; einerseits wird
beschleunigtes Wachstum für viele Bereiche Europas bestätigt (K ARJALAINEN et al. 1999), andererseits wird auch
darauf hingewiesen, dass aufeinanderfolgende Generationen – insbesondere
von Fichtenbeständen – negative Auswirkungen auf die erreichte Wuchsleistung haben können.
Um zu dieser F rage beizutragen,
wurden im Bereich von langfristig zwischen 1892 und 1958 beobachteten
Mittel Minimum Parz.
Druckfestigkeit (N/mm2)
Druckfestigkeit (N/mm2)
60
4.3 Wuchsleistung aufeinanderfolgender Bestandesgenerationen
Tab. 1. Die wichtigsten holztechnologischen Eigenschaften (Mitte , Minimum und Maximum) im Vergleich zu den österreichischen Normvorgaben für «Gutes Bauholz».
Abschnittshöhe
70
Preisniveau; vom Holzeinkäufer wurden keinerlei Qualitätsunterschiede
festgestellt.
20
73
N =20 27 23
1
Position:
204
267
27 32 30
24 22 28
2
3
Parzelle
1
2
246
21 22 22
4
3
Abb. 10. Druckfestigkeit von Holzproben der vier Parzellen des F ichten-Pflanzweiteversuchs «Hauersteig» nach drei Entnahmenhöhe am
Stamm (links) und drei Entnahmepositionen am Querschnitt (rechts).
Forum für Wissen 2009
85
Dauerversuchen die nach der Endnutzung des Untersuchungsbestandes aufgewachsenen und mittlerweile etwa
50-jährigen F olgebestände untersucht
(RÖSSLER, in Vorb). Für Vergleiche
konnten einerseits Bestandesmessungen, aber auch Stammanalysen aus den
Vor- und F olgebeständen verwendet
werden.
Es hat sich gezeigt, dass die folgende
Bestandesgeneration durchwegs höhere Wuchsleistungen aufweist als die
ehemaligen V ersuchsbestände. Dies
konnte sowohl durch die ertragskundlichen Erhebungen als auch anhand
der Stammanalysen aus beiden Bestan-
Langbathsee (Nr. 221)
Gesamtwuchsleistung (Vfm i.R.)
1600
Ödensee (Nr. 102)
1600
1400
1944
Folgebestand
800 1999
600
1890
200
0
20
40
60 80
Alter
100 120 140
800
800
Dauerversuch
Folgebestand
1999
1906
400
200
200
0
20
40
60 80
Alter
100 120 140
1903
600
400
0
Dauerversuch
1000
600
400
1958
1200
1942
1000
Dauerversuch
Thiersee (Nr. 115)
1400
1200
1000
von Beginn an zu sehen, in Thiersee
wird nach 26 J ahren ein Höhenvorsprung von etwa 6 Metern erreicht
(Abb. 12).
Neben der Höhe konnte in den F olgebeständen auch ein stärkeres Dikkenwachstum nachgewiesen werden,
was zusätzlich zu einer höheren Massenleistung führt. Bei der GWL wird
am Versuchsort Ödensee mit 50 Jahren
die Leistung erreicht, die der vormalige Dauerversuch erst im Alter 80 erreichte, am Versuchsort Langbathsee
die GWL im gleichen Lebensalter um
etwa 200 Vfm übertroffen; für Thiersee
ist die Überlegenheit weniger deutlich.
1600
1400
1200
0
desgenerationen nachgewiesen werden.
Als Beispiel sind einerseits die Gesamtwuchsleistung (GWL) der Dauerversuche mit den einmalig erhobenen
Bestandesvorräten und andererseits
die Höhenentwicklungen auf den
drei Untersuchungsorten Langbathsee,
Ödensee und
Thiersee dargestellt
(Abb. 11). In Langbathsee verläuft die
Baumhöhenentwicklung im Vor- und
Folgebestand nur anfangs ähnlich, mit
zunehmendem Alter entwickelt sich
die Höhe in den F olgebeständen deutlich rascher . Auf den beiden anderen
Versuchsorten ist der grössere Höhenzuwachs in den Folgebeständen bereits
0
Folgebestand
1999
0
20
40
60 80
Alter
100 120 140
Abb. 11. Gesamtwuchsleistung in Vorratsfestmeter Schaftholz mit Rinde der Versuchsbestände im Vergleich zu den Nachfolgebeständen.
Langbathsee (221)
Stammanalysen 1947 und 1997
Höhenentwicklung
Höhe (m)
35
Ödensee (102)
Stammanalysen 1948 und 1996
Höhenentwicklung
35
35
30
30
30
25
25
25
20
20
20
15
15
15
10
10
10
5
5
5
0
0
20
Vorbestand
40
60
BHD-Alter
80
100
0
0
20
40
60
BHD-Alter
80
Thiersee (115)
Stammanalysen 1954 und 1996
Höhenentwicklung
100
0
0
Folgebestand
Abb. 12. Verlauf des Höhenwachstums der Versuchsbestände im Vergleich zu den Nachfolgebeständen.
20
40
60
BHD-Alter
80
100
86
5 Folgerungen
Folgende Erfahrungen konnten aus
den bisherigen Versuchsarbeiten und
Auswertungen gewonnen werden:
– Eine möglichst kurz und klar formulierte F rage, anhand welcher Zielgrössen welche Behandlungsvarianten
untersucht werden sollen, ist Voraussetzung für eine erfolgsversprechende Versuchsführung.
– Versuchspläne sollen die gesamte
Versuchdauer umfassen; sie müssen
mit den vorhandenen Mitteln umsetzbar sein und eingehalten werden
(«Versuchsplantreue»). Es darf bei
der Versuchsführung nicht kurzfristigen «Modetrends» nachgegangen
werden. Die Versuchsführung (die
Behandlung und die
Aufnahmen)
muss konstant bleiben; flexibel kann
jedoch die Auswertung gestaltet werden.
– Unterschiedliche Teilkollektive bringen zwar Erleichterung bzw. Einsparungen bei den F eldaufnahmen, erschweren aber die Auswertung und
bergen die oft unbemerkte Gefahr
von verzerrten Aussagen, wenn beispielsweise die Höhenmessung auf
Aushiebsstämme beschränkt wird.
– Nur standardisierbare Aufnahmeparameter zur Reaktionserfassung verwenden. Messbare , metrische Parameter sind am günstigsten, intervallskalierte sind nominalskalierten
vorzuziehen. Bei Langzeitversuchen
kann die erforderliche Vergleichbarkeit über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg nur mit metrischen Variablen erreicht werden.
– Eventuell wünschenswerte oder notwendige Methodenveränderungen/verbesserungen dürfen die
Vergleichbarkeit nicht einschränken.
– Die Erfahrung zeigt, dass langfristig
nur einfache Daten verfügbar bleiben bzw. verwendet werden; auch die
Datenstrukturen sollen möglichst
einfach sein.
– Die V erfahrensdokumentation ist
von wesentlicher Bedeutung (Metainformation), gerade das was man
aktuell für eindeutig hält, muss für
die Zukunft dokumentiert werden.
– Eine ständige Bearbeitung zeigt
frühzeitig V erbesserungsbedarf auf,
obwohl man prinzipiell am Versuchsplan festhalten soll. Ergebnisse dürfen nicht zu früh als endgültig darge-
Forum für Wissen 2009
stellt werden (vgl. Wachstum von
Exoten, Reaktion auf Durchforstungen oder Düngung). Die Zielgrösse
ist bei waldwachstumskundlichen
Versuchen meist die Gesamtwuchsleistung; das setzt eine entsprechend
lange Beobachtung über die gesamte
Umtriebszeit hinweg voraus.
6
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19–20.
Abstract
Long-term growth and yield experiments – questions, directions, answers
Along with monitoring plots and forest inventories , long-term growth and yield
experiments are essential for researching forest development.
However , only
growth and yield experiments provide the possibilities to work with controlled
treatment, which allows to assess total growth. Ideally , observation covers the
whole rotation time of a forest stand; the slow growth processes in a forest require
at least decades of observation.
The focus of forest growth research has changed over time because of ecological
and economic changes. New questions arose while others, which were very important a hundred years ago, moved into the background. Describing the experimental designs and goals , measurement instruments and assessment methods , the direction of forest growth research is outlined and some answers found so far are
presented.
Keywords: growth and yield, long-term experiment, methods of forest research
Forum für Wissen 2009: 87–92
87
Langfristige Waldgrenzen-Forschung am Stillberg –
vor lauter Bäumen den Wald noch sehen
Peter Bebi1, 2, Frank Hagedorn2, Melissa Martin1, 2, Christian Rixen1, 2, Josef Senn2 und Ueli Wasem2
1
WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Flüelastrasse 11, CH-7260 Davos Dorf
2
WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
bebi@slf.ch, frank.hagedorn@wsl.ch, m.martin@slf.ch, rixen@slf.ch, josef.senn@wsl.ch, ueli.wasem@wsl.ch
Am Stillberg wurde in den 1950er Jahren an der Waldgrenze eine Versuchsfläche
zur Erforschung der Wiederherstellung des natürlichen Lawinenschutzes errichtet. Der im Jahr 1975 systematisch mit 92 000 Bäumen bepflanzte Hang gibt seither Auskunft über die langfristige Wirkung verschiedener Umweltfaktoren an der
alpinen Waldgrenze und über die Möglichkeiten und Grenzen von Hochlagenaufforstungen. Seit einigen Jahren werden einzelne Bäume am Stillberg zudem experimentell mit erhöhten CO2-Konzentrationen behandelt und erwärmt. Damit
wurde der Stillberg zunehmend auch zum Experimentierfeld für die Beantwortung von Fragen rund um den Klimawandel. In diesem Beitrag ziehen wir eine
Zwischenbilanz über die bisherigen Entwicklungen und zeigen, welche Lehren
daraus im Hinblick auf die Bewirtschaftung von Waldgrenzen-Standorten und im
Hinblick auf zukünftige langfristige Forschungsarbeiten gezogen werden können.
1971), mikroklimatische Unterschuchungen (T URNER et al. 1975), Böden
(BLASER 1980) und Lawinenaktivität
(RYCHETNIK 1985). Zudem wurden
zahlreiche Begleitstudien durchgeführt,
beispielsweise zur Photosynthese und
zur Transpiration (HÄSLER 1982) oder
zum Wurzel- und Sprosswachstum
(TURNER und S TREULE 1983; H ÄSLER
et al. 1999). Eine umfassende Übersicht
über den Beginn der Stillbergforschung wurde in S CHÖNENBERGER und
FREY (1988b) gegeben.
1 Beginn der
Stillbergforschung
Die Versuchsfläche Stillberg in einem
typischen Lawinenanrissgebiet an der
alpinen Waldgrenze wurde in den
1950er J ahren im Rahmen des ersten
gemeinsamen F orschungsprogramms
zwischen den WSL Standorten Birmensdorf und Davos eingerichtet. Das
Hauptziel der Versuchsanlage lag zunächst darin, ökologisch und technisch
geeignete Verfahren für Aufforstungen
in Lawinenanrissgebieten im
Waldgrenzenbereich zu finden (T
URNER
1985). Nach diversen
Vorversuchen
wurden im J ahr 1975 mehr als 92 000
Arven, Bergföhren und Lärchen in einem regelmässigen Muster gepflanzt,
400 Schneepegel gesetzt und in einem
Drittel der aufgeforsteten Versuchsfläche temporäre Lawinenverbauungen
errichtet (Abb . 1). In den darauf folgenden J ahren wurde ein intensives
Monitoring dieser Bäume betrieben,
im Rahmen dessen die Bäume jährlich
ausgezählt, vermessen und bezüglich
Schädigungen untersucht wurden
(SCHÖ NENBERGER und FREY 1988a). In
hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung wurden auch die wichtigsten Klimaparameter und andere Standortfaktoren erhoben, beispielsweise Vegetation (K UOCH 1970), W ind (NÄGELI
Abb. 1. Aufforstung in der steilen Lawinenanrisszone am Waldgrenzenstandort Stillberg im
Jahr 1975 (Foto: W. Schönenberger).
88
Forum für Wissen 2009
2 Bäume an der Waldgrenze
im Wandel von Raum und
Zeit
Abb. 2. Stillbergfläche im Jahr 2008.
Anzahl überlebende Bäume
Der nun schon mehr als 30jährige
Überlebenskampf der Stillbergbäume
an der Alpinen Waldgrenze hat deutliche Spuren hinterlassen. Von den ursprünglich 92 000 gepflanzten Bäumen
hatten 1985 noch 57,9 %, 1995 noch
40,2 % und bei der letzten Zustandserfassung im J ahr 2005 nur noch rund
30,7 % überlebt. Dabei hatte sich
schon wenige J ahre nach der Aufforstung ein deutliches Muster von günstigen Standorten (mit hohen Überlebensraten und gutem Wachstum) und
ungünstigen Standorten herausgebildet (S ENN und S CHÖNENBERGER 2001;
Abb. 2). Entscheidend dafür war in den
ersten J ahren nach der Aufforstung
nicht in erster Linie der Höhengradient der Fläche von 2000 bis 2230 m
ü. M., sondern vor allem das durch verschiedene Expositionen und Geländeformen bestimmte Kleinstandortsrelief. Überleben und
Wachstum der
Bäume war am reich gegliederten
Hang insbesondere dort gut, wo der
Schnee früh ausaperte, wo die Sonneneinstrahlung während des Sommers
hoch war und wo die noch kleinen
Bäume nicht durch Hochstauden und
Reitgras konkurrenziert wurden (SENN
und S CHÖNENBERGER 2001). Innerhalb
des allgemein NE-exponierten Hanges
waren diese günstigen Kleinstandorte
vor allem E- bis SE-exponiert.
Dabei zeigten sich im Laufe des
Jugendwachstums der Bäume baumartspezifisch wechselnde Reaktionsmuster. Während zu Beginn der Aufforstung alle drei gepflanzten Baumarten gleichmässig vertreten waren,
prägen heute vor allem die Lärchen
das Bild (Abb . 2 und 3). Bergföhren
und Arven wurden in den 1980er J ahren auf ungünstigen, spät ausapernden
Kleinstandorten zunehmend vom
Triebsterbepilz (Gremeniella abietina)
befallen (SENN 1999). Insbesondere die
Arven, welche zusätzlich noch von der
Ausbreitung des Schneeschüttepilzes
(Phacidium infestans) betroffen wurden, kommen deshalb fast nur noch auf
sonnenzugewandten und im
Winter
mit wenig Schnee bedeckten Geländeerhöhungen vor , wo sie auch von
Natur aus am besten gedeihen. Als die
Stämme der Bäume dicker waren als
Arven
Bergföhren
Lärchen
30000
25000
20000
15000
10000
5000
0
1979
1985
Jahr
1995
2005
Abb. 3. Anzahl überlebende Bäume der drei gepflanzten Baumarten in den J ahren 1985,
1995 und 2005. Bei der Pflanzung im J ahr 1975 waren alle Baumarten in gleicher Anzahl
vorhanden.
7 cm, wurden Bergföhren und Arven
zunehmend anfälliger auf Stammbrüche durch Schnee bewegungen (HORAK
2004). Lärchen kommen aufgrund ihrer grösseren Elastizität etwas später in
dieses Stadium, wurden aber in den
letzten beiden Wintern zunehmend
durch den Druck von schwerem Schnee
entwurzelt.
Auch die Bedeutung der verschiedenen Einflussfaktoren auf das Baumwachstum hat sich dabei im Laufe der
Jahrzehnte verändert (Tab. 1). Je grösser die Bäume sind, umso weniger sind
Wachstumsprozesse durch die Exposi-
tion bestimmt, dafür aber durch die
Umgebungstemperatur und damit indirekt durch die Höhenlage (T ab. 1).
Während im unteren Teil der Fläche
die Bäume heute teilweise schon über
sechs Meter hoch sind, wachsen sie nur
150 m weiter oben auch 34 J ahre nach
der Pflanzung kaum über den wärmenden Bodenbereich hinaus . Während
Lärchen und Arven an Standorten mit
vielen überlebenden Nachbarbäumen
in den ersten J ahren nach der Pflanzung noch stark gewachsen sind, hat
sich dieser Effekt nach 1995 umgekehrt (Tab. 1). Dies wurde auch durch
Forum für Wissen 2009
89
Tab. 1. Einfluss verschiedener Faktoren (Gelände, Nachbarschaft) auf das Wachstum der drei am Stillberg gepflanzten Baumarten in verschiedenen Zeiträumen.
Bemerkungen: Ein positives (negatives) Vorzeichen bedeutet einen positiven (negativen) Einfluss eines Umweltfaktors auf das Wachstum
der Bäume im jeweilige Zeitraum.
Die Berechnung der Signifikanzen beruht auf ANOVA-Modellen zufällig ausgewählter Bäume unter gleichmässiger Berücksichtigung verschiedener Höhen-, Expositions- und Nachbarschaftsklassen. (Sign. ***: p < 0.001, **: p < 0.01, * < 0.05)
Zeitraum
Lärchen (Larix decidua)
Arven (Pinus cembra)
Bergföhren (Pinus montana)
1975–1985
+ Anzahl Nachbarbäume ***
– Höhe über Meer ***
– N-Exposition ***
– Höhe über Meer ***
1985–1995
+ Anzahl Nachbarbäume *
– Höhe über Meer*
1995–2005
– Anzahl Nachbarbäume ***
– Höhe über Meer ***
– N-Exposition ***
– Höhe über Meer ***
+ Anzahl Nachbarbäume *
– N-Exposition *
– Höhe über Meer ***
+ Anzahl Nachbarbäume ***
– Höhe über Meer ***
dendroökologische Untersuchungen
bestätigt, welche zeigten, dass das Dikkenwachstum der Lärchen im unteren
Teil der Fläche seit dem J
ahr 2002
durch Konkurrenz zwischen den Bäumen eingeschränkt ist (AMOS 2007).
Die im Laufe der Zeit wechselnde
Bedeutung der ökologischen Einflussfaktoren verdeutlicht die Wichtigkeit
langfristiger Zeitreihen für die Waldforschung generell und insbesondere
für die Erforschung von WaldgrenzenÖkosystemen, wo ökologische Prozesse wegen niedrigerer Durchschnittstemperaturen allgemein langsamer ablaufen.
3 Wandel von
Forschungsschwerpunkten
Seit den 1990er J ahre, als Hochlagenaufforstungen in der Praxis sel tener,
das Ausmass von natürlicher Waldausdehnung und Klimawandel deutlicher
und die Finanzierung von Langzeitforschungsprojekten zunehmend schwieriger wurden, hat eine Verschiebung
der Forschungsschwerpunkte am Stillberg stattgefunden. Die Intensität des
Monitorings hat drastisch abgenommen, gleichzeitig sind neue Forschungsfelder, insbesondere auch Experimente
zur Auswirkung von klimatischen Veränderungen auf Waldgrenzen-Ökotone
dazu gekommen. Die gut dokumentierte Versuchsaufforstung am Stillberg
mit verschiedenen Baumarten bietet
die einmalige Möglichkeit, an der natürlichen W aldgrenze kontrollierte
Versuche durchzuführen, da hier gleich
alte und gleichmässig angeordnete
Bäume jeweils gleicher Herkünfte zur
Verfügung stehen.
In einem 2001 begonnen Experiment
untersuchen F orschende, wie sich der
abzeichnende Klimawandel auf die
Ökosysteme an der Waldgrenze auswirkt (H ÄTTENSCHWILER et al. 2002).
Wissenschafter der WSL, der Universität Basel, und verschiedener ausländischer F orschungsinstitute simulieren
hierbei auf das J ahr 2070 extrapolierte
atmosphärische CO 2-Konzentrationen
und Temperaturen. Sie erhöhen dazu
die CO2-Gehalte um 200 ppm (= heute
+ 50 %) und die Bodentemperaturen
um 3 °C. Über perforierte Schläuche
erhalten je zehn Lärchen und Bergföhren höhere CO 2-Konzentrationen, die
gleiche Anzahl an Bäumen bleibt als
Kontrolle unbehandelt. Unter jeweils
der Hälfte der Bäume wird der Boden
während der Vegatationszeit mittels
Heizkabeln um 3 °C erwärmt. Die Wissenschafter untersuchen die Reaktionen des Wachstums, den Nährstoffumsatz, den Schädlingsbefall sowie die
Krankheiten der Bäume und die CO 2Bilanz des Bodens (A SSHOF and H ÄTTENSCHWILER 2005; H ANDA et al. 2005;
HAGEDORN et al. 2008).
Der simulierte Klimawandel wirkte
sich unterschiedlich auf die verschiedenen Arten aus. So zeigen Lärchen bei
erhöhtem CO 2-Angebot ein um rund
– N-Exposition *
– Höhe über Meer ***
20 Prozent stärkeres Spross- und Dikkenwachstum. Die Bergföhren steigern
ihr Wachstum hingegen nicht (H ANDA
et al. 2005 ). Bei ihnen begrenzen F aktoren wie Temperatur und Schädlinge
das Wachstum. Die Bergföhren profitierten vom erwärmten Boden. Zwergsträuchern wie der Krähenbeere (Empetrum hermaphroditum) bekam die
Wärme hingegen weniger gut. Sie erlitt
Schäden durch Spätfrost da sie im
Frühsommer zu früh zu wachsen begann (Abb . 4). Auch einige Lärchen
wiesen F rostschäden auf , allerdings
nicht wegen der Bodenerwärmung
,
sondern aufgrund des erhöhten K ohlendioxids (M ARTIN et al. in press).
Diese Lärchen legten im Vorjahr mehr
Reserven an und trieben im F rühjahr
eine Woche früher aus. Aus diesen Ergebnissen folgern die Wissenschafter,
dass der Klimawandel zu einer Artenverschiebung führen könnte.
Erhöhtes CO 2 wirkte sich auch auf
den Schädlingsbefall aus: Im Sommer
2007 befielen Tausende Blattläuse vor
allem die Bäume unter erhöhtem CO 2.
Denn dort fanden sie mehr Zucker
.
Und das hatte Folgen: Von den Läusen
tropfte Zucker auf den Boden,
was
dort wiederum biologische Abbauprozesse in Gang setzte.
Bei Erwärmung um 3 °C setzten aktivere Mikroorganismen im Boden zusätzliche Mengen CO 2 frei, die nicht –
wie erhofft – durch eine verstärkte
CO2-Aufnahme durch erhöhtes Wachstum ausgeglichen wurden (H AGEDORN
90
Forum für Wissen 2009
Frostschäden (% Deckung)
60
4 Vor lauter Bäumen am
Stillberg den Wald noch
sehen
50
40
30
20
10
0
AK
AW
EK
EW
Abb. 4. Frostschäden bei der Krähenbeere
(Empetrum hermaphroditum) bei unterschiedlichen Behandlungsvarianten. AK =
Aussen-CO2-Konzentrationen (380 ppm
CO2), nicht erwärmt; AW = Aussen-CO2Konzentrationen (c. 380 ppm), erwärmt um
3 °C; EK = Erhöhte CO 2-Konzentrationen
(570 ppm), nicht erwärmt; EW = Erhöhte
CO2 Konzentrationen (570 ppm), erwärmt
um 3 °C.
et al. 2009). Mit Isotopenmessungen
können die Wissenschafter nachweisen, dass das zusätzlich im Boden freigesetzte CO 2 beim Abbau des Rohhumus freigesetzt wird. Das CO 2, das für
die Begasung benutzt wurde
, wies
nämlich ein anderes
Verhältnis der
Kohlenstoff-Isotope C-12 und C-13 auf
als der im Humus gespeicherte K ohlenstoff. Die Isotopenmessungen ergaben, dass eine substanzielle Menge
Kohlenstoff aus dem Boden als Treibhausgas CO 2 in die Atmosphäre gelangte, dass also Humus abgebaut wurde (HAGEDORN et al. 2009). Damit würde dieses Ökosystem bei der zu
erwartenden Kilmaänderung zumindest anfänglich zu einer CO 2-Quelle.
Wie lange dieser Effekt andauert und
welche mengenmässige Bedeutung er
hat, werden die nächsten Versuchsjahre zeigen. Auch bei solchen Experimenten wird die Bedeutung von Langzeitversuchen deutlich: Die jährliche
Variation von Klimafaktoren und
Baumreaktionen ist so gross, dass relevante Folgerungen aus Freilandexperimenten an der Alpinen Waldgrenze oft
erst nach mehreren J ahren oder gar
Jahrzehnten möglich sind.
Die grosse Zahl gepflanzter und beobachteter Bäume birgt eine gewisse Gefahr, dass vor lauter Bäumen und
Daten der Wald beziehungsweise der
praktische Nutzen der langjährigen
Forschung nicht mehr gesehen wird.
Dass dem am Stillberg nicht so ist,
zeigen wichtige Erkenntnisse zur
Hochlagenaufforstung, welche aus der
Stillbergforschung abgeleitet wurden
(SCHÖNENBERGER et al. 1990) und in
die Lehre eingeflossen sind. In gefragten Kursen und Exkursionen wird seit
Jahrzehnten der F orstpraxis, den Studenten und Wissenschaftlern die Bedeutung des Kleinstandorts an der
oberen W aldgrenze gezeigt. A us der
Waldgrenzenforschung wurde zusammen mit den Försterschulen das K onzept der Rottenaufforstung abgeleitet.
Nur eine dem Gelände angepasste
,
zeitlich gestaffelte Pflanzung kann an
der Waldgrenze zu langfristigem Erfolg
führen.
Statt wie früher flächig aufzuforsten,
werden heute Ökologie und Kleinstandort bei Aufforstungen im Gebirge
stärker berücksichtigt und mit standortgerechten Baumarten bepflanzt.
(Beispiel in Abb. 6). Beispielsweise
wurden aus den Lehren vom Stillberg
im Jahr 1984 in einer Waldbrandfläche
im Münstertal zusammen mit dem
Forstdienst eine Rottenaufforstung an
der oberen
Waldgrenze realisiert
(SCHÖNENBERGER und W ASEM 1997).
Die dort gepflanzten Bäume sind heute vier bis sechs Meter hoch und stabilisieren bereits die winterliche Schneedecke. Wichtige Erkenntnisse für die
Praxis konnten auch zur K ombination
von Aufforstungen und technischem
Verbau und zum Verhalten von Bäumen bei Schneebewegungen im Anrissgebiet abgeleitet werden. Temporäre
Holzrechen, wie sie in einem Teil der
Aufforstung errichtet wurden, haben
sich zwar bei der Stabilisierung der
Schneedecke am Stillberg wie auch in
anderen Lawinenanrissgebieten bisher
gut bewährt (L EUENBERGER 2003). Sie
trugen aber gleichzeitig wesentlich dazu bei, dass der Schnee im F rühling
länger liegen blieb und dass immergrüne Nadelbäume stärker von pathogenen
Pilzen befallen wurden (S ENN 1999;
SENN und SCHÖNENBERGER 2001).
Resultate aus den neueren Experimenten zur Wirkung von Klimaeinflüssen auf die Bäume sind zwar nicht unmittelbar in die Tat umzusetzen. Vor
dem Hintergrund der ablaufenden
Klimaänderung könnten aber diese
Erkenntnisse bald wichtige praktische
Bedeutung bekommen. Wenn beispielsweise in wärmeren Böden mehr Humus abgebaut wird und damit Waldgrenzen-Ökosysteme trotz Erhöhung
von Biomasse nicht zu CO
-Senken
2
sondern zu CO 2-Quellen werden und
wenn verschiedene Baumarten unterschiedlich auf den Klimawandel reagieren, dann sind diese Resultate für
ein nachhaltiges Waldmanagement der
Zukunft von grosser Bedeutung.
Abb. 5. Arbeit an einem Baum des CO 2-Erwärmungsexperiments.
Forum für Wissen 2009
91
Dank
Wir danken Ruedi Häsler für wertvolle
Kommentare zu einer früheren
Version des Manuskripts.
6 Literatur
Abb. 6. Modell einer Rottenaufforstung mit F ichten im Gebirgswald (W ASEM 2001; S CHÖNENBERGER 2001; Zeichnung: V. Fataar und U. Wasem).
5 Schlussfolgerungen
Die Versuchsfläche am Stillberg wurde
einst eingerichtet zur Erforschung
von Möglichkeiten und Grenzen der
Wiederaufforstung an der
Alpinen
Waldgrenze, um mit den gewonnen Erkenntnissen Lawinenschäden zu verhindern oder mindestens zu reduzieren. Auch wenn einige wichtige praktische Erkenntnisse schon nach wenigen
Jahren ersichtlich waren und die F orschungstätigkeit für ein paar J ahre fast
aufgegeben werden musste , zeigte sich
das eigentliche Potential der Anlage in
vielerlei Hinsicht erst J ahrzehnte später. Ökologische Zeitreihen weisen oft
so starke Schwankungen auf , dass Extrapolationen aufgrund von einzelnen
Versuchsjahren oft zu unvollständigen
oder gar falschen Schlüssen führen.
Dies gilt insbesondere für Bäume an
der Waldgrenze, für deren Wachstum
und Überleben im Laufe ihrer Entwicklung verschiedene Einflüsse von
wechselnder Bedeutung sind. Dank
dem vor mehr als 30 J ahren systematisch angelegten und dokumentierten
Versuchsaufbau, können am Stillberg
heute und in Zukunft neue relevante
Forschungsfragen angegangen werden,
welche bei der Errichtung der Fläche
noch nicht im Zentrum des Interesses
gestanden sind.
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Abstract
Long term treeline research Stillberg – Can we still see the forest for the trees?
The WSL-research site Stillberg was established in the 1950s to explore suitable
ecological and technical measures in avalanche starting zones near the treeline. In
1975, the site was systematically planted with 92 000 trees of different species .
Microtopography and in particular duration of snow cover was highly relevant for
the survival and growth of trees , but the relative importance of environmental
predictor variables were species specific and changed during the juvenile growth
of the trees . Results of the long term observations on Stillberg helped to better
understand ecological factors in high altitude afforestations . Today the systematic
design of the research site still is a solid basis for simulating effects of elevated
CO2 and higher temperatures on various ecological processes in the treeline ecotone.
Keywords: afforestation, treeline, growth control, CO 2-enrichment, experimental
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Forum für Wissen 2009: 93–102
93
Ausgewählte Ergebnisse aus fünfzig Jahren Forschung
in Schweizer Naturwaldreservaten
Harald Bugmann1 und Peter Brang 2
ETH Zürich, Institut für Terrestrische Ökosysteme, Universitätstrasse 16, CH-8092 Zürich
harald.bugmann@env.ethz.ch
2
WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
peter.brang@wsl.ch
1
Die Erforschung von Urwaldresten hat in Europa eine Tradition, die ins 19. Jahrhundert zurück reicht. In der Schweiz wird seit den 1930er Jahren die Entwicklung von Wäldern, in denen der Mensch nicht eingreift, beobachtet. In knapp 40
Reservaten wurde die Entwicklung von über 150 000 Bäumen individuell
verfolgt, und zudem wurden Waldflächen wiederholt vollkluppiert. Anhand von
Beispielen zeigen wir das Potenzial dieser Inventuren auf: Für den Naturschutz ist
die Verfügbarkeit spezieller Habitate interessant, für den naturnahen Waldbau die
Entwicklungsdynamik von Bestandesstrukturen, und für die ökologische Grundlagenforschung dienen die Daten dazu, die Genauigkeit und Anwendbarkeit von
Simulationsmodellen zu prüfen.
Bereits in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts wurden in Europa Urwaldreste unter Schutz gestellt, um die
Entwicklung des Waldes unter natürlichen Bedingungen, d.h. in Abwesenheit menschlicher Eingriffe , zu beobachten. Diese Flächen lagen in erster
Linie in Ost europa; so wurde 1827
der Ziesbuch-Wald im heutigen polnischen Reservat Cisy-Staro polskje unter Schutz gestellt (Z IELONY 1999), gefolgt von Waldflächen in der heutigen
tschechischen Republik bei Zofin im
Jahr 1838 (HORT et al. 1999). Diese Unterschutzstellung erfolgte in erster Linie aus naturkundlichem Interesse und
Neugier; man war sich der Einzig
artigkeit dieser Wälder bewusst. Später
kam die Einsicht hinzu, dass die Waldbewirtschaftung sich an natürlichen
Prozessen orientieren sollte , d. h. dass
man möglichst mit der Natur und nicht
gegen sie wirtschaftet. Systematische
wissenschaftliche Unter suchungen in
Waldreservaten begannen an den meisten Orten aber erst Mitte des 20. Jahrhunderts; in Westeuropa waren die
Waldbauprofessoren Hans Leibundgut
(ETH Zürich) ab etwa 1940 (vgl. LEIBUNDGUT 1959) und Hannes Mayer
(BOKU Wien) ab etwa 1960 weg
-
weisend (vgl. M AYER et al. 1972). Hinter dem damaligen Eisernen Vorhang
wurde ebenfalls in vielen Waldreservaten geforscht, was aber trotz des
regen Informationsaustauschs in der
IUFRO-Arbeitsgruppe «Urwald» erst
nach dem Ende der kommunistischen
Regimes im Westen weiter bekannt
wurde (z. B. K ORPEL’ 1995). Diese
IUFRO-Arbeitsgruppe existiert übrigens heute noch (8.01.01 – «Old
growth forests and forest reserves»,
verantwortlich ist derzeit T. Spies vom
US Forest Service).
In der Schweiz wurden die ersten
Waldreservate auf Initiative von Naturschutzorganisationen und des Schwei15
Anzahl
1 Geschichte der
Reservatsforschung
zerischen Forstvereins eingerichtet, so
1910 das Reservat Scatlè bei Breil/
Brigels im Vorderrheintal, 1914 der
Nationalpark und 1933 das Reservat
Aletschwald. Die systematische Erforschung der Walddynamik in Reservaten begann mit vier Waldflächen im
Nationalpark (Z INGG und S CHÜTZ
2006) und erfuhr ab etwa 1945 auf Initiative von Hans Leibundgut einen
grossen Aufschwung. Im J ahr 1948
wurde das Reservat «Moos» bei Birmensdorf vertraglich gesichert (E IBERLE 1967), und im Lauf der Zeit dehnte
Leibundgut die F orschungstätigkeit
auf ein schweizweites Netzwerk von 37
Reservaten aus . Die bekanntesten
davon sind der Bödmeren
wald im
Kanton Schwyz, das Reservat im von
Charles F erdinand Ramuz literarisch
verewigten Talkessel von Derborence
sowie die bereits erwähnten Reservate
Aletschwald am Rand des
Aletschgletschers und Scatlè. Die Reservate
dieses Netzwerks waren 0,6 bis 244,8
ha gross, die Mehrzahl aber kleiner als
10 ha (Abb. 1). Die kleinen Reservatsflächen widerspie geln das damals
Machbare, aber auch die damaligen
Forschungsinteressen: einerseits wurden grossflächige Störungen wie Wind-
10
5
0
<2,0
2,0–4,9
5,0–9,9
Flächengrösse (ha)
10,0–49,9
≥50,0
Abb. 1. Verteilung der Flächengrössen pro Reservat im ursprünglichen ETH-Reservatsnetzwerk, das von Prof. Leibundgut und seinem Nachfolger Prof. Schütz aufgebaut wurde.
94
Forum für Wissen 2009
wurf, Waldbrand oder Insekten-Kalamitäten noch nicht als Teil der natürlichen Walddynamik angesehen, sondern
als aussergewöhnlich; und andererseits
war das Interesse auf die Erforschung
der zyklischen Entwicklung innerhalb
der «Klimaxgesellschaft» ausgerichtet.
Aufgrund der Tatsache, dass bis in
die 1980er Jahre nur wenige Zeitreihen
von mehr als 20 Jahren aus den Reservatsinventuren vorlagen, versuchte man
Legende:
Jungwaldphase
Jungwuchs
Dickung
Schwaches Stangenholz
aufgrund von sorgfältigen Beobachtungen, Kartierungen (Abb . 2) und ersten Inventurergebnissen abzuleiten,
wie die Waldentwicklung in den Reservaten abläuft. Leibundgut und andere
Wissenschaftler leiteten schematische
Darstellungen der Entwick lungsdynamik verschiedener
Waldtypen her
(Abb. 3). Sie teilten die Waldentwicklung ein in aufeinander folgende Entwicklungsphasen wie die J ungwald-,
Häufigkeit
•
reichlich
• häufig
– gelegentlich
| selten
+ örtlich
Optimale Phase
einschichtig
zweischichtig
mehrschichtig
•
Optimal- und Alterungsphase des Waldes. Diese Vorstellungen der Waldentwicklung fanden eine weite Verbreitung in den Forstwissenschaften. In der
neueren Forschung werden sie anhand
konsolidierter Daten aus dem schweizerischen Reservats-Netzwerk und anderen Quellen kritisch überprüft.
In einigen Reservaten liegen heute
bereits fünf oder sogar sechs Inventuren seit 1956 vor . Auf Dauerflächen
Altersphase
Zerfallphase
beginnend
fortgeschritten
•
•
•
Erlen
® nicht bestockt
• Verjüngungsphase
Abb. 2. Kartierung der Entwicklungsphasen in der untersten Höhenstufe des Reservats «Scatlè» (ca. 3,2 ha) durch HILLGARTER (1971) (abgeändert).
Forum für Wissen 2009
(Kernflächen) wurden alle Bäume im
Reservat nach einem vorgeschriebenen Protokoll vermessen (L EIBUNDGUT 1959): der Stammdurchmesser auf
1,3 m über Boden, die Vitalität der
Bäume und andere Grössen wurden
aufgenommen; bei einem Teil der Bäume wurde auch die Höhe gemessen.
Die Inventuren fanden je nach Baumarten, Höhenlage und Entwicklungsgeschwindigkeit der Wälder alle 5 bis 12
Jahre statt. Wichtige Erkenntnisse aus
diesen Arbeiten waren unter anderem,
dass der Holzvorrat im Naturwald auf
grösseren Flächen über die Zeit recht
konstant ist, und dass die Baumgenerationen sich überlappen. Dies waren
wichtige Impulse für den «naturnahen
Waldbau» (BRANG 2005).
Obwohl die Bewirtschaftung in den
meisten Reservaten bereits J ahrzehnte
vor ihrer Unterschutzstellung extensiviert oder sogar ganz eingestellt worden war , zeigen die bisher erhobenen
Inventurdaten, dass die meisten Reservate sich noch in der Optimalphase befinden, d. h. die Grundfläche nimmt zu
und die Stammzahl ab . Dicke Bäume
sind in den meisten Reservaten (noch)
selten, und natürliche Zerfallsphasen
infolge Störungen durch
Windwurf
oder Borkenkäfer sind die Ausnahme.
Tabelle 1 illustriert diese Situation: Im
Reservat J osenwald am Walensee ist
der lebende Vorrat auch heute noch
geringer als der gesamtschweizerische
Durchschnitt gemäss Landesforstinventar, da in diesem Reservat im 19.
Jahrhundert eine ausgedehnte Kahlschlagwirtschaft verbreitet war (vgl.
RÖTHELI 2007 und T EMPERLI et al.
2008); der liegende Totholzvorrat hingegen ist bereits beachtlich hoch, was
auf vergangene Störungsereignisse wie
Windwurf deutet; entsprechend gibt es
bereits eine grosse Anzahl von naturschützerisch wichtigen Habitatstrukturen wie Spechtlöcher , Höhlen mit
Mulmkörper und Kronentotholz (vgl.
BRANG et al. 2008). Im Reservat Scatlè
ist der lebende
Vorrat bereits sehr
hoch, ebenso der Totholzvorrat. Einzelne Störungen sind aufgetreten: Bereits in den 1980er J ahren entstanden
Käferlöcher, und später kamen Schneebruch, Windwurf und Lawinen dazu.
Solche Störungen können in Zukunft
die Waldstruktur innert kürzester Zeit
umkrempeln. Im Reservat St. Jean am
Chasseral schliesslich sind die Spuren
95
Abb. 3. Schema der Entwicklungsdynamik in der Klimaxgesellschaft der Fichtenwälder der
höheren Lagen in den Westkarpaten (aus KORPEL’ 1995).
Tab. 1. Forstliche und ökologische K ennzahlen aus drei Reservaten des ETH-Netzwerks;
Daten aus den letzten Inventuren von ETH resp . WSL; «Habitatstrukturen» beziehen sich
auf Phänomene wie Spechtlöcher, Kronentotholz, Höhlen mit Mulmkörper am Stamm (vgl.
BRANG et al. 2008).
Reservat
Variable
Wert
Einheit
Josenwald
lebender Vorrat
Totholz
stehend
liegend
230–260
5–8 m
50–100
60–120
m3/ha
3
/ha
m3/ha
/ha
stehend
liegend*
600–800
100–130
125–250
11
m3/ha
m3/ha
m3/ha
/ha
Habitatstrukturen
Scatlè
St. Jean
lebender Vorrat
Totholz
«Giganten» (BHD>80 cm)
* basierend auf Erhebungen im Rahmen von studentischen Praktika der ETH Zürich in
den Jahren 2007 und 2008.
der früheren Beweidung noch gut
sichtbar: Es gibt eine grosse
Anzahl
von solitär aufgewachsenen, dicken
Fichten und Bergahornen, welche einen Stamm durchmesser von mehr als
80 cm aufweisen.
2 Fallbeispiele der
Waldentwicklung gemäss
Inventuren
2.1 Strukturkonstanz im Reservat
St. Jean (Chasseral)
Im Reservat St. Jean am Nordhang des
Chasseral (1330–1420 m ü. M.), einem
Ahorn-Buchenwald, wurde 1960 die
erste Inventur (Vollkluppierung auf 7,8
ha mit Kluppschwelle 4 cm) durchge-
führt. Die J ahresmitteltemperatur beträgt 4,5 °C, der Niederschlag liegt vermutlich wesentlich höher als bei der
Gipfelstation des Chasseral mit 1155
mm/Jahr gemessen, da der Nebelniederschlag und die zum Teil sehr grossen Schneeverfrachtungen im Reservat
in dieser Zahl nicht berücksichtigt sind.
Geologisch stockt das Reservat auf
Jurakalken, wobei F elsbänder ständig
Schutt zuführen, woraus sich die spezielle Waldgesellschaft erklärt. Der Bestand dürfte vor der Reservatsgründung (1957) beweidet worden sein, was
sich noch heute in der
Waldstruktur
und -textur äussert, einerseits durch
den Wechsel von Offenflächen und bestockten Partien, andererseits durch
das Vorhandensein vieler sehr dicker
Bäume (vgl. weiter oben).
96
Forum für Wissen 2009
Die Grundfläche der lebenden Bäume hat zwischen der ersten (1960) und
der neusten (2008) Inventur von 31,1
auf 35,4 m 2/ha zugenommen; die toten
stehenden Bäume hatten 2008 eine
Grundfläche von lediglich 1,9 m 2/ha.
Auch die Stammzahl hat leicht zugenommen, von 449 auf 510/ha.
Die
Stammzahlverteilung (Abb. 4) und damit die Waldstruktur haben sich innert
knapp 50 J ahren nur wenig verändert.
Immerhin haben in dieser Periode sehr
dicke Bäume stark zugenommen. Auch
ist Verjüngung in Gang gekommen,
d. h. die Anzahl Bäume in der untersten Durchmesserklasse hat stark zugenommen; dabei dominieren Bergahorne und Salweiden, welche in den
Bestandeslücken aufkommen (W iederbewaldung). Im J ahr 2008 lag der
lebende Vorrat im Reservat bei 315
Vfm/ha*, wovon 78 % Fichten und 16 %
Bergahorne waren. Der sehr hohe
Fichtenanteil erklärt sich einerseits
durch die ehemalige Beweidung (wenig bevorzugte Viehnahrung, gutes
Keimbett für die F ichte wegen des
Tritts), andererseits aber auch durch
den erwähnten Schnee reichtum und
die kühle Lage.
* Vfm = Volumen-Festmeter, ein Schätzwert für Kubikmeter (m 3) des stehenden
Baumes.
In der letzten Inventur (2008) wurden erstmals das liegende Totholz und
die naturschützerisch wichtigen Habitatstrukturen erhoben. Der liegende
Totholzvorrat beträgt lediglich 16
m3/ha (V ollerhebung in den K ernflächen auf 2,1 ha, nicht im gesamten Reservat); Habitatstrukturen wurden
14/ha gefunden, 8/ha an Laubbäumen
und 6/ha an F ichten. Sie traten damit
an jedem dritten Laub baum mit BHD
≥ 36 cm auf , aber nur an jeder achten
Fichte. Die häufigste Habitatstruktur
waren Löcher am Stamm mit 5/ha.
Die Daten aus dem Reservat St. Jean
zeigen, dass die Waldentwicklung langsam abläuft und auch beinahe 50 Jahre
noch eine kurze Periode darstellen, in
welcher sich das Waldbild (in Abwesenheit von grossflächigen Störungen)
nicht drastisch ändert. In weiteren 50
Jahren könnte das aber anders aussehen, wenn die F ichten zu echten «Giganten» werden und zunehmend ausfallen.
2.2 Baumarten-Diversität in sechs
Buchenwald-Reservaten
Statt sich auf ein einzelnes Reservat zu
konzentrieren mit der Auswertung der
Inventurdaten, kann es lohnend sein,
Reservate zu vergleichen resp . die Inventurdaten gemeinsam auszu werten.
HEIRI (2009) hat dies unter anderem
für ausgewählte Buchenwaldreservate
des Mittel landes und J uras getan; die
Auswahlkriterien waren in erster Linie
die Datenqualität und die Länge der
verfügbaren Datenreihen. Die sechs
Reservate (T ariche Haute Côte &
Tariche Bois Banal JU , Weidwald &
Unterwilerberg AG, Adenberg & Fürstenhalden ZH) stellen einen Stand ortsgradienten von kühl-feucht zu
warm-trocken dar; sie weisen J ahresmitteltemperaturen zwischen 7,6 und
8,9 °C und jährliche Nieder schlagssummen zwischen 1276 und 910 mm auf .
Die Inventuren reichen bis ins J
ahr
1960 zurück und umfassen mindestens
23 (Fürstenhalden) und höchstens 38
Jahre (Weidwald).
Die Analyse zeigt eine Reihe von bemerkenswerten Eigenschaften der Reservate: 1) Die «Buchenwälder» sind
durch eine sehr grosse Variabilität der
Baumarten gekennzeichnet, von fast
reinen Buchenbeständen (Fürstenhalde) bis zu sehr diversen Bestockungen
wie in Weidwald oder in Unterwilerberg (Abb . 5); ob diese Unterschiede
auf standörtliche Unter schiede oder
auf die ehemalige Bewirtschaftung zurückzuführen sind, konnten HEIRI et al.
(2009) nicht eindeutig klären. 2) Ähnlich wie im Reservat St. J ean zeigte
sich, dass die Waldstruktur sich innerhalb weniger J ahrzehnte nicht drastisch ändert. 3) Die Anzahl der vorkommenden Baumarten hat in allen
Reservaten stark abgenommen (minimal bis 20 %, maximal bis 30 %). Dies
500
1960
2008
450
400
Stammzahl/ha
350
300
250
200
150
100
50
0
4–7
8–11
12–15 16–19 20–23 24–27 28–31 32–35 36–39 40–43 44–47 48–51 52–55 56–59 60–63
Durchmesserklassen [cm]
>63
Abb. 4. Entwicklung der Stammzahlverteilung im Reservat St. Jean (Chasseral) zwischen der ersten (1960) und der neusten (2008) Inventur.
Forum für Wissen 2009
97
3 Für viele Forschungsfragen
verwendbare
Inventurdaten
Neben Auswertungen der Inventurdaten für die Analyse der Entwicklungsdynamik der Waldbestände lassen sich
die Inventurdaten auch für andere Forschungsfragen einsetzen, die in neuerer
Zeit grosse Aktualität bekamen. Anhand von zwei Beispielen sei dies hier
illustriert: Einerseits anhand der Frage,
ob sich aufgrund des Zuwachses der
Bäume ihre Mortalitätswahrscheinlichkeit quantifizieren lässt, was wichtig ist
für die Abschätzung der P opulationsdynamik von Waldbeständen unter
Szenarien des globalen Klimawandels
(vgl. BRESHEARS et al. 2005); und andererseits anhand der F rage, wie realitätsnah die Simulations modelle sind,
welche für die Abschätzung der Auswirkungen des Klimawandels auf die
zukünftige Bestandesdynamik verwendet werden (vgl. Z IMMERMANN und
BUGMANN 2008).
3.1 Zusammenhang zwischen
Zuwachs und Mortalität
Abb. 5. Entwicklung der Baumartenzusammensetzung in sechs Buchenwaldreservaten der
Schweiz von der ersten bis zur neusten Inventur-Kampagne. Der Importance Value berücksichtigt sowohl die artspezifische Grundfläche als auch die Stammzahl. Die Zahl oberhalb
jeder Säule gibt an, wie viele Baumarten im Reservat zum jeweiligen Zeitpunkt vorhanden
waren (aus HEIRI et al. 2009).
ist eine Konsequenz der seit der Reservatsgründung zunehmenden Grund fläche, womit auch ein grösserer Bestandesschluss und somit eine grössere
Beschattung einhergeht. Die aus
den Reservatsflächen verschwundenen
Baumarten sind denn auch ausschliesslich Licht- und Halbschattenarten
(HEIRI et al. 2009). Erst beim Eintreten
von grossflächigen Störungen oder
wenn die Alterungs- und Zerfallsphase
in den Buchenwaldreservaten erreicht
sein werden, dürfte die Baumarten-Di-
versität wieder zunehmen; bis zu jenem
Zeitpunkt ist eine weitere Abnahme zu
erwarten. Die Unterschutzstellung eines Waldes hat also nicht für alle
Aspekte der Biodiversität die gleichen
Konsequenzen: was für die Baumarten-Diversität (mittelfristig) negativ
ist, ist bereits kurzfristig für andere Artengruppen wie höhlenbrütende Vögel, holzbewohnende Insekten oder
Pilze positiv, da die stehende und liegende Totholzmenge ständig zunimmt.
Es ist nicht neu, dass schlecht wachsende Bäume im Allgemeinen eine grössere Mortalität aufweisen. Der Zuwachs
alleine ist als Prädiktor aber nicht hinreichend, erreichen doch zum Beispiel
langsamwüchsige Bäume nahe der
oberen Waldgrenze oftmals sehr hohe
Alter. Ist es also möglich, aufgrund von
Variablen, die ausschliesslich aus dem
Zuwachs abgeleitet werden, die Mortalität vorherzusagen? BIGLER (2003) beprobte Paare von stehenden lebenden
resp. stehenden toten F ichten aus bewirtschafteten und unbewirtschafteten
Wäldern mit dendrochronologischen
Methoden. Aus diesen Daten leitete er
einen Satz von Variablen her, wie zum
Beispiel den absoluten Zuwachs über n
Jahre vor dem Tod der Bäume, die Veränderung des Zuwachses [linearer
Trend] über k J ahre vor dem Tod oder
den relativen Grundflächen-Zuwachs
über m J ahre vor dem Tod. Anhand
dieser Variablen war es mit einer Trefferwahrscheinlichkeit von etwa 80 %
möglich, vorherzusagen, ob die Bäume
überleben oder absterben (vgl. BIGLER
und BUGMANN 2003, 2004).
98
Diese Analysen sind potentiell sehr
nützlich, doch ist die dendrochronologische Untersuchung von Bäumen aufwändig, und die genannten Arbeiten
beschränkten sich denn auch auf einige
wenige Baumarten. Als Alternative
bieten sich – theoretisch – die Inventurdaten aus den Waldreservaten an,
welche ein grosses Spektrum an Baumarten abdecken, auch wenn diese
Daten keine jährliche Auflösung aufweisen. W UNDER (2007) untersuchte
eingehend, ob Inventurdaten aus Waldreservaten geeignet sind für die Vorhersage der Mortalität (Abb. 6–8). Dabei zeigte sich, dass auch mit diesen
zeitlich nur grob aufgelösten Daten
(Inventurzeiträume von 5–12 J ahren,
vgl. oben) sehr gute statistische Modelle hergeleitet werden können (Abb. 8).
Ein Wermutstropfen bleibt: die Modelle unterscheiden sich in ihrer Struktur
und in ihren Parameterwerten, je nachdem, in welcher Inventurperiode man
sie kalibriert. Ebenso ist festzuhalten,
dass die Modelle anders aussehen,
wenn sie für Daten aus Bialowiexa hergeleitet werden, als wenn dies anhand
von Schweizer Reservatsdaten erfolgt.
Mit anderen Worten: die Modelle
«funktionieren» zwar gut für jene Periode und jene Region, für welche sie
hergeleitet wurden; ihre Übertragbarkeit in der Zeit und im Raum ist aber
derzeit noch nicht gegeben.
3.2 Überprüfung der Aussagen von
Simulationsmodellen
Seit etlicher Zeit werden weltweit Simulationsmodelle eingesetzt, um die
zu erwartende Walddynamik unter einem sich rasch ändernden Klima zu
untersuchen (vgl. Z IMMERMANN und
BUGMANN 2008). Dabei stellt sich die
Frage, wie gut diese Modelle eigentlich
die Strukturdynamik von Wäldern wiedergeben. In der Vergangenheit wurden die Modellaussagen mit Daten aus
verschiedensten Quellen verglichen, so
zum Beispiel mit Beschreibungen der
potentiellen natürlichen
Vegetation
(PNV, z. B. BUGMANN 1999), mit paläoökologischen Daten (z. B. H EIRI et al.
2006) oder mit Daten aus ertragskundlichen V ersuchsflächen (z. B. DIDION
et al. 2009). Diese Datenquellen haben
aber nicht nur Vor-, sondern auch erhebliche Nachteile . So sind zum Bei-
Forum für Wissen 2009
Abb. 6. Durchschnittlicher jährlicher Zuwachs (ausgedrückt als Logarithmus des relativen
Grundflächen-Zuwachses, relbai) von 9 Baumarten aus Waldreservaten der Schweiz und
aus dem Reservat Bialowiexa (Polen). Der linke Boxplot bei jeder Art zeigt die Verteilung
für die abge storbenen Bäume, der rechte Boxplot jene für die überlebenden Bäume (aus
Wunder 2007).
Buche
BHDQuantile
Überlebenswahrscheinlichkeit:
= Logit
P
log( Survival )
PMortality
95%
50%
5%
Abb. 7. Schematisches Diagramm für die Interpretation von Abb. 8. Der Logarithmus des
relativen Grundflächenzuwachses (B AI/BA) wird auf der x-Achse , der sog . Logit (Logarithmus des Quotienten aus Überlebens- und Mortalitätswahrscheinlichkeit) auf der yAchse für jeden Baum eingetragen (graue Punktewolke). Je weiter rechts ein Punkt liegt,
desto grösser ist der relative Zu wachs des Baumes gewesen; je weiter oben ein Punkt liegt,
desto grösser ist die Überlebenswahrscheinlichkeit des Baumes gemäss Modell.
Die Güte des statistisches Modells wird anhand des AUC (Area Under the Curve) angegeben; der AUC ist vergleichbar dem K orrelationskoeffizienten in der linearen Regression;
Werte von AUC > 0.7 gelten als gut, solche über 0.8 als hervorragend für ein statistisches
Modell (für Details vgl. WUNDER 2007).
spiel bei Beschreibungen der PNV keine Aussagen über die Bestandesstruktur möglich, und die Angaben sind
meist rein qualitativ;
bei paläo
ökologischen Daten ist die zeitliche
Auflösung meist gering (J ahrhunderte), und man steht vor der Aufgabe, gemessene P ollenfrequenzen mit simulierten Grundflächen zu vergleichen;
bei ertragskundlichen Daten schliesslich ist die Bewirtschaftung oft das dominierende Signal in den Messdaten,
so dass die Qualität der Abbildung der
ökologischen Prozesse im Modell nur
unzureichend überprüft werden kann.
Daten aus Waldreservaten können
hier eine wichtige Rolle spielen, denn
sie repräsentieren die
Walddynamik
unter natürlichen Bedingungen, wie sie
auch in den Modellen simuliert werden
sollten. Der einzige Nachteil ist, dass
die gemessenen Zeitreihen noch relativ kurz sind (25 bis maximal 50 Jahre);
aber mit jeder weiteren Inventur verliert dieser Nachteil an Gewicht.
Forum für Wissen 2009
HEIRI (2009) untersuchte in ihrer
Dissertation das Verhalten des Waldsukzessionsmodells F orClim (D IDION
et al. 2009) anhand von Inventurdaten
aus 18 Versuchsflächen in 10 schweizerischen Waldreservaten. Sie benutzte
die erste Inventur , um das Modell zu
initialisieren, und simulierte dann die
Waldentwicklung bis zur letzten (neusten) Inventur . Die simulierte Durchmesserverteilung für die letzte Inventur wurde dann mit der gemessenen
Durchmesserverteilung verglichen.
Dabei zeigte sich, dass die Artenzusammensetzung im Allgemeinen sehr
gut simuliert wurde, mit Ausnahme der
Eibe, deren Häufigkeit das Modell in
den Reservaten Weidwald und Unterwilerberg massiv unterschätzte. Bezüglich der simulierten Durchmesserverteilung ergaben sich ebenfalls sehr ansprechende Resultate (vgl. Abb. 9),
wobei die grössten Divergenzen bei
der Verjüngung festzu stellen waren. In
eher dichten Beständen (z. B. Tariche
Bois Banal) wurde die Verjüngung un-
99
Abb. 8. Ergebnisse der statistischen Modellierung des Mortalitätsrisikos als Funktion des
relativen Grundflächen-Zuwachses für 4 Baumarten anhand von Daten aus
Waldreservaten. Die statistischen Modelle haben durchwegs eine gute (A UC >0.7) bis sehr gute
(AUC >0.8) Aussagekraft. Zur Interpretation vgl. Abbildung 7.
Abb. 9. Vergleich der gemessenen Bestandesstruktur (schwarze Linien) mit der vom Modell ForClim simulierten Bestandesstruktur (graue
Linien) für die letzte Inventur auf 11 Versuchsflächen, welche nicht für die Kalibrierung des Modells verwendet wurden (d.h. Validierung
des Modells). Leih = Leihubelwald; fhwch = Fürstenhalde Weiach; uwiba = Unterwilerberg; derb = Derborence; tarbb = Tariche Bois Banal;
boed = Bödmerenwald; scat = Scatlè.
100
terschätzt, in eher offenen Beständen
(z. B. Bödmerenwald) aber überschätzt.
Diese Divergenzen zwischen Modell
und Realität liefern wertvolle Hinweise für den weiteren Entwicklungs
bedarf des Modells , was zu robusteren
und zuverlässigeren Simulationsergebnissen unter dem Aspekt «Klimawandel» führen wird. Gleichzeitig zeigen
die Simulationsergebnisse aber auch,
dass dieses Sukzessionsmodell bereits
jetzt gut in der Lage ist, die beobachtete Dynamik in Waldreservaten wiederzugeben.
4 WSL, ETH und BAFU führen
die Reservatsforschung
weiter
Die obigen Ausführungen zeigen, dass
Reservatsdaten für viele F ragen genutzt werden können und eine Vielzahl
von äusserst interessanten Ergebnissen
abwerfen, welche für die F orstpraxis,
für die angewandte F orschung und
auch für die Grundlagen forschung von
grossem Interesse sind. Wir sind deshalb überzeugt, dass die Weiterführung
der Inventur arbeiten in den schweizerischen Waldreservaten wichtig ist, und
haben in Zusammenarbeit mit dem
BAFU im J ahr 2006 das gemeinsame
Projekt «Forschung und Wirkungskontrolle in Na turwaldreservaten» lanciert, das derzeit bis ins J ahr 2015 gesichert ist.
Dieses Projekt (vgl. http://www.waldreservate.ch) beschränkt sich auf Naturwaldreservate (NWR) und hat die
folgenden Ziele: 1) Es stellt die Grundlage für die
Wirkungskontrolle der
Waldreservatspolitik des Bundes dar;
2) WSL und ETH stellen ein aussagekräftiges Monitor ing in NWR sicher ,
unter Einbezug der bisherigen ETHReservate; 3) WSL und ETH stellen eine Beratung für F ragen zum Monitoring in NWR sicher;
4) zwei F orschungsziele stehen im Vordergrund,
nämlich das verbesserte Verständnis
der Waldentwicklung ohne Eingriffe
und die Verbesserung unserer K enntnisse über die Totholzdynamik.
Das Monitoring-Konzept für die Reservatsforschung wurde überarbeitet
(BRANG et al. 2008). Einerseits bleibt
der inhaltliche F okus auf der Waldstruktur, wie dies bereits in der ETHReservatsforschung F all war . Wie bis-
Forum für Wissen 2009
her werden lebende Bäume und stehendes Totholz erfasst, neu aber auch
liegendes T otholz, Baumverjüngung
und naturschützerisch wertvolle Habitatstrukturen erhoben. Andererseits
wird mit einer veränderten Kombination von Erhebungsdesigns gearbeitet:
Auf etwa 170 sogenannten K
ernflächen, welche 0,1 bis 3,5 ha gross sind
(Median: 0,59 ha), werden die Bäume
individuell vermessen und permanent
markiert. Um repräsentative Ergebnisse zu erhalten, wird neu in 24 Reservaten von über etwa 30 ha Fläche eine
Stichprobeninventur mit total etwa
1400 permanenten Stichproben durchgeführt, in kleinen Reservaten hingegen werden weiterhin Abteilungen von
etwa 2 bis 3 ha Fläche vollkluppiert.
Die Stichprobeninventur lehnt sich
methodisch ans LFI an, was direkte
Vergleiche mit dessen Ergebnissen ermöglicht. Die Inventur enthält aber
ebenfalls die naturschützerisch wichtigen Habitatstrukturen. Der Aufnahmeturnus beträgt je nach Reservat
(Wüchsigkeit) 10 bis 15 Jahre.
Beim Monitoring werden zwei Intensitätsstufen unterschieden (Abb . 10):
Fünfzehn Reservate werden «intensiv»
untersucht, so dass Aussagen pro Reservat möglich sind und ein vertieftes
Verständnis der lokalen Entwicklungsdynamik gewonnen werden kann; weitere 34 Reservate werden «extensiv»
untersucht, um Aussagen pro Reservatsgruppe zu ermöglichen (z. B. für
die Buchenwaldreservate des Mittellandes) und die Resultate aus den intensiv beobachteten Reservaten durch
eine grössere Anzahl von Flächen zu
plausibilisieren. Das Netzwerk der Reservate mit Monitoring umfasst 49 Reservate, wobei vegetationskundliche
Verbände berücksichtigt wurden, die
entweder weit verbreitet sind oder für
welche die Schweiz eine besondere
Verantwortung trägt. Von diesen 49
Reservaten stammen 33 aus dem Reservatsnetzwerk der ETH.
Die Erhebungen werden ergänzt mit
einer einmalig erstellten Grunddoku mentation für jedes Reservat, welche
verschiedenste Elemente wie Klima daten, standorts kund liche Angaben
(wenn möglich eine Kartierung), Hinweise zur Waldgeschichte usw. enthält.
Schliesslich werden vor allem für Umsetzungszwecke neu terrestrische Fotoserien erhoben. Dieses Grundpro-
gramm kann – Interesse und F inanzierung vorausgesetzt – durch zusätzliche
Module erweitert werden.
Nicht in jedem Waldreservat muss
ein Monitoring durchgeführt werden –
ausserhalb des Projektes von
WSL,
ETH und BAFU gibt es viele Reservate, in welchen WSL und ETH keine Inventurarbeiten durchführen. Hier können die Kantone wichtige Partner werden, wenn sie Interesse haben, selbst
ein Monitoring durchzuführen oder ein
«extensives» Monitoring des Projektes
zu einem «intensiven» aufzuwerten.
5 Schlussfolgerungen
Wir sind überzeugt, dass sich die fünfzig Jahre Forschung in Waldreservaten,
welche von Prof . Leibundgut initiiert
wurden, mehr als gelohnt haben; dies
aus den folgenden Gründen:
Erstens ist die langfristige Beobachtung der Walddynamik von grossem
Interesse für den Naturschutz,
den
Waldbau und die ökologische F
orschung, wie wir anhand verschiedener
Fallbeispiele von Datenauswertungen
(St. J ean, Buchenwaldreservate) zeigten.
Zweitens können «alte» Daten in einem neuen F orschungskontext verwendet werden, wo sie die Basis für
wichtige Erkenntnisse in der «modernen» F orschung liefern; dies versuchten wir mit den Anwendungen im Zusammenhang mit der Vorhersage der
Mortalität von Waldbäumen oder mit
der Simulation der Waldentwicklung
mit Simulationsmodellen zu zeigen.
Drittens ist bemerkenswert, dass im
Gegensatz zu vielen anderen Phänomenen bei den Waldreservatsdaten das
ökonomische Gesetz des abnehmenden Grenznutzens nicht gilt – ganz im
Gegenteil: mit jeder Inventur werden
die Daten wertvoller, weil sich aus längeren Zeitreihen überproportional viel
mehr schliessen lässt als aus kürzeren.
Wir haben es also mit dem Phänomen
des zunehmenden Grenznutzens zu
tun, was die Weiterführung der Reservats-Inventuren umso wichtiger erscheinen lässt. Daher werden auch
55 % der Zeitreihen aus K ernflächen
und Abteilungen weitergeführt, und
die bisher erhobenen Daten sind kompatibel mit jenen der neuen Inventuren.
Doch auch Langzeitforschung muss
Forum für Wissen 2009
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
Adenberg
Aletschwald
Arena
Bannhalde
Bettlachstock
Bödmerenwald
Bois de Chênes
Combe Biosse
Derborence
Follatères
Fürstenhalde
Girstel
Grand Paine - auto Chia
Hobacher / Salzbrunnen
Hüntwangenhalde
Josenwald
Kreisalpen
101
11
18
4
19
20
21
22
23
24
4
25
26
27
28
29
30
31
Krummenlinden
La Niva
Langgraben
Leihubelwald
Mettlenrain-Höchi
Montricher
Murgtal
Nationalpark
Pfynwald
Rinsberg
Scatlè
Seeliwald
Seldenhalde/Wutach
Selvasecca
Sihlwald
St. Jean
Steibruchhau
4
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
11
43
44
Strassberg
Tamangur
Tariche Bois Banal
Tariche Haute Côte
Thurspitz-Rheinhölzli
Tiefenwald
Tösswald
Tutschgenhalden
Uaul Prau Nausch
Umikerschachen
Unterwilerberg
Val Cama / Val Leggia
Vorm Stein
Weidel
Weidwald
Abb. 10. Das Reservats-Netzwerk der Schweiz im neuen Projekt von WSL, ETH und B AFU. Kartendaten: dhm25 und vector25 © 2009
swisstopo (DV033492.2). Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (JA082265).
wandlungsbereit sein: Im Rahmen des
neuen Reservatsprojektes von WSL,
ETH und BAFU wurde das ReservatsNetzwerk wie oben beschrieben angepasst, einige Reservate wurden aufgegeben, andere kamen hinzu, und die
Inventurmethode wurde kritisch überprüft, verfeinert und ergänzt.
Dies
stellt sicher , dass die WaldreservatsForschung auch in Zukunft wertvolle
Erkenntnisse liefern kann.
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Methodik der Struktur - und Zuwachs-
Abstract
Selected results from fifty years of research in Swiss forest reserves
Research in the remaining natural forests of Europe has a tradition going back to
the 19th century. In Switzerland, research on forest dynamics in reserves has been
carried out since the 1930s in a network comprising now 49 reserves and more
than 150’000 trees whose fate is followed individually . We provide an overview
of the history , rationale and approach for research in forest reserves and give
examples of the results obtained from these investigations , including (1) mapping
efforts of developmental phases; (2) schemes of forest succession derived from
these mappings; (3) developmental trends based upon the inventory data covering
now nearly 50 years in some reserves; (4) the quantification of the mortality probability of trees based on their growth history; and (5) the evaluation of computer
models of forest succession regarding their accurac y and reliability . F inally, we
describe the new forest reserve project, which is a joint long-term effort between
WSL, ETH and FOEN (the Swiss F ederal Office for the Environment) that aims
to continue the monitoring and research activities in the Swiss network of forest
reserves.
Keywords: forest reserve, research, conservation, long-term monitoring, ecological
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Forum für Wissen 2009: 103–109
103
Können genetische Grundlagen zur nachhaltigen
Waldnutzung beitragen?
Felix Gugerli
WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
felix.gugerli@wsl.ch
Die Erhaltung genetischer Vielfalt ist integraler Bestandteil des Biodiversitätsschutzes, dem sich auch die Waldnutzung verschrieben hat. Um natürliche und
vom Menschen beeinflusste Prozesse, welche sich auf die genetische Vielfalt auswirken, besser zu verstehen, stellen genetische Studien wichtige Grundlagen bereit. Wie im folgenden Artikel an Beispielen erörtert wird, können diese Erkenntnisse dazu beitragen, Waldnutzung nachhaltig zu betreiben. Allerdings dürfen die
Erwartungen nicht zu hoch gesteckt werden, denn die meisten genetischen Studien geben keine Auskunft über die Fitness oder Anpassungsfähigkeit von Waldbäumen. Die Möglichkeiten und Grenzen von genetischen Untersuchungen müssen deshalb differenziert und ihre Aussagekraft kritisch beleuchtet werden.
Nachhaltigkeit ist so facettenreich wie
ihre Auslegung, und Gleiches gilt für
genetische Vielfalt: die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die
ökologische Betrachtungsweise der
Nachhaltigkeit, soziale und ökonomische F aktoren werden kaum berücksichtigt. Ausserdem ist das Augenmerk
auf waldbauliche Aspekte und auf
Waldbäume gerichtet. Letztere sind die
wichtigsten Strukturbildner in Waldökosystemen und sind Lebensraum einer grossen Vielfalt von Arten und
Artengemeinschaften (Insekten, Wirbeltiere, Pilze, Bakterien, usw.). Die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus
den untenstehenden Ausführungen zu
Waldbäumen können aber nicht
direkt auf andere Organismengruppen
übertragen werden.
1 Vielfalt genetischer Viefalt
Genetische Variation hat viele Gesichter, weshalb die einleitende Klärung einiger grundlegender F achbegriffe (fett
hervorgehoben) im Kontext dieses Artikels unabdingbar ist und in nachfolgenden Kapiteln bei Bedarf ergänzt
wird.
Genetische Variation lässt sich mit
Hilfe molekular-genetischer Labormethoden beschreiben, wobei üblicher-
weise neutrale DNA-Abschnitte untersucht werden. Diese sind nicht der Selektion unterworfen und somit nicht
direkt relevant für die F itness und das
Anpassungsvermögen von Individuen
oder P opulationen. Vielmehr widerspiegeln sie historische , demographische Prozesse wie Einwanderung oder
Veränderungen in der P
opulationsgrösse. Andererseits ist, wenn landläufig von genetischer Variation die Rede
ist, meistens die Variation zwischen Individuen einer Art gemeint, welche
von selektiven Genen bestimmt und
oft im äusseren Erscheinungsbild, dem
Phänotyp eines Individuums , erkennbar ist. Nicht alle äusserlichen Unterschiede gehen aber auf genetische
Variation zurück, da auch die Umwelt
auf die jeweilige Ausprägung des Phänotyps wirkt (Plastizität).
Entsprechend der Unterscheidung
zwischen diesen beiden Arten von molekularen Markern zielen Untersuchungen zur genetischen Vielfalt darauf, 1) räumliche oder zeitliche Muster
und die ihr zugrunde liegenden Prozesse zu beschreiben (neutrale Marker)
oder aber 2) spezifische Gene zu identifizieren, deren Genvarianten unter
bestimmten Umweltbedingungen vorteilhaft sind (selektive Marker). Es ist
deshalb wichtig , zwischen den beiden
Arten von genetischer Vielfalt zu un-
terscheiden, insbesondere weil kein allgemeingültiger Zusammenhang zwischen neutraler und selektiver genetischer V ariation besteht: V ariation an
neutralen Gen-Markern lässt kaum
Rückschlüsse auf Variation in selektiven Gen-Markern zu (H OLDEREGGER
et al. 2006). Auch wenn es Ausnahmen
gibt (M ÜLLER-STARCK 1988), soll hier
nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass aufgrund von Untersuchungen neutraler Gen-Marker nicht direkt
auf die F itness und die Anpassungsfähigkeit geschlossen werden kann
(KREMER et al. 2002). Dementsprechend ist es auch nicht zwingend, dass
nur genetisch vielfältige P opulationen
überlebensfähig sind. Die als lebendes
Fossil bezeichnete
Wollemi-Föhre
(Wollemia nobilis), welche in einer australischen Schlucht mit nur ein paar
Dutzend Individuen vorkommt, besitzt
keine nachweisbare neutrale genetische Vielfalt (PEAKALL et al. 2003) und
hat doch hunderte von Generationen
überdauert. Dass diese P
opulation
überlebt hat, liegt einerseits an der Abgeschiedenheit des Fundorts, wird aber
andererseits mit der grossen physiologischen Toleranz der Einzelbäume erklärt. Eine grosse Plastizität ist kennzeichnend für langlebige Bäume . Man
bedenke nur , welchen Witterungsbedingungen Lärchen (Larix decidua),
Fichten (Picea abies) oder Arven (Pinus cembra) an der Waldgrenze in den
Alpen im Laufe tages- und jahreszeitlicher Wechsel ausgesetzt sind (K ÖRNER
und P AULSEN 2004). Beredtes Zeugnis
von individueller Plastizität legen auch
die Jahrhunderte alten Bäume ab , die
vor der kleinen Eiszeit mit Beginn im
15. J ahrhundert gekeimt sind und bis
heute überdauert haben.
Die Charakterisierung selektiver
Gene bei Waldbäumen steckt bisher in
den Kinderschuhen und beschränkt
sich grösstenteils auf intensiv erforsch-
104
te, so genannte Modellarten wie die
Pappel (Populus sp.; G RATTAPAGLIA et
al. 2009). Ganz im Gegensatz dazu gibt
es eine Unzahl von Studien zur neutralen genetischen Variation von Waldbäumen. Aus letzteren lassen sich Hinweise zu historischen und rezenten demographischen Prozessen gewinnen,
die sich wiederum auf die heutige und
zukünftige genetische Variation einer
Population oder einer Art auswirken.
Beispielsweise lassen genetische Verwandtschaftsbeziehungen heutiger Bestände nacheiszeitliche Rückwanderungsrouten, also Migration durch
Samenausbreitung, nachzeichnen. Sowohl bei der F ichte wie auch bei der
Arve (Abb . 1) deutet die
Abnahme
neutraler genetischer
Vielfalt von
Osten gegen Westen auf eine Wiederbesiedlung des Alpenraums aus östlich
gelegenen Refugialgebieten hin (T OLLEFSRUD et al. 2008; G UGERLI et al.
2009), was mit den Erkenntnissen aufgrund fossiler Pollen und Pflanzenreste
übereinstimmt. Eine umfangreiche
Studie zu europäischen Eichenarten
(Quercus spp.) konnte darlegen, dass
die grossräumige neutrale genetische
Struktur dieser Arten erhalten geblie-
Forum für Wissen 2009
ben ist (P ETIT et al. 2002), auch wenn
intensive waldbauliche Aktivitäten ihre Spuren hinterlassen haben (K ÖNIG
et al. 2002). Dank dieser Grundlagendaten kann beispielsweise die deklarierte Herkunft von Eichenholz für
Weinfässer überprüft werden (D
EGUILLOUX et al. 2004). Allerdings verhindert der immense Arbeitsaufwand,
im Speziellen die Beprobung hunderter
Bestände, dass solche flächendeckenden Studien bei allen weit verbreiteten
Baumarten durchgeführt werden.
Die historisch bedingte regionale
Struktur der neutralen genetischen
Vielfalt kann dazu genutzt werden,
Genpools räumlich zu umschreiben
und spezifisch zu erhalten, also das historisch-evolutive Vermächtnis zu bewahren. Wichtigste Voraussetzung dafür ist, entweder die Naturverjüngung
zu fördern oder bei Anpflanzungen regionale Herkünfte zu verwenden. Diese gelten grundsätzlich als an die jeweiligen regionalen Umweltbedingungen
angepasst. Es kann davon ausgegangen
werden, dass die (selektive) genetische
Vielfalt innerhalb autochthoner Bestände und ihre individuelle Plastizität
es ermöglichen, dass zumindest die
Abb. 1. Fossile Pollen und molekular -genetische Daten zeigen, dass die Arve (Pinus cembra) nacheiszeitlich aus den (süd-)östlichen Randalpen in die Schweizer Alpen zurückgewandert ist. Das Verbereitungsareal der Arve hat in den letzten etwa einhundert J ahren
dank nachhaltiger Nutzung und wieder zugelassener natürlicher Regeneration deutlich zugenommen.
nicht seltenen Waldbaumarten unter
zukünftig veränderten Klimabedingungen langfristig überdauern oder ihr
Verbreitungsareal verschieben können
(PETIT et al. 2008). Eine lokale Baumartenverschiebung ist somit nicht auszuschliessen, sollte aber wo immer
möglich durch natürliche Ausbreitung
erfolgen. W aldbauliche Massnahmen
sollen nur dazu dienen, diese Ausbreitung zu ermöglichen. So gesehen trägt
Biodiversitätsschutz in F orm der Erhaltung der Prozesse, die zu regionaler
genetischer Vielfalt führen und durch
genetische Untersuchungen beschrieben werden, zur nachhaltigen Waldnutzung bei. Dies entspricht grösstenteils
der heutigen Waldbaustrategie in der
Schweiz (Projektleitung WAP-CH 2004;
Schweizerischer Forstverein 2004).
2 Naturschutzgenetik sensu
lato
Ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit im Waldbau stellt die Erhaltung
seltener Baumarten dar , so dass diese ,
als Wertholz und Spezialitäten auf dem
Holzmarkt ökonomisch bedeut sam,
auch für zukünftige (Förster -) Generationen verfügbar bleiben. An erster
Stelle im Massnahmenkatalog steht die
Erhaltung bestehender P opulationen
mit dem Ziel, die vorhandene genetische Vielfalt zur Weitergabe an kommende Generationen zu bewahren. Als
Erfolg versprechend erweist sich, wenn
Einzelbäume frei gestellt werden, wodurch Blüherfolg und Fruchtansatz gefördert werden. Das gleiche Ziel kann
in Spezialfällen durch Mittel- und Niederwaldpflege erreicht werden. Unmittelbar hinter der spezifischen Erhaltung von Populationen und Einzelbäumen rangiert die Vernetzung der oft
zerstreut vorkommenden Bestände , so
dass den möglichen F olgen von F ragmentierung und räumlicher Isolation
entgegengewirkt werden kann. Hierzu
kann die Genetik wertvolle Grundlagen erarbeiten, welche entweder auf
die Vernetzung oder Isolation von Beständen hindeuten, oder mögliche Inzucht, also Paarungen zwischen nahe
verwandten Bäumen oder gar Selbstbefruchtung, nachweisen. Hier soll
nochmals betont werden, dass die für
diese Zwecke verwendeten neutralen
genetischen Marker nur über die Pro-
Forum für Wissen 2009
zesse Auskunft geben. So kann zwar
Inzucht nachgewiesen werden, aber ob
Inzucht tatsächlich zur erwartet reduzierten Fitness führt, können nur experimentelle Untersuchungen darlegen,
welche die molekularen Daten ergänzen.
Eine Schlüsselrolle in Untersuchungen zu Naturschutzgenetik nimmt der
Austausch von Genen innerhalb und
zwischen Beständen ein
(Genfluss).
Deshalb zielen viele genetische Untersuchungen darauf ab , Paarungsmuster
innerhalb von Beständen oder GenAustausch zwischen Restvorkommen
zu bestimmen. Molekulare Studien,
welche in den letzten J ahren bei seltenen Baumarten der Schweiz durchgeführt wurden, haben teilweise überraschende Erkenntnisse zu Tage gefördert. Die seltene
Wildbirne ( Pyrus
pyraster; Abb. 2), welche wie viele andere Rosengewächse teilweise selbstinkompatibel ist (sich also nicht selbstbefruchten kann), entpuppte sich als weit
weniger als vermutet von Inzucht betroffen, da auch in sehr kleinen Beständen hohe Auskreuzung, also ausreichend Paarungspartner , und entsprechend hohe genetische Diversität
gefunden wurde (H OLDEREGGER et al.
2008). In solchen Fällen ist also weniger mit genetischen F aktoren zu rechnen, welche zum lokalen Aussterben
führen, sondern eher mit schlechter
Lebensraumqualität, Windwurf, Schädlingen – oder unbedachtem Holzschlag.
In welchem Mass verstreute Bestände über P ollen- oder Samenausbreitung miteinander vernetzt sind, kann
indirekt über genetische Differenzierung ermittelt werden. Diese genetische Differenzierung widerspiegelt jedoch die historischen Verhältnisse und
kann deshalb im Hinblick auf aktuelle
Vernetzung irreführend sein. Was heute aufgrund geringer genetischer Differenzierung trotz F ragmentierung als
vernetzt erscheint, kann auf ein früher
zusammenhängendes Vorkommen zurück zu führen sein, während die Bestände heute tatsächlich isoliert sind.
Aktueller Genfluss sollte deshalb anders beschrieben werden, zum Beispiel
mit Hilfe von Zuordnungs- oder Elternschaftsanalysen (Abb . 3).
Aufgrund genetischer Fingerabdrücke von
Mutterbäumen, ihrer Samen sowie potenzieller Vaterbäume konnte P ollen-
105
Abb. 2. Viele seltene Baumarten wie die Wildbirne (Pyrus pyraster) benötigen ausreichend
Licht, um guten F ruchtansatz zu entwickeln. Blühende Bäume finden sich deshalb bevorzugt in lichten Wäldern oder am Waldrand, wo sie als auffällige weisse Farbtupfer Insektenbestäuber anlocken.
ausbreitung beim insektenbestäubten
Speierling (Sorbus domestica) über
mehr als 10 km nachgewiesen werden
(KAMM et al. im Druck): Der Austausch
von Genen über einige Kilometer hinweg war beim Speierling schon fast die
Regel. Ebenso ausbreitungsfreudig ist
der windverfrachtete Blütenstaub von
Eichen. Fast die Hälfte des erfolgreich
befruchtenden P ollens stammt jeweils
von ausserhalb der untersuchten Be-
stände (STREIFF et al. 1999; LEPAIS et al.
2009).
Der erfreulicherweise grossräumigen
Ausbreitung von Pollen, möglicherweise auch Samen, beim Speierling steht
der geringe Etablierungserfolg dieser
und anderer lichtbedürftiger Baumarten gegenüber. Die fleischigen F rüchte
sind wohl beliebte Nahrung für Vögel
und Säuger und werden somit erfolgreich ausgebreitet. Der wesentliche
106
Abb. 3. Ausschnitte genetischer F ingerabdrücke (ein Individuum pro Linie), wie sie
für Nachkommenanalysen verwendet werden. Die mit * bezeichneten K
urvenausschläge repräsentieren das Vorhandensein
einer bestimmten Genvariante , so dass bei
bekannter Mutterschaft über Ausschlussverfahren mögliche Vaterschaften eruiert
werden können. Eine der beiden Genvarianten des Embryos muss vom tatsächlichen Vater (fett) vererbt worden sein.
Grund für die fehlende Naturverjüngung dürfte jedoch im zunehmend stärker beschatteten Waldboden liegen.
Spezifische Fördermassnahmen wie
Auflichtung und gegebenenfalls Anpflanzung regionaler Herkünfte können dem altershalber bedingten Aussterben heutiger Bestände entgegenwirken. Es ist nicht erstaunlich, dass
vor allem Baumarten, welche in den
von traditioneller menschlicher Holznutzung geprägten Nieder- und Mittelwäldern ihre Hauptverbreitung aufweisen, heute selten und förderungsbedürftig sind. Sonderwaldreservate mit
entsprechenden spezifischen Eingriffen können daher viel zur Erhaltung
dieser Nebenbaumarten beitragen.
Genfluss kann auch gut gemeinten
Bemühungen um Biodiversitätsschutz
entgegenwirken. So ist es aufgrund
heutiger Erkenntnisse kaum sinnvoll,
Genreservate (Wälder von besonderem genetischen Interesse) oder klein-
Forum für Wissen 2009
räumige Samenerntebestände auszuscheiden und diese «rein» halten zu
wollen. Wie oben erwähnt kann bei
windbestäubten Arten auch in Beständen von mehreren Hektaren Grösse
mit viel P olleneinflug von aussen gerechnet werden. Was «von aussen» bedeuten kann, zeigt eine kürzlich publizierte biometeorologische Studie: Buchenpollen in Katalonien wurde
aufgrund von Windmodellen eine Herkunft aus der Region zwischen Norditalien und Zentraldeutschland zugeordnet (BELMONTE et al. 2008)! Kommt
dann noch mögliche Einkreuzung zwischen verwandten Arten hinzu, wie
dies bei den einheimischen Eichenarten der F all ist (G UGERLI et al. 2005),
muss auch die angestrebte Artreinheit
der Samen in F rage gestellt werden.
Gewissheit über weitgehend artenreines Saatgut kann nur erreicht werden,
wenn nicht die Mutterbäume selber ,
sondern das Saatgut mit artspezifischen genetischen Markern überprüft
wird (L EXER et al. 2000). Eine solche
Kontrolle wäre allerdings sehr aufwändig, und es bleibt dahin gestellt, ob Artreinheit überhaupt wünschenswert ist
und ob Hybriden aufgrund von K onkurrenz durch eine oder beide Elternarten sowieso vielerorts nicht überlebensfähig sind.
Obige Ausführungen deuten darauf
hin, dass bei der Arterhaltung, abgesehen von wenigen spezifischen Schutzmassnahmen bei sehr seltenen Baumarten, vor allem der Förderung natürlicher Prozesse grosse Bedeutung
zukommt. Waldbauliche Eingriffe, welche den seltenen Arten erlauben, sich
erfolgreich fortzupflanzen und zu verjüngen, sind Erfolg versprechend. Die
Schweizer Waldwirtschaft ist hier auf
dem richtigen Weg, indem vielerorts
sowohl auf Baumartenvielfalt geachtet
als auch natürlich verjüngt wird
(Schweizerischer F orstverein 2004).
Genetische Grundlagen können mithelfen, mögliche Gefährdungen einer
Art zu erkennen und die Wirksamkeit
von getroffenen Massnahmen zu überprüfen.
3 Züchtung und Gentechnik
Sowohl klassische oder Genmarker basierte Züchtung als auch eigentliche
genetische Veränderungen von Orga-
nismen (GVO) mit Hilfe von Gentechnik sind extrem zeit- und ressourcenaufwändige Methoden, um bestimmte
Merkmale von Organismen spezifisch
zu fördern oder direkt zu verändern.
Dieser Aufwand fällt bei Waldbäumen
wegen ihrer Langlebigkeit besonders
ins Gewicht, da die Wirkung einer Einkreuzung oder eines Gen-Transfers oft
erst nach J ahren oder gar J ahrzehnten
erkennbar ist. Hinzu kommt, dass etwa
Koniferen ein sehr grosses Erbgut aufweisen, wodurch Untersuchungen über
die Wirkung selektiver genetischer Variation zur Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen wird. Diese Suche wird noch dadurch erschwert,
dass die gewünschten Eigenschaften
zumeist auf komplexen
Wechselwirkungen mehrerer Gene beruhen, also
kaum eine direkte Wirkung eines einzelnen Gens auf eine bestimmte Eigenschaft zu erwarten ist.
Der heutige Stand des Wissens lässt
erkennen, dass bei Waldbäumen bisher
nur geringe Erfolge erzielt wurden bei
der Charakterisierung von selektiven
Genen und ihren Effekten auf den
Phänotyp ( Kandidaten-Gene; GRATTAPAGLIA et al. 2009). Im Vordergrund
der Bemühungen zur Erforschung von
Kandidaten-Genen bei Waldbäumen
stehen Holzzuwachs (Holzindustrie ,
Biotreibstoff) bzw . Ligninreduktion
(Papierproduktion). Besonders Biotreibstoff erweckt zur Zeit auch in der
Öffentlichkeit grosses Interesse , da
durch die Öl-unabhängige Treibstoffproduktion vielerorts grössere wirtschaftliche Autonomie erhofft wird. Es
ist aber offensichtlich, dass in der sehr
kleinräumigen Schweiz das Anlegen
von beispielsweise grossflächigen Pappelplantagen für die Verarbeitung zu
Ethanol ökologisch höchst problematisch wäre , kaum auf gesellschaftliche
Akzeptanz stossen würde und auch
ökonomisch nicht bedeutungsvoll sein
kann (MALAKOFF 2009).
Wahrscheinlicher ist es , dass hiesige
Waldbäume mit Genfluss aus K ulturBaumarten konfrontiert sind. Davon
dürften am ehesten die oft seltenen
Rosengewächse wie Wildbirne oder
Wildapfel (Malus sylvestris), aber auch
andere Kernobst-, Steinobst- und Beerenstraucharten betroffen sein. Dass
Genfluss zwischen K ultur- und Wildpflanzen tatsächlich statt findet, wurde
zum Beispiel für Äpfel bereits nachge-
Forum für Wissen 2009
wiesen (C OART et al. 2006). Genfluss
von K ultur- zu Wildarten kann kaum
verhindert, aber vor allem dann problematisch werden, wenn die F reisetzung gentechnisch veränderter Organismen in Zukunft zugelassen werden
sollte. Diese Problematik betrifft auch
Ziersträucher mit verwandten Arten in
der hiesigen Flora. Die F olgen einer
Auskreuzung für
Wildpopulationen
sind zur Zeit nicht abschätzbar.
Diese kurzen Ausführungen legen
nahe, dass nachhaltige
Waldnutzung
mit der Verwendung von Zuchtformen
oder gar gentechnisch veränderter Organismen nicht vereinbar ist und den
Bemühungen um und der F orderung
nach natürlichen Prozessen im Wald
widerspricht. Das Anpflanzen von spezifisch gezüchteten und gentechnisch
veränderten Bäumen im Waldbau ist
deshalb für die Schweiz abzulehnen,
was auch den Forderungen des Schweizerischen F orstvereins entspricht
(Schweizerischer Forstverein 2004).
4 Waldnutzung beeinflusst
Genetik
Die Frage nach dem Beitrag der Genetik zur nachhaltigen Waldnutzung kann
auch von anderer Seite her betrachtet
werden: W elche A uswirkungen hat
Waldnutzung auf die Genetik von
Waldbaumarten? Während diesbezüglich in den borealen Gebieten,
wo
Holzproduktion ein wichtiges wirtschaftliches Standbein ist, grossflächige
Experimente angelegt worden sind,
gibt es kaum empirische Untersuchungen aus Zentraleuropa, geschweige
denn entsprechende Experimente . Neben der einschneidenden Wirkung der
eiszeitlichen Klimaschwankungen ist
anzunehmen, dass auch die menschliche Nutzung , vor allem weiträumiger
Saatgut-Handel, die genetische Vielfalt
und Struktur von
Waldbaumarten
massgeblich verändert haben (K ÖNIG
et al. 2002; M ÁTYÁS et al. 2002). Diese
Annahme beruht aber grösstenteils auf
indirekten Rückschlüssen zwischen historischer Waldnutzung und heutiger
genetischer Vielfalt. Die oft flächendeckende Förderung wichtiger Nutzhölzer führte sicherlich zu massiven
Änderungen in der Baumartenzusammensetzung, wodurch vormals verbreitete Arten auf Restbestände zurückge-
107
drängt wurden. Solche starken Veränderungen in den P opulationsgrössen
hinterlassen ihre Spuren in der genetischen Vielfalt sowohl der geförderten
wie auch der verdrängten P opulationen (zufällige Änderungen der genetischen Vielfalt: genetische Drift). In die
gleiche Richtung dürfte die Tendenz
hin zu Dauerwald mit schattentoleranten Haupt baumarten geführt haben.
Verjüngung von lichtbedürftigen, zerstreut vorkommenden Arten war im
vielfältig genutzten Wald (z. B. Niederund Mittelwald) möglich und trug zur
Erhaltung genetischer
Vielfalt bei.
Lichte Standorte fehlen jedoch heute
vielerorts, und die nur noch zerstreut
vorhandenen P opulationen seltener
Baumarten weisen kaum Genaustausch auf . Ähnlich trug früher Waldweide zur Offenhaltung und reichhaltigen Struktur von Wäldern bei. Das
Verbot der Waldweide zum Schutz des
Waldes hatte vielerorts eine negative
Wirkung auf die Artenvielfalt im Wald
und auf die genetische Struktur der
vorkommenden Baumarten. So konnten M ÄÄTTÄNEN und H OLDEREGGER
(2008) den hinlänglich bekannten Zusammenhang zwischen P opulationsgrösse und neutraler genetischer Vielfalt in Wildbirnenpopulationen des
Juras nicht finden. Diese Entkoppelung wurde auf unterschiedliche historische Nutzungsformen und -intensität
zurückgeführt, woraus einschneidende
Prozesse wie Flaschenhalseffekte, also
die Reduktion einer P opulation auf
wenige Individuen, resultierten.
Einige wenige genetische Studien
haben versucht, mögliche Effekte spezifischer W aldnutzungsformen, zum
Beispiel Plenterung, zu ergründen. Leider mangelt es den Resultaten oftmals
an ausreichender statistischer Basis
(HOSIUS et al. 2006). Offenkundig ist,
dass Samenerntestrategien einen grossen Einfluss auf Anpflanzungen haben.
Werden nur wenige Samenbäume
beerntet, entsteht ein Flaschenhals, die
genetische Vielfalt der Nachkommen
ist gering . Dadurch verschmälert sich
auch das Anpassungspotential einer
Art – ein unerwünschter Effekt im
Hinblick auf die bevorstehenden Klimaänderungen. Nicht monokulturelle
Einfalt, sondern Vielfalt – auf Artenwie auf Genebene – sollte deshalb das
zukünftige Waldbild prägen (Schweizerischer Forstverein 2004).
5 Genetik im Waldprogramm
Schweiz
Das Waldprogramm Schweiz (W APCH) Schweiz, welches unter anderen
das Thema Biodiversität beinhaltet,
formuliert Waldnutzungsziele, die gut
zu obigen Ausführungen passen und
auch den F orderungen nach naturnahem Waldbau des Schweizerischen
Forstvereins entsprechen (Schweizerischer F orstverein 2004). Auch wenn
der Bericht der WAP-Arbeitsgruppe
zur Biodiversität im Wald vornehmlich
Arten- und Ökosystemschutz anspricht,
können viele der Aussagen auf die
Ebene der Gene übertragen werden.
Oft fehlen jedoch die empirischen
Grundlagen, um konkret mit genetischen Daten argumentieren zu können, weshalb Biodiversitätsschutz auf
Genebene noch immer stiefmütterlich
behandelt wird.
Im Vordergrund des Waldprogramms
stehen die auch in diesem Artikel wiederholt angesprochenen natürlichen
Prozesse. Sie sollen zugelassen und wo
nötig gefördert werden, womit ein
wichtiger Schritt hin zur nachhaltigen
Waldnutzung getan wird. Biodiversitätsschutz soll nicht statisch, sondern
dynamischer Prozessschutz sein. Dies
bedeutet, dass natürliche
Alterung,
Verjüngung und Sukzession im Wald
stattfinden können. Wenn Anpflanzungen als sinnvoll erachtet werden, sollen
diese an die heutigen Standorteigenschaften angepasst und vielfältig , also
aus verschiedenen Arten und genetisch
vielfältigem Saatgut zusammengesetzt
sein. Prospektive Pflanzungen wie zum
Beispiel die Verwendung von Tieflagenherkünften in höheren Lagen, welche mit dem Argument der gegenwärtigen Klimaerwärmung gerechtfertigt
werden, sind nicht nachhaltig (K OSKELA et al. 2007). Wir sind nicht in der Lage, mehr als Szenarien über Umweltveränderungen zu beschreiben. Zwar
ist die Tendenz zu steigenden Temperaturen anerkannt, bei den Klimamodellen herrscht jedoch grosse Unsicherheit hinsichtlich der zu erwartenden
Niederschlagsmengen und -verteilung .
Die Chance ist also gross , bei der Zusammensetzung von zukünftig als angepasst erwarteter Baumarten falsch
zu wählen und kommenden Generationen Wälder zu hinterlassen, die nicht
mehr standortgerecht sind. Nachhaltig
108
ist es hingegen, wenn durch Prozessschutz hohe F ortpflanzungsraten ermöglicht werden, so dass über die lange Lebensdauer von Bäumen hinweg
ausreichend Gelegenheit geschaffen
wird Nachkommen zu erzeugen, welche fortlaufend an die sich verändernden Standortbedingungen angepasst
sind. Auch wenn das Ausbreitungspotenzial der Waldbäume limitiert ist
(MCLACHLAN et al. 2006; S VENNING
und SKOV 2007), um ihre Verbreitungsareale den prognostizierten Klimaschwankungen anzupassen, darf dennoch erwartet werden, dass unsere
Waldbaumarten dank indivi
dueller
Plastizität sowie genetischer
Vielfalt
innerhalb der Arten vorübergehend
unter nicht optimalen Bedingungen
überdauern und ihr Verbreitungsgebiet
zumindest teilweise den neuen Klimaverhältnissen anpassen können.
Artenschutz, wie er im Bericht der
Arbeitsgruppe Biodiversität zum
WAP-CH neben dem Prozessschutz
gefordert wird, hängt in vielen Fällen
von der Erhaltung und erfolgreichen
Vernetzung zerstreuter Bestände und
ihrer Lebensräume ab . Eine wichtige
Rolle nimmt das zwischen den Habitaten liegende Offenland und dessen
Verzahnung mit dem Wald ein. Verschiedene Landschaftselemente können Genfluss zwischen Beständen von
Waldbäumen fördern oder hemmen,
wie aktuelle Untersuchungen zeigen
(KAMM 2008). Dies muss bei spezifischen Arterhaltungsmassnahmen berücksichtigt werden, zum Beispiel bei
der Schaffung von Trittsteinen.
Spezialreservate oder Wälder von
besonderem genetischen Interesse
werden im WAP-CH zwar noch als Indikator im Bereich Artenschutz genannt, erscheinen aber aufgrund der
Resultate zu Genfluss (Kap . 2) höchstens dann als sinnvoll, wenn sie mit
bestehenden und zusätzlich begründeten Sonder- oder Naturwaldreservaten
kombiniert werden.
Genetische Untersuchungen erlauben, wie obige Ausführungen zeigen,
vielfältige Einblicke in natürliche und
menschlich geprägte Prozesse , welche
in Zusammenhang mit der Waldnutzung stehen. Aber nur gezielte Studien
können einen wirkungsvollen Beitrag
zur nachhaltigen Waldnutzung leisten.
Dazu bedarf es intensiver Diskussion
zwischen F achleuten aus F orschung
Forum für Wissen 2009
und Praxis , um entsprechende F ragestellungen zu erarbeiten. Zu dieser
Auseinandersetzung kann und möchte
die WSL einen Beitrag leisten.
Dank
Für hilfreiche Diskussionsbeiträge und
Korrekturhinweise zu diesem Artikel
bedanke ich mich bei Rolf Holderegger und Christoph Sperisen (WSL Birmensdorf) sowie Markus Bolliger
(Sektion Jagd, Wildtiere und Waldbiodiversität, B AFU). F inanzielle Unterstützung für verschiedene WSL-Studien zu seltenen Baumarten wurde durch
das BAFU gewährt.
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Abstract
Can genetic data contribute to sustainable forest utilization?
Genetic diversity represents a substantial component of biodiversity and should
be considered in strategies of sustainable silviculture . In turn, studies on neutral
genetic diversity may help to better understand historical or contemporary processes in forest trees . That such knowledge is relevant for current silvicultural
practice is illustrated with examples from own research and the literature . On the
other hand, central European forestry practices are hardly evaluated empirically
for their effects on neutral genetic diversity in forest trees . Likewise, there is only
limited knowledge on specific gene variation and its effects on the phenotype and
fitness of trees, despite intensive research involving manifold genomic tools. While
genome research helps to better understand gene functions , its implementation
for marker -assisted breeding or even genetic modifications of trees does not
comply with sustainable silviculture . In conclusion, insights from the study of
genetic diversity advocate the protection and promotion of natural processes
,
which is perfectly in line with widely accepted and applied silvicultural practices
in Switzerland.
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Forum für Wissen 2009: 111
111
25 Jahre Walddauerbeobachtung in der Schweiz
Sabine Braun1, Christian Schindler 2 und Walter Flückiger1
Institut für Angewandte Pflanzenbiologie, CH-4124 Schönenbuch
sabine.braun@iap.ch
2
Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Universität Basel, CH-4056 Basel
1
1984 wurden die ersten 49 Walddauerbeobachtungsflächen in Beständen von Buchen (Fagus sylvatica) und Fichten (Picea abies) eingerichtet. Das heutige Flächennetz umfasst 64 Buchenflächen, 25 gemischte Bestände und 44 Fichtenflächen. Das grosse Datenset ermöglicht es, mittels epidemiologischer Methoden
ökologische Wirkungszusammenhänge zu erkennen. Gleichzeitig durchgeführte
Experimente liefern Erkenntnisse über mechanistische Zusammenhänge dazu.
Die wichtigsten Ergebnisse dieser Zeitreihe sind nachfolgend aufgelistet. Detailliertere Informationen sind unter
FLÜCKIGER und B RAUN (2009) zu finden.
– Die Konzentrationen von Stickstoff ,
Magnesium und besonders Phosphor
haben seit 1984 im Laub und in den
Nadeln abgenommen. Während die
Phosphorkonzentrationen in den
meisten Beobachtungsflächen zu Beginn ausreichend waren, liegen sie
heute meist unterhalb der Grenze
zur Normalversorgung.
– Der Stammzuwachs hat mehr abgenommen als mit zunehmendem Alter erklärt werden kann. Beim Triebwachstum ist eine Abnahme nach
dem trockenen Sommer 2003 erkennbar.
– Der Stammzuwachs ist mit der Stickstoffdeposition und der Phosphorkonzentration im Laub positiv
korreliert, das Triebwachstum mit
Stickstoffkonzentration und Phosphorkonzentration im Laub . Diese
Korrelationen weisen darauf hin,
dass die Abnahme der Phosphorkonzentration im Laub mit der Abnahme des Stammzuwachses kausal korreliert ist (BRAUN et al. 2009).
– Eine Wiederholung der Bodenprobenentnahme ergab zwischen 1996
und 2005 eine Abnahme der Basen-
–
–
–
–
–
sättigung in kalkfreien Horizonten
um im Mittel 5,3 %.
Auch in der Bodenlösung lässt sich
ein Fortschreiten der Bodenversauerung und eine Überschreitung der
kritischen N-A uswaschungsraten in
einem Grossteil der Flächen be
obachten (B RAUN und F LÜCKIGER
2004).
In basenarmen Flächen wurde eine
Abnahme der Durchwurzelungstiefe
und eine Zunahme der Windwurfhäufigkeit im Vergleich zu basenreichen Flächen beobachtet (B RAUN
et al. 2003; BRAUN et al. 2005).
Stickstoffdüngungsversuche mit jungen Buchen und F ichten ergaben eine Abnahme der K onzentrationen
von P, K und/oder Mg im Laub und
in den Nadeln, vergleichbar mit den
Veränderungen in den
Waldbeobachtungsflächen. Dies deutet darauf
hin, dass die Stickstoffdeposition eine wichtige Rolle bei den im Wald
festgestellten Prozessen spielt.
Auf schwach gepufferten Böden beschleunigt Stickstoffdüngung die Bodenversauerung.
Stickstoffdüngung erhöhte die Trokkenempfindlichkeit von jungen Buchen auf einem trockengefährdeten
Standort, zusammen mit einer starken Abnahme der Kaliumkonzentrationen im Laub.
– Stickstoffdüngung erhöhte den Befall von Buchen und Fichten mit verschiedenen Parasiten (F LÜCKIGER
und BRAUN 1998).
– In einem Trockenjahr war die Kaliumkonzentration im Laub von Waldbäumen negativ mit der Stickstoffdeposition korreliert.
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass
die erhöhte Stickstoffdeposition und
die Bodenversauerung die Empfindlichkeit der Wälder gegenüber abiotischen und biotischen Stressfaktoren
erhöhen. Sie zeigen auch den Wert von
Langzeitbeobachtungen des Waldes.
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Druck.
FLÜCKIGER, W.; BRAUN, S ., 1998: Nitrogen
deposition in Swiss forests and its possible relevance for leaf nutrient status , parasite attacks and soil acidification. Environ. Pollut. 102: 69–76.
FLÜCKIGER, W.; BRAUN, S., 2009: Wie geht es
unserem Wald? Bericht 3. Institut für Angewandte Pflanzenbiologie, Schönenbuch.
86 S.
Forum für Wissen 2009: 113–124
113
Stickstoffeintrag und Ozonbelastung im Schweizer Wald
aus der Sicht der Langfristigen Waldökosystem-Forschung
Peter Waldner, Maria Schmitt, Marcus Schaub, Elisabeth Graf Pannatier und Anne Thimonier
WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
maria.schmitt@wsl.ch, peter.waldner@wsl.ch, marcus.schaub@wsl.ch, elisabeth.pannatier@wsl.ch, anne.thimonier@wsl.ch
Vor 15 Jahren wurden die ersten Flächen des Programms Langfristigen Waldökosystem-Forschung (LWF) eingerichtet. Die damals vorliegenden, kurzen Zeitreihen über den Waldzustand in der Schweiz (Sanasilva-Erhebungen) zeigten Tendenzen einer Verlichtung der Kronen der Waldbäume. Es blieb jedoch unklar, wie
diese Ergebnisse mit der Luftbelastung zusammenhingen, da Veränderungen
kaum einer bestimmten Ursache zugeordnet werden konnten. Auf den LWFFlächen werden die wichtigsten Einflussfaktoren und die wichtigsten Elemente
des Ökosystems kontinuierlich beobachtet und die Ursache-Wirkung-Zusammenhänge untersucht.
Die Emissionen von Schadstoffen in
die Luft haben im 20.
J ahrhundert
stark zugenommen (Abb. 1) und damit
gewann die Frage nach der schädlichen
Wirkung dieser Stoffe für Mensch und
Umwelt an Bedeutung.
Wie bereits von D OBBERTIN et al. (in
diesem Band) erwähnt, waren Ende
der 1970er J ahre im süddeutschen
Raum verbreitet Tannen abgestorben.
Zudem erreichten Meldungen von zusammenbrechenden Wäldern aus dem
durch Luftverschmutzung schwer belasteten Erz- und Riesengebirge an der
Grenze zwischen der damaligen DDR
und der Tschechoslowakei vermehrt
die westliche Öffentlichkeit. Das Phänomen «Saurer Regen», das vor allem
durch im Regenwasser gelöstes Schwefeldioxyd (SO2), Stickoxyde (NOx) und
Ammoniak (NH3) verursacht wird, war
bereits in den 1960er J ahren beschrieben worden. Aufgrund einer langfristigen Untersuchung in Norddeutschland
publizierte U LRICH (1981) eine Hypothese, wie versauernde Einträge das
Ökosystem Wald beeinflussen könnten. Der postulierte Zusammenhang
zwischen Luftbelastung und Waldzustand sensibilisierte die Bevölkerung
und es wurden verschiedene Massnahmen zur Reduktion der Luftschadstof-
fe und zur Förderung der weiteren Erforschung der Zusammenhänge ergriffen (siehe auch BUCHER 1997).
Nach aufwändigen F allstudien und
Laborexperimenten (u. a. NFP14+:
ROTH und S CHMID 1992; Urner Reuss tal: B RAUN et al. 1996) wurden in den
80er Jahren folgende Wirkungsmechanismen der Luftschadstoffe auf Waldökosysteme postuliert und weiter untersucht:
1) Erhöhte SO 4–2, N O3– und NH 4+ Einträge rufen eine beschleunigte Bodenversauerung hervor (U
LRICH
1981), was zu einer
Auswaschung
30
Emissionen Schweiz
[kg S oder N ha–1 J–1]
1 Einleitung
25
20
15
von Nährstoffen (Ca, Mg , K) aus
dem Boden und erhöhten Aluminium Gehalten im Bodenwasser führen kann, die für Wurzeln toxisch
sind (CRONAN et al. 1989; GRAF PANNATIER et al. in diesem Band).
2) Ein erhöhter Eintrag des Nährstoffs
Stickstoff in F orm von NO 3– und
NH4+ führt bei knappem Angebot zu
einer Steigerung des Wachstums. Ein
Überangebot kann jedoch gemäss
ABER et al.(1989) einerseits über ein
verändertes W urzel/Spross V erhältnis und eine verminderte Aufnahme
anderer Nährstoffe die Resistenz
der Bäume gegenüber F rost, Sturm
und T rockenheit beeinträchtigen
und andererseits zu einem erhöhten
Nitrataustrag ins Grundwasser führen. In einem fortgeschrittenen Stadium kann es zu einer Verschlechterung des Waldzustandes mit Wachstumsabnahme kommen.
3) Das reaktive Ozon (O 3) wird über
die Spaltöffnungen der Blätter aufgenommen und führt dort zu Schädigungen des Photosyntheseapparates
(PRINZ et al. 1982).
Stickoxide + Ammoniak
Schwefeldioxid
Stickoxide
NFP14+
LWF
Sanasilva
NOx + NH3
SO2
10
NOx
5
0
1900
LWF
1920
1940
1960
1980
2000
Abb. 1. Emissionen in der Schweiz von SO 2, NOx, NH3 (mittlere emittierte Elementmenge
pro Fläche, B UWAL 1995) und die Messperioden des Nationalen F orschungsprogramms
NFP14+, des Sanasilva-Programms und der Langfristigen
Waldökosystem-Forschung
(LWF). Gestrichelt: Szenario mit Emissionskoeffizienten von 1970 für den Verkehr.
114
Im Folgenden fokussieren wir auf die
Wirkungsmechanismen von Stickstoffeintrag als Nährstoff und von Ozon.
Die W irkung von V ersauernden Einträgen werden von GRAF PANNATIER et
al. (in diesem Band) behandelt.
In Europa trat 1983 die UN-ECE
Konvention über die «weitreichende
grenzüberschrei tende Luftverschmutzung» (LR TAP) in Kraft. In diesem
Rahmen werden die Emissionen von
Luftschadstoffen erhoben und deren
Ausbreitung modelliert (EMEP , z. B.
JONSON et al. 1998). In internationalen
Kooperations-Programmen (ICP’
s)
werden zudem die Auswirkungen der
Luftschadstoffe auf verschiedene Ökosysteme, u.a. den Wald (ICP-Forests ab
1985, F ISCHER et al. 2008), innerhalb
spezifischer Messnetze untersucht.
In der Schweiz startete im J ahr 1983
das Sanasilva-Programm mit einer Beprobung von F ichten und einer gleichzeitigen Umfrage bei den Förstern
(BUCHER et al. 1984; K AUFMANN et al.
1984; LANDOLT et al. 1984). Ab 1985 begann die reguläre Inventur des Waldzustandes als Teil des ICP-F orests Level I Messnetzes (D OBBERTIN et al. in
diesem Band). Im Jahr 1994 wiesen die
kurzen Zeitreihen Tendenzen zu einer
zunehmenden Kronenverlichtung auf .
Die Daten aus der Schweiz (W EBSTER
et al. 1996) und Mitteleuropa (K ANDLER und INNES 1995) wiesen aber keine
starken Korrelationen auf, welche eine
eindeutige Zuweisung der beobachteten Veränderungen zu einer bestimmten Ursache erlaubt hätten.
Zur Beurteilung der Luftbelastung
wurde bald auch das K onzept der Critical Loads und Levels (CL) eingeführt, bei deren Unterschreitung
gemäss Definition nach heutigem Wissensstand an den wichtigsten Elementen eines Ökosystems keine nachhaltigen Schäden auftreten sollen (N ILSSON
und G RENNFELT 1988). Mit den oben
erwähnten modellierten Luftbelastungen (EMEP) können Karten der Überschreitung der Critical Loads und Levels gezeichnet werden (siehe z.
B.
Abb. 9; R IHM 1996; K URZ et al. 1998).
Aufgrund der Kenntnisse aus Fallstudien und Experimenten wurden 1988 erste Critical Loads für versauernde Einträge und für Stickstoffeinträge (N ILSSON und GRENNFELT 1988) definiert.
Die Critical Loads für Stickstoff werden mittels einer Massenbilanz be-
Forum für Wissen 2009
stimmt unter der Annahme, dass sich
ein Gleichgewicht zwischen Ein- und
Austrägen einstellt (SMB, Steady-State
Mass Balance), wobei der Nitrataustrag unterhalb der Wurzelzone ein akzeptiertes Mass (5 kg ha –1 J–1) nicht
übersteigen soll. Zusätzlich werden
empirische Critical Loads von Experten festgelegt (A CHERMANN und B OBBINK 2003).
Beim Ozon war anfänglich eine korrekte Diagnose von Schäden an Nadelbäumen und die F
estlegung eines
Grenzwertes schwierig, was dazu führte, dass dem Ozon als Verursacher von
Blattschädigungen wenig
Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Im Jahr 1994
wurde für Ozon ein Critical Level für
Pflanzen definiert. Grundlage bildeten
Experimente, in denen die Summe der
stündlichen Überschreitung der Ozonkonzentration von 40 ppb (A OT40)
mit der Reduktion des Wachstum von
jungen Waldbäumen korrelierte. Unter
anderem wurde in einem Experiment
mit jungen Buchen eine Reduktion des
Biomassezuwachses um 10% bei einem AOT40-Wert von rund 10 ppm •h
gefunden (F UHRER und A CHERMANN
1994). Für den Wald wurde der AOT40
Critical Level zuerst auf 10 ppm •h und
im J ahr 2003 auf 5 ppm •h festgesetzt
(SPRANGER et al. 2004).
Die Critical Levels und Loads basieren auf vereinfachten Modellvorstellungen die auf Untersuchungen einer
begrenzten Anzahl Flächen beruhen.
In den 1990er J ahren kamen deshalb
verschiedene Experten zur
Ansicht,
dass es eine grössere Datenbasis und
bessere K enntnisse der Prozesse im
Waldökosystem braucht, um die Wirkung der Luftbelastung adäquat beurteilen zu können. So einigte man sich,
ein ICP F orests Level II Messnetz mit
einem intensiven Monitoring der wichtigsten Ökosystemprozesse einzurichten.
In der Schweiz begann die WSL im
Jahr 1994 mit der Langfristigen Waldökosystem-Forschung (LWF) ein Level
II Messnetz aufzubauen mit den Zielen, für die wichtigsten Waldökosysteme i) Veränderungen frühzeitig erkennen und ii) verbesserte Ursache-W irkungs-Zusammenhänge herleiten zu
können.
Mit diesem Artikel wird am Beispiel
des Stickstoffeintrags und der Ozonbelastung aufgezeigt, welchen Beitrag das
LWF leistet, um
1) die Auswirkungen der Luftbelastung
auf den L WF-Flächen abzuschätzen
und
2) die Critical Loads Konzepte und die
Überschreitungskarten zu beurteilen.
2 Methoden
Im Rahmen der Langfristigen Waldökosystem-Forschung wird heute auf
18 LWF-Flächen ein intensives Monitoring der wichtigsten Elemente des
Waldökosystems und der wichtigsten
Einflussfaktoren durchgeführt (Tab. 1).
Auf den Flächen werden zudem periodisch der Zuwachs , die Verjüngung
und der Kronenzustand erhoben (ICPForests 1994; BRANG 1997).
Die Flächen sind über die Schweiz
verteilt (Abb. 1 in D OBBERTIN et al. in
diesem Band) und umfassen die wichtigsten Waldgesellschaften. Bei der
Auswahl der Flächen waren die Homogenität des Bodens und des Bestandes
weitere wichtige Kriterien.
Jede LWF-Fläche (2 ha) enthält eine
Intensiv-Monitoring-Fläche, die aus 16
Teilflächen (10 m × 10 m) besteht, 2
Subflächen (0,25 ha), auf denen jährlich der Kronenzustand erhoben wird
und eine Meteo-Station im Bestand.
Hinzu kommen eine 0,15 bis 2,8 km
von der Bestandesfläche gelegene Meteo-Station im F reiland und südexponierte Waldrandabschnitte nahe dieser
Station (Abb. 2 in D OBBERTIN et al. in
diesem Band).
2.1 Stickstoffeintrag
(Gesamtdeposition)
Der Niederschlag im Bestand (Kronentraufe) und im F
reiland (Bulk
Deposition) wird mit Regen- oder
Schneesammlern alle 14 Tage gesammelt und chemisch analysiert. Mittels
eines Kronenaustauschmodells wird
der Gesamteintrag an Stickstoff geschätzt (T HIMONIER et al. 2005). Die
SMB Critical Loads für Stickstoff wurden mit den Formeln von R IHM (1996)
geschätzt (WALDNER et al. 2007).
Forum für Wissen 2009
115
Tab. 1. Ausgewählte Erhebungen auf den L WF-Flächen mit F requenz der Erhebung , Anzahl Replikationen pro Fläche . Für jede Fläche
(Flächenkürzel siehe Abb. 1 in DOBBERTIN et al. in diesem Band) ist das Jahr des Beginns der Erhebung und das Jahr des aktuellsten vorliegenden Datensatzes angegeben. Fett markiert: in diesem Artikel dargestellte Daten.
Legende: Freq = Frequenz, h = stündlich,2w = alle 2 Wochen, 1j = jährlich,2j = alle 2 Jahre, 5j = alle 5 Jahre, 1x = einmal,Repl = Replikationen
pro Fläche, Fi = Fichte, Bu = Buche, Ei = Eiche, Hg = Hagebuche, Fö = Föhre, Ta = Tanne, Ar = Arve
* aus NFP14+ (STARK 1991) bzw. NITREX (SCHLEPPI et al. 2004).
Erhebung
Freq Repl ALP BEA BET CEL CHI DAV ISO JUS LAU LEN NAT NEU NOV OTH SCH VIS VOR
Meteorologie
Ozonkonzentration
Deposition
Bodenlösung
Bodenchemie
Blattgehalte
h
2w
2w
2w
1x
2j
Ozonschäden
1j
1
3
16
8
16
5
97–09
02–04
96–98
97–98
98
Fi
88*,
95–07
02–
97–09
02–04
99–07
99–03
97
Fi
97–07
97–09
02–08
98–07
99–03
98
Bu
97–
Ta
95–07
02– 02–08
2.2 Ozonbelastung
Von April bis September werden auf
sieben F reilandflächen die durchschnittlichen Ozonkonzentrationen
mit je drei Passivsammlern (Passam
AG, Schweiz) 2 m über dem Boden gemessen. Von den zweiwöchigen Durchschnittswerten werden mit Hilfe der
statistischen Methode von T UOVINEN
(2002) die Stundenwerte abgeleitet,
um den AOT40 zu berechnen. Dabei
stützt sich das Modell auf eine theoretische Gausssche Verteilung der Stundenwerte und geht von einer Standardabweichung von 15 ppb aus.
2.3 Ozonschäden
Gegen Ende der Vegetationsperiode,
aber noch vor der Herbstverfärbung ,
werden jedes J ahr die gleichen Waldrandabschnitte nahe der Passivsammler auf sichtbare Ozonschäden untersucht. Die beobachteten Symptome
werden sowohl mit Begasungsversuchen reproduziert als auch mit mikroskopischen Methoden nachgewiesen
und mit der Literatur verglichen (www.
ozone.wsl.ch; I NNES et al. 2001; N OVAK
et al. 2003). Eine Pflanzenart gilt als geschädigt, wenn an mehr als einem Blatt
pro Pflanze typische Ozonschäden, die
den Kriterien im ICP-F orests Manual
(1998) entsprechen, auftreten. Zum
Abgleich der Aufnahmemethoden in-
97–09
02–04
99–07
99–03
96
Ar
97–07
00–09 05–09 97–09 97–09 96–09 97–09 97–09 97–09 96–09 96–09
02–04
02–08 02–08
02–04 02–08 02–08 02–08
00–07 09–
97–07 96–07
98–07 97–99 96–07 94–07
99–03
99–03 98–03
98
98
95
94
96
97
97
95
94
Fi
Fi
Bu
Ei
Bu
Fö
Fö
Bu
Ei
Bu
97–07 88*, 97–07 97–07 97–07 97–07 97–07 97–07 97–07 97–07
07
Hg
97–
02– 02–
02– 02–08 02–08 02– 02– 02–08 02–08 02–08
nerhalb Europas , wird jedes J ahr ein
Trainingskurs für die Beobachter
durchgeführt.
98–09
02–08
98–07
99–03
98
Bu
99–07
97–09 96–09
02–04 02–08
01–07 96–07
98–03
97
96
Fö
Ta
97–07 95–07
02–08 02– 02–08
Die Bodenlösung wird mit Unterdruck-Saugkerzen (0,5 bar) aus 15, 50
und 80 cm Tiefe entnommen und chemisch analysiert (G RAF PANNATIER et
al. in diesem Band). Der Nitrataustrag
wird durch Multiplikation der Konzentration mit dem Sickerwasserfluss unterhalb des Wurzelraumes (80 cm) berechnet, wobei letzterer mit dem hydrologischen Modell WatBal (S TARR
1999) bestimmt wurde.
sonal (T HIMONIER et al. 2008) sowie
von Jahr zu Jahr (Abb. 2) und weist in
den Messperioden (Tab. 1) teilweise einen leichten abnehmenden Trend auf
(gemäss Seasonal Mann-K endall-Test
signifikant auf 95 % Niveau für VOR,
OTH, SCH, LAU).
THIMONIER et al. (2005) und SCHMITT
et al. (2005) zeigten, dass die auf den
LWF-Flächen gemessene Gesamtdeposition trotz der unterschiedlichen
Ansätze und angesichts der Unsicherheiten relativ gut mit den von R IHM
(1996) für die ganze Schweiz modellierten Stickstoffeinträgen übereinstimmte (± rund 30 %).
Die gemessene Gesamtdeposition
überschreitet die empirischen und die
SMB-Critical Load für Stickstoff auf je
einer L WF-Flächen am
Alpensüd(Novaggio) und Alpennordhang (Schänis) klar (Abb. 3). Auf den Flächen im
Mittelland und im J ura liegt der Stickstoffeintrag im Bereich der Critical Loads oder überschreitet den SMB Critical Load leicht, und auf den alpinen
Flächen liegt er klar tiefer als die Critical Loads.
3 Resultate
3.2 Blattspiegelwerte
3.1 Stickstoffeintrag (Deposition)
Die Gehalte der Nährelemente Stickstoff (N), Phosphor (P), Kalium (K)
und Magnesium (Mg) in den Blättern
und Nadeln (Abb . 4) streuen jeweils
zwischen den 5 Bäumen pro Bepro-
2.4 Blattspiegelwerte
Von fünf Probebäumen, die knapp ausserhalb der L WF-Fläche liegen, aber
für die Bäume auf der Fläche repräsentativ sind, werden alle zwei Jahre Blattoder Nadelproben aus der Baumkrone
entnommen und chemisch analysiert.
2.5 Nitrataustrag
Die Gesamtdeposition von Stickstoff
auf den L WF-Flächen variiert innerhalb der Fläche (THIMONIER 1998), sai-
N-Gesamtdeposition [kg ha–1 J–1]
116
Forum für Wissen 2009
40
30
20
10
0
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
BET
NEU
JUS
LAU
OTH
VOR
ALP
BEA
SCH
CEL
NAT
VIS
CHI
NOV
bung (Standardabweichung N: 0,5–17
%, P: 2–26 %, K: 2–38 %, Mg: 0,6–49
%).
Die mittleren N-Gehalte pro Standort lagen bei den Nadelbäumen unterhalb des optimalen Bereichs (B ERGMANN 1993) – ausser in CHI, der einzigen Nadelbaumfläche , bei der der
Critical Load für Stickstoff überschritten wird. Bei den Laubbäumen liegen
die N-Gehalte im optimalen Bereich –
ausser bei den beiden Flächen mit klaren Überschreitungen der Critical Loads für Stickstoff , wo sie oberhalb des
optimalen Bereichs liegen.
Bei den Flächen mit einer klaren
Überschreitung der Critical Loads
(SCH, NOV, ISO, CHI) lagen jedoch in
Isone Mg leicht und in Novaggio P, Mg
und K deutlicher unterhalb des Optimums. Bei den Flächen mit einer leich-
Abb. 2. Gesamtdeposition von Stickstoff auf den LWF-Flächen (THIMONIER et al. 2005). Flächenkürzel siehe Abbildung 1 in DOBBERTIN et al. in diesem Band.
40
Gesamtdeposition Stickstoff (Kronenaustauschmodel)
Gesamtdeposition Stickstoff (korrigiertes CH-Model)
35
Deposition und Critical Loads [kg ha–1 Jahr–1]
Critical loads Stickstoff (SMB)
Critical Loads (empirisch)
30
25
20
15
10
5
0
BET
NEU
Jura
JUS
LAU OTH
Mittelland
VOR
SCH
ALP
Voralpen
BEA
CEL
NAT
LEN
Alpen
VIS
CHI
ISO
NOV
Alpen Südseite
Abb. 3. Stickstoffeintrag und Critical Loads für die L WF-Flächen (R IHM 1996; T HIMONIER et al. 2005). Flächenkürzel siehe Abbildung 1 in
DOBBERTIN et al. in diesem Band.
Forum für Wissen 2009
117
ten Überschreitung der CL lag die Pund Mg-V ersorgung der Tannen und
Buchen auf dem Bettlachstock ebenfalls unterhalb des Optimums und in
Othmarsingen waren die Buchen eher
knapp mit Mg versorgt. Typische Mangelerscheinungen (z. B. Blattverfärbungen) wurden nicht beobachtet. Bei den
übrigen Flächen war P wie N teilweise
eher tief, Mg und K lagen aber im optimalen Bereich. Viele der N- und P-Gehalte weisen eine leicht abnehmende
Tendenz auf, während K und Mg mehr
oder weniger konstant blieben, was unter Einbezug der Werte von 1988 für
Davos und Alptal (S TARK 1991) klar
ersichtlich ist (Abb. 4).
Beim V ergleich der Abbildungen 3
und 4 fällt auf , dass der zeitliche Verlauf der N-K onzentrationen in den
Blättern und jener des Stickstoffeintrag in den Bestand bei vielen L WFFlächen ein ähnliches Muster aufweisen.
Wenn die Waldföhren (siehe D OBBERTIN et al. in diesem Band, Wurzelfäulen im Nationalpark und in Visp)
30
und Arven weggelassen werden, korrelieren bei den Nadelbaumflächen die
jährlichen Stickstoffeinträge mit den
N-Gehalten der Nadeln (Abb . 5) und
die N-Gehalte korrelieren wiederum
negativ mit der Kronenverlichtung
(nicht gezeigt), d. h. vermutlich positiv
mit der produktiven Nadelmasse.
3.3 Nitratausträge
Auf den LWF-Flächen mit Überschreitung der Critical Loads wurden erhöhte Nitratausträge (> 5 kg ha –1 J–1) gemessen, jedoch nicht bei allen Flächen
(Abb. 6). In Novaggio , beispielsweise ,
ist der Nitrataustrag , trotz hohem Eintrag vergleichsweise gering , weist aber
ein relativ hohes C/N-V erhältnis im
Boden auf . Eine grobe Abschätzung
der Stickstoffflüsse über die Ökosystemgrenzen hinweg (Abb . 6) ergibt,
dass auf mehreren Flächen Stickstoff ,
vermutlich im Boden (Immobilisa
tion), akkumuliert wird.
2
N
3.4 Ozon
Der Mittelwert der AOT40 Werte von
2002 bis 2008 zeigt, dass der Critical
Level für den Wald von 5 ppm•h auf allen untersuchten LWF-Flächen teilweise massiv überschritten wurde (Abb .
7). Obwohl die höchsten Werte auf der
südlichsten L WF-Fläche in Novaggio
(TI) gemessen wurden, lässt sich kein
Nord-Süd Trend erkennen. Die Werte
variieren von Jahr zu Jahr.
Auf 6 von 7 untersuchten L WF-Flächen werden jährlich sichtbare Ozonschäden an der Vegetation festgestellt
(Abb. 7 und 8). Auf der Fläche Bettlachstock wurden von 18 untersuchten
Pflanzenarten, durchschnittlich 8 als
geschädigt beurteilt. Auf der Fläche
Novaggio, wo jedes J ahr die höchsten
Ozonkonzentrationen gemessen werden, wurde jedoch keine der 8 untersuchten Arten als geschädigt beurteilt.
Insgesamt wurde kein Zusammenhang
zwischen den AOT40-Werten und der
Anzahl geschädigter Pflanzenarten auf
diesen Flächen gefunden.
P
Gehalt Blätter und Nadeln [g/kg]
20
1
10
0
12
10
0
3
K
8
Mg
2
6
4
1
2
0
1987
1992
BET Bu
BET T a
NEU Bu
1997
JUS Ei
LAU Bu
OTH Bu
2002
2007
VOR T a
ALP F i
BEA F i
0
1987
1992
SCH Bu
CEL Ar
DAV F i
1997
NAT F o
LEN F o
VIS Fo
2002
2007
CHI F i
ISO Bu
NOV Ei
Abb. 4. Mittlere Konzentrationen von Stickstoff (N), Phophor (P), Kalium (K) und Magnesium (Mg) in Blättern und Nadeln (einjährig) aus
Baumkronen von jeweils 5 Bäumen der Hauptbaumarten auf den L
WF-Flächen (Flächenkürzel siehe Abbildung 1 in DOBBERTIN
et al. in diesem Band, Baumarten: Fi = Fichte, Fo = Föhre, Ar = Arve, Bu = Buche, Ei = Eiche, Ta = Tanne).
118
Forum für Wissen 2009
30
N-Gehalt Blätter [g/kg]
N-Gehalt Nadeln [g/kg]
20
15
10
Picea abies (Fi)
Pinus mugo arborea (Fo)
5
0
Abies alba (Ta)
Pinus cembra (Ar)
Pinus sylvestris (Fo)
10
20
N-Gesamtdeposition [kg ha–1 J–1]
20
Fagus sylvatica (Bu)
Quercus robur (Ei)
10
30
10
Quercus cerris (Ei)
20
30
N-Gesamtdeposition [kg ha–1 J–1]
40
Abb. 5. Stickstoffeintrag (Gesamtdeposition) und Stickstoffgehalt in Nadeln (links) und Blättern (rechts) auf den LWF-Flächen (Messperioden siehe Tabelle 1). Gezeigt werden die einzelnen Messjahre.
Denitrifikation
Stammholz
Immobilisation
Nitrataustrag
30
SCH
Nitrataustrag [kg N ha–1 J–1]
Stickstoffflüsse [kg N ha–1 J–1]
40
20
10
0
BET
LAU OTH VOR
SCH
ALP
BEA
CEL
NOV
10
LAU
5
BET
NOV
ALP
VOR
BEA
CEL
0
5
10
15
20
25
C/N Verhältnis Waldboden [-]
30
Abb. 6. Grobe Bilanzierung der Stickstoffflüsse und C/N-Verhältnisse im Waldboden (Rohhumusauflage, bzw. oberste Bodenschicht). Der
Stickstoffgesamteintrag (TD), der Nitrataustrag mit dem Sickerwasser (Le) und der N-Einbau im Stammholz (U) wurden anhand gemessener Daten bestimmt, die Denitrifikation mit gasförmigem Entweichen (De) nach RIHM (1996) geschätzt und daraus ergibt sich die Immobilisation (Im) als Restterm (TD-Le-U-De=Im). Flächenkürzel siehe Abbildung 1 in DOBBERTIN et al. in diesem Band.
9
AOT40
Anzahl Arten mit Symptomen
AOT40 Grenzwert
60
8
7
AOT40 [ppm•h]
50
6
40
5
30
4
3
20
2
10
0
1
BET (18) NEU (15) JUS (13) LAU (18) OTH (14) SCH (7)
Jura
Mittelland
Voralpen
NOV (8)
Süden
0
Anzahl Arten mit Ozonsymptomen
70
Abb. 7. Ozonbelastung (AOT40), der Critical Level für den Wald und die Anzahl Arten mit sichtbaren Ozonsymptomen für 7
LWF-Flächen (in Klammern: Anzahl untersuchter Arten), gemittelt über die J ahre
2002 bis 2008. Flächenkürzel siehe Abbildung 1 in DOBBERTIN et al. in diesem Band.
Forum für Wissen 2009
119
Abb. 8. Typische, durch Ozon verursachte Schadsymptome an einheimischen Pflanzenarten (von links nach rechts und von oben nach unten): Rotbuche (Fagus sylvatica L.), Gemeine Esche ( Fraxinus excelsior L.), Sommerlinde (Tilia cordata Miller), Bergahorn (Acer pseudoplatanus L.), Spitzahorn ( Acer platanoides L.), Robinie ( Robinia pseudoacacia L.), Schwarzer Holunder ( Sambucus nigra L.), Wolliger
Schneeball (Viburnum lantana L.) und Silber-Weide (Salix alba L.). Quelle: http://www.ozone.wsl.ch
4 Diskussion
4.1 Stickstoffeintrag
Die leicht abnehmende Tendenz des
Stickstoffeintrags auf den L WF-Flächen erscheint aufgrund des in der
Messperiode festgestellten Rückgangs
der Emissionen in der Schweiz (Abb .
2) und in Europa plausibel. Die Depositionsmessungen auf den L WF-Flä-
chen bestätigen die modellierten Stickstoffeinträge: Trotz des Rückgangs der
Emissionen werden die Critical Loads
für Stickstoff am Alpennord- und Alpensüdhang teilweise immer noch klar
überschritten. Im Mittelland und J ura
werden die Critical Loads knapp erreicht oder knapp überschritten. In abgelegenen inneralpinen Tälern sind die
Einträge klar tiefer als die Critical Loads (Abb. 3).
Wir gehen davon aus, dass die Überschreitungen der Critical Loads für
Stickstoff und der Critical Loads für
versauernde Einträge (G RAF PANNATIER et al. in diesem Band) Ende der
1980er und Anfang der 1990er J ahre
höher waren, und dass sie ohne die ergriffenen Luftreinhaltemassnahmen
weiter angestiegen wären (Abb. 1). Die
heutigen N-Einträge auf den LWF-Flächen sind im europäischen Vergleich
120
relativ hoch, aber deutlich tiefer als jene in Holland während der 1980er Jahre (50 kg N ha–1 J–1 und 70 kg S ha–1 J–1,
BOXMAN et al. 2008) und jene im Erzgebirge während des Zusammenbrechens der dortigen
Waldbestände
(rund 50 kg N ha–1 J–1 und 150 kg S ha–1
J–1, korrigiert aus DAMBRINE et al. 1993;
siehe auch N OVAK et al. 2005). Im Erzgebirge hatten zudem hohe SO 2-Konzentrationen in den Rauchgasfahnen
der Kohlekraftwerke bei Inversionslagen zu extrem hohen Schwefelsäurekonzentrationen in den Nebeltröpfchen und so zu direkten Verätzungen
an den Nadeln geführt (max. Halbstundenwert 1995/1996: 3000 mg/l, mündl.
Mitt., Czech Hydrochemical Institute ,
2005). Zum Vergleich: Auf der Lägern
lag bei einer Messkampagne 2002 der
maximale 6-Stundenwert bei rund 115
mg/l (B URKARD et al. 2003). Im Rahmen der LRTAP wurden die empirisch
festgestellten Schäden und Veränderungen durch erhöhten Stickstoffeintrag zusammengestellt und die empirical Critical Loads auf 10 bis 20 kg N
ha–1 J–1 festgesetzt (A CHERMANN und
BOBBINK 2003).
4.2 Blattspiegelwerte
Die eher knappe N-V ersorgung bei
Nadelbäumen auf Flächen ohne Überschreitung der Critical Loads ist in
Übereinstimmung mit Beobachtungen
von L ANDOLT (1997) bei einer Beprobung im J ahr 1986 im Kanton Zürich.
Bei 70 von 100 F ichtenstandorten lagen die N und die P Gehalte unterhalb
des optimalen Bereiches.
Bei Überschreitung des Critical Loads für Stickstoff gibt es eine Tendenz
zu einer höheren N- und P- und einer
tieferen Mg- und K-V ersorgung der
Bäume und zwar unabhängig vom Sättigungsgrad der Fläche (siehe unten).
Kalium ist unter anderem ein wichtiger
Hilfsstoff vieler Enzyme (T ransport
und Glukosebildung) und Magnesium
spielt bei der Photosynthese eine Rolle. Sichtbare Mangelerscheinungen treten gemäss B ERGMANN (1993) meist
erst bei noch tieferen K- und Mg-W erten auf. Die teilweise abnehmenden Nund P-Gehalte führen tendenziell zu
besseren N/K- und N/Mg-V erhältnissen.
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Der ähnliche zeitliche Verlauf von
N-Eintrag und N-Gehalt in den Blättern weist darauf hin, dass auf den
LWF-Flächen ein Teil des Stickstoffs
rasch von den Bäumen aufgenommen
wird, wie dies bereits ein Versuch mit
markiertem Stickstoff für einen F ichtenbestand im Alptal (S CHLEPPI et al.
1999) gezeigt hat. Die räumliche K orrelation ist ein weiteres Indiz, dass der
Stickstoffeintrag die Versorgung der
Nadeln und Blätter auf diesen Flächen
beeinflusst.
4.3 Baumwachstum
Mit den Indizien für eine Beeinflussung der Blattgehalte stellt sich auch
die Frage nach dem Einfluss des Stickstoffeintrags auf das Wachstum. Mit
den Daten der L WF-Flächen alleine
kann, wegen der vielen Einflussfaktoren und der kleinen Anzahl Flächen,
dazu keine gesicherte
Aussage gemacht werden. DOBBERTIN (2005) zeigten, dass die Bäume bei der L WF-Fläche Othmarsingen heute schneller in
die Höhe wachsen als vor 100 J ahren.
Im Vergleich mit anderen Level II Flächen wurde ein Zusammenhang zwischen diesem Zuwachsanstieg mit den
Stickstoffgehalten in den Blättern und
dem Stickstoffeintrag gefunden. Bei
Auswertung von 360 Level II Flächen
(inklusive LWF-Flächen) fanden S OLBERG et al. (im Druck), bei hohem
Stickstoffeintrag ein grösseres Wachstum, als aufgrund des Standorts , des
Alters und der Bestandesdichte erwartet wurde. Das Wachstum wurde vor allem auf Flächen mit knapper Stickstoffverfügbarkeit (C/N > 25) moderat
beeinflusst. F rühere Studien fanden
mit anderen Methoden einen grösseren (Gasflüsse: M AGNANI et al. 2007)
bzw. einen kleineren Einfluss (Isotope:
NADELHOFFER et al. 1999). Somit kann
die verbreitet beobachtete Wachstumssteigerung in der Schweiz (B
RÄKER
1996; Z INGG 1996; D OBBERTIN 2005)
vermutlich unter anderem auf die Zunahme des Stickstoffeintrags im 20.
Jahrhundert zurückgeführt werden
(siehe auch BUCHER 1997).
4.4 Vitalität und Stressresistenz
Ein stärkeres Wachstum ist ein Vitalitätszeichen und zeigt, dass die betreffenden Waldbestände sich nicht im von
ABER et al. (1989) postulierten Stadium
einer fortgeschrittenen Stickstoffsättigung befinden. Die postulierten negativen Auswirkungen des Stickstoffeintrags über Wurzel/Spross- und Nährstoffverhältnisse auf die Resistenz der
Bäume gegenüber Trockenheit, F rost,
Sturm, Insekten sind jedoch schwierig
zu untersuchen. D OBBERTIN et al. (in
diesem Band) zeigen den Zusammenhang zwischen Trockenstress und Mortalität anhand des Sommers 2003. Für
Aussagen über den Einfluss des Stickstoffs auf diesen Zusammenhang
braucht es jedoch grössere Datensätze,
da die Stresssituationen nur sporadisch
auftreten. Nach dem Sturm Lothar fanden B RAUN et al. (2003) und M AYER
et al. (2005) stärkere Windwurfschäden
auf saureren Standorten als auf basischen, was aber gemäss U SBECK et al.
(2005) unter Umständen auch auf
regionale Unterschiede in der Böenspitzengeschwindigkeiten zurückgeführt werden könnte.
Ein erhöhter Nitrataustrag ist eine
weitere postulierte negative Auswirkung und kann die Wasserqualität bei
entsprechender V orbelastung weiter
beeinträchtigen. Auf drei LWF-Flächen
war der Nitrataustrag grösser als das
«akzeptierbare» Mass, das dem Critical
Load zugrunde gelegt wurde . Ein erhöhter Nitrataustrag wurde jedoch nur
auf jenen Flächen mit überschrittenen
Critical Loads gefunden, die auch tiefe
C/N-Verhältnisse aufweisen (Abb . 6).
Die Konzepte von G UNDERSEN (1995)
treffen auf die L WF-Flächen zu: nach
diesen zeigt das hohe C/N-V erhältnis,
dass die Fläche in Novaggio noch nicht
mit Stickstoff gesättigt ist und erklärt
den geringen Nitrataustrag . Diese Flächen akkumulieren zum Teil Stickstoff
im Boden, womit das Risiko der Sättigung und des Nitrataustrags ins
Grundwasser künftig zunehmen dürfte. Die modellierten Critical LoadsKarten weisen die Flächen mit Überschreitungen aus, nicht jedoch den Sättigungsgrad, welcher für das aktuelle
Nitrataustragsrisiko relevant ist. Wenn
die K onzepte von G UNDERSEN (1995;
siehe auch D ISE et al. 2009) anwendbar
sind, lässt sich der Sättigungsgrad mit
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verhältnismässig einfachen C/N-Messungen bestimmen und das aktuelle
Nitratrisiko besser abschätzen. Um die
Dauer bis zur Sättigung abschätzen zu
können, ist über die F orm und über
den Ort der Stickstoff akkumulation
noch zu wenig bekannt.
4.5 Ozon
Ozon entsteht unter der Einwirkung
von Temperatur und UV-Strahlung aus
den V orläufersubstanzen Stickstoffoxid (NOx), Kohlenmonoxid (CO) und
flüchtigen, organischen Verbindungen
(VOC). Die Ozonkonzentration hängt
daher stark von den klimatischen Bedingungen, wie der Temperatur, dem
Niederschlag und der Windrichtung ab
und ist grossen und schwierig vorhersehbaren Schwankungen unterworfen.
Ein Vergleich über alle gemessenen
Jahre zeigt, dass auf den L WF-Flächen
die höchsten Ozonkonzentrationen in
den J ahren 2000 und 2008 gemessen
worden sind (Daten hier nicht präsentiert). Obwohl im Hitzejahr 2003
schweizweit die meisten und höchsten
Überschreitungen des Grenzwertes
von 60 ppb gemessen worden sind, weisen die von uns untersuchten Flächen
nur durchschnittliche Werte auf . Dies
könnte auf die filternde Wirkung des
Waldes zurückgeführt werden und
zeigt die Komplexität der Bildung von
Ozon auf, die regional zu grossen Unterschieden in der K onzentration führen kann.
121
Bei allen Vorbehalten gegenüber einer simplen AOT40-Berechnung, die
auf zwei-wöchigen Durchschnittswerten und einer Gaussschen Verteilung
der modellierten Stundenwerte beruht
(TUOVINEN 2002), haben sich die
Ozonmessungen mit preisgünstigen
und von Elektrizität unabhängigen
Passivsammlern als wichtig herausgestellt, um die effektiven Ozonkonzentrationen auf den L WF-Flächen abschätzen zu können.
Der fehlende Zusammenhang zwischen den AOT40-Werten und der Anzahl geschädigter Pflanzenarten mag
im ersten Moment erstaunen. Dabei
scheint es jedoch wichtig , die Wirkungsweise von Ozon auf die Vegetation zu erläutern.
Nicht alle Pflanzenarten reagieren
gleich empfindlich auf erhöhte Ozonkonzentrationen. Untersuchungen an
jungen, einheimischen Waldpflanzen
haben gezeigt, dass z. B. die Schwarzpappel (Populus nigra) bei einer Dosis
von 3 ppm •h AOT40 und die Winterlinde (Tilia cordata) bei einer Dosis
von 20 ppm •h AOT40 Schadsymptome
entwickeln (N OVAK et al. 2003). Dies
wirft unweigerlich die F
rage nach
der Artenzusammensetzung auf . Die
Empfindlichkeit eines Waldökosystems
gegenüber den Einwirkungen von
Ozon hängt primär von der Artenzusammensetzung des Bestandes ab . Anzahl und Empfindlichkeit der
Arten
auf den L WF-Flächen sind unterschiedlich (Abb . 7). Dies erklärt zumindest teilweise , dass zum Beispiel
auf der L WF-Fläche Novaggio , wo jedes Jahr die höchsten Ozonkonzentration ge messen werden, keine sichtbaren Ozonsymptome beobachtet worden sind.
Eine weitere Erklärung liefert REICH
(1987) mit der Theorie, dass nicht die
Konzentration, sondern die über einen
bestimmten Zeitraum aufgenommene
Menge (Dosis) für die Wirkung ausschlaggebend ist. J e mehr Ozonmoleküle von der Pflanze über die Spaltöffnungen in das Blattinnere aufgenommen werden, umso grösser das Risiko
einer schädlichen Wirkung. Da der
Gasaustausch über die Spaltöffnungen
von vielen morphologischen und mikroklimatischen Bedingungen abhängt, macht diese Theorie deutlich,
dass ein, auf der K onzentration basierender Grenzwert (z. B. AOT40), nicht
geeignet ist, um mögliche Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung
zu untersuchen.
Dies führte zur Entwicklung des
Flux-Konzeptes (Flux = engl. Durchflussmenge), bei dem die effektive Aufnahme von Ozon in das Blattinnere
unter Berücksichtigung der wichtigsten
Einflussfaktoren (Pflanzenart,
Bodenfeuchte, Lufttemperatur und
-feuchte, Strahlung , usw .) modelliert
wird (S CHAUB et al. 2007). Zwei europäische Überschreitungskarten zeigen
die resultierenden Unterschiede zwischen den beiden K onzepten (Abb. 9).
Das Flux-Konzept berücksichtigt, dass
trockene Gebiete unter gleich hohen
Ozonkonzentrationen einem geringe-
Abb. 9. Überschreitungen von kritischen Ozonwerten, berechnet (A) mit dem AOT40-Konzept, das auf der Konzentration basiert, und (B)
mit dem Flux-Konzept, das auf der Modellierung der Aufnahme von Ozon basiert (SIMPSON et al. 2003)
122
ren Risiko von Ozonschäden ausgesetzt sind als feuchtere Gebiete.
Momentan wird in Europa und den
USA die Erfassung der für die FluxModellierung erforderlichen Eingangsgrössen angestrebt. Der Wechsel vom
preisgünstigeren, einfacheren AOT40Ansatz zum aufwändigeren, realistischeren Flux-Ansatz verdeutlicht die
laufende Anpassung der Erfassung der
Luftbelastung an den neuesten Stand
der Kenntnisse.
6 Schlussfolgerungen
Mit der LRTAP-Konvention hat sich in
Europa ein effizientes Werkzeug zur
Regulierung der Luftbelastung etabliert. Das L WF bestätigte die für die
Schweiz modellierten Stickstoffeinträge. Die Säureeinträge (G RAF PANNATIER et al. in diesem Band) und der
Stickstoffeintrag gingen für einen markanten Teil der Waldfläche der Schweiz
in den Bereich der Critical Loads zurück. Gemäss diesen modellierten
Werten, welche an den L WF-Standorten durch Messungen bestätigt werden,
liegt der Stickstoffeintrag heute in
mehreren abgelegenen Tälern deutlich
tiefer als der Critical Load, wird aber
in Teilen der Voralpen und der Alpensüdseite nach wie vor klar überschritten.
Die Untersuchungen der Blattspiegelwerte auf den L WF-Flächen lieferten Hinweise , dass der Stickstoffeintrag die Stickstoffversorgung der Blätter der Laub- und Nadelbäume auf
diesen Flächen beeinflusst. Auf den
LWF-Flächen ohne Überschreitung der
Critical Loads liegen die Blattspiegelwerte bei Nadelbäumen in einem
Bereich, der auf eine eher knappe
Stickstoffversorgung hinweist. Die Zunahme des Stickstoffeintrags im 20.
Jahrhundert dürfte somit die N-Versorgung der Blätter und das
Wachstum
auf diesen Flächen vermutlich eher
verbessert haben. Bei Auswertung aller
Level II Flächen in Europa (inklusive
LWF-Flächen), wurde für knapp mit
Stickstoff versorgte Flächen ein Zusammenhang zwischen dem Stickstoffeintrag und dem Baumwachstum gefunden.
Andererseits wurde bei einem Teil
der LWF-Flächen mit Überschreitung
der Critical Loads in den Blättern N-
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Gehalte leicht oberhalb und K-, P- und
Mg-Gehalte leicht unterhalb des optimalen Bereichs festgestellt. Typische
Anzeichen von Mangelerscheinungen,
wie z. B. Blattverfärbungen, wurden jedoch nicht beobachtet. Ebenfalls bei
einem Teil der Flächen mit Überschreitungen der Critical Loads war der
Nitrataustrag erhöht (>5 kg ha –1 J–1).
Andere Flächen mit Überschreitungen
der Critical Loads sind noch nicht
gesättigt, was sich auch in hohen C/NVerhältnissen spiegelt. Das Wurzel/
Spross-Verhältnis wurde bisher nicht
untersucht. Im Verbund mit weiteren
ICP-Forests Level II Flächen bilden
die LWF-Erhebungen eine gute Grundlage um den Einfluss des Stickstoffeintrags auf die Resistenz der Bäume zu
untersuchen.
Ozon hinterlässt keine analytisch
messbaren Rückstände an den Blättern. Deshalb sind Schadsymptome die
einzigen, relativ einfach erkennbaren
Indizien für die Wirkung von Ozon auf
die V egetation. W eitere W irkungen,
wie z. B. die Reduktion der Photosyntheseleistung oder des
Wachstums,
konnten bisher nur an jungen Pflanzen
unter kontrollierten Bedingungen
nachgewiesen werden. Die bisherigen
Untersuchungen zeigten, dass die
Ozonkonzentrationen auch auf den
LWF-Flächen jedes J ahr den Critical
Level überschreiten. Es konnte auch
nachgewiesen werden, dass eine Reihe
einheimischer Pflanzenarten regelmässig durch Ozon verursachte und von
blossem Auge sichtbare Schadsymptome aufweisen. Die F rage, ob und welches Risiko Ozon für den Wald bedeutet kann mit dem bisherigen, auf der
Konzentration basierenden AOT40Ansatz nicht beantwortet werden. Die
Modellierung der effektiv aufgenommenen Ozondosis unter Berücksichtigung von physiologischen,
klimatischen und morphologischen Einflussgrössen ist viel versprechend, weil sie
nicht zuletzt auch den Einfluss von Klimaparametern zu berücksichtigen versucht, die sich künftig wandeln könnten.
Dank
Zu den hier präsentierten Ergebnissen
der Langfristigen Waldökosystem-Forschung beigetragen haben verschiedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der WSL und der beteiligten kantonalen und kommunalen Forstdienste und
Fachstellen. Stellvertretend nennen wir:
N. Kräuchi, J. Innes, M. Dobbertin, M.
Rebetez, L. Walthert, P . Blaser , P .
Brang, P . Waldispühl, P . Schleppi, O .
Schramm, A. Brechbühl, N. Hajjar, Yuk
Ying Cheung-T ang, G . Schneiter , C .
Hug, F . P otzinger, R. Siegrist, M.
Schmid, D . Trummer, M. Leimer , T.
Stalder, B. Lüscher, F. Bontadina, J.-L.
Malfroid, O. Mayor, A. Cuonz, K. Biaggi, W. Schirmer, H. Schaad, P. Zumstein,
N. Freyre, A. Züricher , D. Christen, B.
Peter, D . Pezzotta, A. Schlumpf , U .
Graf, J. Bolenbach, P. Suter, M. Gysin,
B. Staub und weitere ehemalige MitarbeiterInnen.
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Abstract
Effects of nitrogen deposition and ozone on selected forest plots in Switzerland
In 1994, the long-term forest ecosystem research program (L WF) has been initiated to investigate the effects of air pollution on Swiss forests
. The monitoring
network includes 18 forest plots , distributed over Switzerland. The monitoring
issues include atmospheric deposition, tropospheric ozone, tree nutrition, nutrient
leaching and the corresponding effects . Atmospheric deposition exceeded critical
loads of nitrogen on several plots, i.e., in one plot in the Prealps and in three plots
south of the Alps. On some of these plots, the concentration of P, Mg and K in the
foliage of the main tree species is slightly below the optimum for the species
.
However, no typical signs of deficiency such as discoloration have been observed.
Indicators for nitrogen saturation such as elevated nitrate leaching or low C/N values were found on some of the plots with nitrogen deposition exceeding the
critical loads for nitrogen. F rom 2002 to 2008, ambient concentrations of
tropospheric ozone exceeded the critical level of 5 ppm •h AOT40 on all 7 plots
that have been monitored. Visible symptoms of ozone injury were found on 6 out
of 7 plots. No correlation between critical level (AOT40) exceedance and response
intensity (symptom development) was found.
To further investigate causeresponse relationships for ozone effects on forests, an uptake-based flux approach
is recommended.
Keywords: forest, nitrogen deposition, foliage nutrition, tropospheric ozone ,
visible ozone symptoms, Switzerland
Forum für Wissen 2009: 125–129
125
Plädoyer für Langzeitforschung
Norbert Kräuchi
WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
norbert.kraeuchi@wsl.ch
Ab 1.11.2009 Departement Bau, Verkehr und Umwelt, Abt. Landschaft und Gewässer, Entfelderstrasse 22, CH-5001 Aarau
norbert.kraeuchi@ag.ch
Das Prinzip der nachhaltigen Bewirtschaftung von Ressourcen ist zu einem zentralen Bestandteil unseres Denkens geworden. Der Dokumentation von Veränderung in Ökosystemen, der Bestimmung ihrer Ursachen und den mit den Veränderungen verbundenen kurz- und langfristigen Folgen kommt ein entsprechend hoher Stellenwert zu. Wissensgesellschaften sind in besonderem Ausmass gefordert
ihre zentrale Ressource «Wissen» nachhaltig zu bewirtschaften. Dies beinhaltet
nicht nur die Generierung neuer Informationen und Daten als Grundlage für
neues Wissen, sondern auch die dauerhafte Pflege des erworbenen Wissens früherer Generationen. Dies aus dem einfachen Grund, weil es nicht vernünftig ist,
langfristige Trends und ihre Konsequenzen aus dem Jetzt kurzzeitiger Entwicklungen abzuleiten. Grundlage von unsicherheits- und risikobehafteter Entscheide
sind die vorhandenen Daten aus dem betrachteten System. Dabei bedarf es nicht
nur einer detaillierten kurzfristigen Datenreihe, sondern auch einer umfassenden
und langfristig angelegten Datenbasis. Voraussetzung dazu sind Engagment und
Weitblick der Förderinstitutionen, welche sich mit ihrer Unterstützungspraxis klar
zur Langzeitforschung bekennen. Ebenso sollten bestehende Datens(ch)ätze von
den Forschenden allgemein zugänglich gemacht werden und vermehrt genutzt
werden.
1 Einleitung
Der Klimawandel beschäftigt uns seit
geraumer Zeit. Wir sind Teil eines globalen Experimentes ohne K ontrolle
(Abb. 1). Für die Schweiz geht das
OcCC, das beratende Organ für F ragen der Klimaänderung , bis ins J ahr
2050 von einer Erwärmung von 2° Celsius aus (OcCC 2007). Sollte diese Prognose eintreffen, dann werden die
Schweizer Wälder stark betroffen sein
(EASTAUGH 2008; R IGLING et al. 2008).
Für die Umwelt und den Menschen
können nachteilige Entwicklungen auftreten, wie vermehrtes Auftreten von
Extremereignissen (Trockenheit, Starkniederschläge) Artenschwund oder Insektenkalamitäten. Die Bewertung der
daraus resultierenden Bedrohungspotentiale – beispielsweise für die Lebensraumsicherheit – in F
orm von
vergleichenden Risikoabschätzungen
ist von grundlegender Bedeutung für
ein problem- bzw . lösungsorientiertes
Risikomanagement. So können die
Fragen, welche Akteure eines Risikomanagements angesprochen und welche Strategien dem Problem angemes-
sen sind, erst dann beantwortet werden, wenn die Wirkungsebenen der Risiken analysiert worden sind. Um das
Verhalten der Wälder bei veränderten
Rahmenbedingungen (Global Change)
in Raum und Zeit abzuschätzen und
wirksame forst- und umweltpolitische
Massnahmen zu treffen, müssen die
ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen F aktoren miteinander
verknüpft werden.
2 Umweltinformation und
Entscheidfindung
Der Einbezug von Umweltinformation
in die Entscheidfindung ist heute in der
Regel wenig effektiv, da dieser oft erst
dann stattfindet, wenn Themen bereits
eine hohe Brisanz erreicht haben. Die
Wissenschaft liefert Entscheidungsgrundlagen in Form von Daten und Erkenntnisse mit hoher Sicherheit, ist jedoch in den Entscheidungsprozess nur
unbefriedigend eingebunden (Abb 2;
A). Um eine optimale Einflussnahme
Abb. 1. Globaler Wandel: Wir sind Teil eines Experimentes ohne K ontrolle. «Map/Trees
being eaten». (Reproduziert mit Bewilligung von Chris Madden vom 6.8.2009)
126
Forum für Wissen 2009
der Wissenschaft im politischen und
wirtschaftlichen Entscheidfindungsprozess zu erreichen, müsste dieser Einbezug viel früher stattfinden (Abb 2: B).
Nur so können gemeinsame Lösungsansätze entwickelt und in Szenarien
mögliche Wirkungen derselben abgeschätzt werden. Mit zunehmender Zeit
nehmen die Effektivität der Handlung
und das Risiko einer F ehleinschätzung
ab. Wie K ydland und Prescott, die
Ökonomie Nobelpreisträger von 2004,
in ihren früheren Arbeiten festgestellt
haben, ist es besser sich von vornherein
auf eine (gute) Regel festzulegen als
zum jeweiligen Zeitpunkt nach Gutdünken zu entscheiden und erst dann
unter gegebenen Erwartungen das beste zu tun (K YDLAND und P RESCOTT
1977).
Wenn nun aber – aus wissenschaftlicher Sicht – der sinnvolle Zeitpunkt
Umweltinformationen in die Entscheidfindung zu integrieren, möglichst
zu Beginn einer politischen Debatte
über ein Thema zu erfolgen hat, wäre
die Existenz langer Zeitreihen oftmals
von Vorteil, da die Grundlage vieler
Risikobetrachtungen die vorhandenen
Daten aus dem betrachteten System
sind. Dabei bedarf es nicht nur einer
detaillierten kurzfristigen Beobachtungsreihe, sondern vielmehr einer umfassenden und langfristig angelegten
Datenbasis. Der amerikanische Ökonom Jacob Viner (VINER 1958) hat dies
folgendermassen festgehalten:
“no
matter how refined and how elaborate
the analysis, if it rests solely on the short
view it will still be … a structure built on
shifting sands”.
3 Weshalb
Langzeitforschung
Im Vergleich zu den Zeiträumen von
Jahren bis J ahrzehnten, mit denen wir
Menschen umzugehen gewohnt sind,
entwickelt sich der Wald langsam; er
entwickelt sich so träge, dass wir ihn in
der Regel nicht als dynamisch, sondern
als statisch wahrnehmen. Waldökosysteme verändern sich auch langsam,
weil sie in der Lage sind, Umwelteinflüsse über lange Zeit ohne augenfälli-
Aktualität/Brisanz eines Issues
A üblicher Zeitpunkt des Einbezugs von
Umweltwi ssen in den Entscheidungsprozess
B an gestrebter Zeitpunkt des Einbezugs von
Umweltwi ssen in den Entscheidungsprozess
A
B
Effektivität der Handlung/Risiko einer Fehleinschätzung
Zeit
Abb. 2. Einbezug von Umweltwissen in den politischen Entscheidfindungsprozess (nach
VAUGHAN et al. 2003; EMAN 2005). Zum Zeitpunkt A sind die Informationen nicht zeitgerecht, haben eine hohe wissenschaftliche Sicherheit, sind auf K onfrontation ausgelegt und
die Wissenschaft ist ± reiner Datenlieferant. Die Entscheide sind wenig effektiv, ineffizient,
nicht adaptiv, kritisch/extrem. Würde der Einbezug früher (B) erfolgen, dann wären die Informationen zeitgerecht, relevant, nachfrageorientiert, mit höherem Risiko behaftet, unter
Einbezug der Stakeholder erarbeitet. Die Entscheide sind dann effizient, effektiv und adaptiv und lassen verschiedene Handlungsoptionen offen.
ge Veränderungen aufzufangen beziehungsweise abzupuffern (B LASER et al.
2008). Beispielsweise sind die internen
Speicher für wichtige Stoffflüsse im
Verhältnis zu den jährlichen Einträgen
und Austrägen gross . Ein kalkreicher
Waldboden reagiert daher auf Säureeinträge nicht unmittelbar , sondern
erst, wenn sein Puffervermögen erschöpft ist. Bis es soweit ist, kann es
Jahrzehnte bis Jahrhunderte dauern.
Langzeitforschung führt oft zu Hypothesen, die dann mit gezielten kurzfristigen Ansätzen geprüft werden können. Simulationsmodelle, die häufig als
Alternative zur Langzeitforschung
propagiert werden, müssen mit Langzeitdaten validiert werden. In der ökologischen F orschung sind unter anderem in folgenden Fällen Langzeit-Studien nötig (PACE and COLE 1987):
a) für allmählich ablaufende Veränderungen,
b) für die langfristige Entwicklung von
Populationen
c) für ökologische Phänomene, die
durch seltene oder unregelmässig
auftretende Ereignisse bestimmt
werden und
d) für ökologische Phänomene, die je
nach Jahr stark variieren.
Seit Jahren sind im Wald Veränderungen wissenschaftlich nachgewiesen, die
zwar langsam ablaufen, aber den Wald
und damit seine Leistungen für die Gesellschaft langfristig beeinflussen können. Dazu gehören die Wachstumssteigerung der Bäume und die Einflüsse
von Luftschadstoffen auf Bäume und
auf den Boden. Für letzteres ist die
langsame Versauerung eines Kryptopodsols im Tessin beispielhaft (B LASER
et al. 1999). Ein weiteres Beispiel ist die
Mortalität verschiedener Baumarten in
einer Hochlagenaufforstung bei Davos; eine Beurteilung nach nur fünf
Jahren hätte zu erheblichen F
ehlschlüssen geführt (SENN und SCHÖNENBERGER 2001). Solche F ehlschlüsse bei
zu kurzem Zeitfenster sind häufig
(MAGNUSON 1990; W EATHERHEAD
1986); so wurde die Entwicklung der
Kronenverlichtung in der Schweiz,
nach dem Anstieg von 1985 bis 1987,
damals als dramatisch beurteilt – ein
Fehlschluss, wie wir heute wissen
(BRANG 1998).
Der W ert von Langzeitforschung
steigt oft mit zunehmender Beobach-
Forum für Wissen 2009
tungsdauer. Die WSL verfügt über einen Schatz von Daten aus Zeitreihen,
die J ahrzehnte abdecken. Viele alte
Versuche sind in diesem Sinn wertvoll,
auch wenn heute «nur» noch die Daten
aktuell sind, und nicht die ursprüngliche F ragestellung. Langzeitforschung
(z. B. Ertragskundeflächen) ermöglicht
es beispielsweise die F olgen von waldbaulichen Behandlungen zu erkennen,
welche erst mit einem grösseren zeitlichen Verzug auftreten.
In der Schweiz befinden wir uns in
der glücklichen Lage , über eine Vielzahl von kurz- und langfristigen Datenreihen aus unterschiedlichen
Waldökosystemen (LFI, Sanasilva, L WF,
kantonale Dauerbeobachtungsflächen,
BDM-CH, Bodeninventuren, vegetationskundliche Erhebungen …) zu verfügen. Die Integration dieser Informationssysteme, regionaler und nationaler Inventuren und Monitoringflächen
ist von zentraler Bedeutung
. Die
Verknüpfung von Beobachtung und
Modellierung erlaubt ein verbessertes
Verständnis des betrachteten Systems
(Abb. 3). Prozessorientierte Untersuchungen sollen einerseits mittels Prozessmodellen und andererseits mit
Hilfe von Experimenten durchgeführt
werden. Langzeitmonitoring und Simulationsexperimente am Computer
ergänzen diese Module
. Ersteres
ermöglicht die Erfassung von Veränderungen, wohingegen regionale Simulationsexperimente eine Risikoabschätzung in Bezug auf diese Veränderungen erlauben. Die Synergieeffekte
sämtlicher Teilbereiche resultieren im
besseren Verstehen des betrachteten
Systems (KRÄUCHI 1996).
4 Anforderung an die
Langzeitforschung
Wir können Gegenwartsprobleme
nicht begreifen, ohne eine systematische Untersuchung früherer Ereignisse, welche die Gegenwart beeinflussen.
Die Langzeitperspektive soll verhindern, dass Entscheidungsträger ihre
Strategien aus dem J etzt kurzfristiger
Entwicklungen zu erkennen versuchen, welche unter Umständen ein verzerrtes Bild des tatsächlichen Problems
darstellen.
Die nationalen und kantonalen Datengrundlagen in der Schweiz stellen
127
Existierende Informationssysteme
und Inventuren
(z. B. LFI, NABO, IAP u.a.)
Beobachtung
Experimente
Prozessorientierte
Untersuchungen
LangzeitMonitoring
Erfassen von
Veränderungen
Verstehen
Regionale
Simulationen
ProzessModelle
Risikoabschätzung
in bezug auf
Veränderung
Modellierung
Abb. 3. Konzeptueller Ansatz nachhaltiger Forschung (KRÄUCHI 1996).
einen einmaligen Fundus wertvoller
Information über den aktuellen Zustand und die vergangene Entwicklung
im Schweizer Wald und einen Schlüssel
zur Abschätzung zukünftiger Entwicklung dar. Der Zugang zu diesen Daten
und Metadaten, deren Auswertung und
deren Einbezug in neue F orschungsprojekte und Programme gehört zu
den grossen Herausforderungen der
aktuellen F orschungspolitik und F orschungsförderung. Eine Herausforderung deshalb , weil der finanzielle und
personelle Aufwand für die vorgängige
Digitalisierung, Überprüfung und Bereitstellung der Datenschätze und der
daraus resultierende wissenschaftliche
Ertrag zeitlich stark entkoppelt sein
werden. Gegenwärtig ist die Zusammenarbeit und der Zugang zu wissenschaftlichen Daten suboptimal. SCHRÖDER (2007) gibt zu bedenken, dass statt
vorhandene Informationen zu nutzen,
neue erhoben werden, die wiederum in
erheblichem Umfang nicht mehr genutzt werden oder nach einmaliger
Nutzung nicht mehr für die Nachnutzung zur Verfügung stehen und folgert:
«die Informationsnutzung ist weder
nachhaltig noch effizient».
Die offene Datenpolitik wird zusätzlich an Bedeutung gewinnen,
wenn
In the year 9595
I’m kinda wondering if man’s gonna be alive
He’s taken everything this old earth can give
And he ain’t put back nothing
Zager and Evans (“In The Year 2525”, 1969)
128
Forum für Wissen 2009
Dass hinsichtlich Langzeitforschung
und Langzeitmonitoring ein Umdenken stattfindet, zeigt sich eindrücklich
am Beispiel des Global Climate Observation Systems GCOS: Basierend auf
dem Bundesratsentscheid vom 6. J uni
2008 zur nachhaltigen F
inanzierung wichtiger langfristiger Klimamessreihen im Rahmen von GCOS
wurde am 19. Mai 2009 eine erste Vereinbarungen unterzeichnet. Ab 2010
wird im Auftrag von MeteoSchweiz der
World Glacier Monitoring Service
(WGMS) am Geographischen Institut
der Universität Zürich als Beitrag zu
GCOS betrieben. Auch in Bezug auf
die Erhebung langfristiger Daten und
die Erforschung des Ökosystems Wald
wurde 2009 die Waldverordnung (WaV)
angepasst. Gemäss W aV Artikel 37a
Abs. 1 und 2 ist das Bundesamt für
Umwelt (BAFU) zuständig für die Erhebungen der Daten zum Wald. In Zusammenarbeit mit der WSL erhebt es
«in einem langfristigen Forschungsprogramm die Belastung des Waldökosystems». Das BAFU unterstützt bereits
heute verschiedene nationale und kantonale Monitoringaktivitäten wie das
Biodiversitäts-Monitoring Schweiz, die
Förderagenturen realisieren, dass Datenzugang und Datenaustausch von
zentraler Bedeutung für den wissenschaftlichen Fortschritt sind (A RZBERGER et al. 2004). Grundlage für diesen
Datenaustausch bilden gut strukturierte und dokumentierte Datenbanken
mit entsprechenden Metainformationen um den Datenverlust über die Zeit
zu minimieren (Abb . 4) und eine saubere, offen deklarierte Datennutzungspolitik (LWF 2002).
5 Folgerungen
Langzeitforschung verlangt langfristiges Engagement. Sie steht damit quer
in der heutigen F orschungslandschaft,
wo oft nur die aktuellsten (modischen)
Fragen in kurzfristigen Projekten untersucht werden. In welchem Fall Langzeitforschung gerechtfertigt ist, ist sorgfältig zu prüfen (S PRINZ 2009). Ist aber
einmal der Entscheid für Langzeitforschung gefallen, dann ist methodische
Kontinuität von grösster Wichtigkeit.
Langzeitforschung verträgt Methodenänderungen und Unterbrechungen in
der Datenerhebung nur schlecht.
Zeitpunkt der Publikation
Spezifische Details
Informationsgehalt
Allgemeine Details
Ruhestand oder Stellenwechsel
Unfall
Tod
Zeit
Abb. 4. Informationszerfall über die Zeit: Eine zentrale Herausforderung für Wissensgesellschaften im Allgemeinen und Langzeitforschung im Speziellen liegt darin, das sich ansammelnde Wissen in geeigneter Form über die Zeit abrufbar zu halten (nach M ICHENER et al.
1997).
Nationale Bodenbeobachtung N ABO,
das Nationale Beobachtungsnetz für
Luftfremdstoffe NABEL, das interkantonale Dauerbeobachtungsprogramm
im Wald oder das Landesforstinventar.
Nun gilt es vermehrt das Monitoring
sinnvoll mit der Forschung zu verknüpfen, denn Langzeitforschung kann
wesentlich dazu beitragen, den nachhaltigen Umgang mit den natürlichen
Ressourcen wissenschaftlich zu untermauern. Wie bereits erläutert, werden
Förderbeiträge ausserhalb der Ressortforschung in der Regel aufgrund
disziplinenspezifischer Erfolgsindikatoren gesprochen (z. B. den Impact
Faktor, als Gütesiegel für wissenschaftlich gute Zeitschriften). Diese Indikatoren sind jedoch nur bedingt geeignet,
langzeit- oder interdisziplinäre Ansätze, deren Werte sich erst über die Zeit
voll entfalten, zu bewerten (ANDERSON
et al. 2008). Hier besteht ein dringender
Handlungsbedarf hinsichtlich neuer
Indikatorensets zur Beurteilung von
Langzeitforschung.
Um zukunftsorientierte Langzeit-/
Ökosystemforschung zu betreiben,
müssen folgende Bedingungen erfüllt
sein:
a) Commitment: Ökosystemforschung
muss nicht nur kurz- sondern
langfristig finanzierbar sein. Dies
bedingt eine vorgängige, verbindliche Verpflichtung (Commitment)
der betroffenen Akteure.
b) Synergiewille: Ökosystemforschung
braucht eine Strategie zur Optimierung der Synergien mit bestehenden Netzwerken und MonitoringProgrammen (Harmonisierung/
Standardisierung).
c) Koordination: Ökosystemforschung
braucht ein umfassendes Datenund Informationsmanagement mit
klar definierten Vorschriften für
die Nutzung der Daten (data access
policy).
Auch die F orschenden müssen ihren
Beitrag für eine bessere Akzeptanz der
Bedürfnisse der Langzeitforschung leisten, indem sie die anfallenden Daten
kontinuierlich auswerten und publizieren.
Forum für Wissen 2009
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Abstract
Pleading for long-term research
Global warming and climate change are a unique global experiment without replicates and we all are part of it. It is therefore of highest priority to plan our man agement decisions based on sound knowledge of the system under consideration
to minimise the uncertainty of the outcome. In order to avoid being trapped in the
invisible present due to a limited insight into processes and natural variability
,
there is an urgent need for long-term data series and long-term research.
This
commitment to long-term research and long-term funding is a major challenge for
today’s research funding , as short-term results are generally favoured over longterm promises. However , the key for an optimum long- and short-term research
policy is a general agreement and commitment to share the data collected within
the scientific community and to acknowledge the efforts needed to maintain and
manage data over time.
Keywords: long-term research, invisible present, research polic y, sustainability ,
data access policy