Traditionelle und neue Ansätze zur Schätzung der

Transcription

Traditionelle und neue Ansätze zur Schätzung der
58
Originalartikel
Tschopp M. et al.
Markus Tschopp1, Katja Peltola1,3, Toni Held1, Hannu Kinnunen2, Manne Hannula2, Raija Laukkanen2,
Bernard Marti1
1
Sportwissenschaftliches Institut, Bundesamt für Sport, Magglingen
Polar Electro Oy, Kempele, Finland
3
Paavo Nurmi Centre, Dep. of Physiology, University of Turku, Finland
2
Traditionelle und neue Ansätze zur Schätzung
der maximalen Sauerstoffaufnahme in Ruhe
Zusammenfassung
Summary
Obwohl eine valide Bestimmung der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) per definitionem eine maximale Anstrengung
voraussetzt, taucht im sportmedizinischen Alltag immer wieder
der Wunsch auf, die VO2max auch «in Ruhe» so verlässlich wie
möglich zu schätzen. Dazu werden traditionell Parameter wie
Alter, Gewicht und Sportaktivität benutzt. Eine in dieser Hinsicht
neu interessierende Grösse ist die Herzfrequenzvariabilität in
Ruhe, die mit dem Dauerleistungsvermögen positiv korreliert ist.
Ziel der vorliegenden Studie war es deshalb, eine neu entwickelte,
auf der Herzfrequenzvariabilität sowie einem künstlichen neuronalen Netzwerk basierende Methode zur Schätzung der VO2max
«in Ruhe», den sog. «Polar OwnIndex», mit traditionellen Ansätzen zu vergleichen. Bei 31 Frauen (Alter 30.0 ± 6.7 Jahre) und
65 Männern (Alter 27.7 ± 7.2 Jahre) wurden deshalb neben der
Bestimmung des Polar OwnIndex und der VO2max mittels maximalem Laufbandtest im Labor auch Parameter wie Körperfettanteil, Trainingsaktivität und Ruhepuls erhoben. Das untersuchte
Kollektiv war mehrheitlich recht gut bis sehr gut ausdauertrainiert
(VO2max Frauen: 52.2 ± 7.6 ml min-1 kg-1; Männer 59.8 ± 7.3 ml
min-1 kg-1).
Der Polar OwnIndex, betragsmässig der geschätzten VO2max entsprechend, war mit der gemessenen VO2max hoch korreliert, mit
r = 0.82 (p < 0.001) bei den Männern etwas enger als bei den
Frauen (r = 0.62; p < 0.001); der Standardfehler für die Einzelschätzung lag bei beiden Geschlechtern um ca. 6 ml min-1 kg-1.
Allerdings waren die traditionellen Parameter Körpermassenindex
und Trainingsaktivität (die der Polar OwnIndex in seinem neuronalen Netzwerk beide ebenfalls mitverrechnet) sowie der Körperfettanteil für sich allein genommen, d.h. in unabhängigen Analysen, ebenfalls recht hoch mit der VO2max korreliert (r zwischen
0.56 und 0.75); fasste man diese signifikanten Prädikatoren weiter
in multivariaten Regressionsmodellen zusammen, resultierten sogar erstaunlich hohe erklärte VO2max-Varianzanteile von 60–70%
(korrigiertes r2). Alter und Ruhepuls waren hingegen beide weniger prädiktiv für VO2max.
Wir schliessen aus diesen Ergebnissen, dass (1) neu entwickelte,
auf der Herzfrequenzvariabilität sowie wenigen personalen Charakteristiken basierende Methoden zur Schätzung der VO2max in
Ruhe auch für trainierte Personen brauchbare Näherungswerte
liefern, dass (2) «Lifestyle»-Parameter wie Trainingsanamnese
und Anthropometrie ebenfalls erstaunlich prädiktiv sind und dass
(3) für präzisere individuelle Bestimmungen der VO2max in der
Leistungsdiagnostik weiterhin maximale Belastungen zu empfehlen sind.
Traditional and novel approaches to estimate VO2max at rest
By definition, measurement of maximal aerobic power (VO2max)
requires a maximal effort of the subject tested. However, in daily
practice of sportsmedicine it would often be useful to estimate
VO2max as accurately as possible also in resting state. Traditionally, characteristics like age, body weight and height as well as
amount of exercise have been used for it. A new promising parameter to be used in VO2max prediction is resting heart rate variability, since the latter has been shown to be positively correlated
with the individual level of aerobic fitness in moderately active
adults. The aim of the present study was to compare a recently
developed method to estimate VO2max at rest (the so-called «Polar
OwnIndex») with the traditional approaches. This new method of
estimation uses resting heart rate, heart rate variability, exercise
level and few other personal characteristics as predictive parameters, and it is based on an artificial neural network. 31 women (age
30.0 ± 6.7 yrs.) and 65 men (27.7 ± 7.2 yrs.) had their VO2max
determined on a maximal treadmill test in the laboratory as well
as their Polar OwnIndex assessed. The men and women studied
were moderately to highly endurance trained (VO2max women:
52.2 ± 7.6 ml min-1 kg-1; men: 59.8 ± 7.3 ml min-1 kg-1).
Results showed a high correlation of the Polar OwnIndex (corresponding to estimated VO2max) and VO2max determined in
the laboratory, with r = 0.82 (p < 0.001) in men and r = 0.62
(p < 0.001) in women; the standard error of the estimate was
around 6 ml kg-1 min-1 in both genders. However, the «traditional»
predictors such as body mass index, body fat content and amount
of exercise were each also relatively highly correlated with measured VO2max (r between 0.56 und 0.75); when combining the
aforementioned lifestyle-factors in separate multivariable regressions, even higher proportions of variance in VO2max were explained (adjusted r2 around 0.6 to 0.7). Age and resting heart rate were
both less useful in prediction of VO2max.
We conclude from these findings (1) that this recently developed
test to estimate VO2max at rest which relies on heart rate variability and other simple parameters (i.e. Polar OwnIndex) provides a reasonably accurate estimation also in moderately to highly
trained subjects, (2) that traditional lifestyle characteristics such as
exercise history and anthropometry are surprisingly predictive, too
and that (3) maximal physical exercise of the subject is still needed
if a precise assessment of VO2max is requested.
Schweizerische Zeitschrift für «Sportmedizin und Sporttraumatologie» 48 (2), 58–63, 2000
60
Einleitung
Die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) gilt trotz gewisser
Vorbehalte als klassische Messgrösse und Goldstandard zur Beurteilung der körperlichen Dauerleistungsfähigkeit [1,2]. Zur genauen Bestimmung der VO2max ist eine Analyse der Atemgase unter
maximaler Belastung notwendig [3]. Dafür ist zum einen ein relativ grosser technischer Aufwand notwendig, zum anderen muss
sich die Testperson gemäss Definition maximal ausbelasten. Beide
Bedingungen erschweren eine routinemässige Anwendung dieser
Bestimmungsmethode in der Alltagspraxis. Insbesondere kann ein
maximaler körperlicher Effort, vor allem bei Untrainierten oder
bei Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen, problematisch sein. Da aber eine Bestimmung der Dauerleistungsfähigkeit
gerade auch bei diesen Personen von Interesse sein kann – beispielsweise aus Gründen der kardiovaskulären Prävention –, wurden verschiedene Methoden entwickelt, die technisch einfach und
ohne maximale Belastung die VO2max abschätzen können. Besonders verlockend ist dabei der Versuch, die Dauerleistungsfähigkeit
nur auf der Basis von Ruhewerten zu bestimmen. Obwohl nach
Åstrand kein Messwert in Ruhe die Dauerleistungsfähigkeit einer
Person aufdecken kann [4], konnten Jackson und Mitarbeiter [5]
zeigen, dass einfach zu bestimmende Grössen wie Aktivitätsgrad,
Körpermassenindex (BMI), Körperfettanteil oder Ruheherzfrequenz bis zu einem bestimmten Grad die individuelle maximale
Sauerstoffaufnahme voraussagen können.
Ein bisher noch kaum genutzter Ruhemesswert ist die Herzfrequenzvariabilität. Sie hat einen nachgewiesenen, positiven Zusammenhang zum Dauerleistungsvermögen [6]. Die Firma Polar
Electro Oy (Kempele, Finnland) hat nun einen «Fitness-Test»
entwickelt, der neben Angaben wie Geschlecht, Alter, Grösse,
Gewicht und selbst eingeschätzter Aktivität die Ruheherzfrequenzvariabilität zur Berechnung des sogenannten «Polar
OwnIndex» (ml min-1 kg-1), eines Äquivalentes der maximalen
Sauerstoffaufnahme, berücksichtigt, unter Einsatz der Informationstechnologie der neuronalen Netzwerke [7].
Das Ziel dieser Studie war herauszufinden, ob und wie genau
sich die VO2max ohne körperliche Belastung voraussagen lässt. In
einem Kollektiv von Untrainierten bis Spitzenathleten wurde zum
einen der Polar OwnIndex validiert. Daneben wurden Berechnungsmodelle mit in Ruhe erhobenen Messwerten wie BMI, Körperfettanteil, Ruhepuls und Trainingsumfang entwickelt.
Methodik
An der Studie nahmen 31 Frauen und 65 Männer teil. Die Probanden wurden anhand der erfragten durchschnittlichen wöchentlichen Trainingsstunden in 4 Aktivitätsstufen eingeteilt. Die erste
Stufe «keine/geringe Trainingsaktivität» beinhaltet keine regelmässige sportliche Aktivität oder körperliche Anstrengung. Die
zweite Stufe «moderate Trainingsaktivität» beschreibt regelmässige Freizeitsportaktivitäten, jedoch wöchentlich maximal 10 km
Laufen oder 30–60 Minuten ähnlich intensive sportliche Aktivitäten. Während die dritte Stufe «ziemlich hohe Trainingsaktivität»
regelmässige (d.h. mindestens 3 Mal/Woche) sportliche Betätigung wie mehr als 10 km Laufen pro Woche oder 1–3 Stunden
ähnliche sportliche Aktivitäten einschliesst, umfasst die vierte
Stufe «sehr hohe Trainingsaktivität» nur Personen, welche mindestens 5 Mal/Woche intensiv Ausdauer trainieren mit dem Ziel,
eine Wettkampfleistung zu verbessern.
Die Körpergrösse wurde, gerundet auf die nächsten 0.5 cm,
sowie das Gewicht mittels geeichter Personenwaage auf 0.1 kg
genau bestimmt und daraus der Körpermassenindex (BMI; kg/m2)
berechnet. Der Körperfettanteil wurde aus der Summe von 7 Hautfalten mit einer Standardformel ermittelt [8,9]. Die Hautfaltenmessung wurde mit einem GPM Kaliper (Siber Hegner, Zürich)
an folgenden Körperstellen durchgeführt: pektoral, axillär, suprailiakal, paraumbilikal, Triceps, subskapulär und am Oberschenkel.
Mit Hilfe des Polar R-R Recorders (Polar Electro Oy, Kempele,
Finnland) wurde zur Bestimmung des sogenannten OwnIndex die
Tschopp M. et al.
Herzfrequenzvariabilität gemessen. Die Versuchsperson (VP)
musste sich dafür während 7 Minuten auf einer Untersuchungsliege in der immer gleichen, ruhigen Umgebung hinlegen. Der tiefste
Herzfrequenzschnitt, gemittelt über eine Minute während den letzten 5 Minuten, wurde als Ruhepuls definiert. Die Herzfrequenzvariabilität wurde durch die Messung der R-R-Intervalle bestimmt.
Der OwnIndex (Polar AG, Kempele, Finnland) schätzt die
VO2max und basiert auf einem komplexen Berechnungsmodell,
einem so genannten «artifical neural network (ANN)» [7]. Eingabevariablen sind Geschlecht, Alter, Grösse, Trainingsaktivität
(4-stufig) und 3 Messparameter der über 5 Minuten gemessenen
Herzfrequenzintervalle (Mittelwert, Spannweite und Maximum).
Für 3 Probanden (1 Frau und 2 Männer) konnte wegen Störungen
in der Herzfrequenzregistrierung kein OwnIndex berechnet
werden.
Zur Bestimmung der VO2max wurde ein Laktatstufentest auf
dem Laufband (H.P. Cosmos, Traunstein, Deutschland) mit kontinuierlicher Messung der Atemgaswerte durchgeführt. Das Aufwärmen dauerte insgesamt 10 Minuten auf der Anfangsgeschwindigkeit, wobei die letzten 2 Minuten zur Angewöhnung mit Maske
absolviert wurden. Die Anfangsgeschwindigkeit richtete sich nach
der geschätzten Leistungsfähigkeit aufgrund von Vortests oder
aufgrund von rapportierten Wettkampfresultaten und lag zwischen
5.4 km/h (1.5 m/s) und 12.6 km/h (3.5 m/s). Die Stufendauer
betrug 3 Minuten. Nach einer Pause von 30 Sekunden zur Abnahme von Kapillarblut zur Messung der Laktatkonzentration (ESAT
6661, Eppendorf, Hamburg, Deutschland) wurde die Laufgeschwindigkeit um 1.8 km/h (0.5 m/s) erhöht. Die VP wurden
ermuntert, bis zur Erschöpfung weiterzulaufen. Die Herzfrequenz
wurde kontinuierlich mit einem Herzfrequenzmessgerät Accurex
plus (Polar Electro Oy, Kempele, Finnland) gemessen, alle fünf
Sekunden gespeichert und anschliessend mittels Interface in eine
Computersoftware zur Analyse der Daten eingelesen. Dabei wurde
der Mittelwert der letzten Minute der dreiminütigen Belastungsstufe als Herzfrequenzwert für die entsprechende Geschwindigkeit berechnet. Die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) wurde mit dem Gerät Oxycon Pro (Jaeger, Hoechberg, Deutschland)
gemessen, die VO2max (ml min-1 kg-1) definiert als höchster gemessener Sauerstoffverbrauch gemittelt über eine Minute.
Zur Datenanalyse wurde das Statistikprogramm SPSS verwendet. Die Daten wurden getrennt nach Männern und Frauen untersucht. Nach Inspektion von Rohdaten und Mittelwerten wurden
zur Aufdeckung bi- und multivariater Zusammenhänge in einem
ersten Schritt der Pearson-Korrelationskoeffizient zwischen der
gemessenen VO2max und des OwnIndex ermittelt. Weiter wurden
Korrelationen zwischen den unabhängigen Variablen wie Alter,
BMI, Körperfett, sowie Ruheherzfrequenz und VO2max ermittelt.
Für die ordinalskalierte Trainingsaktivität wurde der SpearmanKorrelationskoeffizient berechnet. In einem weiteren Schritt wurden mit multipler Regressionsanalyse je 3 Modelle für Frauen und
Männer zur Vorhersage der VO2max errechnet. Als unabhängige
Variablen wurden das Alter, die Körperzusammensetzung (entweder als BMI oder Körperfettanteil), Trainingsaktivität und
Ruheherzfrequenz verwendet. Zur Bestimmung der Vorhersagegenauigkeit wurde, neben dem erklärten Varianzanteil, auch der
Standardfehler ermittelt.
Resultate
In Tabellen 1 und 2 sind die deskriptiven statistischen Daten des
Kollektivs aufgeführt. Mit Ausnahme der geschlechtsspezifischen
Unterschiede in den anthropometrischen Daten sind die beiden
Gruppen ähnlich. Die Streuung der Merkmale innerhalb beider
Gruppen ist recht weit. Das Alter der Frauen hat eine Spannweite
von 17 bis 42 Jahren, die VO2max bewegt sich zwischen 36 und
73 ml min-1 kg-1. Die Männer sind zwischen 18 und 50 Jahre alt
und ihre VO2max reicht von 41 bis 77 ml min-1 kg-1. Über 80%
der Probanden war körperlich mindestens dreimal wöchentlich
sportlich aktiv (Trainingsaktivitätsstufe «ziemlich hoch» und
«sehr hoch»). Kein Proband war inaktiv (Aktivitätsstufe «keine/
61
Traditionelle und neue Ansätze zur Schätzung der maximalen Sauerstoffaufnahme in Ruhe
Frauen
Mittelwert ± SD
Männer
Mittelwert ± SD
31
30.0
166.5
57.6
20.7
15.8
53.8
65
27.7
178.5
72.1
22.7
7.7
57.3
Trainingsaktivität
Frauen
Männer
gesamt
Anteil % (n) Anteil % (n) VO2max
(ml min–1 kg–1)
n
Alter
Jahre
Grösse
cm
Gewicht
kg
BMI
kg/m2
Körperfettanteil
%
Ruhepuls
/min
± 6.7
± 5.4
± 6.3
± 1.6
± 3.7
± 7.8
± 7.2
± 5.6
± 7.7
± 2.1
± 4.2
± 9.6
Tabelle 1: Charakteristiken des Studienkollektivs (Mittelwerte
und Standardabweichung SD), getrennt nach Frauen und Männern.
Frauen (n = 30)
Mittelwert ± SD
VO2max
Polar OwnIndex
ml min kg
ml min kg
–1
–1
–1
–1
± 7.6
± 8.0
52.2
55.3
± SD
keine/gering
moderat
ziemlich hoch
sehr hoch
0
16.1 (5)
32.2 (10)
51.6 (16)
0
12.3 (8)
35.4 (23)
52.3 (34)
46.0 ± 5.9
55.2 ± 5.0
61.7 ± 7.0
Tabelle 3: Verteilung der Variable «Trainingsaktivität» sowie
assoziierte VO2max (Mittelwert und Standardabweichung),
getrennt nach Frauen und Männern.
SE
Männer (n = 63)
Mittelwert ± SD
± 7.5 (14.5%)
59.8
59.2
± 7.3
± 10.5
SE
± 6.1 (10.2%)
Tabelle 2: Gemessene (VO2max) und geschätzte (Polar OwnIndex) maximale Sauerstoffaufnahme (Mittelwert, Standardabweichung SD
und Standardfehler der Einzelschätzung SE), getrennt nach Frauen und Männern.
85
75
80
70
75
Ownindex (ml min kg )
-1
65
60
-1
-1
-1
Ownindex (ml min kg )
65
70
60
55
50
55
50
45
y = 0.67x + 20.7
r = 0.62
45
40
40
y = 1.19x - 11.9
r = 0.82
35
35
30
30
30
35
40
45
50
55
60
65
-1
70
75
80
85
30
35
40
45
50
-1
relatives VO2max (ml min kg )
55
60
-1
65
70
75
-1
relatives VO2max (ml min kg )
Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Polar OwnIndex und gemessener
VO2max der Männer (n = 63).
Abbildung 2: Zusammenhang zwischen Polar OwnIndex und gemessener
VO2max der Frauen (n = 30).
gering»). Das Dauerleistungsvermögen ausgedrückt als VO2max
(ml min-1 kg-1) zeigt schon aufgrund dieser sportanamnestischen
Frage beträchtliche Unterschiede, in der Grössenordnung von
6–9 ml O2 min-1 kg-1 pro Aktivitätsstufe (Tab. 3).
Der Polar OwnIndex, die in Ruhe geschätzte VO2max also, hat
bei den Frauen und bei den Männern einen hochsignifikanten
Zusammenhang mit der im Labor gemessenen VO2max. Bei den
Männern ist die Korrelation aber deutlich stärker (r = 0.83,
p < 0.001) als bei den Frauen (r = 0.62, p < 0.001) und entsprechend ist auch der Standardfehler geringer (Tab. 2; Abb. 1 und 2).
Bei den Frauen wird die VO2max durch den OwnIndex in einem
relativ weiten Bereich von ca. 45 bis 60 ml O2 min–1 kg–1 tendenziell eher überschätzt.
Die Pearson-Korrelationskoeffizienten zwischen der im Maximaltest gemessenen VO2max und den allesamt im Ruhezustand
erhobenen unabhängigen Variablen werden in Tabelle 4 gezeigt.
Mit Ausnahme des Alters und des Ruhepulses der Frauen bestehen
hochsignifikante Korrelationen (p < 0.001). Bei den Frauen weist
der Körperfettanteil (r = –0.77), bei den Männern der Aktivitätsgrad (r = 0.75) die engste Beziehung zur VO2max auf. Schlagend ist die Korrelation zwischen Körperfettanteil und VO2max
(Abb. 3). Andererseits hat der Ruhepuls sowohl bei den Frauen als
auch bei den Männern nur einen geringen Zusammenhang mit der
VO2max (Abb. 4).
In einer ersten multiplen Regressionsanalyse wurden alle «Ruheparameter» als unabhängige Variablen einbezogen (Modell I
Tab. 5). Die standardisierten Regressionskoeffizienten (웁) zeigen,
wie stark der Einfluss der einzelnen Variablen für das Gesamtre-
Ruhe-Variable
Frauen
r
Männer
r
Alter1
BMI1
Körperfettanteil1
Trainingsumfang2
Ruhepuls1
–0.10
–0.56***
–0.77***
0.56***
0.10
–0.37**
–0.70***
–0.70***
0.75***
–0.40***
Tabelle 4: Korrelationskoeffizienten zwischen VO2maxrel. und
Ruhevariablen, getrennt nach Männern und Frauen (1Pearson,
2
Spearman) (** p < 0.01, *** p < 0.001).
62
Tschopp M. et al.
85
30
Frauen
Männer
80
Frauen
25
Männer
70
20
Männer
y = -0.53x + 88.8
r = 0.40
-1
Ruhepuls (Min )
Körperfettanteil (%)
75
Frauen
y = -0.37x + 35.3
r = 0.77
15
65
60
55
10
Männer
y = -0.40x + 31.5
r = 0.70
50
5
Frauen
y = -0.29x + 67.3
r = 0.18
45
40
0
30
35
40
45
50
55
60
-1
65
70
75
30
80
35
40
kumuliertes r
korrigiertes r2
Standardfehler ml min–1 kg–1
55
60
65
70
75
80
85
-1
Abbildung 4: Zusammenhang zwischen Ruhepuls und gemessener
VO2max der Männer (n = 65) und der Frauen (n = 31).
Standardisierte Regressionskoeffizienten (Beta): VO2max als abhängige Variable
Modell I
Alter
BMI
Körperfettanteil
Ruhepuls
Trainingsaktivität
50
-1
Abbildung 3: Zusammenhang zwischen Körperfettanteil und gemessener
VO2max der Männer (n = 65) und der Frauen (n = 31).
Ruhevariablen
45
relatives VO2max (ml min kg )
-1
relatives VO2max (ml min kg )
Modell II
Modell III
Frauen
Männer
Frauen
Männer
Frauen
Männer
–0.10
0.03
–0.61
0.19
0.27
–0.09
–0.28
–0.16
–0.17
0.45
–
–
–0.60
0.19
0.26
–
–0.38
–
–0.17
0.51
–0.20
–0.40
–
–
0.45
–0.14
–0.39
–
–
0.51
0.80***
0.57
4.8
0.87***
0.73
3.8
0.79***
0.59
4.7
0.85***
0.71
4.0
0.72***
0.47
5.5
0.84***
0.70
4.0
Tabelle 5: Multiple Regressionsanalysen zur Erklärung der Varianz von VO2max mittels der in Ruhe erhobenen Parameter (3 Modelle),
getrennt nach Frauen und Männer (Regressionsgleichungen: siehe Anhang) (*** p < 0.001).
sultat ist. Bei den Frauen ist der Körperfettanteil mit Abstand die
statistisch bedeutendste Variable. Der Einfluss der Trainingsaktivität ist zwar deutlich grösser als derjenige des Ruhepulses oder
des BMI, ist aber dennoch nicht sehr ausgeprägt. Bei den Männern
sind die Trainingsaktivität, der BMI und der Ruhepuls mit in
dieser Reihenfolge abnehmender Stärke die wichtigsten unabhängigen Variablen. Das Alter hat in unserem Kollektiv sowohl bei
den Frauen als auch bei den Männern die kleinste Bedeutung. In
Modell II wurden jeweils die beiden schwächsten unabhängigen
Variablen eliminiert. Die Vorhersagekraft für die VO2max, mit
60–70% erklärter Varianz (korrigiertes r2 und Standardfehler),
wird durch die Reduktion auf nurmehr 3 unabhängige Variablen
kaum verändert. Im Modell III wurden die 3 am einfachsten zu
bestimmenden Variablen (Alter, BMI, Trainingsaktivität) berücksichtigt. Dabei hat die Trainingsaktivität bei beiden Gruppen den
grössten Einfluss. Während sich die Vorhersagekraft bei den Männern insgesamt kaum verringert, ist bei den Frauen eine Verschlechterung der Genauigkeit der Vorhersage (Abnahme von r2,
Zunahme des Standardfehlers) im Vergleich zu Modell I und II
festzustellen. Alle drei Modelle haben für beide Gruppen eine
hohe Gesamtsignifikanz (p < 0.001) und vermögen mit 47–73%
erstaunlich hohe Anteile der gesamten Varianz von VO2max zu
erklären.
Diskussion
Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass mit Messparametern,
die nur in Ruhe gemessen werden, die maximale Sauerstoffaufnahme einigermassen präzise geschätzt werden kann. Die Schätz-
genauigkeit ist bei den Männern aus nicht weiter geklärten Gründen höher als bei den Frauen. Somit kann insbesondere der Zusammenhang der Herzfrequenzvariabilität, die bei der Berechnung
des Polar OwnIndex als neuartiges Element einbezogen wurde,
mit dem Dauerleistungsvermögen ebenfalls bei moderat bis sehr
gut ausdauertrainierten Personen bestätigt werden. Die vom Trainingszustand abhängige Veränderung der Herzfrequenzvariabilität
wird durch den Einfluss des ebenfalls trainingsabhängigen Vagotonus erklärt [10].
Die vorliegend dokumentierten Beziehungen zwischen geschätzter und gemessener VO2max sind zwar etwas schwächer als
bei Modellen, die die VO2max auf der Basis von submaximalen
Belastungen abschätzen [11]. Sie sind aber zweifelsohne sowohl
für den Polar OwnIndex als auch für die multivariaten Regressionsmodelle mit einem r zwischen 0.62 und 0.87 erstaunlich gut.
Ähnliche Resultate erhielten Jackson et al. [5] (r = 0.78–0.82),
die ebenfalls Ruheparameter wie Alter, Geschlecht, Körperzusammensetzung (BMI und Körperfettmessung), Aktivität und
Ruheherzfrequenz als unabhängige Variablen zur Vorhersage von
VO2max verwendeten.
Während der Korrelationskoeffizient einen möglichen biologischen Zusammenhang ausdrückt, ist der Standardfehler der Einzelschätzung ein Mass für die Genauigkeit der individuellen Vorhersage. Für das Regressionsmodell I (Männer) beispielsweise
liegen die aus den Ruheparametern geschätzten VO2max mit einer
Zweidrittel-Wahrscheinlichkeit innerhalb von 71/2 ml min-1 kg-1
(doppelter Standardfehler).
Es fällt auf, dass der Polar OwnIndex, der mit dem zusätzlichen
Erfassen der Herzfrequenzvariabilität das technisch aufwändigste
Traditionelle und neue Ansätze zur Schätzung der maximalen Sauerstoffaufnahme in Ruhe
Berechnungsmodell benutzte, sowohl hinsichtlich Korrelationswerte als auch Standardfehler an sich eher schlechtere Vorhersageergebnisse (tieferes r, höherer Standardfehler) erzielt als die Regressionsmodelle, die nur auf relativ leicht ermittelbaren Ruhemessungen basieren. Beim direkten Vergleich der beiden Ansätze
muss allerdings ein wesentlicher Unterschied beachtet werden.
Während das vorliegende Kollektiv für die Modelle I bis III als
Grundlage zur Entwicklung der Berechnungsformel diente (sog.
Entwicklungssample), stellt es für den Polar OwnIndex eine unabhängige Prüfung der Methode (in einem sog. Validierungssample)
der Methode bei einem überwiegend gut trainierten Kollektiv dar,
was zwingend zu einer Reduktion der «erzielten» Korrelationswerte führt. In der finnischen Entwicklungsstudie des Artificial
Neural Network von Polar Electro Oy reduzierte sich der Korrelationskoeffizient zwischen geschätzter und gemessener VO2max
von 0.95 beim Entwicklungssample auf 0.80 beim Validierungssample [7]. Um also die Vorhersagekraft der Modelle fair miteinander vergleichen zu können, müssten lege artis «unsere» Regressionsmodelle zuerst an einem anderen Kollektiv überprüft werden.
Die weiteren, in Ruhe erhobenen Messparameter haben eine
unterschiedlich enge Beziehung zur gemessenen VO2max. Erstaunlich gut korrelieren die Körperzusammensetzung, entweder
als BMI oder insbesondere bei den Frauen als Körperfettanteil,
und auch die in lediglich vier Stufen aufgeteilte Trainingsaktivität
mit der VO2max. Eher schwach ist dagegen der Zusammenhang
der Ruheherzfrequenz oder des Alters mit der VO2max.
Insbesondere der enge Zusammenhang zwischen Körperfettanteil und der VO2max bei den Frauen könnte ohne eine kritische
Interpretation zu falschen Folgerungen führen, im Sinne der
Wünschbarkeit eines «unbegrenzt niedrigen» Körperfettanteils.
Dies käme jedoch vermutlich einer Überinterpretation der Korrelation gleich. Ein Korrelationskoeffizient beschreibt zwar Richtung und Stärke einer Assoziation, gibt aber keine Auskunft über
den kausalen Zusammenhang. So kann der tiefe Körperfettanteil
nicht als alleinige Ursache des guten Dauerleistungsvermögens
angeschaut werden. Eher ist es so, dass mit zunehmender Trainingsaktivität primär die Leistungsfähigkeit des O2-transportierenden Systems verbessert und das Körperfett dabei quasi nur als
«Nebeneffekt» reduziert wird. Hätten wir in unserem Kollektiv
auch völlig untrainierte, aber magere Frauen (mit niedriger
VO2max) getestet, wäre die Korrelation Körperfettanteil–VO2max
deutlich abgeschwächt worden.
Der über alles gesehen beste Einzelprädikator der VO2max ist
die Trainingsaktivität, was bestätigt, dass im Ausdauersport ohne
Fleiss kein Preis zu holen ist. Sein hoher Zusammenhang mit der
VO2max erhält noch mehr Gewicht, wenn man bedenkt, dass sich
unsere Probanden nur auf drei Aktivitätsstufen verteilen, und
gleichzeitig bekannt ist, dass Variablen mit reduzierter Streubreite
zu tieferen Korrelationskoeffizienten führen.
Bei einem Kollektiv, das Personen von 17 bis 50 Jahren einschliesst, würde man eigentlich einen deutlichen Alterseinfluss auf
die Ausprägung von leistungsphysiologischen Parametern erwarten. Vorliegend ist allerdings der Einfluss des Alters nur marginal.
Grund hierfür dürfte eine Selektion von mehrheitlich überdurchschnittlich gut trainierten älteren Versuchspersonen in unserem
Kollektiv sein.
Vom Ruhepuls, der traditionell als Beurteilungsmass des Trainingszustandes angesehen wird, kann, wie dargestellt, kaum auf
die VO2max geschlossen werden. Ähnliche Resultate erhielten im
übrigen Jackson et al. (r = 0.39), bei deren Berechnungsmodellen
der Ruhepuls jeweils die tiefsten standardisierten Regressionskoeffizienten erreichte.
Zusammenfassend wurde gezeigt, dass der auf der Herzfrequenzvariabilität beruhende Polar OwnIndex auch in einem Kollektiv von mehrheitlich gut trainierten Personen eine brauchbare,
keinerlei Anstrengung erforderliche Methode zur Abschätzung des
Dauerleistungsvermögens darstellt – bei den Männern etwas ausgeprägter als bei den Frauen. Zudem zeigte sich, dass die Trainingsaktivität und die Körperzusammensetzung (BMI oder Körperfettanteil) die relativ besten in Ruhe erhebbaren Prädikatoren
der maximalen Sauerstoffaufnahme sind. Berechnungsmodelle
63
auf der Basis von einfach zu erfassenden Ruhemessparametern
erlauben es theoretisch, die VO2max ebenfalls überraschend gut
abzuschätzen. Für ein abschliessendes Urteil müssten diese Regressionsmodelle aber an einem Kontrollkollektiv validiert werden. Will man eine individuell präzise Leistungsdiagnose stellen,
dann sollte eine Abschätzung des Dauerleistungsvermögens nach
wie vor aufgrund einer maximalen Belastung erfolgen.
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Markus Tschopp, Sportwissenschaftliches Institut (SWI),
Bundesamt für Sport (BASPO), CH-2532 Magglingen
Literaturverzeichnis
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Anhang
Regressionsgleichungen der Modelle I–III
Modell I
Frauen:
VO2max = 53.75 – 0.115x1 + 0.138x2 – 1.229x3 + 0.176x4 + 2.627x 5
Männer:
VO2max = 78.57 – 0.09x1 – 0.995x2 – 0.272x3 – 0.132x4 + 4.695x 5
Modell II
Frauen: VO2max = 53.59 – 1.223x3 + 0.175x4 + 2.507x5
Männer: VO2max = 79.80 – 1.340x2 – 0.132x4 + 5.286x5
Modell III
Frauen: VO2max = 81.22 – 0.225x1 – 1.798x2 + 4.489x5
Männer: VO2max = 77.10 – 0.138x1 – 1.384x2 + 5.282x5
VO2max (ml min-1 kg-1)
x1: Alter (Jahre)
x2: BMI (kg/m2)
x3: Körperfettanteil (%)
x4: Ruhepuls (min -1)
x5: Trainingsaktivität (1–4)