Die letzte Zarin

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Die letzte Zarin
Die letzte Zarin
Einfluss von Familie und Religion auf ihre
private und offizielle Existenz
Lisa Glätzer
01.03.2015
Inhalt
2. Familie und Kindheit........................................................................ 1
3. Die Liebesheirat unter einem schlechten Stern ............................... 3
4. Gründung einer Familie ................................................................... 6
5. Die Amtszeit .................................................................................... 7
5. Folgen der Abdankung .................................................................. 11
6. Fazit ............................................................................................... 12
7. Literaturverzeichnis ....................................................................... 13
Anhang
1
Die Person Alix, Prinzessin von Hessen und bei Rhein, Zarin Alexandra Fjodorovna
Romanova: Der Einfluss von Familie und Religion auf ihre private und offizielle Existenz
1. Einleitung
Es ist allgemein bekannt, wie traurig und erschütternd das Schicksal der letzten Zarin
hessischer Herkunft verlaufen ist. Wer aber war die schöne Frau, wie verlief ihr Leben und
was hat sie geprägt? Wenn man Alix Leben betrachtet fallen zwei Leitlinien in ihrem Leben
auf. Im Folgenden soll versucht werden, ihre Person, ihre Verbundenheit mit der christlichen
Religion und ihr Familiensinn und dessen Folgen näher zu umreißen.
2. Familie und Kindheit
Am 6. Juni 1872 kommt Alice (Victoria Alice Helena Luise Beatrice) als Prinzessin von Hessen
und bei Rhein in Darmstadt zur Welt. Ihre Eltern sind Ludwig IV, Großherzog von Hessen und
bei Rhein, und ihre Mutter Alice, Großherzogin von Hessen und bei Rhein, geborene
Prinzessin von Großbritannien. Ihren Spitzname Alix bekommt sie von ihrer Mutter, da"Alice
in Deutschland so abscheulich ausgesprochen wird."1
Alix wächst in Darmstadt auf, ihre Erziehung ist jedoch stark an das englische Vorbild ihrer
Großmutter Queen Victoria angepasst. Sie hat sechs Geschwister, von denen fünf das
Kindesalter überleben. Ihre Mutter ist geborene Prinzessin von England und Irland und die
zweitälteste Tochter der insgesamt neun Kinder der regierenden Königin Englands: Queen
Victoria. Durch ihre Ehe mit Ludwig IV von Hessen kommt Alice nach Darmstadt.
Alice ist eine religiös und mystisch veranlagte Frau, hat aber durchaus einen Sinn für die
Realität. Vor allem bei ihrer Tochter Alix ist die religiöse und mystische Veranlagung sehr
früh auffallend und stark verankert. Sie besuche die Kirche mindestens alle 14 Tage, wie aus
Berichten ihres Bruders Ernst Ludwig hervorgeht.2 Schon ihre ersten handschriftlichen
Aufzeichnungen sind gefüllt mit Gebeten. Vielleicht versucht sie mit Hilfe der Religion, den
Tod ihrer Mutter besser zu verarbeiten und schöpft neue Hoffnung aus dem Glauben. Auch
späterhin, in ihren Entscheidungen als Zarin von Russland, wird diese tiefe Verbundenheit
mit der Religion ihre Entscheidungen beeinflussen.3
Alix Vater ist eine imposante Erscheinung. Der Großherzog hat eine Vorliebe für die Jagd und
ist begeisterter Soldat. Trotz allem kann man sich Ludwig IV als einen freundlichen und
gemütlichen Mann vorstellen, der seine Kinder über alles liebt und stets ein guter
Familienvater ist. Auch er pflegt eine gute Beziehung zur Religion.4
1
Heresch, E., 1993, S.20
vgl. ebd., S.16
3
vgl. ebd., S.16-19
4
vgl. ebd., S.16
2
1
Alix Kindheit wird durch ein Ereignis maßgeblich geprägt. Am 14. Dezember 1878 stirbt ihre
Mutter an Diphterie5, ein für Alix Persönlichkeitsentwicklung entscheidender Einschnitt.
Ihren Tod konnte sie nie wirklich verkraften, denn Alice war ihr immer eine fürsorgliche und
liebevolle Mutter. Zu ihrem Todeszeitpunkt ist Alix gerade mal sechs Jahre alt. Bis zu ihrem
sechsten Lebensjahr wird sie auf Grund ihrer Fröhlichkeit immer "Sunny" genannt, diese
Fröhlichkeit geht mit dem Tod ihrer geliebten Mutter verloren. Alix wird ein ernstes Kind
und bleibt auch später eine Frau, die sich in der Zurückgezogenheit des Familienlebens
wohlfühlt.6 Ernst Ludwig, Alix älterer Bruder, schreibt in seinen Erinnerungen: "Noch
während der Übersiedlung fiel die Krankheit unsere Mutter an. Sie hatte ihre Pflicht
vollbracht und keine Kraft mehr zu Kämpfen."7
Nach dem Tod der Mutter übernimmt Queen Victoria, die "Großmutter Europas" die Zügel,
da für sie das Zusammenhalten innerhalb der besonders Familie wichtig ist. Sie versucht
nicht nur aus der britischen Ferne, mit Fürsorge, aber zugleich auch energisch, den Weg der
hessischen Familie zu weisen. Besuche der Kinder und des Vaters sind ausgesprochen
häufig.8 Alix fühlt sich wohl inmitten ihrer Familie. Nur dort blüht sie auf. Die Queen erteilt
dem Vater ihrer Enkelkinder Hinweise über die Erziehung. In einem Brief schreibt sie: "Das
Kindermädchen hat sich nicht in die Erziehung einzumischen."9 Mit diesem Zitat wird
verdeutlicht, dass Victoria versucht, bei der Erziehung der Kinder mitzuwirken. Auch später
bei der Wahl der Ehemänner wird die Queen versuchen, auf die Wahl ihrer Enkelkinder
Einfluss zu nehmen.
Vor allem Alix hat die Zuneigung der Großmutter. Queen Victoria schwärmt über die
Schönheit ihrer Enkeltochter. In einem Brief schreibt sie über die sechsjährige: "Alicky ist das
hübscheste Kind, das ich je gesehen habe."10 Für Alix stellt ihre Großmutter nach dem Tod
ihrer Mutter die wichtigste weibliche Bezugsperson dar.
Von ihren Geschwistern stehen Alix ihre acht Jahre ältere Schwester Ella und ihr Bruder Ernst
Ludwig am Nächsten. Dass ihre Geschwister diejenigen sind, die ihr am nächsten stehen,
zeugt davon, dass es Alix auf Grund ihrer schüchternen Art schwerfällt, sich auf
außenstehende Personen einzulassen. Als ihr Vater im Jahr 1892 stirbt, wird Bruder Ernst
Ludwig für seine vier Jahre jüngere Schwester zum engsten Vertrauten und Ratgeber.11 Ernst
Ludwig charakterisiert seine Schwester folgendermaßen: "Wir beiden waren immer
zusammen und später, außer ihrer eigenen Familie, war ich ihr das Liebste, was sie auf
dieser Erde hatte. Da sie sich leicht genierte und dabei den Kopf schief hielt und nicht
5
Im Jahre 1878 sind fast alle Kinder und Ludwig an Diphterie erkrankt. Alice pflegt ihre Kinder persönlich und
lässt niemand anderen an sie heran. Eine ihrer Töchter "May" überlebte die Krankheit nicht, alle anderen
schafften es. Am Ende erkrankt die Mutter selbst und erliegt ihr letzten Endes. S.15-22)
6
ygl. ebd., S.15-20
ebd., S.22
8
vgl. ebd. S.23-25
9
ebd., S.24
10
ebd., S.26
11
vgl. ebd., S.30-31
7
2
lächelte, wenn sie nicht in Stimmung war - denn das vertrug ihre Ehrlichkeit nicht -, so
glaubten die Menschen oft, sie wäre unglücklich, langweilig oder launisch...."12 Dass Alix
selten lächelte, ist vor allem nach dem Tod der Mutter deutlich aufgefallen. Ihre
Gouvernante schreibt über sie: "Alix war ein fröhliches, großzügiges, warmherziges Kind einseitig, sensibel und temperamentvoll doch nach dem Tod ihrer Mutter begann sie sich
abzukapseln und eine Schale um ihre Emotionen zu bilden; sie lächelte seltener (...)."13
Dass ihr Bruder ihr so nahe steht ist nicht verwunderlich. Schon als Kind klammert sich Alix
an ihre Familie. Die Familie ist ihr neben der Religion das Wichtigste im Leben. Vielleich kann
sie gerade deshalb ihr Lachen nach dem Tod ihrer Mutter nicht wiederfinden?
3. Die Liebesheirat unter einem schlechten Stern
Queen Victoria erachtet es für eine ihrer wichtigsten Aufgaben, die passende Wahl der
Ehepartner für ihre Kinder und Enkelkinder zu treffen. Dies gilt insbesondere für die
Halbwaisen bzw. Waisen in Hessen.
Ihre wohlgemeinten Wünsche finden jedoch nicht immer Gehör. Schon Ella, Alix ältere
Schwester, handelt eigenständig. Während der sommerlichen Besuche ihrer Cousins Alexis,
Wladimir, Pawel und Sergei aus Russland unternimmt man gemeinsame Ausflüge zum
Beispiel nach Kranichstein oder auf den Heiligenberg. So lernt Ella ihren späteren Ehemann
Sergei Alexandrowitsch Romanov kennen. Für ihn weist sie sogar den späteren Kaiser
Wilhelm II von Preußen zurück.14
Ella und Sergei heiraten mit allem Prunk und Pomp in Sankt Petersburg im Frühsommer
1884. Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten lernt die zwölfjährige Alix ihren späteren Mann,
Nikolei Alexandrowitsch Romanov kennen, den Neffen Sergeis und späteren Zar Russlands.
Bei ihrem ersten Besuch in Russland ist Alix überwältigt von dem nie gekannten Prunk der
Stadt Petersburg. Schon vom ersten Augenblick an findet Nikolaus Gefallen an der
schüchternen Alix. Nikolaus ist sechzehn Jahre, als Alix zur Hochzeit ihrer Schwester anreist.
Alix ist gerade mal zwölf. Immer wenn er Alix während ihres Aufenthalts sehen will, denkt er
sich einen Vorwand aus. Dies belegen Briefe von Nikolaus an Ernie (Ernst Ludwig): "Mein
lieber Ernie, falls Du nichts anderes zu tun hast, komm´ bitte mit Alix zu uns. Wir wollen auf
unserem Teich Ruderboot fahren. Wir essen alle gemeinsam zu Abend."15
Erst im Jahr 1889 reist Alix zum nächsten Mal nach Russland, um ihre Schwester Ella zu
besuchen. Auch bei diesem Besuch kommen sich Alix und Nikolaus näher. Nikolaus ist zu
einem zwanzigjährigen eleganten, liebeswürdigen und charmanten jungen Mann
herangewachsen. Er sucht ständig Gelegenheiten, um sich in Alix Nähe aufzuhalten.16
12
ebd., S.31
ebd., S.31
14
vgl. ebd., S.32-40
15
ebd., S.40
16
vgl. ebd., S.49-51
13
3
Auch sie scheint von ihm angetan: "Eislaufen, Tees mit vierhändigem Klavierspiel, Oper,
Konzert, Theater, Schlittenfahrten, Bälle. Alix genießt die an Kultur und Festlichkeiten so
reiche Stadt Petersburg; die Zeit ist ein Glücksrausch, wie ihn Alix noch nie erlebt hat."17
Die sich anbahnende Liebesbeziehung zwischen Alix von Hessen und bei Rhein und dem
Großfürsten Nikolaus wird missbilligend sowohl von Nikolajs Eltern, dem Zar Alexander III
und der Zarin Maria Fjodorovna, als auch von der Queen Victoria in Großbritannien zur
Kenntnis genommen. Man versucht deshalb Nikolaus und Alix zu trennen.18
Nicht nur aus privaten, sondern auch aus politischen Gründen, ist die Queen gegen eine
Verbindung der Beiden. Die politischen Zustände in Russland sind bereits zur Zeit der
Hochzeit vorrevolutionär, was beispielsweise die Attentatversuche auf Zar Alexander III
verdeutlichen. Queen Victoria ist sich der Gefahr einer Revolution bewusst. Sie soll sogar
einmal gesagt haben, die Zustände in Russland seien so schlimm, so verkommen, dass
jederzeit schreckliche Dinge passieren könnten.19 Außerdem scheint sie zu wissen, dass Alix
nicht den passenden Charakter und die notwendigen Eigenschaften für eine Zarin besitzt. Sie
mag es beispielsweise nicht, in der Öffentlichkeit und im Mittelpunkt zu stehen. Ahnte die
Queen vielleicht sogar, dass eine Hochzeit zwischen Alix und Nikolaus ein dramatisches Ende
nehmen würde?
Während ihrer Trennungszeit bekommen Nikolas sowohl als auch Alix Heiratsanträge, die
beide jedoch dankend ablehnen. Alix beispielsweise wird stark von Eddie (Albert Victor),
dem Kronprinz von England, umworben. Hätte sie sein Angebot angenommen, wäre Alix
anstatt Zarin, Königin von England und Irland geworden, was den Vorstellungen von Queen
Victoria eher entsprochen hätte.20 Alix will jedoch keinen Anderen als Nikolaus, auch wenn
sie sich auf Wunsch der Queen und auch ihres verstorben Vaters hin sehr darum bemüht ist,
sich von Nikolaus fernzuhalten. Da die Familie eines der wichtigsten Dinge in Alix Leben ist,
möchte sie einen Konflikt mit ihrer Großmutter vermeiden. Alix ist bekannt für ihren
eisernen Willen, und deshalb ist es um so verwunderlicher, dass sie Nikolaus nachgibt. Ihre
Liebe zu ihm scheint sehr groß gewesen zu sein. In ihre Tagebücher schreibt sie Gedichte
und macht so ihren Gefühlen Luft. Eines lautet: "Allnächtlich im Traume seh´ ich dich und
sehe dich freundlich grüßen, und laut aufweinend stürz´ ich mich zu deinen süßen Füßen
(...)."21
Auch die Religion stellte ein Hindernis für Alix dar. Sie müsste bei einer Verlobung mit
Nikolaus zum orthodoxen Glauben übertreten, dies jedoch ist der strengen Protestantin ein
kaum zu überwindendes Hindernis. Sie liebt ihren Glauben und fühlt sich stark mit ihm
verbunden. Schon seit ihrer Kindheit sind in ihren Tagebüchern Gebete zu finden.22
In einem Brief an Nikolaus schreibt sie: "Ich kann es nicht gegen mein Gewissen tun, und Du,
17
ebd., S.51
vgl. ebd., S.58-61
19
vgl. ebd., S.61
20
vgl. ebd., S.57
21
ebd., S.63
22
vgl. ebd. S.63
18
4
lieber Nicky, der selbst einen so starken Glauben hat, wirst verstehen, dass ich es für eine
Sünde halte, meinen Glauben zu wechseln, und ich würde alle Tage meines Lebens
unglücklich sein in dem Wissen, dass ich etwas Ungerechtes getan habe."23 Die Religion
veranlasst Alix also sich gegen eine Hochzeit mit Nikolaus zu sträuben, trotz ihrer Gefühle für
ihn. Zu dieser Zeit muss in ihr ein starker innerer Konflikt zwischen ihrem Gewissen und ihren
Gefühlen stattgefunden haben.
Für ihre große Liebe jedoch ist sie nach einigem Hadern bereit, die Religion zu wechseln.
Diese Tatsache spricht ebenfalls für ihre überwältigenden Gefühle Nikolaus gegenüber. In
diesem Moment scheint sie ihre Liebe zu ihm über die Religion, aber auch über die ihre
Großmutter, zu stellen. Der Wunsch nach einer Familie mit Nikolaus überwiegt. Man kann
erkennen, dass sowohl in ihrer Kindheit, als auch zur Zeit ihrer Hochzeit ihre Familie und die
Religion Leitmotive ihres Lebens darstellen. Sie verkehrt wenig mit Leuten außerhalb der
Familie, familiäre Verluste prägen sie außergewöhnlich stark und immer klammert sie sich an
die Religion als Anker im Hafen.
Trotz aller Hindernisse, kommt es 1894 anlässlich der Hochzeit ihres Bruders Ernst Ludwig in
Coburg zur Verlobung. Auch der vehemente Einspruch der Queen Victoria in Großbritannien
kann die Liebesheirat nicht mehr verhindern. Im Juni 1894 stellen sich Alix und Nicky der
Queen vor, die schließlich doch ihre Einwilligung gibt.24
Mit der Hochzeit geht für Alix und Nikolaus ein Traum in Erfüllung. Nikolaus schreibt einmal
in sein Tagebuch: "Mein Traum ist es Alix zu heiraten"25 und am Tag der Verlobung schreibt
er: "Ein wunderbarer, unvergesslicher Tag in meinem Leben - der Tag meiner Verlobung mit
meiner lieben, schönen Alix (...) Den ganzen Tag verbrachte ich wie in Trance - ich weiß
selbst nicht, was mit mir geschehen ist."26 Hier werden auch Nikolaus Gefühle gegenüber
Alix deutlich, der sie aus ganzem Herzen liebt. Aus diesen Tatsachen heraus geht hervor,
dass es sich bei den beiden um eine Liebesheirat handelt, was für die damalige Zeit nicht
immer selbstverständlich war.
Die Verlobung von Prinzessin Alix von Hessen-Darmstadt mit dem Zarjewitsch Nikolaus
Alexandrowitsch geht um die Welt. In ganz Hessen trifft die Nachricht auf die freudige
Beteiligung der Bevölkerung. Die Moskauer Zeitungen sehen die Verlobung als Garantie für
künftigen Frieden zwischen den beiden Ländern.27
Im Oktober desselben Jahres reist Alix auf die Krim, wo Alexander III im Sterben liegt. Durch
den Tod des alten Zaren muss Nikolaus die Thronfolge übernehmen, was ihm schwer fällt, da
er kaum auf seine Rolle als Zar vorbereitet worden war. Man war davon ausgegangen,
23
ebd., S.75
vgl. ebd., S.80-82
25
ebd., S.66
26
ebd. S.82
27
vgl. ebd., S.85-93
24
5
Alexander III würde noch lange leben und hätte noch Zeit seinem Sohn die Grundlagen des
Regierens zu vermitteln. Der plötzliche Tod machte eine schnelle Heirat unumgänglich.28
Des Weiteren muss Alix sich zum ersten Mal ihrer Aufgabe als zukünftige Ehefrau annehmen
und sich um Nikolaus kümmern, welcher nach dem Tod seines Vaters sich seiner neuen
Pflichten als Zar bewusst wird. Alix genießt ihre Rolle als zukünftige Ehefrau. Vor seinem
Sterben hat der Zar Nikolaus noch einmal zu sich gerufen, und ihm folgende Worte gesagt:
"(...) bewahre die Autokratie, und sei dir immer eingedenkt, dass Du für das Schicksal Deiner
Untertanen vor dem allerhöchsten Richter Verantwortung trägst. Der Glaube an Gott und an
Deine heilige zarische Pflicht müssen die Grundlage deines Lebens sein."29 Hier wird die Sicht
des Zaren hinsichtlich der Religion deutlich. Als Zar hat man nur vor Gott Rechenschaft zu
tragen. Die Religion spielt genau wie in Alix Leben eine wichtige Rolle. Die Meinung des
Zaren über die Erhaltung der Autokratie stimmt ebenfalls mit Alix Meinung über ein.
Am 2. November, einen Tag nach dem Tod des Zaren, tritt Alix zum orthodoxen Glauben
über. Die Zeremonie ist prunkvoll. Alix beteuert, dem orthodoxen Glauben treu zu bleiben
und legt mehrmals das Glaubensbekenntnis ab. In der orthodoxen Kirche wird sie mit dem
Namen Alexandra Fjodorowna aufgenommen.30 Trotz ihrer vorigen Bedenken, freundet sie
sich schnell mit dem orthodoxen Glauben an und praktiziert ihn leidenschaftlich, wie
beispielsweise mit häufigem Beten.
Noch vor der Hochzeit muss sich Alix einer Kur unterziehen. Sie leidet an Ischias und
Rheuma. Diese Tatsache bereitet ihr im Hinblick auf ihre zukünftige Position Sorge. Bei den
beiden Krankheiten handelt es sich zwar höchst wahrscheinlich um Familienkrankheiten,
trotzdem würde man aus heutiger Sicht sagen, dass vor Allem ihre starke Neigung zu Ischias
aus ihren traumatischen Erlebnissen der Kindheit hervorgehen könnte. Ihre
Familienbezogenheit und ihre Trauer über den Tod ihrer Mutter haben sie also auch in
diesem Punkt nachhaltig geprägt.31
4. Gründung einer Familie
Die Hochzeit ist ebenfalls eine unermesslich prunkvolle Zeremonie. Sie wird wenige Tage
nach der Beisetzung von Alexander III in Sankt Petersburg gefeiert. Das Volk jubelt.
Nach der Hochzeit und der Krönung ziehen Alix und Nikolaus in den Antischkow-Palast in
Sankt Petersburg. Dort lebt auch Nikolaus Mutter. Die Rolle der Familie ändert sich für Alix
nun teilweise aufgrund ihrer Schwiegermutter Maria. Nikolaus Mutter liebt Vergnügungen,
genießt die Gesellschaft und das Ansehen der anderen. Alix ist das Gegenteil. Von Natur aus
mag sie es nicht, in der Öffentlichkeit und im Mittelpunkt zu stehen, sie hat Hemmungen vor
28
vgl. ebd. S.93
ebd., S.155
30
vgl. ebd., S.118-119
31
vgl. ebd., S.100
29
6
öffentlichen Auftritten.32 Wenn Alix einmal lächelt, dann heißt es immer, sie mache sich nur
lustig. Dennoch bemüht sich Alix Nikolaus zu liebe, den Frieden zu wahren.33 Alix bekommt
nun zu spüren, dass Familie und Harmonie nicht immer Hand in Hand gehen.
Trotz der gefürchteten öffentlichen Auftritte muss sie als Zarin solche übernehmen. Dass die
ehemalige "Sunny" selten in der Öffentlichkeit lacht und immer ernst und streng zu sein
scheint, ist jedoch nicht gerade förderlich für ihre Beliebtheit im Volk. Sie wird zwar anfangs
für ihre Schönheit vom Volk bewundert, allerding verliert sie auf Grund ihres Verhaltens an
Ansehen.34
Als Alix kurz darauf ihr erstes Kind erwartet, ist sie überglücklich. Sie muss jetzt nicht mehr
allzu häufig auf öffentlichen Veranstaltungen erscheinen. Von Anfang an steht für sie fest,
dass sie eine gute Mutter sein möchte und immer für ihre Kinder da sein will. Für sie ist das
Kinderkriegen und Familiengründen das größte Glück im Leben. Auf ihr erstes Kind freut sie
sich sehr: "(...) ich erwarte schon so sehr den Augenblick, wenn Gott uns unser Kind geben
wird."35 Am 3. November kommt ihr erstes Kind Olga zur Welt. Vielleicht versucht Alix mit
der unglaublichen Zuneigung ihrer Kinder gegenüber, ein Stück weit den frühen Verlust ihrer
eigenen Mutter auszugleichen und ihn auch weiter zu verarbeiten.36
Am 14. Mai 1896 findet die Krönung statt. Für Alix ist dies ein großer Tag. Sie glaubt daran,
dass es ihr Schicksal ist, die Zarin von Russland zu werden und ist sich sicher die Macht von
Gott persönlich zu erhalten. Dieser feste Glaube an ihre Berufung von Gott prägt sie
maßgeblich in ihren politischen Vorstellungen. Im Augenblick der Krönung betet Alix laut
eigenem Bericht: "Ich betete mit Geist und Seele für dich und unser geliebtes Land".37
In Moskau, dem traditionellen Krönungsort, jedoch kommt es anlässlich der Feiern zu einem
Unglück. Auf dem Chodynka-Feld bricht eine Massenpanik aus. Menschen werden verletzt
und sterben. Ellas Mann wird mitverantwortlich für die Ereignisse gemacht, da er
Mitorganisierer war. Die abergläubischen Russen sehen in diesem Ereignis ein schlechtes
Omen und auch die mystisch veranlagte Alix ist über den Vorfall bestürzt.38
5. Die Amtszeit
Während ihrer Regierungszeit als Zarin wird Alix in der Bevölkerung als "päpstlicher als der
Papst" bezeichnet.39 Dies zeigt, dass Alix in der Bevölkerung als überzogen pedantisch
wahrgenommen wird. Sie hält sich streng an christliche orthodoxe Werte und handelt immer
nach bestem Gewissen, zieht damit allerdings auch Missfallen auf sich. So beschließt sie
beispielsweise einmal, eine Dame von der Einladungsliste zu streichen, da sie, obwohl
32
vgl. ebd. S.100-101
vgl. ebd., S.138-139
34
vgl. ebd. S.139
35
ebd. S.141
36
vgl. ebd., S.140-141
37
ebd., S.151
38
vgl. ebd., S.128-155
39
ebd., S.157
33
7
Ehefrau und Mutter, in Alix Augen ein zu unbekümmertes und lockeres Privatleben führt.
Hier wird zweierlei deutlich, zum Einen, dass Alix die Aufgaben einer Mutter und Ehefrau
sehr ernst nimmt, zum Anderen, dass sie Religion über das gesellschaftliche Ansehen stellt.
Alix puritanische Haltung bringt ihr den Ruf einer Moralistin ein.40
Auch in politischen Angelegenheiten bleibt die Zarin nicht vor Kritik verschont.
Entscheidungen politischer Art, die Nikolaus trifft, werden oft Alix zugeschrieben. Wenn Alix
einmal von etwas überzeugt ist, hält sie daran fest, und lässt sich von ihrer Haltung nicht
mehr abbringen, koste es, was es wolle. Sie ist überzeugt von der Allmacht der Zaren und
ihrer ausschließlichen Verantwortung vor Gott. Dieser Gedanke kann auf das
Gottesgnadentum zurückgeführt werden und macht auch in diesem Lebensbereich die
Religion zu Alix´ Handlungsgrundlage. Dies führt dazu, dass Alix zur Hauptgegnerin jeder
Reform wird, die in Richtung konstitutionelle Monarchie geht und die Macht des Zaren
schmälern würde. Nikolaus hingegen ist der konstitutionellen Monarchie nicht so
grundlegend abgelehnt. Allerdings bedrängt ihn Alix oft so lange, bis er ihren Wünschen in
politischen Bereichen zustimmt. Da die innen- und durch den Drohenden Weltkrieg auch
außenpolitische Lage des Landes zu bröckeln beginnt, sind Alix Beharrlichkeit gegen eine
konstitutionelle Monarchie verhängnisvoll.41
Das Volk leidet an Armut und fordert mehr Mitspracherecht. Gut gemeinte Hinweise wie
beispielsweise die von ihrer Schwester Ella weist Alix zurück und begibt sich damit in die
Isolation. Trotzdem handelt Alix subjektiv immer nach bestem Gewissen.42 Je weiter sie sich
in die Isolation von außen begibt, desto hingebungsvoller kümmert sie sich um ihre Familie.
Wenn Nikolaus auf Reisen ist, schreibt sie ihm täglich und besucht die Kirche des Palastes,
die sie stets gestärkt und getröstet verlässt. Hier wird die stärkende Rolle der Religion für
Alix deutlich. Der Glaube gibt Alix Kraft.
Nach der Geburt von Olga folgen ihre bildschönen Töchter Maria, Tatjana und Anastasia. Erst
1904 wird der langersehnte Thronfolger Alexei geboren, er hat jedoch die Bluterkrankheit
aus dem englischen Königshaus geerbt. Dies macht ihn dauerhaft zum Sorgenkind der
Mutter. Bei der Erziehung versucht Alix mit vollem Bewusstsein ihre Kinder so zu erziehen,
dass sie ihre Schwächen, zum Beispiel ihre unüberwindbare Schüchternheit, nicht teilen und
ihnen ähnliche Schwierigkeiten erspart bleiben.43
Bereits jetzt befindet sich das Zarenreich in einem vorrevolutionären Zustand. Bei den
oppositionellen Aufständen 1905 wird der Großfürst Sergei, Alix´ Schwager, ermordet. Der 9.
Januar 1905 wird als "blutiger Sonntag" in die Geschichte eingehen. Das Kriegsgeschehen
des ersten Weltkriegs, der im Herbst 1914 ausbricht, kündigt sich bereits an. Auf Grund der
wachsenden Demonstrationen und einer Verkettung mehrerer ungünstiger Ereignisse muss
das Zarenpaar nachgeben. Am 17. Oktober 1905 muss der Zar einer neuen Verfassung
40
vgl. ebd., S.168-170
vgl. ebd., S.171-175
42
vgl. ebd., S.168-172
43
vgl. ebd., S.180
41
8
zustimmen, die ein Parlament (Duma) vorsieht. Das Ende der Autokratie ist gekommen. Dies
wiederspricht Alix Weltbild, in dem sie als Zarin nur Verantwortlichkeit gegenüber Gott hat
und keinem Parlament. Alix kann sich schwer mit der neuen Situation abfinden, da sie
unbedingt den Thron "unverletzt" an ihren Sohn weitergeben möchte. Auch in Zukunft wird
sie um die Rückgewinnung der Macht kämpfen und dafür teuer bezahlen.44
Alix ist vorwiegend mit der Krankheit ihres unter Schmerzen leidenden Sohnes Alexei
beschäftigt. Alexei ist von Anfang an das Zentrum der Aufmerksamkeit und der Liebling aller.
Auch das Volk ist ihm zugeneigt. Er ist ein sehr hübsches Kind. Durch seine Geburt erfüllt Alix
ihre Hauptaufgabe als Zarin, sie sichert die Thronfolge. Umso dramatischer ist es, dass er die
Bluterkrankheit geerbt hat.45 Vor dem Volk wird seine Krankheit geheim gehalten aus Angst,
man würde Alexei als nicht regierungsfähig erklären und die innerpolitische Revolution so
nur noch weiter fördern. Man sollte nicht denken, der Thron stehe auf "schwachen Beinen"
oder es gar als ein schlechtes Omen deuten, was die Zukunft des Throns betrifft. Des
Weiteren hätte die Kenntnis des Volkes über Alexeis Krankheit eventuell auch den Zorn auf
die sowieso schon nicht mehr sehr beliebte Zarin gezogen. Sie ist diejenige, die durch ihr
Anheiraten die Erbkrankheit in die Familie der Romanov gebracht hat.
Um die gesundheitliche Lage ihres Sohnes zu verbessern, wird ihr der undurchschaubare
"Weise" Rasputin als Wunderheiler empfohlen.46 Rasputin kommt an den Zarenhof als Alexei
mal wieder an unstillbaren Blutungen leidet. Ein Palastkommandant berichtet: "Vom ersten
Augenblick an, da Rasputin am Krankenbett des Thronfolgers erschien, trat Besserung in
dessen Zustand ein..."47 Da es sich bei Rasputin um einen Pilgerer handelt, der nicht selten
mit entwaffnender Überzeugungskraft Prophezeiungen von sich gibt, ist ihm Alix auf Grund
ihrer Neigung zur religiösen und metaphysischen Welt schnell verfallen. Da es Rasputin auf
unerklärliche Weise gelingt, den Zustand Alexeis drastisch zu verbessern, gelangt Alix zu dem
Schluss, dass es sich bei Rasputin um einen Heiligen handeln müsse, der nur durch die Kraft
seiner Gebete Macht über das Leben ihres Sohnes ausüben könne.48 Für sie war er von Gott
geschickt worden, um ihren Sohn zu beschützen und eine Antwort auf ihre zahlreichen
leidenschaftlichen Gebete. Daher weist die Zarin jede Kritik an Rasputin stets zurück.49
Es ist zwar erstaunlich, dass die Zarin Alexandra Fjodorowna sich den Anweisungen eines
ungehobelten Bauern unterwirft, aber mit ihrer Frömmigkeit und dem damit verbundenen
Glauben an Wunder zu verstehen. Da vor der Öffentlichkeit die Krankheit Alexeis geheim
gehalten wird, wird das Verhalten der Zarin Rasputin gegenüber völlig missverstanden. Sogar
das Gerücht über ein Verhältnis der Beiden kursiert. Sexorgien ist nur eines der Dinge die
44
vgl. ebd., S.192-200
vgl. ebd., S.197
46
Bei Rasputin handelt es sich um einen großgewachsenen Bauer aus dem sibirischen Dorf Pokrowskoje. Er hat
einen auffallend durchdringenden Blick. Es mangelt ihm zwar an Bildung, dies kann er allerdings durch Instinkt
und Schlauheit wieder wettmachen. S208
47
ebd., S.212
48
Heutzutage kann man Rasputins "Wunderkraft" höchst wahrscheinlich auf Hypnose zurückführen. Seit dem
19. Jahrhundert wird die wissenschaftliche und praktische Beschäftigung auch in Europa betrieben S.213
49
vgl. ebd., S.212-216
45
9
Rasputin vorgeworfen werden. Ihr unerschütterlicher Glaube an Gott und an den "heiligen"
Rasputin macht Alix blind. Für sie ist er fehlerfrei, für das Volk ist er ein Schurke und
skrupelloser Mann. Da Alix weiter auf Rasputins Vorschläge hört, zieht sie den Volkszorn auf
sich. Einmal das Vertrauen der Zarin gewonnen, versucht Rasputin systematisch seine
Kritiker auszuschalten.50 Als Nikolaus die Ablehnung vom Volk gegen Rasputin wahrnimmt,
will er Rasputin vom Hof verbannen. Im Gegensatz zu Alix ist er nicht von seiner Heiligkeit
überzeugt. Als Alix das mitbekommt, reagiert sie mit einem hysterischen Anfall. Die Sorgen
um ihren Sohn beanspruchen ihr Herz, sie muss geschont werden. Rasputin darf an den Hof
zurück.51
Nun versucht Rasputin auch politisch Einfluss zu nehmen. Während Nikolaus auf Grund des
ausgebrochenen ersten Weltkriegs an der Front ist, meint die Zarin sie würde ihn entlasten,
wenn sie einige innenpolitische Entscheidungen übernimmt. Rasputin beeinflusst die Zarin in
diesen Entscheidungen, indem er Dinge, die ihm im Weg stehen oder die er als nicht gut
erachtet, als "nicht göttlich" bezeichnet. Er nutzt die Gutgläubigkeit der Zarin aus um seine
Macht auszubauen und missbraucht somit ihr Vertrauen.
Da der Zar die politischen Entscheidungen der Zarin während seiner Abwesenheit billigt,
spielen ihr Denken und Handeln für die innenpolitische Lage des Landes eine immer größere
Rolle. So kommt es, dass sie beispielsweise unliebsame Minister ersetzt. Rasputin hat längst
durchschaut, dass Alix Bestrebungen in Richtung Rückgewinnung der autokratischen
Herrschaft gehen. Er bestärkt sie in dieser Hinsicht und kalkuliert sein Wissen in seinem
Vorgehen mit ein.52
Nichts wiegt in der öffentlichen Meinung mehr als die durch Alix veranlasste Unterdrückung
der parlamentarischen Tätigkeit. Auch die militärischen Misserfolge 1915 und der
Munitionsmangel lenken das Volk nicht von den innenpolitischen Zuständen ab, in die sie so
viel Hoffnung gesetzt haben. Ihre Geduld ist am Ende. Der Volkszorn beginnt sich vermehrt
in Demonstrationen zu entladen. Als Regierungssoldaten in die Menge schießen, wird die
Stimme des Volkes gewaltsam zum Schweigen gebracht. Darüber hinaus werden der
deutschen Zarin Spionage im Krieg vorgeworfen. Die Regierung unter Nikolaus Abwesenheit
werde durch eine Deutsche und die Eingebungen eines Bluffers, Rasputin, geführt. Dies
stürze das Land ins Chaos.53
Mit Ausbruch des ersten Weltkriegs übernehmen Alix und ihre vier Töchter sowie ihre
Schwester Ella die Rolle als Krankenschwestern in den Lazaretten, während Nikolaus II sich
an der Front aufhält. Das Große Palais beispielsweise wird als Lazarett eingerichtet. Bei
Operationen reicht die Zarin höchstpersönlich die Werkzeuge und spricht Mut zu. Für die
Kriegsverwundeten beschafft sie aus Deutschland eigene Lazarettwagen mit medizinischer
50
vgl. ebd., S.218
vgl. ebd. S.219
52
vgl. ebd., S.260
53
vgl. ebd., S.297
51
10
Notversorgung im Feld.54 Alix hält viel von dem Gebot der Nächstenliebe und sie trauert um
die vielen gefallen Soldaten. In einem Brief an Nikolaus, welcher sich an der Front aufhält,
schreibt sie: "Wie sehr fühle ich mit den vielen Helden (...) sie sind direkt ins Paradies
gekommen." Mit diesem Zitat lässt sich verdeutlichen, dass Alix ein warmherziger Mensch
ist. Sie trauert und betet für gefallene Soldaten. Der Gedanke an das Paradies tröstet sie in
ihrer Trauer. Auch hier hilft ihr der Glaube, über die Ereignisse hinweg zu kommen.
Ein erstes Anzeichen dafür, dass der Unmut in der Bevölkerung ein Stadium des Handelns
erreicht hat, ist die Ermordung Rasputins in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1916.
Man wolle das Land von dem "Grundübel" befreien, war die Rechtfertigung des Mords.55 Alix
Schmerz ist ohne Grenzen. Für sie war Rasputin ein Freund und Beschützer, der Erhalter des
Leben ihres Sohnes und ein Wahrer der Interessen der Dynastie. Rasputin ist deshalb so
wichtig im Zusammenhang mit Alix zu nennen, da er alles verbindet was Alix ausmacht. Er
rettet mit seiner "Wunderkraft" das Leben ihres geliebten Kindes (Familie), er ist ein
"Heiliger", der ihr von Gott gesandt ist (Religion), und er vertritt ihre Interessen in Sachen
Aristokratie.
5. Folgen der Abdankung
Rasputin hat in seinen Lebzeiten einmal zu Alix gesagt: "Wenn mir etwas zustößt, wirst Du
Deine Krone verlieren und furchtbares Unglück wird über Euch alle kommen...."56
Er sollte Recht behalten. Die Unruhen im Volk verschärfen sich und als Nikolaus auf Alix
Drängen hin sich weigert eine neue Duma zu akzeptieren, da dies dem "Thron Alexeis"
schaden würde und man als Zar die Macht von Gott persönlich erhalten habe, wird er am 2.
März 1917 gezwungen, die Abdankungsurkunde zu unterzeichnen. Die Zarenfamilie wird
unter Hausarrest gestellt.57 Sie führt nun das Leben einer "normalen" Familie. Nikolaus und
die Kinder betreiben Gartenarbeit, Alix verrichtet Handarbeit. Abends wird Karten gespielt.
Für alle Familienmitglieder ist die Tatsache nicht getrennt zu werden der größte Trost.58Alix
ist nun mehr Hausfrau und Mutter. Die Aufgaben einer Mutter passen zu ihrem Charakter.
Ihre Familie ist mehr denn je ihr Halt im Leben. Auch ihr Glauben stützt sie in dieser Zeit
ungemein. Sie verliert nie die Hoffnung das doch noch alles gut wird und beklagt sich
niemals. Das harmonische Familienleben macht Alix trotz der Umstände glücklich.59
Im Juli 1917 wird die Familie nach Sibirien gebracht. Am Abend vor der Abreise geht Alix
noch einmal Hand in Hand mit Nikolaus durch die Räume, die sie so viele Jahre zusammen
bewohnt haben. In den Räumen lassen die beiden noch einmal ihr Leben vorbeiziehen.60
Beide haben immer nach bestem Gewissen gehandelt und wollten Russland nie schaden.
54
vgl. ebd., S.193
ebd., S.303
56
ebd., S.307
57
vgl. ebd., S.320
58
vgl. ebd., S.322
59
vgl. ebd., S.338
60
vgl. ebd., S.336
55
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Jedoch erkannten sie nicht die politischen Umstände und die Unumgänglichkeit von
Reformen.
Am 10. Mai 1918 wird die Familie nach Jekaterinburg überführt. Im Juli 1918 wird die
gesamte Zarenfamilie ermordet. Das Mordoberkommando hat Jurowskij. Er untersteht unter
anderem Lenin. Eine zwölfköpfige Brigade wird als Erschießungskommando
zusammengestellt. Danach sollen alle Spuren des Mordes verwischt und die Körper beseitigt
werden. Die Zarenfamilie weiß nichts von ihrer bevorstehenden Ermordung. In der Nacht
vom 4./17. Juli wird die Familie um Mitternacht von Jurowskij geweckt. Unter dem Vorwand,
die Weißen Armeen mit tschechischen Legionen seien im Anmarsch und die Familie müsse in
Sicherheit gebracht werden, wird die Familie in den Keller gelockt. Sie steht da wie für ein
Bild versammelt. In diesem Augenblick scheint niemand an etwas anders zu denken als an
die baldige Abreise. Jurowskij kommt rein. Er erhebt die Waffe. Der Zar hält schützend seine
Hand vor seine geliebte Alix. Die Kinder bekreuzigen sich schnell. Schüsse fallen. Binnen
einiger Sekunden sind Alix und Nikolaus, sowie ihre noch so jungen und wunderschönen
Kinder tot.61
6. Fazit
Wenn man den Lebenslauf und die Lebensumstände der letzten Zarin betrachtet, fallen zwei
tragische Leitlinien in ihrem Leben auf. Die zu enge Bindung an Familie und religiöse
Tradition einerseits und die Missachtung einer sich in Europa herausbildenden neuen Zeit
andererseits.
Dass das Schicksal der letztes Zarin so verhängnisvoll verlaufen ist, ist einer Kette
ungünstiger Ereignissen verschuldet. Wäre Alix Mutter nicht so früh gestorben oder hätte
Alix auf Grund ihrer Familienbezogenheit nicht so stark unter ihrem Tod gelitten, dann wäre
Alix vielleicht nie ein so zurückgezogener und ernster Mensch geworden. Vielleicht hätte das
Volk dann mehr Gefallen an der schönen Frau gefunden. Auch ihr strikter Glaube an die
Religion wurde ihr in gewisser Weise zum Verhängnis. Hätte Alix nicht immer darauf gepocht
keine Reformen durchzulassen, da sie sich stets nur Gott gegenüber verantwortlich sah und
keinem Parlament, dann wäre Russland vielleicht eine konstitutionelle Monarchie geworden
und das Zarenpaar wäre nicht einem Mord zum Opfer gefallen. Alix Glaube an das Mystische
trägt außerdem dazu bei, dass sie den Sinn für die Realität verliert. Wie sonst könnte man ihr
verhängnisvolles Vertrauen zu Rasputin erklären? Hätte sie nicht so stur den Wünschen
Rasputins gefolgt, hätte sie Unruhen im Volk verhindern können. Trotz allem muss man
sagen, dass Alix immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat, indem sie die
Gebote der Bibel strikt eingehalten hat. Ihr Schicksal zeigt unter Anderem, wie sehr die
Kindheit einem Menschen prägen kann und das man manchmal auch als frommer Mensch
den falschen Überzeugungen nachgehen kann. Auch die wichtige Rolle der Familie wird bei
Alix deutlich. Familie und Religion können einem Helfen mit den schlimmsten Situationen
zurecht zu kommen und geben Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
61
vgl. ebd., S.358-359
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7. Literaturverzeichnis
Heresch, Elisabeth 1993. Alexandra. Tragik und Ende der letzten Zarin (2. Auflage). München:
Langen Müller.
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Anhang
Alix als Kind
Alix als Zarin
Alix mit Nikolaus und den Kindern
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