Die ribosomale E-Stelle

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Wer „A“ sagt, muss auch „E“ sagen:
Die ribosomale E-Stelle
DANIELA WITTEK UND KNUD H. NIERHAUS
MAX-PL ANCK-INSTITUT FÜR MOLEKUL ARE GENETIK, AG RIBOSOMEN
Ribosomen stehen als Mittler zwischen den Welten der Nukleinsäuren
und der Proteine, weil sie die genetische Information in Strukturen der
Proteine übersetzen. Ribosomen gehören zu den kompliziertesten Strukturen, die wir in der Biologie kennen, sie enthalten über 50 ribosomale
Proteine und drei bis fünf ribosomale RNAs, die alle in einer Kopie pro
Ribosom vorkommen.
ó Die einzige Ausnahme ist das Protein
L7/L12, das in 4 bis 6 Kopien vorliegt. Jedes
Ribosom zerfällt in eine kleine und eine große Untereinheit. Das funktionelle Herzstück
der Ribosomen, die Verlängerung (Elongation) der wachsenden Peptidkette um eine
Aminosäure, vollzieht sich in allen Zellen dieses Planeten nach denselben Regeln.
Die Abfolge der Codonsequenz auf der
mRNA wird in die Folge der Aminosäuren
übertragen, und zwar mithilfe der tRNAs, Lförmige Moleküle (in Abb. 1 als stilisierte
Gabeln dargestellt), die an einer Seite das
Anticodon komplementär zu einem Codon
tragen (die dreizinkige Forke der tRNAs in
Abb. 1) und am anderen Ende die dazuge-
hörige Aminosäure. Seit über 25 Jahren wissen wir, dass die Ribosomen drei tRNA Bindestellen tragen, die A-, P- und E-Stellen, die
in dieser Reihenfolge von einer tRNA während der Proteinsynthese durchlaufen werden. Dennoch wissen wir erst seit kurzem
um die fundamentale Rolle der E-Stelle für
die Genauigkeit der Proteinsynthese. Dabei
gilt es, zwei Gesichtspunkte zu betrachten: (i)
Im Gegensatz zur landläufigen Meinung ist
ein Einbau einer falschen Aminosäure für
Struktur und Funktion eines Proteins ohne
schädliche Konsequenz. Nur ein Fehleinbau
von 400 zerstört die Aktivität eines Proteins,
was eine Funktion der E Stelle ist. (ii) Eine
der erstaunlichsten Errungenschaften des
Ribosoms ist die Erhaltung des Leserasters,
das Abgreifen der mRNA Information in
Schritten von drei Nukleotiden. Der zufällige
Verlust des Leserasters passiert nur in weniger als einem Fall von 30.000 abgelesenen
Codons (Übersicht bei [1]). Diese fabelhafte
Fähigkeit ist ebenfalls eine Eigenschaft der EStelle.
Ein normaler Elongationszyklus
˚ Abb. 1: Der Elongationszyklus im Rahmen des allosterischen Dreistellenmodells[4]. Die A-Stellenbesetzung ist in zwei Unterreaktionen geteilt, den Dekodierungsschritt und die nachfolgende
Besetzung der A-Stelle. Danach folgen der Peptidyltransfer und die Translokation (siehe Text).
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Wir unterscheiden im Elongationszyklus drei
prinzipielle Schritte (Abb. 1). Im ersten
Schritt wird die richtige (= cognate) Aminoacyl-tRNA in die A-Stelle nach Maßgabe des
hier vorliegenden Codons gebunden. Dabei
ist die benachbarte P-Stelle mit einer tRNA
besetzt, die die schon synthetisierte Polypeptidkette trägt (Polypeptidyl-tRNA, pptRNA). Im zweiten Schritt wird die synthetisierte Polypeptidkette von der pp-tRNA abgeschnitten und mittels einer Peptidbindung
auf die Aminoacyl-tRNA (aa-tRNA) übertragen, eine enzymatische Funktion der großen
Untereinheit. Das Ergebnis ist, dass die Polypeptidyl-tRNA nun in der A-Stelle sitzt, verlängert um eine Aminosäure. Die P-Stelle
trägt nun eine „nackte“ tRNA ohne Aminoacyl- oder Peptidyl-Rest. Im dritten Schritt
findet die „Translokation“ statt, bei der beide
tRNAs in die benachbarte tRNA Bindestelle
transportiert werden. Gleichzeitig wandert
die mRNA mit den tRNAs, so dass ein neues
Codon in die A-Stelle rückt, die dann im folgenden Elongationszyklus von der passenden Aminoacyl-tRNA besetzt wird.
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WISSENSCHAFT
˚ Abb. 2: Das Codonlexikon in der Form
der „Codonsonne“.
Bevor wir auf die Rolle der E-Stelle zu sprechen kommen, müssen wir noch eine fundamentale Beziehung zwischen der A- und EStelle erwähnen, der ersten und letzten tRNA
Bindestelle. Diese beiden Bindestellen sind
reziprok miteinander gekoppelt, d. h. eine
Besetzung der A-Stelle erniedrigt die E-Stellen Affinität (= tRNA Bindungsvermögen) und
führt damit zu einem Verlust der tRNA aus
der E-Stelle[2, 3]. Das umgekehrte gilt auch,
eine E-Stellen Besetzung erniedrigt die Affinität der A-Stelle (Übersicht bei [4]).
Warum ist ein Fehleinbau einer
Aminosäure für das Protein kein
Problem?
Eine tRNA ist ein großes Molekül, so groß wie
ein Standard Protein im Cytoplasma und ist
etwa 76 Nukleotide lang, wovon nur drei
Nukleotide das Anticodon bilden. Die Auswahl der richtigen aa-tRNA beruht nur auf
diesem Anticodon, die weiteren zahlreichen
Bindungskontakte der tRNA mit der A-Stelle
tragen nicht zur Auswahl bei. Damit wird klar,
dass nur der allerkleinste Anteil der A-Stellen
Affinität von dem Anticodon aufgebracht werden kann. Das Problem wird dadurch verschärft, dass eine aa-tRNA nicht das Substrat
für die A-Stellen-Bindung ist, sondern vielmehr ein Komplex von aa-tRNA mit dem Elongationsfaktor EF-Tu und GTP (ternärer Komplex). EF-Tu ist zweimal so groß wie eine tRNA
und erhöht die Affinität zur A-Stelle um einige Zehnerpotenzen. Damit sind alle 42 verschiedene aa-tRNAs Mitbewerber im Bindungsgetümmel an der A-Stelle. Da die Bindungsenergie für den ternären Komplex riesig, jedoch die Diskriminierungsenergie
(Codon-Anticodon Wechselwirkung) klein ist,
müsste für die Auswahl der richtigen aa-tRNA
(gleich Einstellung des Gleichgewichtes) etwa
eine Stunde vergehen. Das ist jedoch nicht
das, was wir am Ribosom beobachten. Für die
˚ Abb. 3: Cryo-elektronenmikroskopische
Rekonstruktion eines 70S E. coli Ribosoms
im Augenblick der Bindung eines ternären
Komplexes EF-Tu•aa-tRNA•GTP (Dekodierungsschritt). Die aa-tRNA (violett) hat noch
nicht die A-Stelle mit ihrer hohen Affinität
für aa-tRNAs erreicht, obwohl Dekodierung
möglich ist (Position A/T, T für ternären
Komplex;[8] tRNAs in P und E Stellen sind
grün bzw. Orange[9].
Auswahl der richtigen aa-tRNA benötigt das
Ribosom weniger als 50 msec.
Ein Trick für die Lösung des Problems liegt
in der Reziprozität von A- und E-Stelle. Ist die
E-Stelle besetzt, hat die A-Stelle eine niedrige
Affinität für den ternären Komplex, d. h. im
Wesentlichen sind nur Codon-Anticodon
Wechselwirkungen erlaubt. Damit ist die Bindung eines ternären Komplexes außerhalb
des Anticodon praktisch nicht vorhanden,
was zu einer schnellen Einstellung des Gleichgewichtes führt. Eine weitere wichtige Konsequenz ist, dass ein Dekodierungsfehler nur
mit einer aa-tRNA möglich ist, die ein Anticodon ähnlich dem cognaten aufweist. Eine
aa-tRNA mit einem unähnlichen Anticodon
ist aus dem Spiel, da das Anticodon nicht
komplementär zum Codon der A-Stelle ist und
Bereiche außerhalb des Anticodons nicht mit
dem Ribosom in Wechselwirkung treten können. Wir sehen, dass mit diesem Trick die
Auswahl der richtigen aa-tRNA nur zwischen
aa-tRNAs mit dem richtigen und ähnlichen
Anticodon getroffen werden muss. Das sind
nicht mehr als vier aa-tRNAs mit verschiedenen Anticodons, während die Masse der
aa-tRNAs mit einem Anticodon unähnlich
dem cognaten (mehr als 35) den Auswahlprozess nicht stören können[5]. Wir wollen
hier auch bemerken, dass ein Verlesen am
häufigsten im dritten Nukleotid eines Codons
passiert („wobbel“ Position), das mittlere
Nukleotid wird praktisch nie verlesen, und
die erste Position sehr selten.
Die Geschichte ist noch nicht zu Ende,
denn nun müssen wir noch einen Blick auf
das Codonlexikon werfen (Abb. 2). Wir kennen keine chemische Erklärung, warum z. B.
das Codon UUC für die Aminosäure Phe oder
das AUG für die Aminosäure Met codiert. Wir
kennen aber sehr wohl die Logik, nach der
das Codonlexikon organisiert ist. Diese
besagt, dass ähnliche Codons dieselbe oder
eine chemisch ähnliche Aminosäure codieren. Schauen wir uns die dritte Position an,
die am häufigsten verlesen wird, z. B. GC(U,
C, A oder G). Die Codons GC(U, C) und GC(A,
G) werden von verschiedenen aa-tRNAs decodiert, die aber alle dieselbe Aminosäure Ala
tragen. Ein Decodierungsfehler führt also zu
einem Einbau Ala statt Ala ohne Konsequenzen für das Protein. Ein anderes Beispiel ist GA(U, C) und GA (A, G). Bei einem
Dekodierungsfehler wird statt der sauren
Aminosäure Asp die ebenfalls saure Aminosäure Glu eingebaut, in den meisten Fällen
ebenfalls ohne Konsequenzen für das Protein. Diese „Pufferung“ mittels des Codonlexikons verhindert in den allermeisten Fällen
bei einem Dekodierungsfehler den Einbau
einer chemisch unähnlichen Aminosäure,
z.B. statt des hydrophoben Val (Codons GAN)
die hydrophile Ser, mit vermutlich ernsthaften Folgen für Faltung und Funktion eines
Proteins. Wir sehen, dass das Zusammenspiel von der Organisation des Codonlexikons und der Reziprozität der ribosomalen
E-und A-Stellen dafür sorgen, dass ein Dekodierungsfehler in den meisten Fällen ohne
belang für die Proteinfunktion bleibt. Mithilfe der Cryo-Elektronenmikroskopie haben
wir diesen Dekodierungsprozess an einer
gering affinen A-Stelle direkt sehen können.
Die Dekodierung findet statt, bevor die aatRNA die volle A-Stelle besetzt hat (Abb. 3).
Die E-Stelle ist auch für die Einhaltung des Leserasters von größter
Bedeutung
Wie in der Einleitung erwähnt, ist die Erhaltung des Leserasters eine bewundernswerte
Leistung des Ribosoms. In weniger als einem
Fall geht bei 30.000 Elongationsrunden das
Leseraster verloren. Auch hier ist die Reziprozität von A- und E-Stelle beteiligt. Sie hat
die wichtige Konsequenz, dass während eines
Elongationszyklus zumeist zwei tRNAs auf
dem Ribosom sitzen, vor der Translokation
in der A- und P-Stelle, nach der Translokation
in P- und E-Stelle (Abb. 1). Beide tRNAs sind
mit der mRNA über Codon-Anticodon Wechselwirkung verknüpft. Diese Verknüpfung
erlaubt es, dass während einer Translokation
die tRNAs auf dem Ribosom aktiv verschoben werden, die mRNA folgt passiv. Die
mRNA wird also über die tRNAs am Ribosom
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fixiert, sie selbst hat – wenn überhaupt – nur
geringen Kontakt mit dem Ribosom[6]. Damit
ist die Verbindung von tRNA-mRNA über
sechs Basenpaare (= zwei Codon-Anticodons)
für die Einhaltung des Leserasters verantwortlich. Tatsächlich konnte gezeigt werden,
dass eine Störung der Codon-Anticodon Wechselwirkung in der E-Stelle zu einem Verlust
der tRNA in der E-Stelle führt, was für eine
sonderliche Syntheseregulation des Terminationsfaktors RF2 ausgenutzt wird. Hier
geht, unterstützt durch weitere Faktoren, das
Leseraster verloren, wobei eine solche Verschiebung in die Vorwärtsrichtung der mRNA
(+1 Richtung) notwendig für die RF2 Synthese ist[7]. Die Ergebnisse lassen die Abschät-
zung zu, dass ohne E-Stelle das Leseraster
nach dem Einbau von 20 bis 50 Aminosäuren verloren ginge. Damit wäre eine geordnete Synthese von 300 – 500 Aminosäuren
(durchschnittliche Länge der Proteine) nicht
möglich.
ó
Literatur
[5] Geigenmüller, U. and Nierhaus, K.H. (1990): EMBO J.
9:4527–4533
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Washington, D. C., 513–526
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(2005): Nucleic Acids Res. 33:5291–5296
[4] Blaha, G. and Nierhaus, K.H. (2001): Cold Spring Harbor
Symposia on Quantitative Biology 65:135–145
Korrespondenzadresse:
Daniela Wittek
Knud H. Nierhaus
MPI Molekulare Genetik, AG Ribosomen
Ihnestraße 73
D-14195 Berlin
Tel.: 030-8413-1700
Fax: 030-8413-1594
Nierhaus@molgen.mpg.de
AUTOREN
Daniela Wittek
Knud H. Nierhaus
Nach dem Studium an der Berliner Freien Universität machte
sie ihre Diplomarbeit am MPI für
Molekulare Genetik Berlin in der
Gruppe Nierhaus auf dem Gebiet der Proteinbiosynthese. In
derselben Gruppe ist sie zur Zeit
Doktorandin.
Knud H. Nierhaus studierte Medizin und promovierte in Tübingen. 1968 wechselte er an
das MPI für molekulare Genetik in Berlin. Dort ist er zurzeit Leiter einer Forschungsgruppe, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der Translation beschäftigt. Er ist außerplanmäßiger Professor an der Technischen Universität Berlin. Ergebnisse seiner Forschungen
umfassen die Entwicklung einer Methode zur Zerlegung und Rekonstitution der großen
ribosomalen Untereinheit von E. coli in ihre 35 verschiedenen Bestandteile und die Entdeckung der dritten universellen tRNA-Bindungsstelle auf dem Ribosom.
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