Licht für die Grachten
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Licht für die Grachten
Licht für die Grachten Grachten zählen zu den bekanntesten Merkmalen niederländischer Städte. Noch heute sind sie wichtige Verkehrswege. Ein besonderes Lichtkonzept, der Lichtschleier, ermöglicht es, den Rhythmus der oft denkmalgeschützten Stadtsilhouette zu akzentuieren. Thomas Pitterle Norbert Wasserfurth (3) Die Grachten spielten von Anfang an eine wichtige Rolle als Transportwege. An ihnen wurden zahlreiche Kaufmanns- und Lagerhäuser gebaut. Grachten prägen bis heute viele niederländische Städte (die Bilder zeigen Utrecht). Als wesentlicher Faktor im Tourismusmarketing liegt auf ihnen ein besonderer Augenmerk. Wie viel Licht braucht der Mensch? Erfahrungen aus der Natur halfen den Projektverantwortlichen von Studio DL, den Lichtschleier zu definieren. Norbert Wasserfurth 22 Garten + Landschaft 7/2007 der Hauptattraktion und dem Identifikationsmerkmal – den Grachten – vorsichtig umgehen. Wie einst Rembrandt Harmenszoon van Rijn im goldenen Niederländischen Zeitalter mit Hilfe von Farbe und Licht Gemälde von einzigartiger Stimmung erzeugte, so hat sich das Bild der warm leuchtenden Grachten in unsere Vorstellungen gebrannt. Dies gilt es zu erhalten und nicht durch eine rein funktionale Beleuchtung zu zerstören. Identität durch Licht In Zeiten, in denen Städte für eine wachsende Zahl von Menschen aufgrund neuer Arbeitsanforderungen zu Durchgangsstationen werden, erscheint es umso wichtiger, Orten eine Identität zu geben oder, wie im Fall der Grachten, zu erhalten. Da sich die Freizeit zunehmend in die Nacht verlagert, fällt dem Kunstlicht eine besondere Bedeutung zu. Es kann neben Helligkeit ästhetische Werte, Sicherheit und Orientierung vermitteln und damit hohe Akzeptanz für eine Stadt erzeugen. Darauf basierend entstand für die Beleuchtung der historischen Kaufmannshäuser der Grachten ein Lichtkonzept, das die Fassaden der sie flankierenden Häuser hervorhebt und deren Eigenart erkennen lässt. Die historischen Standorte der Lichtmasten und deren unverwechselbares Design sollten dabei erhalten bleiben. Keine einfache Aufgabe angesichts der Tatsache, dass die alten Verkehrswege der Grachten auch heute noch intensiv von Kraftfahrzeugen und Radfahrern genutzt werden – die Anforderungen einer öffentlichen Lichtanlage für den Stadtverkehr mussten ebenso wie Energieeffizienz, Umweltschutz, Ästhetik und die teilweise gegensätzlichen Interessen des Tourismus und der Einwohner berücksichtigt werden. Erschwerend ist, dass die Mastabstände bei einer Höhe von 3,5 Meter nicht selten in einem Abstand von über 20 Meter stehen. Das Lichtplanungsbüro Bartenbach konzipierte ein Lichtlenksystem, das mit seiner präzisen Sekundär-Lichttechnik diese schwierige Aufgabe meistert. Die Fassaden können mit einer Zusatzkomponente aufgehellt werden. Das Lichtplanungsbüro Studio DL aus Hildesheim untersuchte dazu die Wechselwirkung zwischen Licht und Fassa- de. Eine der zentralen Fragen war es, herauszufinden, wie viel Licht in welcher Qualität benötigt wird, um Stadträume erlebbar zu machen. Die typischen Merkmale niederländischer Architektur, die unverwechselbare Farbwelt der Fassaden, der Rhythmus der Stadtsilhouette sollen dezent akzentuiert werden. Konzept: Sanft beleuchten Als Ergebnis entstand eine Studie zum Lichtschleier, der mit einer zusätzlichen Lichtkomponente im oberen Teil einer Grachtenlaterne realisiert werden kann. Das Konzept des sogenannten Lichtschleiers sieht vor, die Fassaden in ein sanftes, gerade noch wahrnehmbares Licht zu tauchen. Per Definition unseres Büros Studio DL „hegt der Lichtschleier keinen Anspruch auf vollständige Aufhellung und Gleichmäßigkeit, sondern lässt die Simse und Dachgiebel mit dem natürlichen Widerschein des städtisch-nächtlichen Himmels spielen und sie plastisch hervorbringen“. Entsprechend wurden fünf Konzepte erarbeitet, die unterschiedliche Ausführungen Robert Fritzsche Die Grachten spielten immer eine wesentliche Rolle im städtebaulichen Kontext der niederländischen Städte. Genutzt als Transportwege, waren und sind sie heute noch flankiert von unzähligen Kaufmanns- und Lagerhäusern aus dem sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert. Die Grachten bieten heute nicht nur vielen Menschen ein extravagantes Zuhause mit einzigartigem Flair. Sie beherbergen ebenso weltbekannte Museen wie das MeermannoWestreenianum Musseum in der Prinsengracht in den Haag oder das RembrandtHaus in der Prinsengracht in Amsterdam. Ende des 13. Jahrhunderts entwickelten sich in Städten wie Amsterdam, Brugge, Gent, den Haag, Utrecht und Zwolle die Grachten als wichtigste Lebensader der Städte. Die Strukturen sind erhalten oder in dem historisch gewachsenen Straßenverlauf der Stadt auch heute noch deutlich erkennbar. Die stimmungsvollen Altstädte am Wasser, die sich nicht nur dank der liberalen Politik der Niederlande einer großen Beliebtheit erfreuen und durch den Tourismus eine wichtige Einnahmequelle sind, müssen mit Garten + Landschaft 7/2007 23 Konzept 1 Zig Zag Konzept 2 Semicircle Konzept 3 Permanence Konzept 4 Down Konzept 5 Up Das Lichtplanungsbüro Studio DL entwickelte fünf Lichtszenarien für die Hausfassaden der Grachten: Zig Zag, Semicircle, Permanence, Down, Up. Schemata und Renderings: Studio DL (11) Um den Lichtbedarf für die Konzepte zu ermitteln, wurde über die Fassaden im 3-D-Modell ein Gitter mit einer Maschenweite von 0,5 x 0,5 Meter gelegt. Das Konzept „Semicircle” (oben) lehnt sich durch die natürliche kreisförmige Lichtverteilung an typische Sehgewohnheiten des Menschen an. Betont werden das Erdgeschoss und die oberen Etagen. Im Konzept „Up” (unten) verläuft ein nach oben hin zunehmender Lichtschleier über die Fassade. Die Giebel werden betont. eines Lichtschleiers zeigen: Zig Zag, Semicircle, Constance, Down, Up. Aufbauend auf den Anstrahlungsmustern wurden optional drei Helligkeitsstufen ausgearbeitet. Da die visuelle Wahrnehmung des Menschen sich in der Nachtzeit in geringen Helligkeitswerten bewegt, benötigt der Mensch im Prinzip nicht viel Licht. Wir kennen dieses physiologische Phänomen aus der Natur und vielen Alltagssituationen. Es begegnet uns beispielsweise im Theater, wenn durch niedriges Beleuchtungsniveau eine besondere Stimmung erzeugt wird und trotz geringer Lichtverhältnisse alles Wesentliche wahrgenommen wird. Plötzlich auftretende helle Elemente blenden uns. Im städtischen Kontext ergibt sich allerdings oft das Problem, dass das Auge durch helle Reklame, blendende Lichtquellen von Mastleuchten oder Autoscheinwerfern gehindert wird, in diesem niedrigen Wahrnehmungsintervall aktiv zu sein. Entspre24 Garten + Landschaft 7/2007 chend wird dort ein höheres Beleuchtungsniveau zur Wahrnehmung benötigt, wo die Helligkeit der Umgebung höher ist. Die Nachtlandschaft der Grachten zu gestalten, bedarf einer übergeordneten Betrachtung der Stadt. Robert Wilson, der Bilderneuerer des modernen Theaters, sagte: „There ist no space without light“, der Architekt und Lichtplaner Uwe Belzner bildete den Umkehrsatz: „There is no light without space.“ Licht braucht den umbauten Raum, um sichtbar zu werden, und wie ein Bühnenbild muss die Fassadenlandschaft der Stadt komponiert und gestaltet werden. Masterpläne können nur dann als Werkzeug heterogenen Privatinteressen (die eine sorgfältige Planung zunichte machen können) entgegenwirken, wenn sie fest in den bürgerlichen und kommunalen Gremien verankert sind. Die Werkzeuge der Politik allein helfen hier nicht, der Dialog mit den Bürgern und Investoren muss mo- deriert und visualisiert werden. Ein gemeinsames Ziel, im Bild umgesetzt, verbindet stärker als Paragrafen und Direktiven. Licht betont den Charakter Die Konzepte „Semicircle” und „Up” dürften für die Grachten besonders geeignet sein. „Semicircle“ ruft aus dem visuellen Gedächtnis das Abbild einer klassischen Straßenlaterne mit Glasdom hervor – die Fassaden werden nicht gleichmäßig mit Licht überzogen, die Rhythmik des Lichtes lässt Bereiche im Verborgenen. Das Konzept „Up“ akzentuiert die Giebel und Gesimse, die den typischen Charakter der Grachtenarchitektur ausmachen. Einzelne Teilabschnitte kommen stärker zum Ausdruck. Die Methode der Visualisierung hat einen entscheidenden Beitrag zum Planungsprozess geliefert. Anders als in der Praxis üblich, kann der Lichtbedarf von der Fassade zur Leuchte zurückgerechnet werden. Der Vormarsch der LED-Technologie wird auch hier keinen Halt machen. Die Vorteile der Lichtquelle liegen nicht nur in der langen Lebensdauer und der kompakten Form, die es erst möglich macht, einen Lichtaufsatz in den historischen Leuchtkörper zu integrieren. Der Reiz liegt vielmehr darin, die Möglichkeiten der Lichtlenkung mittels optischer Elemente so zu gestalten, dass die effektive Lichtnutzung und die damit verbundene Begrenzung der Lichtverschmutzung eine effektive Lichtanlage entstehen lässt, die eine historische Stadtlandschaft angemessen aufhellt und ihren Charakter zur Geltung bringt. Der Lichtbedarf (Lichtstrom) wurde für jede Variante der Beleuchtung von der Fassade zu der Leuchte „zurückgerechnet“. So wurde die Lichtstärkeverteilung ermittelt. Garten + Landschaft 7/2007 25