die vollständige Rede von Ulla Schmidt

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die vollständige Rede von Ulla Schmidt
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6. Oktober 2014
Laudatio
der Bundesvorsitzenden Ulla Schmidt zur
BOBBY-Verleihung 2014 an Kai Pflaume
und den TV-Vierteiler „Zeig mir Deine Welt“
am 6. Oktober 2014 in Berlin
Es gilt das gesprochene Wort!
Besser kann ich es nicht sagen als Sie, lieber Sebastian Urbanski, in
diesem letzten Filmausschnitt: „Wir sind verdammt nochmal alle Menschen.“
Der Anlass, aus dem Sie im Filmausschnitt über das Down-Syndrom
sprachen, war kein heiterer. Es ging um eine Pressekonferenz zum so
genannten Präna-Test. Dieser ermöglicht mittels einfacher
Blutuntersuchung die vorgeburtliche Diagnose des Down-Syndroms. Wie wir
wissen, mit der Folge, dass mehr als 90 Prozent dieser Kinder nicht zur Welt
kommen.
Spätestens wenn man die vier Folgen „Zeig mir Deine Welt“gesehen hat,
wird dieser Gedanke vielen Zuschauern absurd vorkommen. Auch jenen,
die sich mit dem Thema Behinderung noch nicht auseinandergesetzt haben.
Oder, wie es im Film der Vater von Sebastian formuliert: „Das DownSyndrom ist keine Krankheit. Es geht nur um eine andere Art von Mensch.“
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Und genau dieser Blick auf Vielfalt als Reichtum, denke ich und denken wir
von der Lebenshilfe, ist Ihr Verdienst, lieber Kai Pflaume. Sie haben
Brücken gebaut, in eine Welt, die viele Menschen nicht kennen. Sie haben
mit Ihrem tollen Team einfach so Berührungsängste weggefegt. Und viele
Vorurteile gleich mit.
Wir lernen sechs so unterschiedliche und faszinierende Persönlichkeiten
kennen – wir sehen, wie sie in der Familie, im Freundeskreis, im Beruf als
gleichberechtigt und als Bereicherung angesehen werden. Respekt und
Wertschätzung werden ihnen selbstverständlich entgegen gebracht – die
sogenannte Behinderung spielt längst keine Hauptrolle mehr im
Zusammenleben und Zusammenarbeiten.
„Zeig mir Deine Welt“hat uns vergnügliche, spannende und ernste Einblicke
in die Lebensgeschichten der sechs Protagonisten gewährt:
Wir sind dabei, wenn Sie, liebe Verena Glatter, das erste Mal ihre eigene
Wohnung aufschließen.
Wenn Sie, Anna Ring, ihre Kita-Gruppe zur Ordnung rufen.
Wir leiden ein bisschen mit, wenn Ottavio Tavormina sich tapfer sein lang
ersehntes Tattoo stechen lässt.
Was mir besonders Spaß gemacht hat: Wir dürfen dabei sein, lieber Tom
Auweiler, wenn Sie Kai Pflaume energisch erklären, wie das mit der Arbeit
im Café so zu laufen hat.
Wir fiebern mit bei der Ramba-Zamba-Theaterpremiere, mit Ihnen,
Sebastian Urbanski, und bekommen einen Eindruck, welchen Zauber Sie im
Publikum verbreiten können.
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Und, liebe Ronja Nobbe, von Ihnen lernen wir die wichtigsten Kommandos
aus Ihrem Tauchkurs.
Es wird viel gelacht in diesen vier Folgen. Nicht umsonst, gaben Sie, lieber
Kai Pflaume, den Filmen den Untertitel „Lebensfreude in vier Teilen“.
Aber es gibt auch nachdenkliche und ernste Momente, wenn es darum geht,
wie die Zukunft aussehen wird, wenn die Großmutter, bei der Ottavio lebt,
einmal nicht mehr da sein wird. Welche Erfahrungen Sie mit Mobbing und
Diskriminierung gemacht haben. Welche Gedanken Sie sich über die eigene
Familienplanung machen.
Und Ihre Eltern erzählen uns von den Gefühlen, als klar war, dass sie ein
Kind mit Down-Syndrom haben würden. Und von unbegründeten Ängsten.
Eltern haben sich, mit Fachleuten und Freunden mit der Gründung der
Lebenshilfe schon 1958 auf den Weg gemacht, das Leben von Menschen
mit Behinderung und das ihrer Familien zu verbessern. Mit der UNBehindertenrechtskonvention, die Deutschland im Jahr 2009 ratifiziert hat,
sind wir wieder ein gutes Stück vorangekommen. Und wir arbeiten noch an
vielen Baustellen:
Wir fordern ein neues Bundesteilhabegesetz, das die Eingliederungshilfe zu
einem modernen Teilhaberecht weiterentwickelt. Die Lebenshilfe wirkt an
diesem politischen Prozess zuvorderst mit.
Wir sehen gerade an diesen sechs Lebenswegen, wie wichtig Inklusion ist.
Der abstrakte Begriff wird hier zum Leben erweckt, weil wir sehen, wie
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Menschen mit Behinderung von Anfang an in ihren Familien dazugehören,
mittendrin sind. Und es auch für die Gesellschaft gut wäre, sie nicht erst in
Sondereinrichtungen auszugliedern, um sie dann wieder mühsam über
integrative Einrichtungen in die Gesellschaft zurückzuholen.
Inklusion klappt im Kindergarten oft schon ganz gut. In den Schulen haben
wir aber noch viel Arbeit vor uns, bis die Schule für Alle überall Wirklichkeit
wird. Das geht natürlich nur, wenn Klassen klein sind und Lehrer dafür
ausgebildet, ganz unterschiedliche Kinder gemeinsam so zu unterrichten,
dass jeder etwas lernen kann.
Für mich, meine Damen und Herren, ist Inklusion eine Weiterentwicklung
der Demokratie. Sie setzt den Grundsatz um, dass wir als Menschen, als
Bürger alle gleich sind – auch wenn wir noch so unterschiedlich sind. In
einer Gesellschaft, die Menschen nach ihrer Leistung bewertet, muss man
selbstbewusst sein und manchmal nerven, um eine Willkommenskultur für
alle umzusetzen. Eine Willkommenskultur, in der jeder Mensch die
Unterstützung bekommt, die er braucht.
Dabei haben Sie uns, liebe Preisträger, in charmanter und unterhaltsamster
Weise mit „Zeig mir Deine Welt“gewissermaßen geholfen.
Lieber Kai Pflaume, Sie haben mit viel Herzblut und viel Geduld die Idee für
„Zeig mir deine Welt“auch im Sender „durchgedrückt“– das hat uns das
Team der Produktionsfirma I&U TV aus Köln verraten. Gemeinsam haben
Sie das Format so hervorragend umsetzen können, dass der Zuschauer
sich keine Minute langweilt. Mit der Mischung aus Interviews,
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Dokumentation und Reportage haben Sie Ihr Publikum gut unterhalten –
und damit sicher viele Menschen erreicht, die bei einer wissenschaftlichen
Behandlung des Themas bestimmt wegezappt hätten.
Und Sie sind nicht nur ein lockerer Gesprächspartner, sondern auch immer
auf Augenhöhe mit Ihrem Gegenüber.
In keiner Sekunde werden diese vorgeführt. Wir kommen ihnen allen zwar
sehr nah, aber es gibt keinen Moment, in dem man denkt: Jetzt sollte die
Kamera besser aus sein. Eine sensible und gelungene Gratwanderung!
Sie haben ohne vorab festgezurrtes Drehbuch gearbeitet. Die Geschichten
ergaben sich aus dem Alltag der sechs jungen Leute. Diese Authentizität
macht „Zeig mir Deine Welt“zu einem wirklich besonderen Format.
Viele der Zuschauer – das haben wir, lieber Kai Pflaume, auf Ihrer
Facebook-Seite gelesen, wünschen sich eine Fortsetzung von „Zeig mir
Deine Welt“. Das würde auch uns riesig freuen!
Wir haben ja einige Entscheider der ARD und des NDR hier im Publikum.
Verena Glatter, Ronja Nobbe, Anna Ring, Ottavio Tavormina, Tom Auweiler,
Sebastian Urbanski und ihren Familien möchte ich Danke sagen. Danke,
dass wir in ihre Häuser und in ihre Leben schauen durften. Und Danke an
Kai Pflaume, dass Sie einem großen Publikum diese Türen geöffnet haben.
Und jetzt möchte ich Ihnen und den Hauptpersonen aus „Zeig mir Deine
Welt“den Preis überreichen und Sie auf die Bühne bitten.