1 Pubertät bei Jugendlichen mit einer geistigen
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1 Pubertät bei Jugendlichen mit einer geistigen
Referat „Pubertät“ Carmen Wegmann, insieme Schweiz, 2008 Pubertät bei Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung Wenn wir von der Pubertät sprechen, sprechen wir von einem bedeutenden Abschnitt, einer bedeutenden Phase des Übergangs im Leben eines Menschen. Es ist die Zeit zwischen dem Kindsein und dem Erwachsensein. Für unsere Kinder heisst das: Kein Kind mehr sein und noch nicht erwachsen… und dennoch alles auf einmal: …. Kind sein und erwachsen sein. Bevor wir im Detail auf die damit verbundenen Veränderungen eingehen, sollen an dieser Stelle zwei Begriffe geklärt werden. Pubertät und Adoleszenz. Wie unterscheiden sich diese beiden Begriffe voneinander und was bedeuten sie? Pubertät ! „pubes“ (lat.) = Schamhaare ! Produktion von Sexualhormonen ! Körperliche Reife (Geschlechtsreife) " ab 10/12-jährig Adoleszenz ! Psychische Reife (geistig-seelische Reife) " ab 13 /15-jährig ! Soziale Reife (Mündigkeit) " ab 18-jährig Es geht also um Reifungsprozesse in allen menschlichen Belangen: dem Körperlichen, dem Seelisch/Geistigen und dem Sozialen. Was bedeuten diese Reifeprozesse, welchem Zweck dienen sie? Funktion und Aufgaben Pubertät Körperliche oder sexuelle Reife (Geschlechtsreife) # Die zentrale Aufgabe der Pubertät ist die Integration der Sexualität in die Persönlichkeit. Adoleszenz Psychische Reife (geistig-seelische Reife) # Die Aufgabe der psychischen Reifung ist die „Ich-Findung“, die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und Erlangung der Identität. Soziale Reife (Mündigkeit) # Die psychosoziale Aufgabe der Adoleszenz ist die Ablösung vom Elternhaus und die Erlangung einer relativen, grösstmöglichen Selbständigkeit. Es gibt keine behindertenspezifische Sexualität Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft wissen wir, dass die sexualbiologische Entwicklung des Menschen mit geistiger Behinderung – bis auf wenige Ausnahmen – altersgemäss und unabhängig von Intelligenzfaktoren verläuft. Das Sexualalter entspricht weitgehend dem Lebensalter. Die meisten Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung erreichen die sexuelle Reife im gleichen Alter wie nicht behinderte. Die körperliche Entwicklung wird ausgelöst durch die hormonelle Aktivität der Geschlechtsdrüsen (Eierstöcke und Hoden). Dieses bewirkt ein beschleunigtes Körperwachstum und das Auftreten von geschlechtsspezifischen Merkmalen. Die Entwicklung der Mädchen unterscheidet sich von der Entwicklung der Knaben. 1 Referat „Pubertät“ Carmen Wegmann, insieme Schweiz, 2008 Pubertät Mädchen Bei Mädchen kommt es zwischen 8 und 13 Jahren, im Durchschnitt ab 10 Jahren zum Längenwachstum, zur Hüftrundung, Brustentwicklung, Scham- und Achselbehaarung und zur Menarche (Menarche= erste Menstruation), die durchschnittlich bei 12,4 Jahren einsetzt. Pubertät Knaben Bei den Knaben setzt das Längenwachstum zwischen 11 und 12 Jahren ein. Im Durchschnitt ab 12 Jahren tritt das Hoden- und Peniswachstum ein, Scham- und Achselbehaarung folgen. Knaben erleben ihren ersten Samenerguss durchschnittlich im Alter von 14 Jahren. Der Stimmbruch erfolgt mit 15-16 Jahren. Körperliche Veränderungen Knaben und Mädchen gemeinsam ist die ungeheure Zunahme an Körpergrösse und Gewicht. Da die einzelnen Körperteile nicht synchron wachsen, macht diese Disproportion bei gleichzeitig motorischer Unsicherheit dem/der Jugendlichen sehr zu schaffen. Der runde und zarte Kinderkörper wird dicker, das Gesicht nimmt markantere Züge an (besonders bei Behinderungen, deren Merkmale deutlicher werden). Akne kann als hormonell bedingtes Symptom das Gesicht verunstalten. Alles in allem einschneidende körperliche Veränderungen, die erst einmal psychisch verarbeitet werden müssen. Körperpflege Die Schweissdrüsen entwickeln sich. Besonders Knaben entwickeln jetzt einen starken Körpergeruch. Bei den Mädchen kommt zusätzlich Ausfluss aus der Scheide. Sowohl für Mädchen, als auch für Knaben muss es jetzt andere Formen der Hygiene geben: tägliches Waschen, häufiger Wechsel der Unterwäsche, Gebrauch von Deodorant, etc. Sexualaufklärung Die Sexualaufklärung über das biologisch-physiologische Geschehen ist schwer theoretisch zu vermitteln und wird von den Jugendlichen häufig nicht richtig verstanden oder eingeordnet. Das heisst, dass die Jugendlichen möglicherweise überrascht werden von der ersten Menstruation oder dem ersten Samenerguss. Bei den Mädchen kann die erste Menstruation Ängste auslösen, krank zu sein, zu verbluten und sterben zu müssen. Auch Ekel vor dem Blut kann auftreten, was dann zu einer Abscheu vor dem Genitalbereich oder der Sexualität führen kann. Bei den Knaben passiert der erste Samenerguss (Pollution = unwillkürlicher nächtlicher Samenerguss) häufig nachts im Bett und wird dann als Bettnässen falsch interpretiert, was peinliche Schamgefühle und Minderwertigkeitsgefühle auslösen kann. # Auf ihre erste Menstruation müssen Mädchen vorbereitet sein. Vor dem elften Lebensjahr sollten Mütter mit ihren Töchtern darüber sprechen. So lernt die Tochter, dass das keine Krankheit ist, sondern normal ist und ein Zeichen für das Erwachsenwerden darstellt. # Knaben sollten erfahren, was ein Samenerguss ist, möglichst bevor sie einen erleben und sich deswegen Sorgen machen müssen. Das erspart dem Sohn Gefühle von Peinlichkeit und Scham. Rituale Andere Kulturen begehen kollektive Rituale, wenn die Mädchen und wenn die Knaben geschlechtsreif werden. Wir sind eine Gesellschaft, die viele Rituale verloren hat. In jüngster Zeit leben diese auch bei uns wieder auf. So kann die erste Menstruation mit einem kleinen Festchen gefeiert werden. Knaben man kann ein „Zertifikat der sexuellen Mündigkeit“ mit einem Foto darauf verleihen (mit 16 Jahren) od.Ä. 2 Referat „Pubertät“ Carmen Wegmann, insieme Schweiz, 2008 Selbstbefriedigung Die Sexualität ist eine grosse und bewegende Kraft, die den ganzen Menschen erfasst. Sie erzeugt auch Begehren und Lustgefühle, die befriedigt werden wollen. Zur neuen Erfahrung der eigenen Körperidentität gehört auch das Experimentieren mit dem Körper. Untersuchungen zur Jugendsexualität stellen fest, dass 95% der männlichen Jugendlichen und 60% der weiblichen Jugendlichen masturbieren. Diese Zahlen wurden bei Jugendlichen ohne Behinderung erhoben. Diese machen es heimlich und niemand merkt etwas davon. Auch viele Jugendliche mit Behinderung onanieren. Sie achten jedoch dabei nicht auf Ort und Zeitpunkt. Wenn sie Lust dazu haben, öffnen sie in der Öffentlichkeit die Hose oder heben den Rock im Bus hoch, ohne darauf zu achten, wer zuschaut. Das ist eine Herausforderung für die Eltern und Erzieher/innen. Es gilt, nicht etwa die Masturbation zu verteufeln, sondern klarzumachen, dass diese normal und erlaubt ist, jedoch nur gemacht werden darf, wenn man allein ist, bei sich zuhause und nicht in der Öffentlichkeit. Verhütung Es ist zwar nicht zu erwarten, dass es schon nach dem Beginn der Pubertät zum ersten Geschlechtsverkehr kommt. Hierzu gibt es Fragen, die sich stellen: ! Hat der Sohn oder die Tochter einen Freund/in? ! Kommt es in Schule oder Freizeit zu Begegnungen, die unkontrolliert sind? ! Können sich Sohn oder Tochter verbal äussern? ! Tut er/sie das auch, wenn etwas Wichtiges passiert? ! Hat der Sohn oder die Tochter überhaupt Interesse am anderen Geschlecht? Besuch bei der Gynäkologin Spätestens bei der Frage nach der Verhütung drängt sich eine Konsultation bei der Gynäkologin auf. Bestehen bei der Tochter Ängste davor, kann man den Besuch bei der Frauenärztin erleichtern, indem die Mutter ihre Tochter mitnimmt, wenn sie selber einen Termin bei der Gynäkologin hat. Somit bekommt die Tochter die Gelegenheit, vorher als Beobachterin mitzuerleben, wie eine gynäkologische Konsultation vor sich geht. Das vermindert die Ängste und erleichtert den ersten Besuch. Bewährte Verhütungsmittel für Frauen ! Pille ! Kupfer- oder Hormonspirale ! Hormonpflaster oder -implantate ! Dreimonatsspritze ! Präservativ Zur Sterilisation: Seit Sommer 2005 ist das „Bundesgesetz über Voraussetzung und Verfahren bei Sterilisationen“ in Kraft. Das Sterilisationsgesetz soll vor allem Missbräuche verhindern, wie sie in der Vergangenheit vorgekommen sind. Entsprechend streng sind die Voraussetzungen für eine Sterilisation bei urteilsunfähigen Personen; eine Sterilisation ist in diesen Fällen grundsätzlich verboten und nur in Ausnahmefällen zugelassen, wenn sie „nach den gesamten Umständen“ im Interesse der betroffenen Person liegt. Wobei sowohl der Schutz der Menschen mit geistiger Behinderung als auch deren Recht auf Sexualität im Vordergrund stehen. Psychische Veränderungen Die hormonellen Veränderungen beeinflussen auch die Stimmungslage des Gemütes. Man spricht von Pubertätskrisen; diese gelten als typische, soziokulturell bedingte und milieureaktive psychische Krisenerscheinungen. 3 Referat „Pubertät“ Carmen Wegmann, insieme Schweiz, 2008 Pubertätskrisen Charakteristische Aspekte des Erlebens und Verhaltens aller Jugendlicher: ! Stimmungsschwankungen (himmelhochjauchzend – zu Tode betrübt) ! aktives Verhalten versus extreme Passivität ! Rückzug in lustlose Lethargie („mir stinkts, habe null Bock“) ! Arroganz, Grössenwahn, Widerstand gegen Autoritäten vs. Minderwertigkeitsgefühle, Gekränktsein, suizidale Phantasien ! Narzisstische Beschäftigung mit dem Körper, Überbewertung des eigenen Aussehens (prüde Scham vs. provozierende Koketterie) ! Ablehnung des Wertesystems der Erwachsenen um eigene Ziele und Ideale herauszubilden Was ist anders? In der Regel durchleben Jugendliche mit einer Behinderung denselben schmerzhaften und stressvollen Umstrukturierungsprozess in Pubertät und Adoleszenz wie ihre nichtbehinderten Altersgenossen und –genossinnen. Während die körperliche Entwicklung meistens altersentsprechend verläuft, ist die seelisch-geistige Entwicklung häufig verlangsamt und länger andauernd. Die körperliche Reife entspricht nicht dem affektiven emotionalen Entwicklungsstand. Auch fehlen weitgehend die Möglichkeiten der intellektuellen Verarbeitung. In manchen Bereichen sind sie im Nachteil gegenüber Jugendlichen ohne Behinderung. Nachteile Man traut Kindern mit Behinderung weniger zu und man erlaubt ihnen weniger. Damit schränkt man die Chancen der Selbstverwirklichung in der Auseinandersetzung mit der Umwelt massiv ein. Diskrepanz Es besteht eine Diskrepanz zwischen dem Sexual-Alter und dem Intelligenz-Alter. Oftmals fehlt den Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung das Verständnis für die körperlichen Prozesse und Gefühlsschwankungen. Sie erfassen weniger gut, was in ihnen vorgeht, sie haben weniger Möglichkeiten zur kompensatorischen Konfliktverarbeitung, geschweige denn zur emotionalen Verarbeitung. Sie empfinden die Veränderungen, können diese aber nicht deuten oder gar sublimieren. Identitätssuche Die Pubertät ist auch die Zeit der Identitätsfindung. Die Frage „Wer bin ich?“ ist eine zentrale Frage. Jugendliche mit einer Behinderung erkennen plötzlich, dass sie anders sind. Oft erleben sie ihre Andersartigkeit als Minderwertigkeit. In dieser Altersphase beginnen Jugendliche mit einer Behinderung ihr Anderssein schmerzlich zu empfinden. Mit Fragen nach dem „Warum“ treten die Jugendlichen an ihre Eltern heran. Je stärker Wahrheit und Realität der Behinderung des Kindes bisher verdrängt und verleugnet wurde, desto mehr bricht nun auch das eigene instabile Weltbild zusammen. Wie soll ein Jugendlicher seine Behinderung akzeptieren und in die eigene Persönlichkeit integrieren lernen, wenn die engsten Bezugspersonen die Auseinandersetzung mit seiner Behinderung nicht bejahend abgeschlossen haben? Die Jugendlichen müssen einen schmerzvollen Bejahungsprozess in der Pubertät durchmachen, um ihre Behinderung akzeptieren zu lernen. Körperbewusstsein Es geht um das Akzeptieren der äusseren Erscheinung. Nicht selten kommt es zum zwanghaften Vergleich mit den anderen Jugendlichen und zur Überidentifikation und Idealisierung eines vollkommenen aber unerreichbaren Körperschemas. Abweichungen von der Norm haben beträchtliche soziale Nachteile und Rückwirkungen auf das Selbstbild. Das Anderssein wird als belastend empfunden und führt oft zu einer blockierenden Fixierung an das Stigma der Behinderung, mit der Folge, dass die eigene Körperlichkeit abgelehnt wird. Die Vergröberung der Haut und des Körperbaus, der Gliedmassen und des Gesichtsausdruckes 4 Referat „Pubertät“ Carmen Wegmann, insieme Schweiz, 2008 hat auch eine Verstärkung der Primärsymptome der Behinderung zur Folge. Die Merkmale werden ganz allgemein vergröbert, die Behinderung wird rascher erkennbar und stigmatisierbar. In dieser Phase beginnen viele Jugendliche sich zu genieren und sich noch mehr in die Isolation des Aussenseiters/der Aussenseiterin zurückzuziehen. Distanzierung der Umwelt Lehrer, Freunde, Erzieher und Eltern gehen auf Distanz, da mit dem Verlust des NaivKindlichen und hilflos Liebenswerten auch die Bereitschaft nachlässt, das Kind in den Arm zu schliessen und zu liebkosen. Für die Jugendlichen kommt dies einem Liebesverlust gleich. Dieser äusserst schmerzhafte Vorgang prägt das Selbstbild und führt zu einem erschwerten Finden eines positiven Selbstwertgefühls. Distanzlosigkeit Im Weiteren kann noch eine zusätzliche Sorge dazukommen: Unter Umständen verhalten die Jugendlichen sich sexuell auffällig, da sie weniger Schamgefühle und Zurückhaltung entwickeln, sondern ihre Gefühle spontan und direkt zum Ausdruck bringen. Folgende Zitate aus der insieme-Broschüre „Meine spezielle Schwester, mein besonderer Bruder“ illustrieren dies. „C., 16-j., macht sich an jeden Mann ran, sie umarmt ihn, drückt sich an ihn, versucht ihn zu küssen. Wie leicht könnte sie an jemand geraten, der ihr nur zu gern entgegenkommt.“ „B. hat Mühe, Distanz einzuhalten. Er sucht die Nähe zu Frauen, jetzt wo er pubertiert noch mehr. Er merkt häufig nicht, wann genug ist, er kennt keine Grenzen.“ „Ich schämte mich auch für sie. Als Teenager hatte sie überhaupt kein Schamgefühl. Sie holte einfach ihren Pyjama und zog sich vor allen andern aus. Noch heute hat sie weniger Schamgefühle, sie erzählt noch heute allen, dass sie die Periode habe.“ Die Lust, andere Menschen zu berühren, ist bei Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung besonders ausgeprägt. Viele können nicht mit Worten ausdrücken, wie sehr ihnen jemand gefällt. Also bedienen sie sich der Körpersprache: sie rücken nahe an jemanden ran, fassen ihn an, berühren und streicheln ihn oder geben Küsschen. Diese Berührungslust kann vom Gegenüber als distanzlos empfunden werden oder als Aufforderung zum Sex verstanden werden. Nachteile Die ersten erotischen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht sammeln die meisten Jugendlichen in der „peer-group“, der Gleichaltrigengruppe. Auch hier sind die Jugendlichen mit einer Behinderung im Nachteil. Selten haben sie Gelegenheit dazu, unbeaufsichtigt mit Gleichaltrigen zusammen zu sein und somit werden sie sich selten als für andere attraktiv erleben. Wer hat ein Problem? Haben jetzt eigentlich die Eltern, das Bezugssystem und die Gesellschaft ein Problem mit der Pubertät ihrer Kinder oder die Jugendlichen selber? Es ist anzunehmen, dass Jugendliche mit einer Behinderung nicht wesentlich grössere Probleme haben, als Jugendliche ohne Behinderung, dass jedoch deren Eltern und Erzieher/innen und Bezugspersonen sich Probleme damit machen. Soziale Veränderungen Der hoffnungsvolle Wunsch, sich zu emanzipieren und persönliche Bestätigung zu finden lebt vielleicht im Innern einer Person, aber oft wird er gebremst, manchmal sogar ganz unterdrückt. z.B. - durch behinderungsbedingte Einschränkungen - durch begrenzte Ausdrucksmittel 5 Referat „Pubertät“ Carmen Wegmann, insieme Schweiz, 2008 - durch die Vorstellungen des Umfelds von Behinderung und Sexualität durch das institutionelle Leben Die meisten Menschen mit geistiger Behinderung erreichen die Stufe der sozialen Reife nicht oder nur beschränkt. Sie werden zwar erwachsen, erlangen jedoch die Urteilsfähigkeit oder Mündigkeit nicht und werden bevormundet. Im besten Fall erlangen sie teilweise eine gewisse Selbständigkeit, indem sie in einer Werkstatt für Behinderte arbeiten, in einer Wohngruppe leben und staatliche Zuschüsse bekommen. Reaktion der Umwelt Das Wissen um diese Grenzen erhöht unsere Ängste und zementiert unsere Abwehr: Statt loszulassen verdoppeln wir unsere Wachsamkeit und organisieren mehr Schutz. Kindern alles abnehmen, heisst jedoch sie verwöhnen, sie abhängig machen und verhindern, dass sie selbständig werden. Oft können sich Eltern gar nicht vorstellen, dass ihr Kind mir einer Behinderung einmal nicht mehr zuhause wohnen wird und so reagieren sie mit Trennungsängsten auf die Selbständigkeitsbestrebungen der Heranwachsenden. Das Erwachsenwerden der jungen Menschen mit Behinderung wird durch die ständige Abhängigkeit beeinträchtigt. Zudem fehlen Freiräume und Möglichkeiten zur Einübung der Selbständigkeit. Was tun? Von den Eltern ist gefordert, dass sie ihre heranwachsenden Kinder loslassen lernen, ohne sie fallen zu lassen, denn die Jugendlichen wollen die überbehütende Vorsorglichkeit loswerden, ohne die emotionale Geborgenheit zu verlieren. Nicht nur die Kinder müssen sich von den Eltern ablösen, ebenso müssen sich die Eltern von den Kindern lösen. Selbständigkeit üben z.B. - selbständig öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Dank der Schulbusse lernen die Kinder mit einer Behinderung meistens nicht, einen Schulweg allein zu meistern. Dazu ermutigen und zutrauen ist wichtig und richtig (alleine posten gehen, beim Beck Brot holen, etc). - selbständig telefonieren, Briefe schreiben, mailen, smseln. Heute verfügen fast alle Jugendlichen über ein Handy, bei Jugendlichen mit einer Behinderung ist dies häufig nicht der Fall. Um Kontakt aufzunehmen und Freundschaften zu pflegen ist in der heutigen Zeit wichtig, die modernen Kommunikationsmittel bedienen zu können, es braucht ja nicht unbedingt das eigene Handy, der eigene PC sein. Kontakte pflegen - Der Austausch mit Gleichaltrigen ist in der Pubertät besonders wichtig. Als Eltern sollte man da Zutrauen in die Fähigkeiten des Jugendlichen haben. Die Jugendlichen sollen Freunde einladen oder jemanden besuchen dürfen. Freunde/Freundinnen abzulehnen fordert den Widerstand heraus. Besser ist, man versucht die Freunde/Freundinnen erst einmal kennenzulernen. - Die Mitgliedschaft in einem Verein kann weiterhelfen. Vielleicht gibt es in der Umgebung einen Jugendklub, Sportverein, Pfadi oder einen insieme Freizeitklub. Hier können Jugendliche Kontakte knüpfen und ihre Interessen kennenlernen. Zu diesem Schritt kann man als Eltern ermutigend, unterstützend und vermittelnd wirken. Normalisierung Jugendliche mit einer Behinderung werden häufig i. Entweder unterfordert oder überfordert ii. Entweder überbehütet oder abgelehnt # Sorgen wir für Normalisierung, Integration, Selbstbestimmung. 6 Referat „Pubertät“ Carmen Wegmann, insieme Schweiz, 2008 Peergroup Sorgen wir für möglichst viel Freiraum und Möglichkeiten zur Interaktion innerhalb der Gleichaltrigengruppe. In ihr können neue Verhaltensweisen erprobt und eingeübt werden. Sie wirkt stabilisierend und stiftet ein gesundes Selbstwertgefühl und hilft die emotionale Lockerung vom Elternhaus voranzutreiben und eine wünschenswerte Ablösung und relative Selbständigwerdung zu ermöglichen. 7