Das Kinderheim Frohnau Eine Mitarbeiterin erzählt, wie alles anfing
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Das Kinderheim Frohnau Eine Mitarbeiterin erzählt, wie alles anfing
Das Kinderheim Frohnau Eine Mitarbeiterin erzählt, wie alles anfing Christa Schewe zählt zu den Mitarbeitern der ersten Stunden des Kinderheims Frohnau, dem späteren Ev. Rehabilitationszentrum Fürst Donnersmarck-Haus. Die Krankengymnastin trat 1963 als knapp 30jährige ihren Dienst an, noch bevor Kinder in dem Heim aufgenommen wurden. Zusammen mit dem damaligen Heimarzt und der Heimleitung entwickelte sie ein Betreuungskonzept und entschied mit welche Kinder aufgenommen wurden. Doch auch viele andere Aufgaben prägten ihren Arbeitsalltag in den Anfängen des Kinderheims. Frau Schewe, was haben Sie gemacht, bevor Sie im Fürst Donnersmarck-Haus anfingen? Ich bin 1934 in Arnstadt, in Thüringen geboren. Mit 18 Jahren ging ich nach Eisenberg und machte dort 1954 mein Staatsexamen als Krankengymnastin. Bis 1957 arbeitete ich in Ostdeutschland in meinem Beruf. Ich wollte aber unbedingt zu meinem Vater nach West-Berlin. Es war ja die Zeit des Mauerbaus und ich ging diesen Weg. In West-Berlin galt ich als Flüchtling und musste ein Aufnahmeverfahren durchlaufen. Da meine Ausbildung erst anerkannt werden musste, konnte ich anfangs nicht als Krankengymnastin arbeiten. Da ich aber schon immer mit behinderten Menschen arbeiten wollte und selbst sehr gerne Sport trieb, fing ich im Behindertensport an. Jahrelang war ich in vielen Bezirken Übungsleiterin und habe später zusammen mit Herrn Richter den Behindertensport im Kinderheim etabliert. Inzwischen hatte ich meine Anerkennung erhalten und begann anfangs als Urlaubsvertretung in verschiedenen KG-Praxen. 1960 bekam ich eine Festanstellung in einer Frohnauer Praxis. Wie kam es, dass Sie ausgerechnet mit Menschen mit Behinderung arbeiten wollten? Ich hatte mit 3 Jahren selbst Kinderlähmung. Davon blieb aber nur zurück, dass das eine Bein etwas kürzer und schwächer war, das hat kaum einer gemerkt. Ich hatte keine Einschränkungen, bin sogar Schi gefahren und in den Bergen gewandert. In der Abendschau sah ich zufällig einen Bericht über die Grundsteinlegung eines Kinderheims für behinderte Kinder in Frohnau. Die Telefonnummer von Frau Dr. Magdalena von Tilling wurde angegeben. Ich rief an und wurde zum Gespräch eingeladen, das zusammen mit Chefarzt Stope vom Waldkrankenhaus Spandau stattfand. Er gehörte mit zum Verein zur Förderung von körperbehinderten Kindern und war früher selbst Krankengymnast. Per Telegramm erhielt ich die Bestätigung meiner Einstellung und gehörte zusammen mit Hausmeister Schwarz zu den ersten Angestellten. Am 16. April 1963 war mein erster Arbeitstag. Wie war Ihr Einstieg in die Arbeit? Als ich im April anfing, gab es noch keine Kinder in dem Haus. Ich bin dann von Bezirksamt zu Bezirksamt gefahren und habe um Kinder gebettelt. Wir mussten das Haus ja voll kriegen. Das war ganz schwierig. Der Bedarf war da, aber damals haben viele ihre behinderten Kinder zuhause behalten und versteckt. Oder aber behinderte Kinder wurden gleich nach der Geburt von ihren Eltern im Krankenhaus zurückgelassen. Auch dort habe ich nach Kindern gefragt. Als im Juni unser erstes Kind einzog, haben wir ein Schild gemalt: „Hurra, unser erstes Kind ist da“. Es dauerte eine ganze Weile bis wir das Haus voll hatten. Aber neben der Suche nach Kindern waren auch andere Sachen zu tun. Ich half bei allem mit, ob es Fensterputzen war oder das Einrichten der Räume, der Bau war bei weitem noch nicht abgeschlossen. Ganz am Anfang, in den ersten Monaten, musste ich sogar die Gehälter mit ausrechnen. Wir hatten eine 48-Stunden-Woche. Manchmal haben wir von Früh um 7 bis 23 Uhr gearbeitet. Es wurden anfangs auch Krankenschwestern eingestellt. Viele haben es aber nicht ausgehalten, dass die Kinder teils mehrfach behindert waren und sind wieder gegangen. Wir hatten eine hohe Fluktuation und die Kinder mussten sich immer wieder an neue Betreuer gewöhnen. Die ersten Jahre waren hart, aber wir waren wie eine große Familie. Sogar die Küchen- und Bügelfrauen und unsere Handwerker nahmen Anteil an der Entwicklung der Kinder. Einer war für den anderen da und man konnte sich auch darauf verlassen. Sie haben anfangs viele verschiedene Aufgaben übernommen. Wie haben Sie die Arbeit in ihrem Kerngebiet,der Krankengymnastik, erlebt? Es war paradiesisch wie wir arbeiten konnten. Wenn man gedacht hat, jemand braucht mehr Therapie, dann konnte man das einfach umsetzen. Wir waren immer ganz froh,wenn die Kinder die zu uns kamen, sehr jung waren. Bei denen konnte man durch entsprechende Therapien noch sehr viel bewirken. Wir arbeiteten viel direkt auf den Gruppen, gaben den Betreuern Hilfestellung beim An- und Ausziehen, Baden, Essen etc. Bei schönem Wetter wurden Therapien im Freien abgehalten. Wir hatten bei weitem nicht die Hilfsmittel, die es heute gibt. Ich bin aber froh, dass ich mich immer weiterbilden konnte, habe viele Fortbildungen gemacht, die das Haus bezahlt hat. Ich war z.B. die erste hier, die eine Bobath-Fortbildung, machte, habe das Behandlungskonzept für neurologischen Erkrankungen direkt von den Bobaths gelernt. Wir haben aber auch Aufklärung betrieben - andere Einrichtungen eingeladen, unsere Arbeit gezeigt und z.B. vorgeführt, wie man Rollstühle, Lifter und andere Hilfsmittel nutzt, Schienen, Orthesen etc. anlegt. Das besondere Augenmerk haben wir darauf gelegt, unsere Erfahrung und Kenntnisse auch in dem Bereich der Sozialpolitik einzubringen. Der damaligen Senatorin für Jugend und Sport, Ilse Reichelt, die Probleme der Rollstuhlfahrer zu vermitteln, die dabei u.a. erfahren musste, wie schwierig es ist, eine Bordsteinkante zu überwinden. In Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitern und uns konnten dann in Frohnau einige Bordsteine abgesenkt werden. Zu den internen Fortbildungen haben wir regelmäßig auch Mitarbeiter der Bezirksämter eingeladen. Diese waren dankbar, ausführliche Informationen zu den Themen behinderter Kinder und Jugendlicher zu bekommen. Selbst heute noch führe ich Gespräche, unter anderem mit Mitarbeitern meiner Krankenkasse und zeige ihnen die Probleme von Rollstuhlfahrern auf. Nicht selten höre ich dann, das haben wir ja alles nicht gewusst. Diese entscheiden aber über Kostenübernahmen von Hilfsmitteln usw. Leider musste ich mit 55 Jahren von einem Tag auf den anderen aufhören zu arbeiten. Rücken, Knie und Hüften waren kaputt. Anfangs hatten wir leider noch keine Behandlungsbänke, führten Therapien auf dem Boden aus, das führte zu Verschleiß. Wie empfanden Sie die Stiftung als Arbeitgeber? Die Anfänge habe ich ja schon beschrieben, dieses ausgeprägte Zusammengehörigkeitsgefühl. Später, als Herr Reichel Geschäftsführer und Herr Richter Verwaltungsleiter war, empfand ich es als sehr angenehm, dass wir viele Hilfsmittel anschaffen konnten, die uns und unseren Patienten sehr weitergeholfen haben, wenn wir es fachlich gut begründeten. Ich erinnere mich, dass die Stiftung z.B. eine Mundsteuerung für einen Elektrorollstuhl einer Bewohnerin vorfinanziert hat. Sie war so schwer behindert, dass sie anders den Rollstuhl nicht hätte benutzen können. Die Krankenkasse übernahm die Kosten erst nachträglich, nach dem wir die Steuerung vorgeführt hatten. Ich habe die gute Zeit mitgemacht. Gesellschaftlich war es Ihrer Beschreibung nach Anfang der 60er Jahre schwierig für Menschen mit Behinderung. Ehemalige Bewohner des Kinderheimes zeigen sich dennoch oft selbstbewusst und selbstbestimmt. Anfangs war es im direkten Umfeld, in Frohnau, auch schwierig, Die Frohnauer wollten uns hier nicht haben,auch die Nachbarn nicht. Aber wir haben unsere Kinder einfach überall mit einbezogen und mitgenommen. Bei der Kirchengemeinde gab es einen Stopfkreis. Alte Damen stopften unsere Strümpfe und wurden im Gegenzug natürlich zu unseren Festen eingeladen. Die damalige leitende Schwester Käthe war sehr hinterher die Kontakte aufzubauen und zu pflegen, sogar Paten zu finden. Heute profitiere ich als Rollstuhlfahrerin selbst von der Hilfsbereitschaft der Frohnauer Bürger Menschen mit Behinderung gehören hier einfach dazu. Die Stiftung ist 100 Jahre alt, was sind Ihre Gedanken zum Jubiläum? Ich denke gerne an meine Arbeitszeit zurück und erzähle noch immer gerne darüber. Und ich habe immer noch Interesse daran zu erfahren, was im Haus los ist. Natürlich hat sich alles stark verändert. Als das ursprüngliche Gebäude abgerissen wurde und ich die Ruine sah, habe ich geweint. Ich wünsche der Stiftung, dass sie weiterhin ihre Arbeit für Menschen mit Behinderung macht. Sehr wichtig wäre mehr Zeit für den einzelnen Menschen zu haben. Und was ich ebenfalls wichtig finde – noch mehr Öffentlichkeitsarbeit. Vereine, die Kirchengemeinde, Bürger aus der Nachbarschaft – alle sollten mehr einbezogen werden. So haben wir das schon am Anfang gemacht und Akzeptanz und Verständnis für Behinderte erreicht. Frau Schewe, herzlichen Dank für das Gespräch! Interview: Helga Hofinger