„Die grün-weiße Werder-Familie feiert sich selbst | WESER

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„Die grün-weiße Werder-Familie feiert sich selbst | WESER
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16.09.10 11:20
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Fankultur bei Werder Bremen - 16.08.2009
Die grün-weiße Werder-Familie feiert sich selbst
Von Jean-Charles Fays
Bremen/München . Um drei Uhr wache ich schweißgebadet auf, wanke
Vereinskneipe „Lloyds“ auf seiner Quetsche spielte, blieb den rund 85 Mitgliedern so
schlaftrunken zum Hauptbahnhof und fahre die 800 Kilometer gen München.
nachhaltig in Erinnerung, dass sie ihn im darauffolgenden Jahr zu ihrem
Pünktlich bei der Ankunft um 11 Uhr am Marienplatz zerplatzt mein Traum
Ehrenmitglied ernannten.
vom grün-weißen Fanfest auf dem Marienplatz jedoch wie eine Seifenblase.
Vorerst.
Auch zu Eddys Ehren schlagen die grün-weißen Münchner am Sonnabend mit
einstündiger Verspätung stimmgewaltig am Marienplatz auf. „Hallo Bremen, hallo
Eddy!“ beginnen sie. Dann fordern die Werder-Fans im Exil: „Aufstehen, aufstehen!“
und grölen gemeinsam: „Steht auf, wenn ihr Bremer seid!“, bevor sie zum
kollektiven Hüfen anregen: „Hüpf Bremen, hüpf!“
Bremer Fankultur in München
Fanclub-Gründungsmitglied René Schneider
erklärt, warum sich die Werder-Fans im Exil
vor drei Jahren zusammengetan haben:
„München ist schön. Der Fußball in dieser
© Jean-Charles Fays
Stadt ist es nicht.“ Bayerns Erfolgsfußball
Werder-Eddy in seinem Element.
sei nie was fürs Auge gewesen, Werders
Offensivfußball hingegen schon immer. Das
Keine Sprechchöre, keine hüpfenden Werder-Fans, kein „Humba Humba Täterä“
Besondere an „Grün-Weiß München“ sei,
keine grün-weißen Fahnen. Stattdessen das gewohnte Bild: Hunderte Touristen
dass „in diesem Club alle gleich sind“. Nur
© Jean-Charles Fays
tummeln sich vor dem Rathaus. Nur am Rande in der bayrischen Gaststätte „Donisl“
weil Schneider Rechtsanwalt ist, wird er in
sitzen in trauter Zweisamkeit Bayern- und Werder-Anhänger an den Tischen. Aber
dem Fanclub nicht mehr geschätzt als
Event-Veranstalter Tino Schultz vom
Fanclub Grün-Weißes München.
was ist mit dem Versprechen, dass der Münchener Fanclub „Grün-Weißes München“
andere. Die soziale Herkunft interessiert
auf der Werder-Homepage gegeben hat? „Wo sind die grün-weißen Münchner? Wo
hier nicht.
findet das gemeinschaftliche Einsingen auf den Nord-Süd-Klassiker statt?“, frage ich
Werders Fan-Beauftragten Dieter Zeiffer, der bei rund 30 Grad im Biergarten sitzt
und mir für 15 Euro eine Karte für das ausverkaufte Spiel verkauft . Er vermutet:
„Die waren gestern beim Fantreffen im Hacker Pschorr und haben wohl noch länger
gefeiert. Vielleicht sitzen schon ein paar hier, aber die meisten kommen noch. Für
das Warmsingen ist es heute aber wohl zu heiß.“
Der Club setzt sich besonders für Bedürftige ein. Beim Fantreffen am Freitag wurde
zum Beispiel ein von Werder Bremen gestiftetes Trikot mit Autogrammen der ganzen
Mannschaft für 450 Euro versteigert. Der Erlös geht an einen Verein für krebskranke
Kinder in München. Solche Aktionen stärken den Zusammenhalt - genauso wie die
vom Event-Beauftragten Tino Schultz organisierten Veranstaltungen. Ob rustikale
Ritteressen, Museumsbesuche, sommerliche Schlauchboottouren über die Isar oder
Der Mann mit der Quetsche
winterliche Skihütten-Partyreisen nach Innsbruck – die Aktivitäten sind vielfältig.
Ich ziehe ein paar Tische weiter, treffe einen Mann mit einem grün-weißen
Wenn Schultz über sein Ehrenamt neben dem Job als Marktleiter spricht, wird der
Akkordeon. „Hi, ich bin Werder-Eddy. Man nennt mich hier aber nur den Mann mit
32-Jährige laut und impulsiv. Warum er soviel Zeit in den Club investiert? „Weil uns
der Quetsche“, sagt er und zeigt stolz auf sein Akkordeon. Ohne lange zu zögern,
mehr verbindet als nur die Liebe zu Werder Bremen“, sagt er.
gibt „Werder-Eddy“ eine Kostprobe seines Könnens und siehe da: Beim
„Weserbogen“ kommen die Fans in Wallung. Die Grün-Weißen ringsum ihn herum
erheben sich von ihren Sitzen und singen im Chor: „Wo die Weser einen großen
Bogen macht...“
Als sich die Münchner Werder-Fans um 13 Uhr auf den Weg zur Allianz-Arena
machen, wird klar, was er meint. Wenn Schultz in der U-Bahn nach Fröttmaning
einen Schlachtruf anstimmt, singen alle mit. Bei den kollektivem Kreishüpfen zu
„Humba Humba Täterä“ wackelt die ganze Bahn. Ein paar Stationen vor Fröttmaning
Edgar Liepold alias Werder-Eddy ist jetzt in seinem Element. Die Wangen des
steigt ein mit Bundeswehr-Tarnhose, schwarzer Weste überm FCB-Trikot gekleideter
kräftigen Mannes leuchten blutrot, als er in die Tasten seiner Quetsche haut, voller
Rocker mit einem anderen Zweitmeter-Hünen ein. Doch Schultz kennt keinen
Inbrunst singt und den Fanchor wie ein großer Maestro dirigiert. Mit seiner
Respekt. Er begrüßt ihn: „Ein bisschen weiß, ein bisschen rot, und du siehst aus wie
Lebensfreude hat er den ganzen Donisl-Biergarten angesteckt - selbst die Bayern-
ein Idiot!“. Einen Moment ist eine beunruhigende Ruhe im Waggon. Doch dann
Fans wie es scheint. Ein dickbäuchiger Mittfünfziger im FCB-Trikot kann sein Lachen
lächelt der Kontrahent Schultz an und streichelt ihm über seine Glatzkopf. So ist das
nicht verbergen und bekommt dabei einen hochroten Kopf. Bei den Werderanern
in München. Wofür er in Hamburg mindestens eine Watsch‘n bekommen hätte,
kommt jetzt richtig Stimmung auf. Sie stimmen weitere Lieder und Schlachtrufe an.
bekommt er in München noch Streicheleinheiten.
Für diese Momente lebt der Visselhöveder. Zum ersten Mal hat er seine Quetsche vor
Fanduell vor dem Stadion
fünf Jahren mit ins Stadion genommen – am letzten Spieltag der Meistersaison. „Als
ich da meine Quetsche mit ins Stadion nahm, habe ich gemerkt: Meine Musik
verbindet die Menschen.“ Das Erlebnis war so prägend, dass er die Quetsche seitdem
zu jedem Spiel mitnimmt. Eddys Handzuginstrument machte ihn so berühmt, dass er
unter Werder-Fans nur noch „der Mann mit der Quetsche“ genannt wird. Den Namen
verpasste ihm Bernd Schmidt, der Werder-Profi, der zwischen 1967 und 1974 150
Bundesligaspiele für Werder machte, und inzwischen einen Werder-Fanshop im
Steintor besitzt. Als Liepold sich vor Jahren sein neues Werder-Trikot bei Schmidt
beflocken ließ, taufte ihn der Fanshop-Besitzer: „Eddy, du bist jetzt die Nummer 99:
‚Euer Mann mit der Quetsche‘.“ Auch der Fanclub „Grün-Weißes München“ hat Eddys
musisches Talent gewürdigt. 2006, als Liepold das erste Mal in der Schwabinger
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Auch auf dem Weg von der U-Bahn-Station zur Allianz-Arena duellieren sich die
Fan-Lager. Die Bayern schreien: „Zieht den Bremern die Fische aus dem A...!“
Schultz stimmt zur Gegenattacke an: „Wir in Bremen sind stolz auf unseren Fisch!“
Die FCB-Anhänger überrascht die unerwartete Replik. Sie schmunzeln und reichen
ihm in Anerkennung seiner Schlagfertigkeit die Hand: „Hey, ihr seid in Ordnung!“ Der
31-Jährige schlägt ein und lacht zufrieden.
In der Arena trennen sich unsere Wege. Ehe sich die rund 50 Grün-Weiß-MünchenAnhänger auf den Weg in den Mittelrang machen, tauschen wir Telefonnummern aus.
Es ist unwahrscheinlich, dass wir uns nach dem Spiel im Gewühl der 60.000 Fans
wiedersehen.
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16.09.10 11:20
Der Ausgleich
Fußball gucken mit Familie Sommer
Als ich meinen Platz im Oberrang des
Als Bayerns Ribéry nach einer Stunde eingewechselt wird, gerät Werders
Gästeblocks auf der Nordtribüne betreten
Hintermannschaft ins Schwimmen. Dem Oberrang der Nordtribüne entgeht das nicht.
will, hindern mich zwei Werder-Fans daran.
Sie peitschen ihre Mannschaft nach vorne: „Auf geht's Werder, kämpfen und
Ihre Köpfe haben sie auf die Eisenstange
siegen“, doch es nützt nichts. Gomez gleicht zehn Minuten später aus. Der
vor sich gelehnt. Die Dreiviertelstunde bis
Stimmung bei Familie Sommer tut das keinen Abbruch. Zu oft haben sie in den
zum Spielbeginn nutzen sie für ein
letzten fünf Jahren, in denen sie nur wenige Werder-Pflichtspiele verpasst haben,
Nickerchen. Die 54-jährige Elke Sommer
solche Rückschläge hinnehmen müssen. Elke Sommer sagt: „Für uns ist jedes
neben mir entschuldigt die beiden: „Wir
Werderspiel ein Familienausflug.“ Auch ihre Tochter halte sich mit ihrem Freund im
© Jean-Charles Fays
hatten eine anstrengende Busreise. Um 22
Werder-Block auf und bei Heimspielen sei ihr Mann dabei. Selbst bei der
Familie Sommer in der AllianzArena: Tochter Jennifer Sommer
(von links), Sven Meisloh, Sohn Arne
Sommer und Mutter Elke Sommer.
Uhr ging's in Bremen los. Bis fünf Uhr
Urlaubsplanung wird peinlich genau darauf geachtet, dass diese nicht mit einem
haben wir dann heftig gefeiert und
Werder-Pflichtspiel kollidiert.
gesungen und von neun Uhr bis mittags
ging die Party dann im Hofbräuhaus
weiter.“ Sie habe zwar nur Wasser
getrunken, doch bei ihrem 28-jährigen Sohn Arne und seinem Kumpel Sven war das
anscheinend anders. Als die Mannschaftsaufstellungen fünf Minuten vor Spielbeginn
verlesen werden, sind die beiden aber wieder hellwach. Lautstark übersingen die drei
Bremer jeden Nachnamen des Gegners mit einem herzhaften A...loch, um wenig
später die Werder-Aufstellung aus voller Kehle mitzubrüllen.
Als Mesut Özil nach 39 Minuten das 1:0 schießt brechen bei Familie Sommer alle
Dämme. Sie springen von ihren Sitzen auf, schreien und umarmen sich, als hätten
sie selbst gerade gegen die Bayern getroffen. Elke Sommer sagt: „Mit dem Tor habe
ich gar nicht gerechnet. Deshalb ist es umso schöner!“
In Rage gerät das Trio noch einmal, als Ivica Olic zu Beginn der zweiten Halbzeit
eingewechselt wird. Elke Sommer hat Olic noch nicht verziehen, dass er Per
Mertesacker in der vergangenen Saison „so kaputtgetreten hat, dass er im DFB- und
im Uefa-Pokal-Finale nicht spielen konnte“. Zehn Minuten später ist der Ärger über
den Bayern-Stürmer verflogen und Familie Sommer singt: „Deutscher Meister wird
nur der SVW!“
Fotostrecke: Eine Bremer Fan-Reise nach München
Als ich auf die Schilderungen der 54-Jährigen bewundernd frage: „Woher rührt denn
diese Begeisterung? Das ist ja nicht normal“, wendet ihr Sohn Arne ein: „Wir sind
auch nicht normal.“ Mama Sommer hat dafür auch keine rationale Erklärung: „Mich
hat die Euphorie vor fünf Jahren gepackt, als Werder im Münchner Olympiastadion
Meister geworden ist. Damals habe ich mich in diesen Verein einfach verliebt und
diese Liebe hat mich bis heute nicht mehr losgelassen. Seitdem gehört Werder für
mich einfach zur Familie.“
Um 17.30 Uhr mache ich mich zusammen mit den über 60.000 Fans und tausend
Impressionen im Kopf auf den Weg nach Hause. Nach zehnstündiger Rückfahrt
komme ich um sechs Uhr am Bremer Hauptbahnhof an. Die letzten 27 Stunden sind
vergangen wie im Fluge. Als ich um 6.30 Uhr im Bett liege, zwicke ich mich. Habe ich
wirklich gerade noch mit Werder-Eddy und Grün-Weißes München auf dem
Marienplatz gesungen? Oder war das alles doch nur ein grün-weißer Traum? Wenn
ja, dann hoffe ich, dass ich wieder einschlafe und ihn weiterträume.
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