Eine Auferstehungsgeschichte im Advent
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Eine Auferstehungsgeschichte im Advent
Eine Auferstehungsgeschichte im Advent Offenbarung 19: 6 And I heard as it were the voice of a great multitude, and as the voice of many waters, and as the voice of mighty thunderings, saying, Alleluia: for the Lord God omnipotent reigneth. 15 And out of his mouth goeth a sharp sword, that with it he should smite the nations: and he shall rule them with a rod of iron: and he treadeth the winepress of the fierceness and wrath of Almighty God. 16 And he hath on his vesture and on his thigh a name written, KING OF KINGS, AND LORD OF LORDS. Liebe Gemeinde, alle Jahre wieder, also in jeder Advents- und Weihnachtszeit erlebe ich persönlich immer etwas ganz spannendes. Irgendein besonderes Thema, irgendein Bild oder ein Lied, begleiten mich durch diese Zeit. Jeder Versuch, das vorher zu planen scheitert. Es ist immer so: Irgendwo finde ich etwas, oder vielleicht besser so: Irgendetwas findet mich und lässt mich in dieser Zeit nicht los. Ich möchte euch davon erzählen, was mich in diesem Jahr gefunden hat. Dass Eugen einen englischen Text gelesen hat, hat darin seine besondere Bedeutung. Es sind Verse aus dem Buch der Offenbarung. Und zwar in der Sprache der alten King James Version, die schon Shakespeare kannte. Einiges davon ist in ein Musikstück eingeflossen, von dem ich euch heute erzählen will. Dieses Stück hat mich in diesem Jahr gefunden. Hallelujah For the lord God omnipotent reigneth The kingdom of this world; is become the kingdom of our Lord, and of His Christ And He shall reign for ever and ever. Halleluja, denn der Herr, unser Gott, der Allmächtige, regiert. Das Königreich dieser Welt ist zum Königreiche unseres Herrn und seines Sohnes Christus geworden. Und er wird regieren, von Ewigkeit zu Ewigkeit Wer jetzt noch nicht weiß, um welches Stück es sich handelt, dem kann geholfen werden. Am Anfang heißt es da in einem Text: „Zur Mittagszeit, am 13. November 2010, erleben diese nichts ahnenden Kunden, während sie essen, eine Überraschung: Video: http://www.youtube.com/watch?v=SXh7JR9oKVE Sternstunden der Menschheit“ nennt der Dichter Stefan Zweig ein kleines Büchlein mit 12 historischen Kurzerzählungen, in denen er entscheidende Stunden und Ereignisse in der Menschheitsgeschichte beschreibt. Er gab diesen historischen Kurzerzählungen diesen Namen, weil für ihn die Ereignisse, die er erzählt, „leuchtend und unwandelbar wie Sterne die Nacht der Vergänglichkeit überglänzen.“ In einer dieser Geschichten verarbeitet er den Stoff zur Entstehung des großen Oratoriums von Georg Friedrich Händel, des Messias aus dem wir eben das große Halleluja hörten. Ich fasse diese Erzählung einmal zusammen. Es war der 13. April 1737. Ein dumpfer Schlag hatte das ganze Haus erschüttert. Das war der Meister im oberen Stockwerk! Der Diener Händels rannte die Treppe hoch und fand den schwergewichtigen Komponisten. Regungslos lag er auf dem Boden, die Augen starr, aus dem halb offenen Mund kam ein Röcheln. Der Arzt wurde gerufen. Die Diagnose war erschütternd: Apoplexia - Schlaganfall. Die rechte Seite des schweren Mannes war gelähmt. Der Kranke flüsterte nur: „Vorbei...vorbei mit mir...keine Kraft. Ich will nicht leben ohne Kraft.“ Auf die sorgenvolle Frage, ob Händel wieder genesen wird, antwortete der Arzt beim Weggehen kleinlaut: „Den Mann können wir vielleicht am Leben behalten. Aber den Musiker haben wir verloren, der Schlag ging bis ins Hirn. So lag Händel vier Monate lang da. Er konnte nicht gehen, nicht schreiben, mit der rechten Hand keinen einzigen Ton spielen. Die Lippe hing ihm herunter, und nur lallend konnte er sich verständlich machen. Der Arzt wusste nicht mehr weiter und schickte Händel schließlich in die heißen Bäder nach Aachen. Vielleicht würden diese ein wenig Besserung bringen. „Täglich baden, aber höchstens drei bis vier Stunden,“ lautete die Anweisung dort – „mehr verträgt ihr Herz nicht.“ Doch Händel hatte einen eisernen Willen. Er wollte noch leben, er wollte wieder schaffen. Neun Stunden blieb Händel zum Erschrecken der Ärzte im heißen Bad. Sie warnten ihn. Aber Händel folgte nicht. Er riskierte alles, um zurückzuerobern, was verloren schien. Und seine Kraft kehrte zurück. Nach einer Woche schleppte er sich aus eigener Kraft zum Bad. In der zweiten begann er, seinen Arm zu bewegen. Da war er nicht mehr zu bremsen. Er wollte wieder musizieren - und fand tatsächlich die ganze Kraft des Körpers wieder. Als er aus Aachen abreiste, machte er noch Halt an einer Kirche. Er war nie sonderlich fromm gewesen. Aber jetzt zog es ihn hinein. Er stieg zur Orgel empor und begann zu spielen. Zuerst mit der linken Hand, dann zögerlich auch mit der rechten, die lange kraftlos war. Aber auch diese begann mit immer größerer Kraft zu spielen. Riesige Klangtürme bauten sich in der Kirche auf. Unten lauschten die Menschen und Händel spielte und spielte. So hatten sie niemals einen Irdischen spielen gehört. Händel hatte wieder seine Sprache gefunden, Er konnte wieder musizieren. Er war wieder gesund!“ Stolz und dankbar kehrte er nach London zurück. „Aus dem Hades, der Totenwelt bin ich wieder zurück gekehrt,“ sagte er seinem Arzt, der das medizinische Wunder bestaunte. Dann stürzte er sich wieder in die Arbeit. Nun, 53 Jahre alt, schrieb er eine Oper, eine zweite, eine dritte, die großen Oratorien „Saul“ und „Israel in Ägypten.“ Aber die Zeit war gegen ihn. Der Tod der Königin von England unterbrach die Aufführungen, dann der Spanische Krieg. Der Winter war sehr streng, die Leute blieben zu Hause, weil man die Konzertsäle nicht genügend heizen konnte. Eine Vorstellung nach der anderen wurde abgesagt. So geriet er immer mehr in Schulden. Er musste die Musiker bezahlen und hatte keine Einkünfte. Die Gläubiger verfolgten ihn am Tag und die Sorgen in der Nacht. Händel lag wieder am Boden. Was er vier Jahre vorher mit seinem Körper erfahren hatte, geschah jetzt mit seinem Gemüt. Er war am Ende. „Wozu hat mich Gott auferstehen lassen aus der Krankheit, wenn die Menschen mich wieder begraben? Besser wäre ich gestorben als so geschlagen, als Schatten meiner selbst in dieser Welt dahinzuvegetieren?“ Solche Gedanken brachte er nicht mehr aus dem Kopf. So irrte er am Abend oft verzweifelt und verloren in London herum. Erst spät nachts traute er sich heim, um den Gläubigern auszuweichen. Man schrieb den 21. August 1741. Wieder kehrte er mitten in der Nacht zurück. Da fiel sein Blick auf ein Paket, ein Bündel von beschriebenen Blättern. Obenauf ein Brief von Charles Jennens, dem Dichter, der ihm die Texte der letzten Opern und Oratorien geschrieben hatte. „Ich hoffe, Sie, der große Meister, werden sich meiner armseligen Worte erbarmen und sie dahintragen durch den Äther der Unsterblichkeit,“ stand darin. Wie ein Stich in die Lebenswunde wirkten diese Worte auf den müden Musiker. Händel zerriss wütend den Brief, ignorierte den Rest und warf sich ins Bett. Doch er konnte nicht schlafen. Sollte er noch einmal aufstehen und sich die Texte ansehen? Und Händel stand auf. Da sah er auf das Papierbündel: „Der Messias“ hieß der Titel. Und die ersten Worte auf dem ersten Blatt trafen ihn zuinnerst: „comfot ye; sei getrost comfort ye my people „Tröstet, tröstet mein Volk!“ Diese Worte waren wie ein Schöpfungswort in sein zerschlagenes Leben hinein. Kaum hatte er es gelesen, dieses Wort gespürt, hörte er es als Musik. In Tönen schwebte es, sang es. Er fühlte wieder, er hörte wieder. Da war wieder Musik in seinen Ohren und in seinem Herz. Händels Hände zitterten, wie er nun Blatt um Blatt umblätterte. Alle Müdigkeit war wie weggeblasen. Es schien ihm, als seien diese Worte des Dichters ihm persönlich von Gott zugesprochen. Da packte er Feder und Papier und begann zu schreiben, in unvorstellbarer Geschwindigkeit. Nach 22 Tagen war das große Werk vollendet. Das Wort wurde zum Ton. Und bis heute erinnert das prächtige „Halleluja“ an Händels eigene Auferstehung. Jahr für Jahr führte Georg Friedrich Händel den Messias auf. Aber niemals nahm er Geld dafür an, sondern spendete aus Dankbarkeit für seine erfahrene Auferstehung mitten im Leben jedes Mal den Erlös an soziale Institutionen. „Nie werde ich je Geld für dieses Werk nehmen, niemals! Ich stehe da einem andern in Schuld. Immer soll es den Kranken und den Gefangenen gehören, denn ich war krank gewesen und bin daran gesundet. Ich war ein Gefangener und es hat mich befreit.“ Diese Worte legt Stefan Zweig einem Händel in den Mund. Viele Jahre später. 7. April 1759. Schon schwer krank, ließ Händel sich aus dem Spital noch einmal zur Aufführung des Messias nach Convent Garden aufs Podium führen. Da stand er mitten unter den Musikern und Sängern. Seine erblindeten Augen sahen nichts mehr. Aber er sang tief ergriffen mit. Dies war Händels Abschied. Man führte ihn zurück ins Spital. Die Ärzte verstanden nicht, warum er an diesem Karfreitag sterben wollte. Es war der 13. April. Am 13. April hatte er den Hirnschlag erlitten. An einem 13. April war der Messias in Dublin zum ersten Mal aufgeführt worden. Und wirklich, am 13. April 1759 – heute vor 250 Jahren – verließen Händel die Kräfte. Tags darauf verstarb er. So erzählt Stefan Zweig diese Geschichte. Es ist eine Auferstehungsgeschichte. Eine besondere Auferstehungsgeschichte, wunderbar passend in die Adventszeit. Da liegt einer am Boden, ist am Ende, da packen ihn ein paar Zeilen: Worte gesprochen vor vielen tausend Jahren. Comfort ye my People - Tröstet, tröstet mein Volk. Rede freundlich zu Jerusalem And he shall purify – er wird dich reinigen Behold, darkness shall cover the earth, and gross darkness the people - but the Lord shall arise upon thee, and His glory shall be seen upon thee - Siehe Dunkelheit bedeckt die Erde, und Finsternis die Völker – aber der Herr wird über sie aufgehen und seine Herrlichkeit wird über ihnen gesehen werden. For unto us a Child is born, unto us a Son is given: and the government shall be upon His shoulder: and His name shall be called Wonderful, Counsellor, the mighty God, the everlasting Father, the Prince of Peace. – Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und sein Name ist Wunderbar, Ratgeber, mächtiger Gott, ewiger Vater, Friedensfürst. Glory to God. Ehre sei Gott Rejoice – Freue dich. Diese Worte packen und richten wieder auf. Ein paar Worte auf einem Papier wecken Lebenskräfte und entzünden ein Genie. Auf eine im Grunde genommen simple Botschaft will ich unsere Aufmerksamkeit heute lenken. Ich will sie ohne viel wenn und aber uns heute Morgen ins Gedächtnis rufen. Ich will sie allein zur Gehör bringen. Auf sie will ich unsere Gedanken foccusieren. Advent und Weihnachten heißt auch: Lift up your heads - Erhebt eure Häupter - Das ist die Botschaft. Das ist die Botschaft, die in unseren Herzen und auf unseren Lippen sein soll. Der Herr, der Allmächtige regiert. Er ist das Licht. Seine Herrschaft währt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Das sollen alle hören, die in der Dunkelheit sitzen. Alle, die Finsternis und Bedrückung kennen und sehen. Sie sollen mit dieser Aussicht getröstet werden. • • • • • • Das Dunkel in dem du bist, ist nicht das, in dem du stecken bleiben sollst. Die Herrlichkeit Gottes wird über die aufgehen und deinen Blick gefangen nehmen. Die Verletzung und Kränkung die dich bedrückt, ist nicht das, worin du verharren sollst. Der Herr wird dich heilen und trösten Deine Verlassenheit ist nicht dein Ort, an dem du ewig bleiben wirst. Der Herr wird dir vorangehen. Deine Trauer über deinen Verlust, ist nicht das letzte, in dem du verharren wirst. Er wird dich trösten und dir neue Perspektiven zeigen. Dein Versagen unter dem du leidest ist nicht die Last für den Rest deines Lebens. Er wird dich reinigen von allem und dir zurückbringen die Freude, dass du zu ihm gehörst. Deine Orientierungslosigkeit, dein nicht wissen wie weiter, beschreibt nicht den Dauerzustand. Der Herr, der Friedensfürst, der wunderbare Ratgeber. Er kommt zu dir und zu dir und zu dir. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Gehörst du zu denen, die das hören müssen, die auch eine Auferstehung brauchen im Advent? Weißt du, dass über dir die Herrlichkeit des Herrn aufgeht? „Steh auf, und erheb dein Haupt, weil sich deine Erlösung naht.“ Der Herr sagt dir das zu. Willst du auf ihn schauen? Dieses ist keine christliche Binnenbotschaft. Eine Welt muss sie hören. Dazu ist Musik eine wunderbare Möglichkeit. Wo zum Wort die Musik kommt, da wo das Wort auch den Ton findet, fängt die Botschaft von Weihnachten ganz anderes noch an zu klingen. Dieses Klingen war es, das mich in diesem Jahr gefunden hat. Die Botschaft von der Herrschaft Gottes über alle Dunkelheit, zugesungen einer Welt, die von dieser Herrschaft nichts wusste und nicht daran dachte, wie beim Essen in einem Restaurant. Dieses Klingen hat mich selbst neu und tief unter die Herrschaft Gottes gebracht, neu ins Staunen über das Licht, das aufgeht. Udo Hermann Erfurt, den 3. Advent 2010